Kitabı oku: «Seewölfe Paket 10», sayfa 10

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5.

Es war erstaunlich, was die Menschen aus dem wenigen zauberten, das sie besaßen.

Auf dem freien Platz im Zentrum des Dorfes wurde im Handumdrehen ein Festmahl bereitet, das sich sehen lassen konnte. Frauen und Mädchen servierten Früchte auf frischen Palmenblättern. Die Männer entfachten ein Feuer in einer Grube, und schließlich wurde die Glut mit Steinen überdeckt. Darauf garten sie Fische, die erst an diesem Morgen gefangen worden waren. Es gab schwere, süße Getränke, die die Männer der „Isabella“ anfangs nur zögernd genossen. Doch schon bald stellten sie fest, daß sich keine üblen Nachwirkungen zeigten. Verglichen mit dem hochprozentigen Gebräu, das sie aus der Karibik kannten, war dies hier eher harmlos.

Am Rand des Platzes hatte eine Gruppe von Musikern Aufstellung genommen – zwei Trommler und drei weitere junge Männer, die kleine, lautenähnliche Instrumente spielten. Die Klänge waren sanft und einschmeichelnd wie auch der Gesang, den sie dazu anstimmten.

Edwin Carberry, Ferris Tucker und die anderen hockten auf dem Erdboden, wie es die Polynesier auch taten. Und die Seewölfe zeigten offenes Vergnügen daran, sich von den Mädchen mit Gaumengenüssen verwöhnen zu lassen.

Überall hatten die Gibbons volle Bewegungsfreiheit, durften Leckereien von den Palmenblättern stibitzen und wurden von den Polynesiern bereitwillig gefüttert, sobald sie fordernd die überlangen Arme ausstreckten. Lediglich die Männer der „Isabella“ hatten das Recht, die haarigen Wesen aus ihrer Nähe zu verscheuchen. Als Menschen, die ihrerseits einen Affen-Gott befehligten, verfügten sie in den Augen der Polynesier offenbar automatisch über dieses Recht.

Arwenack hatte einen Ehrenplatz zu Füßen des Seewolfs und ein eigenes Palmenblatt mit Mango-Früchten und Kokosnüssen erhalten. Sein Interesse an dem Ober-Gibbon, der mit blasierter Miene durch die Menschenansammlung stolzierte und sich hier und da einen Bissen reichen ließ, war erlahmt.

Hasard saß neben dem Inder vor dessen königlicher Hütte. Ihre Sitzgelegenheit bestand aus stuhlähnlichen Holzgestellen, die mit Affenfellen ausgepolstert waren. Das schattenspendende Vordach der Hütte war aus Palmenblättern gefertig wie alles, was die Polynesier auf dieser Insel als Behausung verwendeten.

Wegen der Bordwache auf der „Isabella“ gab es für den Seewolf keine Sorgen. Ben Brighton, so war es vereinbart worden, hatte das Geschehen bei der Ankunft auf der Insel mit dem Spektiv beobachtet. So wußte er also, daß es bislang keine Komplikationen gegeben hatte.

„Ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel“, sagte Charangu nach einer Weile des Schweigens, „aber ich muß es noch einmal zur Sprache bringen …“ Er zögerte.

Hasard blickte ihn gelassen von der Seite an. „Das Mädchen?“

„So ist es, Mister Killigrew.“ Charangu biß ein Stück von einer Papaya-Frucht ab und warf den Rest auf ein hölzernes Tablett, das neben ihm auf einem Hocker stand. Mit einem weißen Tuch betupfte er seine Lippen. „Wissen Sie, es ist mir sehr unangenehm, daß ich dieses Thema nicht unter den Tisch fallen lassen kann. Aber es geht auch darum, daß ich meine Autorität als König dieses kleinen Volkes wahren muß.“

„Ich verstehe“, entgegnete Hasard ruhig und deutete auf die Polynesier, die in unmittelbarer Nähe am Boden hockten. „Eine grundsätzliche Frage: Versteht irgend jemand hier Englisch?“

Für einen Moment verzog Charangu das Gesicht, zwang sich dann aber, sein verbindliches Lächeln fortzusetzen.

„Nein, niemand. Alles, was sie können, haben sie von mir gelernt. Die englische Sprache habe ich ihnen nicht beigebracht. Wozu auch? Diese Insel ist eine Welt für sich. Es gibt keine Verbindung mit dem Rest der Welt.“

„Und woher stammen Ihre Englischkenntnisse, Charangu?“

„Nun, ich habe einiges von der Welt gesehen, bevor ich hierherverschlagen wurde. Und da Englisch beginnt, eine Weltsprache zu werden …“ Er hob die Hände zu einer Gebärde, die für sich sprechen sollte.

„Es klingt geheimnisvoll, was Sie sagen.“ Hasard hatte keine Skrupel, vom eigentlichen Thema abzulenken. Solange der Inder es sich gefallen ließ, bewies er seine Unsicherheit. „Sie sind also nicht freiwillig nach Kahoolawe gelangt?“

„Nein, nein.“ Charangu antwortete eine Spur zu hastig. „Ich bin als Schiffbrüchiger hier gelandet. Die Eingeborenen haben mich aufgepäppelt. Und weil ich für sie ein Wesen aus einer fremden Welt war, haben sie mich zu ihrem König ernannt. Ich konnte nichts dagegen tun. Aber hätten Sie sich an meiner Stelle gesträubt? Ein besseres Leben als jetzt kann ich kaum führen, nicht wahr?“

Hasard zuckte mit den Schultern.

„Jeder trifft seine eigenen Entscheidungen“, sagte er vieldeutig. „Wie lange leben Sie schon hier?“

„Genau weiß ich es nicht. Fünf Jahre, sechs Jahre … Wissen Sie, in der ersten Zeit habe ich mir meinen eigenen Kalender angefertigt. Aber man gewöhnt sich daran, daß man so etwas nicht braucht. Heute lebe ich im gleichen Rhythmus wie die Polynesier, und die richten sich nach dem Mond.“

„Auch nach dieser besonderen Art von Götterverehrung?“

Charangu lachte, und es klang unnatürlich. „Ja, damit wurde ich genauso konfrontiert wie Sie, Mister Killigrew. Sie haben es deutlich zum Ausdruck gebracht wie Sie darüber denken. Ich nehme es Ihnen beileibe nicht übel.“

„Sondern?“

„Ich habe mich mit den Dingen abgefunden, wie sie sind. Die Eingeborenen praktizierten diesen Affen-Kult bereits, als ich hier eintraf. Weil sie mich zu ihrem König ernannten, bin ich der einzige, der die lausigen Kreaturen nicht respektieren muß. Auch darüber bin ich froh. Oder hätten Sie Lust, ständig vor einem dummen Affen auf die Knie fallen zu müssen?“

„Ganz gewiß nicht.“ Hasard glaubte dem Inder kein Wort. Entweder hielt Charangu ihn für reichlich einfältig, oder er war allen Ernstes überzeugt, daß Hasard nicht über genügend Wissen verfügte, um ihn zu durchschauen.

Denn soviel stand für den Seewolf fest: Auf einer Insel in diesen Breiten gab es normalerweise keine Gibbons. Der Inder mußte die Tiere also mitgebracht haben. Zumindest ein Pärchen, das den Grundstock für die zahlenstarke Affen-Population gebildet hatte. Und das wiederum bedeutete, daß Charangu nicht als Schiffbrüchiger angetrieben worden sein konnte.

„Sicher erscheinen Ihnen die Umstände merkwürdig, was Moana betrifft“, sagte der Inder nach einer Weile zögernd.

„Allerdings.“

„Es ist aber nicht so, daß ich aus purem Vergnügen versucht habe, das Mädchen zurückzuholen. Sie ist eine Verbrecherin, wie ich sagte. Ich mußte ein Exempel an ihr statuieren. Wenn ich in solchen Fällen nicht hart durchgreife, könnte ein Chaos entstehen. Ich denke, Sie verstehen das.“

„Was hat sie getan?“

Charangus Antwort folgte prompt. Aber er hatte auch genügend Zeit gehabt, sich diese Antwort zurechtzulegen.

„Sie hat den Mann abgewiesen, der ihr zugeteilt wurde. Es ist hierzulande so wie in vielen anderen Teilen der Welt auch. Die Eltern eines Mädchens wählen für ihr Kind einen Bräutigam aus. Zwischen den Eltern des Mädchens und den Eltern des jungen Mannes wird ein Vertrag abgeschlossen, und daran hat sich gefälligst jeder zu halten. Moana aber entzog sich demjenigen, der ihr bestimmt war. Nur weil sie ihn nicht leiden konnte. Sie ist ein eigensinniges kleines Ding. Ich nehme an, sie war in einen anderen verliebt. Aber auch das ist streng verboten. Kein Mädchen darf vor der Heirat Beziehungen zu einem Mann haben. Sie können sich vielleicht vorstellen, welche strengen Sitten die einfältigen Menschen hier haben. Von mir als König erwartet man natürlich, daß ich in solchen Fällen für Ordnung sorge. Tue ich es nicht, muß ich selbst damit rechnen, daß ich bei meinem Volk in Ungnade falle.“

„Mhm“, brummte Hasard scheinbar verständnisvoll. Er runzelte die Stirn und tat, als denke er angestrengt nach. Schließlich gab er sich einen Ruck. „Wie wäre es, wenn Sie mit meiner Hilfe alles zum besten wenden?“

Charangu zog überrascht die Brauen hoch.

„Wie meinen Sie das?“

„Wir bringen Moana zurück auf die Insel. Dann verkünden wir, daß unser Schimpanse, der ja ein besonders hoher Gott ist, sein Urteil gesprochen hat.“ Hasard mußte sich zwingen, ernst zu bleiben. Er hatte alle Mühe, nicht in Gelächter auszubrechen.

„Und wie soll das Urteil lauten?“

„Unser Gott würde bestimmen, daß Moana den Mann wählen kann, den sie wirklich liebt. Das könnte dann auch für alle Zukunft gelten, so daß es Probleme dieser Art auf Kahoolawe nicht mehr geben würde. Damit wäre doch letzten Endes auch Ihnen gedient, nicht wahr?“

Charangu stützte das Kinn in seine rechte Hand und starrte mit zusammengekniffenen Augen zu Boden.

Hasard hätte viel darum gegeben, jetzt die Gedanken des Inders lesen zu können. Mit Sicherheit wurden seine Schwierigkeiten größer, als sie ohnehin schon waren.

In der Tat geriet Charangu innerlich in wachsende Bedrängnis. Einerseits war das Angebot des Engländers natürlich äußerst verlockend. Auf diese Weise kehrte Moana auf die Insel zurück, ohne daß man große Anstrengungen dafür unternehmen mußte. Und das kleine Schauspiel, was das sogenannte Gottesurteil des fremden Affen betraf, ließ sich leicht inszenieren – dank der Sprachbarriere. Charangu schätzte sich in diesem Moment besonders glücklich, der einzige auf Kahoolawe zu sein, der beide Sprachen beherrschte.

Andererseits aber wurde die Zeit knapp. Nur noch ein Tag blieb bis zur fälligen Auslieferung des Mädchens und der Perlenausbeute. Der Unsicherheitsfaktor waren in diesem Zusammenhang die Engländer. Wenn sie wirklich rechtzeitig verschwanden – in Ordnung. Wenn sie es sich aber noch anders überlegten …

Charangu hob den Kopf.

„Ich bin einverstanden“, sagte er und wußte im selben Moment, daß ihm ohnehin keine andere Wahl blieb.

„Sehr gut!“ rief Hasard mit übertriebener Freude. „Ich lasse Moana so schnell wie möglich zurückbringen, und Sie tun das Ihre, indem Sie den Leuten erklären, was unser Freund Arwenack entschieden hat.“ Er strich lächelnd über den Kopf des Schimpansen. „Wir werden Ihnen in dieser schwierigen Situation selbstverständlich beistehen, Charangu. Ich kenne Naturvölker. Vielleicht akzeptieren sie das, was wir als Gottesurteil bezeichnen, nicht. Deshalb werden wir so lange auf der Insel bleiben und Moana bewachen, bis wir sicher sein können, daß ihr nichts geschieht.“

Charangu beherrschte sich in letzter Sekunde, um nicht seine Fassungslosigkeit zu zeigen. Er hatte das Gefühl, in einen endlosen Abgrund zu versinken. Dieser gottverdammte Fremde hatte ihn hereingelegt. Kaltlächelnd und mit der linken Hand.

„Ich bin Ihnen zu tiefstem Dank verpflichtet, Mister Killigrew“, sagte Charangu dennoch mit überschwenglicher Höflichkeit und einer angedeuteten Verneigung. „Ich weiß Ihr Entgegenkommen sehr zu schätzen.“

Während er sich diese Worte abrang, wurde im eins klar: Es gab nur noch eine einzige Möglichkeit, um die Sache zum Guten zu wenden.

Wenn Moana erst einmal auf der Insel war, mußte sie verschwinden. Spurlos und so schnell wie möglich.

Die Nachmittagssonne brannte vom strahlend blauen Himmel, und der Strand leuchtete in einer gleißenden Helligkeit, die die Augen schmerzen ließ.

Eine Schar von Mädchen war bei den Auslegerbooten eifrig beschäftigt. Helles Lachen und Wortfetzen wehten durch die Luft. Ihre Stimmen klangen fröhlich und ausgelassen – mehr als sonst, denn Moana war wieder unter ihnen. Eilends verluden sie Flechtkörbe und Gerätschaften. Die Mädchen waren nur mit straff gewickelten Hüfttüchern bekleidet, und dennoch wirkten sie dabei natürlich, weil es für sie die selbstverständlichste Sache der Welt war.

Hasard und Siri-Tong saßen auf dem Stamm einer abgestorbenen, umgestürzten Palme.

Dan O’Flynn stand vor ihnen und drehte sich immer wieder zum Strand um. Er trug nur noch eine Leinenhose, die er bis zu den Knien aufgekrempelt hatte. Und er sah ungeduldig aus.

„Jetzt kannst du reden“, sagte der Seewolf. Dan hatte ihn in den vergangenen Stunden mehrmals mit verstohlenen Blicken und Gesten darauf aufmerksam gemacht. Seit die zweite Gruppe der „Isabella“-Crew auf der Insel gelandet war, hatten sie nun zum ersten Male Gelegenheit für ein unbeobachtetes Gespräch.

„Ich konnte mich mit Moana ein wenig verständigen“, sagte Dan hastig und drehte sich abermals um. „Mit der Zeichensprache kann man mehr ausdrükken, als ich für möglich gehalten hätte.“

Unten am Strand schoben die Mädchen das erste Auslegerboot ins Wasser.

„Und?“ drängte Hasard.

Siri-Tong blickte ihn lächelnd an, wurde aber sofort wieder ernst, als Dan O’Flynn fortfuhr:

„Moana hat mir verklart, daß sie sterben sollte. Deshalb ist sie geflohen. Wenn ich richtig verstanden habe, war sie die erste, die das jemals gewagt hat. Vor ihr sind regelmäßig junge Mädchen verschwunden, so ungefähr jeden Monat.“ Er drehte sich erneut um. Die Mädchen schoben das zweite Boot ins Wasser.

„Warum?“ fragte Siri-Tong. „Konntest du in Erfahrung bringen, warum die Mädchen verschwanden, Dan?“

„Nicht genau. Ich glaube, es war so eine Art Ritual. Die Leute mußten jedesmal das schönste Mädchen wählen, mit einer richtigen Abstimmung. Moana redete immer von ‚Kuolai‘. Das muß ein Berg sein, wenn ich richtig verstanden habe. Scheint so, als ob die Mädchen dorthin gebracht wurden. Mehr weiß ich nicht. Nur, daß Moana überglücklich ist. Immerhin haben wir ihr Leben gerettet.“

„Hat sie keine Angst?“ fragte Hasard zweifelnd. „Wir können sie doch nicht dauernd beschützen.“

„Sie glaubt an dieses – Gottesurteil“, entgegnete Dan, „sie glaubt daran, daß unsere Entscheidung durch nichts und niemanden umgestoßen werden kann.“ Er wandte sich um. Alle Auslegerboote waren mittlerweile zu Wasser gelassen worden. „Ich muß ein wenig nach dem Rechten sehen! Bis später!“ Dan hastete los, den Strand hinunter. Beim Laufen klatschte das schwere Entermesser gegen seine Hüfte. Er schnappte sich eins der leichteren Kanus und zog es zum seichten Wasser der Lagune.

„Was vermutest du?“ fragte Siri-Tong.

Hasard zog die Schultern hoch. Auch er hatte mittlerweile sein Hemd abgestreift und ließ seinen muskulösen Oberkörper von der Sonne umschmeicheln.

„Ich bin mir nicht sicher. Möglich, daß dieses Ritual mit Menschenopfern zu tun hat. Auf irgendwelchen Südseeinseln soll es vorkommen, daß sie Menschen in die brodelnden Krater von Vulkanen stoßen. Dadurch sollen die Götter besänftigt werden.“

„Welches Interesse sollte der Inder an solchen Opfern haben?“

„Eben. Das ist es, was mir nicht klar ist. Weshalb brauchen sie ausgerechnet besonders hübsche Mädchen für ein solches Ritual?“

Siri-Tong nickte bedächtig und versank in nachdenkliches Schweigen. Auch der Seewolf hing seinen Gedanken nach. Sinnierend blickte er Dan O’Flynn nach, der das kleine Kanu mit kräftigen Paddelschlägen auf die Lagune hinaustrieb, den Auslegerbooten folgend.

Was Hasard als ein „Gottesurteil“ geplant hatte, war reibungslos abgelaufen. Charangu hatte eine kurze Ansprache an die Polynesier gehalten, nachdem Moana auf die Insel zurückgekehrt war.

Aber was hatte der Inder wirklich gesagt?

Nur Dan O’Flynn konnte das herauskriegen, indem er das Mädchen per Zeichensprache ausfragte.

Von den französischen Freibeutern hatte offenbar keiner einen Fuß auf diese Insel gesetzt. Soviel schien inzwischen festzustehen. Denn alles sah danach aus, daß Charangu der erste Fremde gewesen sein mußte, der jemals auf Kahoolawe aufgetaucht war.

In erster Linie ging es darum, Moanas Leben zu schützen. Das betrachtete Hasard als seine Pflicht, nachdem er sie gerettet hatte. Denn letzteres war nicht geschehen, um sie jetzt einem skrupellosen Ritualmord auszusetzen – falls es sich wirklich darum handelte.

Zum anderen war Hasard mittlerweile versessen darauf, das Rätsel zu lösen, das auf Kahoolawe lastete. Die Menschen lebten hier unter einer ständigen Bedrohung. Und Hasard wurde das Gefühl nicht los, daß diese Bedrohung von niemandem anders als Charangu aufgebaut worden war.

Er würde den Inder aus der Reserve locken. Charangu war nervös geworden. Hasard spürte es.

Mit Siri-Tong und Dan O’Flynn waren Batuti, der Kutscher, Gary Andrews, Matt Davies, der alte O’Flynn, Jeff Bowie, Will Thorne, Big Old Shane und Moses Bill auf der Insel eingetroffen. Die anderen waren auf die Galeone zurückgekehrt, wo Ben Brighton nach wie vor das Kommando führte.

Es hatte erhebliche Mühe gekostet, die Zwillinge ebenfalls an Bord zu halten. Aber Siri-Tong hatte ihren Entschluß schließlich durchgesetzt, und die Söhne des Seewolfs hatten sich beleidigt ins Mannschaftslogis verkrochen. Hasard gab der Roten Korsarin indessen recht. Bei der Ungewißheit darüber, was sich zusammenbrauen konnte, war es zu riskant, wenn sie sich auch noch um die Sicherheit der beiden Jungen kümmern mußten.

In der Beziehung hatten sie mit den eigenwilligen kleinen Burschen zu viele schlechte Erfahrungen hinter sich.

6.

Der Wind hatte merklich nachgelassen. Nur noch mit verhaltener Kraft rollte die Brandung gegen das Korallenriff. Unbewegt und majestätisch lag die „Isabella“ weit draußen vor Anker.

Dan O’Flynn saß auf einer der Bänke des Riffs, die nur knapp über die Wasseroberfläche ragten. Gischtende kleine Wellen umspielten seine Füße, und er genoß die Abkühlung, die dies brachte. Er hatte das Kanu ebenfalls heraufgezogen, damit der empfindliche Rumpf aus Baumrinde nicht im Wellengang beschädigt wurde.

Die Mädchen waren nur einen Steinwurf weit entfernt. Ihre Auslegerboote dümpelten geschützt auf der Innenseite des Riffs, und dort tauchten Moana und ihre Gefährtinnen immer wieder hinunter zu den Muschelbänken. Ein unermeßlicher Reichtum mußte dort in der geringen Tiefe der Lagune ruhen, denn die Körbe der Mädchen füllten sich rasch mit jenen dunklen Muscheln, die die begehrten Perlen in sich bargen.

Dan stützte die Ellenbogen auf die Knie und das Kinn in beide Hände. Versonnen schaute er den Mädchen bei ihrer Arbeit zu. Es war ein faszinierendes Schauspiel, das sie boten. Mit ihren gertenschlanken Körpern verfügten sie über beträchtliche Ausdauer. Neidlos mußte Dan anerkennen, daß er selbst kaum in der Lage war, sie zu übertreffen. Wahrscheinlich hatten sie das Tauchen schon von Kindheit an geübt. Immer wieder zählte er in Gedanken mit, wenn Moana auftauchte, eine Handvoll Muscheln in den Korb in ihrem Boot warf, Luft holte und wieder wegtauchte.

Die Sekunden dehnten sich endlos. Dan schüttelte ungläubig den Kopf. Nur ständige Übung konnte zu solchen Leistungen führen. Und bei den gewandten Bewegungen der Mädchen tauchte in seinen Gedanken der Vergleich mit jenen Meeresbewohnern auf, die die nördlichsten Breiten der Erde bevölkerten. Wie phantastisch war es gewesen, diese unnachahmlich gleitenden und elastischen Bewegungen jener Seehunde und Robben zu beobachten, die eins waren mit dem nassen Element. Diese jungen Polynesierinnen bewiesen, daß auch Menschen sich diesem Element in hohem Maße anzupassen vermochten.

Immer wenn sie auftauchten, waren ihre glockenklaren Stimmen zu hören – fröhlich und ausgelassen. Dabei war es harte Arbeit, die sie leisteten. Dan gelangte zu der Überzeugung, daß ein so heiterer und stets freundlicher Menschenschlag wie hier in der Südsee äußerst selten war.

Aber für was leisteten sie überhaupt diese Arbeit? Weshalb bürdeten sie sich solche Mühe auf? Wenn es stimmte, daß die Bevölkerung dieser Insel noch niemals mit der Außenwelt Verbindung gehabt hatte – zu was brauchten sie dann die Perlen? War es nur, weil sie selbst Gefallen daran gefunden hatten? Wenn ja, dann mußten sie die Perlen irgendwo auf der Insel horten.

Dieser Gesichtspunkt stimmte Dan nachdenklich. Er beschloß, der Frage bei nächster Gelegenheit auf den Grund zu gehen.

Ein Impuls drang plötzlich in sein Bewußtsein vor. Es war eine Bewegung, die er anfangs nur aus den Augenwinkeln heraus wahrnahm. Und dennoch schlugen seine Sinne jäh Alarm.

Dans Kopf ruckte nach links.

Im selben Atemzug erstarrte er. Ihm war, als gefriere das Blut in seinen Adern.

Eine Dreiecksflosse.

Dunkelgrau und drohend schnitt sie durch die leuchtendgrünen Fluten – weniger als eine Kabellänge entfernt.

Dan wollte einen Warnschrei ausstoßen. Doch sein Blick wurde weiter nach links gelenkt.

Drei, vier, nein fünf weitere solcher Flossen, die tödliche Gefahr signalisierten. Ein ganzes Rudel von Haien war durch die Öffnung im Riff in die Lagune eingedrungen.

Dan sprang auf.

„Achtung!“ brüllte er. „Haie!“

Die Mädchen, die gerade aufgetaucht waren und sich an den Booten festhielten, lachten, winkten ihm zu. Sie verstanden ihn nicht. Er selbst war es, der ihre Aufmerksamkeit ablenkte. Und sie begriffen nichts von der mörderischen Gefahr, die ihnen nahte.

„In die Boote!“ versuchte Dan es noch einmal. Dazu gestikulierte er. Vielleicht zu hastig, denn sie reagierten noch immer nicht. Er erreichte nur, daß sie ihr Lachen und Winken abbrachen und verwundert zu ihm schauten.

Dan stieß einen Fluch aus. Sein Blick suchte Moana, doch er konnte sie nicht entdecken. Sie mußte sich noch unter Wasser befinden.

Er spannte die Muskeln. Wieder spähte er in die Richtung, in der er die Haie gesehen hatte.

Der vorderste hatte sich bereits auf eine halbe Kabellänge genähert. Fast hatte es den Anschein, als sondiere er die Lage für seine räuberischen Gefährten. Plötzlich, bevor Dan den Gedanken zu Ende führen konnte, schoß die Dreiecksflosse vorwärts und jagte mit rasch zunehmender Geschwindigkeit auf die Auslegerboote zu.

Das Rudel verharrte weiter entfernt.

Dan O’Flynn überlegte nicht mehr. Er stieß sich ab und schnellte mit kraftvollem Kopfsprung in die schimmernden Fluten.

Zwei Wahrnehmungen bestürmten ihn in dem winzigen Moment, bevor er eintauchte.

Der Entsetzensschrei, den die Mädchen ausstießen.

Und der schlanke Körper des Haies, der jetzt auf gleicher Höhe mit ihm war.

Dan riß die Augen weit auf und unterdrückte das anfängliche Brennen des Salzwassers. Mit zügigen Schwimmbewegungen glitt er knapp unter der Wasseroberfläche voran.

Der Hai hatte ihn bemerkt.

Dan sah, wie sich der mächtige Leib des Raubfischs schlagartig krümmte und seine Richtung änderte.

Reaktionsschnell tauchte der junge O’Flynn auf, holte tief Luft und stieß wieder hinunter.

Das menschenfressende Monstrum schoß auf ihn zu. Dan registrierte die Einzelheiten in grausamer Deutlichkeit: das breite Maul mit den mörderischen Zähnen, die tückisch funkelnden kleinen Augen. Es schien, als grinse das Tier in mörderischer Vorfreude.

Zwar sagte man, daß Haie nur dann angriffen, wenn sie frisches Blut gewittert hatten. Aber darauf wollte Dan sich nicht verlassen. Und dieser furchterregende Bursche sah beim besten Willen nicht so aus, als würde er sich durch eine Handbewegung verscheuchen lassen.

Dan zog das schwere Entermesser aus der Scheide. Noch fünf, sechs Yards. Rasend schnell schmolz die Entfernung zusammen.

Wie ein gigantisches, lebendes Geschoß raste das Tier auf ihn zu.

Dan berechnete den Moment seiner Gegenwehr mit eiskalter Todesverachtung. Er zählte die Sekunden.

Mit einem jähen Schwimmstoß, in den er alle Kraft legte, glitt er abwärts und drehte sich dabei gleichzeitig um die eigene Achse.

Der mächtige Körper glitt über ihn weg. Dan spürte die rauhe Haut des Tiers auf seinen Unterschenkeln.

Blitzschnell stieß er das Entermesser hoch.

Knapp vor der Schwanzflosse fuhr die breite Klinge in den Leib des Hais. Der Körper zuckte. Dunkelrotes Blut faserte wie eine düstere Wolke in das leuchtende Wasser. Die Schwanzflosse bewegte sich peitschend, und das Tier schoß davon.

Dan empfand noch keine Erleichterung. Der Druck, den die knapp werdende Atemluft in seinem Kopf verursachte, zwang ihn zum Auftauchen. Krampfhaft rang er nach Atem, als er über die Wasseroberfläche hinausschoß. Seine Muskeln waren zum Zerreißen gespannt. Er war bereit, wieder hinunterzutauchen und sich dem mörderischen Kampf zu stellen.

Da sah er die Dreiecksflosse, die sich entfernte – zur Öffnung im Riff hin.

Und schlagartig begriff Dan. Der Mörderhai ergriff die Flucht. Die Flucht vor seinen eigenen Artgenossen.

Dort, wo bis eben das Rudel der Haie gelauert hatte, entstand ein Brodeln. Mächtige Flossen peitschten das Wasser, Fontänen stiegen auf. Sie hatten das Blut gewittert, das ihren Tötungsinstinkt weckte. Daß es kein Menschenblut war, bedeutete für die Bestien keinen Unterschied. Und der verwundete Hai hatte die Gefahr mit eben jenem Instinkt gespürt. Aber die Flucht gelang ihm nicht mehr.

Weit vor dem natürlichen Tor des Riffs begann die Lagune zu kochen. Die kristallklaren Fluten färbten sich dunkel, und der Schaum, den die peitschenden Schwanzflossen auf der Wasseroberfläche verursachten, war hellrot.

Mehr war nicht zu sehen. Und dennoch genügte es. Allein die Vorstellung, wie die Haie ihren eigenen Artgenossen in unermeßlicher Freßgier zerfleischten, erregte in Dan O’Flynn ein Gefühl des Grauens. Er wandte sich ab und schwamm zu den Auslegerbooten hinüber.

Die Mädchen hatten sich bereits alle in die Boote gerettet. Mit vor Entsetzen geweiteten Augen blickten sie zu dem Schauplatz des grausigen Geschehens.

Es schien kein Ende zu nehmen. Immer noch brodelte das Wasser, und zeitweise waren Schwanz- oder Rückenflossen der Haie zu sehen.

Dan zog sich in das Boot, in dem Moana mit zwei Gefährtinnen kauerte. Vergessen waren die Fragen, die ihn bewegt hatten. Vergessen all das, über das er sich mit Moana hatte verständigen wollen. Jetzt zählte nur die Tatsache, daß ihr Leben gerettet war.

Moana umarmte den jungen Mann mit einem leisen Aufschrei. Zitternd barg sie ihren Kopf an seiner Schulter, und er strich ihr sanft über das. Haar. Die beiden anderen Mädchen wandten den Blick zur Seite. Sie waren blaß, ihre Gesichter noch immer vom Entsetzen gezeichnet.

„Es ist alles vorbei“, sagte Dan leise, obwohl er wußte, daß Moana ihn nicht verstand. Doch er wußte, daß sie spürte, was er ausdrücken wollte.

Irgendwann, nach endlosen Minuten, war die blutige Freßorgie der Haie vorüber. Die Dreiecksflossen zogen davon, durch das Tor im Riff, und ließen ein blutiges Feld im ruhiger werdenden Wasser der Lagune zurück.

Die Mädchen hatten sich halbwegs von ihrem Schreck erholt. Dan holte das Kanu und kehrte im Pulk der Auslegerboote an den Strand von Kahoolawe zurück.

Dort hatten sich Menschen und Gibbons in heller Aufregung versammelt. Doch als sie alle Mädchen unversehrt sahen, brach ein Sturm der Begeisterung los. Die Polynesier umringten Dan O’Flynn, der Moana im Arm hielt und sich insgeheim wunderte, warum kein eifersüchtiger Bräutigam auftauchte. Doch für solche Gedanken blieb keine Zeit. Frauen behängten Dan mit Blumenkränzen, und die Männer tanzten mit beifälligen Gesten um ihn herum.

In einem wahren Triumphzug geleiteten sie den Retter der Mädchen zurück ins Dorf. Die Männer von der „Isabella“ folgten der Meute mit einigem Abstand. Sie gönnten Dan den Ruhm, den er jetzt auf der Insel genoß. Denn immerhin hatte er nicht mehr und nicht weniger als sein Leben eingesetzt.

Hasard und Siri-Tong, die sich etwas abseits gehalten hatten, waren im Begriff, der Menschenmenge zu folgen.

Unvermittelt erblickten sie den Inder. Er hatte sich an den jubelnden Polynesiern vorbeigedrängt und näherte sich mit gravitätischen Schritten dem Strand. Der seidene Umhang, den er wieder trug, unterstrich sein Gehabe.

Die Rote Korsarin wechselte einen raschen Blick mit dem Seewolf. Sie blieben stehen. Siri-Tong hatte auf Anhieb ein schlechtes Gefühl gehabt, wie sie es nannte. Dieses schlechte Gefühl beschlich sie immer dann, wenn sie Menschen begegnete, die ihr unsympathisch waren, ohne daß sie eine Erklärung dafür hatte. Frauen, so pflegte sie zu erklären, hätten eben ein besonders ausgeprägtes Gefühl dafür, die Wesenszüge von Menschen auf Anhieb einzustufen.

Und Hasard hatte sich schon manches Mal gewundert, wie sehr diese besagten Gefühle Siri-Tongs zutrafen. In bezug auf Charangu war er mit ihr allerdings sofort voll und ganz einig gewesen.

„Einen tapferen jungen Burschen haben Sie da in Ihrer Mannschaft“, sagte der Inder und faltete die Hände vor dem Bauch.

Hasard nickte.

„Er hat getan, wozu er sich verpflichtet fühlte. Und er tat es so schnell, daß ich keine Gelegenheit mehr hatte, ihm zu Hilfe zu eilen.“

Charangu bewegte den Kopf auf und ab, obwohl seine geistesabwesende Miene zeigte, daß er kaum zugehört hatte.

„Es ist seltsam“, murmelte er, „wir haben sonst so gut wie nie Haie hier. Ob die Bestien durch das fremde Schiff angelockt wurden?“

„Sie meinen, durch mein Schiff?“

Charangu schien aus seiner Abwesenheit zu erwachen.

„Oh, Verzeihung, Mister Killigrew. So habe ich das nicht gemeint. Sie verstehen, ich suche eine Erklärung für diesen Zwischenfall. Ich muß mir etwas einfallen lassen. Möglicherweise könnte die Stimmung der Polynesier gegen Sie aufgewiegelt werden, wenn sie sich erst einmal von der Freude erholt haben. Vielleicht glauben diese einfältigen Menschen, daß die Götter zornig seien. Und dann werden sie es womöglich mit einem bösen Omen in Zusammenhang bringen. Ein böses Omen, das sich mit dem Erscheinen des fremden Schiffes in Verbindung bringen ließe.“

„So einen Unsinn würde ich nicht vermuten“, sagte Siri-Tong scharf. Sie ließ den Inder deutlich spüren, daß sie ihn nicht mochte. „Oder wollen Sie damit andeuten, daß es besser wäre, wenn wir die Insel vorzeitig verlassen würden?“

Charangu zuckte zusammen.

„Um Himmels willen, nein! Wie können Sie so etwas vermuten! Ich bitte um Verzeihung, wenn Sie einen solchen Eindruck aus meinen Worten gewinnen mußten.“

„Schon gut.“ Siri-Tong lächelte scheinbar freundlich. Sie kannte alle Überlegungen, die Hasard über Charangu und die merkwürdigen Verhältnisse auf Kahoolawe angestellt hatte. Und geradezu genüßlich fuhr sie fort: „Wir haben uns nämlich gerade überlegt, daß wir noch bis morgen oder übermorgen bleiben werden. Wir werden dann Zeit haben, frisches Wasser an Bord mannen zu lassen und vielleicht auch einige Proviantvorräte. Natürlich werden wir dafür einen Gegenwert an nützlichen Dingen zahlen, die die Leute hier gebrauchen können.“