Kitabı oku: «Seewölfe Paket 14», sayfa 10
5.
Die „Mercure“ lief unter vollem Zeug, aber der Wind war nicht stark genug, um den Spanier, als der sich die zweimastige Galeasse entpuppt hatte, abzuhängen.
Pierre Delamotte war einem Tobsuchtsanfall nahe gewesen, als er nach mehreren Manövern erkannt hatte, daß die Galeasse darauf aus war, seine Galeone einzuholen. Er hatte sofort Gefechtsbereitschaft befohlen.
Der Kapitän der französischen Galeone „Mercure“ hatte so seine Erfahrungen mit den Spaniern. Seit sie ihn das erstemal gekapert hatten, um seine Ladung aus irgendeinem fadenscheinigen Grund zu beschlagnahmen, stand er mit ihnen auf Kriegsfuß. Sie hatten inzwischen viermal Erfolg bei ihm gehabt und ihm die wertvollen Gewürze, die er aus dem Orient nach Frankreich transportierte, entsteißt.
Delamotte war der Besitzer der „Mercure“, und er segelte auf eigene Rechnung. Wenn er seine Ladung heil nach Brest brachte, konnte er eine Menge Sous verdienen, aber eine verlorengegangene Ladung warf ihn um ein ganzes Jahr zurück.
Bisher hatte Delamotte es vermieden, sich gegen die Spanier mit Gewalt zur Wehr zu setzen, aber diesmal war er entschlossen, sich zu verteidigen. Er hatte es satt, sich von den Dons ruinieren zu lassen.
Seine schmale, etwas gekrümmte Nase stach spitz und etwas bleich aus seinem Ledergesicht hervor. Die wasserhellen Augen starrten zur Kimm, wo sich die Umrisse der spanischen Galeasse, die immer mehr Boden gewann, bereits deutlich abzeichneten.
Die „Mercure“ war keine große Galeone, aber mit ihren je vier Stücken auf den Kuhlseiten sowie den je zwei Drehbassen achtern und auf der Back war sie genügend bewaffnet, um der Galeasse gewachsen zu sein – wenn der Wind mitspielte.
Im Augenblick sah es schlecht aus. Der Wind flaute immer mehr ab. Die Galeasse sah aus wie ein großer, träger Vogel, der dicht über der Oberfläche des Wassers dahinschwebt. In nervenaufreibendem Rhythmus bewegten sich die Riemenreihen an beiden Seiten und trieben das schlanke Schiff unaufhaltsam näher an die Galeone heran.
„Merde!“ stieß der Kapitän hervor.
Eine krächzende Stimme antwortete mit demselben Wort.
Delamotte drehte sich um und sah den Narbenmann mit seinem Papagei auf der Schulter ein paar Schritte hinter sich stehen.
„Ganz schön begabt, das Kerlchen“, sagte Delamotte grinsend.
Carberry grinste zurück. „Leider behält er nur Flüche.“
Der Kapitän wies mit der Linken auf die Galeasse und reichte Carberry seinen Kieker.
„Erkennen Sie das Schiff?“ fragte er.
Carberry nahm den Kieker ans rechte Auge und kniff das linke zusammen. Er erschrak fast über die Geschwindigkeit, die der Spanier draufhatte. Er setzte den Kieker wieder ab und schüttelte den Kopf.
„Die Galeasse lag im Hafen von Damiette“, sagte Delamotte. „Sie muß kurz nach uns ausgelaufen sein.“
„Vielleicht hat sie nur den gleichen Kurs wie wir“, meinte Carberry, obwohl er wußte, daß die Galeasse ihren Segelmanövern bisher jedesmal gefolgt war.
„Lehr’ mich einer die Dons kennen!“ stieß der Kapitän hervor. „Sicher haben sie in Damiette erfahren, daß ich eine wertvolle Gewürzladung an Bord habe. Die Geier sind darauf aus, sie mir zu entreißen, darauf verwette ich meine letzten Zähne!“
Carberry blickte nach Nordwesten und sah die dunkle Wolkenwand über der Kimm aufziehen. Gleichzeitig spürte er, wie es abflaute, aber das kannte er. Das war die Ruhe vor dem Sturm, den sie so dringend brauchten, um der Galeasse zu entgehen. Die Frage war nur, ob die Galeasse nicht schon heran war, bevor der Sturm losbrach und soviel Wind in die Segel der „Mercure“ drückte, daß sie den Spaniern davonsegeln konnte.
Ferris Tucker hatte das Kommando über die Geschütze übernommen. Nach der Debatte auf der Kuhl, in der mit gewichtigen Argumenten die Machtfrage an Bord der „Mercure“ ausdiskutiert worden war, hatte niemand mehr ein Wort des Widerspruchs gewagt. Außerdem begriff jeder der Franzosen nach den ersten Befehlen Ferris Tuckers, daß hier ein Fachmann am Werke war, dem niemand unter der Crew Marteaus das Wasser reichen konnte.
Immer wieder glitten die Blicke der Männer nach Nordwesten, wo sich ein Wetter zusammenbraute. Selten hatten sich Seeleute so sehr nach einem Sturm gesehnt wie jetzt auf der „Mercure“.
Durch den Kieker konnte Pierre Delamotte erkennen, daß ein paar Männer die beiden unbeweglichen Kanonen unter der vorderen Plattform luden. Nach Delamottes Erfahrungen waren das mindestens Vierundzwanzigpfünder. Wenn es ihnen nicht gelang, rechtzeitig aus dem Kurs der Galeasse zu laufen, konnte eins dieser Geschosse die „Mercure“ auf den Grund des Meeres bohren.
Ein bißchen beruhigte Delamotte die Tatsache, daß die Spanier kein Interesse daran haben konnten, die „Mercure“ zu versenken. Schließlich würden sie sich dann nicht die wertvolle Ladung unter den Nagel reißen können. Aber Delamotte konnte ja nicht wissen, auf was der Kapitän der Galeasse wirklich aus war!
Es wurde immer kritischer.
Pierre Delamotte begann vor Wut zu zittern. Diesmal würden sie seine Gewürzladung nur über seine Leiche kriegen!
Er befahl seinen Leuten, vor den Wind zu gehen.
Die „Mercure“ fiel ab. Die Galeone wurde merklich schneller. Doch auch die Spanier vollführten diesen Kurswechsel. Sie holten auf.
Carberry sagte: „Wir sollten auf das Wetter zuhalten. Sonst schaffen wir es vielleicht nicht mehr.“
Der Kapitän nickte. „Geben Sie die Befehle, Monsieur Carberry.“
Grinsend wandte sich Carberry ab und befahl Stenmark ans Ruder. Alain Duval, der Steuermann und Lotse, schickte seinen Mann hinunter auf die Kuhl. Er selbst befahl alle Männer an die Schoten und Brassen, um sofort reagieren zu können, wenn die Spanier auf Fangschußweite heran waren.
Dann war es soweit.
Am Bug der schlanken Galeasse stieg eine graue Wolke hoch, und Sekunden später klatschte kaum einen Faden von der „Mercure“ entfernt eine Kugel ins Wasser und stieß eine Fontäne hoch.
Jeder war sich darüber im klaren, daß die Spanier einen Warnschuß abgefeuert hatten. Das Geschoß hatte verdammt gut gelegen, und Ferris Tucker, der am Backbordschanzkleid stand, erkannte, daß der Offizier der Seesoldaten auf der Galeasse sein Handwerk verstand.
In diesem Moment erwischte die erste Bö die „Mercure“ und füllte knatternd die Segel.
Carberry brüllte seine Befehle hinaus. Die Männer, Franzosen und Seewölfe, hasteten über die Decks. Jeder Befehl wurde umgehend ausgeführt, und dem Kapitän hüpfte vor Freude das Herz im Leib, als er sah, wie sich die Segel blähten und die „Mercure“ mit harten Drückern westwärts rauschte. Die Böen hauten aus Nordnordwest in die Segel.
Carberry brüllte etwas zu Stenmark am Ruder hinüber, und dieser ließ es sich nicht nehmen, Monsieur le capitaine zu zeigen, wie man auf der alten „Isabella“ mit solchen „Windchen“ umzuspringen gewohnt war.
Pierre Delamotte blieb die Spucke weg. Er starrte hinüber zur spanischen Galeasse und sah wieder Rauchwolken aufsteigen. Diesmal gleich zwei nebeneinander.
Er begann zu kichern, als er achteraus im Kielwasser zwei Wassersäulen aufgischten sah. Die Kugeln der Vierundzwanzigpfünder lagen zu kurz, und Delamotte wußte, daß es diesmal keine Absicht mehr war. Die Entfernung war für die Geschütze der Galeasse inzwischen zu groß geworden.
Der Sturm hatte genau im richtigen Augenblick eingesetzt. Jetzt waren sie es, die der Galeasse davonsegelten.
Die Männer auf der „Mercure“ brüllten vor Begeisterung, als sie sahen, wie die Ruderer der Galeasse ihr Tempo erhöhten, es aber dennoch nicht schafften, die Entfernung wieder zu verringern.
Und dann sahen sie, wie die Riemen an der Steuerbordseite einen Krebs fingen. Sofort scherte die Galeasse aus dem Kurs. Holzsplitter wirbelten durch die Luft, die Lateinersegel killten, und fast schlagartig erhöhte sich der Abstand zur „Mercure“ so sehr, daß es selbst bei normalem Wind Stunden gedauert hätte, bis die Galeasse wieder aufgeholt hätte.
Pierre Delamotte schlug Carberry begeistert auf die linke Schulter, daß Sir John auf der rechten Schulter zu hüpfen begann.
„Affenarsch, verfluchter!“ krächzte er empört. „Polier ihm die Fresse! Merde!“
Pierre Delamotte hielt sich den Bauch vor Lachen, und er dankte dem Wind, der ihm diese eisenharten Engländer an Bord geblasen hatte.
6.
Seit die Mastspitze der französischen Galeone an der Kimm gesichtet worden war, hielt sich Juan de Faleiro auf dem Tabernakel auf, der kleinen erhöhten Plattform am Ende des Laufgangs, die der Platz des Kommandanten einer Galeere oder Galeasse war.
In seinen stechenden dunklen Augen lag ein irrer Glanz. Alles in ihm triumphierte. Er hatte nicht daran geglaubt, daß er so schnell ans Ziel gelangen würde. Er wußte, daß es auf seinem Schiff ein paar Männer gab, die nur auf einen Fehler von ihm warteten, um ihm das Wasser abzudrehen. Er hatte sie alle mal wieder in den Sack gesteckt.
Voller innerer Erregung dachte er daran, welchen Triumph es für ihn bedeutete, wenn die Admiralität ihm, Juan de Faleiro, öffentlich Lob für seine Umsicht und sein kluges Handeln aussprechen mußte. Dann war es vorbei mit diesem jämmerlichen Dienst auf Galeeren und Galeassen im Mittelmeer. Dann konnte ihn niemand mehr bei der Verteilung der Posten übergehen, und auch er konnte sich endlich ein Stück aus dem großen Kuchen herausschneiden, der in den westindischen Kolonien gebacken wurde.
Er dachte an alte Kameraden, die mit ihm zusammen zur Seefahrtsschule gegangen waren. Einige waren inzwischen geadelt worden, bekleideten in den Kolonien hohe Posten und waren reich geworden.
Seine Gefühle drohten ihn zu zerreißen, als er an die Seewölfe dachte, die ihn vor fünfzehn Jahren ins Unglück gestürzt hatten. Auf einmal brannte seine Brust, und er spürte den Einschlag des Bleis in seine Brust, als sei es erst gestern gewesen, daß einer dieser verfluchten Engländer auf ihn geschossen hatte.
„Teniente!“ brüllte er zur vorderen Plattform hinüber. „Alles klarmachen zum Gefecht! Sind die Jager geladen?“
„Si, Señor Capitán!“ rief Ribera zurück. Diesmal hatte er den Anordnungen des Kapitäns zu gehorchen, denn es ging um einen Angriff auf einen Feind.
Juan de Faleiro preßte die Lippen aufeinander, daß sie kaum noch zu sehen waren. Er warf einen kurzen, lauernden Blick zur Seite, wo sein Erster Offizier stand. Ja, du hast Grund dazu, blaß zu sein! dachte er. Mein Erfolg wird dein Untergang sein!
Jesus Valencia hatte den Blick seines Kapitäns bemerkt und las vom Gesicht de Faleiros ab, was dieser dachte. Dennoch blieb er seltsam ruhig. Er hatte die Nacht über kaum geschlafen, und gegen Morgen war er sich klar geworden, daß er nicht dafür geschaffen war, Ungerechtigkeiten einfach hinzunehmen. Noch einen solchen Tag wie gestern würde er nicht widerspruchslos über sich ergehen lassen, das hatte er sich geschworen. Er würde nie wieder tatenlos zusehen, wie ein Mensch vor seinen Augen ermordet wurde.
Er ärgerte sich nicht über das Glück Juan de Faleiros, daß sie die französische Galeone so schnell eingeholt hatten. Er wußte, daß Glück trügerisch sein konnte.
Sein Blick glitt von der Galeone hinüber nach Nordwesten. Der abflauende Wind war ein Zeichen dafür, daß sich irgendwo eine Wetterfront näherte. Dann sah er auch schon die dunklen Wolken an der Kimm und ahnte, daß das Glück dem Kapitän doch nicht so sehr hold war, wie dieser vielleicht annahm. Im ersten Moment wollte er de Faleiro auf die Sturmfront hinweisen, doch dann unterließ er es. Er hätte sich nur einen weiteren Rüffel eingehandelt.
„Teniente Ribera!“ brüllte Juan de Faleiro. „Setzen Sie dem Franzosen einen Warnschuß hinters Heck!“
Der Teniente gab seinen Leuten unter der Plattform ein Zeichen. Eine knappe Minute später brüllte einer der beiden Jager auf und spie seinen Vierundzwanzigpfünder der Galeone entgegen.
Das Geschoß lag gut. Es schlug nur knapp einen Faden hinter der Galeone ins Wasser.
Juan de Faleiro schrie: „Gut gezielt, Teniente!“ Doch dann erbleichte er. Er hatte wie alle anderen auf der Galeasse gesehen, wie eine Bö die Segel des französischen Schiffes plötzlich bauschte. Es war, als ginge ein Ruck durch die Galeone.
„Señor Capitan“, sagte Jesus Valencia, „ein Sturm zieht auf. Wir sollten die Riemen einholen und die Segel verkürzen.“
Der Zuchtmeister nickte und blickte Juan de Faleiro an.
Der geiergesichtige Kapitän schien vor Wut fast zu zerspringen. Seine Stimme überschlug sich.
„Pullt weiter!“ brüllte er. „Schneller, sage ich! Wir haben die verfluchten Hunde gleich!“
Jesus Valencia sah, daß der Kapitän der französischen Galeone das einzig Richtige tat und unter den fallwindartigen Böen westwärts davonrauschte.
„Feuer!“ brüllte de Faleiro.
Teniente Ribera, der erkannt hatte, daß die Entfernung für die Vierundzwanzigpfünder bereits viel zu weit war, zuckte mit den Schultern und gab den Befehl an seinen Stückmeister weiter. Die beiden Jager brüllten auf. Weit von der Galeone entfernt stiegen Wassersäulen im Kielwasser der Galeone hoch.
„Ihr Stümper!“ schrie Juan de Faleiro. Er war mit einem Satz bei dem dunkelhäutigen Mann, der den Takt für die Ruderer schlug, nahm ihm die beiden Klöppel weg und hämmerte auf die Trommel los, als wolle er einen Wirbel schlagen.
Jesus Valencia hätte fast laut aufgelacht. Er brauchte nicht lange zu warten, bis das geschah, was er erwartete.
Die Ruderer, an einen bestimmten Takt gewohnt, waren völlig durcheinander. Plötzlich erwischten vier von ihnen eine Welle des rauher werdenden Wassers. Sie kriegten den Riemen nicht rechtzeitig wieder hoch, und andere Riemen krachten dagegen. Es war ein ohrenbetäubender Lärm, als der Riemen splitterte. Durch die große Spannung des reißenden Holzes wurde ein armlanger Splitter in die Luft geschleudert und landete dicht neben einem Aufseher auf dem Laufgang. Der Mann sprang vor Schreck mitten zwischen die Ruderer auf eine Ducht, was die Verwirrung an der Steuerbordseite noch erhöhte.
Juan de Faleiro tobte, aber er brachte keinen vernünftigen Befehl mehr zustande.
Jesus Valencia wollte gerade den Befehl geben, die Riemen einzuholen, als eine heftige Bö in die Lateinersegel knallte und die Galeasse nach Lee krängte. Juan de Faleiro verlor das Gleichgewicht und stürzte auf den Laufgang. Leichenblaß erhob er sich wieder und sah sich um, als wüßte er nicht, wo er sich befand.
An Backbord gurgelte das Wasser durch die Ruderduchten. Die Backbordriemen schnitten unter. Gleichzeitig ruderten die Steuerbordriemen durch die Luft, die Ruderknechte auf der überhöhten Steuerbordseite rutschten zur Schiffsmitte.
Die Ketten der Gefangenen klirrten. Ein paar Männer schrien, weil sie eingeklemmt wurden, und die Aufseher vergaßen, ihre Peitschen zu benutzen, weil sie voller Entsetzen mit ansehen mußten, daß sie mehr Wasser übernahmen, als für die Galeasse gut war.
Die Ruderer an Backbord saßen, plötzlich bis zu den Waden im Wasser. Ihr Gebrüll zerrte an den Nerven der Mannschaft und der Seesoldaten. Einige der Gefangenen sprangen auf und zerrten an ihren Ketten. Sie schrien wie irre. Wahrscheinlich glaubten sie, die Galeasse würde absaufen.
Nur langsam richtete sich die Galeasse auf, und mit der geringeren Krängung des Schiffes normalisierte sich auch die Gesichtsfarbe Juan de Faleiros.
„Alle Mann an die Pumpen!“ brüllte er. „Teniente Ribera, Ihre Männer auch!“
Ribera nickte. Jetzt ging es um ihrer aller Leben, da konnte er sich nicht ausschließen. Er befahl seinen Männern, den Seeleuten an den Pumpen zu helfen.
Juan de Faleiro starrte hinter der Galeone her, die mit vollen Segeln in der hereinbrechenden Dämmerung nach Westen verschwand. Er war nahe daran, vor Wut zu heulen.
Der Wind war inzwischen immer ruppiger geworden, und wenn die Galeasse weiterhin unter Segel bleiben wollte, mußten diese verkürzt werden.
„Was stehen Sie hier herum, Valencia!“ brüllte Juan de Faleiro seinen Ersten Offizier an. „Lassen Sie die Segel kürzen, oder wollen Sie, daß wir alle absaufen?“
„Darf ich Sie darauf hinweisen, Señor Capitán, daß ich den Befehl schon geben wollte, bevor das Schiff krängte?“ sagte Jesus Valencia kalt.
Juan de Faleiros Hand zuckte zum Gürtel und riß eine Pistole hervor. Sein verzerrtes Geiergesicht sah aus, als sei er nicht mehr bei Sinnen.
„Ich habe Sie nicht nach Ihrer Meinung gefragt, Valencia“, stieß er mit zitternder Stimme hervor, „sondern Ihnen einen Befehl gegeben!“
Jesus Valencia verzog seine Lippen zu einem Lächeln.
„Si, Señor Capitán“, sagte er ruhig, „ich werde das Kommando übernehmen.“
Ehe Juan de Faleiro etwas antworten konnte, wandte sich der Erste Offizier an die Seeleute. Er wußte, daß es bei diesem harten Wind nicht einfach sein würde, die Segel zu kürzen. Dazu mußte die Galeasse in den Wind gehen, damit die Segel killten und nicht mehr unter Winddruck standen.
Der Rudergänger reagierte auf einen Wink Valencias hin. Er war ein ruhiger und zuverlässiger Mann, der seine Sache verstand.
Die Galeasse schwang langsam herum und ging in den Wind. Jesus Valencia jagte die Männer auf die weit ausladenden Rahen. Er selbst lief auf dem Laufgang bis zum Großmast vor, als er den Schrei hörte, der vom Wind davongetragen wurde.
Er sah einen Schatten durch die Luft wirbeln, und dann hörte er durch das Jaulen und Toben des Windes, wie ein Körper aufs Wasser klatschte.
„Mann über Bord!“ brüllte eine entsetzte Stimme.
„Ruder hart Steuerbord!“ schrie Jesus Valencia zum Rudergänger auf der achteren Plattform hinüber.
„Nichts da!“ Die Stimme Juan de Faleiros schnappte über. „Wir gehen auf Kurs West!“
„Señor Capitán, ein Mann ist über Bord gegangen!“ schrie Carlos Mendez, der Zweite Offizier, der sonst nie etwas sagte.
„Kurs West!“ kreischte de Faleiro.
Die Ruderknechte begannen zu johlen und zu grölen. Diesmal war es nicht einer von ihnen, der vom Kapitän dem Tod ausgeliefert wurde, und sie verspotteten die Mannschaft der Galeasse, daß sie sich von einem skrupellosen Mörder schikanieren ließ.
„Sie können den Mann doch nicht einfach ersaufen lassen, Señor de Faleiro!“ sagte Carlos Mendez erschüttert.
„Warum hat er nicht besser aufgepaßt, der Idiot!“ stieß Juan de Faleiro hervor. „Wir können seinetwegen keine Zeit verlieren! Unsere Aufgabe ist es, die Feinde Spaniens zur Strecke zu bringen. Niemand wird mich daran hindern! Auch nicht ein Einfaltspinsel von Seemann, der nicht in der Lage ist, seine Arbeit ordentlich zu verrichten!“
Jesus Valencia war starr vor Schrecken. Er beugte sich vor und blickte in die aufgewühlte See, wo der über Bord gegangene Seemann treiben mußte. Doch er entdeckte nichts. Er wußte, daß sie den Mann auch nicht finden würden, wenn sie jetzt noch wendeten.
Er hatte Juan de Faleiro schon vorher richtig eingeschätzt, dennoch war er erschüttert über soviel Menschenverachtung. Er begriff einfach nicht, was in einem Menschen wie Juan de Faleiro vorging. Er mußte vom Satan besessen sein. Ja, das war es! Aber wie sollte er das jemals einer höheren Instanz beweisen?
Jesus Valencia blieb vorn am Großmast, als die Galeasse mit gekürzten Segeln wieder vor den Wind ging und Fahrt aufnahm.
Kurs war West. Hinter den Franzosen her, die längst im Dunkel der Nacht untergetaucht waren.
7.
Die Seewölfe fühlten sich an Bord der „Mercure“ schon fast so heimisch wie auf der alten „Isabella“. Nur die anderen Kameraden fehlten ihnen und die Zwillinge. Carberry kriegte ganz feuchte Augen, als Bill fragte, wie es ihnen inzwischen wohl ergangen sei. Unruhig ging er auf der Kuhl hin und her, um die Gedanken an Hasard, Ben, Batuti und all die anderen abzuschütteln.
Der Sturm hatte etwas nachgelassen, aber der Wind blies immer noch kräftig. Die „Mercure“ rauschte nach Westen.
Carberry dachte an die spanische Galeasse, die auf sie gefeuert hatte. Er wurde das Gefühl nicht los, daß mit dem Schiff irgend etwas nicht stimmte. Aber wahrscheinlich täuschte er sich. Sicher waren sie hinter der Gewürzladung her, wie Pierre Delamotte vermutete.
Er ging zurück zu den anderen und hörte, wie der Kutscher Jack Finnegan und Paddy Rogers von der „Bloody Mary“ und ihrem Wirt Nathaniel Plymson vorschwärmte, wo sie sich alle wieder treffen würden.
Er winkte Ferris zu sich und sagte: „Glaubst du, daß die Dons die Verfolgung aufgegeben haben?“
Ferris schüttelte den Kopf.
„Das sind sture Böcke“, meinte er. „Wenn sie der ‚Mercure‘ von Damiette aus gefolgt sind, werden sie nach diesem kleinen Fehlschlag bestimmt nicht aufgeben.“
„Ganz meine Meinung“, sagte Carberry. „Was glaubst du, was Hasard in dieser Situation getan hätte?“
Ferris starrte Carberry überrascht an und nickte dann grinsend.
„Bestimmt nicht weiter Kurs West segeln“, erwiderte er.
„Genau!“ Carberry rieb sich über das Kinn. „Wir sollten vielleicht unserem neuen Captain ein paar Tricks verraten, bevor er sich von den Dons seine Ladung abnehmen läßt.“
„Keine schlechte Idee, Ed.“
„Auf was warten wir denn noch?“
Sie grinsten sich an und stiefelten über die Kuhl zum Aufgang des Achterdecks und kletterten hinauf.
Der Capitain unterhielt sich mit seinem Bootsmann. Ferris schnappte ein paar Brocken auf. Offensichtlich hatten sie über die Engländer an Bord geredet.
„Was gibt’s, meine Herren?“ fragte Pierre Delamotte.
„Wir haben ein bißchen über die Dons nachgedacht“, begann Ferris Tucker, „und überlegt, was wohl unser Alter, Captain Philip Hasard Killigrew, genannt der Seewolf, in dieser Situation getan hätte.“
„Und?“ fragte Delamotte.
„Das, was die Dons auf keinen Fall vermuten“, erwiderte Ferris Tucker. „Er würde gegen den Sturm aufkreuzen und nicht nach Westen unter vollen Segeln ablaufen.“
Pierre Delamotte überlegte einen Moment, dann verzog sich sein Gesicht zu einem breiten Grinsen. Mein Gott, dachte er, die sind mit allen Wassern gewaschen.
„In Ordnung“, sagte er.
Carberry drehte sich um und rief Stenmark aufs Achterdeck.
Und dann zeigten sie den Franzosen, was ein Seewolf darunter verstand, einen blitzsauberen Kreuzkurs zu segeln. Stenmark nutzte jede Bö, zum höheren An-den-Wind-Gehen, und fiel rechtzeitig wieder ab, um voll zu fahren.
Pierre Delamotte lachte das Herz im Leibe. Er war bisher immer der Meinung gewesen, eine ziemlich gute Mannschaft zu haben, doch jetzt mußte er erkennen, daß es noch wesentlich Besseres gab.
Diese Seewölfe, wie sich die Engländer selbst nannten, waren Spitzenklasse. Er hatte schon ein paarmal mit dem Gedanken gespielt, die Männer an seiner Ladung zu beteiligen, um sie zu bewegen, bei ihm an Bord der „Mercure“ zu bleiben, aber aus ihren Gesprächen untereinander hatte er herausgehört, daß sie nur ein Drittel einer verschworenen Gemeinschaft waren und sich bald selbst wieder ein eigenes Schiff besorgen wollten.
Ferris Tucker stand noch immer neben dem Kapitän auf dem Achterdeck. Er las dem Franzosen seine Gedanken vom Gesicht ab. Ein Lächeln glitt über sein Gesicht. Ja, sie waren schon ein Haufen, der dem Teufel die Barthaare absegeln konnte. Aber sie waren nicht zu kaufen. Unter Philip Hasard Killigrew hatten sie gelernt, freie Männer zu sein, und das würde keiner von ihnen wieder aufgeben. Ferris war wohl überzeugt, daß Pierre Delamotte ein guter Kapitän war, aber was bedeutete das gegen die Freundschaft, die sie mit Hasard verband?
„Haben Sie eigentlich leere Flaschen an Bord?“ fragte Ferris aus seinen Gedanken heraus.
Pierre Delamotte starrte den Engländer an, als sei der plötzlich übergeschnappt.
„Wozu denn das?“ fragte er.
„Auch eine Angewohnheit unseres Kapitäns auf der ‚Isabella‘, bevor sie uns in dem alten Ptolemäer-Kanal absoff“, sagte Ferris. „Wir stellen Bomben daraus her.“
„Bomben?“ fragte Delamotte konsterniert.
Ferris nickte.
„Die Flaschen werden mit gehacktem Eisen und Pulver gefüllt“, erklärte er. „Dann werden sie mit einer Lunte verdämmt, angezündet und auf den Weg gebracht. Am besten mit einem Katapult, damit sie weit fliegen. Die Dinger funktionieren vorzüglich. Wir haben bisher die besten Erfahrungen damit gemacht.“
Der Kapitän blickte noch skeptisch, dann winkte er den Bretonen heran und befahl ihm, alles, was sie an leeren Flaschen an Bord hatten, zusammenzutragen.
„Auch die vollen Flaschen?“ fragte der Bretone grinsend.
„Leere, habe ich gesagt“, erwiderte Delamotte unwillig.
„Wir können sie ja vorher aussaufen“, meinte der Bretone, zuckte aber mit den Schultern, als er den Blick seines Kapitäns sah.
Sie trugen die leeren Flaschen unter der Back zusammen, und Ferris, Carberry und Blacky begannen sofort mit der Arbeit. Der Kapitän, der sich ebenfalls zur Back begeben hatte, und seine Leute schauten kopfschüttelnd zu, wie die Engländer die Flaschen füllten.
Ferris ließ die anderen bald allein weiterarbeiten und begann, eine Wurfvorrichtung zu zimmern, ähnlich der, die sie an Bord der „Isabella“ gehabt hatten.
Monsieur le capitaine stieß einen Pfiff durch die Zähne, als er die Konstruktion durchschaute. Plötzlich hatte er das Gefühl, daß ihm mit diesen Kerlen an Bord nichts mehr geschehen könnte. Seine Befürchtungen, die Dons könnten wieder einmal seine wertvolle Ladung beschlagnahmen, waren plötzlich wie vom Sturm davongeblasen.
„Männer“, sagte er bewegt, „wenn wir Brest heil erreichen, soll es nicht euer Schaden sein. Ich verspreche euch einen anständigen Anteil an meinem Gewinn und …“
Carberry ließ ihn nicht ausreden.
„Das ist zwar mächtig anständig von Ihnen, Monsieur le capitaine“, brummte er, „aber ein Fäßchen Rum für die gesamte Mannschaft wäre auch schon was. Besonders bei dieser Knüppelei nordwärts.“
„Rum für alle!“ rief Pierre Delamotte.
Er wunderte sich über sich selbst. Kaum riß einer der Engländer sein Maul auf, beeilte er sich, seine Wünsche sofort zu erfüllen. Er begann zu grinsen. Eigentlich segeln die Seewölfe mein Schiff, dachte er. Verdammt, ich glaube, ich lege mich schlafen, bis wir im Hafen von Brest anlegen!
Der Rum tat ihnen allen gut. Der Sturm brachte Kälte mit sich, die bis in die Knochen ging.
Als der Morgen graute, hatte der Sturm nur wenig nachgelassen. Die „Mercure“ hielt ihren Kurs bei.
Ferris Tucker hatte seine Arbeit an der Abschußvorrichtung beendet. Sie war transportabel und könnte an jeder Stelle des Oberdecks montiert werden.
Im Laufe des Morgens pendelte sich der Wind auf Nordnordost ein, so daß die „Mercure“ auf Nordwestkurs weiter an Höhe gewinnen konnte. Wenn die Galeasse der Spanier weiter Westkurs gesegelt war, liefen ihre Kurse auseinander, und sie würden sich höchstens in der Straße von Gibraltar wiedersehen.
„Ich bin gespannt, ob das Ding funktioniert“, sagte Pierre Delamotte zu Ferris Tucker und wies auf die Abschußvorrichtung, mit der der Engländer die doppelte Entfernung erreichen wollte, als wenn sie die Flaschen warfen.
„Wenn ich das Ding justiert habe, schieße ich damit einem fliegenden Fisch die Schwanzflosse ab“, sagte Ferris Tucker im Brustton der Überzeugung.
Pierre Delamotte nickte. Dann stutzte er. Verdammt, er glaubte diesen Hundesöhnen schon jedes Wort!
„Sie stimmen mich neugierig, Monsieur Tucker“, sagte er grinsend. „Können wir es nicht irgendwie ausprobieren?“
Ferris stimmte zu. Er bat Marteau, den Decksältesten der Franzosen, eine Kiste außenbords zu werfen, nach der er eine der Flaschen schleudern wollte.
Er montierte die Abschußvorrichtung vorn auf der Back, und als er damit fertig war, gab er Marteau ein Zeichen, der mit drei Mann eine Kiste über das Schanzkleid hievte und außenbords gehen ließ. Stenmark steuerte gerade einen Schlag Nordwest, und die Kiste trieb nach Westen davon.
Ferris zündete die Lunte einer Flasche an, legte sie in die katapultartige Abschußvorrichtung, zielte und löste den Mechanismus aus.
Die Kiste war erst etwa achtzig Yards weit abgetrieben, und die Flasche flog ein ganzes Stück darüber hinaus. Auch die zweite Flasche lag noch ein wenig zu weit.
Mit der dritten wartete Ferris, bis die Kiste etwa hundertzwanzig Yards von der „Mercure“ entfernt war dann löste er aus.
Diesmal mußte die Flasche treffen. Ferris Tucker hatte es genau im Gefühl, und er hätte ein Fäßchen Rum verwettet, daß es ein Volltreffer werden würde.
Dann krachte die Flasche in die Kiste, das Glas barst, und gleichzeitig ging die Ladung darin los.
Die Wirkung war ungeheuerlich. Holz spritzte nach allen Seiten auseinander. Von einem Augenblick zum anderen war von der Kiste nichts mehr zu sehen. Nur eine graue Pulverdampfwolke schwebte noch über der Stelle, wo gerade die Kiste auf den Wellen getanzt hatte.
Einen Moment hatte die Verblüffung den Franzosen die Worte geraubt, doch dann brachen sie in Begeisterungsrufe aus. Ihr Gebrüll wollte kein Ende nehmen. Ihr Neid auf die Neuen schien verflogen. Die Tatsache, daß diese eisenharten Teufelskerle auf ihrer Seite kämpfen würden, wenn es eine Auseinandersetzung mit den Spaniern oder Piraten geben sollte, schien ihnen ungeheure Erleichterung zu verschaffen.
Pierre Delamotte jedenfalls gratulierte sich einmal mehr, daß er die Männer an Bord seines Schiffes genommen hatte.