Kitabı oku: «Seewölfe Paket 12», sayfa 2
Blitzartig schoß das Tier herum und war somit für einen Moment von Ed Carberry abgelenkt, der sich gerade vom Boden hochstemmen wollte. Im selben Augenblick blitzte die stählerne Axt im grellen Licht der Sonne und traf wuchtig den Schädel der Echse.
Das Tier stieß einen brüllenden Laut aus und begann wie verrückt zu toben.
Sein neuer Feind hieß jetzt Ferris Tucker.
Bevor der breitschultrige Schiffszimmermann der „Isabella“ noch einmal die Axt einsetzen konnte, erwischte ihn ein gewaltiger Schwanzschlag des Reptils und schleuderte ihn mehrere Yards über die Sandbank weg. Für einen Augenblick hatte er das Gefühl, als wären ihm sämtliche Knochen im Leib zerschmettert worden. Doch Ferris Tucker war ein harter Brocken. So schnell brachte man ihn nicht aus dem Gefecht.
Sofort raffte er sich wieder auf – und das keinen Atemzug zu spät, denn der Mohrenkaiman, der sich wohl seiner bereits angeschlagenen Beute sicher fühlte, folgte ihm sandaufwirbelnd. In dem Moment, in dem Ferris Tucker die Axt hochreißen wollte, riß die Bestie den Rachen auf. So verblieb dem rothaarigen Mann nicht mehr die Zeit, die Axt wie geplant einzusetzen.
Bevor er zurückwich, warf er dem Kaiman in letzter Verzweiflung die große Axt in das aufgesperrte Maul.
Sofort klappten die Kiefer zusammen, ein Krachen und Knirschen ertönte, und der kräftige Stiel der Axt bestand nur noch aus zertrümmerten Holzresten.
„Das gibt es doch nicht!“ entfuhr es den Lippen Ferris Tuckers. Ungläubig starrte er auf das wütende Krokodil.
Inzwischen hatte der Seewolf das Tier anvisiert, und die Muskete krachte, bevor es wieder auf sein jetzt wehrloses Opfer losgehen konnte. Die Kugel fuhr in den Schädel des Kaimans, durch dessen Körper plötzlich ein kurzes Zucken ging. Er klappte die mächtigen Kiefer auf und wieder zu. Für einen weiteren Augenblick rührte er sich nicht, dann fuhr er herum und kroch in das nahe Brackwasser der Flußmündung zurück.
Die Seewölfe atmeten auf. Die Situation war verdammt gefährlich gewesen, aber sie hatten gemeinsam den Kampf auf Leben und Tod gewonnen.
Deutlich sahen sie eine Blutspur im Sand, als das verwundete Tier in das blaugrüne Wasser eintauchte.
„Das war knapp, Leute“, sagte Hasard, „verdammt knapp sogar.“
Auch dem Profos stand noch der Schrecken in seinem zernarbten Gesicht.
„Und ich habe mich schon im Rachen dieses Krokodils gesehen“, sagte er, und fast konnte man einen ehrfürchtigen Gesichtsausdruck bei ihm erkennen.
Dan O’Flynn, der sich nach wie vor darüber ärgerte, daß seine Pistole im entscheidenden Augenblick versagt hatte, konnte sich eine Bemerkung nicht verkneifen. „Da hätte sich das Vieh aber schön den Magen an dir verdorben, sicherlich wäre es hinterher jämmerlich eingegangen.“
Noch bevor der Profos antworten konnte, ließ ihn, wie auch die drei anderen Männer, ein plötzliches Rauschen im Wasser herumfahren.
Ganz in der Nähe der Stelle, an der der Kaiman ins Wasser geglitten war, brodelte und kochte es plötzlich. Augenblicklich wurde den Seewölfen klar, was sich dort abspielte. Es erfüllte sich das Gesetz des Regenwaldes: fressen und gefressen werden.
Piranhas, jene kleinen stumpfgesichtigen Fische mit den rasiermesserscharfen Zähnen, hatten Blut gewittert. Ganz plötzlich waren sie da, wie aus dem Nichts herbeigezaubert. Das Wasser wurde aufgewühlt und färbte sich stellenweise rot vom Blut des Kaimans, von dem nach Minuten nicht mehr als das Skelett übrigbleiben würde.
Das Reptil schlug wild um sich, als der riesige Schwarm der kleinen silbrigen Fische mit ihren scherenartigen Gebissen Stücke aus seinem Fleisch heraussägte. Aber die Kraft des Mohrenkaimans erlahmte schnell. Bald war das grausige Schauspiel vorbei, das die vier Männer auf der Sandbank wie gebannt beobachtet hatten.
Jetzt konnten sie sich wieder lebhaft vorstellen, wie Jeff Bowie, der zur Besatzung der „Isabella“ gehörte, zu seiner Hakenprothese an der linken Hand gekommen war. Piranhas hatten ihm die Hand vor Jahren zerfleischt. Der gute Jeff konnte noch von Glück sagen, daß es bei der Hand geblieben war.
Nachdem die Seewölfe ihre Schußwaffen nachgeladen hatten, konnten sie sich nun endlich dem Wrack der Galeone zuwenden, das hinter ihnen auf der Sandbank lag, und zwar dort, wo der Landstreifen fast nahtlos in den Mangrovendschungel überging.
3.
Der Anblick, der sich ihren Augen bot, war grausig und ließ selbst hartgesottenen Männern wie Philip Hasard Killigrew, Ed Carberry, Ferris Tucker und Dan O’Flynn eine Gänsehaut über den Nacken kriechen. Der Kampf mit dem Mohrenkaiman hatte ihre Aufmerksamkeit so sehr beansprucht, daß ihnen erst jetzt die Unheimlichkeit und Rätselhaftigkeit des Wracks bewußt wurde.
Was von der Galeone übriggeblieben war, war nur ein Gerippe. Die Beplankung fehlte ganz, und nur die Querspanten ragten nach allen Seiten hervor, so daß man rundum durch das Wrack blicken konnte.
Aber nicht das war es, was die vier Männer von der „Isabella“ für einen Augenblick verstummen ließ, sondern der Hauch des Todes, der über dieser Stätte lag.
Auf dem Kielschwein des Wracks und an den Querspanten hockten ausgebleichte, menschliche Gerippe, als warteten sie darauf, von jemandem abgeholt zu werden. Es waren mehr als ein Dutzend Skelette, die in der Sonne bleichten und dieser Stätte des Todes eine unheimliche Ausstrahlung verliehen – trotz des Lebens im Hintergrund, trotz der vielfältigen Stimmen, die aus dem Dschungeldickicht herüberdrangen. Stumm und aus leeren Augenhöhlen schienen die Toten den Männern entgegenzublicken – eine starre, unbewegliche Gesellschaft, die wie zu einer Versammlung oder einem Palaver in der wracken Galeone beisammenhockte.
Hasard löste sich als erster aus dem Bann, der von dieser Stätte ausging.
„Eine recht merkwürdige Besatzung“, sagte er mit nachdenklichem Gesicht. „Eigentlich ist es unmöglich, daß es sich bei diesen Skeletten um die Besatzung der Galeone handelt. Wie das Wrack aussieht, ist es uralt und muß demnach schon recht lange hier liegen. Ob es ein Sturm hierhergeworfen hat, oder ob es hier angetrieben worden ist – es kann sich unmöglich um die Besatzung handeln, denn die Männer hätten sich bestimmt nicht in dieser versammlungsmäßigen Ordnung zum Sterben auf das Kielschwein gesetzt.“
„Wahrscheinlich nicht“, sagte Dan O’Flynn und legte die Stirn in Falten. „Aber könnte sie nicht eine Seuche hingerafft haben? Ich meine natürlich, nachdem das Schiff hier angetrieben wurde. Es gibt doch genug Krankheiten, die schon ganze Schiffsbesatzungen ausgelöscht haben.“
Hasard schüttelte den Kopf. „Das glaube ich nicht, Dan. Wir haben zwar schon miterlebt, was Krankheiten wie Skorbut oder das berüchtigte Wechselfieber alles anrichten können, aber in diesem Fall glaube ich nicht an so etwas. Wie die Männer hier sitzen, müßten sie im Fall einer Seuche alle auf einmal gestorben sein. Und das ist sehr unwahrscheinlich.“
„So ist es“, ließ sich nun Ed Carberry vernehmen. „Das würde bedeuten, daß sich immer der Nächste, der mit dem Sterben an der Reihe war, zu den bereits Toten auf das Kielschwein gesetzt hätte, um die Schar zu vergrößern. Nein, Sir, so was gibt es nicht.“
„Warum eigentlich nicht?“ bohrte Dan O’Flynn weiter. „Wenn einer gestorben ist, kann er doch von den noch Lebenden einfach zu den Toten gesetzt worden sein.“
„Theoretisch schon“, sagte Hasard. „Aber praktisch wohl kaum. Die Überlebenden hätten mit Sicherheit die Toten begraben oder der See übergeben, statt sie in das Wrack zu setzen. Wenn man bedenkt, wie schnell in diesen feuchten und heißen Gegenden der Zerfall einer Leiche eintritt, hätten sie sich damit erst recht Seuchen auf den Hals geladen. Der Gedanke dürfte also nicht haltbar sein, Dan.“
Der junge O’Flynn wußte darauf im Moment keine Antwort. Was Hasard da sagte, klang logisch und war nicht von der Hand zu weisen.
Ferris Tucker, der bis jetzt schweigsam und mit fachmännischem Blick die kläglichen Überreste der Galeone gemustert hatte, räusperte sich und fuhr sich nachdenklich durch den dichten roten Haarschopf.
„Eure Überlegungen mögen ja alle mehr oder weniger richtig sein“, sagte er. „Aber es gibt noch eine weitere Version. Nehmen wir einmal an, es handelt sich bei diesen Gerippen um Schiffbrüchige. Könnten sie hier nicht von irgendwelchen Buschmännern oder Indianern überfallen worden sein? Vielleicht hat man sie mit den berüchtigten Giftpfeilen aus dem Hinterhalt getötet und dann die Leichen einfach in das Schiff gesetzt. Das wäre doch auch eine Möglichkeit.“
„Ho!“ rief der Profos. „Unser Holzwurm ist ganz schön schlau. Und ich fresse die dickste Taurolle, wenn es nicht so ist, wie er eben gesagt hat.“
„Na, dann guten Appetit, Ed“, erwiderte Hasard lächelnd. „Meiner Meinung nach kannst du gleich damit beginnen. Schau dir doch mal die Gerippe etwas näher an. Fällt dir da nichts auf?“
Verdutzt trat der Profos näher und tastete die Skelette mit den Augen ab.
„Nun ja“, sagte er dann mit wesentlich leiserer Stimme. „Die Kerle scheinen alle ein wenig klein geraten. Zumindest kleiner als wir. Aber wenn es Dons waren, dann ist es ja kein Wunder. Habe ich nicht schon immer gesagt, daß es Zwerge sind?“
„Nun bleib aber sachlich, Ed“, sagte Hasard. „Es gibt in jedem Volk kleine und große Menschen oder doch zumindest solche, die kleiner und solche, die etwas größer geraten sind. Aber sehen die hier nicht fast alle gleich groß aus?“
„Genaugenommen schon“, erwiderte Ed Carberry unbehaglich und schnitt ein Gesicht, als habe er sich soeben vorgestellt, wie der Kutscher in seiner Kombüse die größte Taurolle für ihn garkochte. „Meinst du …“
Der Kapitän der „Isabella“ nickte. „Ja, es sieht ganz danach aus, als handele es sich um die Gerippe einer kleineren Rasse. Vielleicht um Buschmänner oder Indianer. Nur fragt mich nicht, wie die in das Wrack gelangt sind. Einen tieferen Sinn kann ich auch in dieser Theorie nicht erkennen.“
Die Männer blickten sich an, und ihren braungebrannten, wettergegerbten Gesichtern war deutlich anzusehen, wie es hinter ihren Stirnen arbeitete. Aber niemand schien zur Zeit eine Patentlösung für das Rätsel zu finden, vor dem sie standen. So gingen sie daran, die nähere Umgebung des Wracks abzusuchen.
„Was mag nur mit der Beplankung geschehen sein?“ fragte Dan O’Flynn den Schiffszimmermann.
Doch auch Ferris Tucker zuckte mit den Schultern.
„Wir wissen nicht, in welchem Zustand das Wrack hier angetrieben worden ist“, sagte er. „Was noch übriggeblieben war, kann nach langer Zeit verrottet sein. Aber natürlich kann es auch von Indianern weggetragen worden sein. Eigentlich sieht es mir mehr nach dieser Möglichkeit aus.“
„Du meinst, es gibt hier in der Nähe Indianer oder Buschmänner?“ Dan hatte sich plötzlich kerzengerade aufgerichtet, als erwarte er jeden Moment einen Angriff aus dem Hinterhalt.
„Weiter landeinwärts mit Sicherheit“, erwiderte Ferris Tucker. „Hasard kann schon recht haben mit seinen Überlegungen, auch wenn wir im Moment noch keinen Sinn darin sehen.“
Noch während die Männer von der „Isabella“ die Schiffsreste untersuchten, stieg die Flut und setzte die Sandbank allmählich unter Wasser. Der Wasserspiegel erhöhte sich jedoch nur um zwei Handbreit, so daß das Wrack der Galeone an seinem Platz liegenblieb.
Gleichzeitig waren einige dunkle Wolken aufgezogen, die sich plötzlich schleusenartig öffneten. Ein kurzer, aber warmer Regenschauer prasselte nieder und hüllte die Umgebung in einen trüben, grauen Schleier. Die Männer konnten kaum noch die Konturen der „Isabella“ erkennen. Kaum hatte der Regen mit der in den Tropen üblichen Plötzlichkeit wieder aufgehört, begann bereits die Dämmerung hereinzubrechen.
„Schluß für heute!“ rief Hasard und winkte seinen Männern zu. „Es wird bald dunkel sein. Ich denke, es ist besser, wenn wir jetzt zurückpullen. Es dürfte keinen großen Spaß bereiten, in der Dunkelheit von Kaimanen angegriffen zu werden. Wir können uns morgen früh die Umgebung des Wracks noch einmal näher ansehen. Vielleicht finden wir dann des Rätsels Lösung.“
Wenig später saßen die vier Männer im Beiboot und pullten zur „Isabella“ zurück, begleitet von den Geräuschen und Stimmen, die unablässig aus dem dichten Dschungel drangen.
Dan O’Flynn drehte sich noch einmal um und warf einen Blick auf das Wrack, als habe er erwartet, daß sich die stumme Gesellschaft der Toten von ihren Plätzen erhebe.
Die dickbauchige Galeone, deren Name „Esmeralda“ kaum noch zu erkennen war, steuerte eine kleine, versteckte Bucht an. Ihr Kapitän, Alfredo Fernandez, hatte auch allen Grund, vorsichtig zu sein, denn seit zwei Jahren wurde er wegen blutiger Überfälle auf spanische Handelsfahrer von den eigenen Landsleuten gejagt.
Die „Esmeralda“, die auf Nordwestkurs an der südamerikanischen Atlantikküste entlanggesegelt war, fiel auf Befehl ihres Kapitäns nach Backbord ab und lief in die Bucht ein. Die Segel wurden aufgegeit. Mit der restlichen Fahrt trieb die Galeone nahe an eine langgestreckte Sandbank heran, hinter der der Dschungel wie eine grüne Mauer emporwucherte.
„Fallen Anker!“ brüllte Alfredo Fernandez.
Gleich darauf klatschte der Buganker in das blaugrüne Wasser der Bucht.
Fernandez sah man seinen Beruf nicht auf den ersten Blick an, zumindest im Gegensatz zu seinen Männern. Er liebte es, sich wie ein reicher spanischer Kaufmann zu kleiden. Sein hageres Gesicht mit der scharfkantigen Nase und das glatte, zurückgekämmte Haar verliehen ihm tatsächlich das Aussehen eines Edelmanns.
Aber der bunt zusammengewürfelte Haufen, der an Bord der „Esmeralda“ fuhr, kennzeichnete die Galeone als das, was sie tatsächlich war: ein Piratenschiff.
Seit mehr als zwei Jahren war Fernandez mit der „Esmeralda“ unterwegs, um Beute zu schlagen, wo er sie traf. Seit dieser Zeit war er der Kapitän des Schiffes, das vorher seine Aufgabe als Handelsfahrer erfüllt hatte.
Fernandez hatte damals unter Kapitän Pedro Morena als erster Offizier gedient. Morena war ein beispielloser Geizkragen gewesen, dessen Tun und Denken nur von dem Gedanken an einen möglichst hohen Profit beherrscht worden war. Die Besatzung seines Schiffes hatte er wie Tiere behandelt – wie rechtlose, unnütze Sklaven, die kaum zu essen, aber viel zu arbeiten hatten.
Aber nicht nur das war es gewesen, was Alfredo Fernandez dazu veranlaßt hatte, eine Meuterei anzuzetteln. Ihm war schließlich gleichgültig, ob die Besatzung satt zu essen hatte oder nicht. Als Offizier war er von diesem Problem ohnehin nicht berührt worden.
Was ihn dazu getrieben hatte, Pedro Morena ein Messer in die Brust zu stoßen, war die Gier nach Macht, Ansehen und Reichtum gewesen. Deshalb hatte er zugestoßen, als sich die Gelegenheit geboten hatte und er sich der Unterstützung einiger Getreuer sicher gewesen war.
Innerhalb kürzester Zeit war aus der „Esmeralda“ ein Piratenschiff geworden, das hinterhältig auf fette Beute lauerte.
In letzter Zeit hatte er vorwiegend in der Karibischen See unter den Eingeborenen geraubt, gemordet und geplündert. Dazwischen hatte er sich mit spanischen oder portugiesischen Kauffahrern angelegt. Zuweilen sogar mit kleineren spanischen Schiffen, die im Auftrage Seiner Allerkatholischsten Majestät, König Philip II., unterwegs waren, um das, was sie bei den Eingeborenen des südamerikanischen Kontinents geplündert hatten, in die Heimathäfen zu bringen.
Natürlich war das alles nicht spurlos an der „Esmeralda“ vorübergegangen. Einige Schäden waren jetzt noch deutlich am Rumpf und an den Aufbauten zu erkennen, zumal sie nur flüchtig ausgebessert worden waren.
Aber auch die Besatzung des Piratenschiffes sah teilweise aus, als würde sie nur noch durch Flicken zusammengehalten. Dieser Schein trog jedoch, auch wenn es sich überwiegend um verwahrlost aussehende Gestalten der verschiedensten Nationalitäten handelte. Diese Männer waren zäh wie Piranhas, und man konnte ihnen auf eine Seemeile Entfernung ansehen, daß ihnen das Messer locker im Gürtel saß.
Nur drei Männer der Mannschaft stammten noch aus der Zeit, in der die „Esmeralda“ ein Handelsschiff gewesen war und unter dem Befehl des geizigen Pedro Morena gestanden hatte. Die sechs übrigen waren nicht mehr am Leben. Vier davon hatten bei blutigen Enterkämpfen das Zeitliche gesegnet, und zwei hatte Alfredo Fernandez, der die Galeone mit eiserner Hand regierte, kurzerhand an der Großmarsrah aufknüpfen lassen, als der leise Verdacht entstanden war, daß sie auf eigene Faust agieren wollten, und zwar auf die gleiche Art und Weise, wie dies ihr Kapitän einst getan hatte.
Einer der Männer, die mit Alfredo Fernandez noch unter Pedro Morena gefahren waren, war Alfonso Casal, damals Steuermann der „Esmeralda“.
Der kleine, aber sehr kräftige und gefährlich aussehende Mann, war Fernandez sklavisch ergeben. Es war schwer zu erkennen, ob aus Bewunderung oder ganz einfach aus dem Druck heraus, unter dem er sich befand. Ihm gegenüber vermochte sich Fernandez mitunter als sehr großzügig zu erweisen, wahrscheinlich in dem berechnenden Bestreben, sich wenigstens die absolute Loyalität einiger weniger Männer zu erkaufen.
Alfredo Fernandez winkte Alfonso, der jetzt die Position des Zuchtmeisters innehatte und zeitweilig auch als Steuermann fungierte, zu sich aufs Achterdeck.
„Du weißt, um was es geht, Alfonso“, sagte er kurz. „Wir müssen unsere Lebensmittelvorräte ergänzen, und zwar möglichst um Früchte und Frischfleisch. Wir können nicht riskieren, die halbe Besatzung durch Skorbut zu verlieren. Das würde die Kampfkraft unseres Schiffes zu sehr schwächen.“
„Natürlich, Señor Capitán“, sagte Alfonso. „Das ist völlig klar. Ich dachte mir das schon, als Sie Befehl gaben, diese Bucht anzulaufen. Wie viele Männer soll ich an Land schikken?“
„Ich denke, es genügen sechs. Wir lassen ihnen einen ganzen Tag Zeit. Es ist noch kurz nach Tagesbeginn. Bis zum Einbruch der Dunkelheit können Sie einiges heranschaffen und im Boot lagern. Dort drüben im Dschungel und etwas weiter landeinwärts gibt es genug Früchte und auch jagdbares Wild. Sie sollen zusehen, daß sie auch einen oder zwei Tapire erwischen, die sind im Fleisch besonders ergiebig.“
„Selbstverständlich, Señor Capitán“, erwiderte Alfonso Casal. Aus seinem Verhalten Alfredo Fernandez gegenüber hätte man schließen können, daß es sich bei diesem nicht um einen Piratenkapitän, sondern um einen echten spanischen Grande handele.
„Die Kerle sollen sich gut bewaffnen“, fuhr Fernandez fort. „Wir werden sie bei Einbruch der Dunkelheit wieder an Bord nehmen. Inzwischen werden wir hier die Zeit nicht nutzlos vertrödeln, sondern einige Meilen weiter nordwestlich die große Bucht anlaufen, die Baja de Marajo genannt wird. Dort sind mehrere große und kleine Flußmündungen, und wir können einige Fässer Süßwasser aufnehmen. Vielleicht schließen wir sogar die Bekanntschaft anderer Reisender, wer weiß!“
Alfonso Casal, der Profos der „Esmeralda“ grinste unverschämt. Er wußte, was sein Kapitän damit meinte. Die Besatzung mußte schließlich auf Trab gehalten werden, denn in den letzten sieben Tagen hatten die Männer genug gefaulenzt. Es wurde Zeit, daß sie mal wieder auf Vordermann gebracht wurden. Und an Spaniern und Portugiesen gab es in dieser Gegend keinen allzugroßen Mangel.
Augenblicke später war die Stimme Alfonsos bis in den letzten Winkel der „Esmeralda“ zu vernehmen.
„Los, hopp, hopp, ihr faulen Säcke! In den letzten Tagen habt ihr euch lange genug als nutzlose Fresser amüsiert. Jetzt geht’s mal wieder an die Arbeit. Fiert das Beiboot ab, nehmt genügend Waffen mit und seht zu, daß ihr was Brauchbares auftreibt. Bei Einbruch der Dunkelheit werdet ihr wieder an Bord genommen. Miguel, du hast die Verantwortung. Entfach den fünf anderen mal ein wenig Feuer unter das verlängerte Rückgrat.“
Die fünf dafür vorgesehenen Männer unter der Führung von Miguel Camaro, einem vierschrötigen, brutalen Typ, der bereits sein halbes Leben auf Piratenschiffen verbracht hatte, verließen wenig später die „Esmeralda“ und pullten zur Sandbank hinüber.
Sie waren bis an die Zähne bewaffnet mit Musketen, Pistolen, Buschmessern und Säbeln. Und sie verstanden auch, mit diesen Waffen umzugehen, denn sie gingen nicht das erste Mal an Land, um im Dschungel die Lebensmittelvorräte ihres Schiffes zu ergänzen.
Zuweilen war es ihnen sogar gelungen, andere die Hauptarbeit für sich tun zu lassen, indem sie kleinere Ansiedlungen von Indianern und Buschmännern überfallen und das mitgenommen hatten, was die Eingeborenen gesammelt und erjagt hatten.
Kaum hatte der Landtrupp das Beiboot auf die Sandbank gezogen, da hörten sie wieder das Gebrüll Alfonso Casals, der den Rest der Mannschaft auf Trab brachte.
Sie kannten ihren Kapitän und auch seinen Profos. Sie wußten und hatten auch schon am eigenen Leibe erfahren, daß es für gewöhnlich besser war, sich nach diesen Männern zu richten, zumal es im Endeffekt immer wieder genug Beute für alle gab. Aber auch die neunschwänzige Katze an Bord der „Esmeralda“ hatte bisher wahrhaftig nicht als Zierstück gedient.
Es dauerte nicht lange, und die „Esmeralda“ hatte die kleine, verschwiegene Bucht wieder verlassen und ihren ursprünglichen Kurs aufgenommen. Eine leichte Brise aus Südost trieb sie auf die breite Baja de Marajo zu, in die sie bald darauf hineinsegelte.
Alfredo Fernandez, der gerade über eine alte, zerknitterte Seekarte gebeugt war, fuhr hoch, als der Mann im Ausguck plötzlich losbrüllte.
„Deck!“ schrie er. „Señor Capitán! Ich sehe ein Schiff Backbord voraus.“
„Was ist es für ein Schiff?“ rief der Kapitän zurück. „Los, verdammt, du Dreckskerl, reiß deine Augen auf!“ Gleichzeitig griff er nach dem Spektiv, um die Optik entsprechend einzustellen.
„Noch schlecht zu erkennen“, antwortete der Mann im Großmars, „scheint aber eine Galeone zu sein.“
„Halte die Augen weiterhin offen“, befahl Alfredo Fernandez und rief augenblicklich seinen Profos, Alfonso Casal, zu sich aufs Achterdeck.
Eigentlich war Casal viel mehr als nur der Profos und zeitweilige Steuermann. Er war für Fernandez das Mädchen für alles. Nicht zuletzt deshalb, weil der Kapitän diesem Mann wenigstens halbwegs trauen konnte.
Fernandez hatte gerade den Kieker ans Auge gesetzt, als Alfonso das Achterdeck betrat.
„Es ist eine Galeone“, sagte er. „Ein Dreimaster, sehr groß und schlank gebaut. Die Nationalität ist noch nicht zu erkennen. Wahrscheinlich ein Spanier, vermute ich wenigstens. Wenn ich das richtig sehe, ankert das Schiff in der Nähe eines merkwürdigen Wracks, das am Ufer liegt. Entweder hat den Kapitän die Neugier dorthin getrieben, oder aber sie sind ebenfalls scharf auf Vorräte und Trinkwasser.“
„Sehr schön, Señor Capitán“, sagte Alfonso Casal, und in seine kleinen, schwarzen Schweinsäuglein trat ein gefährliches Glitzern. „Wollen wir wieder ein bißchen Abwechslung in die Mannschaft bringen?“
Alfredo Fernandez nahm das Spektiv vom Bug und grinste Alfonso an.
„Warum nicht?“ sagte er. „Bestimmt hat diese Galeone einiges in ihren Frachträumen, für das wir gute Verwendung haben. Also, gehen wir ans Werk. Schließlich wollen wir nicht dem lieben Gott den Tag stehlen. Sollte uns das Schiff einigermaßen unversehrt ins Netz gehen, könnten wir – wer weiß – vielleicht noch etwas damit anfangen. Es ist ein stolzes Schiff und gut gebaut. Scheint ein schneller Segler zu sein.“
„Das will nichts heißen, Señor Capitán.“ Alfonso dienerte. „Wir haben schon andere Brocken geschafft. Ich muß gestehen, es juckt mir schon in den Händen.“
„Mir auch, Alfonso“, sagte Alfredo Fernandez mit einem entschlossenen Gesichtsausdruck. „Außerdem sind wir in der besseren Ausgangsposition und haben das Überraschungsmoment auf unserer Seite. Das Schiff scheint im flachen Wasser vor Anker zu liegen und dürfte damit weit weniger manövrierfähig sein als wir. Auf was warten wir noch?“
Fernandez, der Piratenkapitän, rollte die Seekarte zusammen. Gleich darauf brachte er mit Unterstützung seines Profos hektisches Leben in seine Mannschaft, die sich lebhaft ausmalen konnte, was die plötzlichen Aktivitäten zu bedeuten hatten.
Wenig später klirrten Waffen, und nackte Fußsohlen trampelten über das Deck. Jeder Handgriff, den die verwegenen Gestalten taten, saß am richtigen Platz. Sie waren Piraten und verstanden schließlich ihr Handwerk.
In kurzer Zeit war die dickbauchige, aber immer wieder überraschend wendige „Esmeralda“ klar zum Angriff.