Kitabı oku: «Seewölfe Paket 12», sayfa 24
9.
Lodovisi, Zorzo, Prevost und die fünf anderen ehemaligen Decksleute der „Novara“ hatten eine lichtere Region des Dschungels erreicht, von der aus sie das Aufblitzen der Explosionen in den Bergen sehen konnten. Das Grollen war so deutlich zu hören, als wären die Ladungen in ihrer unmittelbaren Nähe hochgegangen.
„Ich werd’ nicht wieder“, sagte Zorzo. „Da müssen ja ganze Pulverfässer in die Luft geflogen sein. Wer ist denn so verrückt, das zu tun?“
„Keine Ahnung“, erwiderte Roi Lodovisi. „Aber eins steht fest. Zwei gegnerische Gruppen schlagen sich da drüben die Köpfe ein.“
„Und wir wollen uns in diesen Teufelskreis wagen?“ fragte Prevost. „Das gefällt mir nicht. Das geht nicht gut für uns aus, sage ich.“
Einer seiner Kumpane, der sich etwas weiter vorgearbeitet hatte, sagte plötzlich: „Kommt mal her – hier herüber! Ich sehe ein paar Lichter. Da muß ein Dorf oder so was Ähnliches sein.“
Sie wandten sich um und eilten ihm nach. Wenige Augenblicke später konnten auch sie die glitzernden Punkte sehen, die unzweifelhaft die Beleuchtung mehrerer Häuser darstellten. Die Bauten schienen in einer Senke oder einem Tal zu stehen. Sie lagen auf jeden Fall unterhalb des Platzes, wo der Urwald sich öffnete und Lodovisi und seine Kerle jetzt standen.
Lodovisi lächelte mit einemmal.
„Sehr gut“, sagte er. „Jetzt wissen wir, wo unser Ziel liegt. Wie heißt es doch so schön? Wenn zwei sich streiten, freut sich der dritte.“
„Und jeder ist sich selbst der Nächste“, warf Mario Zorzo ein.
„Ja, das natürlich auch. Dort unten finden wir mit Sicherheit alles, was wir brauchen“, sagte Lodovisi. „Waffen, Pulver, Kugeln – alles. Wenn wir Glück haben, gibt es nur ein paar Wachen, die wir leicht überwältigen können. Los, beeilen wir uns.“
Sie begannen den Abstieg ins Tal.
Sie ahnten nicht, daß jemand anders bereits im Begriff war, ihnen ein wichtiges Stück Arbeit abzunehmen.
Die beiden Franzosen, die als Posten bei den Steinhäusern zurückgeblieben waren, sahen sich besorgt an. Sie fragten sich, was oben in den Bergen an der Westbucht wohl vorgehen mochte und welche Art Kampf La Menthe gegen die, die den Frieden der Insel Martinique gestört hatten, führen mußte.
Sie standen nicht weit vom Sklavenhaus entfernt und hielten ihre Musketen im Anschlag. Ihre Anweisungen waren klar. Sie sollten sich nicht vom Fleck rühren, eventuelle Angriffe von außen abwehren, vor allem aber darauf achten, daß die Senegalesen – vier Männer und sechs Frauen – nicht die allgemeine Unruhe ausnutzten und einen Ausbruchsversuch unternahmen.
Im Sklavenhaus wurden hin und wieder Rufe laut, manchmal waren polternde Laute zu vernehmen.
„Verdammter Mist“, sagte der eine Posten. „Jetzt werden sie doch aufsässig. Wir hätten sie besser gleich angekettet.“
„Das ließe sich nachholen“, erwiderte der zweite Mann. „Wir riegeln die Tür auf, du hältst sie in Schach, und ich fessle sie mit den Ketten an die Mauer. Dann haben wir unsere Ruhe.“
„Warte“, sagte der erste. „Ich habe ein Geräusch gehört.“
„Ja, natürlich. Sie werden immer wilder und haben die Peitsche verdient.“
„Nein, das ist es nicht.“
„Doch. Und soll ich dir was sagen? Es sind die Weiber, die ihre Kerle aufhetzen. Sie wissen, daß wir nur noch zu zweit sind, und wittern ihre Chance. Sie …“
„Nein“, unterbrach ihn der andere. „Das Geräusch klang von La Menthes Haus her. So ein Kratzen oder Schaben – als ob jemand an der Hintertür herumhantiert.“
„Jetzt phantasierst du. Das schwarze Pack kann nicht ausgebrochen sein. Noch ist die Tür zu, und die Fenster sind alle vergittert. Wo sollen sie denn wohl ’rausschlüpfen, wenn nicht aus der Tür?“
Der andere ließ sich nicht beirren. „Ich will nicht sagen, daß es einer der Neger ist, der da im Dunkeln herumschleicht. La Menthe hat uns vorhin zugerufen, der Aufstand sei ausgebrochen. Irgend jemand ist auf der Insel gelandet und bedroht uns, oder wie stellst du dir das sonst vor? Ich meine, irgend so ein Bastard könnte doch zu uns heruntergeschlichen sein, ohne daß La Menthe es bemerkt hat, und es dürfte ihm nicht schwergefallen sein, über die Mauer zu klettern.“
„Sei still“, zischte sein Kamerad. „Ich wage mir das gar nicht auszumalen.“
„Hast du die Hosen schon voll?“
„Unsinn.“
„Ich sehe jetzt mal nach, was da los ist“, sagte der erste Mann. „Halt du mir den Rücken frei.“ Er drehte sich halb um und ging auf das große Haus von Regis La Menthe zu, in dessen Innenräumen genau wie in den anderen Bauten Öllampen brannten, die die Posten bei Anbruch der Dunkelheit entfacht hatten.
Er schickte sich an, das Haus zu umrunden, und sein Landsmann folgte ihm, wobei er aufmerksam nach allen Seiten sicherte.
Der erste Posten war an der Südseite des Gebäudes und schob sich mit vorgehaltener Waffe auf die hintere Ecke zu. Der zweite hielt sich auf drei bis vier Schritte Distanz hinter ihm, wandte aber jäh den Kopf, weil er zu seiner Linken – dort, wo das Wohnhaus von La Menthes französischer „Garde“ stand – eine Bewegung registriert zu haben glaubte.
Etwas flog auf ihn zu. Es war ein Stein, aber das bemerkte er zu spät. Der Stein traf mit geradezu unheimlicher Präzision seine Schläfe, und er sank zusammen, noch ehe er seine Muskete hochbringen und den Zeigefinger um den Abzug krümmen konnte.
Der erste Posten fuhr herum, aber von der Rückseite des La-Menthe-Gebäudes schnellte jetzt ein Schatten auf ihn zu und warf sich auf ihn. Vom Nebenhaus näherte sich die schwarze Gestalt, die den Stein geworfen hatte, und hieb dem Franzosen einen zweiten Gesteinsbrocken auf den Kopf, bevor dieser den anderen Angreifer abzuschütteln vermochte.
Der Franzose gab einen würgenden Laut von sich, ließ die Muskete los und streckte Arme und Beine von sich. Er war ohnmächtig geworden. Der Mann mit dem Stein wollte wieder und wieder auf ihn einschlagen, doch sein Freund hielt ihn zurück.
„Wir wollen sie nicht töten, Bruder“, raunte er. „Wir wollen nicht so barbarisch sein wie sie.“
Der andere nickte, wenn auch widerwillig. Er half seinem Stammesbruder, die beiden Bewußtlosen zu dem Sklavenhaus zu schleppen. Dann nahmen sie dem einen den großen Schlüsselbund ab, suchten den passenden Schlüssel hervor und entriegelten die Tür. Sie drückten sie auf und flüsterten den Insassen des einzigen Raumes ein paar beruhigende Worte zu.
Das Licht der Öllampe, die unter dem einen Deckenbalken baumelte, fiel auf ihre halbnackten Gestalten, so daß die zehn überraschten Senegalesen keine Schwierigkeiten hatten, sie sofort als die beiden Sklaven zu identifizieren, die La Menthe und Duplessis auf dem Bergpfad entlaufen waren.
Die Flucht war den beiden schwarzen Männern gelungen, und jetzt waren sie ins Lager ihrer Bezwinger zurückgekehrt, um ihre Brüder und Schwestern zu befreien.
10.
Lodovisi, Zorzo, Prevost und die übrigen Meuterer der „Novara“ trafen wenige Minuten später am Bachlauf ein und schlichen daran entlang auf die Einfriedung des Lagers zu.
Sie pirschten eine Weile um die Mauer herum, wagten aber nicht, darüber hinwegzuklettern, weil sie damit rechneten, daß die Wachtposten, die nach ihren Vorstellungen im Inneren Patrouille gingen, sofort auf sie schießen würden.
So erreichten sie, immer noch uneinig, was zu tun war, das Tor des Anwesens. Zu ihrer großen Überraschung stand es nur angelehnt und ließ sich leicht aufschieben. Es bewegte sich in gut geölten Angeln und gab kein verräterisches Knarren oder Quietschen von sich.
„Vorsicht“, warnte Prevost. „Das könnte eine Falle sein.“
„Glaube ich nicht“, sagte Zorzo ebenso leise. „Drinnen ist alles ruhig. Möglich, daß alle Mann ausgerückt sind, um sich in den Bergen gegen den Feind zu wehren, egal, wer’s ist.“
„In den Bergen wird nicht mehr geschossen“, flüsterte Lodovisi. „Es ist verdächtig still. Der Kampf scheint entschieden zu sein. Wer gewonnen hat, soll uns nicht kratzen. Wir müssen nur damit rechnen, daß die, denen das hier gehört, bald zurückkehren. Also los, beeilen wir uns.“
Entschlossen schlüpfte er durch den Spalt des Tores ins Innere des Lagers. Sein erster mißtrauischer Blick galt den Häusern, in denen die Lichter brannten, die sie von der Anhöhe aus gesichtet hatten. Offenbar befand sich kein Mensch in diesen Bauten, und auch auf dem großen freien Platz davor und dazwischen bewegten sich keine Gestalten.
Lodovisi sah nach rechts und sah ein Geschütz, das er sofort als ein Falkonett einstufte, als einen Dreipfünder also. Daß La Menthe und dessen Kumpane es seinerzeit aus dem Wrack ihres Schiffes geborgen und zur Insel geschafft hatten, konnte er nicht wissen, aber es hätte ihn auch weniger interessiert als die Tatsache, daß neben dem Falkonett Kugeln lagen und ein Pulverfäßchen bereitstand. Außerdem gab es ein kleines Kupferbecken, in dem Holzkohle zum Anzünden der Lunte glomm. Die Mündung des Geschützes ragte in eine schmale, hohe Schießscharte der Mauer, blickte somit also ins Freie, um etwaigen Angreifern einen Eisengruß entbieten zu können.
Die beiden Wachtposten hatten das Holzkohlenfeuer angezündet, als La Menthe Alarm geschrien und drei Männer aus dem Lager abgezogen hatte. Das gehörte zu den Routinemaßnahmen, die ergriffen wurden, wenn Gefahr im Verzug war.
„Zorzo“, raunte Lodovisi. „Hier steht ein wunderbares kleines Spielzeug, das dir gefallen wird, und ich rate dir, gleich daran Wache zu halten, damit wir den Rücken frei haben.“
„Ist das ein Befehl?“
„Natürlich ist er das.“
„Ich mag es nicht, wenn du mich wie einen Hund herumkommandierst, Lodovisi“, zischte Mario Zorzo. „Du bist jetzt nicht mehr der Profos, merk dir das.“
„Streitet jetzt nicht“, flüsterte Prevost. „Es ist nicht der richtige Augenblick dafür. Wir können später noch diskutieren, wer das Sagen hat.“
„Also gut, einverstanden“, sagte Zorzo. Er drängte sich an Lodovisi vorbei, der ihn mit einem mißbilligenden Blick bedachte, und nahm Aufstellung an der Kanone.
Lodovisi, Prevost und die fünf anderen schlichen vom Tor aus über den Platz und näherten sich dem Sklavenhaus, dessen Tür halb offen stand. Sie sicherten nach links und nach rechts, vermochten aber nach wie vor niemanden zu entdecken, der ihnen in die Quere geraten konnte.
Groß war ihr Erstaunen allerdings, als sie in dem großen Raum des Sklavenhauses eine Bewegung sahen. Sie wichen zur Seite, pirschten bis zum Türrahmen vor und blickten sich grinsend an.
Aus dem Haus drang das aufgeregte Tuscheln von Stimmen – von Frauenstimmen.
Die beiden französischen Wachtposten waren von den Senegalesen an die Wand neben der Tür gekettet worden. Sie waren nach wie vor ohnmächtig. Lodovisi und seine Bande konnten sie von ihrem derzeitigen Standort aus nicht sehen.
Die sechs schwarzen Männer hatten sich zu dem Haus hinüberbegeben, in dem ihres Wissens die Waffenkammer untergebracht war, und die sechs Frauen hatten die Anweisung erhalten, so lange auf sie zu warten, bis sie mit Musketen und Pistolen zurückkehrten und sie abholten. Dann wollten sie gemeinsam in den Dschungel flüchten und mit Hilfe der Werkzeuge, die sie ebenfalls aus dem Lager mitnehmen wollten, Bäume fällen und während der Nacht noch ein großes Floß zimmern, das sie hinaus auf die See und fort von Martinique bringen sollte, das für sie die Insel des Schreckens war.
Die Frauen sahen erwartungsvoll zur Tür, als sich dort jetzt etwas regte, aber im nächsten Augenblick schrien sie entsetzt auf, denn es waren nicht ihre Stammesbrüder, die sich hereinschoben, sondern weiße Männer in zerfetzter, durchnäßter Kleidung, die Entermesser in den Fäusten hielten und einen furchterregenden Anblick boten.
Prevost schritt mit gemeinem Grinsen auf die Frauen zu. Sie wichen vor ihm zurück. Er sah ihre vollen, wippenden Brüste, ihre weichen Hüften und die kaum bekleideten Schenkel, und er hatte in diesem Moment nur dieses eine Bild vor Augen, das ihn fast um die Beherrschung und um den Verstand brachte.
„Nicht so ängstlich“, sagte er. „Gerechter Himmel, ihr braucht euch doch vor einem gestandenen Mannsbild nicht zu erschrecken. He, Lodovisi, sieh dir das an, wer hätte gedacht, daß wir hier so üppiges Weibervolk vorfinden würden? Das ist was für unsereinen, sage ich, und zwar sofort. Los, ihr schwarzen Huren, laßt euch mal richtig anfassen und ziert euch nicht so. Ihr kennt das doch bestimmt und könnt es kaum erwarten, mal wieder von einem weißen Mann so richtig vorgenommen zu werden.“
„Hör auf“, sagte Lodovisi. „Wir müssen uns erst die Waffen besorgen.“
„Mann, das hat doch Zeit. Wer stört uns hier denn schon?“
Wieder schrien die schwarzen Frauen auf.
„Zurück!“ rief Lodovisi. „Verdammt, laß das jetzt sein, es hat ja doch keinen Zweck!“
Prevost fuhr wütend zu ihm herum. „Willst du mich jetzt auch kommandieren? Zum Teufel, Mario hat recht, du riskierst uns gegenüber eine viel zu dikke Lippe. Ich …“
„Schweig!“ fuhr Lodovisi ihn an und hob drohend sein Entermesser.
Prevost war verblüfft und erzürnt zugleich. Aber ehe er noch etwas Passendes erwidern konnte, krachten draußen zwei Schüsse und einer seiner Kumpane, der noch draußen vor der Tür des Sklavenhauses stand, brach mit einem Wehlaut zusammen, fiel auf die Seite und blieb verkrümmt liegen.
„Sie haben sich im Nebenhaus versteckt und feuern auf uns!“ schrie einer der vier, die jetzt noch hinter Lodovisis breitem Rücken standen. „Es war doch eine Falle! O Hölle, sie bringen uns alle um!“
„Zorzo!“ brüllte Roi Lodovisi. „Schwenk die verfluchte Kanone herum und schieß diese Schweinebande zusammen!“
Mario Zorzo hatte das Geschehen genau verfolgen können, und er sah auch ganz deutlich, in welchem Hauseingang die Gestalten kauerten, die den einen Mann von der Tür des Sklavenhauses weggeschossen hatten.
Ein Falkonett ist knapp halb so schwer wie eine Demi-Culverine und kann von einem einzelnen Mann mit Leichtigkeit zurückgerollt und herumgedrückt werden. Zorzo zerrte den Dreipfünder herum, zielte mit dem Rohr auf das Waffen- und Munitionsdepot und schob die Lunte in das Holzkohlebecken, um sie anzuzünden.
Wieder feuerten die Senegalesen wutentbrannt auf die Eindringlinge, und wieder fiel ein Mann, der sich nicht rechtzeitig genug in Sicherheit bringen konnte. Lodovisi, Prevost und die drei anderen zogen sich ins Sklavenhaus zurück, um die Frauen als Geiseln zu nehmen. Es war ihre einzige Chance, sich gegen die Sklaven, die eben erst ihre Freiheit erlangt hatten und sie jetzt nicht wieder verlieren wollten, zu verteidigen, es sei denn, Zorzo gelang es, die jetzt langsam vorrückenden schwarzen Gestalten durch einen gezielten Kanonenschuß zu vernichten.
Hasard wußte, daß er Regis La Menthe dicht auf den Fersen war, er konnte das Atmen des Franzosen in der Nacht hören. Dieses Geräusch ging allerdings unter, als sie dem Lager nahe waren und die Musketenschüsse aufzupeitschen begannen. Hasard nahm eine schwache Bewegung in der Dunkelheit wahr und erkannte, daß La Menthe zur Vorderseite der Mauer lief, also dorthin, wo sich das Tor befinden mußte.
Wie von Sinnen brach La Menthe durch das offene Tor in sein Anwesen ein und sah Zorzo, der gerade im Begriff war, die Lunte auf das Bodenstück des Falkonetts zu senken.
„Du Kanaille!“ schrie er ihn an. „Du willst mir alles zerstören? Wer bist du? Wer hat dich geschickt? Ich töte dich!“
Seine Schußwaffen hatte er auf dem Plateau leergefeuert und inzwischen nicht mehr nachladen können. Deshalb zückte er das Messer, das in seinem Gurt steckte, und stürzte sich damit auf den Italiener, der entsetzt zu ihm herumfuhr und eine abwehrende Haltung einnahm.
Hasard überbrückte mit den letzten Schritten den Abstand, der noch zwischen ihm und dem Tor lag.
Die Senegalesen hatten die Tür des Sklavenhauses erreicht und warfen sich dagegen. Die Tür flog auf, und jetzt sahen sie sich einer haarsträubenden Situation gegenüber: Lodovisi, Prevost und die drei anderen Meuterer der „Novara“ hatten sich fünf der sechs Frauen gepackt und hielten sie als Schutz vor sich fest.
Wie gelähmt standen die schwarzen Männer, die ausnahmslos Musketen in den Fäusten hielten, plötzlich da.
Die sechste Frau sprang jedoch plötzlich Lodovisi von hinten an und drückte ihm die Fingerspitzen in die Augen. Der Ex-Profos brüllte auf, ließ seine Geisel los, und diese warf sich todesmutig auf Prevost.
Im Nu war ein Handgemenge entbrannt, in dessen Verlauf einer der schwarzen Männer Prevost niederschoß, indem er ihm die Mündung seiner Muskete gegen die Körperseite hielt und abdrückte.
La Menthe hatte Zorzo zwei Messerstiche beigebracht, doch Zorzo legte ihm eine Hand an die Gurgel, drückte zu und versuchte gleichzeitig, den Gegner zurückzudrängen. Mit der anderen Hand hielt er immer noch die glimmende Lunte.
Sie gingen zu Boden und wälzten sich keuchend. Die Zündschnur geriet der Lunte der einen Flaschenbombe, die La Menthe nach wie vor an seinem Gurt trug, bedrohlich nahe.
Der Seewolf war unter dem Torbogen, erfaßte die Lage mit einem Blick und stürzte zu den beiden Männern, um sie voneinander zu trennen. Er prallte jedoch zurück, denn der Glatzkopf hackte wie wahnsinnig mit dem Messer auf ihn ein und verletzte seinen linken Arm.
Die Wunde brannte wie Feuer. Hasard fluchte, fing sich wieder und wollte erneut eingreifen, doch jetzt sah er, daß die Lunte der Flaschenbombe an La Menthes Gürtel zu glimmen begonnen hatte.
Es war keine sehr lange Lunte.
„La Menthe!“ stieß Hasard entsetzt hervor. „Die Bombe! Um Himmels willen, lösch die Lunte!“
La Menthe hörte nicht auf ihn. Er war wie besessen von dem Gedanken, den Italiener zu töten. In seinem an Wahn grenzenden Haß hielt er Zorzo für Hasards Verbündeten und glaubte an ein großanlegtes Komplott, an eine Invasion auf Martinique, an deren Ende die Zerstörung all dessen stand, was er, der Herrscher, aufgebaut und eifersüchtig gehütet hatte.
Lodovisi floh aus dem Sklavenhaus, in dem die Senegalesen inzwischen auch seine anderen Kumpane überwältigt hatten. Er hastete zum Waffendepot, riß in aller Hast zwei Musketen an sich und kehrte auf den großen freien Platz zurück.
Hasard lief auf ihn zu.
„Halt! Stehenbleiben!“ schrie er, dann legte er mit dem Radschloß-Drehling auf den bärtigen Mann an. „Laß die Waffen fallen!“
Lodovisi ließ die eine Muskete sinken, weil sie ihn nur behinderte. Mit der anderen zielte er auf Hasard und drückte ab.
Der Seewolf ließ sich fallen und überrollte sich auf dem staubigen Boden. Knapp ging die für ihn bestimmte Kugel an ihm vorbei, dann schoß auch er.
Roi Lodovisi taumelte rückwärts, die leergeschossene Muskete entglitt seinen schlaff werdenden Händen. Er hatte ein häßliches Loch in der Stirn, seine Züge waren zu einer fragenden, verständnislosen Grimasse verzerrt.
Die schwarzen Männer verließen das Sklavenhaus. Einige wollten mit ihren Beutewaffen auf den Seewolf anlegen, doch die, die auf dem Bergpfad vor La Menthe und Duplessis geflohen waren, hielten sie zurück.
Sie erkannten den Mann, der ihnen mit seinen Kameraden zusammen zur Befreiung verholfen hatte, wieder.
La Menthe schrie etwas, das Hasard nicht verstand, dann explodierte die Flaschenbombe und zündete auch die Ladung der zweiten Flasche an seinem Gurt.
Hoch stiegen Feuer und Rauch vor der weißen Mauer auf, die Heftigkeit der Detonation ließ den Boden erzittern. Das Falkonett kippte um, im Donner der doppelten Sprengung glaubte Hasard die beiden Männer noch einmal aufschreien zu hören. Er preßte sich flach auf den Boden und ließ die Druckwelle über sich wegstreichen. Danach richtete er sich auf, drehte sich um und sah im Schein der Lampen, die die Senegalesen jetzt herantrugen, einen dunklen Fleck an der weißen Mauer.
La Menthe und Mario Zorzo waren wie vom Erdboden ausgelöscht, von ihren sterblichen Überresten war nichts mehr zu sehen.
Im Tor erschienen die Gestalten von Dan, Shane, Carberry, Sam, Luke, Ferris Tucker und Old O’Flynn. Sie waren ihrem Kapitän vom Plateau aus nachgeeilt, um ihn bei seinem Vorhaben, La Menthe zu stoppen, zu unterstützen.
„Es gibt nichts mehr zu tun“, sagte der Seewolf. „Wo sind die anderen – Bill, Bob, Matt, Batuti, Stenmark und Jeff?“
„Zurück zur ‚Isabella‘“, erklärte Ferris Tucker, der sich verdutzt umschaute. „Sie sollen Ben Brighton berichten, was vorgefallen ist.“
„Gut“, sagte Hasard. „Und wir lassen uns von den Schwarzen jetzt zum Ostufer führen. Ich schätze, sie kennen den Weg, der dorthin führt. Wenn mich nicht alles täuscht, wartet dort noch eine Aufgabe auf uns.“
Fosco Sampiero stand dem Seewolf auf der Landzunge des östlichen Ufers gegenüber, als der nahezu volle Mond sein weißliches Licht über die Insel Martinique ausgoß. Die anderen Überlebenden des Untergangs der „Novara“ umringten sie, und auch die Seewölfe und die Senegalesen hatten sich mit zu der Runde gesellt, die beinah andächtig dem von Hasard auf spanisch geführten Bericht über die blutigen Vorfälle gelauscht hatte.
Sampiero streckte die Hand aus. Hasard ergriff sie und drückte sie fest.
„Ich danke Ihnen von Herzen, Signor Killigrew“, sagte der Mann aus Genua. „Sie haben uns vor einem großen Unheil bewahrt. Dieser La Menthe hätte uns zweifellos überfallen, wie er auch Sie und Ihre Männer getötet hätte.“
„Ja. Er war von seiner Selbstherrlichkeit verblendet und schreckte vor keiner Grausamkeit zurück. Sein Tod hat Martinique von einer Geißel befreit.“
„Und Sie haben uns die Arbeit abgenommen, die Meuterer zu bestrafen“, sagte Sampiero.
„Sie haben sich selbst ihr Grab geschaufelt.“
„Werden Sie noch eine Weile bei uns bleiben, Signor Killigrew?“ wollte Bianca Sampiero wissen.
„Nein. Wir gehen im Morgengrauen wieder in See. Wir werden noch heute nacht die Wasserfässer füllen und an Bord mannen.“
„Ich denke, wir werden auf dieser Insel leben können, bis ein Schiff aufkreuzt, das uns aufnimmt und zurück in die Heimat bringt“, sagte der Kapitän der „Novara“. „Und wir werden auch mit diesen Männern und Frauen aus Afrika auskommen, das verspreche ich Ihnen. Aber wie steht es mit der Vulkantätigkeit auf Martinique?“
„Die Krater sind vorläufig erloschen. Das haben unsere schwarzen Freunde uns erzählt“, erklärte Hasard lächelnd. „Sie sprechen recht gut französisch. Sie werden sich mit ihnen unterhalten können.“
„Martinique ist also doch nicht so gefährlich, wie man allgemein annimmt“, sagte Emilio Venturi, der Erste Offizier. „Aber vielleicht sind wir gut beraten, wenn wir es nicht weitererzählen, sondern als unser Geheimnis hüten.“
„Ja. So bleibt ein Paradies bestehen“, erwiderte der Seewolf. „Denn diese Insel kann ein Paradies sein, dessen bin ich sicher. Es hängt von Ihnen ab, Señores.“
Carberry trat einen Schritt vor und fragte: „Was ist mit dem verletzten Mann, den Sie mit an Land gebracht haben, Capitán? Sollten wir ihn nicht lieber von unserem Feldscher, dem Kutscher, untersuchen lassen?“
„Danke, aber das ist nicht nötig. Vittorio Medola ist bereits von unserem Feldscher versorgt worden. Er wird überleben, das wissen wir jetzt.“
„Das beruhigt mich“, sagte der Profos. „Ganz ehrlich. Von den Quertreibern abgesehen, die Ihr schönes Schiff versenkt haben, Capitán, scheinen Sie eine anständige Mannschaft unter sich zu haben.“
„Eines Tages wird sie wieder ein Schiff steuern“, sagte der Seewolf. „Davon bin ich überzeugt.“
„Fein“, ließ sich jetzt Old O’Flynn vernehmen. „Wir alle sind mit einem blauen Auge davongekommen, und die Zukunft wird dafür sorgen, daß Sie, Señor Sampiero, und Ihre Leute die Wunden der Vergangenheit vergessen. Aber wissen Sie, über was ich ganz besonders froh bin?“
„Nein“, antwortete der Italiener überrascht. „Wirklich nicht. Über was denn?“
„Daß ich nicht den Sand zu fressen brauche, der am Ufer der Westbucht liegt“, erwiderte der Alte. Er sah zu Big Old Shane, und der Schmied von Arwenack begann dröhnend zu lachen …