Kitabı oku: «Seewölfe Paket 10», sayfa 3

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Carberry senkte das Haupt, beäugte den Bewußtlosen wütend und sagte: „Darüber unterhalten wir uns noch ausführlich, wenn du wieder bei dir bist, Freundchen. Dan O’Flynn, der ja ein paar Brocken Französisch kann, wird dann den Dolmetscher spielen. Nicht wahr, Dan, das wirst du doch, was?“

„Ich kann meinem Freund Carberry doch so eine Bitte nicht abschlagen“, erwiderte Dan O’Flynn, aber der Profos überhörte glatt den spöttischen Unterton, den seine Stimme dabei hatte.

„Sir!“ rief Batuti ins Dickicht. „Was ist mit anderes Mann, Sir?“

„Den hat es voll erwischt“, gab der Seewolf zurück. „Der wird nie wieder auf jemanden schießen können. Die Kugel hat seine Brust getroffen. Batuti!“

„Sir?“

„Du fesselst den Ohnmächtigen und paßt auf ihn auf. Wir anderen setzen jetzt unseren Weg fort und suchen das Mädchen. Hoffentlich kommen wir nicht schon zu spät.“

Wie eine Bestätigung seiner schlimmsten Befürchtungen drang in diesem Moment wieder ein heller, in höchster Angst ausgestoßener Schrei an ihre Ohren – der Schrei eines Mädchens.

Louis war den schätzungsweise zwei Yards hohen Hang hinabgesprungen, war im Dickicht gelandet und hetzte hinter der aufspringenden Alewa her, als am Strand in rascher Folge die Schüsse krachten. Er schlug die Zweige und Blätter mit den Händen auseinander und paßte auf, daß er sich nirgends mit den Füßen verfing oder über eine Wurzel stolperte. Er war ihr dicht auf den Fersen und konnte sie zwischen den wippenden Zweigen laufen sehen.

Dann strauchelte sie plötzlich. Louis holte auf, der Vorsprung, den Alewa eben noch gehabt hatte, schrumpfte auf ein Nichts zusammen. Ehe sie ihren drohenden Sturz abfangen und sich wieder aufrichten konnte, war der Pirat über ihr, warf sie zu Boden, kniete sich auf sie und hielt ihre Arme fest, so daß sie ihn diesmal nicht kratzen konnte. Alewa lag dieses Mal außerdem auf dem Bauch und hatte von vornherein keine Chance mehr, sich aus Louis’ Gewalt zu befreien.

Er versetzte ihr einen Schlag und beschimpfte sie. Die Tränen standen ihr in den Augen, aber es waren Tränen der Wut. Die Verzweiflung hatte ihr mehr Mut verliehen, Zorn und Haß hatten über die Angst gesiegt. Wenn sie nur eine winzige Möglichkeit hatte, ihn abzuschütteln, dann nahm sie sie auch wahr.

Louis spürte ihren geschmeidigen, warmen Körper unter sich, und plötzlich fühlte er unbändiges Verlangen in sich aufsteigen. Er schob seine linke Hand auf ihre Hüfte und begann, an ihrem dunkelroten Rock herumzunesteln. Sein Atem ging schnell und stoßweise.

„Louis!“ Das war Marcel. Er mußte jetzt ebenfalls im Dickicht sein.

„Louis, wo steckst du?“ rief nun auch Richard.

Louis antwortete ihnen nicht. Er wollte mit dem Mädchen allein sein und seinem übermächtigen Trieb freien Lauf lassen.

Aber dann bremste ihn doch etwas. Am Strand wurde jetzt nicht mehr geschossen, aber der Schrei eines Mannes tönte herüber. Louis erkannte seine Stimme wieder. Das war einer der Kumpane, die dort das Dorf und den Strand hatten bewachen sollen.

Der Schrei verstummte. Andere Stimmen riefen sich etwas zu, mehrere Männer unterhielten sich auf englisch. Louis wußte jetzt, daß der kurze, heftige Kampf nicht zugunsten seiner Kumpane ausgefallen war.

Alewa schrie plötzlich gellend auf. Louis schlug sie noch einmal und zischte: „Sei still! Wirst du wohl ruhig sein! Du holst uns die Hundesöhne noch auf den Hals.“

„Louis“, sagte Marcel dicht hinter seinem Rücken. „Teufel, hast du das gehört? Das sind englische Bastarde, wenn mich nicht alles täuscht. Hölle, sie scheinen Jean und Luc überrumpelt zu haben.“

„Ja.“

„Louis, warum hast du dich denn nicht gemeldet?“ rief Richard, der jetzt – von dem Schrei des Mädchens angelockt – ebenfalls auftauchte. „Parbleu, in was für einen Schlamassel sind wir da bloß geraten?“

„Ich hole die anderen“, sagte Marcel. „Die haben die Schüsse ohnehin gehört und sind hierher unterwegs, um nach dem Rechten zu sehen. Wir brauchen Verstärkung, Louis, um mit der Drecksmannschaft dieses elenden Schiffes fertig zu werden.“

„Gut“, meinte Louis. „Richard und ich, wir verstecken uns solange mit dem Luder hier im Dickicht. Wir müssen bloß den Standort wechseln, sonst haben wir sie gleich alle auf dem Pelz. Richard, stopf diesem Hurenstück das Maul, damit sie nicht wieder losschreien kann.“

„In Ordnung“, sagte Richard, während Marcel sich bereits zurückzog. Er riß einfach einen Fetzen Stoff von seinem Hemd los, knüllte es zusammen und steckte es Alewa zwischen die Zähne, als der Kumpan sie hochzerrte und vor ihm festhielt.

„Komm“, flüsterte Louis seinem Begleiter zu. „Wir verstecken uns und belauern diese dreckigen Hurensöhne. Wenn Marcel mit den anderen zurückkehrt, gibt es einen Feuerzauber, der sich sehen lassen kann, das schwöre ich dir.“

Er zerrte Alewa durch das Dickicht mit sich fort. Richard folgte den beiden.

4.

Der Seewolf hastete seinen Männern voran und trieb mit dem Cutlass einen Weg in das Dickicht. Er strebte auf die Hügel zu, orientierte sich an dem Schrei, den das Mädchen zuletzt ausgestoßen hatte, rechnete aber auch damit, daß er sie an jenem Platz nicht mehr antreffen würde. Wenn die Piraten sie noch nicht gefaßt hatten, würde sie bestimmt weiterhin in panischer Flucht durch das Gebüsch irren.

Und wenn die Kerle sie schon gepackt hatten? Was war dann?

Hasard drosch mit dem Cutlass auf das Gestrüpp ein und fühlte sich von dem wütenden, unerbittlichen Drang beseelt, die Freibeuter zu stellen und vor die Klinge zu holen.

Französische Piraten also – welcher Teufel hatte sie geritten, auf Hawaii zu landen und das Paradies zu zerstören? Hier gab es an Schätzen nichts zu holen, nichts zu heben, hier gab es eigentlich nichts, weswegen man längere Zeit verweilen konnte, es sei denn, man war ein Schöngeist wie Thomas Federmann, der sich mit seinem Leben dieser exotischen Welt verschrieben hatte.

Die Frauen und Mädchen! War es das? Waren die Kerle nur hierhergekommen, um sich austoben zu können und sich die Polynesierinnen eine nach der anderen vorzunehmen? Nein, das war zu ungeheuerlich. Hasard wagte nicht, den Gedanken weiterzuführen.

Er war jetzt ungefähr an dem Punkt angelangt, an dem er den Schrei des Mädchens gehört hatte. Er blieb stehen und senkte den Cutlass. Hinter ihm rückten Carberry, Shane, Ferris und Dan auf.

Batuti war Hasards Anordnung gemäß bei dem toten und dem bewußtlosen Piraten geblieben.

Hasard drehte sich zu seinen vier Männern um und raunte ihnen zu: „Es hat keinen Zweck, daß wir so weitersuchen. Wir schwärmen jetzt aus und sehen zu, daß wir uns so leise wie möglich bewegen. Ich habe mit dem Cutlass schon zuviel Lärm gemacht.“

„Ist gut“, flüsterte Dan O’Flynn. „Das heißt also, wir pirschen wie die Indianer weiter?“

„Ja.“

„Besteht nicht die Gefahr, daß wir uns aus den Augen verlieren und dann gegenseitig über uns herfallen?“ wisperte der Profos. Es fiel ihm sichtlich schwer, so leise zu sprechen.

„Ed“, raunte der Seewolf so eindringlich wie möglich. „Es bleibt unserem Können überlassen, daß das nicht geschieht. Verstehst du mich? Ehe wir handeln, müssen wir uns genau vergewissern, daß wir auch wirklich den Gegner vor uns haben.“

Alle vier nickten, sogar Dan verkniff sich diesmal eine Bemerkung, die er an den Profos richten wollte.

Sie trennten sich und strebten nach links und nach rechts, also nach Norden und Süden auseinander.

Hasard schob sich mit größter Vorsicht voran und bog die Zweige so zur Seite, daß sie kaum raschelten. Auch von seinen Männern vermochte er jetzt nichts mehr zu hören. Stille hatte sich über das Dickicht gesenkt. Sie wurde nur durch das Rauschen der Brandung und das Kreischen einiger Seevögel gestört.

Ben Brighton und die anderen an Bord der „Isabella“ verhielten sich abwartend. Ben hätte ohnehin nur auf einen Befehl seines Kapitäns hin etwas unternommen. Außerdem hatte der Seewolf dem Gambia-Mann die Order gegeben, zum Schiff hinüberzusignalisieren und Siri-Tong und den Männern bekanntzugeben, daß das Landunternehmen bislang ohne Verluste abgelaufen sei und der kleine Trupp jetzt weiter nach dem Mädchen forsche. Die wichtigste Phase des Kampfes am Strand hatten die auf der „Isabella“ Zurückgebliebenen ja sowieso durch ihre Kieker verfolgen können. Für den Rest würde Batuti sich einiger gut verständlicher Zeichen bedienen, die sie alle kannten.

Hasard verharrte.

Schräg rechts vor sich hatte er ein feines Geräusch gehört. Eine Art Knacken war es gewesen – oder ein Knistern? Egal, dachte er. Behutsam glitt er weiter, Zoll um Zoll, Fuß um Fuß, und glaubte jetzt jemanden atmen zu hören. Er war sicher, auf dem richtigen Pfad zu dem Polynesiermädchen zu sein und nicht etwa ein Tier des Dschungels vor sich zu haben. Unbeirrt pirschte er weiter vor.

Das Anschleichen konnte auch ein Seemann, ein Korsar Ihrer Majestät, Elizabeth I. von England, durchaus fachgerecht lernen. Waren sie, die Seewölfe, nicht lange genug in der Neuen Welt und im Fernen Osten gewesen, hatten sie nicht engen Kontakt mit der Urbevölkerung gehabt? Vieles hatten sie von diesen Menschen abgeschaut, viele Fertigkeiten und Techniken, die in der Alten Welt bei weitem nicht so entwickelt waren. Gerade die Urwaldstämme – und das traf für alle Kontinente zu – waren Meister im lautlosen Anpirschen.

Hasard bewegte sich jetzt so geschickt durch das Dickicht, daß er weder einen Laut verursachte noch die Blätter und Zweige der Sträucher mehr als eben nötig berührte. Er hatte sich auf alle viere niedergelassen, hielt den Cutlass in der Rechten, achtete aber darauf, daß er mit der Klinge nirgends anstieß.

Dann vernahm er wieder einen Atemzug, dicht vor sich.

Kurz darauf flüsterte jemand etwas auf französisch.

Hasard fühlte seine innere Anspannung bis ins Unerträgliche wachsen. Sollte er jetzt aufspringen und sich auf die Kerle stürzen? Nein, das konnte nie und nimmer die richtige Taktik sein, denn wenn sich das Mädchen schon in ihrer Gewalt befand, gefährdete er es nur durch sein unüberlegtes Handeln.

Sie können dich nicht bemerkt haben, dachte er, nutzte das aus.

Immer langsamer arbeitete er sich voran. Er verengte die Augen zu Schlitzen, spähte zwischen den Feuchtigkeit ausdampfenden Blättern voraus, um möglicherweise etwas von dem oder den Feinden zu entdecken – und dann, ganz plötzlich, sah er sie wirklich.

Fast zum Greifen nah kauerten sie im Gebüsch. Zwei Männer – und das Mädchen. Hasard schob sich so behutsam, als könne er etwas zerbrechen, noch um einige Zoll weiter vor und konnte nun ihr Gesicht, ihre angstgeweiteten Augen erkennen.

Alewa, dachte er bestürzt.

Ja, jetzt hatte sich auch diese Ahnung bewahrheitet. Er kannte sie. In den sechs Jahren, die inzwischen vergangen waren, war sie reifer und fraulicher geworden, aber er wußte auf Anhieb, daß sie das eine Mädchen aus dem Quartett von damals war, das de Galantes an Bord des schwarzen Seglers entführt hatte. Gerade die Mädchen hatten dann dazu beigetragen, daß de Galantes doch gescheitert war, denn sie hatten ihm ein Pülverchen verabreicht, das ihn eingeschläfert hatte. Damit hatte das Verhängnis für ihn erst richtig begonnen. Dann hatten auch noch seine Männer gemeutert, und es war ausgewesen. Hasard und Siri-Tong, der Wikinger und alle anderen hatten das schwarze Schiff zurückerobern können.

Wie konnte man jemals die Ereignisse von damals vergessen? Sie waren für immer in Hasards Geist verhaftet, und er vergaß auch nicht die Tapferkeit, mit der die Mädchen seinerzeit vorgegangen waren.

Alewa hatte einen Knebel im Mund stecken, und der eine Kerl, ein untersetzter Mann mit breitem, derbem Gesicht und einer speckigen Mütze auf dem Kopf, hielt sie fest, während der andere immer wieder nach allen Seiten Ausschau hielt.

Dieser zweite Pirat war groß und ausgesprochen kräftig gebaut. Er hatte sich ein buntes Tuch um den Kopf geschlungen. Von seinem linken Ohrläppchen baumelte ein Ring herab, der zweifellos aus Gold war. Sein Hemd hatte er über dem Bauchnabel zusammengeknotet. Seine Hosen reichten ihm nur bis zu den Waden, Schuhe schien er nicht zu besitzen. In seinem scharfgeschnittenen Gesicht fielen die klaren blauen Augen auf, die so kalt wie Eis zu sein schienen.

Hasard überlegte noch, ob er lieber seine Kameraden holen solle, statt allein zu handeln, da wurde ihm die Entscheidung durch die Entwicklung der Dinge abgenommen. Der Blauäugige wandte sich seinem Kumpan zu und raunte ihm etwas ins Ohr, was der Seewolf nicht verstehen konnte. Der andere Pirat nickte. Der Blauäugige erhob sich vorsichtig, schlich gebückt voran und gab somit die Richtung an. Der untersetzte Mann zerrte Alewa mit sich hoch, stieß sie voran und folgte dem anderen, der der Wortführer in dem Duo zu sein schien.

Zweifellos fühlten sie sich an diesem Platz nicht mehr sicher. Sie zogen sich lieber tiefer ins Dickicht zurück. Hasard mußte zugeben, daß der Blauäugige sich damit völlig richtig verhielt – von seiner Warte aus gesehen natürlich. Er schien scharf ausgeprägte Instinkte zu haben, ein Gespür für aufziehende Gefahren. Hasard saß den beiden Kerlen ja nun wirklich dicht auf dem Leib.

Als der Untersetzte Alewa vor sich her trieb und Hasard damit den Rükken zuwandte, zögerte Hasard nicht mehr. Er stand auf, schlich den Piraten nach, nahm den Cutlass in die linke Hand und hob die rechte, um einen brettharten Jagdhieb auf den Nacken des Piraten niedersausen zu lassen.

Er schlug mit voller Wucht zu, aber im selben Augenblick fuhr der Franzose zu ihm herum.

Damit brachte der Pirat sich in eine andere Position. Der Hieb, der ihn eigentlich hätte fällen müssen, traf seinen Rücken, nicht seine Nackenpartie. Hasard konnte den Schlag nicht mehr abstoppen. Jede Reaktion erfolgte zu spät.

Der Pirat stöhnte zwar auf, sackte in die Knie und ließ dabei Alewa los, aber er wurde nicht besinnungslos. Während sein vorn pirschender Kumpan herumwirbelte, griff er nach dem Entermesser in seinem Gurt, riß es heraus und stöhnte dabei: „Louis – Louis, Achtung!“

Hasard bediente sich wieder seines Beines, um den Widersacher kampfunfähig zu machen. Er trat ihm das Entermesser aus der Hand, bückte sich und schlug noch einmal mit der rechten Faust zu. Diesmal traf er besser als vorher. Der Untersetzte brach mit einem erstickten, keuchenden Laut zusammen.

Alewa hatte sich ebenfalls umgedreht und blickte aus ungläubig geweiteten Augen auf den Seewolf. In diesem Moment dachte sie wieder an Pele, die Göttin der Vulkane, und dankte ihr für die Gnade und die Hilfe, die sie ihr zuteil werden ließ – Pele hatte El Lobo del Mar, den Seewolf, direkt zu ihr geschickt.

Hasard wandte sich Louis zu.

Louis hatte sofort erkannt, von welchem Format der Kämpfer war, der da so blitzschnell über sie hergefallen war. Auf einen Zweikampf wollte er sich nicht unbedingt einlassen. Deshalb packte er Alewa, ehe diese zu dem Retter eilen konnte. Er riß sie zu sich heran, preßte sie an seinen Körper und hielt sie als lebenden Schutzschild vor sich fest. Die Schnapphahnschloß-Pistole mit den Perlmuttverzierungen drückte er ihr in die Seite.

„Zurück“, sagte er zu dem Angreifer. „Zurück, oder sie stirbt!“

Hasard kannte sich in der französischen Sprache gut genug aus, um die Worte zu verstehen. Selbst wenn er nicht begriffen hätte, was Louis sagte – die Lage sprach für sich.

Plötzlich stand er wie vom Donner gerührt da.

Er verfluchte sich selbst, weil er nicht doch wenigstens einen seiner Männer zu Hilfe geholt hatte.

„Gut“, zischte Louis. „Und jetzt weg mit der Waffe. Wird’s bald? Englischer Bastard, verstehst du mich nicht?“ In gebrochenem Englisch wiederholte er: „Wirf den Cutlass weg!“

Hasard wollte die Aufforderung schon befolgen, da handelte Alewa. Zu Hasards größtem Entsetzen beugte sie sich vor, rammte dem Piraten beide Ellenbogen in den Bauch und trat ihm zusätzlich noch auf den nackten Fuß. Louis stöhnte auf, ächzte, hielt aber weiterhin ihren Arm umklammert.

Sie riß sich los – und da drückte er auf sie ab. Hasard schloß in seiner Hilflosigkeit die Augen. Alewa befand sich zwischen dem Franzosen und ihm, er mußte erst an ihr vorbei, um sich auf den Kerl zu werfen, aber jede Aktion kam zu spät. Louis feuerte auf Alewas Rücken.

Doch das Krachen der Pistole blieb aus.

Nur das metallische Klicken des Schnapphahnschlosses war zu vernehmen. Hasard riß die Augen wieder auf und glaubte zu träumen. Aber es stimmte: Alewa lebte und taumelte auf ihn zu. Louis’ Pistole war nicht geladen gewesen, und sie mußte das gewußt haben, sonst hätte sie nie so scheinbar wahnwitzig gehandelt.

Louis schleuderte ihr die Pistole gegen den Rücken, stieß einen lästerlichen Fluch in seiner Mutterprache aus und drehte sich um. Er stellte sich nicht dem Kampf – er suchte sein Heil in der Flucht. Hasard wollte ihn stoppen, aber Alewa fiel ihm um den Hals. Die Pistole konnte ihr keinen großen Schmerz zufügen, und wenn sie es doch tat, dann kümmerte sie sich nicht darum und vergaß alles andere um sich herum unter dem Eindruck des grenzenlosen Glücksgefühls, das sie in diesem Moment durchflutete.

Sie hatte sich den Knebel aus dem Mund genommen und brachte ihre weichen Lippen dem Mund des Seewolfs näher.

„Mädchen“, sagte er auf spanisch. Spanisch beherrschte sie ziemlich gut, das hatte er von damals noch in Erinnerung. Thomas Federmann hatte vielen auf der Insel Hawaii diese Sprache beigebracht. „Mädchen“, sagte der Seewolf noch einmal. „Laß mich los. Ich muß diesem gemeinen Hund nach.“

„Bleib bei mir“, flüsterte sie.

„Alewa …“

„Pele hat dich geschickt. Ich lasse dich nie wieder fort. Du hast mir das Leben gerettet, Lobo del Mar.“

Louis war im Dickicht verschwunden. Hasard wollte sich sanft von Alewa befreien, aber ihre Lippen preßten sich auf seinen Mund, und sie klammerte sich an ihm fest. Er spürte ihren Körper an dem seinen und war mit einemmal wie benommen. Himmel, war dieses Mädchen denn von allen guten Geistern verlassen?

„Sir“, sagte Big Old Shane irgendwo im Dickicht. „Wo steckst du? Was ist los? Hölle und Teufel, so antworte doch! Ed, Dan, Ferris, habt ihr das gehört?“

„Ja“, antwortete Ferris Tucker.

„Mann“, wetterte der Profos. „Dieses verfluchte Scheißdickicht! Ich dreh gleich durch und laufe auf Grund, wenn nicht – he, was wird hier eigentlich gespielt?“

„Ed“, sagte Dan O’Flynn etwas weiter rechts. „Ganz ruhig bleiben. Profos, du wirst uns doch wohl nicht im Stich lassen, oder?“

„Wer spricht denn davon?“

Hasard mußte unwillkürlich lächeln. „Hier bin ich, Männer“, sagte er. „Etwas weiter südlich. Ich habe das Mädchen. Einen Piraten habe ich niederschlagen können, der andere ist getürmt – in Richtung Süden. Versucht, ihn zu fassen.“

„Aye, Sir“, tönte Carberrys Stimme. „Kurs Süden, Männer, und dann auf ihn mit Gebrüll! Aber wo, zur Hölle, ist Süden?“

„Hier!“ rief Dan O’Flynn. „Hierher, Leute!“

„Orientiert euch am Stand der Sonne“, sagte Shane.

„Wie denn, wenn sie gleich im Zenit steht?“ wollte Carberry wissen. Er fluchte, stapfte voran und ging dicht an seinem Kapitän und dem Mädchen vorbei, ohne sie zu sehen. Er malte sich in Gedanken aus, was er alles mit dem flüchtigen Piraten anstellte, wenn er den Kerl packte. Oh, was hatte er doch für eine Riesenwut im Bauch!

Shane und Ferris Tucker marschierten auch an Hasard und Alewa vorbei, trafen sich wenig später mit dem Profos, entdeckten aber von dem Piraten Louis keine Spur mehr. Dieser war im Gestrüpp untergetaucht und suchte mit der Angst im Nacken nach seinen Kumpanen, nach Marcel und den anderen, die bald eintreffen mußten.

Dan O’Flynn stieß genau auf den Seewolf und die befreite Polynesierin. Er blieb dicht vor ihnen stehen, kratzte sich etwas verlegen und leicht belustigt am Kopf und meinte dann: „Also, das ist mal eine gelungene Überraschung. Ich will ab sofort nicht mehr O’Flynn heißen, wenn das nicht die kleine Alewa ist.“

Alewa ließ vom Seewolf ab, blickte Dan an und stieß einen kleinen, entzückten Laut aus. Sie trippelte zu ihm hinüber, stellte sich auf die Zehenspitzen wie bei Hasard, legte Dan die Hände auf die Schultern und drückte dann auch ihm ein paar Küsse auf.

Hasard grinste. „Bei den Menschen von Hawaii ist das eine ganz normale Begrüßung“, sagte er. „Man soll sich nicht mehr dabei denken, als unbedingt erforderlich ist.“

Dan kriegte wieder Luft und rief: „Bei den Mädchen von Hawaii ist alles ganz normal, oder?“

„Dan, wir sollten das lieber ein andermal erörtern, findest du nicht auch?“

Dan nickte, lachte, blickte dem bildhübschen Mädchen in die Augen und fragte sie auf spanisch: „Haben die elenden Hunde dir auch nichts getan, Alewa?“

„Nein“, entgegnete sie. „Aber sie hätten Böses getan, wenn ihr nicht gekommen wäret.“

„Was ist hier passiert?“ wollte der Seewolf wissen.

Sie sah zu ihm hinüber, und ihr Blick wurde traurig. „Schlimmes, aber wir müssen hier weg, Lobo del Mar. Andere Männer können jeden Moment auftauchen. Gefahr, große Gefahr …“

„Alewa“, sagte Hasard. „Waren es nicht drei Kerle, die dich verfolgten?“

„Ja. Einer ist fort, um die anderen zu holen. Er heißt Marcel.“

„Ed, Ferris und Shane!“ rief der Seewolf. „Sofort zu mir!“

„Hier, Sir.“ Carberry war als erster zur Stelle. Er teilte mit seinen mächtigen Händen das Dickicht und trat auf die beiden Männer und das Mädchen zu. Er deutete eine Art Verbeugung zu Alewa hin an und zeigte einen Anflug von Verlegenheit. „Äh, wir haben diesen verlausten Hundesohn nicht mehr packen können“, sagte er.

„Wir lassen ihn laufen“, erwiderte der Seewolf. „Es hat keinen Zweck, nach ihm zu suchen. Jeden Augenblick kann es hier von Piraten wimmeln, und wenn sie uns erst umzingelt haben, haben wir keine Chance mehr, uns freizukämpfen.“

„Du vergißt, daß wir noch die zwei Flaschenbomben haben“, sagte Ferris Tucker. Er erschien neben dem Profos, grinste breit und streckte Alewa seine rechte Hand entgegen. Selbstverständlich hielt er dies für die richtige Art der Begrüßung. Aber Alewa schritt lächelnd auf ihn zu, stellte sich wieder auf die Zehenspitzen und drückte ihm einen Kuß auf die Wange. Dasselbe tat sie bei Ed Carberry und gleich darauf auch bei Big Old Shane, der mit Pfeil und Bogen in den Fäusten aus dem Strauchwerk trat.

Carberry rieb sich verdutzt die Wange. Sein Blick glitt über die Gestalt des halbnackten Mädchens. Ein voll ausgereifter Körper war das, mit allen Attributen, die einen normalbeschaffenen Mann binnen weniger Minuten komplett um den Verstand bringen konnten.

„Hasard, Sir“, sagte Carberry. „Das, äh, können wir doch nicht dulden. Ich meine, dein Befehl – der, nun …“

„Laß nur, Ed“, unterbrach der Seewolf sein Gestotter. „Das ist die hierzulande übliche Art, gute alte Freunde zu begrüßen.“

„Im übrigen hat mein Alter gesagt, daß man für die Mädchen von Hawaii auch väterliche Gefühle entwickeln kann“, erklärte Dan O’Flynn mit spitzbübischem Grinsen.

„Ja, der alte Donegal“, murmelte Ferris Tucker. „Der hat es auch faustdick hinter den Ohren, das sage ich euch.“

Shane lachte rauh, auf. „Männer, einen Kuß in Ehren kann niemand verwehren. Ein Schurke ist, wer was Schlechtes dabei denkt.“

Alewa stand neben ihm und legte den Kopf ein wenig schief. „Was sagt er, Lobo del Mar?“ fragte sie auf spanisch.

Hasard erklärte es ihr, und sie lachte silberhell.

Carberry war das Ganze irgendwie peinlich und nicht ganz geheuer, er trat jetzt lieber zu dem Bewußtlosen und tippte dessen reglose Gestalt mit der Stiefelspitze an. „Was machen wir mit dem hier? Den lassen wir doch nicht einfach so liegen, oder?“

„Er heißt Richard“, sagte Alewa.

„Fein“, sagte Dan O’Flynn. „Ich schätze, wir nehmen ihn als Geisel mit, nicht wahr?“

„Allerdings.“ Hasard gab seinem Profos und Shane einen Wink, und die beiden hoben den besinnungslosen Piraten auf, als handle es sich um einen Sack voll Daunen. „Wir tragen ihn zum Strand, nehmen auch den anderen Kerl mit und kehren an Bord der ‚Isabella‘ zurück, um zu beratschlagen“, fuhr der Seewolf fort. „Bevor Alewa uns nicht alles genau geschildert hat, können wir keinen richtigen Plan schmieden, wie wir die anderen Freibeuter am besten von der Insel vertreiben.“

Er griff nach Alewas Hand, zog sie mit sich fort und setzte sich an die Spitze seines kleinen Trupps. Sie kehrten auf den Pfad zurück, den er vorher mit dem Cutlass durch das Dickicht getrieben hatte, und trafen kurz darauf bei Batuti ein, der sie schon ungeduldig erwartete.

Alewa beugte sich interessiert über den bärtigen Seeräuber, der immer noch ohnmächtig dalag und Arme und Beine von sich streckte. Der Gambia-Mann hingegen betrachtete das Mädchen mit sichtlichem Wohlgefallen. Als er aber bemerkte, daß Hasard und der Profos zu ihm herüberblickten, wandte er sich schleunigst ab.

Dan O’Flynn deutete auf den bärtigen Franzosen. „Eine gute Handschrift hast du, Ed, das muß man dir lassen.“

„Danke“, sagte Carberry.

„Der Mann – ich kenne auch seinen Namen“, ließ sich Alewa vernehmen. „Er heißt Luc.“

„Großartig“, kommentierte Big Old Shane. „Dann hätten wir also Richard und Luc, und Louis ist uns entwischt. Im Gebüsch liegt ein Toter, Alewa, aber dessen Namen werden wir wohl nicht mehr erfahren.“

Alewa warf einen Blick in das Dikkicht, fuhr unwillkürlich zusammen, als sie die Leiche des Freibeuters sah, und sagte: „Jean – einer unserer Bewacher aus dem Pfahlhüttendorf. Ein grausamer Kerl.“

„Um ihn ist es nicht schade“, brummte der Profos. „Und um die anderen, die noch wie die Fliegen krepieren, wenn wir erst mal richtig losschlagen, auch nicht.“ Er hatte immer noch eine höllische Wut im Leib.

„Ed, nimm den Mund lieber nicht zu voll“, warnte der Seewolf. „Du weißt ja, man soll den Tag nicht vor dem Abend loben.“

„Aye, Sir“, sagte Carberry. Er griff mit Widerwillen nach der speckigen Mütze, die Richard soeben vom Kopf zu rutschen drohte, stülpte sie dem Burschen wieder über und setzte sich dann in Bewegung, um den immer noch Bewußtlosen mit Shane zusammen zur Jolle zu schleppen. Der Seewolf, Dan O’Flynn und das Mädchen Alewa hatten sich bereits wieder in Marsch gesetzt. Batuti und Ferris Tucker bückten sich nach Luc, dem Bärtigen, hoben ihn vom Strand auf und trugen ihn ebenfalls auf die rauschende, gischtende Brandung zu.

Die Sonne stand jetzt hoch im Zenit und brannte mit erstaunlicher Macht auf Hawaii nieder. Sie wärmte die Decks der wartenden „Isabella“ und hätte die Seewölfe heiter gestimmt, wenn nicht die Bedrohung durch die französischen Freibeuter gewesen wäre.

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