Kitabı oku: «Seewölfe Paket 12», sayfa 29

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Der Glatzkopf schüttelte so heftig den Kopf, daß ihm seine Perücke über die Ohren rutschte. Da er das Messer nicht vom Hals seines Opfers nehmen wollte, fiel die Perücke zu Boden. Hastig bückte sich der Profos danach. Es schien ihm in diesem Moment egal, daß er den Kutscher dabei aus den Augen lassen mußte.

Im nächsten Augenblick wußte der Kutscher auch, warum.

Das rötliche Gesicht des Comte verzerrte sich zu einer Maske des Wahnsinns. Seine rechte Hand zuckte zurück und schleuderte das Glas auf den Glatzkopf, der sich gerade wieder aufrichtete.

„Du haarloses Schwein wagst es, mir ohne Perücke unter die Augen zu treten?“ kreischte der Comte mit sich überschlagender Stimme. „Ich werde dich vierteilen und zerschneiden lassen und deine einzelnen Stücke an den Rahen aufspießen!“

Der Profos hatte die Perücke wieder auf dem Kopf. Er hatte die Hände an die Hose gelegt und verbeugte sich ein paarmal. Er sagte kein Wort. Wahrscheinlich wußte er, wie er den Comte am schnellsten wieder beruhigen konnte.

Der spindeldürre Mann tauchte wieder auf und fragte mit zitternder Stimme etwas auf französisch.

Der Comte sackte in seinem Sessel zurück und schnaufte. Erst als der kleine Mann seine Frage wiederholt hatte, nickte er. Er zog ein Spitzentaschentuch aus dem Ärmelumschlag seines Rockes und fuhr sich damit über das Gesicht, das plötzlich in Schweiß gebadet war. Seine Hand war ruhig, als er das neue Glas entgegennahm und der kleine Mann es mit Wein aus der Karaffe füllte.

Der Anfall des Comte schien von einem Augenblick zum anderen vorbei zu sein. Es war, als wäre nichts geschehen. Auch der Profos hatte sich gefangen. Er wußte offensichtlich, daß die Gefahr für ihn gebannt war. Er wollte wieder die Hand mit dem Messer heben, um die Spitze dem Kutscher gegen den Hals zu setzen, als dieser reagierte.

Nichts war dem Kutscher widerwärtiger als Menschen, die sich Lust dadurch verschafften, daß sie andere Lebewesen quälten. Er hatte schon viel auf diesem Gebiet kennengelernt, aber der Comte übertraf sie offensichtlich alle.

Als der Glatzkopf sich wieder aufrichtete und strammstand und der Comte sich wieder beruhigte, wußte der Kutscher, daß er handeln mußte, wollte er sich nicht als willenloses Opferlamm abschlachten lassen.

Seine rechte Hand zuckte blitzschnell vor, schloß sich um den Kerzenleuchter und riß ihn hoch.

Der Glatzkopf wollte sich zurückwerfen, als die Kerzenflammen auf ihn zuschossen, aber er war viel zu langsam.

Der Kutscher traf das pockennarbige Gesicht und ließ den Leuchter sofort fallen. Er wußte, daß der Muskelprotz nur vor den Flammen zurückgezuckt war. Viel Schaden konnten sie sicher nicht anrichten. Er sah den Degen, der an der vertäfelten Wand der Kammer hing, und sprang darauf zu. Wie durch eine Wand hörte er den unterdrückten Schrei des Glatzkopfes. Er riß den Degen aus der Scheide und wirbelte herum.

Der Glatzkopf stand immer noch an derselben Stelle und hatte beide Hände vor das Gesicht gepreßt. Offensichtlich hatte eine der Kerzen ihn geblendet.

Der Kopf des Kutschers ruckte herum zu dem Kapitän und dem kleinen Mann, der mit weit aufgerissenen Augen neben dem Sessel stand.

In den Augen des Comte war ein gieriges Glitzern. Vielleicht wartete er nur darauf, daß der Kutscher den Spieß umdrehte und den bärenstarken Profos vor seinen Augen tötete.

Der Kutscher dachte nicht daran. Er wußte, daß niemand auf das Leben des Glatzkopfes Rücksicht nehmen würde. Anders würde es sich bei dem Comte verhalten.

Es war klar, daß sein Leben verwirkt war. Der Kutscher konnte das Piratenschiff niemals lebend verlassen, wenn er nicht ein Faustpfand in der Hand hatte. Und selbst dieses Faustpfand würde ihm wahrscheinlich nicht einmal helfen.

Mit wenigen Schritten war er beim Comte und hielt ihm die Spitze des Degens unters Kinn. Der kleine Mann mit der Schürze hob die Hand mit der Karaffe und schleuderte sie. Der Kutscher konnte sich im letzten Augenblick ducken. Das geschliffene Glas zischte dicht an seinem Kopf vorbei und zerklirrte an der Kante einer Truhe.

Wein spritzte in den Raum. Der rosafarbene Rock des Comte war plötzlich mit kleinen roten Flecken übersät. Fauvenoir begann zu kreischen wie ein Schwein, das abgestochen wird. Er ruckte in seinem Sessel hoch. Die Degenspitze, die ihm der Kutscher gegen den Hals gedrückt hatte, ritzte seine Haut, und gurgelnd sackte er in seinen Sessel zurück.

Der Kutscher hatte sein Messer gezogen und richtete es gegen den Mann mit der Schürze, der zu zittern begann und beide Arme abwehrend vorstreckte.

„Raus hier, du Hundesohn!“ schrie der Kutscher ihn an. „Oder ich schneide dir die Ohren ab!“

Der Mann drehte sich um, lief wie ein Wiesel an dem Muskelprotz vorbei und huschte durch die Tür aus der Kammer.

Die Kerle verstehen alle verdammt gut Englisch, dachte der Kutscher wütend. Er vernahm einen gedämpften Ton, der sich anhörte, als blase jemand auf einer Fanfare. Ihm blieb keine Zeit, lange darüber nachzudenken, was das zu bedeuten hatte. Der Comte kreischte immer noch, wagte sich aber nicht mehr zu rühren.

Vert-de-gris hatte die Hände vom Gesicht genommen, das zu einer fürchterlichen Grimasse verzerrt war. Über dem linken Auge war ein schwarzer Fleck, den eine Kerzenflamme verursacht haben mußte. Er blinzelte mit dem rechten Auge, und ein tiefes Grollen drang aus seiner mächtigen Brust.

Seine Hände, die groß wie Schaufeln waren, öffneten und schlossen sich. Er trat einen Schritt auf den Kutscher zu, blieb aber wieder stehen, als dieser den Druck der Degenspitze auf den Hals des Comte verstärkte und dieser in noch höheren Tönen zu quieken begann.

„Bleib mir vom Leib, Glatzkopf!“ sagte der Kutscher mit erhobener Stimme. „Einen Schritt weiter, und dein Comte kann durch den Hals atmen!“

Der Glatzkopf zersprang fast vor Wut. Der Kutscher sah ihm an, daß er am liebsten keine Rücksicht auf den Comte genommen hätte, aber er war sich offensichtlich darüber im klaren, daß mit dem Tod des Kapitäns auch seine Zeit an Bord der „L’Exécuteur“ abgelaufen war.

Der Kutscher ruckte mit dem Messer in der linken Hand.

„Verschwinde, Glatzkopf!“ sagte er zischend. „Hol den Bootsmann. Ich will mit ihm sprechen.“

Er merkte erst im letzten Augenblick, daß ihm die schmuddelige Perücke übers Ohr rutschte. Die Hand mit dem Messer fuhr hoch, um sie zu halten, aber er schaffte es nicht. Die Perücke fiel auf den Tisch.

Das Kreischen des Comte verstummte abrupt. Seine kleinen Augen quollen hervor und starrten auf die Perücke, die vor ihm auf dem Tisch lag.

Mit einer kaum wahrnehmbaren Bewegung zuckte seine Hand vor und hieb die Klinge des Degens zur Seite. Daß die Spitze ein bißchen Haut mitnahm, schien er nicht zu spüren.

Der Kutscher wurde von der heftigen Bewegung überrascht. Er wollte den Degen wieder herumreißen, als er aus den Augenwinkeln sah, wie sich der Glatzkopf zum Sprung duckte.

Gleichzeitig griff die Hand des Comte zur Perücke und schleuderte sie dem Kutscher entgegen, der nicht mehr rechtzeitig ausweichen konnte. Sie traf ihn im Gesicht und lenkte ihn für einen kurzen, aber entscheidenden Augenblick ab.

Der Glatzkopf hatte seine Chance erkannt und nahm sie wahr. Mit einem wahren Panthersatz hechtete er dem Kutscher entgegen, stieß einen hochlehnigen Stuhl um und erwischte den zurückweichenden Kutscher an der Hüfte.

Der Kutscher verlor den Halt und krachte zu Boden. Krampfhaft hielt er den Degen fest und hieb damit nach dem Muskelprotz, der neben ihm auf den blankgescheuerten Planken gelandet war.

Der Glatzkopf schrie röhrend auf. Die Klinge des Degens hatte sein Hosenbein am rechten Oberschenkel aufgeschlitzt und eine blutige Schramme im Fleisch verursacht.

Der Kutscher war sofort wieder auf den Beinen. Er hatte den Comte in diesem Augenblick vergessen. Er wußte, daß der Glatzkopf ihn umbringen wollte. Wenn er nicht schneller war als der Profos, war er in einigen Minuten ein toter Mann.

Der Glatzkopf stemmte sich an einem Stuhl in die Höhe. Jedenfalls sah es für den Kutscher so aus. Daß es eine Finte war, merkte er fast zu spät. Der Stuhl flog ihm entgegen. Er ließ sich blitzschnell fallen, aber das hölzerne Geschoß traf ihn noch an der Schulter.

Ein stechender Schmerz raste durch seinen Körper, als er versuchte, sich am Boden herumzudrehen und die Degenspitze auf den Glatzkopf zu richten, der sofort wieder angriff.

Ein Fuß des Profos’ zuckte vor und traf den Parierkorb des Degens. Die Waffe flog durch die Luft, prallte gegen die Vertäfelung der Kapitänskammer und fiel klirrend zu Boden.

Ein Grinsen zog das verunstaltete Gesicht des Glatzkopfes in die Breite. Er baute sich vor dem am Boden liegenden Kutscher auf und stemmte beide Fäuste in die Hüften. Das Messer in der linken Hand des Kutschers schien ihn nicht im mindesten zu beeindrucken.

„Schneid ihm den Hals durch!“ kreischte der Comte, der wie ein Affe in seinem Sessel auf und ab sprang und nicht zu bemerken schien, daß aus der Wunde an seinem Hals immer noch Blut lief.

Der Kutscher rührte sich nicht. Er wußte, daß er verloren hatte. Nichts konnte ihn jetzt noch retten. Er dachte an die Zwillinge, für die er sich verantwortlich fühlte, und er verfluchte die Sekunde, als ihm die Idee durchs Hirn gezuckt war, sich diesen Karibik-Haien freiwillig zu stellen.

Übelkeit stieg in ihm hoch, als er daran dachte, was der Seewolf und die anderen Kameraden von der „Isabella“ sagen würden, wenn sie erfuhren, daß er es nicht geschafft hatte, auf die Zwillinge aufzupassen.

„Jetzt bist du dran, du englischer Hurensohn!“ quetschte der Glatzkopf hervor. „Ich werde dir die Haut in Streifen …“ Seine Worte gingen in ein Gurgeln über.

Der Kutscher sah, wie die Augen des Glatzkopfes plötzlich nicht mehr klar waren und durch ihn hindurchstarrten. Dann sackte er langsam vornüber, und der Kutscher mußte sich zur Seite wälzen, damit der Muskelberg nicht auf ihn fiel.

Über dem Profos stand wie aus dem Boden gewachsen der Bootsmann. Er hatte sein rotes Kopftuch umgebunden und hielt die gekürzte Pike in der rechten Hand, mit der der Glatzkopf den Kutscher fast in zwei Stücke gehauen hätte.

Der Kopf des Kutschers ruckte zum Comte herum. Er war gespannt, wie der verrückte Kapitän auf die Provokation des Bootsmannes reagierte.

Der Adamsapfel des Comte zuckte auf und ab und bewegte die blutige Strieme an seinem Hals, die dadurch wie eine lebendige Schlange wirkte. Der Kapitän stieß hohe Gickser aus. Für mehr reichte es ihm im Moment nicht. Er war außer sich vor Wut.

Der Kutscher hatte erwartet, daß der Comte Angst zeigen würde, aber dazu war er wohl zu verrückt. Der dünne Zeigefinger seiner rechten Hand stach auf den Bootsmann zu.

„Raus!“ kreischte der Comte. „Ich will niemanden in meiner Kammer ohne Perücke sehen! Ich lasse dich aufhängen, Le Requin! Moreau! Wo bleibst du verdammter Kerl? Ich lasse dich auspeitschen, wenn du dich nicht zeigst! Ich …“

Der Comte verstummte und starrte auf den Bootsmann, der in aller Seelenruhe den Degen vom Boden aufgehoben hatte und langsam auf den Kapitän zuging.

„Moreau!“ begann der Comte wieder zu kreischen.

Aber kein Moreau erschien, um ihm zu helfen.

Der Kutscher richtete sich an der Truhe auf und fluchte unterdrückt, als er sich an einer Glasscherbe die Hand ritzte. Sein Blick glitt zwischen dem Bootsmann, dem Kapitän und dem bewußtlosen Glatzkopf, dem die Perücke beim Sturz wieder vom Kopf gerutscht war, hin und her.

Das Kreischen des Comte ging in ein Wimmern über. Jetzt war die Angst in seinen Augen. In seinem irren Hirn schien doch noch ein Teil die Wirklichkeit erkennen zu können.

„Du – du willst mich töten?“ jammerte er.

„Das werde ich tun, Verräter“, sagte Le Requin mit kalter Stimme, in der nicht eine Spur von Gefühl mitschwang.

„Ich bin kein Verräter!“ kreischte der Comte. „Ich sorge für meine Leute! Noch nie haben uns die Spanier angegriffen!“

„Weil du ihnen andere Schiffe zum Fraß vorwirfst, indem du sie verrätst“, erwiderte Le Requin. „Sie wissen inzwischen alle, wer der Verräter ist. Zwölf Schiffe halten auf diese Insel zu, Comte. Und sie werden uns zusammenschießen, wenn du noch lebst. Nur dein Tod kann uns alle vor dem Untergang bewahren.“

„Nein!“ Die Stimme des Comte überschlug sich. „Ich habe niemanden verraten! Ich will nicht sterben. Ich will nicht …“

Der Degen bohrte sich ihm in die Brust und riß ihm die letzten Worte von den Lippen.

Der Bootsmann ließ den Degen los. Der Korb der Waffe wippte sanft auf und ab.

Der Comte hatte den Mund weit geöffnet, aber er brachte kein Wort mehr über die Lippen. Er starrte ungläubig auf die Klinge, die in seiner Brust steckte, griff aber nicht danach, um sie herauszuziehen.

Von einem Augenblick zum anderen verließ ihn das Leben. Er sackte nach vorn auf den Tisch. Dumpf prallte der Degenkorb auf die Platte.

Le Requin wandte sich von ihm ab und blickte den Kutscher starr an, als überlege er, was er mit ihm tun solle.

„Ich bin der neue Kapitän dieses Schiffes“, sagte er schließlich. „Ich hoffe, daß deine Kameraden sich so verhalten haben, wie Ecossais es sich erhoffte. Wenn das der Fall ist, seid ihr gleichberechtigte Mitglieder meiner Mannschaft. Wenn nicht, wirst auch du diesen Tag nicht überleben.“

Er ging auf die Tür zu und wies auf den am Boden liegenden Profos.

„Er war der Vertraute des Comte“, sagte er. „Meine Männer sollen das Urteil über ihn sprechen. Binde und bewachte ihn. Du bleibst so lange in dieser Kammer, bis du einen anderslautenden Befehl erhältst.“

Ohne auf eine Antwort zu warten, verließ Le Requin die Kapitänskammer. Die Tür schlug hinter ihm zu.

Der Kutscher wartete darauf, daß sich der Schlüssel im Schloß drehte, aber er hörte kein Geräusch. Hastig begann er, sich in der Kammer nach etwas umzusehen, mit dem er den Glatzkopf fesseln konnte. Er hatte keine Lust, sich mit dem Muskelberg noch einmal auseinandersetzen zu müssen.

Er öffnete die Truhe, neben der er stand, konnte aber keinen Blick hineinwerfen, weil der Glatzkopf in diesem Augenblick zu stöhnen begann.

Hastig lief der Kutscher um den Tisch herum, wo die gekürzte Pike lag, die der Bootsmann einfach fallen gelassen hatte, als der Profos reglos am Boden lag und nicht mehr in der Lage gewesen war, in das Geschehen einzugreifen.

Der Glatzkopf hatte sich schon am Tisch hochgerappelt, als der Kutscher wieder neben ihm auftauchte und kurz mit der Pike zuschlug. Mit einem Röcheln ging der Profos wieder zu Boden. An der Stelle, wo der Bootsmann hingelangt hatte, blühte schon eine prächtige Beule auf der pockennarbigen Glatze.

Der Kutscher beeilte sich mit der Suche nach etwas, mit dem er den Muskelberg binden konnte. Schließlich fand er in einem Wandschapp, in dem die Kleidung des Comte hing, auch ein paar Lederriemen, die sich gut dazu eigneten.

Zusätzlich fesselte er den Profos an eines der armdicken Tischbeine, die auf den Planken befestigt waren. Der Kopf des Muskelberges war auf die Brust gesackt. Eine Art Schnarchen kündigte an, daß er bald wieder aus seiner Ohnmacht erwachen würde.

Der Kutscher zog sich zurück zur Truhe. Die Augen gingen ihm über, als er es im Schein des zweiten Kerzenleuchters, der immer noch auf dem Tisch stand, funkeln und glitzern sah.

Die Truhe mit ihrem Inhalt war ein Vermögen wert!

Der Kutscher war versucht, nach den Smaragden, Rubinen und Perlen zu greifen, doch seine Hand zuckte zurück. Vielleicht wurde er durchsucht, wenn er diese Kammer wieder verlassen durfte, und dann hängte man ihn auf, weil er sich an dem Eigentum des neuen Kapitäns vergriffen hatte.

Er klappte den Deckel der Truhe zu und entfernte sich hastig davon, als sei sie glühend. Mit einer heftigen Bewegung riß er die Brokatgardinen von den Fenstern zurück, so daß grelles Licht in die Kammer des Kapitäns fiel.

Der Kutscher schloß für einen Moment geblendet die Augen. Dann starrte er hinaus, aber er konnte außer dem Fluß und dem einen Ufer nicht viel erkennen.

Er dachte an Matt Davies, Stenmark, Blacky und Batuti und hoffte inbrünstig, daß sie den Schotten nicht enttäuscht hatten. Vielleicht aber waren alle schon tot. Dann würde er noch an diesem Abend neben dem Profos an einer Rahnock hängen.

Der Kutscher schüttelte sich. In diesem Moment schwor er sich, ein Jahr lang keinen Fuß mehr von der „Isabella“ zu setzen, wenn er erst mal wieder ihre Planken unter seinen Fußsohlen spürte.

Das Stöhnen des Glatzkopfes riß ihn aus seinen Gedanken. Er packte die gekürzte Pike fester und trat auf den Profos zu, der die Augen geöffnet hatte und allmählich wieder in die Wirklichkeit zurückkehrte. Als er den Kutscher erkannte, begann er sofort, heftig an seinen Fesseln zu zerren.

„Keine Bewegung!“ stieß der Kutscher alarmiert hervor. „Wenn du versuchst, die Fesseln abzustreifen, brate ich dir wieder was mit der Pike über!“ Zur Bestätigung seiner Worte hob er die Pike.

Der Profos hielt in seinen Bemühungen knurrend inne. Sein malträtierter Kopf drehte sich, und als er den toten Comte auf der Tischplatte liegen sah, quollen ihm die Augen über.

„Le Requin!“ quetschte er hervor.

Der Kutscher nickte grimmig.

„Er ist der neue Kapitän, Glatzkopf“, sagte er, „und du hast nichts mehr zu melden. Wenn mich nicht alles täuscht, wird er dich den Haien zum Fraß vorwerfen.“

Der Profos sah aus, als hätte er die Worte des Kutschers nicht verstanden. Er konnte seinen Blick nicht von dem toten Comte wenden. Ein Schluchzen stieg in seiner Kehle auf, und dann fing er tatsächlich zu weinen an. Dicke Tränen liefen ihm über die zerfurchten Wangen. Er war nur noch ein Bündel Elend.

Dem Kutscher war es nur recht, wenn der Muskelberg sich aufgab. Er wünschte sich alles andere, nur nicht, daß er noch einmal gegen diesen bärenstarken Mann kämpfen mußte.

8.

Das Hämmern von Schritten auf dem Deck und laute Stimmen, die bis zu ihm in die Kapitänskammer dröhnten, zeigten dem Kutscher, daß die Übernahme des Schiffes durch Le Requin nicht so einfach vor sich ging, wie dieser sich vielleicht gewünscht hatte.

Der Kutscher fragte sich immer noch, ob der Bootsmann in den Kampf hier unten eingegriffen hatte, um ihm zu helfen, oder ob sein Auftauchen mit dem Fanfarenton, den er kurz zuvor gehört hatte, zusammenhing.

Er fluchte unterdrückt. Es war eine verdammte Situation, wenn man in einer Klemme steckte und nicht einmal wußte, was eigentlich los war.

Er beugte sich vor und blickte aus dem Fenster. Am Ufer konnte er einige Piraten entdecken, die ein Boot ins Wasser schoben. Aber weder einer seiner Kameraden noch der Schotte waren unter ihnen.

Ein Geräusch an der Tür ließ ihn herumfahren. Er erkannte nur einen kleinen Schatten, weil er noch vom grellen Sonnenlicht geblendet war, aber instinktiv wußte er, daß dieser Schatten nichts Gutes für ihn bedeutete.

Er warf sich zur Seite. Im selben Moment blühte auf halber Höhe des Schattens eine Feuerblume auf, und ein schmetternder Knall erfüllte die Kammer.

Die Kugel, die der Mann an der Tür abgefeuert hatte, schlug durch ein Fenster. Klirrend fiel das Glas in tausend Stücken zu Boden. Ein Splitter ratschte über die Wange des Kutschers, aber er spürte nichts davon.

Er konnte die Umrisse des kleinen Schattens jetzt deutlich erkennen und wußte, daß es der spindeldürre Aufklarer mit der Schürze war, der den Comte bedient hatte. Der Mann hielt in jeder Hand eine Pistole und hob jetzt die Linke. Die daumengroße Mündung der Waffe zielte auf den am Boden liegenden Kutscher, der keine Möglichkeit mehr hatte, auszuweichen.

Mit einer verzweifelten Bewegung schleuderte der Kutscher die Pike, die er immer noch in der Hand hielt. Sie war noch in der Luft, als der dürre Aufklarer des Comte die zweite Pistole abdrückte.

Der Kutscher spürte einen heißen Luftzug an seinem linken Ohr. Gleichzeitig mit dem dumpfen Pochen, das die in das Holz schlagende Kugel verursachte, hörte er den Schrei des Aufklarers.

Er sprang auf die Beine und zerrte sein Messer aus dem Gürtel, das ihm bisher niemand abgenommen hatte. Mit ein paar Schritten lief er auf die Tür zu, blieb aber stehen, als er sah, daß der Aufklarer, den der Comte Moreau genannt hatte, steif neben der Tür an der Wand lehnte und ihn mit großen Augen anstarrte. Seine Hände hatte der Mann um das Holz der verkürzten Pike verkrampft.

Der Kutscher verlor die Farbe aus dem Gesicht. Blut begann, die Schürze des Aufklarers dunkel zu färben. Die eiserne Spitze der Pike hatte den dürren Mann unterhalb des Brustbeins getroffen und sich in seinen Körper gebohrt.

Die Tür, die von allein wieder zurückgeschwungen war, wurde aufgerissen. Ein schwarzhaariger Mann mit einem Degen in der Hand tauchte auf. Er blieb in der Tür stehen und schaute sich in aller Ruhe in der Kapitänskammer um. Schließlich blieb sein Blick an dem Kutscher hängen, weil der für den Schwarzhaarigen der einzige Gesprächspartner in diesem Raum war.

Der Kutscher hob die Hand mit dem Messer.

Ein Lächeln glitt über das Gesicht des Schwarzhaarigen. Er steckte den Degen in das Gehänge an seiner linken Hüfte und sagte: „Du siehst nicht wie ein Kämpfer aus, Engländer, aber das ist wohl ein Irrtum, den schon viele mit dem Leben bezahlt haben, wie?“

Der Kutscher war nicht in der Verfassung, Komplimente entgegenzunehmen.

„Wer bist du?“ fragte er heiser.

„Mein Name ist Nicolas Colter“, erwiderte der Schwarzhaarige. „Ich bin der neue Bootsmann auf der ‚L’Exécuteur‘.“

Der Kutscher spuckte aus, ohne Rücksicht auf die gescheuerten Planken der Kapitänskammer zu nehmen.

„Ich hab langsam die Schnauze voll“, sagte er wütend. „Was ist auf diesem verdammten Kahn eigentlich los? Seid ihr nun Piraten oder nicht? Und warum habt ihr einen Verrückten wie den da“, er wies mit einer Kopfbewegung zum toten Comte hinüber, „so lange als Kapitän ertragen?“

„Du wirst schon noch jemanden finden, der dir Antworten auf deine Fragen gibt“, erwiderte Colter. „Schnapp dir Moreau, und bring ihn an Deck, damit wir ihn über Bord werfen können. Orbite wird dir dann dabei helfen, die Kammer aufzuklaren. Schafft ein bißchen Ordnung, aber den Comte laßt so liegen. Rührt ihn nicht an, bevor Le Requin euch einen Befehl dazu gibt, klar?“

Der Kutscher nickte seufzend und steckte sein Messer weg. Er würde wohl nie eine Antwort auf seine Fragen erhalten. Er hoffte, daß wenigstens Matt und die anderen Bescheid wußten, wenn sie mit dem Schotten von ihrem Landgang zurückkehrten.

Der spindeldürre Mann lehnte immer noch an der Wand neben der Tür, aber der Kutscher sah, daß in seinen Augen kein Leben mehr war. Er faßte vorsichtig nach der Pike und zog daran. Die Hände des kleinen Aufklarers fielen herunter, und die kleine Gestalt sackte in sich zusammen.

Der Kutscher legte die Pike beiseite und griff nach dem Kragen des Toten, um ihn hochzuwuchten. Der neue Bootsmann war verschwunden, aber dafür tauchte jetzt ein anderer Pirat auf, ein gedrungener, breitschultriger Kerl mit Lockenhaar und einer runden Augenklappe, die ihm ein wüstes Aussehen verlieh.

„Orbite?“ fragte der Kutscher.

Der Pirat nickte grinsend. „Und wie heißt du?“

Gott sei Dank sprach auch dieser Kerl Englisch. Fast schien es dem Kutscher, daß hier an Bordder „L’Exécuteur“ der Hundertjährige Krieg fortgesetzt wurde. Zu seinem Glück schienen die Piraten, die es mit den Engländern hielten, die Oberhand zu gewinnen.

„Kutscher“, sagte der Kutscher.

Der Pirat verzog fragend das Gesicht.

„Das ist mein Name“, sagte der Kutscher willig. „Ich erklär es dir irgendwann später mal.“ Endlich mal was, was ich weiß und die anderen nicht, dachte er.

Der Pirat zuckte mit den Schultern. Er wies auf den toten Moreau und sagte: „Soll ich dir helfen?“

„Mir ist es lieber, du paßt auf den Glatzkopf auf“, erwiderte der Kutscher. „Es sieht zwar so aus, als würde sich der Kerl vor Angst in die Hosen machen, aber man kann nie wissen.“

Orbite grinste, und seine beiden Zähne, die einsam aus seinem Oberkiefer ragten, blitzten im Licht der einfallenden Sonne.

„Es ist mir ein Vergnügen“, sagte er knurrend. „Das Schwein hat mich sowieso mehr als nötig gequält, nur weil ich sein gequetschtes Französisch nicht immer gleich verstanden habe.“

Der Kutscher lud sich den toten Aufklarer auf die Schultern und verließ die Kapitänskammer. Ihm war es gleich, was der Pirat mit seinem ehemaligen Profos anstellte. Daß er den Comte nicht anrühren sollte, hatte ihm der neue Bootsmann hoffentlich gesagt.

Die Stimmen an Deck waren lauter geworden. Französische Laute drangen an die Ohren des Kutschers, und er hörte die Wut und Enttäuschung aus den Stimmen heraus, obwohl er die einzelnen Worte nicht verstand.

Vor dem Niedergang, der zum Quarterdeck hinaufführte, legte er den Leichnam des dürren Mannes mit der blutbesudelten Schürze ab. Er hielt es nicht für klug, in diesem Moment mit dem Toten an Deck zu erscheinen.

Er entschloß sich, erst einmal das Terrain zu sondieren. Stufe für Stufe schob er sich hinauf und blieb stehen, als er mit den Planken des Quarterdecks auf Augenhöhe war.

Zuerst sah er nur Beine. Eine Reihe von Piraten hatte sich hinter der Balustrade, die das Quarterdeck zur Kuhl abgrenzte, aufgebaut. Vor ihnen stand Le Requin, die Hände auf dem Handlauf der Balustrade, und sprach eindringlich zu den Leuten in der Kuhl hinunter, die der Kutscher nicht sehen konnte.

Le Requin sprach französisch, und der Kutscher hörte ein paarmal das Wort „Ecossais“.

War der. Schotte mit Matt Davies und den anderen schon von seinem Landgang zurück? Wußten sie, was mit ihm, dem Kutscher, inzwischen geschehen war?

Erregung stieg in dem Kutscher auf. Er wagte sich weiter den Niedergang hinauf und betrat das Quarterdeck. In der Kuhl schien es in diesem Moment einen Aufstand zu geben. Männer schrien durcheinander. Der Name des alten Profos’ wurde immer wieder gerufen.

Einer der Männer, die sich hinter Le Requin aufgebaut hatten, drehte sich plötzlich um, als habe er ein Geräusch gehört. Der Kutscher blieb stocksteif stehen. Zwei kalte graue Augen musterten ihn mißtrauisch, doch dann schien der Pirat ihn zu erkennen und senkte das Krummesser wieder, das er bereits wie zum Wurf erhoben hatte.

Der Kutscher nickte ihm zu und trat wieder vor, um auf die Kuhl sehen zu können. Seine Augen suchten Matt Davies, Stenmark, Blacky und Batuti.

Den Neger entdeckte er zuerst. Dicht unterhalb des Vordecks stand er am Schanzkleid und hatte die rechte Hand um die Wanten des Fockmastes geschlungen, die bereits wieder hergerichtet waren. Dann sah er auch die anderen. Erleichterung erfaßte ihn. Sie lebten, und das bedeutete, daß für Le Requin und den Schotten alles nach Plan verlaufen war.

Der Lärm auf der Kuhl nahm an Lautstärke zu. Der Kutscher sah besorgt, wie sich ein großer Haufen Piraten um einen hageren Kerl versammelte und drohend die Fäuste zum Quarterdeck hinauf schüttelte. Wieder stieg der Name „Vert-de-gris“ in den tiefblauen Nachmittagshimmel.

Le Requin hatte eine Pistole gezogen und brüllte die Männer an. Es nutzte nicht viel. Die Anhänger des Comte und seines Profos’ hatten sich offensichtlich in Wut geschrien und schienen entschlossen, es auf einen Kampf ankommen zu lassen.

Ein donnerndes Krachen übertönte für Sekunden das Brüllen der Männer. Auch der Kutscher war zusammengezuckt. Er wandte den Kopf nach rechts und sah eine graue Wolke vor der Mündung einer Drehbasse in den Himmel steigen. Einer der Piraten hatte eine Blindladung abgefeuert.

In die entstandene Stille hinein schrie er: „Drei Pinassen nehmen Kurs auf uns!“

Im selben Augenblick erklang auch wieder die Fanfare, die der Kutscher schon in der Kapitänskammer gehört hatte, kurz nachdem er dem Glatzkopf den Kerzenleuchter ins Gesicht gedrückt hatte.

Die Töne wehten von dem mit Bäumen bewachsenen Hügel herüber, den auch sie durch die Schneise erklettert hatten. Wahrscheinlich hatte Le Requin dort einen Ausguck postiert. Mit dem ersten Signal hatte der Ausguck wohl die Ankunft eines anderen Schiffes angekündigt.

In der Kuhl wurden keine Stimmen mehr laut. Die Ankündigung des Mannes an der Drehbasse, daß drei Pinassen in die Flußmündung segelten, schien den Mut des hageren Piraten und seiner Anhänger gebrochen zu haben.

Der Kutscher lief zur Steuerbordreling und starrte zur Flußmündung. Durch die Biegung, die der breite Fluß beschrieb, bevor sich seine Wasser ins Meer ergossen, konnte er nur einen kleinen Ausschnitt der offenen See erkennen. Drei Galeonen entdeckte er, dann schob sich ein viertes Schiff in sein Blickfeld. Weitere Mastspitzen bestätigten die Vermutung des Kutschers, daß eine Flotte vor der kleinen Insel aufgekreuzt war.

Batuti hatte ihn erkannt und winkte zu ihm herauf. Er wäre zu gern zu seinen Kameraden auf die Kuhl hinuntergestiegen, aber er wußte, was es bedeutete, einen Befehl des Kapitäns nicht auszuführen. Er winkte kurz zurück und lief wieder zum Niedergang, um den Leichnam des dürren Kochs und Aufklarers an Deck zu bringen.

Er brauchte den leichten Moreau nicht selbst über Bord zu befördern. Auf einen Wink Le Requins hin wurde ihm der Leichnam von zwei Männern abgenommen, und er konnte wieder nach unten verschwinden, um Orbite beim Aufklaren der Kapitänskammer zu helfen.

Als er in der Kammer erschien, stand der Pirat mit der Augenklappe neben der Truhe und zuckte zusammen, als sei er bei irgend etwas erwischt worden. Vert-de-gris, der Exprofos, lehnte bewußtlos am Tischbein, an das der Kutscher ihn gefesselt hatte.

Du Schweinehund hast in die Truhe gegriffen, dachte der Kutscher, äußerte sich aber nicht weiter. Er sah, wie sich der Hosensack des Einäugigen ausbeulte, und er sagte sich, daß es gut war, über die einzelnen Piraten Bescheid zu wissen.

Er tat, als wäre ihm nichts aufgefallen, und ging sofort auf den gefesselten Profos zu.

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