Kitabı oku: «Seewölfe Paket 10», sayfa 12

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8.

Dan O’Flynn lief im Wolfstrab. Sorgfältig achtete er darauf, seine Atemluft gut zu rationieren. Er hatte die Entführer aus den Augen verloren. Es war ihr Vorteil, daß sie das Gelände besser kannten.

Aber er war absolut sicher, daß er den richtigen Kurs eingeschlagen hatte. Düster und drohend ragten die Felsformationen vor ihm auf – scheinbar zum Greifen nahe und doch noch mindestens eine halbe Meile entfernt.

Im Zentrum des Bergmassivs reckte sich ein Kegelstumpf dem Sternenhimmel entgegen.

Kuolai …

Der Berg der Götter.

Dan erinnerte sich an das, was Moana ihm mühevoll erklärt hatte. Ein Schauer kroch über seinen Rükken. Er dachte an ihre sanfte, verängstigte Stimme und an die geschickten Zeichen ihrer schlanken Hände. Eines erschien ihm immer noch seltsam: Sie hatte zwar unendliche Angst vor diesem grausamen Opferritual empfunden, aber durch nichts hatte sie zu erkennen gegeben, daß sie es als Unrecht betrachtete. Nein, im Denken von Moana und ihren Stammesgefährtinnen waren die Menschenopfer anscheinend ein unabdingbares Schicksal, etwas, mit dem man sich abfinden und es erdulden mußte.

Zorn wallte in Dan O’Flynn auf. Zorn auf Charangu, den indischen Halunken, der die schlichte Mentalität der Menschen von Kahoolawe skrupellos ausnutzte.

Konnte er es allen Ernstes fertigbringen, die Mädchen in den Krater des Vulkans zu stürzen?

Dan begann zu zweifeln. Aber andererseits: Wohin verschwanden die Mädchen, wenn es zwischen dieser Insel und der Außenwelt keinerlei Kontakte gab? Dans Entschlossenheit, das grausame Rätsel zu lösen, wurde übermächtig. Unbändige Willenskraft trieb ihn voran, seine Muskeln arbeiteten wie von selbst, als gehörten sie nicht zu seinem Körper.

Das Gelände stieg jetzt an. Längst lag der Palmenwald hinter ihm. Gras, das bis zu seinen Hüften reichte, war durch einen schmalen Pfad geteilt.

Auch in den Hügeln, die dem Berg vorgelagert waren, setzte sich dieser Pfad fort. Es mußte sich um einen Weg handeln, der ziemlich oft benutzt wurde. Aber von wem? Wenn der Vulkan so etwas wie ein heiliger Berg war, dann galt er bei den Insulanern mit Sicherheit als tabu. Dann durften nur einige Auserwählte hierher vordringen.

Charangu und seine Schergen? Die Werkzeuge, die er sich unter den Polynesiern herangezogen hatte?

Möglich.

Dan brach seine Gedanken ab. Die Hügel forderten seine Kräfte mehr, als es zuvor in der Ebene der Fall gewesen war. Trotzdem gönnte er sich keine Verschnaufpause. Er verringerte lediglich sein Tempo und achtete weiterhin darauf, regelmäßig zu atmen.

Das Felsmassiv war jetzt so nahe, daß es ihn zu erdrücken schien. Es wurde merklich kühler. Eine geradezu bedrohliche Kälte schien von dem Berg auszustrahlen.

Dan überquerte eine flache Hügelkuppe. Nach der dahinterliegenden Senke stieg das Gelände steiler an. Abrupt endete die Vegetation. Doch deutlich war der schmale Paß zu erkennen, auf den der Trampelpfad zuführte. Der Boden unter Dans Füßen war hart und schwarz. Erkaltete Lava? Er hatte keine Zeit, es zu ergründen.

Im Paß hallten seine Schritte hohl. Zu beiden Seiten ragten die Felswände senkrecht auf. Dan hatte das Gefühl, sich in der Tiefe eines Schachts zu befinden, aus der es kein Entrinnen gab.

Nach etwa dreihundert Yards wichen die Felswände zurück und öffneten sich zu einem Plateau hin, das sich schwarz glänzend im Mondlicht ausdehnte. Am jenseitigen Ende des Plateaus ruhte der Kegelstumpf des Vulkans wie ein Koloß, der nur darauf wartete, zum Leben zu erwachen und den Tod zu bringen.

Dan schätzte die Entfernung auf nochmals dreihundert Yards. Er war sicher, daß er dort vorn auf einen mühelosen. Aufstieg zum Rand des Kraters stoßen würde.

Abermals beschleunigte er seine Schritte.

Die Hälfte der Entfernung schaffte er.

Aus der Dunkelheit am Fuß des Vulkans lösten sich Schatten. Sie wurden regelrecht ausgespien.

Fächerförmig schwärmten sie aus, nur als menschliche Silhouetten erkenntlich. Ihre Bewegungen waren leichtfüßig und elastisch.

Dan O’Flynn prallte zurück.

Geduckt blieb er stehen.

Kein Zweifel, daß sie versuchten, ihn einzukreisen. Und sie würden leichtes Spiel damit haben. Denn es waren neun oder zehn Männer. Eine erdrückende Übermacht.

Dans Rechte tastete zum Griff des Entermessers, das an seiner Hüfte baumelte.

Die Bewegungen der Männer wurden langsamer. Aber es lag kein Zögern in diesen Bewegungen. Auf Steinwurfweite waren sie herangenaht, und ihre Haltung hatte etwas Abtastendes, Lauerndes. Einen Halbkreis hatten sie bereits geformt. Wie ein Rudel Wölfe, das sein Opfer sicher wähnte. Und bei der ersten Nervenschwäche, die das Opfer zeigte, würden sie zustoßen.

Dan zog das Entermesser aus der Scheide. Hell schimmerte die breite Klinge im fahlen Mondlicht. Er wußte, daß seine Chancen gering waren. Dennoch befiel ihn eine eisige Ruhe – wie stets in jenen Situationen, deren Endpunkt nur Leben oder Tod sein konnte.

Daß sie ihn diesmal töten würden, stand fest. Diese Polynesier, die Moana entführt hatten, mußten von Charangu zu hirnlosen Instrumenten abgerichtet worden sein.

Dan konnte es ihnen nicht einmal vorwerfen, daß sie in ihrer Mordlust keine Grenzen kennen würden. Aber er konnte sie auch nicht schonen. Einige von ihnen würden sterben, bevor er selbst auf die letzte Reise ging.

Über eins fand er eine seltsame Art von Enttäuschung: Er hatte sich stets vorgestellt, daß er Schiffsplanken unter den Füßen haben würde, wenn die Zeit für ihn gekommen war. Ja, solche Gedanken hatte er gehegt, trotz seiner jungen Jahre. Denn allzu oft hatten sie auf der „Isabella“ dem Tod ins blanke Auge geblickt.

Doch jetzt war alles anders als in seiner Vorstellungswelt. Der Tod erwartete ihn in einer fremden und unwirklichen Umgebung.

Auch die Polynesier zogen jetzt ihre Messer. Sie taten es langsam, als hätten sie grenzenlose Zeit.

Ebenso langsam schlossen sie den Ring enger um Donegal Daniel O’Flynn.

Er fühlte sich so einsam wie nie zuvor in seinem Leben.

Auch darüber empfand er Bitterkeit. Denn auch dies hatte er sich anders vorgestellt – Seite an Seite mit seinen Kameraden, furchtlos lachend im wilden Kampfgetümmel –, das war ein würdiger Moment für einen Mann, zu sterben.

Nicht dies.

Die Südseite der Insel Kahoolawe ragte wie ein Spitzkeil in die See. In der Dunkelheit wirkten die dichten Palmen, die nur durch einen schmalen Streifen Strand vom Wasser getrennt waren, wie eine feste Wand.

Über Steuerbordbug segelnd, glitt die „Isabella“ mit ausreichendem Abstand vom Riff durch die ruhige See. Leise rang der Wind in Wanten und Pardunen. Rahen und Blöcke ließen nur ein verhaltenes Knarren hören.

Ben Brighton und Siri-Tong hatten ihren Platz auf dem Quarterdeck beibehalten. Aufmerksam spähte die Rote Korsarin zum Korallenriff, das sich durch die weiße Linie der schäumenden Brandung deutlich abzeichnete.

In kurzen Abständen gab Ben dem Rudergänger Kurskorrekturen. An Deck standen die Männer an den Brassen und warteten voller Spannung auf die Befehle Ben Brightons.

Das Gefühl, das sie alle gepackt hatte, war anders als in allen Seeschlachten, die hinter ihnen lagen. Meist war es so gewesen, daß sie gewußt hatten, mit welcherart Feind sie es zu tun kriegten. Einer Gefahr ins Auge zu schauen, die man kannte, war nun einmal leichter. Doch was sie östlich der Insel Kahoolawe erwartete, war mehr als ungewiß.

Vielleicht nur gähnende Leere.

Doch daran glaubte niemand an Bord der Galeone so recht. Etwas Unheimliches strahlte von diesem düsteren Vulkan aus, der Kahoolawe überschattete. Eine Gefahr formte sich daraus, die nicht greifbar zu sein schien.

Edwin Carberry verschaffte seinen Gefühlen Luft.

„Steht nicht herum wie belämmerte Schafe!“ grollte er. „Was ist los mit euch lausigen Bilgenratten? Was, zum Teufel, hat euch die Sprache verschlagen, daß ihr eure Affenärsche zusammenkneifen müßt, als ob …“

„Mister Carberry!“ rief Siri-Tong. Mehr nicht.

Der Profos, der in der Nähe des Großmastes stand, duckte sich unwillkürlich.

„Verzeihung“, brummte er mehr zu sich selbst, „hab vergessen, daß wir immer noch Minderjährige an Bord haben.“ Aber eines Tages, wenn die beiden kleinen Stinte ausgewachsen waren, dann würde er kein Blatt mehr vor den Mund nehmen. Das schwor er sich in diesem Moment.

Hasard junior und Philip junior kauerten in andächtigem Schweigen auf dem Vorkastell. Sie wußten es zu schätzen, daß sie ausnahmsweise Erlaubnis hatten, in einer unklaren Situation an Deck sein zu dürfen. Und ebenso wußten sie, daß sie bei Gefahr im Verzug schleunigst ins Mannschaftslogis zu verschwinden hatten. So verharrten sie mucksmäuschenstill – in der leisen Hoffnung, daß man bei etwaigem Getümmel vielleicht doch ihre Anwesenheit vergaß.

Die weiße Brandungslinie des Riffs schwang in weitem Bogen nach Osten. An Backbord blieb die Südspitze der Insel zurück.

Eine halbe Kabellänge vom südlichen Riff entfernt ließ Ben Brighton Ostkurs steuern. Die „Isabella“ krängte weiter nach Steuerbord und gewann zusätzliche Fahrt.

Die Ostseite der Insel schob sich langsam ins Blickfeld.

Unablässig beobachtete Ben Brighton die Lagune und den Strand durch das Spektiv.

An Bord war es wieder still geworden. Angespannt starrten die Männer auf die See hinaus. Silberne Fäden, vom Mond- und Sternenlicht hervorgerufen, schienen sich im schwachen Wellengang zu bewegen.

„Deck!“ ertönte plötzlich Bills Stimme aus dem Großmars. „Zweimaster Backbord voraus vor Anker! Entfernung drei bis vier Kabellängen!“ Diesmal vergaß der Moses sogar die Vokabel „Wasserfahrzeug“, auf die er zuvor so stolz gewesen war.

Ben Brighton hatte Bills Entdekkung im selben Moment geortet. Durch die hervorragende Optik des Spektivs erschien das Schiff als scharfgezeichneter Schattenriß.

Es zeigte keine Flagge. Auch waren alle Lampen an Bord gelöscht. Einwandfrei zu erkennen war, daß es sich um einen Rahsegler handelte. Eine merkwürdige Konstruktion, die mit dem europäischen Standard des Schiffbaues wenig gemein hatte. Die Aufbauten waren flach, der Rumpf aber eher plump als schnittig. Der Konstrukteur schien sich nicht ganz im klaren darüber gewesen zu sein, ob er höherer Tonnage oder größerer Geschwindigkeit den Vorzug geben sollte. Auf dem Achterdeck befand sich ein kastenförmiges Ding. Es sah aus, als ob sie kurzerhand eine Hütte aus einem Eingeborenendorf gepflückt und mit dem Hebebaum an Bord gehievt hatten. Das war anscheinend die Unterkunft für Kapitän und Mannschaften gleichermaßen.

Ben Brighton schätzte das Schiff auf knapp hundert Tonnen. Er ließ das Spektiv sinken und gab Befehl, Großsegel und Focksegel zu bergen. Kurz darauf auch das Blindesegel.

Mit katzenhafter Gewandtheit enterten die Männer in den Wanten auf. Knappe Kommandos wurden laut, und jetzt beschränkte sich auch Edwin Carberry auf das Notwendige.

„Pete, fünf Strich Steuerbord“, befahl Ben Brighton.

„Aye, aye, fünf Strich Steuerbord“, wiederholte Pete Ballie und legte Ruder.

„Anbrassen, ihr Heringe!“ brüllte der Profos auf dem Hauptdeck. Die Männer bewegten sich geschickt und blitzschnell. Carberrys Gebrüll störte sie dabei nicht. Jeder Handgriff saß, und jeder Mann wußte selbst in der größten Wuhling haargenau, wo er zupacken mußte. Auch bei Dunkelheit wie jetzt.

Die „Isabella“ gewann mehr Abstand vom Riff, glitt aber noch immer in spitzem Winkel auf das ankernde fremde Schiff zu.

Siri-Tong hatte ebenfalls ein Spektiv ans Auge gesetzt.

„Was für ein Landsmann könnte das sein?“ fragte Ben Brighton, der neben ihr an die Backbordseite der Balustrade getreten war.

„Kein Chinese“, erwiderte die Rote Korsarin. „Ich vermute, daß es sich um einen polynesischen Segler handelt. Im Gebiet der mikronesischen Inseln soll es eine Menge Halunken zur See geben, die plündernd und brandschatzend von Insel zu Insel ziehen. Vielleicht ist es ein solches Schiff, das sich bis hierher in die Hawaii-Inselgruppe vorgewagt hat. Womit bewiesen wäre, daß der merkwürdige Inder wüst gelogen hat.“

„Dieser Charangu?“ sagte Ben Brighton, der über die Zusammenhänge noch nicht vollends auf dem laufenden war.

Siri-Tong nickte. „Er hat behauptet, es gäbe von Kahoolawe keine Kontakte zur Außenwelt und die jungen Mädchen und die Perlenausbeute würden den Göttern geopfert.“

„Mhm“, entgegnete der Erste Offizier, „was die Piraten – wenn es welche sind – mit den Perlen anfangen, ist mir klar. Aber mit den Mädchen?“

Die Rote Korsarin ließ das Spektiv sinken. „Ben! Tust du nur so ahnungslos, oder bist du es wirklich?“

Er zuckte mit den Schultern und wiegte verlegen den Kopf. In Gegenwart einer Lady mochte er sich nicht gern darüber äußern, was seine Vermutungen waren.

Siri-Tong hob das Spektiv von neuem.

„Ben!“ rief sie halblaut, ohne den Kieker abzusetzen. „Bei denen rührt sich etwas an Bord! Sie versuchen, sich dabei zu verstecken, aber ihr Schanzkleid ist eine Idee zu flach!“

Ben Brighton beobachtete das Schiff genauer, und dank der präzise geschliffenen Optik sah auch er es jetzt. Nur vereinzelt waren die gekrümmten Rücken von hin und her huschenden Männern zu erkennen, die sich hinter dem niedrigen Schanzkleid bewegten.

Und noch eins sah Ben Brighton: Die Geschütze an der Backbordseite des Zweimasters standen in offenen Pforten. Es gab keine Luken. Ben zählte insgesamt vier Rohrmündungen. Neunpfünder bestenfalls. Geradezu lächerlich, verglichen mit der Bestückung der „Isabella“, die über je acht Siebzehn-Pfünder-Culverinen an Backbord und Steuerbord verfügte.

Ben faßte einen schnellen Entschluß. Nach der Kursänderung betrug die Entfernung noch etwa drei Kabellängen. Die kleinen Geschütze des Zweimasters konnten auf diese Distanz keinen großen Schaden anrichten, zumal sie in der Dunkelheit mit dem Zielen beträchtliche Schwierigkeiten haben würden.

Daß die Kerle auf dem Zweimaster sich auf ein Gefecht vorbereiteten, schien indessen offensichtlich.

Ben Brighton ließ beidrehen und das restliche Tuch aufgeien. Die Galeone verlor rasch an Fahrt und zeigte dem unbeleuchteten fremden Segler nun die Backbord-Breitseite.

„Alle Mann auf Gefechtsstation!“ befahl Ben halblaut. „Backbordgeschütze klar zum Gefecht! Und schafft mir die Jungen unter Deck!“ Er lächelte bei dem Gedanken, welche Enttäuschung die Söhne des Seewolfs jetzt wohl empfanden.

„Sie lichten den Anker“, meldete Siri-Tong, die nach wie vor den Zweimaster durch das Spektiv beobachtete. „Gleich werden sie Segel setzen und versuchen zu verschwinden. Auf alle Fälle müssen sie vor Schreck den Verstand verloren haben, wenn sie es auf eine Auseinandersetzung mit uns ankommen lassen wollen.“

„Jemand, dem der Schreck in die Glieder fährt, tut oftmals etwas, was er normalerweise nicht einmal im Traum tun würde“, sagte Hasards Stellvertreter.

An Deck arbeiteten die Männer zügig, doch ohne Hast. Die Geschützmannschaften klarierten die Culverinen an Backbord und justierten die Geschütze, nachdem sie die überlangen Rohre mit den von Al Conroy berechneten Pulvermengen und den Siebzehn-Pfünder-Kugeln geladen hatten. Al verteilte die Lunten an die einzelnen Geschütze. Aus der Kombüse hatte der Kutscher unterdessen ein Kohlenbecken mit Glut zum Zünden der Lunten herangeschafft. Die anderen stellten Wassereimer an Deck auf und streuten Sand auf den Planken aus.

„Schiff klar zum Gefecht!“ meldete Al Conroy schließlich. Er selbst hatte hinter der vordersten Culverine an Backbord Stellung bezogen. Die Taktik, die Ben Brighton beabsichtigte, war ihm klar. Ben war auf Fairneß bedacht und wollte einem ankernden Schiff gegenüber nicht den Vorteil größerer Beweglichkeit ausspielen. Und überdies war die jetzige Position der „Isabella“ für den fremden Zweimaster ein eindeutiges Warnsignal. Wenn der Fremde es unter diesen Umständen auf einen Kampf ankommen ließ, mußte er entweder nicht ganz bei Trost sein oder tatsächlich die verrückte Hoffnung hegen, noch das Weite suchen zu können.

Al Conroy hatte dies kaum zu Ende gedacht, als es drüben an der Breitseite des Zweimasters aufblitzte.

Ein Orgeln war zu hören, und im nächsten Atemzug rollte der Geschützdonner herüber.

Weit vor der Galeone klatschte die Kugel wie ein schlapper Beutel ins Wasser.

Al Conroy konnte nur den Kopf schütteln.

Abermals ein Mündungsblitz und wieder das gleiche Ergebnis. Spätestens jetzt mußten die Kerle begriffen haben, daß sie keine Chance hatten.

„Stückmeister!“ rief Ben Brighton.

„Sir?“

„Schick ihm einen Gruß vor den Bug, damit er klarere Gedanken kriegt!“

„Aye, aye, Sir!“ Al Conroy sprang auf, justierte das Rohr seiner Culverine und zündete die Lunte.

Das Zündpulver begann Funken zu sprühen. Und jäh stieß ein Feuerstrahl aus dem überlangen Rohr. Die Brooktaue fingen das zurückstoßende Geschütz auf. Eine Wolke von Pulverrauch wehte auf die See hinaus.

Gespannt beobachteten Ben Brighton und Siri-Tong den Zweimaster durchs Spektiv.

Haarscharf vor dem Bug riß Al Conroys Kugel eine hohe, weißschäumende Fontäne aus dem Wasser. Wieder hatte der Stückmeister der „Isabella“ bewiesen, welch ein Könner er auf seinem Gebiet war. Die anderen klopften ihm begeistert auf die Schulter.

Doch wenn sie geglaubt hatten, daß die Crew des Zweimasters zur Einsicht gebracht war, so hatten sie sich getäuscht.

Drüben wurden die Segel gesetzt, gleichzeitig blitzten von neuem Mündungsfeuer auf. Jetzt waren sie offenbar entschlossen, sich dem offenen Kampf zu stellen.

Ben Brighton dachte nicht daran, sie Fahrt gewinnen zu lassen.

Er würde den Zweimaster auf der Stelle festnageln.

9.

Ein unterdrückter Schrei war plötzlich zu hören.

Augenblicklich verharrte der Seewolf, denn seine und die Schritte seiner Männer hallten zwischen den Felswänden des Passes überlaut. Batuti, Matt und Jeff brachten ihn fast zu Fall, als sie gegen Hasards breiten Rücken prallten. In der Tat war es hier so dunkel, daß sie kaum die eigene Hand vor Augen sehen konnten.

„Still!“ zischte der Seewolf.

Und jetzt hörten sie es deutlich.

Unterdrückte Laute. Keuchen. Scharrende Schritte. Ein Kampf.

Hasard stürmte weiter, ohne noch Zeit für einen Befehl zu verlieren. Die anderen folgten ihm. Er wußte es. Denn sie hatten genauso begriffen wie er.

Als sie das schwarze Plateau erreichten, traf sie der Anblick wie ein Schock.

Eine wilde Meute hatte Dan O’Flynn umzingelt. Messer blitzten. Im Mondlicht waren die Angreifer wie Schatten. Irgendwo lag eine Gestalt am Boden, irgendwo hinter dem Ring, den sie um Dan geschlossen hatten. Und er kämpfte wie ein Löwe – mit jener Entschlossenheit, die nur ein Mann an den Tag legt, der seinen sicheren Tod vor Augen hat.

Der Seewolf stürmte auf die Meute der Angreifer los.

Batuti, Matt Davies und Jeff Bowie schwärmten aus und hetzten mit langen Sätzen voran.

Hasard und der Gambianeger zogen die Entermesser.

Matt und Jeff brauchten keine Waffen. Die spitzgeschliffenen Haken ihrer Armprothesen funkelten.

„Dan!“ brüllte der Seewolf, als sie noch zwanzig Schritte entfernt waren.

Die Polynesier wirbelten erschrokken herum. Zu sehr hatten sie sich auf den ungleichen Kampf konzentriert.

Dan O’Flynn, von den Spuren des Kampfes deutlich gezeichnet, stieß einen Freudenschrei aus. Und in blitzschneller Reaktion streckte er einen der Gegner nieder, der ihm in der Verwirrung zu nahe geraten war.

„Ar – we – nack!“ brüllte der Seewolf, und die anderen stimmten mit ein.

„Ar – we – nack!“ Der Kampfruf der „Isabella“-Crew hallte wie ein Brausen über das Plateau.

Die Polynesier erschauerten. Doch es gab kein Zurück für sie. In verzweifelter Gegenwehr stellten sie sich zum Kampf. Allein der Anblick der Männer wirkte demoralisierend auf sie. Dieser schwarzhaarige Riese mit den eisklaren hellen Augen, der herkulische Neger und die beiden Männer mit den furchterregenden Stahlhaken anstelle von Händen – genug, um Charangus Handlanger ins Entsetzen zu treiben.

Hasard und seine Männer zerschlugen den messerbewehrten Kreis um Dan O’Flynn beinahe mühelos. Trotz aller Wut bemühten sie sich, den Polynesiern gegenüber fair zu bleiben und sie nicht für das bezahlen zu lassen, was Charangu an ihnen verbrochen hatte.

Hasard und Batuti schlugen mit den platten Seiten der Entermesser zu, und Matt Davies und Jeff Bowie benutzten ihre Stahlhaken mehr als Drohmittel, während sie die Gegner mit ihren gesunden Fäusten niederstreckten.

Innerhalb weniger Minuten war der Kampf entschieden. Charangus Männer lagen in schöner Gemeinsamkeit langgestreckt auf dem schwarzen Gestein. Alle, hatten sie Blessuren davongetragen, doch sie waren nicht so schwer verletzt, daß sie es nicht überstehen würden.

„Himmel“, sagte Dan O’Flynn keuchend, „ich habe schon meinen eigenen Untergang vor Augen gesehen.“

„Dich kann man nie allein lassen“, sagte Batuti dröhnend, und deutliche Erleichterung klang aus seiner Stimme. Dann schlug er ihm mit der flachen Hand auf die Schulter, daß Dan in die Knie ging.

Rasch untersuchte Hasard die Schnittwunden, die Dan an den Armen davongetragen hatte. Es waren keine tiefen Wunden.

„Wo ist das Mädchen?“ fragte der Seewolf.

Dan deutete mit einer Kopfbewegung zum Kegelstumpf des Vulkans.

„Die Kerle kamen von dort.“

„Sehen wir nach“, sagte Hasard, „reicht es, wenn wir dich später verarzten?“

„Klar“, versicherte Dan grimmig.

Als sie losstürmten, klang rollender Geschützdonner von der See herauf.

Noch versperrte der Berg ihnen die Sicht. Aber Hasard und seine Männer konnten sich in etwa vorstellen, was sich an der Ostseite der Insel abspielte – an diesem Teil von Kahoolawe, der für die Polynesier offenbar tabu gewesen war.

Dan wies Hasard und den anderen die Richtung. Er hatte sich die Stelle eingeprägt, an der Moanas Entführer aufgetaucht waren, um ihn zu töten.

Als sie den Fuß des Vulkankegels erreichten, hatte sich der Geschützdonner verstärkt. Deutlich erkannten sie den sonoren Klang der Siebzehn-Pfünder-Culverinen, die in fast regelmäßigen Abständen abgefeuert wurden. Die anderen Geschütze klangen heller.

Das Gefecht trieb Hasard und seine Männer zur Eile an. In ihnen brannte die Ungewißheit darüber, was dort unten vor der Insel geschah.

Der Aufstieg zum höchsten Punkt des Vulkans gestaltete sich fast mühelos. Die Steigung war nur mäßig, denn ein natürlicher Grat im Fels führte schräg nach oben.

Schon wichen die angrenzenden Bergformationen zurück, und sie konnten bereits die weite Wasserfläche der See erkennen. Noch war ihnen aber der Blick auf die östliche Lagune verwehrt.

Das Donnern der Geschütze wurde spärlicher.

Nur noch wenige Yards trennten den Seewolf und seine Männer vom Rand des Kraters.

Eine schneidende Stimme stoppte ihre Schritte jäh ab.

„Bleibt, wo ihr seid, Engländer! Oder sie stirbt auf der Stelle!“

Hasard und den anderen gefror das Blut in den Adern.

Charangu war hinter einem etwa doppelt mannshohen Felsturm hervorgetreten, der wie ein überdimensionaler Finger über den Kraterrand hinausragte. Vor dem Felsturm, der ein erstklassiges Orientierungszeichen sein konnte, weitete sich der Kraterrand zu einer kleinen Felsplattform von kaum mehr als zehn Quadratyards.

Der Inder hielt das Mädchen in eisenhartem Griff. An seinem rechten Arm, den er um ihren Hals geschlungen hatte, schimmerte das matte Metall des Eisenreifs. In der Linken hielt er seinen Krummdolch, dessen rasiermesserscharfe Spitze auf Moanas Herzgegend gerichtet war.

Trotz des Halbdunkels sahen Hasard und die anderen, daß das Mädchen kreidebleich war. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie den Männern entgegen, und in diesen Augen las Hasard die Todesangst, die sie fast um den Verstand brachte.

Die Entfernung war lächerlich gering. Höchstens drei oder vier Schritte.

„Verdammter Mist!“ flüsterte Matt Davies kaum hörbar. „Wenn ich jetzt könnte, würde ich dem Kerl den Hals umdrehen!“

Das Krachen der Geschütze versiegte mehr und mehr. Stille kündigte sich an.

Hasard bewegte sich vorsichtig. Langsam setzte er den rechten Fuß vor. Weder den Radschloßdrehling noch das Entermesser konnte er jetzt ziehen. Beides hätte Moanas sicheren Tod bedeutet.

„Keinen Schritt weiter!“ schrie Charangu mit sich überschlagender Stimme. Sein Gesicht war in ohnmächtiger Wut verzerrt. Das fahle Mondlicht verursachte häßliche Schatten unter seinen funkelnden Augen und in den Mundwinkeln.

Die Spitze des Krummdolches erreichte Moanas Brust unter dem dünnen Stoff, mit dem sie bekleidet war.

Das Mädchen stieß einen gurgelnden Laut aus. Unter dem harten Griff des Inders wurde ihre Atemluft knapp.

Hasard verharrte.

„Tut, was er sagt“, befahl er seinen Begleitern laut und vernehmlich. „Rührt euch nicht vom Fleck!“ Er verfluchte die Tatsache, daß er seinen Drehling nicht gezogen hatte. Mit einem gezielten Schuß hätte er es schaffen können, Charangu außer Gefecht zu setzen, bevor er das Mädchen verletzen konnte.

„So ist es gut!“ schrie der Inder höhnisch. „Und jetzt werdet ihr eure Waffen fallen lassen. Einer nach dem anderen. Und dann …“

„Charangu“, unterbrach der Seewolf ihn beinahe beschwörend, „können Sie nicht begreifen, daß es keinen Sinn mehr hat? Haben Sie nicht gehört, was sich da unten vor der Insel abgespielt hat?“

„Ich bin nicht taub!“ schrie der Inder mit sich überschlagender Stimme. „Aber ihr werdet mir freies Geleit verschaffen. Wenn nicht, muß das Mädchen sterben.“

„Freies Geleit – wohin?“ entgegnete Hasard ruhig.

Charangu lachte unnatürlich und schrill.

„Das möchtest du gern wissen, Engländer, stimmt’s? Aber ich werde es dir nicht verraten, weil ich genug habe von deinen widerwärtigen Tricks. Und nun Schluß mit dem Gerede! Die Waffen weg!“

Der Seewolf nickte, und es sah fast gelassen aus. Daß er innerlich bis zum Zerreißen angespannt war, konnte man ihm nicht ansehen.

„Batuti“, sagte er, „du machst den Anfang. Tritt vor, damit es unser Freund Charangu deutlich sehen kann.“

„Aye, aye, Sir.“ Batuti war im Begriff, der Anordnung zu folgen.

„Halt!“ schrie der Inder. „So nicht! Ich habe nicht gesagt, daß …“

Was er noch sagen wollte, blieb ihm im Hals stecken.

Hasard nutzte die momentane Verwirrung.

Mit einem pantherhaften Satz schnellte er auf den Inder los.

Und Charangu überwand seine Schrecksekunde nicht schnell genug.

Der Seewolf brauchte nur einen Sekundenbruchteil, um Charangu zu erreichen. Zielsicher packte er das Handgelenk mit dem Krummdolch und riß es mit eisenhartem Ruck zur Seite.

Moana schrie gellend auf.

Charangu brüllte vor Schreck und Schmerz zugleich. Unter dem Anprall des Seewolfs geriet er ins Taumeln und lockerte ungewollt den Griff um Moanas Hals.

Mit versiegendem Schrei sank das Mädchen zu Boden.

Hinter ihr schlugen Charangu und der Seewolf der Länge nach hin.

Blitzartig war Dan O’Flynn zur Stelle, packte Moana, zog sie auf die Beine und hastete mit ihr aus der Gefahrenzone.

Für einen Moment hatte Hasard den Inder unter sich begraben. Hasards Rechte hielt noch immer den Messerarm. Charangu versuchte, sich aus dem Griff zu entwinden. Der Klingenstahl des Krummdolchs schabte über den felsigen Untergrund.

Mit jähem Ruck richtete sich Hasard halb auf, riß Charangus Arm hoch und drehte ihn nach hinten.

Der Inder stieß einen markerschütternden Schmerzensschrei aus.

Klirrend fiel der Krummdolch zu Boden.

Hasard stieß sich von dem Turbanmann ab und richtete sich auf. Nur zwei Schritte wich er zurück.

Charangus Schrei ging in ein Stöhnen über. Mit der unversehrten Rechten hielt er sich den schmerzenden linken Arm. Er dachte nicht mehr an den Krummdolch und versuchte nicht, ihn aufzuheben. Mühevoll beugte er sich vor, stützte sich ab und gelangte torkelnd auf die Beine.

Minutenlang stand er schwankend da. Aus blutunterlaufenen Augen starrte er den Seewolf an. Nach und nach wurde die Körperhaltung des Inders ruhiger.

Hasard wartete ab. Auch die Männer hinter ihm gaben keinen Ton von sich.

Der Geschützdonner war endgültig verstummt. Die Stille, die über der Insel lastete, hatte etwas Unnatürliches.

„Geben Sie auf, Charangu“, sagte der Seewolf ruhig, „es hat keinen Sinn mehr.“

Jäh verzerrte sich das Gesicht des Inders wieder zu einer haßverzerrten Fratze. Sein linker Arm hing kraftlos nach unten.

Er stieß einen wilden Wutschrei aus, riß die Rechte mit dem Eisenreif hoch und stürmte ohne erkennbaren Ansatz auf den Seewolf los.

Für Hasard war der Angriff überraschend. Doch reaktionsschnell duckte er sich unter dem sausenden Hieb. Charangus Handgelenk mit dem Eisenreif zischte haarscharf an seinem Kopf vorbei.

Aus der Bewegung heraus schnellte Hasard hoch und schmetterte die Fäuste vor den Brustkorb des Inders.

Charangu schrie wieder auf und wurde zurückgeschleudert. Mit den Armen rudernd, versuchte er, sein Gleichgewicht zu halten. Er geriet ins Stolpern und wurde durch seinen eigenen Körperdrall zu immer kleineren Rückwärtsschritten gezwungen.

Hasard erstarrte. Einen Atemzug lang glaubte er, sein Herzschlag setze aus.

Dann schnellte er vorwärts und versuchte, den Inder zu packen.

Zu spät.

Die Fäuste des Seewolfs griffen ins Leere.

Charangu kippte hintenüber. Aber es war kein Boden mehr unter ihm, der seinen Fall aufhielt.

Weit hallend und schrill ertönte sein Todesschrei, als er über den Rand des Kraters stürzte.

Der Schrei schien nicht enden zu wollen.

Starr vor Entsetzen standen Hasard und seine Männer am Rand des Vulkantrichters. In der Tiefe verschmolz der Schatten des Inders mit der Dunkelheit. Weit unten loderte eine hellrote Glut, unerreichbar tief.

Der Schrei versiegte.

Erst jetzt sahen die Männer, wie groß der Krater war – mehr als zweihundert Yards im Durchmesser.

Schweigend wandten sie sich ab. Dan O’Flynn hielt das zitternde Mädchen in seinen Armen.