Kitabı oku: «Hinter den Wolken ist es hell», sayfa 2
Am dritten Tag meines Aufenthaltes konnte ich ihn telefonisch lange nicht erreichen. Als er dann endlich abhob, klang er sehr schwach, die Stimme schmerzerfüllt. Er hatte eine Bestrahlung gehabt.
„Nein, bleib in Spanien, komm nicht zurück – du kannst nichts für mich tun, auch wenn du da bist …“
Ich rief meine Begleiterin vom Caritas-Hospizteam an. Sie sagte dasselbe. Und so verbrachte ich einen sehr unruhigen Tag. Am Abend wieder ein Telefonat mit ihm. Er klang noch schlechter. Dann sprach ich mit einer Krankenpflegerin. „Ich kann Ihnen nichts sagen“, bedauerte sie, „nur dass er heute eine extrem anstrengende Behandlung hatte. Wenn es Ihnen recht ist, bitte ich die diensthabende Ärztin, Sie nachher zurückzurufen.“
Es war mir recht.
Der Rückruf kam wenig später. Er habe eine anstrengende Behandlung gehabt. Da sei es nicht ungewöhnlich, wenn Patienten so reagierten. Aus ihrer Sicht sei keine Gefahr im Verzug. Freilich, in die Zukunft könne man nie sehen …
Sie war sachlich und trotzdem nett. Ich suchte Flugverbindungen für die kommenden Tage heraus. Es beruhigte mich zu sehen, dass es viele Möglichkeiten gab. Irgendwann schaffte ich es einzuschlafen.
Am nächsten Tag dann die Entwarnung: Es ging ihm besser, er klang stärker und zuversichtlich. Wieder ein Telefonat mit dem Hospiz-Team. Ich blieb in Valencia. Verbrachte noch einige sehr schöne Tage am Meer. Nach der Ankunft in Schwechat führte mich mein erster Weg zu ihm ins Spital, den Reisekoffer ließ ich inzwischen in einem Schließfach am Bahnhof.
Um es kurz zu machen: Er sollte nie wieder nach Hause kommen. Er blieb einige Wochen auf der Onkologie, kam dann auf die Remobilisierungsstation. Sein Gehvermögen war nach der Strahlenbehandlung stark eingeschränkt, die ohnehin durch die Metastasen schon geschädigten Knochen zusätzlich geschwächt. Er ging mit einem Rollator. Machte diszipliniert seine Übungen. Genoss es, ein modernes Einbettzimmer zu haben. Auf der Onkologie hatte es eine Viererbelegung gegeben, keine Privatsphäre, ständig der Blick auf Leiden und Schmerzen anderer. Oder auch auf das Gegenteil: Sie erholten sich, wurden entlassen – und selber konnte man nicht heimgehen.
Kurz vor Weihnachten war es dann so weit: Der Umzug in eine Einrichtung für betreutes Wohnen stand ins Haus. Sein Zustand war so weit stabil, aber klar war – für uns alle, ausnahmslos –, eine Entlassung nach Hause war nicht möglich. Die Wohnräume waren nicht behindertengerecht, ich war tagsüber außer Haus und brauchte in der Nacht meinen Schlaf. Und das wie einen Bissen Brot. Den Oktober hatte ich im Krankenstand verbracht, krankgeschrieben zur Burnout-Prävention. In der ersten Zeit war ich nur dagesessen, ohne etwas zu tun. Ich hatte Wäsche gewaschen, aus der Maschine geräumt – und dann keine Energie mehr gefunden, sie aufzuhängen. Mein eigener Gesundheitszustand war alles andere als gut: hoher Blutdruck, ständig fing ich Infektionen ein, Schlafstörungen usw.
Es war nicht ganz einfach, einen passenden Ort für ihn zu finden. Ich musste in dieser Zeit oft lange, organisatorische Telefonate führen, wurde zurückgerufen, in meiner Arbeit unterbrochen. Das war sehr belastend, denn vor Weihnachten ist in der Abteilung Religion das Arbeitsaufkommen sehr hoch, schließlich muss ja das Feiertagsprogramm gestaltet werden. Mitten im Vorbereiten einer Sendung wurde ich dann herausgerissen, nach allen möglichen Details gefragt, zu kurzfristigen Terminen „gebeten“, musste für meine eigenen Fragen oft mühsam Ansprechpartner suchen, wurde weiter-, herum- und wieder zurückverwiesen.
Wenn ich heute an diese Phase zurückdenke, dann würde ich sie unter dem Titel „Augen zu und durch“ zusammenfassen. Einfühlsam und umsichtig begleitet von Hospizteam und Krebshilfe, verständnisvoll unterstützt sowohl am Arbeitsplatz als auch im privaten Umfeld schaffte ich es irgendwie, mich aufrecht zu halten, von einem Tag auf den nächsten meinen Aufgaben nachzukommen.
Den Heiligen Abend verbrachte ich bei einer Chorfreundin, den Christtag in Rudis neuer Wohnung im Kolpinghaus. Er war so glücklich über den Balkon und die tolle Aussicht, die er hatte, hoch über Wien mit all den Lichtern …
Dann hatte ich wieder einen Infekt. Den Rest der Weihnachtsferien verbrachte ich krank im Bett.
Rudis Gesundheitszustand verschlechterte sich. Er bekam in der Tagesklinik Chemotherapien, die er zunehmend schlechter vertrug. Schließlich musste er vom betreuten Wohnen auf die Pflegestation wechseln. Gemeinsam mit der Hospizärztin erstellten wir eine Patientenverfügung, in der ganz stark auf eine Priorität hingewiesen wurde: die Linderung von Schmerzen und anderen Symptomen. Alles darin Festgehaltene wurde übrigens vom ganz großartig arbeitenden Team im Kolpinghaus sehr ernst genommen und zu 100 % respektiert und umgesetzt.
Rudis 65. Geburtstag konnten wir noch im Clubraum des Kolpinghauses feiern, mein Bruder hatte zahllose Brötchen gemacht, der ganze Chor war da mit Liedern, Geschenken, einer Torte. Es war ein Abschiedsfest (das war allen klar) mit sehr traurigen, aber auch durchaus heiteren Momenten. Die Kinder unserer Chorleiterin brachten Fröhlichkeit und Lebendigkeit in das Geschehen, Erinnerungen wurden ausgetauscht.
Er hatte sich so auf das Fest gefreut, es mit so viel Engagement mitgefeiert, mitgesungen. Ich hatte den Eindruck, als hätte er darauf seine letzten Kräfte verwendet.
Knapp zwei Wochen später starb er. An einem Freitag, ganz früh am Morgen. Davon werde ich später noch ausführlicher erzählen.
Für mich war es ein Abschied, der sich lange angekündigt hatte. Den ich gefürchtet hatte, gegen den ich gekämpft hatte, den ich mir ausgemalt hatte – in der Hoffnung, irgendwie damit zurechtzukommen.
Als er dann da war, dieser Abschied, konnte ich zum Glück ja dazu sagen. Eine große Gnade, die längst nicht allen gewährt wird.
3.
Hilfe suchen
Ich habe das Ganze schon einmal durchgemacht. 1983 und 1984. Ich war ein Teenager, gerade dabei, das Gymnasium abzuschließen. Meine Mutter war dabei, gegen ihre Krebserkrankung zu kämpfen. Ende Mai 1984 ist sie gestorben. An dem Tag, an dem ich die Ergebnisse meiner schriftlichen Matura bekommen habe. Überall durchgekommen. Auch in Mathematik, meinem Angstgegenstand. Alle anderen Fächer waren gefahrlos.
Ich konnte es ihr noch sagen: „Positiv in Mathematik“. „Das habe ich mir gedacht“, hat sie geantwortet. Es waren ihre letzten Worte. Ein paar Stunden später war sie tot.
Die Zeit zuvor war geprägt gewesen von einem unbarmherzigen Auf und Ab, immer wieder Hoffnung schöpfen, immer wieder enttäuscht werden. Es war ein mühevoller, kräfteraubender Prozess. Ich habe ihn weitgehend auf mich allein gestellt durchlebt.
In meiner Familie fand ich wenig Rückhalt – wie denn auch? Alles war ins Wanken geraten, alle waren überfordert, hier konnte es gar nicht möglich sein, Halt und Geborgenheit zu finden.
Und außerhalb? Nun – außerhalb verlief das Leben wie immer. Alle waren beschäftigt mit ihren Dingen, Freundinnen und Klassenkameraden hatten andere Dinge im Kopf als tödliche Krankheiten. Führerscheine wurde gemacht, Zukunftspläne geschmiedet: studieren – wenn ja, was und wo – oder doch zuerst ein Jahr ins Ausland als Au-pair? Liebesgeschichten und Partys, Schulsorgen und Zores mit den Eltern – das übliche Programm halt …
Einrichtungen wie die Krebshilfe oder das Hospizteam gab es damals nicht. Zumindest nicht in meiner Umgebung auf dem Land. Tatsächlich war es so, dass es nichts und niemanden gab, der für mich und meine Nöte da war. Mit zwei Ausnahmen: Ich hatte einen Brieffreund in England, Bill. Und eine Lehrerin, Elfi. Beiden konnte ich mich anvertrauen, beide gaben mir Wärme und stärkten mir den Rücken. Ich wüsste nicht, wie ich es ohne die beiden geschafft hätte.
Soweit meine Erfahrung.
Angesichts der erneuten Konfrontation mit dem Grauen war mir also klar, dass ich mir Hilfe suchen musste. So schnell es ging. Von Anfang an. Sofort. Jetzt.
Ich glaube, einer der größten Fehler besteht darin, zunächst alles alleine meistern zu wollen. Das geht schon. Ich bin doch stark. Andere schaffen das auch. Ich habe schon andere Krisen bewältigt. Und so weiter.
Ich würde dringend dazu raten, Gedanken wie diese so schnell wie möglich aufzugeben und nach Unterstützung zu suchen. So lang man sich noch stark und bei Kräften fühlt, geht das wesentlich leichter, ist es auch weniger problematisch, wenn es eine Absage gibt: Sommerpause. Keinen Platz in der Selbsterfahrungsgruppe. Der nächste Beratungstermin ist erst in ein paar Wochen frei. All das kann und wird geschehen. Wenn Sie warten, bis Sie nicht mehr können, und dann eine Absage bekommen (weil die Kapazitäten eben leider immer noch sehr beschränkt sind), dann kann das zu großen Schwierigkeiten führen. Wenn Sie in einer halbwegs guten Verfassung sind und hören, dass es erst in acht Wochen einen Termin gibt – nun, dann werden Sie das verkraften.
Außerdem ist es gut und gibt Sicherheit, von Anfang an kompetente Begleitung zu haben. Schließlich gilt es viele Fragen zu klären. Welche Schritte stehen jetzt schon an? Welche später? Welche Sorgen sind in den meisten Fällen unbegründet? Worauf sollte man achten? Was sollte man mit sich selber klären? Was mit der erkrankten Person? Was mit deren Umfeld?
Eine unheilbare, todbringende Erkrankung ist ein Phänomen auf verschiedenen Ebenen. Es ist gut, sich das so sachlich wie möglich vor Augen zu halten – und auf allen Ebenen Hilfe zu suchen.
Da ist natürlich die medizinische Komponente. Die emotionale, die gerade am Anfang vielleicht im Mittelpunkt steht. Die juristische: Da geht es vielleicht um den Nachlass, um Betreuungspflichten, um Arbeitsrechtliches, um Finanzielles (Kredite etwa). Es geht aber auch – und das wird vielfach übersehen oder zu wenig beachtet – um Organisatorisches. Was kann die betroffene Person selber machen? Was nicht (mehr)? Wer kann sich um diese Dinge kümmern? Jetzt – oder wenn es dann eben so weit ist? Sind dazu Vollmachten notwendig? Was soll unbedingt noch gemacht werden? Eine lang herbeigesehnte Reise etwa? Geht sich die noch aus? Soll die Wohnung behindertengerecht gestaltet werden, sodass man sich in Phasen körperlicher Schwäche auch im Rollstuhl darin bewegen kann?
Zahllose Fragen dieser Art werden auftauchen. Je nach Ausgangssituation und Krankheitsverlauf in die eine oder in die andere Richtung gehend. Es ist auf jeden Fall gut, vorausschauend vorzugehen, die Dinge nicht anstehen zu lassen, den richtigen Zeitpunkt zu erkennen. Dabei hilft kompetente Begleitung.
Wie habe ich es selber gemacht?
Ich habe umgehend meiner Chefin und meinen Kollegen Bescheid gesagt. Mein berufliches Umfeld war von Anfang an informiert. Ich habe dazu keine Alternative gesehen, ich wollte einfach, dass alle wissen, warum ich mit verweinten Augen oder sichtbar nicht ausgeschlafen ins Büro komme. Es wäre innerhalb kürzester Zeit aufgefallen, dass etwas nicht stimmt, Gerüchte wären entstanden, man hätte hinter meinem Rücken getuschelt. All das wollte ich unbedingt vermeiden. Und so habe ich einfach die Dinge klargestellt, gesagt, was Sache ist und wie die Perspektiven sind. Es ist keine Schande, einen krebskranken Angehörigen zu haben. Und es ist auch keine Schande zuzugeben, dass man sich in einer privaten Ausnahmesituation befindet. Zumindest für mich war es das nicht. Und ich habe wirklich gute Erfahrungen gemacht mit meinem Vorgehen.
Im Gespräch mit meiner Chefin wurden auch einige dienstliche Umschichtungen entworfen. Ich hatte damals das Bedürfnis nach höherer Flexibilität. Rückblickend muss ich sagen, dass diese in meinem Fall dann nicht so wichtig geworden ist, wie ich zunächst vermutet hatte. Dennoch war es ein gutes Gefühl zu wissen, dass im Fall des Falles diese Flexibilität gegeben ist.
Konkret bedeutete das, dass ich bestimmte Tätigkeiten aufgegeben und andere neu übernommen habe. Dinge, die sich im Notfall auch zu Hause im Homeoffice erledigen lassen. In meinem Fall war es die Entscheidung, einen Schritt weg vom tagesaktuellen Journalismus zu machen und mich mehr mit dem Redigieren von zugelieferten Texten für sogenannte Gedankensendungen zu beschäftigen. Ich bin froh und dankbar, dass wir in unserem Team diese Lösungen finden konnten. Mir hat es damals ein gutes Gefühl gegeben, zu wissen, ich kann ihn zu Arztbesuchen begleiten und mich dann eben am Abend hinsetzen, wenn er schon schläft, und ein Manuskript bearbeiten.
Vielleicht wird es in manchen Fällen sinnvoll sein, die Zahl der Arbeitsstunden zu reduzieren. Auch dann ist es günstig, so früh wie möglich Bescheid zu sagen, denn oft sind derartige Veränderungen nicht von heute auf morgen umsetzbar und haben einen langen Vorlauf. Ich möchte allerdings davor warnen, die eigene Berufstätigkeit allzu sehr hintanzustellen. Einerseits kann es sich finanziell auf längere Sicht äußerst negativ auswirken, auch was die Höhe der Pension angeht. Andererseits ist der Beruf auch eine Quelle von Erfolgserlebnissen, von Bestätigung und Sozialprestige. Feiern im Kollegenkreis, das Integriertsein in ein alltägliches Miteinander, das Entwickeln und Verfolgen von gemeinsamen Projekten … All das wirkt sich positiv aus, lässt einen ganz unmittelbar erfahren, dass das Leben mehr zu bieten hat als Sorgen, Krankheit und Tod.
Manchmal ist in diesem Zusammenhang von „Ablenkung“ die Rede. Damit hat es schon seine Richtigkeit, aber ich mag den Begriff nicht allzu sehr. Ablenkung ist für mich, wenn ich mir an einem sorgenvollen Tag im Kaffeehaus ein Stück Torte gönne oder mir bunte Illustrierte mit Geschichten über die Reichen und Schönen ansehe. Ja, ich gebe zu, ich mache das manchmal.
Im Zusammenhang mit Berufstätigkeit ziehe ich es vor, statt von „Ablenkung“ von „Hinwendung“ zu sprechen. Mein Leben hat verschiedene Facetten: Ich bin Partnerin, Mutter, Journalistin, Chormitglied, Freundin, Teil einer Tennispartie – und so weiter. An meinem Arbeitsplatz ist es nicht so, dass ich mich von meiner Privatmisere ablenke. Es ist so, dass ich mich meinem Beruf und seinen Aufgaben zuwende.
Mir war es zu Zeiten von Rudis Krankheit eine ganz entscheidende Stütze, diese Berufstätigkeit zu haben. Diese Zeiten der Normalität auch, in denen Themen jenseits von Krankheit und Trauer im Vordergrund gestanden sind. In denen ich in Sitzungen streiten oder lachen konnte, Interviews führen, Themen finden und aufbereiten – all das, was zu meinem Job gehört, für den ich mich vor vielen Jahren entschieden habe und den ich immer noch so liebe.
In diesem Bereich ließen sich die Dinge also, wie gesagt, recht gut regeln und dadurch wesentlich besser mit meinem schwierigen Privatleben vereinbaren. Ich weiß schon, dass ich da großes Glück hatte, dass es vielleicht nicht überall so gut funktioniert. Aber ich würde doch sehr dafür plädieren, es zumindest zu versuchen.
Der zweite Schritt bestand darin, das Internet nach Hilfsangeboten zu durchforsten. Mir hat das ein gutes Gefühl gegeben: das Gefühl, etwas zu unternehmen, konstruktive Weichenstellungen zu tätigen, nicht ohnmächtig dazusitzen wie das sprichwörtliche Kaninchen vor der Schlange, mein Leben auch in dieser Hinsicht selbst in die Hand zu nehmen.
Die gute Nachricht ist: Es gab noch nie so viele Hilfsangebote wie jetzt – bis hin zu moderierten Online-Foren. Die schlechte Nachricht ist: Was immer angeboten wird, es ist bei weitem nicht ausreichend, um den allgemein bestehenden Bedarf zu decken.
Nun, ich hatte Glück. (Übrigens für mich eine wichtige Erkenntnis: Man kann auch in Krisensituationen Glück haben!) Meine Kontaktaufnahme mit der Krebshilfe war erfolgreich, ich bekam einen Termin und das Angebot, psychologische Begleitung in Anspruch zu nehmen.
Die Gespräche mit der Psychologin erwiesen sich von der ersten Begegnung an als ausgesprochen hilfreich. Gleich zu Beginn eine sehr entlastende Wahrnehmung: Ich bin hier kein Alien, kein Wesen, das man mit einer Mischung aus Grauen und Faszination betrachtet angesichts der fürchterlichen Situation, die ich quasi verkörperte. Krebs ist hier sozusagen der Normalfall, niemand gerät aus der Fassung, wenn das vielfach so tabuisierte und angsteinflößende Wort fällt. Es ging recht nüchtern zu, so mein Eindruck – und das hat ausgesprochen gutgetan. Wir haben praktische Dinge besprochen: Was ist jetzt zu tun? Welche Fragen stellen sich? Wo und wie kann ich die Antworten finden, die ich brauche? Wie geht das eigentlich: auf mich schauen? Was bedeutet das in meinem konkreten Fall?
Oftmals bekommt man ja die (mehr oder weniger onkelhafte) Empfehlung: Schau auf dich! Aber was bedeutet das genau? Schau du auf dich, damit ich es nicht tun muss? Schau selber, wo du deine Energiequellen, deine Unterstützung findest? Nicht immer wird es so gemeint sein, denke ich mir jetzt, es ist halt eine Floskel, die ich selber auch schon vielfach verwendet habe. Trotzdem – manchmal kann schon der Verdacht aufkeimen, sie hat eine gewisse Persilschein-Funktion. Klingt so empathisch – und heißt eigentlich … nichts.
Also: Wie geht das, auf sich selber schauen? Nun, das wird je nach Persönlichkeit sehr unterschiedlich sein. Manche finden vielleicht Halt im Kreis einer liebevollen Familie, haben enge Kontakte zu Eltern, Geschwistern, Schwiegereltern, erwachsenen und im Leben gut angekommenen Kindern. Für andere wird es vielleicht die körperliche Betätigung sein, die einen guten Ausgleich bietet. Einfach laufen, so lang, bis der Kopf leer ist. Manche werden in der Spiritualität Rückhalt finden.
In meinem Fall hat sich schnell herausgestellt: Es ist die Kreativität – das Schreiben, aber auch die Musik. Zwei Dinge, die mich auf höchst unterschiedliche Weise unterstützt haben. In den Gesangsstunden bin ich sehr schnell ins Hier und Jetzt gekommen, war auf meinen Körper konzentriert, meine Lehrerin, die Klänge, die Empfindungen, die Lust am Ausdruck. All das war ja da. All das ist – meiner Erfahrung nach – immer (auch) da. Es wird lediglich von anderen Faktoren (Sorgen, Trauer, Angst etc.) überlagert. Je mächtiger diese Faktoren sind, desto dringlicher gilt es, dieses Andere, Ausgleichende in sich zu suchen. Die eigenen Energiequellen freizulegen.
Das Zweite, das Schreiben, hat auf andere Weise funktioniert. Es hat mir nicht eine Auszeit von der schrecklichen Situation geboten, sondern es hat mir geholfen, sie besser zu verstehen, mich besser zu verstehen, Gefühle zu verarbeiten und aus mir herauszubringen.
Von Anfang an hat mich die Psychologin ermutigt, mich dabei unterstützt, diese kreativen Momente gezielt herbeizuführen, nicht auf sie zu vergessen, ihre Bedeutung schätzen zu lernen, sie in mein Leben einzubauen.
Auch über meine Achillesferse haben wir oft gesprochen: den fehlenden familiären Rückhalt. Angehörige, die ich als zu 100 % sicheres Netz betrachten kann, hatte und habe ich nicht. Ich komme nicht aus einer Familie der engen Bindungen.
Das zu erkennen, ist schmerzhaft. Andererseits ist es sinnvoll, diese Realität frühzeitig wahrzunehmen und zu akzeptieren, sich keine falschen Hoffnungen zu machen, die Umstände nicht schönzureden. In einem zweiten Schritt ist es dann nämlich möglich zu sagen: Gut – wo ist mein Netz? Was besteht an tragfähigen Bindungen? Wo kann ich bestehende Beziehungen vertiefen? Wer kann mir in welcher Situation beistehen?
Ich habe es immer wieder geradezu als Wunder erlebt, wie viele helfende Hände, offene Ohren und Schultern zum Anlehnen es gegeben hat. Da war der Chorkollege, der über Nacht mein Fahrrad repariert hat, als Rudi nicht mehr in der Lage dazu war. Da war der befreundete Jurist, der mit mir alle möglichen Papiere aus Rudis Nachlass durchgegangen ist. Da war die Freundin, die mit mir am Ball getanzt hat. Und da war die Chorkollegin, die mit mir einen Platz auf dem Friedhof für Rudis Grab gesucht hat.
Es waren viele Menschen. Jeder Einzelne hat einen kleinen Teil meiner Last auf seine Schultern genommen und mir beim Tragen geholfen. So war niemand überfordert. Jede(r) hat ja getan, was er (oder sie) gut kann. Ich hatte quasi einen Pool aus guten Geistern, auf den ich im Bedarfsfall zurückgreifen konnte. Eine ganz besondere Rolle dabei hat sicher unsere Chorgemeinschaft gespielt, die schon mehrfach unter Beweis gestellt hat, dass Zusammenhalt für sie kein leeres Wort ist. Und als ich mich zu Weihnachten bei einer Chorfreundin selber eingeladen habe (nicht ohne zuvor immer wieder aufgefordert worden zu sein: „Sag, wenn du was brauchst“), da war ich so froh über die herzliche Reaktion und das Wissen, den Heiligen Abend in angenehmer Gesellschaft verbringen zu dürfen, nicht allein, verlassen und traurig.
Es hat oft sehr viel Mut gebraucht, um Hilfe zu bitten. Begonnen habe ich mit kleineren Dingen, die weniger Überwindung gekostet haben. Als ich gesehen habe, dass mir die Unterstützung durchaus gewährt wird, dass meine Frage nicht als Zumutung empfunden wird, habe ich später auch gewagt, kompliziertere Anliegen zu formulieren.
Eines sei hier auch gesagt: Ja, es kommt vor, dass man eine Absage bekommt. Dass die gefragte Person keine Zeit hat oder keine Lust (was vielleicht nicht unbedingt freundlich ist, trotzdem aber zu 100 % legitim), dass sie nicht das leisten kann, was man sich von ihr erwartet hatte. Das ist frustrierend. Je nach Situation kann es kurzfristig Gefühle der Verzweiflung hervorrufen. Da ist eines ganz wichtig: nicht in die Verallgemeinerungsfalle tappen. „Wenn ich etwas will, werde ich immer zurückgewiesen.“ „Niemand ist bereit, mir zu helfen.“ „Nie bekomme ich das, was ich brauche.“ „Mich unterstützt niemand.“ Etc.
Die Gegenstrategie lautet: sachlich bleiben. Habe ich die falsche Person gefragt? Zum falschen Zeitpunkt? Am Freitagabend haben die Menschen ihr Wochenende in der Regel verplant. Da darf ich mich nicht wundern, wenn niemand Zeit für einen Spaziergang mit mir hat … Habe ich die Dringlichkeit meines Anliegens deutlich genug gemacht? Gibt es andere Menschen, die ich fragen könnte? Wenn in dieser Situation wirklich niemand für mich da ist – welche Alternativen habe ich? Kann ich mir telefonisch Rat holen? Online? Kann ich mein Anliegen, für das ich jemanden brauche (Begleitung bei einem Amtsweg oder eine kompliziertere Besorgung), verschieben?
Bei mir war es so, dass die Menschen in meinem Umfeld durchaus hilfsbereit waren (und immer noch sind). Dennoch hat es immer wieder ein Nein gegeben. Das war nicht angenehm, aber ich habe mich bemüht, dem nicht zu viel Bedeutung beizumessen. Stattdessen habe ich zugesehen, dass ich anderswo die Unterstützung bekomme, die ich brauche. Ich habe mir im Laufe der Zeit ein immer größeres Netz an potenziellen Unterstützerinnen und Unterstützern geknüpft. Das hat den Vorteil, dass es viele verschiedene Ansprechpartner gibt, dass die Gefahr kleiner wird, eine bestimmte Person zu überfordern.
Auch ich selber habe übrigens nein gesagt: Wenn mir Hilfe angeboten wurde, die ich nicht gebraucht habe. Sich in einer Krisensituation zu befinden, ist eines – und tatsächlich kann es dazu kommen, dass man sich für sonst ganz selbstverständliche Dinge Unterstützung wünscht. Aber grundsätzlich geht die eigene Mündigkeit, die eigene Kompetenz ja nicht verloren. Das heißt: Es tut gut, das, was ansteht, auch selber erledigen zu können (wenn man sich stark genug dazu fühlt). Es vermittelt ein Gefühl von Handlungsfähigkeit und Erfolg. Für kontraproduktiv halte ich es, bei Hilfsangeboten nicht nein sagen zu können, weil man nicht unhöflich sein will. Es geht darum, selber zu entscheiden, wo Unterstützung erwünscht ist und wo sie nicht vonnöten ist.
Um das Ganze nicht zu beschönigen: Es ist auch vorgekommen, dass ich mir dringend Hilfe gewünscht hätte und sie nicht bekommen habe. Dass ich einfach niemanden erreicht habe. Das gab es. Das gibt es. Und es hat sich schrecklich angefühlt. Das waren die schwierigsten, dunkelsten Momente. Mein Gefühl hat mir gesagt: Das ist jetzt unbewältigbar. Bodenlose Verzweiflung.
Pure Hilflosigkeit. So schlimm es jetzt klingt: Dazu gibt es nicht viel zu sagen. Für mich sind das Augenblicke, die einfach durchlitten werden müssen – und die hoffentlich so kurz wie möglich sind. Für mich ist es das, was die Bibel mit dem Blut- und Wasser-Schwitzen Jesu auf dem Ölberg ausdrückt. Extremes Leid. Ohne dass sich ein gangbarer Weg abzeichnet. Am Abgrund stehen. Das pure Grauen. Und niemand ist erreichbar, ansprechbar. Die Bibel schreibt davon, dass Jesu Freunde in dieser Situation geschlafen haben.
Das Einzige, was ich an Ermutigendem dazu sagen kann: Diese Situationen gehen vorbei. Das mag nach einem schwachen Trost klingen – aber es ist eine reale Perspektive: Auch wenn es jetzt unbeschreiblich schrecklich ist, es wird nicht so bleiben.
Ich habe mit der Zeit gelernt, genau darauf zu vertrauen. Die Erfahrung hat mich gelehrt: Im Moment bist du allein, niemand steht dir bei. Aber das bleibt nicht so. Es gibt offene Ohren. Es gibt helfende Hände. In ein paar Stunden. Morgen. Vertrau darauf, dass diese Zeit des Niemanden-Erreichen-Könnens vergeht. Ich habe mir Sätze wie diese tatsächlich laut vorgesagt. Und ich habe – wenn auch vorerst ins Leere – meine Hilferufe abgesetzt. Whatsapp-Nachrichten geschrieben, E-Mails, Nachrichten hinterlassen. In dem Wissen, dass das in diesem Augenblick nichts ändert – aber dass es trotzdem etwas bewirkt.
Und was für eine unglaubliche Erleichterung es dann oft war, wenn das Telefon geläutet hat, der Rückruf gekommen ist, jemand zugehört, meine Not verstanden hat. Oft schon durch ein paar sachkundige Sätze schlimmste Befürchtungen zerstreuen konnte. Und wenn nicht – dann war jemand für mich da, ich war nicht mehr allein. Wie gut das getan hat!
Während ich diese Zeilen schreibe, denke ich vor allem an die unbeschreiblich engagierten Menschen des Caritas-Hospizteams. Wie ich das Ganze ohne ihre Unterstützung geschafft hätte – ich kann es mir beim besten Willen nicht vorstellen. Egal, worum es gegangen ist: seelische Nöte, medizinische Fragen, Organisatorisches, Fragen von: was steht an (bis hin zur Patientenverfügung), Vernetzung mit ehrenamtlichen „Buddys“ … Es war eine so facettenreiche und umsichtige Begleitung. Immer einfühlsam und sachkundig. Nie aufdringlich. Immer lösungsorientiert. Und nie, nie, nie habe ich den bösen Satz gehört: „Dafür bin ich nicht zuständig.“ Wenn ein Anliegen über den Bereich des Hospizteams hinausgegangen ist (und das ist vorgekommen), dann wurde die Antwort positiv formuliert: „Da können Sie sich an XY wenden, die sind dafür da, ich habe da die Telefonnummer.“
Eigentlich seltsam, habe ich mir schon damals gedacht, in meiner Arbeit als Journalistin hatte ich speziell in meiner Anfangszeit immer wieder über die mobile Hospizarbeit berichtet. Aber als ich dann selber in der Situation war, wäre es mir selbst nicht eingefallen, mich an diese Adresse zu wenden. Ich wurde in einem Online-Trauerforum auf diese Idee gebracht. Und was wäre mir alles entgangen, wenn ich diese Unterstützung nicht gehabt hätte. Ich kann es nur wiederholen: Eine so patente, einfühlsame und auf wohltuende Weise sachorientierte und sachkundige Begleitung ist unbezahlbar.
Und wahrscheinlich weil das so ist, ist sie kostenfrei. Niemand hat je nach Vermögensverhältnissen, Sozialversicherungsnummer, Staatsbürgerschaft, Religionsbekenntnis – wonach auch immer gefragt. Es ist um unsere Bedürfnisse gegangen – Rudis und meine – sie haben die Richtung vorgegeben, die Agenda, die Punkt für Punkt behandelt wurde. Es mag pathetisch klingen, aber meine Dankbarkeit, dass das so sein durfte, ist grenzenlos!
Abschließend möchte ich hier noch über das Online-Forum schreiben, das mir ebenfalls Rückhalt geboten hat. Es war eigentlich eine berufliche Recherche, durch die ich das Forum „aspetos“ entdeckt habe. Eine moderierte Plattform für Trauernde mit Sitz in Österreich. Ich habe damals gewissermaßen eine Sondergenehmigung bekommen und konnte beitreten, obwohl bei mir der Todesfall noch gar nicht eingetreten war.
Ich habe dort in der Zeit von Rudis Krankheit und auch nach seinem Tod viel geschrieben. Es hat mir gutgetan. Ich habe zum Teil sehr ermutigende Rückmeldungen bekommen, zum Teil aber auch Unverständnis geerntet und Verletzendes gelesen. Unterm Strich war das Forum hilfreich für mich, obwohl ich auf manches durchaus hätte verzichten können.
Was ich damit sagen möchte? Auch Online-Communities können hilfreich sein. Es ist wie im wirklichen Leben: Man trifft auf die unterschiedlichsten Personen. Es gilt hier wie dort, gut auszuwählen, wem man vertraut bzw. wen man ernst nimmt. Als ergänzendes Angebot habe ich das Forum durchaus geschätzt.
Fazit: Es gibt Hilfe. Sie ist nicht immer leicht zu finden. Aber es lohnt sich, danach zu suchen: je früher, desto besser. Der Weg ist auch so schwer genug – gestehen Sie es sich zu, ihn nicht allein zu gehen. Es ist kein Armutszeugnis, sondern ein Zeichen von Weitsicht, Unterstützung in Anspruch zu nehmen.
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.