Kitabı oku: «Fälschungen, Verwandlungen», sayfa 3

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Karl Waldmann

oder vom Tod eines Autors, der nie gelebt hat

ES versprach eine Sensation zu werden: Karl Waldmann, ein Künstler der klassischen Moderne, von dem niemand je gehört hatte, trat mit einem Œuvre von nicht weniger als eintausendzweihundertneun Blättern aus dem Nichts hervor. Collagen waren es, wie die Avantgardisten der Zwanziger- und Dreißigerjahre sie gern produziert hatten. Um meist kleinere Formate handelt es sich, zusammengeklebt aus dem, was der Alltag so an flachen Gegenständen lieferte, Verpackungen, Textilfetzen, vor allem aber Druckerzeugnissen, billig verfügbaren Bildern und Schriftzügen aus Zeitungen und Illustrierten. Der neu kombinierte und angeschaute Müll verhieß neue Einsichten. Vor allem aber erhob sich auf diese Weise aus dem Massenhaften des Ausgangsmaterials das Einzelstück und erzielte, obwohl die Verfertiger dies wohl nicht immer vorausgesehen und angestrebt hatten, auf dem nachgeborenen Kunstmarkt beträchtliche Preise.

Schon lange gab es ein »Karl-Waldmann-Museum« in Brüssel, eine eher virtuelle als architektonisch reale Einrichtung, betrieben von dem Galeristen Pascal Polar, der sich als Sachwalter des Unbekannten versteht. Pascal Polar: ein Name, der die Erwartung auf Abenteuerliches weckt. Polar hatte dafür gesorgt, dass Waldmann bei verschiedenen Ausstellungen vertreten war, und auch gar nicht so wenige Verkäufe getätigt. Nun aber fasste er eine neue Stufe der Akzeptanz ins Auge: Waldmann sollte erstmals in einem Museum der öffentlichen Hand zu sehen sein. Es gelang Polar, elf der Collagen in die Ausstellung »Boundary Objects« des Dresdner Kunsthauses zu inkorporieren, eine post- und antikoloniale Sammelschau. Die Präsentation in öffentlichen Häusern bedeutet für jeden Künstler einen wichtigen Schritt der Nobilitierung – ein Hauptgrund, weshalb es diesen nie an scheinbar selbstlosen Leihgebern mangelt. Das Kunsthaus war nicht ganz die erste Wahl gewesen; das Dresdner Hygiene-Museum freilich, auf dessen Material das Werk Waldmanns teilweise zurückgreift, hat ein entsprechendes Ansinnen wegen dessen ungeklärtem Status abgelehnt.

Verstärkte Präsenz weckt auch verstärkten Argwohn. Wer bitte war dieser Waldmann, wo kam er so plötzlich her? Museum und Kuratorin versuchen eine Zeitlang zu mauern und schreiben auf neugierige Nachfragen hinhaltende und ablenkende Mails. Aber der Druck wächst, und das Kunsthaus sieht sich zu einer Pressekonferenz und einer Podiumsdiskussion veranlasst; Pascal Polar, Galerist und Initiator, merkt, dass Gefahr im Verzug ist, und reist aus Brüssel an. Der Redakteur der »Süddeutschen Zeitung«, der der Sache auf die Spur kam, nimmt mich mit, weil er weiß, dass ich mich für Fälschungen und Verwandlungen interessiere.

Die Pressekonferenz am Morgen und das Podiumsgespräch am Abend unterscheiden sich durch ihr Publikum, jedoch nicht in den Teilnehmern und ihrem Auftreten. Anwesend sind Direktorin, Kuratorin und ein Angestellter des Hauses; sie sprechen kaum ein Wort. Dafür redet Pascal Polar um so mehr und redet, unterbrochen nur von seiner Dolmetscherin, denn er spricht und versteht nur Französisch. Er ist ein eher kleiner, schmächtiger Mann unbestimmbaren Alters, der ein Hemd trägt, das aussieht, als wäre es selbst ein abstraktes Kunstwerk der klassischen Moderne, und mit fortschreitendem Abend immer mehr aus der Hose hängt. Die Baumwollhandschuhe, die er aus Ehrfurcht im Umgang mit weiteren mitgebrachten Waldmanns trägt (sie liegen auf einem Tapeziertisch ausgebreitet), hat er sich so übergestreift, dass ihre Finger schlaff und nutzlos vorn herunterbaumeln, ein skurriler Anblick. Der Redestrom, verdoppelt immer noch durch das Echo der Übersetzung, ist als solcher schon geeignet, Nachfragen zu entmutigen; man kriegt keinen Fuß in die Tür. Oberflächlich und voreingenommen seien die Zweifler. Auf den Einwand, in seinem Waldmann-Kuratorium sitze auch ein Mann, der dringend des Kunstbetrugs verdächtigt werde, erwidert er, aber dieser besitze doch eine riesige Bibliothek! – Welche Maßnahmen er ergriffen habe, um die Echtheit seiner Exponate zu erweisen? – Er, Polar, sei von Haus aus Philosoph und Naturwissenschaftler, gewohnt, sich ohne Vorurteil den Phänomenen als solchen zu stellen! Wie, das reiche womöglich nicht? Er habe persönlichen Unterricht von zwei Nobelpreisträgern erhalten! So kommt eine Diskussion im engeren Sinn natürlich nicht zustande.

Die Geschichte von der Auffindung des Werks von Karl Waldmann, die sich herausschält, läuft folgendermaßen: Eines Tages kurz nach dem Fall der Berliner Mauer, im Spätherbst 1989, ging ein französischer Journalist über den Ostberliner »Polenmarkt«, einen Flohmarkt, der sich damals großer Beliebtheit erfreute, weil er Souvenirs aus dem Osten bot, die bislang nicht als käuflich galten. Dort stieß er auf einen Mann, der inmitten seiner Trödelschätze kauerte. Dem Journalisten fielen zwei vergilbte Kartonblätter ins Auge, auf die Zeitungsbilder geklebt waren. Er stutzte, fragte den Anbieter, was das sei; dieser erwiderte, er habe noch viel mehr von dem Zeug, ob Interesse bestehe? – Aber ja! Und die beiden fuhren sogleich in der frühen Dunkelheit nach Dresden und suchten eine Art Schuppen oder Garage auf. Obwohl dem Verkäufer mehr daran gelegen schien, sein Porzellan mit kyrillischer Beschriftung loszuwerden, durfte der Journalist schließlich doch in eine große Pappkiste schauen. Dort befanden sich sämtliche Blätter von Karl Waldmann, die jemals bekannt geworden sind, alle säuberlich in einem Stapel beieinander. Wer denn der Urheber sei? – Ach, so ein verrückter Onkel von ihm, der sei mit seiner Frau, einer russischen Künstlerin, eines Tages im Jahr 1958 einfach verschwunden und habe diesen Krempel zurückgelassen. Der Journalist war entzückt, erwarb das Konvolut und behielt es etwa ein Jahrzehnt, ehe es in die Hände von Herrn Polar überging. Der hatte sich mit dem Überbringer angefreundet und griff ihm durch Ankäufe unter die Arme, um ihm eine teure Krebstherapie bezahlen zu helfen. Später habe man sich leider zerstritten und einander aus den Augen verloren.

Zwischen Waldmann und Polar stehen also gleich zwei ziemlich undurchsichtige Mittelsmänner. Das weckt nicht eben Vertrauen zur Provenienz des Werks. Den Namen des einen rückt Polar endlich heraus: Jean Milossis hieß er, eigentlich eher ein Fotograf, insgesamt eine ziemlich windige Figur. Auch einen Roman habe er verfasst, »La jeune fille Allemande« oder so ähnlich, ein Buch mit einer übertrieben germanischen Maid auf dem Umschlag, das im ratlosen Publikum herumgereicht wird. Aber was es mit dem Waldmann-Neffen auf sich hat, das bleibt im Dunkeln. Er könnte, da er auch damals schon nicht mehr jung war, inzwischen verstorben sein.

Selbstverständlich gab es Recherchen zur Person des Karl Waldmann, dessen Lebensdaten sehr ungefähr mit 1890 bis 1958 angegeben werden; ein Angestellter des Museums trägt vor. Nicht nur als Künstler ist Waldmann nirgends in Erscheinung getreten, sondern noch nicht einmal als bürgerliche Person. Zwar hat man in den Melderegistern, Adressbüchern und ähnlichen Dokumenten der Zeit einige Träger des nicht gerade ausgefallenen Namens im Großraum Dresden ausmachen können (mit Dresden verbindet sich Waldmanns Werk besonders eng), doch kommen sie alle offensichtlich nicht in Betracht. Auch wenn man annehmen will, dass es sich um ein Pseudonym handelt, findet sich kein Hinweis darauf, wer dahinterstecken könnte. (Nebenbei: Karl Waldmann, das klingt wie ein Name, aus dem, nicht in den ein Künstler flieht.) Wie wahrscheinlich ist es, dass im bürokratisch dicht gewebten Deutschland des 20. Jahrhunderts ein Mensch ganz und gar keine Spur hinterlassen hätte?

Je länger die beiden Veranstaltungen dauern, desto mehr verdichten sich die Fragen und Zweifel. Hat denn nie jemand das Material untersucht? Nein, heißt es erst, dafür habe man das Geld nicht gehabt; dann, es sei jetzt aber doch eine Untersuchung in Auftrag gegeben; dann, angesichts der semantischen Dichte dieser Blätter könne eine materielle Analyse sowieso nur nachgeordnete Bedeutung haben. Es stellt sich heraus, dass es doch eine Untersuchung gegeben hat und diese zu dem Ergebnis führte, es sei im Papier ein aufhellender Stoff gefunden worden, der vor dem Zweiten Weltkrieg nicht zur Verfügung stand. – Ja, aber Waldmann ist bis weit nach dem Krieg aktiv gewesen!

Mit Materialproben wie bei Beltracchi, der zuletzt über einen nicht deklarierten Zusatzstoff seiner Ölfarben stolperte, kommt man einem Werk, das wesentlich aus alten Schnipseln besteht, nicht so ohne weiteres bei. Die leicht zu beschaffenden Schnipsel sind nun einmal garantiert alt; und wer auch beim Leim Vorsicht walten lässt, der wird nicht beim Gebrauch von Uhu oder Pritt ertappt. Wer überhaupt moderne Kunst fälschen will, der ist mit Collagen gut beraten, das verspricht die größte Sicherheit vor Entlarvung. Lässt sich das Alter der Schnittkanten ermitteln? Das ist schwer zu sagen. Und wie kann jemand in den Zeiten der großen europäischen Konflikte über so viele Zeitschriften aus miteinander verfeindeten Ländern zugleich verfügen?

Und ein Künstler mit politischem Anspruch soll dermaßen im Geheimen bloß für sich gearbeitet haben? – Aber ja, stellen Sie sich vor, er wäre von Hitler oder Stalin erwischt worden! – Er war vierzig Jahre in diesem Metier tätig, das ihm fast tägliche Aktualität abverlangte, und hat seinen Stil in dieser Zeit kein bisschen geändert? Und warum fehlt der Zweite Weltkrieg, das wichtigste Ereignis dieser Zeit, in diesem Werk zur Gänze? – Vieles spricht dafür, dass die meisten Werke in relativ rascher Folge erst um 1950 entstanden sind. – Warum dann aber das viele Material aus der Nazi-Ära, das massive Interesse an deren Themen? – Das war ja damals erst zehn oder zwanzig Jahre her, weniger lang als jetzt die Wende. Das sind alles Verdachtsmomente; ein Beweis allerdings nicht. Die Indizien häufen sich bis an den Rand der Widerlegung; aber nicht darüber hinaus.

Noch aus einer anderen Quelle speisen sich die Verdächte. Pascal Polar weiß bis in die Einzelheiten über die Herkunft der zerschnittenen Bilder Bescheid. Da ist das Foto einer halbjüdischen Fechterin bei der Olympiade von 1936, effektvoll in Kontrast gebracht zu den Abzeichen der Nazis – es stammt aus einem der damals populären Sammelbildchen, die den Eckstein-Zigaretten beigegeben wurden. Einem Model hat man die kleine Plakette mit Adler in den Nabel geklebt, die auf der Urkunde zum Mutterkreuz prangte: Darauf muss man erst mal kommen. Waldmann kombiniert den Waffenrock Wilhelms II. mit einem Porträt Stalins – wie um alles in der Welt war es herauszukriegen, dass dieses Kleidungsstück dem deutschen Kaiser und sonst niemandem zugehörte? Ist das nicht Täterwissen, das nur derjenige haben kann, der höchstselbst mit Schere und Klebstoff zugange war? Und hieß es nicht eben noch, für Untersuchungen stünden leider keine Mittel zur Verfügung? – Glauben Sie mir, sagt Pascal Polar (eine der wenigen Gelegenheiten, wo er auf eine Frage wirklich antwortet, wohl weil er fühlt, dass es hier ans Eingemachte geht): Da sind viele Helfer dabei, die sich aus solchen Rätseln einen freiwilligen Spaß machen. Und ich selbst habe meine Nase natürlich immer in den Massenmedien der damaligen Zeit; ich kenne Waldmann inzwischen auswendig bis in jedes Detail, und wenn ich in einer alten Illustrierten einen Knopf sehe, der so auch bei Waldmann vorkommt, dann weiß ich gleich: Aha!

Das mag so sein oder nicht; aber wer um Himmelswillen soll diese Anspielungen verstanden haben? Andere politische Collagisten haben hier stets zum didaktischen Holzhammer gegriffen – John Heartfield, der Hitler mit seinem Schlagwort »Millionen stehen hinter mir!« zitierte und hinter ihn einen Großindustriellen stellte, der ihm die Geldbündel in die grüßend erhobene Hand schob. Die Message blieb auch dem Dümmsten nicht zweifelhaft. Aber eine nicht weiter auffällige Mutterkreuzplakette im Nabel? Das kapiert doch nur, wer es erklärt bekommt! – Vergessen Sie nicht, Waldmann hat das alles in erster Linie für sich selbst gemacht. – Aber macht man so etwas nur für sich selbst?

Inzwischen liegt gegen Pascal Polar auch eine Strafanzeige vor. Sie wurde, kaum überraschend, von einem anderen Galeristen gestellt, der sich auf Collagen der Moderne spezialisiert hat. Waldmann mit seinen über tausend Blättern bedroht die natürliche Knappheit der Ressource. Die Sorge scheint nicht unbegründet, ist doch zum Beispiel der Markt für die russische Avantgarde der Zwanzigerjahre wegen der Menge kursierender Falsifikate komplett zusammengebrochen – es war einfach so einfach, ein Quadrat Schwarz in Schwarz auf Sperrholz in Eigenregie nachzubasteln. Ermittelt (oder vorermittelt) wird im Fall Waldmann wegen Urkundenfälschung und Betrug.

Doch so leicht ist dem Phänomen nicht beizukommen. Zwar hat Pascal Polar auch schon fleißig verkauft – laut Auskunft seiner Homepage rund einhundertfünfzig Stücke, zum Preis zwischen viertausend und fünfundfünfzigtausend, im Durchschnitt vierzehntausend Euro. Das macht einen Umsatz von über zwei Millionen, was man, wenn es sich wirklich um Fälschungen handeln sollte, wohl nahezu als Reingewinn buchen müsste. Die paar alten Zeitungen und das bisschen Aufwand zum Schneiden und Kleben dürften an Gestehungskosten nahe bei null liegen. Pascal Polar hat stets beteuert, eine hundertprozentige Garantie für die Echtheit könne er nicht geben, er seinerseits sei auf die Auskünfte des Lieferanten angewiesen. Auf den Collagen steht »KW« – aber ist eine Collage eine Urkunde? Und in Dresden wird nicht verkauft, sondern nur gezeigt: Inwiefern läge hier Betrug vor? Der Wert der Blätter steigt mit dieser Ausstellung (oder hätte zumindest steigen sollen, denn der Schuss ging wohl nach hinten los); doch der für den Tatbestand des Betrugs unerlässliche Versuch der direkten finanziellen Bereicherung wurde nicht gemacht. Es ist, anders als in den Fällen Beltracchi und Postel, eher unwahrscheinlich, dass Polar in nächster Zeit ins Gefängnis wandert. Besagter Redakteur von der »Süddeutschen« hat als Resümee seiner Überlegungen die Forderung erhoben, dass Karl Waldmann bis auf weiteres in Quarantäne zu schicken sei; dass man ihn weder kaufen noch verkaufen noch öffentlich zeigen solle. Das scheint ein vernünftiger Vorschlag, der dem derzeitigen Stand der Dinge Rechnung trägt. Das Kunsthaus folgt nach einigen weiteren Tagen dem Druck dieses Rats, wie es scheint, schweren Herzens, und nimmt seine Waldmanns von den Wänden. Abgeschlossen ist der Fall damit nicht.

Als interessanteste Frage steht im Raum: Was wird aus diesem Œuvre, wenn es seinen Urheber verliert? Denn als solches, als Œuvre, besteht es zweifellos trotzdem. Roland Barthes hat vor Jahrzehnten den Tod des Autors verkündet und damit gemeint, dass man gefälligst nicht auf den schauen solle, der etwas gemacht, sondern was er gemacht hat. Darf man den Umstand, dass ein Autor nicht geboren wurde, als Sonderfall seines Todes buchen? Denn dass ein Karl Waldmann nie gelebt hat, das dürfte nach diesem Indizienprozess, trotz des nicht gänzlich zufriedenstellenden Ergebnisses, dennoch als einigermaßen gesichert gelten. Kein Indiz allein mag dies beweisen; doch alle zusammen bilden eine erdrückende Last.

Zwei parallele Vorgehensweisen der an die Wand gedrängten Waldmann-Verfechter lassen sich erkennen. Dass es Produkte der in die Enge getriebenen Schlauheit sind, füchsische Listen, ändert nichts an ihrer Faszination, im Gegenteil: zeigt es doch so recht, dass Not erfinderisch macht.

Museumsleitung und Kuratorin haben die Flucht nach vorn angetreten und Pressekonferenz wie Diskussion unter das Motto gestellt »Karl Waldmann – Entdeckung oder Erfindung?« Das war ziemlich gewitzt, weil es zweierlei signalisiert: erstens die Bereitschaft zur kritischen Selbsthinterfragung; zweitens, in seinem Gleichklang der Alternativen, dass beide Resultate o. k. wären und in ähnlicher Weise auf die Legitimierung des Projekts hinausliefen. Selbst wenn es sich um, plump gesprochen, Fälschungen handeln sollte, dann fielen doch auch diese noch unter einen neuzeitlich erweiterten Kunstbegriff. In der offiziellen Ankündigung hieß es: »In unsere Entscheidung, die Blätter auszustellen, beziehen wir auch die Möglichkeit ein, dass es sich nicht um ein authentisches historisches Werk handeln könnte, sondern um ein zeitgenössisches künstlerisches Projekt, das mit fiktionalen Strategien arbeitet.«

Wenn man dem hinterherdenkt, erleidet man leichte Schwindelgefühle. Also: Wenn jegliches Objekt, wie es seit rund hundert Jahren der Fall ist, durch den Akt der Deklaration zum Kunstwerk aufsteigen kann, dann logischerweise auch die fälschliche Behauptung, es sei ein solcher Akt eingetreten. Wenn es seit den Tagen Marcel Duchamps möglich geworden ist, dass ein signiertes Urinal durch die Signatur zum Kunstwerk erhoben wird (und entsprechende Preise auf dem Markt erreicht), dann spricht eigentlich nichts dagegen, dass auch die bloße Versicherung, es gäbe eine solche Signatur, auch wo es sie nicht gibt, schon Kunstcharakter trägt. Duchamp war bei aller Frechheit doch letztlich recht eitel und zimperlich; er stand diesseits des Tods des Autors (obwohl er genaugenommen das Urinal ja nicht mit seinen Händen verfertigt hatte). Seinen kostbaren Namenszug hielt er noch für so unabdingbar wie die Künstlergeneration vor ihm das Samtbarett. Die Abdingbarkeit erst erhebt das Produkt vom Kunstwerk zweiten zu einem solchen dritten Grades, zu einer Art Zinseszins des Kunstbetriebs.

Ich möchte hier ausführlich den Kommentar einer Internetseite zitieren, dessen englischsprachiger Verfasser sich allzu bescheiden hinter dem Kürzel »Mik« verbirgt. Er schreibt zur Stellungnahme des Museums:

»Ich liebe das total. Lesen Sie’s noch mal und denken Sie drüber nach, und beobachten Sie, wie Ihr Kopf explodiert. Aber ich gehe noch einen Schritt weiter. Ich glaube, die Verbrecher sollten das sofort zu ihrer Verteidigung verwenden. Das heißt, sie sollten sofort behaupten, dass sie Fälschungen nicht zum Zweck des Betrugs herstellen, sondern dass sie echte Fake-Kunst schaffen, weil das ganze Projekt selbst ein zeitgenössisches Kunstprojekt ist, gedacht als subtiler Kommentar zum Zustand des Kunstmarkts und der Gier und der bereitwilligen Leichtgläubigkeit seiner diversen Handlanger und Vermittler. Denn dann, schauen Sie mal, was mit der Kunst selbst passiert – sie geht von einem Aggregatzustand über in den nächsten und den übernächsten, wie Wasser, das erst fest, dann flüssig, dann gasförmig ist. Es ist Kunst, dann wird es Nicht-Kunst, dann wird es wieder Kunst. Erst ist es ein authentisches historisches Werk des Dadaismus von jemand namens Karl Waldmann, über den keiner was Genaues weiß; dann wird es betrügerische Fake-Kunst, zynisch von Verbrechern untergeschoben; dann wird es eins der raffiniertesten zeitgenössischen Kunstprojekte in jüngster Zeit – ein neues Werk, das die Leute überzeugt, es wäre alte Kunst, aber nur, um etwas zu beweisen (to make a point). In dieser abschließenden Phase, wenn man drüber nachdenkt, kann eigentlich jeder glücklich sein. Den Leuten, die die Kunst gekauft haben, weil sie ihnen gefiel, kann sie weiterhin gefallen; die vormaligen ›Verbrecher‹ können sich feiern lassen für ihr verwegenes Projekt hart am Puls der Gegenwart der 2010er-Jahre, das haargenau einer Fälschung glich, aber keine war; und jeder, dem das Ganze entweder Geld oder Kunst verschafft hat, kann sein Geld und seine Kunst behalten, ohne dass er zugeben muss, dass er entweder übervorteilt wurde oder ein Verbrechen oder sonst eine unschöne Handlung begangen hat, wie man sonst leicht vermuten könnte. Die Polizei braucht man gar nicht. (Ich habe noch nicht erwähnt, dass die Polizei eingeschaltet wurde.) Funktioniert rundum prima, oder?« (Übers. B. M.)

»Mik« hat es getroffen; und er benimmt sich allzu cool, wenn er auf namentlich zitierbare Reputation verzichtet und im Nirwana der Anonymität verschwindet wie irgendein x-beliebiger Idiot. Dem, was er sagt, wäre nur hinzuzufügen, dass es dem Kunstmarkt nicht gleichgültig sein kann, welcher der Aggregatszustände sich am Ende behauptet. Gegenwärtig liegt der Preis für ein Waldmann-Blatt bei rund zehntausend Euro, das ist eine Art logarithmischer Kompromiss zwischen null (nachgewiesene Fälschung) und sagen wir hunderttausend (nachgewiesene Echtheit); wer zu dem Preis sein Geld reinsteckt, bekommt das Werk vergleichsweise billig, lässt sich aber auf das erhebliche Risiko ein, den Einsatz komplett zu verlieren, falls er einem Betrüger auf den collagierenden Leim gegangen ist. Das heißt wohl Venture-Kapitalismus.

Was aber das zeitgenössische raffinierte Projekt angeht, so dürfte das autorenlose Konzept einen deutlich geringeren Erlös einbringen als das echte Werk eines namentlich zeichnenden echten Großen – nehmen wir mal an, eintausend Euro pro Blatt. Es handelt sich um Fragen der Größenordnung. Also: am besten wäre es, es gäbe Waldmann bestimmt; am zweitbesten, man könnte irgendwie den Zweifel glaubwürdig am Leben halten; und nur am drittbesten, wir hätten es mit einer »fiktionalen Strategie« zu tun. Die nachgewiesene Fälschung wäre allerdings am allerungünstigsten, denn nicht nur springt dann überhaupt kein Profit heraus, sondern es winkt den Tätern dann am Ende vielleicht doch noch der Knast.

Wir kommen, nach dem Ausweg, den das Museum gefunden hat, um seine professionelle Ehre zu wahren, nun zum zweiten, dem des Händlers, der sich etwas anderes ausdenken muss; denn das Gedankenspiel mit dem fiktionalen Projekt ist eher angetan, ihm das Geschäft zu verderben. Die Einladung zum Mitspielen, die einigen Kommentatoren in der Mystifikation ausgesprochen schien, kann er, obschon deren mutmaßlicher Urheber, am allerwenigsten annehmen.

Seinem langen Text »L’existence de Personne« (»personne« heißt aparterweise im Französischen sowohl »Person« als auch »niemand«) stellt Pascal Polar ein Motto aus der »Emilia Galotti« von Gotthold Ephraim Lessing voran, das in seiner englischen Fassung lautet: »An Artist is only then truly praised by us when we forget him in his work«, was in der deutschen Rückübersetzung wird zu: »Wenn wir über das Kunstwerk den Künstler vergessen können, damit ist dieser am feinsten gelobt.« (Im Original bei Lessing: »Oh, Sie wissen es ja wohl, Conti, dass man den Künstler dann erst recht lobt, wenn man über sein Werk sein Lob vergisst.«).

Verweilen wir noch einen Moment bei »Emilia Galotti«, die an beiläufiger konversationeller Kunsttheorie wirklich viele Anregungen bietet – nicht zuletzt zum Gegenteil dessen, was Polar im Schilde führt. Raffael, heißt es dort, wäre auch dann ein genialer Künstler gewesen, wäre er ohne Hände geboren worden. Das betreibt die entschiedene Hochschätzung des Künstlers auf Kosten der Kunst und hat erst heute die Chance bekommen, sich von einem Paradox in gern geübte Praxis zu verwandeln: heute, wo der Konzeptkünstler seinen Vasallen Anweisungen erteilt, um sich sodann vom Schauplatz zu verabschieden, und Jeff Koons malen lässt. Im Fall Waldmann haben wir es statt dessen mit Händen ohne einen Raffael zu tun, eine gewiss bemerkenswerte Erscheinung im Reich der Geister. »Es spukt«, kommentiert ein Blog nicht ohne Grund. Auch »Mik« hat dem vorgeblich arglosen Augenaufschlag dieses Arguments Raum gegeben: Wer das Werk gemocht und deshalb gekauft hat, der kann es ja weiterhin mögen, egal von wem es tatsächlich stammt. Als vorgeblich arglos bezeichne ich das Argument darum, weil es so tut, als könne man sich auch nur eine Sekunde vom Kunstmarkt in das Feld des interesselosen Wohlgefallens zurückziehen.

Prinz: Was macht die Kunst?

Conti (Künstler): Prinz, die Kunst geht nach Brot.

Prinz: Das muss sie nicht; das sollte sie nicht!

Hier, und nur hier, wäre der Autor der »Emilia Galotti« und große Kritiker Lessing (oder jedenfalls sein Prinz) dann doch naiv zu nennen.

Der Akteur Pascal Polar hat seine unbestreitbaren Qualitäten, er ist ein Mann voller Erfindungsreichtum, Energie und Pathos und schreckt nicht zurück vor klassischen Bezügen. Das Spiel mit »personne«, dem Jemand/​Niemand, führt ihn geradewegs in die »Odyssee« und die Höhle des Zyklopen: Den Odysseus, der sich gegenüber dem von ihm geblendeten Polyphem als Niemand ausgibt, um ihn desto sicherer zum Narren zu halten, nimmt er am Schluss seines mäandrierenden Texts zum Anlass eines flammenden Plädoyers. »KW ist ›Jemand‹ (personne), anders als jeder andere, vielleicht ist er auf den Spuren und im Gefolge eines unzweifelhaft modernen Geistes, aber allein und er selbst, und er hat dies vielleicht mit einem hohen Preis bezahlt, indem er radikal weggesperrt wurde, am Ende des Vergessens. ›Jemand‹ hat keinerlei Vermarktungswert im Jahre 1989, er hat nur einen Wert, seinen eigenen, den der Schönheit, der Entschlossenheit, der Revolte, der Suche nach Existenz und der Reise nach Ithaka, seinem inneren Ithaka. KW als Jemand ist ein Reisender, blinder Passagier im Sturm einer wenig glanzvollen Odyssee, der unseres 20. Jahrhunderts.«

Ein blinder Passagier aber ist Odysseus ja nun gerade nicht; es kommt ihm sehr darauf an, sein Selbst aus der leider zeitweilig nötigen Verleugnung wieder zurückzugewinnen, und so ruft er dem Zyklopen zu, sobald er sicher aus dessen Reichweite ist: Odysseus hat dich geblendet! Auch wir sollten einen genaueren Blick darauf werfen, wie man uns hier zu blenden versucht.

Blieben die Werke wirklich haargenau dieselben, wenn sie ihren im historischen Kontext verorteten Autor einbüßen? Zunächst einmal ändert sich die Lage schon dadurch grundsätzlich, dass Waldmann dann ja nicht mehr tot wäre. General Sheridan, der die amerikanische Grenze nach Westen vorschob, hat einmal erklärt, nur ein toter Indianer sei ein guter Indianer. So ist auch für den Kunstmarkt eigentlich nur ein toter Künstler ein guter Künstler, denn nur bei ihm besteht die Garantie, dass er keine neuen Werke mehr hervorbringt und die Ressource seines Werks deshalb wesen- und dauerhaft knapp bleiben wird. (Ähnlich steht es auf der begrenzten Erdoberfläche mit den Immobilien, die in den letzten Jahren aus demselben Grund eine unverhältnismäßige Preissteigerung erfahren haben.) Bei lebenden Künstlern kann man hingegen nie wissen. Hat nicht de Chirico durch schamloses Selbstplagiat die Preise seines Werks in den Keller getrieben? Das Erlöschen seines Genies hatte er, dem Gott der Kunst sei es geklagt, um Jahrzehnte überlebt; aber signieren konnte er immer noch. KW ist in gewisser Hinsicht noch schlimmer als lebendig; die Sterblichkeit dieses Phänomens ist nirgends in Sicht. Gibt es heute tausend Blätter von ihm, so könnten es übermorgen schon eine Million sein.

Und dann: Was KW hervorgebracht hat, scheint nicht ohne weiteres abzulösen von der Zeitzeugenschaft. Das zwanzigste Jahrhundert bis über seinen Zenit hinüber war vor allem eines: gefährlich. Kriege, Völkermord, Totalitarismus, Arbeitslager drohten jedem – ganz besonders aber allen, die es wagten, den Kopf hervorzustrecken und sich politisch zu positionieren. Die Kunst von 1930 fasziniert heute deswegen so sehr, weil wir ihren Mut bewundern. Was sonst ein flaches Liedchen wäre (mit Refräng!), bekommt Feuer, weil Tucholsky darin Goebbels angreift. Die Vorstellung, dass einer siebzig Jahre später Ähnliches in Tucholskys Geist verfassen könnte, hat etwas Schales an sich. Es wäre vom Schlag des heutigen saturierten Kabaretts, das darum so unerquicklich ist, weil es tut, als ob es immer noch Mut bräuchte, wo es in Wahrheit den Mainstream der herrschenden Verhältnisse bedient. Die Kunst jedoch, die in jener Epoche gedieh, atmet den Zauber des Riskanten, und die Künstler griffen auch darum so gern zur Collage, weil es rasch gehen musste: Geklebt ist schneller als gepinselt. Die Werke, die so entstanden, haben etwas vom Reiz des Eichendorffschen Gedichts:

Wagen musst du und flüchtig erbeuten,

Hinter uns schon durch die Nacht hör ichs schreiten,

Schwing auf mein Ross dich nur schnell,

Und küss noch im Flug mich, wildschönes Kind,

Geschwind,

Denn der Tod ist ein rascher Gesell.

Dieser Gesell ist noch ein anderer als der Tod des Autors. Es ist nun doch an der Zeit, hinzuschauen, was es mit dem Werk des KW als solchem auf sich hat. Trägt es das Mal jenes wildschönen Kusses?

Die Antwort kann nicht zweifelhaft sein. Ach nein, hier ist nichts von Feuer, Angst und Aufbegehren, und alles voll der milden Töne der kurrenten Vergangenheitsbewältigung. Kabarett. Warum hat das keiner gesehen? Schon die Form des Werks deutet darauf hin. Wie kann einer so gleichmäßig den Faschismus und den Stalinismus kritisieren? Das bringt erst unsere heutige Gerechtigkeit zuwege, die uns nichts kostet; die Zeitgenossen, die auf der Flucht vor dem einen dem anderen in die Arme liefen und umgekehrt, kamen nicht so ausgewogen zu Atem. Wie wäre, solang das Haus brennt, eine solch hobbyhafte Beharrlichkeit vorstellbar, die ihre Blättlein klebt, eins so sorgsam wie das andere und alle verwechselbar? Das Œuvre wirkt, wenn man es mit seinen kleinen Formaten auf der Homepage des Musée Karl Waldmann Seite um Seite durchgeht, so wohlgeordnet wie ein Briefmarkenalbum. Zwölfhundert Stück, fast alle gleich groß und gleichartig in der Anmutung – das spricht eher für das stillvergnügte Temperament eines Philatelisten als für einen, und sei es noch so heimlichen, Rebell.

Ferner: Die anderen Collagisten, die in der Epoche unterwegs waren, hatten alle ihre stilistischen Vorlieben. Die Dadaisten klebten anders und anderes zusammen als die Konstruktivisten, und diese wieder unterschieden sich von den Surrealisten und den Agitprop-Leuten. Waren die einen auf die schreiend direkte Agitation aus, so verstanden sich andere als freche Müllkutscher, und die dritten wiederum suchten die Befremdlichkeit eines Tiefsee-Aquariums; trotz der ähnlichen Methode hatten sie einander wohl nur wenig zu sagen. K. W. aber nimmt sich aus wie eine Synthese, oder besser wie ein völlig spannungsfrei gewordener Mittelwert all dieser diskrepanten Bestrebungen.

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Yaş sınırı:
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Litres'teki yayın tarihi:
22 aralık 2023
Hacim:
212 s. 5 illüstrasyon
ISBN:
9783866744806
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