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Chronischer Schmerz

Dummes Gehirn, anstatt den Schmerz zu lernen,

sollte es mir lieber in der Schule helfen.

Jessica, 9 Jahre

In unabhängigen Untersuchungen wurde in verschiedenen Ländern festgestellt, dass etwa 15 bis 20 Prozent aller Kinder und Jugendlichen mindestens einmal pro Woche über Bauch-, Kopfoder Rückenschmerzen klagen. Wenn diese Schmerzen an mindestens 15 Tagen im Monat über drei Monate hinweg auftauchen, spricht man von chronischem Schmerz.

Bei den meisten betroffenen Kindern kann glücklicherweise im weiteren Verlauf eine schwerwiegende oder entzündliche Erkrankung (z. B. Rheuma, Bandscheibenvorfall, ein Tumor oder eine entzündliche Darmerkrankung) als Schmerzursache ausgeschlossen werden. Dennoch werden bei etwa drei bis vier Prozent der Kinder oder Jugendlichen die Schmerzen so schlimm, dass man von einer Schmerzerkrankung oder Schmerzstörung spricht. Diese Kinder und Jugendlichen haben fast dauernd Schmerzen.

Die meisten Kinder und Jugendlichen berichten zudem über Konzentrationsschwierigkeiten aufgrund der Schmerzen und über Probleme, sich im Alltag von den Schmerzen ablenken zu können. Meist gelingt das während der Lieblingsbeschäftigungen noch am besten. Die meisten haben Angst, dass mit ihrem Körper etwas nicht stimmen und es möglicherweise etwas »Schlimmes« sein könnte. Die Eltern sind häufig besorgt und genervt zugleich, wenden sich die Kinder in ihrer Hilflosigkeit doch meist an ihre Eltern. Es kommt vermehrt zu Schulfehlzeiten, Alltags-, Freizeit- sowie Familienaktivitäten werden vermieden. In der Folge wird ein Teil der knappen Familienzeit dafür aufgewandt, Ärzte oder andere Behandler aufzusuchen. Gibt es Geschwister, fühlen sich diese nicht selten vernachlässigt.

Kinder und Jugendliche mit chronischen Schmerzen sind mehr gefährdet, eine psychische Störung zu entwickeln, als Kinder und Jugendliche ohne chronische Schmerzen. Vor allem Ängste, Schulprobleme und Depressionen können die Folge von unzureichend behandelten chronischen Schmerzen sein. Andererseits gibt es Studien, die darauf verweisen, dass vorbestehende Ängste, Depressionen, familiäre Nöte und Streitigkeiten die Auftretenswahrscheinlichkeit von Schmerzen erhöhen. Auch Überängstlichkeit der Eltern oder das Vorkommen von chronischen Schmerzen bei mindestens einem Elternteil erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind ebenfalls chronische Schmerzen entwickelt.

Was chronischen Schmerz von akutem Schmerz unterscheidet

1 Chronischer Schmerz klingt nicht wieder ab: Im Gegensatz dazu gehen akute Schmerzen erfahrungsgemäß meist schnell oder bei Entzündungen und Verletzungen wenigstens mit der Zeit wieder zurück.

2 Selten lassen sich eindeutige Auslöser feststellen: Häufig scheint bei chronischem Schmerz Stress eine Rolle zu spielen, und wenn die Laune im Keller ist, klagen die Kinder und Jugendlichen meist über etwas stärkere Schmerzen. Aber ein Auslöser, den man sehen oder messen kann, wie bei akutem Schmerz, fehlt meist bei chronischem Schmerz.

3 Der chronische Schmerz hat anscheinend keine Warn- oder Schutzfunktion: Wenn ein Schmerz immer (wieder) da ist, und das über einen längeren Zeitraum (und dies nicht in Verbindung mit einer sichtbaren oder messbaren Entzündung oder Verletzung steht), gibt es offenbar nichts, wovor er warnt. Abgesehen davon würden unbehandelte Entzündungen oder Verletzungen mit der Zeit entweder stärkere Schmerzen verursachen – oder abklingen, wenn sie von selbst ausgeheilt sind.

4 Die wahrgenommene Schmerzstärke hat demzufolge meist wenig, häufig gar nichts mehr mit einer Verletzung oder Entzündung zu tun: Das, was das Kind oder der Jugendliche an Schmerzen empfindet, ist also losgelöst von einer körperlichen Ursache zu betrachten. Der Schmerz hat sich verselbstständigt und ist zu einer eigenständigen Erkrankung geworden.

Im Folgenden soll erläutert werden, wie es zu solch einem Schmerzphänomen kommen konnte und wieso weder ein ausschließlich organisches noch ein ausschließlich psychologisches Vorgehen sinnvoll ist.

Teufelskreis Schmerz: Entstehung und Aufrechterhaltung chronischer Schmerzen

Also, Teufelskreis passt wirklich sehr gut!

Marius, 17 Jahre

Wenn Eltern zu uns in die ambulante oder stationäre Behandlung kommen, sind meist schon viele Monate vergangen und viele Behandlungsversuche unternommen worden. Im Schnitt vergehen über drei Jahre, bis Kinder in unsere stationäre schmerztherapeutische Einrichtung aufgenommen werden. Dies ist eine lange Zeit, und bei der Frage, ob etwas Besonderes zu Beginn der Schmerzen passiert sei, erinnern sich viele Eltern nicht mehr daran und verneinen gereizt. Wir stellen allerdings häufig im Verlauf der Behandlung fest, dass zu Beginn der Schmerzen durchaus ein akuter Schmerz stand. Dies muss kein schwerwiegendes Ereignis gewesen sein, z. B. kann es sich dabei um eine Infektion, eine Migräneattacke, eine Verletzung aufgrund eines Unfalls oder eine Grippe mit Schmerzen gehandelt haben.

Potenzielle Auslöser

Das verwundert nicht, muss doch auch ein chronischer Schmerz irgendwann einmal seinen Anfang genommen haben. Manchmal können aber auch belastende Lebensereignisse wie z. B. ein Todesfall in der Familie oder die Trennung der Eltern als so schlimm empfunden werden, dass es im wahrsten Sinne des Wortes weh tut. Anhand von Spezialaufnahmen des Gehirns konnten Forscher herausfinden, dass z. B. das Gefühl, sozial ausgegrenzt zu werden, tatsächlich einen Teil des Schmerznetzwerks im Gehirn aktivierte und die Versuchspersonen angaben, leichte Schmerzen zu haben.

Zudem wird eine genetische Veranlagung diskutiert. Schließlich entwickelt nicht jeder chronische Schmerzen. Es gibt Berichte von Menschen, bei denen eher zufällig ein Bandscheibenvorfall festgestellt wurde; Schmerzen hatten sie jedoch nicht. Leistungssportler gehen regelmäßig über ihre Schmerzgrenze und entwickeln trotzdem in der Regel keine Schmerzstörung. Umgekehrt gibt es Menschen, die schon bei geringeren organischen Auslösern längere und stärkere Schmerzen empfinden.

Häufig, aber nicht immer, können zudem psychische Stressoren eine Rolle spielen. Diese sind vielfältiger Natur. So spielen z. B. Paarkonflikte der Eltern, schulische Über- oder Unterforderung, langwierige Krankheitsfälle in der Familie, Termindruck, mangelnde Struktur im Alltag, elterliche Vernachlässigung oder Überfürsorglichkeit sowie ein geringes Selbstbewusstsein eine Rolle. Diese psychischen Stressoren erhöhen allerdings nur die Wahrscheinlichkeit, dass aus einem akuten Schmerz mal ein chronischer Schmerz wird, die alleinige Ursache sind sie nicht. Sonst müssten ja fast alle Kinder und Jugendlichen unter chronischen Schmerzen leiden.

Ein weiterer Einflussfaktor sind sehr belastende (traumatische) Lebensereignisse. Neueste Studien konnten nachweisen, dass traumatische Lebensereignisse im weiteren Verlauf die Wahrscheinlichkeit deutlich erhöhen, dass aus einem akuten Schmerz einmal ein chronischer Schmerz wird. Dies liegt wahrscheinlich daran, dass nach einem solch traumatischen Lebensereignis die Fähigkeit, mit Stress umzugehen, dauerhaft gestört ist. Die Verarbeitung in jenem Teil des Schmerznetzwerks, der für die Schmerzwahrnehmung zuständig ist, wird dauerhaft verändert. Die ohnehin schon belasteten Kinder und Jugendlichen werden tatsächlich schmerzempfindlicher. Das Risiko steigt, dass aus einem beliebigen akuten Schmerz ein chronischer Schmerz wird.

Wie sich chronischer Schmerz »entwickelt«

In der Regel finden Schmerzen nicht im Verborgenen statt und werden nicht verheimlicht. Damit hat es natürlich auch einen Einfluss auf das Schmerzempfinden, wie jemand aus der Familie des Kindes auf dessen Schmerz reagiert. Fragt z. B. die Mutter oder der Vater ständig nach, ob und wie schlimm es wehtut? Wird das Kind schon von der Schule nach Hause geschickt, wenn der Lehrer nur vermutet, dass es ihm nicht so gut geht? Muss das Kind seine Hausaufgaben nicht mehr machen, weil es Schmerzen hat?

Die folgende Abbildung zum »Teufelskreis der Schmerzen« illustriert, wie Schmerz, wenn er einmal da ist, nach und nach chronisch und schließlich zu einem Dauerschmerz werden kann.


Abbildung 1: Der Teufelskreis der Schmerzen

Der Teufelskreis der Schmerzen ist ein stark vereinfachtes Modell der sehr komplexen Vorgänge, die zwischen Gehirn und Körper ablaufen. Was passiert dabei? Zunächst gibt es ein Schmerzsignal (1a). Denn am Anfang ist es tatsächlich nur ein Signal, das wir möglicherweise gar nicht registrieren. Erst wenn unser Gehirn entscheidet, dass es wichtig genug ist, um wahrgenommen zu werden (Öffnen des Schmerztors (a)), können wir unsere Aufmerksamkeit darauf richten (2).

Uns allen ist es schon öfter passiert, dass wir uns irgendwo aus Versehen geritzt oder gestoßen oder abends einen blauen Fleck entdeckt haben, ohne dass wir es im Augenblick der Verletzung bemerkt hätten – einfach weil etwas anderes gerade sehr viel wichtiger war. Ein Fußballer steht nach einem Foul in der Regel wieder auf und wird sich wieder auf den Ball und seinen Gegner konzentrieren und somit auch starke Schmerzen für den Augenblick gut in den Hintergrund verdrängen können. Es gibt genügend Beispiele aus dem Leistungssport, in denen Sportler trotz ihrer Verletzung das Spiel zu Ende spielten und sogar noch das Spiel für ihre Mannschaft entscheiden konnten. Wie ist das möglich?

Eine entscheidende Rolle dabei spielt unser Kopf. Entweder er entscheidet, dass ein dringender Termin jetzt gerade unsere ganze Aufmerksamkeit beansprucht und der kleine blaue Fleck, den wir uns in der Hektik beim Zusammenstoß von Bein und Tisch geholt haben, vernachlässigbar ist. Oder unser Kopf entscheidet, dass es gerade nichts Wichtigeres als diesen Zusammenstoß und diesen Schmerz gibt, sodass wir uns auf ihn konzentrieren. Es ist also von zentraler Bedeutung, wie wir den Schmerz bewerten.

Nun sind wir Menschen ungekrönte Meister im Bewerten, im Schubladendenken und im Grübeln über andere. Eigentlich bewerten wir Menschen alles, was gerade passiert. Auch das, was wir gerade in diesem Augenblick lesen, bewerten wir daraufhin, ob es zu unseren Erfahrungen und Überzeugungen passt (b). Kinder und Jugendliche sind da nicht anders. Normalerweise finden Kinder und Jugendliche Schmerzen doof und wollen, dass sie verschwinden. Wenn Schmerzen aber länger andauern, kommen viel negativere, »schwärzere« Gedanken dazu (3). So beschreiben viele Kinder und Jugendliche, dass sie in ein regelrechtes »Schmerzloch« fallen, aus dem sie aus eigener Kraft kaum herauskommen. Typische Gedanken sind dann: »Es hat doch sowieso alles keinen Sinn«, »Warum gerade ich?«, »Hört der Schmerz denn nie auf?«, »Verdammt, ich kann mich einfach nicht mehr konzentrieren«, »Ich kann nicht mehr«, »Ich drehe bald durch« usw.

Leider neigen wir automatisch dazu, Ähnliches mit Ähnlichem zu vergleichen. Das bedeutet, dass sich zu den ohnehin schon negativen Gedanken sehr wahrscheinlich auch noch negative Erinnerungen hinzugesellen, die mit den Schmerzen etwas zu tun haben können (z. B. an einen früheren schmerzhaften Unfall), aber nicht müssen: So fiel z. B. einem achtjährigen Mädchen immer dann, wenn es starke Kopfschmerzen hatte, ein, dass ihr Hund ein Jahr zuvor gestorben war. Wenn Kinder und Jugendliche schwerwiegende belastende Lebenserfahrungen gemacht haben, werden sie häufig genau in diesem Moment daran erinnert. Alles in allem sinkt die Stimmung nicht selten auf den Nullpunkt, und je nach Typ sind dann eher Frust, Trauer, Wut oder Angst vorherrschend (c).

Gefühle heißen Gefühle, weil man auch körperlich etwas fühlt. Ist man total entspannt und der Herzschlag ruhig und regelmäßig, kann man keine Angst haben. Umgekehrt ist es wahrscheinlich unmöglich, sich richtig glücklich zu fühlen, wenn man den Köper verspannt, die Stirn runzelt und böse dreinschaut. Letztendlich sind alle negativen Gefühle – ganz grob gesprochen – Ursache oder aber Ausdruck einer körperlichen Stressreaktion (4). Diese läuft ganz automatisch – unwillkürlich – immer dann ab, wenn etwas unser persönliches Wohlergehen bedroht. Da reicht es schon, dass man auf eine bestimmte Tätigkeit (wie z. B. Hausarbeit) keine Lust hat und sich dazu richtiggehend überwinden muss. Eine Stressreaktion tritt aber auch bei negativen Gedanken oder Erinnerungen auf, oder wenn man etwas negativ bewertet.

Kurz- und langfristige Stressreaktion

Man unterscheidet zwischen kurz- und langfristiger Stressreaktion. Die kurzfristige Stressreaktion lässt die Muskelspannung im Körper ansteigen. Dies führt dazu (unabhängig davon, ob man nun unter Kopf-, Bauch- oder Rückenschmerzen leidet), dass die Schmerzen stärker werden: Die stärkere Muskelanspannung zieht stärkere Schmerzen nach sich.

Entscheidend für unseren Teufelskreis der Schmerzen ist jedoch die langfristige Stressreaktion: Das heißt, dass die stressende Situation oder die negativen Gedanken und Bewertungen länger andauern. Auch die Schmerzen selbst tragen natürlich etwas zu der Stressreaktion bei. Es ist aber an dieser Stelle sehr wichtig zu verstehen, dass es nicht der Schmerz an sich ist, der den Hauptteil der Stressreaktion verursacht, sondern unsere Bewertung der Schmerzen. Das Ungünstige an der langfristigen Stressreaktion: Sie sorgt, sehr vereinfacht ausgedrückt, dafür, dass eine Schmerzsensibilisierung stattfindet.

Eine Schmerzsensibilisierung (d) bedeutet, dass nunmehr der gleiche körperliche Schmerzreiz stärker empfunden wird (1b). Eine so genannte Bahnung hat stattgefunden, ähnlich wie bei einer Autobahn, die von zwei auf drei Spuren verbreitert wird, damit der Verkehr (hier: der Schmerz) besser fließen (also: verarbeitet werden) kann. Schließlich haben wir schon gesehen, dass das so verstärkte Schmerzsignal in einem speziell dafür vorgesehenen Teil unseres Gehirns verarbeitet wird: dem Schmerznetzwerk. Dort wird das Schmerzsignal mit den bisherigen Schmerzerfahrungen verglichen, wobei die aktuelle Gefühlslage eine Rolle spielt und auch, wie sehr man den Schmerz als Bedrohung empfindet. In unserem Beispiel ist das Schmerzsignal ja bereits verstärkt worden, sodass unser Schmerzzentrum uns nun signalisiert: Auch die Schmerzen sind stärker geworden. Und wir sind aufgeschreckt. Die Wahrscheinlichkeit, vermehrt auf die Stelle zu achten, an der es weh tut, ist gestiegen. Und der Teufelskreis geht in die nächste Runde.

Treten Gefühle wie Angst, Wut oder Hilflosigkeit häufig zusammen mit Schmerzen auf, wird schließlich ein Schmerzgedächtnis ausgebildet. Genau wie unser Gehirn die Erinnerungen an die letzte Geburtstagsfeier speichern oder ausrechnen kann, was drei mal fünf ist, kann unser Gehirn leider auch Schmerzen lernen. Und lernen kann unser Gehirn vor allem immer dann am besten, wenn Gefühle eine Rolle spielen. So erinnern wir uns sowohl an den Kinofilm, der uns am meisten Spaß gemacht hat, als auch an den, der uns am meisten gelangweilt hat – aber eben nicht an die Dutzende, die wir mittelmäßig fanden. Wir erinnern uns an Menschen, die wir unglaublich mögen, und an die, dir wir überhaupt nicht leiden können, aber selten an solche, die keine Gefühle (weder positive noch negative) in uns ausgelöst haben.

Wenn sich ein Schmerzgedächtnis ausgebildet hat, ist es eigentlich egal, an welchem Punkt der Teufelskreis beginnt. Es reicht dann schon die Nachfrage »Hast du gerade Schmerzen?« aus, um den Teufelskreis in Gang zu setzen, selbst wenn bis gerade eben keine Schmerzen gespürt wurden. Negative Gefühle wie Angst oder Traurigkeit können den Teufelskreis in Gang setzen, selbst wenn sie mit den Schmerzen erst einmal nicht in direktem Zusammenhang stehen.

Für ein noch besseres Verständnis haben wir einen Film entwickelt, der diese ziemlich komplizierten Zusammenhänge auf einfache Art und Weise erklärt: Den Schmerz verstehen – und was zu tun ist in 10 Minuten! (www.deutsches-kinderschmerzzentrum.de).1

Das Schmerzgedächtnis

Angst ist der wahre Schmerz!

Julia, 14 Jahre

In der medizinischen und neuropsychologischen Grundlagenforschung gilt es mittlerweile als gesichert, dass chronischer Schmerz ein gelerntes Verhalten ist – also ein in Körper und Geist abgespeichertes Programm, das erst mit einer richtiggehenden Schmerztherapie wieder überschrieben werden kann und muss. Es gab verschiedene Versuche, mit Hilfe von hoch dosierten Schmerzmedikamenten dieses gespeicherte Programm zu überschreiben. Letztlich blieb aber die Erkenntnis, dass selbst eine intensivierte medikamentöse Schmerztherapie keine dauerhafte Verringerung chronischer Schmerzen bewirkt. Viele Kinder, die unsere Hilfe aufsuchen, haben diesen Weg bereits erfolglos beschritten. Ohne eine aktive Veränderung des Denkens, Fühlens und Verhaltens kann man nicht erwarten, dass sich an den Schmerzen langfristig etwas verändern wird.

Schmerzen lernen und verlernen

Wie oben bereits angedeutet, kann unser Gehirn nicht nur Schmerzen wahrnehmen, sondern es lernt auch bei jeder Schmerzerfahrung hinzu. Die positiven Ergebnisse dieser Lernprozesse sind, dass wir in neuen Situationen schneller reagieren und Gefahren besser einschätzen können. Das ist überlebenswichtig, damit wir z. B. beim Anblick einer heißen Herdplatte oder eines scharfen Messers aufgrund unserer schmerzhaften Erfahrungen entsprechend vorsichtiger handeln. Was natürlich nur klappt, wenn unser Gehirn gespeichert hat, wie unangenehm diese Schmerzen waren – wenn es sie also »gelernt« hat. Das kennen wir alle. Jeder von uns kann eine Erinnerung an die Schmerzen hervorrufen, die er z. B. bei einem Unfall hatte. Oder unser Gehirn lernt, dass bestimmte Bewegungen Schmerzen auslösen, und wir werden in Zukunft aus Angst gerade diese Bewegungen versuchen zu vermeiden. Gelingt uns dies nicht, ist das Schmerzempfinden umso stärker.

Wir Menschen sind also durchaus in der Lage, auch diese Teile unseres Gedächtnisses zu benutzen. Verständlicherweise tun wir das nicht wirklich häufig, wir wollen ja nicht absichtlich Schmerzen lernen. Was umgekehrt bedeutet, dass wir dann natürlich auch nicht wissen, wie wir Schmerz wieder verlernen können.

Phänomen Phantomschmerz

Leider ist unser Schmerzgedächtnis anfällig für Fehler. Ein Beispiel für solch eine Fehlleistung kommt aus der Forschung zu Phantomschmerzen. Patienten, denen z. B. ein Bein amputiert wurde, berichteten auch nach der Operation über Schmerzen an dem – allerdings nicht mehr vorhandenen – Körperteil. Lange Zeit dachte man, dass diese Menschen »verrückt« seien. Aber dank neuerer Technik konnte man diesen Phantomschmerzen auf die Schliche kommen. »Schuld« daran sind deutlich empfindlichere (sensibilisierte) Schmerznervenbahnen sowie das Schmerzgedächtnis in unserem Schmerznetzwerk. Zum einen waren die Nerven, die die Schmerzsignale weiterleiteten, mit der Zeit sensibler geworden, zum anderen hatte jener Teil des Schmerznetzwerks, der für das Bein zuständig war, mit der Zeit gelernt, dass das Bein weh tat. Und dabei blieb er, auch als das Bein gar nicht mehr da war.

Das bedeutet: In unserem Schmerznetzwerk können Schmerzen entstehen, obwohl die eigentliche körperliche Ursache schon lange nicht mehr vorliegt.

Die folgenden beiden Bilder zeigen Querschnittaufnahmen eines Gehirns. Die leuchtenden, umkreisten Bereiche markieren Aktivitäten unseres Schmerznetzwerks. Je größer der Bereich, desto aktiver ist das Schmerznetzwerk. Bei Abbildung 2 konzentriert sich die Person auf einen über Hitze herbeigeführten akuten Schmerzreiz, bei Abbildung 3 denkt die Person bei demselben Schmerzreiz an schöne Erinnerungen, um sich abzulenken. Wie man sehen kann, führt allein die Ablenkung bei einem akuten, zu 100 Prozent organisch erklärbaren Schmerzsignal dazu, dass die wahrgenommene Schmerzstärke sich mehr als halbiert.

Andere Studien, z. B. mit erwachsenen Rückenschmerzpatienten, zeigen, dass sich bei ihnen die Bereiche im Schmerznetzwerk, die mit dem Rücken verknüpft sind, vergrößert haben. Es hat also mit der Zeit eine mess- und sichtbare Veränderung des Gehirns stattgefunden, die dafür sorgt, dass Schmerzen »besser« und intensiver wahrgenommen werden. Allerdings gehen solche Veränderungen über viele Jahre vor sich. Es ist nicht davon auszugehen, dass solch drastische Veränderungen bereits im Kindesoder Jugendalter messbar sind. Des Weiteren ist es beruhigend zu wissen, dass Kinder und Jugendliche viel schneller als Erwachsene lernen und deswegen auch Schmerzen besser verlernen können. Dafür braucht ein Kind in den meisten Fällen die Unterstützung seiner Familie. Wenn jedoch trotz aller Versuche des Kindes, sich abzulenken, ständig auf seine Schmerzen Rücksicht genommen wird oder diese häufig thematisiert werden, muss man sich nicht wundern, wenn die Schmerzen mit der Zeit schlimmer werden. Dieser Zusammenhang gilt übrigens immer, selbst für chronische Schmerzen im Rahmen einer langwierigen entzündlichen Erkrankung.


Abbildung 2: Aktivierung des Schmerznetzwerks bei Konzentration auf den Schmerz


Aktivierung des Schmerznetzwerks, wenn man an etwas Schönes denkt

Übrigens erklären wir in dem oben genannten Film (siehe S. 27) auch, wie das Schmerzgedächtnis funktioniert und wie Schmerzen gelernt und wieder verlernt werden können.

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