Kitabı oku: «Deine Zeit läuft ab», sayfa 4

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Aurelia musste dieses Kompliment in den falschen Hals gekriegt haben, denn sie stieß ein kurzes höhnisches Schnauben aus und drehte sich weg. »Ich schaffe dann mal die Marmorskulptur rein.«

Diethelm begann, Palmer seine Uhrenwelt zu erklären, ohne dass sie danach gefragt hatte. Aber sie wollte ihn nicht unterbrechen, seinen Redefluss abwürgen. Sie würde später zu jenen Themen steuern, die sie interessierten.

»Sie müssen wissen, kein Mensch braucht eine Luxusuhr. Die Zeit liest sich jeder kostenlos auf dem Handy ab. Aber genau das macht den Reiz meiner Schmuckstücke aus. Die Zeitanzeige ist bloß ein angenehmer Nebeneffekt. Die Armbanduhr ist das einzige Schmuckstück, das der Mann jederzeit tragen kann, ohne übertrieben aufgedonnert zu wirken. Der hohe Preis meiner Preziosen setzt sich zusammen aus dem Ansehen der Marke, deren bester Qualität, den verwendeten Materialien wie Gold, Platin und vielleicht ein paar Diamanten, der Handarbeit, der gestalterischen Schönheit, auch der Anzahl der Komplikationen, also der Zusatzfunktionen des Uhrwerks. Die Schweizer Uhrmacher sind Meister darin, eine Uhr komplizierter zu machen.« Er rieb sich die Hände. »Beim Preis spielt auch die Verknappung eine gewisse Rolle. Seltenes ist nun mal teurer.« Er lachte und klatschte in die Hände. »In Zeiten von Negativzinsen gönnt sich der Mann von Welt schon mal etwas Nettes, statt zuzusehen, wie sein Geld auf der Bank immer weniger wird. Eine repräsentative Wohnung haben meine Kunden alle schon, ein dickes Auto sowieso. Die einen investieren ihr Geld dort, wo es sich weiter vermehrt. Für die anderen komme ich ins Spiel und biete eine tägliche Freude beim Anblick ihrer Uhr am Handgelenk. Wobei der Wert der edelsten Modelle sogar noch zulegt, während man sie trägt.«

Palmer und Diethelm rissen den Kopf herum, als mit lautem Krachen die aufschwingende Haustür hinten an die Wand knallte.

»Ich stelle sie mal ins Wohnzimmer.« Aurelia trug unter Aufwendung aller Kräfte eine gut 60 Zentimeter hohe Marmorskulptur herein, ihre Arme fest um den Stein geschlungen. Palmer war beeindruckt, solch ein Gewicht schaffte nicht jeder Mann.

»Aber bitte zerkratz mir nicht den Tisch, ja?« Diethelm wandte sich wieder Palmer zu.

»Ein kleines Ferien-Souvenir aus … Mallorca.« Er biss sich auf die Unterlippe. »Das Geschäft läuft so gut, dieser eine Auslandsaufenthalt muss für uns dieses Jahr reichen.« Er sprach gemächlich und wählte seine Worte sorgfältig. »Luxusarmbanduhren haben längst ihre Funktion geändert zu wertvollen Schmuckstücken. Meine Käufer sind verliebt in deren inneren Werte, in die hochkomplexen mechanischen Kunstwerke. Sie sind gefesselt von der Seele des Räderwerks.«

Lass ihn reden, dachte Palmer, wollte es dann aber trotzdem etwas genauer wissen. »Bieten Sie denn Ihre teuren Uhren günstiger an als die Konkurrenz, damit Ihre Kunden bei Ihnen kaufen? Bei all den vielen Uhrenläden in Luzern.«

»Geht es um so exklusive Dinge, lieben es die Leute, ihr wertvolles Stück von jemandem zu erwerben, mit dem sie in einer freundschaftlichen Beziehung stehen. Das informative Gespräch von Mensch zu Mensch, das ist meine Stärke. Aurelia schafft dies über die elektronischen Wege. Mit ihrer wertvollen Hilfe biete ich nun beides.« Wieder zog er sich die Hose hoch. »Die Leute nehmen sich Zeit für die Uhr ihrer Träume und wollen im Detail wissen, was alles dahintersteckt, stellen viele Fragen, die wir dann beantworten. Aurelia bringt sogar neue Kunden zu uns. Und es lohnt sich tatsächlich, die Uhren bei mir zu kaufen, ich empfange sie in einem Appartement in bester Aussichtslage. Viele echt reiche Leute gehen nicht mehr in Läden, sondern bevorzugen die Diskretion einer Wohnung. Diese dürfen meine Kunden auch exklusiv nutzen für ihre privaten Zwecke. So spare ich Unsummen für Miete eines Geschäfts an teurer Passantenlage. Falls ein Kunde dies wünscht, organisieren wir ihm in dieser Wohnung ein Dinner, damit er seiner Freundin einen Heiratsantrag machen kann.« Er strahlte übers ganze Gesicht. »Von Gesetzes wegen stehen jedem Käufer in der Schweiz volle zwei Jahre Garantie zu. Ich aber biete fünf Jahre. Da unsere Uhren von so hoher Qualität sind, habe ich bisher erst ein einziges Mal so richtig teure Reparaturen beim Hersteller aus meiner eigenen Tasche berappt. Keiner toppt unsere Uhrenmarken: Patek Philippe, Vacheron Constantin, Breguet.«

»Ich muss gestehen, ich kenne keine dieser Marken.«

»Gerne führe ich Sie in diese wundervolle Welt ein.« Sogleich aber fiel sein Blick auf Palmers ausgelatschte Converse-Turnschuhe, und er geriet ins Stocken. »Was erzähle ich da. Das interessiert Sie doch gar nicht.«

»Doch, doch«, sagte Palmer schnell. Gleichzeitig ärgerte sie sich, da sie nicht wusste, wie sie einen eleganten Bogen spannen sollte zu ihrem eigentlichen Anliegen. Sie zögerte, aber nur kurz. »Wie war das nun mit dem Schuss? Es steht die Aussage im Raum, Sie wollten sich ein für alle Mal der Unterhaltspflichten an Susa entledig…«

Mit wegwerfender Bewegung schnitt er ihr das Wort ab.

»Susas Verletzung tut mir ausgesprochen leid, war aber nichts anderes als eine Verkettung unglücklicher Umstände. Habe ich der Polizei lang und breit erklärt. Hören Sie, was da mit Susa und Lenny ist, geht Sie wirklich nichts an. Ich frage mich, weshalb ich überhaupt nur eine Sekunde mit Ihnen darüber spreche.«

»Wenn Susa nichts zu befürchten hat, ist alles gut. Sollte sich das Gegenteil auch nur andeuten, kriegen Sie’s mit mir zu tun.«

Er hob eine Augenbraue, um Palmer deutlich zu machen, wie ungewöhnlich ihre Aussage war.

»Erkenne ich da eine Drohung?« Verblüfft sog er Luft ein. »Aber wenn ich Sie damit loswerde: Wie hätte ich überhaupt wissen können, dass Susa auf der Party auftaucht? Ich habe sie nicht eingeladen. Sie hat sich offenbar gezielt für diesen Job beim Hotel beworben, ohne mein Wissen. Ich habe sie vor der Schussabgabe nicht mal gesehen. Erkannt habe ich sie erst, nachdem die Räuber abgezogen waren. Und dann soll ich im Kampf um die Pistole gezielt auf Susa geschossen haben? Glaubt doch kein Mensch. Und weshalb hätte ich dies tun sollen? Das tönt ja so, als hätte ich Susa gehasst. Im Gegenteil: Ich habe Susa geliebt. Damals. Aber diese Liebe war leider nur einseitig. Wenn einer Susa gehasst hat, dann einer ihrer Ex-Liebhaber. Der eine hat sie sogar bedroht. Was da genau war, weiß ich nicht und interessiert mich auch nicht. Auch wenn es Sie nichts angeht: Um Ihrem unsäglichen Verdacht ein Ende zu setzen, will ich Ihnen einiges erklären. Aber dann sorgen Sie dafür, dass Hannah schweigt.«

Als Palmer sich nicht regte, fuhr er fort.

»Ich weiß genau, dass Hannah hinter allem steckt. Hören Sie, seit seiner Geburt habe ich für Lenny bezahlt. Susa hat ihn mir in unserer kurzen Beziehung untergejubelt, wo sie doch glaubhaft behauptet hatte, sie nehme die Pille. Vielleicht ist Lenny nicht mal von mir. Aber okay, ich habe die Vaterschaft bei seiner Geburt anerkannt und bezahlt. Aber kriegen wird er auf ewig nur das Minimum.« Er schob seinen Unterkiefer vor.

»Einige Wochen nach der Geburt hat sich Susa einen Jüngeren angelacht. Das war’s für mich.« Er ballte eine Sekunde lang die Fäuste. »Ich weiß nicht mal, was Susa von mir gewollt hat auf meiner Party.«

»Lenny hat erzählt, Susa habe Sie um Geld anflehen wollen, um ihm mittels Bestechung zu einem Spenderherz zu verhelfen.«

Er breitete die Hände aus und schüttelte den Kopf.

»Leider muss Susa andere Mittel und Wege finden.«

»Das Mindeste, was Sie für Lenny tun können, ist einzuwilligen zur Organspende.«

»Sie wollen, dass die Ärzte mich nach meinem Tod ausschlachten wie ein altes Auto? Niemand hat ein Anrecht auf meine Organe, auch nicht mein Sohn.«

Palmer zog die Augenbrauen hoch. Immerhin sprach er die Worte Lenny und Sohn ohne zu stottern im selben Satz aus. »Lenny sieht sehr schlecht aus«, fuhr Palmer fort.

Er verzog gequält das Gesicht. »Wissen Sie, solche Herzprobleme mag ich niemandem gönnen, auch Lenny nicht. Aber sollte er sterben, kann ich mir meine monatlichen Überweisungen sparen.«

Unverwandt starrte Palmer ihn einige Sekunden lang an. »Ist es nicht eher so, dass Sie Lenny gar keine Alimente überweisen?«

»Quatsch, Lenny und Susa kriegen ihr Geld seit seiner Geburt lückenlos. Aurelia, zeig doch der Dame mal die Kontoauszüge mit den Überweisungen.« Diethelm machte einige Schritte in Richtung Wohnzimmer, wo Aurelia mit dem Marmorungetüm verschwunden war, hielt dann aber inne und drehte sich auffallend langsam Richtung Palmer. »Moment mal. Das wird mir erst jetzt klar: Sie unterstellen mir, ich wolle Susa umbringen, um keinen Unterhalt an sie zu zahlen? Blödsinn. Wäre dies so, dann brauchte ich doch Susa gar nicht umzubringen. Ich müsste vielmehr Lenny aus dem Weg räumen. Die Unterhaltspflicht an Susa würde dann automatisch wegfallen.«

Palmer fühlte, wie ihr das Blut vom Hals aufstieg und ihr ins Gesicht schoss. Diethelm war nicht auf den Kopf gefallen. Auch Palmer hatte Hannah bereits im ersten Gespräch auf diese Unstimmigkeit hingewiesen. Umso heftiger schmerzte sie Diethelms lockere Abwehr. Es war blöd, ihm dies vorzuwerfen. Denn falls Diethelm tatsächlich einen Mord in Erwägung zog, um nicht weiter zahlen zu müssen, was für sich genommen schon ziemlich abwegig war bei seiner finanziellen Lage, dann hätte Lenny sinnvollerweise das Ziel seines Anschlags sein müssen. Kein Sohn, kein Unterhalt. Schließlich waren er und Susa nicht verheiratet. Damit wäre das Thema lästiger Sohn für ihn vom Tisch gewesen. Also warum Susa? Was, wenn Diethelm recht hatte und es steckte auf irgendeine Weise Hannah dahinter? Nur wie? Was sollte das alles? Diethelm zahlte also für Lenny und war bereit, das zu beweisen. Mehr noch, er hatte anscheinend nicht einmal auf einem Vaterschaftstest bestanden. Hätte er das nicht getan, wenn ihm so unglaublich wichtig war, nicht zu bezahlen? Wäre dann der Vaterschaftstest nicht vor dem vermeintlichen Mordanschlag der erste Schritt gewesen?

Nein, da stimmte eine ganze Menge nicht. So einfach und klar, wie Hannah sich das Ganze vorgestellt hatte, war es wirklich nicht. Palmer ärgerte sich über sich selbst. Sie war überhastet hergefahren, hatte unüberlegt und ohne ausreichende Planung gehandelt. Ein Anfängerfehler. Was war los mit ihr? Irgendwo, tief in ihr drin, meldete sich der Gedanke, dass der Schmerz durch die Parallele zum Schicksal ihrer Mutter sie bei diesem Fall vielleicht zu sehr beeinflusste. Sie musste sich zusammenreißen. Auch wenn sie jetzt erst mal eine Niederlage einzustecken hatte.

Palmer stand vor Diethelm wie eine Schülerin, die falsch an die Tafel geschrieben hatte, und biss die Zähne fest aufeinander, bis ihr Kiefer schmerzte.

»Falls Susa überhaupt um ihr Leben fürchten muss, dann sicher nicht meinetwegen«, fuhr Diethelm fort. »Bohren Sie besser in Susas Privatleben nach. Dort liegen einige Leichen vergraben. Bildlich gesprochen, versteht sich.« Seine rechte Augenbraue schoss in die Höhe. »Da läuft eine Frau von der Kaviarbar zufällig in die Schusslinie, und Sie machen daraus einen Mordversuch. Man könnte sagen, das ist reichlich mutig oder ziemlich dumm. Aber dumm sind Sie nicht, Palmer. Das wissen wir beide. Und wir wissen auch, dass Sie solche haltlosen Anschuldigungen nicht ungeprüft in die Welt hinaustragen, oder? Ja, ich denke, das werden Sie nicht. Dafür sind Sie zu klug.« Sein Blick ruhte auf ihr, er blinzelte nicht. Beide schwiegen. Mit ruhiger Stimme fuhr Diethelm fort. »Sie haben sich verrannt, und das trage ich Ihnen nicht nach. Sie haben sich von Hannah aufhetzen lassen, das kann passieren. Ich kenne die Frau, weiß, wie sie tickt. Ich frage einfach mal: Sollte es soweit kommen, dass ich sogar vor der Öffentlichkeit meine Unschuld beweisen muss, darf ich dann auf Sie zurückkommen? Würden Sie für mich arbeiten, um das Gegenteil zu beweisen? Gegen Honorar natürlich. Was sagen Sie?«

»Scheiße.« Ihr Herz hämmerte. »Das wird nie geschehen.« Mich von der Gegenpartei einspannen lassen? Ausgeschlossen, auch wenn er sich als nicht ganz so übler Kerl wie erwartet präsentiert hatte. Allerdings, seine monatlichen Überweisungen an Lenny und Susa würde Palmer erst noch nachprüfen. Dass er so begeistert ihr das alles hatte beweisen wollen, weckte inzwischen ihr Misstrauen. Diethelm war ein offensiver Typ. Wie er auf sie zugekommen war und sie dann vollgetextet hatte, nicht schlecht … Er hatte die Unterhaltung sofort auf eine andere Ebene gelenkt. Es konnte seine Persönlichkeit sein, dass er so agierte – oder es war Taktik.

Verdammt, Hannah hatte sie auf den Holzweg geschickt. Wenn er tatsächlich seinen finanziellen Verpflichtungen nachgekommen war, und das seit Jahren, dann war das ein starkes Stück. Palmer überlegte fieberhaft, wie sie sich aus dieser peinlichen Situation rauswinden konnte.

»Lenny sagt, er habe die gleiche Blutgruppe wie Sie. Wollen Sie nicht etwas Gutes tun für Lenny, gesetzt den Fall, Sie versterben bei einem Unfall? Sie könnten sich als Spender eintragen lassen und ihm mit Ihrem Herz ein neues Leben schenken. Ein Teil von Ihnen würde weiterleben.«

»Mein Herz spenden? Klingt romantisch. Wobei Lenny mir vor Jahren wirklich einmal einen Brief gesandt und mich gebeten hat, bei meinem Tod mein Herz ihm zu vermachen. Ich hatte gedacht, dieses Thema erledige sich von selbst, da es wohl ein Zufall wäre, hätte ich dieselbe Blutgruppe wie er. Also habe ich diese abklären lassen. Und tatsächlich weisen wir dieselbe Blutgruppe auf. Aber da eine Herzspende meinen Tod voraussetzt, habe ich ihm in einem kurzen Schreiben mitgeteilt, er müsse sich dies leider aus dem Kopf schlagen. Mit meinem Ableben will ich mich gegenwärtig nicht beschäftigen. Im Moment habe ich andere Probleme. Abgesehen davon, dass mich der Gedanke schockiert. Sein Gewinn nur gegen meinen Verlust.« Er lehnte seinen Oberkörper zurück. »Und was, wenn ich auf dem Operationstisch liege und mich die Ärzte für tot erklären und ausnehmen, da für eines meiner Organe von irgendwoher ein lukratives Angebot reingeflattert ist, während ich aber weiterleben könnte? Nee, dass ich mein Herz spende, können Sie von mir nicht erwarten.«

Entschlossen drehte er den Kopf weg, wodurch Aurelia in sein Blickfeld geriet. »Der Wievielte ist das heute? Ich befürchte, deine zusätzlichen Pfunde bringst du nicht mehr runter«, blaffte er sie an, während sie das Stäbchen eines Lutschers im Mund drehte, auf seine Worte hin aber erschrocken innehielt.

Palmer konnte nicht abschätzen, von wie viel Liebe diese Beziehung erfüllt war. Aber vermutlich schaffte es Aurelia angesichts seines Vermögens, friedlich mit ihm zusammenzuleben, trotz seiner Ausfälligkeiten.

»Liebes, zeig’ doch Frau Palmer meine Überweisungen an Lenny und Hannah auf E-Banking, damit wir dieses Thema endlich vom Tisch kriegen.«

»Das haben wir gleich.« Aurelia stöckelte in den Nebenraum, kam mit ihrem MacBook zurück, knickte im Stehen die Hüfte ein und balancierte das Ding auf dem linken Unterarm. Sie tippte ein wenig herum und stellte sich dann neben Palmer.

»Hier oben, sehen Sie? Thomas Diethelms Privatkonto. Und hier die letzte Überweisung an Anna-Susanna und Lenny Bischof. Wenn ich runterscrolle erkennen Sie bei jedem Letzten des Monats die Überweisung. Stets derselbe Betrag. Okay?«

Palmer starrte auf den Bildschirm, blieb jedoch die Antwort schuldig.

»So, das muss reichen.« Aurelia bewegte den Cursor zum roten Punkt und beendete Safari.

»Was soll das?« Palmer riss ihr den Laptop aus den Händen. Als Aurelia das Programm geschlossen hatte, war darunter Firefox sichtbar geworden und hatte die Sicht freigegeben auf Aurelias Schnappschuss mit Palmer.

»Sie haben Ihr Selfie mit mir auf Instagram gepostet?« Palmers Adern pulsierten. Noch bevor Aurelia den Laptop zurückerobern konnte, klappte Palmer das Gerät so kräftig zu, dass sich Diethelm ob des lauten Knirschens die Hand aufs Herz legte.

»Was haben Sie getan?« Alles Blut wich aus Aurelias Gesicht. Sie bedachte Palmer mit einem Mann-bist-du-blöd-Blick. Übervorsichtig klappte sie den Laptop auf. »Verdammt.« In ihren Augen sammelte sich Wasser. »Scheiße, der muss in Reparatur. Wie soll ich jetzt arbeiten?«

6

Noch vor Diethelms Haus zwängte Palmer ihre Hand in die engen Jeans, um sich ihr Handy aus der Hosentasche hervorzukramen. Gleich würde sie Hannah mitteilen, dass für sie diese Angelegenheit abgeschlossen war. Aus lauter Hilfsbereitschaft Lenny gegenüber und um einer Frau in einer echten Notlage beizustehen, hatte sie sich überreden lassen, Diethelm auf den Zahn zu fühlen. Inzwischen vermutete Palmer hinter Hannahs Behauptung, Diethelm schere sich einen Dreck um seinen Sohn und jedwede Unterhaltszahlung, eine großzügig frisierte Halbwahrheit, um Palmer dazu zu bringen, in der Sache tätig zu werden. Geschickt hatte sie Palmers Sinn für Gerechtigkeit angesprochen und sie in die Falle rennen lassen. Aber wozu? Hannah musste doch wissen, dass Palmer im Handumdrehen herausfinden würde, was wirklich Sache war, was an der Geschichte tatsächlich stimmte. Und dann? Was erwartete Hannah jetzt? Dass Palmer einfach weitermachte, weil sie jetzt eh schon an der Sache dran war? Nicht zu fassen. Palmers Gesichtszüge spannten sich an vor Zorn. Und sie wusste, ihre Stimme würde sehr entschlossen klingen. Aber als Palmer das Telefon entsperrte und Hannahs Nummer noch nicht mal gewählt hatte, vibrierte das Handy und meldete den Anruf von Hannah. Palmer ließ es einige Male klingeln, während sie sich in Gedanken eine eindeutige Ansage bereitlegte, dazu mit der festen Absicht, auf jegliche Begrüßungsfloskel zu verzichten. Endlich nahm sie den Anruf entgegen und hob das Handy ans Ohr. Sie öffnete den Mund, um loszulegen.

»Susa ist tot«, schrie Hannahs Stimme, gleichzeitig schrill und besorgt. »Hörst du?«

Palmers Mund stand weiterhin offen, aber sie fühlte sich, als hätte ein Stromschlag sie erwischt. Eine Mischung aus Schock, Unverständnis und Schmerz. Sie konnte nicht sprechen. Ihre Knie wurden weich, der linke Arm sank zu ihrer Hüfte.

»Palmer, ich muss wissen, hast du Susa besucht im Krankenhaus?«

Palmer sortierte ihre Gedanken, aber bevor ihr auch nur ein Wort über die Lippen kam, setzte Hannah bereits nach.

»Sag mir, hast du an ihrem Bett gestanden?«

»Weshalb fragst du? Nein.«

»Heute Morgen ist jemand bei Susa aufgekreuzt.« Hannah schniefte Tränen hoch. »Aber weder Ärzte noch Pflegerinnen können sagen, ob es ein Mann oder eine Frau war. Gleich danach ist Susa gestorben.« Nun heulte sie hemmungslos. »Jemand hat sie umgebracht.«

Palmer spürte Schweiß im Nacken und auf der Stirn. Ihr wurde heiß unter dem dünnen T-Shirt, Schwindel erfasste sie. Am liebsten hätte sie jetzt ein Glas kaltes Wasser in einem Zug geleert.

Palmer atmete durch, ihre Wut hatte sich in Luft aufgelöst, alles war anders, neu, surreal. Schrecklich. Fast wünschte sie sich zurück zu ihrem Katermorgen, als sie außer einem Job, den sie nicht bekommen, und einer Flasche Whiskey, an der sie zu lange genuckelt hatte, keine Probleme gekannt hatte. Keine wenigstens, die sich nicht lösen ließen.

»Was wird jetzt aus Lenny?« Palmer drehte sich, das Telefon am Ohr, und hoffte auf einen Windhauch, der sie streifen und ihr Kühlung verschaffen konnte, aber die Luft stand still.

»Dabei habe ich die Polizei angefleht, eine Wache vor dem Raum zu postieren, damit nicht einfach jeder unkontrolliert reinmarschieren kann.« Aus Hannahs Stimme schrie Wut.

»Beruhige dich. Vielleicht hat irgendein Freund oder eine Kollegin Susa besucht. Und so eine Schusswunde kann halt tödlich sein.«

»Niemand hat mir geglaubt. Ich hab’s gewusst«, presste Hannah zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Diethelm hat Susa ermordet.«

7

Hannah und Palmer knieten an seinem Bett, die drei umarmten sich ohne viele Worte, dafür unendlich lange. Palmer strich Lenny sacht über die Wange und legte Hannah die Hand in den Nacken. Wie erschlagen lag Lenny mit geschlossenen Augen auf der Federdecke und wirkte teilnahmslos. Aber Palmer wusste, seine Gedanken kreisten um Susa, während sein Herz sich schwertat, genügend Sauerstoff in alle Regionen des Körpers zu pumpen.

»Ich bin so dankbar, dass du hier bist.« Hannahs Lächeln scheiterte kläglich, Tränen stauten sich bereits wieder in ihren Augen an. Sie kippte ihren Kopf in den Nacken, blickte zur Decke und öffnete Mund und Augen weit, damit die Tränen nicht über ihre Wangen kullerten. »Du wirst uns helfen, Diethelm zur Verantwortung zu ziehen. Ja?« Sie hatte ihr Gesicht Palmer zugewandt, und der flehende Ausdruck darin ließ Palmer schlucken. Sie würde nicht mehr so einfach Nein sagen können. Jetzt nicht mehr. Auch Hannahs Behauptungen erschienen ihr nun nicht mehr ganz so verrückt. Dass jemand bei Susa gewesen und sie ausgerechnet unmittelbar danach verstorben war, das klang in der Tat seltsam. Aber Diethelm hatte entweder damit nichts zu tun oder er war ein brillanter Schauspieler. Oder vollkommen gefühlskalt. Es konnte durchaus Taktik sein, keinen Hehl daraus zu machen, dass er Lennys Ableben begrüßen und kein bisschen bedauern würde. Damit kam er zwar wie ein Arsch rüber, aber immerhin wie ein ehrlicher Arsch.

Hannah richtete sich plötzlich auf, zu der Trauer in ihrem Gesicht gesellte sich Angst. Palmer begriff nicht, wollte gerade nachfragen, da hörte sie es auch. Schwere Schritte, welche die Treppe heraufstapften.

»O mein Gott«, flüsterte Hannah. »Er kommt zu uns hoch. Da ist jemand.« Ihre Stimme war nur noch ein angstvolles Hauchen. Palmer kannte so etwas. Hannah stand kurz vor einer Panikattacke.

Auch Palmer setzte sich auf und horchte angestrengt, was sich als Nächstes tat, wobei sie Hannah im Auge behielt. Aber nichts bewegte sich. Alles, was sie hörte, war ihr Blut, das an ihr Trommelfell pochte. Vorsichtig stieß sich Palmer in den Stand hoch und bedeutete Hannah mit den flachen Händen, sich nicht zu rühren.

»Da ist niemand«, flüsterte sie. Auf Zehenspitzen tappte Palmer zur offen stehenden Zimmertür, schob den Kopf sachte vor und spähte in den Flur hinaus. Nichts. Klar war jemand im Treppenhaus hochgestiegen. Aber im Flur konnte keiner sein, der hätte zuerst mal die Wohnungstür aufbrechen müssen. Trotzdem schlug ihr Herz weiterhin bis zum Hals.

Verärgert über ihren eigenen Auftritt schüttelte sie den Kopf. Da war bloß einer vor der Wohnung die Treppe hochgestiegen. So wie wahrscheinlich jeden Tag. Palmer atmete tief durch. Bevor sie sich zu den anderen beiden zurückbegab, ging sie durch den Flur, drückte die Klinke und vergewisserte sich, dass das Schloss verriegelt war. Dann machte sie das Licht an, ebenfalls in den anderen Zimmern und der Küche, obwohl die Dämmerung erst eingesetzt hatte. Von außen sollte jeder erkennen, hier drin hielten sich mehrere Leute auf und waren hellwach. Dann schloss sie das Fenster in Lennys Zimmer, bevor sie sich wieder zu ihm an den Bettrand setzte.

Palmer hatte sich harte Worte zurechtgelegt, um sich aus dieser Angelegenheit rund um Susa zu verabschieden, allerdings bevor sie die Nachricht von deren Tod erreicht hatte. Trotzdem. Sie musste sich aus dieser Sache zurückziehen. Jetzt. Sonst würde sie den Absprung nicht mehr schaffen. Die Polizei konnte ermitteln, das war deren Job. Ein Mensch war gestorben, das war nicht mehr als eingebildete Verschwörungstheorie abzutun. Die Polizei würde in dem Fall recherchieren und den Schuldigen finden. Und Palmer würde sich inzwischen einen neuen Job suchen und ihr Leben in den Griff bekommen.

Sie wählte ihre Worte mit Bedacht, aber deutlich. Während sie sprach, sah sie schon, wie sich hinter Hannahs Stirn Gegenargumente stapelten. Hannah vertraute der Polizei nicht. Aber das konnte Palmer nun mal nicht ändern.

»Das kannst du mir nicht antun.« Hannahs Mund bewegte sich auch noch danach, ohne dass weitere Worte erklangen. »Es besteht kein Zweifel. Jemand hat Susa umgebracht. Eine Abteilungsschwester hat berichtet, etwa eine halbe Stunde, bevor Susa verstorben ist, hätte sie ihr nochmals Blut abgenommen und untersucht, weil sie schweißgebadet in ihrem Bett gelegen hat. Die Analyse hat einen auffallend hohen Insulinwert ergeben. Aber Susa hatte nie Probleme mit Zucker. Ich bin überzeugt, man wird an Susas Körper oder an einem der Schläuche die Einstichstelle einer Spritze finden.« Sie rieb sich die Schläfen. »Jemand hat sie umgebracht. Er.«

Palmer zögerte. Es schien ihr nicht mehr plausibel, dass Diethelm dahintersteckte. Denn wenn er sie hätte töten wollen, hätte er nicht eine ganze Bande organisieren müssen. Und er hätte Susa nicht vor Zeugen aus dem Weg geräumt. Zu plump, zu offensichtlich. Wie hätte er es schaffen sollen, dass jedes einzelne Mitglied seiner Meute die Schnauze hielt und sich nicht verplapperte? Bei einer Bande aus dem Ausland vielleicht, die wären dann weg. Aber ein Zeuge wollte gehört haben, wie einer der Täter wenige Worte in Schweizerdeutsch gesprochen hatte. Dazu kam, dass es Susas Entschluss gewesen war, für diesen Anlass als Servicemitarbeiterin anzuheuern. Es gab keine Hinweise, dass Diethelm das angeschoben hatte.

»Nein, Hannah, ich ziehe mich zurück. Du hast mich getäuscht. Diethelm hat für Lenny und Susa bezahlt. Jeden Monat, seit Jahren.«

»Das war eine Notlüge, sonst hättest du uns nie geholfen. Aber völlig falsch war meine Behauptung nicht. Ganz zu Beginn hat er kein Geld überwiesen. Das kam erst später, nachdem Diethelm diese Christina Lehmann geheiratet hat, die Witwe eines bekannten Investmentbankers. Von der ist er aber längst geschieden.« Hannah stieß ein höhnisches Lachen aus. »Bei der Scheidung floss ein schöner Teil ihres Vermögens auf Diethelms Konto rüber. Immerhin so viel, dass er sich dieses Uhrenbusiness hat aufbauen können.«

Senkrechte Falten pflügten sich in Palmers Stirn, als sie verstand. Seiner Ehefrau verdankte Diethelm sein Geld und seinen Erfolg. Und diesem Erfolg verdankte er dann seine nächste, jüngere Frau.

»Bitte, hilf uns.« Entschlossen schob Hannah ihr Kinn vor. »Nein, du kannst jetzt nicht aufhören. Lass uns nicht im Stich. Hilf Lenny und Susa.«

In eben diesem Moment, als sich Palmer Worte ihres Bedauerns zurechtlegte, weshalb sie sich leider trotz aller Verbundenheit zurückziehen wollte, kam ihr ein Gedanke. Kerzengerade fuhr sie hoch und fasste sich an die Schläfe. Sie hatte den Widerspruch in Diethelms Aussage erkannt. Nicht auszuschließen, dass seine Bemerkung zufällig gewesen war. Aber es wäre auch möglich, dass Diethelm sie bewusst täuschen wollte.

»Okay, ich muss mich im Hotel umhören. Eventuell hat einer der Angestellten mehr gesehen während des Überfalls, als bis jetzt bekannt ist. Während einer solchen Veranstaltung stehen viele Servicemitarbeiter rum, alle mit dem Auftrag, die Gäste im Blick zu behalten und deren Wünsche zu erfüllen.«

Hannah umarmte und herzte Palmer, während sie traurig, aber hoffnungsvoll lächelte.

»Ich bin sicher, jetzt kriegen wir diesen Drecksack.«

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22 aralık 2023
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9783839268964
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