Kitabı oku: «Rote Karte für den Schmerz», sayfa 3

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Angst als Verstärker

Die Langzeiterfahrung von Schmerz trägt zur Gedächtnisbildung im Schmerznetzwerk des Gehirns bei. Es kommt aber noch mehr hinzu. Neueste Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass für die Entwicklung eines Schmerzgedächtnisses die Angst (z. B. vor den Schmerzen) mindestens genauso entscheidend ist wie der Schmerz selbst. Das ist kein Wunder, sondern logisch: Können wir uns noch an Dinge erinnern, die vor drei Tagen passiert sind, uns aber völlig egal waren? Wohl eher nicht. Dagegen prägen sich uns allen (hoffentlich) jene Dinge ein, über die wir uns gefreut haben, z. B. den letzten Urlaub. Wir können uns auch nach Jahren noch gut an Auslöser erinnern, vor denen wir große Angst hatten oder noch haben. Diese Erinnerungen sind meist so stark, dass wir sie nie wirklich vergessen. Und dieser Mechanismus funktioniert natürlich auch bestens, wenn Schmerz im Spiel ist. Zwei Beispiele aus unserer Praxis sollen diesen Zusammenhang verdeutlichen.

Rita, 13 Jahre

Rita knallte bei einem Auffahrunfall mit dem Kopf gegen den Vordersitz. Es tat so weh, dass sie dachte, es sei bestimmt etwas in ihrem Kopf kaputt gegangen. Ihr Bruder war aufgrund des Aufpralls kurz bewusstlos und sie hatte große Angst, dass ihr Bruder tot sein könnte. In dem nachfolgenden Durcheinander musste die Mutter beim Auto bleiben, während der Notarzt die beiden Kinder mit in die Klinik nahm. Keiner redete mit dem Mädchen, erst viele Stunden später wurde Rita von ihren Eltern darüber aufgeklärt, dass alles in Ordnung sei.

Obwohl die Ärzte Rita mehrfach versicherten, sie habe keine schlimmen Verletzungen, riefen ruckartige Kopfbewegungen sowie der Anblick von Autos verstärkte Kopfschmerzen bei ihr hervor. In der Folge vermied Rita zunehmend bestimmte Kopfbewegungen. Zudem achtete sie mehr auf die Schmerzen, da sie insgeheim befürchtete, dass doch etwas in ihrem Kopf kaputt gegangen sei. Nach einem Jahr waren die Schmerzen so stark geworden, dass ein stationärer kinderschmerztherapeutischer Aufenthalt unumgänglich wurde. Erst als sie lernte, sich ihren Ängsten zu stellen, den Schmerz aktiv zu beeinflussen und anfing zu begreifen, dass ihr Kopf gesund war, gingen die Schmerzen langsam zurück, bis sie eines Tages keine Dauerschmerzen mehr hatte.

Bei diesem Beispiel haben wir es mit einer unglücklichen Verkettung von Umständen zu tun, bei denen Angst und Schmerz eine gemeinsame Ursache haben. Aber erst die Angst führte dazu, dass die schmerzbezogenen Erfahrungen immer wieder neu erinnert und somit zunehmend besser gelernt wurden.

Ein zweites Beispiel soll das Gefühlsleben von Julia verdeutlichen, die unter einer nicht behandelten kindlichen Migräne litt. Die damit einhergehende Angst vor Schmerzen führte zu einer erhöhten Aufmerksamkeit, die sich auf den eigenen Körper richtete, und schließlich zu einem gelernten Dauerschmerz.

Julia, 14 Jahre

»Verzweiflung, Angst, Aussichtlosigkeit. Als Spirale. Und man fällt und fällt, aus dem einen entwickelt sich das andere. Angst. Aussichtslosigkeit. Verzweiflung. Man weiß, man sollte nicht so denken, das hilft auch nicht, im Gegenteil. Aber es kommt einfach. Rundrum. Rundrum. Schmerz. Übel. Laut. Hell geht grad. Und man denkt, wenn es nichts gibt, was hilft, was dann? Nicht dran denken. Aber es ist so stark. Übel. Damit kann man, kann ich nicht leben. Angst. Schmerz, Schmerz, Schmerz. Angst ist der wahre Schmerz.«

Erst eine vernünftige medikamentöse Attackentherapie der Migräne (keine Dauermedikation!), eine Verringerung der Angst vor Schmerzen sowie das Erlernen von Schmerzbewältigungsstrategien führten bei Julia zu einem dauerhaften Erfolg mit nur noch wenigen Migräneattacken im Jahr.

Geht’s auch ein bisschen einfacher?

Warum müssen Ärzte und Psychologen immer so kompliziert reden?

Jana, 12 Jahre

Im Folgenden geben wir die Aufzeichnungen über Schmerz und Schmerzgedächtnis des 13-jährigen Jonas ohne Kürzung wieder, um die Zusammenhänge noch etwas eindrücklicher darzustellen.

Jonas, 13 Jahre

»Im Hinterkopf befindet sich ein so genanntes Schmerztor, durch das alle Schmerzen geleitet werden. Wenn man wie ich oft und lange Schmerzen hat, wird dieses Schmerztor ausgebaut und reagiert immer empfindlicher auf Schmerzreize. So kann es nach einiger Zeit passieren, dass jemand einen eigentlich leichten Schmerz als furchtbare Qual empfindet, weil die Schmerzgrenze herabgesetzt wurde und die Schmerzempfindlichkeit sehr zunimmt. Außerdem kommt es dazu, dass es im Gehirn eine Art Schmerzgedächtnis gibt, in dem sich das Gehirn das Schmerzsignal merkt und regelmäßig Schmerzen angibt, ohne dass es im Körper noch eine organische Ursache dafür gibt.

Eine Möglichkeit, das Schmerzgedächtnis in Gang zu setzen, sind Gefühle, die mit dem Schmerzzustand verbunden werden. Wenn man zum Beispiel wie ich sehr lange und starke Schmerzen hatte und niemand weiß, was man dagegen tun kann, fühlt man sich irgendwann sehr hilflos. Dieses Gefühl wird im Gehirn verbunden mit dem Schmerzsignal. Wenn dann später aus egal welchen Gründen ein Gefühl der Hilflosigkeit auftritt, zum Beispiel weil man eine Mathematikhausaufgabe nicht versteht oder nicht weiß, wann der Zug nach Hannover fährt oder so ähnlich, dann ist das Gehirn programmiert auf ›Hilflosigkeit gleich Schmerzsignal‹ und sendet Schmerzen.

Auf die Idee, diesen Vorgang ›cerebral‹, das heißt im Gehirn, zu untersuchen, kam man, weil man immer wieder die so genannten ›Phantomschmerzen‹ beobachtete. Man beobachtete, dass Patienten, denen zum Beispiel ein Bein abgenommen worden war, starke Schmerzen in diesem nicht mehr vorhandenen Bein hatten und darunter sehr litten. Aber es war ja gar kein Bein mehr da, das weh tun konnte. So begannen die Ärzte, diesen Vorgang zu untersuchen, und sie stellten fest, dass der Schmerzablauf nur noch im Gehirn stattfindet und dort immer wieder neu in Gang gesetzt wird. Ich habe mich öfter an verschiedene Schmerzen erinnert, und prompt hatte ich dieselben Schmerzen wie damals.

Der Schmerztherapeut hat mir erklärt, dass das dadurch kommt, dass bei den Erinnerungen das Schmerzgedächtnis neu programmiert wird und mir diese Schmerzen wieder vorgaukelt. Außerdem hat er mir erzählt, dass es bei den chronischen Schmerzen einen Teufelkreis gibt. Er funktioniert so, dass man, wenn man Schmerzen hat, selbstverständlich denkt: ›Mensch, sind die Schmerzen doof! Ich habe echt keine Lust mehr da drauf! Die hören ja nie wieder auf!‹ Dadurch steigert man sich selber durch diese ›schwarzen‹ Gedanken in die Schmerzen hinein, und sie werden stärker. Dazu kommt, dass man sich bei Schmerzen in der Regel verspannt, und diese Verspannungen sind zusätzlich unangenehm, und so wird das Schmerztor weiter sensibilisiert für die Wahrnehmung der Schmerzen. Dadurch werden sie wiederum verstärkt, und so beginnt ein unangenehmer Kreislauf.«

Jonas hatte nach einer Magen-Darm-Grippe noch einmal einen Rückschlag zu verkraften. Die Grippe hatte sein Gehirn vermehrt an die Schmerzen »erinnert« und Jonas bekam wieder Angst davor, dass die Schmerzen nicht wieder weggehen könnten. Er wendete also während der Grippe seine gelernten Antischmerztechniken an, konnte den Schmerz aber natürlich viel weniger beeinflussen als sonst. Dies wertete er als Beweis dafür, dass er wieder hilflos sei und nichts unternehmen könne. Er ging wieder nicht zur Schule und blieb einfach liegen. Da Jonas zum Glück schlau und lernfähig ist und sehr motiviert war, daran etwas zu verändern, konnte man ihm mit wenigen Tipps wiederum helfen. Mittlerweile ist Jonas nahezu schmerzfrei und genießt sein Leben.

Schmerz als Alarmreaktion

Ach so! Deswegen sind meine Schmerzen stärker,

wenn ich an die blöde Schule denke!

Georg, 13 Jahre

Ein starkes Schmerzsignal führt normalerweise zu einer eher starken Alarmreaktion im Körper, ein schwaches Schmerzsignal normalerweise zu einer schwachen oder zu gar keiner Alarmreaktion. Die Alarmreaktion ist wiederum umso ausgeprägter, je mehr das Schmerzsignal von uns als eine Bedrohung gewertet wird; z. B.: »Aua, hoffentlich habe ich mir jetzt nichts gebrochen, das wäre eine Katastrophe!«, oder: »Schon wieder dieser Rückenschmerz. Und noch schlimmer als sonst, bestimmt ist da in meinem Rücken etwas nicht in Ordnung«.

Stress ist sinnvoll

Die Alarmreaktion besteht darin, dass das Herz schneller schlägt, Stresshormone ausgeschüttet werden, die Muskelanspannung im Körper steigt und wir schneller atmen. In der Zeit, als wir alle noch Mammuts jagten, hatte eine solche Alarmreaktion einen ganz handfesten, biologischen Sinn: nämlich kurzfristig die Muskeln so sehr anzuspannen, dass man sich entweder zum Kampf stellen oder fliehen konnte. Wir erinnern uns an die sympathischen Jäger Aga und Uga. Der Schmerz, den der Säbelzahntigerbiss verursachte, führte zu einer starken Alarmreaktion (möglicherweise war da natürlich auch etwas Angst mit im Spiel), und dank der nun ungeahnten vereinten Kräfte konnten beide Jäger den Säbelzahntiger besiegen. Welche Bedeutung der Körper dem Schmerz als Alarmsignal beimisst, weiß jeder aus eigener Erfahrung. Berührt man versehentlich etwas Heißes, zuckt man unwillkürlich zurück und merkt erst etwas später bewusst, dass und warum man das getan hat.

Noch einmal zu Aga und Uga: Nach der Rückkehr ins Lager war die Gefahr gebannt, die Wunde verbunden, und es gab Aussicht auf Heilung. Die Schmerzen waren zwar unangenehm, störten Uga aber nicht sonderlich, da er ja wusste, dass sie wieder vergehen würden. Er bewertete die Schmerzen also nicht mehr als Ausdruck einer Bedrohung. So gab es keinen Anlass mehr für eine Alarmreaktion, und sein Körper konnte wieder zur Ruhe kommen.

All das läuft automatisch und meist unbewusst bzw. unwillkürlich ab. In abgeschwächter Form erleben wir solche Alarmreaktionen sogar mehrmals täglich. Das ist kein Problem und trägt zum so genannten positiven Stress bei, den z. B. ein Schüler benötigt, um eine Klassenarbeit zu schreiben.

Mit-Leiden

Ein Sonderfall tritt ein, wenn Eltern von Kindern mit Schmerzen mitleiden – und zwar wortwörtlich. Untersuchungen haben gezeigt, dass das Schmerznetzwerk eines Elternteils (in der Untersuchung waren es – wie so oft – die Mütter), der sieht, dass sein Kind unter Schmerzen leidet, ebenfalls aktiviert wird. Bei Eltern, deren Kinder unter chronischen Schmerzen litten, war dieser Umstand noch ausgeprägter. Das bedeutet, dass Eltern ebenfalls leiden und körperlich gestresst sind – genau wie ihre Kinder. Dies ist zunächst einmal keine »hysterische Überreaktion«, sondern einfach Ausdruck Ihrer Liebe zu Ihrem Kind.

Nun weiß man allerdings, dass eine lang anhaltende Stress-oder Alarmreaktion gern »alte Wunden aufbrechen« lässt. Man wird an eigene belastende Lebensereignisse erinnert, die vielleicht ebenfalls mit Schmerz zusammenhängen. Die allgemeine Grundstimmung sinkt, man wird gereizter. Hinzu kommt die Hilflosigkeit, der man als Mutter oder Vater eines leidenden Kindes ausgeliefert ist, ohne ihm seine Schmerzen nehmen zu können. Manche Eltern fragen sich dann, ob nicht doch psychische Faktoren vorliegen und sie irgendetwas falsch gemacht haben oder ihr Kind über etwas Belastendes nicht reden möchte.

Die vielen, meist unauffälligen organischen Befunde tragen entgegen der Erwartung nicht zur Entlastung bei, weil man immer noch nicht weiß, was nun zu tun ist. Viele Eltern berichten, dass die bisherigen Strategien im Umgang mit dem Alltagsstress irgendwann einfach zusammenbrechen. In der Folge ist der Schmerz immer häufiger Thema in der Familie; mal wird genervt, dann wieder sehr fürsorglich auf den Schmerz eingegangen. Die Laune der Eltern wird immer abhängiger vom Grad der Schmerzbeeinträchtigung ihres Kindes. Logischerweise fühlen sich viele Kinder und Jugendliche deswegen mitverantwortlich für die Befindlichkeit ihrer Eltern – was wiederum vermehrt Anlass zu schwarzen Gedanken gibt.

Manche Kinder und Jugendliche, aber auch Eltern, erleben die entstehende, zum Teil extreme Nähe zwischen (meist) Mutter und Kind neben der erlebten Hilflosigkeit im Umgang mit den Schmerzen zwar manchmal als angenehm. Allerdings spüren sowohl die Kinder als auch die Eltern meist sehr genau, dass diese Entwicklung letztlich nicht gut ist, können diese Entwicklung aber nicht unterbrechen. Insgesamt betrachtet dreht sich der Teufelskreis weiter und der Schmerz wird allmählich zum festen Bestandteil des Familienlebens.

1 http://www.carl-auer.de/programm/artikel/titel/rote-karte-fuer-den-schmerz/ætabs-video

Die drei Denkfallen

Wieso hat uns eigentlich nie jemand erzählt,

dass Schmerzen organisch und psychisch bedingt sind?

Herr S., 41 Jahre

In diesem Kapitel sollen die drei häufigsten Denkfallen vorgestellt werden, in die Kinder und Jugendliche, ihre Eltern, Verwandten, Freunde, Lehrer, aber auch Ärzte und Therapeuten in ihrer Hilflosigkeit tappen können:

Chronische Schmerzen haben immer und ohne Ausnahme – unabhängig vom Vorliegen einer Schmerz verursachenden körperlichen Erkrankung – einen biologischen, einen psychischen und einen sozialen Anteil. Wer versucht, diese Ebenen im Umgang mit chronischen Schmerzen zu trennen, landet fast unweigerlich in einer der drei folgenden Denkfallen und verhindert letztendlich einen günstigen Verlauf:

 Denkfalle 1: »Der Schmerz ist psychisch bedingt!«

 Denkfalle 2: »Der Schmerz ist organisch bedingt!«

 Denkfalle 3: »Der Schmerz muss weg – für immer!«

Diese Denkfallen sind sehr verlockend, da sie auf den ersten Blick eine einfache Erklärung und ein klares Ziel anbieten. Kurzfristig führen sie zu einer leichten Abnahme der als sehr unangenehm erlebten Hilflosigkeit. Langfristig haben jedoch alle Denkfallen sowie beliebige Kombinationen davon eher eine weitere Verschlechterung der Schmerzproblematik zur Folge.

Uns ist bewusst, dass die im Folgenden beschriebenen Denkfallen sowie die sich daraus ableitenden Veränderungsvorschläge im Denken und Verhalten für viele Eltern, aber auch für die Kinder und Jugendlichen eine große Herausforderung darstellen. Sie fordern uns nämlich dazu heraus, unser gewohntes Denken und Verhalten in Frage zu stellen. Auch verlangen sie den Eltern den Kraftakt ab, sich einzugestehen, dass sie sich – in bester Absicht für das eigene Kind – möglicherweise ungünstig in Bezug auf die Schmerzen verhalten haben. Trösten Sie sich. Die meisten Eltern, die wir bisher in unserer Schmerzambulanz oder auf unserer Schmerzstation kennen gelernt haben, waren in mindestens einer dieser Denkfallen gefangen. Sie befinden sich also in guter Gesellschaft. Und falls es Ihnen bisher gelungen ist, alle Denkfallen zu umgehen: Respekt! Das schaffen nur die wenigsten Eltern.

Denkfalle 1: »Der Schmerz ist psychisch bedingt!«

Andere in der Klasse haben mir gesagt,

dass ich doch eh nur die Schule schwänzen will!

David, 13 Jahre

Eine beliebte Falle, in die Ärzte und Therapeuten, mitunter aber auch Eltern von Kindern und Jugendlichen mit chronischen Schmerzen tappen, ist zu denken: »Es ist nichts Körperliches, also muss es etwas Psychisches sein!« Der Ablauf ist eigentlich immer derselbe. Das Kind oder der Jugendliche bittet seine Eltern direkt oder indirekt, etwas gegen seine Schmerzen zu unternehmen. Nachdem die sonst hilfreichen Strategien (von Kamillentee über Cool Packs bis Körnerkissen) nicht langfristig gefruchtet haben, wendet sich die Familie zum wiederholten Mal an einen Arzt.

Zu diesem Zeitpunkt wurden bereits meist schon einige Untersuchungen durchgeführt. Etliche Untersuchungen folgen, weitere Spezialisten aus der Schulmedizin werden angefragt, häufig werden parallel zu den medizinischen Untersuchungen und medikamentösen Behandlungsversuchen alternative Therapien (z. B. Homöopathie) ausprobiert. Manchmal gibt es auffällige Befunde, die aber das Ausmaß und das häufige Auftreten der Schmerzen nicht völlig erklären können. Die Eltern sind hilflos, viele haben sich bereits im Internet hier und da ein paar Informationen über Schmerzen zusammengesucht und reagieren nicht selten gereizt auf wiederholt unauffällige Untersuchungsergebnisse.

Auch die Ärzte empfinden es als unangenehm, keine Diagnose mitteilen zu können. Sie erleben die Eltern mitunter als sehr fordernd, was bei den Ärzten eine eher ablehnende Haltung provozieren mag. Dennoch möchten sie dem Kind und der Familie natürlich helfen. Da sie allerdings auch nicht mehr weiterwissen, wird den Eltern nahegelegt, sich einen Psychotherapeuten zu suchen, da die Schmerzen wahrscheinlich eine »psychische« oder »psychosomatische« Ursache hätten. Die betroffenen Familien sind verunsichert. Denn noch immer denken viele Menschen, dass man niemals psychische Probleme haben darf und dass sie – falls sie doch einmal ungebetenerweise auftauchen – bitte schön ohne fremde Hilfe gelöst werden müssen. Alles andere wäre ja auch eine Katastrophe: »Bist du nicht ganz richtig im Kopf oder warum machst du eine Therapie?« Einen Psychologen oder Psychiater aufzusuchen gilt noch immer als Eingeständnis von Schwäche oder »Beweis«, dass man irgendwo »versagt« hat oder »schuld« an den Schmerzen ist. Leider ist dieses Denken immer noch verbreitet, obwohl es sogar die Heilungschancen (egal, ob bei Ängsten, Depressionen oder Schmerzen) verringern kann, wenn man zu lange wartet.

Psychologische Beratung ist kein Allheilmittel

Was aber, wenn Eltern mutig und aufgeschlossen genug sind, mit ihrem Kind diesen Weg zu gehen, damit es endlich nicht mehr leiden muss? Leider ist dies allein in der Regel auch noch nicht die Lösung. Erstens ist in manchen Gebieten Deutschlands die Versorgung mit ausgebildeten Kinder- und Jugendpsychotherapeuten immer noch sehr schlecht: Wartezeiten bis zu einem Jahr sind keine Seltenheit. Zum Glück wurde dieser Umstand endlich auch von Seiten der Bundesregierung erkannt, so dass ab 2009 darauf geachtet wird, dass mehr Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten bundesweit zur Verfügung stehen.Zweitens haben auch die meisten Psychotherapeuten mit chronischen Schmerzen wenig Erfahrung, wie eine exemplarische Befragung der niedergelassenen Therapeuten in und um Mainz jüngst noch einmal eindrucksvoll belegt hat. Drittens untersucht ein Psychotherapeut in der Regel, inwiefern mögliche psychische Probleme vorliegen, die eventuell einen Einfluss auf die Schmerzproblematik haben könnten, und versucht erst einmal dort anzusetzen. Leider erlernen die Kinder und Jugendlichen dabei häufig noch nicht, wie sie ihre Hilflosigkeit im Umgang mit Schmerzen abbauen können und welche Strategien tatsächlich zu einer Verringerung der Schmerzen beitragen. Durch diese fehlende Wirksamkeit aber werden die Kinder und Jugendlichen wiederum in ihrer Einstellung bestärkt, dass es eben doch »nichts Psychisches« ist.

Natürlich ist das etwas schwarzgemalt. Es gibt eine Menge sehr engagierter Ärzte und Therapeuten, die fehlendes eigenes Fachwissen durch Persönlichkeit oder Engagement, z. B. durch Nachfragen in spezialisierten Zentren oder eigene Recherche, ausgleichen und Kindern und Eltern eine große Hilfe sind. Dennoch berichten die betroffenen Familien noch immer viel zu häufig von den erwähnten negativen Verläufen (die Kinder erzählen von Sätzen wie: »Wenn du mir nicht sagen kannst, was dein Problem ist, kann ich dir bei deinen Schmerzen nicht helfen«).

Den in dieser Hinsicht eindrucksvollsten Erfahrungsbericht hörten wir von einem fast erwachsenen Jugendlichen. Trotz eigentlich eindeutig migränetypischer Symptome (Übelkeit mit Erbrechen etwa einmal die Woche, meist einseitige Kopfschmerzen mit starker Lärm- und Lichtempfindlichkeit, sehr starke Schmerzen, die sich bei Bewegung noch verschlimmertem) wurde dem Jungen und den Eltern über zehn Jahre hinweg von vielen verschiedenen Seiten gesagt, dass er nur nicht zur Schule gehen wolle und ihm deshalb übel sei; man solle den Schmerzen keine Beachtung schenken und ihn dennoch in die Schule schicken. Der arme Junge schaffte es tatsächlich, in den ganzen zehn Jahren kaum einen Tag in der Schule zu fehlen, musste aber dafür manches Mal in der Schule erbrechen, ganz zu schweigen davon, dass er sich während der Migräneattacken natürlich kaum auf den Unterricht konzentrieren konnte. Glücklicherweise war dieser Junge bereits vor der Vorstellung bei uns davon überzeugt, unter Migräne zu leiden, da sein Vater hin und wieder die gleichen Symptome zeigte. Dank einer einfachen medikamentösen Migräneattackentherapie sowie der Vermittlung einiger Verhaltensregeln konnte ihm endlich schnell und nachhaltig geholfen werden.

Vorsicht vor Pauschalurteilen

Chronische Schmerzen sind niemals rein psychisch oder rein organisch. Es kann durchaus sehr sinnvoll sein, einen Psychotherapeuten zu Rate zu ziehen, um mit ihm an Ängsten oder schmerzverstärkenden Gedanken und Verhaltensweisen zu arbeiten. Aber am Anfang einer Behandlung von chronischen Schmerzen sollte immer sehr sorgfältig nach allen Seiten geforscht werden, um herauszufinden, was eigentlich los ist. Ein Vater formulierte es einmal sehr treffend: »Warum um alles in der Welt hat uns in den letzten drei Jahren eigentlich keiner etwas über diesen Teufelskreis der Schmerzen gesagt? Eine Menge Zeit und Ärger wäre uns erspart geblieben.«

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