Kitabı oku: «Seewölfe Paket 14», sayfa 26
Wenig später gingen sie ankerauf und verließen die Bucht. Ihr Kurs führte bei halbem Wind aus Norden westwärts, nichts war ihnen jetzt wichtiger, als Benghasi so weit wie möglich hinter sich zu lassen. Denn Ben kalkulierte haarscharf: Gegen einen Uluch Ali und dessen Piratenbande hatte er mit seinen sieben Männern nichts, aber auch gar nichts zu melden, da konnte er nichts ausrichten, wenn es zu einem Kampf kam.
„Was ist denn das für eine scheußliche Beule, die du da hast?“ fragte Will Thorne, als er dicht vor Old O’Flynn stand und ihn im Mondlicht etwas genauer betrachten konnte.
„Das sind so die Wunden, die man abkriegt, wenn man sich mit einem Kerl wie Uluch Ali einläßt“, erwiderte der Alte würdig. „Kannst du dir das nicht denken?“
„Könnte es nicht sein, daß dir jemand auf den Kopf gefallen ist?“ fragte Pete Ballie lachend.
„Quatsch“, sagte Donegal.
„Sam und Al, wo wart ihr eigentlich, als Donegal gegen die Tür lief?“ wollte Bob Grey plötzlich wissen.
„Na, an der Mauer natürlich“, entgegnete Al.
„Mauer? Welcher Mauer?“ hakte der Alte nach.
So ging das noch eine Weile weiter, aber dann ging Old O’Flynn plötzlich ein Licht auf.
„Jetzt wird mir alles klar!“ schrie er. „Ihr Halunken, ich hab’s ja geahnt! Ihr Verrückten! Ihr habt mich halb totgeschlagen, und um ein Haar wäre doch noch alles schiefgegangen!“
„Du hättest dir ja auch nicht unbedingt einen Kaftan überzuziehen brauchen!“ rief Sam.
„So? Ich nicht? Und ihr? Sieh dich doch selbst mal an!“
Sam Roskill blickte an sich hinunter. Richtig, er trug selbst noch den Kaftan, den er sich mit Al zusammen im Hafen besorgt hatte. Seine etwas verlegene Miene löste ein allgemeines Gelächter an Bord der Sambuke aus – und Old O’Flynn war bereit, ihm und Al die Beule zu verzeihen.
Am achten Juni gegen dreiundzwanzig Uhr hatten sie die Bucht nördlich von Benghasi verlassen. Die Sambuke segelte in die Nacht hinein, neuen Abenteuern entgegen, von denen die acht Seewölfe noch nichts ahnten.
Sie konnten ja auch nicht wissen, daß Muley Salah irgendwo da draußen auf See mit seinen drei Feluken kreuzte und nach den „verfluchten Christenhunden“ suchte. Und auch von der größten Überraschung, die sie erwartete, hatten weder Ben Brighton noch die anderen zu diesem Zeitpunkt auch nur eine annähernde Vorstellung.
Bald sollten sie der englischen Handelskaravelle „Arethusa“ begegnen oder besser, einem ihrer Besatzungsmitglieder, mit dem es eine ganz besondere Bewandtnis hatte …
1.
Am Morgen des 9. Juni 1592 stand die englische Handelskaravelle „Arethusa“ nördlich der Großen Syrte.
Ihr Kapitän, Archibald Cribbs, segelte Ostkurs bei halbem Wind. Die Karavelle befand sich auf der Reise nach Beirut, um dort Seide und Baumwolle einzukaufen.
An diesem Morgen war an Bord alles wohlauf, wie Archibald Cribbs zu seiner Zufriedenheit feststellte. Eigentlich war die ganze Reise sehr gut verlaufen, fand er. Es hatte keine Schwierigkeiten gegeben, und es sah auch nicht so aus, als würde es welche geben. Weshalb auch!
Cribbs war ein frommer, etwas naiver Mann. Er hatte für die Reise Gottes Segen erfleht, und der war ihm auch nicht versagt geblieben. Er hatte guten Wind, die See war ziemlich ruhig, der Himmel von fast seidiger Bläue, die Mannschaft vollgestopft mit Bibelsprüchen von gestern abend, und die hatten sie an diesem Morgen ganz bestimmt noch nicht vergessen, so dachte er jedenfalls.
Die Mannschaft war es auch zufrieden, das ließ sich nicht abstreiten, aber Cribbs fromme Sprüche hingen ihnen allen seit London zum Hals heraus, und wäre Cribbs nicht so ein guter Seemann gewesen, hätten die Kerle längst alle ihre Plünnen genommen und wären über Stag gegangen.
So aber sonnte sich Archibald Cribbs in dem Bewußtsein, daß seine frommen Sprüche und seine absolute Friedfertigkeit in allen Dingen immer auf absolut fruchtbaren Boden fielen und dort wie frische Saat aufgingen. Und diese fromme Saat trug Früchte, das hatte die Reise bewiesen. Kein lausiger Pirat war aufgetaucht und hatte sie angegriffen. Keine Culverine hatte sich ihnen drohend entgegengereckt, kein Mensch hatte sie behelligt.
Piraten – Schnapphähne zur See? No, Sir, da lächelte Cribbs nur und predigte Friedfertigkeit, und kein Kerl hätte sich erfrecht, diese Friedfertigkeit und den Glauben an das Gute durch ein paar Böllerschüsse zu zerstören.
Das Leben ist beschaulich, dachte Cribbs, als er auf dem Achterdeck der Karavelle stand und seine Schäfchen wohlwollend musterte. Hart, aber trotzdem beschaulich, und auf seine Männer, vierzehn an der Zahl, hatte diese Friedfertigkeit abgefärbt. Sie waren sozusagen eine friedfertige Schar frommer Pilger auf dem Weg nach Beirut.
Dieser Illusion hatte Cribbs sich seit London hingegeben, und er glaubte auch jetzt noch ganz fest daran, daß keiner heimlich soff oder nur an Land ging, um dort der Hurerei und Völlerei zu huldigen.
Sie saßen friedlich auf der Kuhlgräting oder hockten einfach auf den Planken, um ihr karges Frühstück zu verzehren, karg deshalb, damit keine Völlerei aufkam, und die Kerle sich dicke Wänste anfraßen.
Zeit, hinunterzugehen, um sie einmal davon abzuhalten, auch bei einem kargen Mahl nicht soviel zu fressen – schließlich kostete ja auch harter Schiffszwieback Geld – und ihnen gleichzeitig ein wenig frommen Wind um die Ohren wehen zu lassen.
Cribbs verließ fröhlich und guter Dinge das Achterdeck, enterte den Niedergang ab und begab sich durch die Kuhl zu seinen Männern. Die Bibel trug er dabei unter dem Arm, sein Blick war wohlwollend und friedfertig auf die Mannschaft gerichtet.
Zum Glück hörte er nicht, was der blonde blauäugige Roger gerade noch schnell sagte. Aber zum Glück war Master Cribbs auch ein klein wenig schwerhörig, und das wußten die Kerle alle.
„O Lord! Jetzt stopft der alte Geizhals uns wieder mit Sprüchen voll, statt die Rationen zu erhöhen.“
Die Männer grinsten scheinbar erwartungsvoll, so jedenfalls interpretierte Cribbs das. Sie waren schon ganz begierig auf seine Worte, doch die Kerle hatten etwas ganz anderes im Sinn. Während Cribbs nämlich predigte, brauchte an Bord nicht gearbeitet zu werden, und sie verstanden es schlitzohrig, ihm geduldig zuzuhören. Sie stellten ihm mitunter so viele Fragen, daß es Cribbs richtig rührte, manchmal bis zum Mittagessen, und dann war der halbe Tag wieder einmal gelaufen.
„Nach einem kräftigen Essen“, sagte er freundlich – er ging davon aus, daß knochenharter Schiffszwieback äußerst kräftig und bekömmlich sei –, „ist das Ohr viel aufnahmebereiter für Gottes Wort. Und nun hört mir gut zu, ich werde euch etwas vorlesen und dann Fragen stellen, und ihr werdet euren Grips zusammennehmen und sie beantworten. Aber gebt nicht immer so dumme und einfältige Antworten wie gestern. Denn so jemand unter euch Weisheit mangelt, der bitte Gott, der da gibt einfältig jedermann und rücket’s niemand auf, so wird sie ihm gegeben werden.“
Er blickte auf und sah in ernste Gesichter. Nur in vereinzelten zuckte es, aber das waren die Kerle, die immer vorgaben, unter Zahnschmerzen zu leiden, eine Krankheit, die auf der „Arethusa“ verbreitet war, und gegen die auch der Feldscher nichts ausrichten konnte, weil er selbst daran litt.
„Habt ihr das verstanden?“ fragte er ruhig. „Ich meine, wißt ihr, was damit ausgedrückt werden soll?“
„Ja, Sir, aye, aye!“ brüllte ein ganzer Chor.
„Nun dann, es scheint, der Herr gibt euch bereits die Weisheit, um alles zu verstehen. Seht, die Sonne geht auf mit der Hitze, und das Gras verwelkt, und seine Blume fällt ab, und seine schöne Gestalt verdirbt. Also wird der Reiche in seinen Wegen verwelken.“
„Aber die Sonne ist doch schon aufgegangen, Sir, und es ist weit und breit kein Gras zu sehen“, sagte Roger verwundert.
„Oh, du Dummkopf“, sagte Cribbs voller Inbrunst, „das ist doch nur ein Vergleich aus dem Brief des Jakobus. Du sollst doch nicht immer zweifeln, denn ein Zweifler ist unbeständig in allen seinen Wegen, so steht hier geschrieben. Ein Bruder aber, der niedrig ist, rühme sich seiner Höhe, und der da reich ist, rühme sich seiner Niedrigkeit, denn wie eine Blume des Grases wird er vergehen.“
Cribbs schielte über die Bibel und sah die Männer an. Deutlich war zu erkennen, daß es in deren Köpfen rauchte und sie krampfhaft überlegten, so krampfhaft, daß es um die Mundwinkel heftig zuckte.
„Wie ist das zu verstehen, Roger?“ fragte er den breitschultrigen blonden Roger mit den blauen Augen.
„Ja, Sir, sagen wir mal, das mit der Größe bezieht sich auf die Zwerge, damit sie sich nicht immer schämen müssen. Wenn einer also nur ein Yard groß ist, dann kann er ruhig behaupten, zwei oder drei Yard groß zu sein, und kann sich deshalb noch rühmen. Und wenn einer ein Schiff hat und reich ist, so wie Sie, Sir, dann kann er ruhig sagen, er habe keinen lausigen Copper mehr auf der Naht, und deshalb könne er auch die Verpflegung nicht so hoch ansetzen. Oder ist das nicht richtig, Sir?“
„Roger, Roger“, jammerte Cribbs, der gar nicht merkte, wie sie ihn wegen seines Geizes ständig verschaukelten. „Es ist ein Kreuz mit dir. Du legst grundsätzlich alles falsch aus, dabei bist du doch intelligent. Geht das denn nicht in deinen verdammten Schädel hinein?“
„Das ist schwierig zu begreifen, Sir.“
Kopfschüttelnd sah Cribbs, daß die anderen auch nichts kapierten. Sie hatten die Gesichter abgewandt und blickten erschüttert aufs Meer hinaus, wobei ihre Schultern zuckten, und die Ohren wackelten. Einige husteten ständig, und der Bootsmann krümmte sich am Schanzkleid zusammen. Er hatte schon seit fast einem Monat ständiges Bauchgrimmen, und das, obwohl die Kerle alle kerngesund aussahen.
„Aber, Sir“, sagte einer der Hands überlegend. „Es heißt doch auch in der Bergpredigt: ‚Selig sind, die da geistig arm sind, denn das Himmelreich ist ihr.‘ Das haben Sie selbst gesagt, Sir.“
„Zum Donnerwetter!“ brüllte Cribbs jetzt. „Es heißt geistlich arm und nicht geistig arm, ihr Schafe! Und das ist ein Unterschied. Wenn ihr das nicht kapiert, dann höre ich für heute auf.“
„Bitte nicht, Sir“, bat der Bootsmann. „Sie werden uns doch nicht wieder der Arbeit überlassen“, fügte er so leise hinzu, daß Cribbs es nicht verstehen konnte. „Lesen Sie bitte weiter, Sir. Und predigen Sie doch ein wenig über die falschen Propheten aus der Bergpredigt. Die Stelle gefällt uns so gut, wo man bittet und empfängt, und welcher unter den Menschen ist, so ihn sein Sohn um Brot bittet, und er ihm aber einen harten Schiffszwieback, Verzeihung, Sir, einen Stein bietet.“
„Das ist nichts für euch“, sagte Cribbs etwas schroffer als sonst. „Ihr sollt auch nicht immer nur ans Essen denken. Und weil wir gerade von der Bergpredigt sprechen: Jesus hat auch einmal viertausend Menschen mit nur sieben Broten und ein paar Fischlein gespeist.“
„Ja, Sir“, sagte Roger andächtig, „solche Wunder geschehen selbst hier bei uns an Bord. Wir alle müssen auch immer von sehr wenig satt werden.“
Das hinterhältige Grinsen in den Gesichtern sah Cribbs nicht. Sie hatten ihm schon oft auf dem Umweg über die Bibel versteckt vorgeworfen, daß die Verpflegung verdammt knapp und Cribbs ein elender Geizkragen sei, aber auf dem Ohr hörte der Master gar nichts, und er wechselte dann auch immer schnell das Thema und zog über die Sünde vom Leder. Er schimpfte über den Suff und die fleischlichen Begierden, und als ihm jetzt das Thema zu heikel wurde, da ging es erneut los.
Eine halbe Stunde lang wetterte er gegen fleischliche Sünden. Die nächste Viertelstunde verwandte er darauf, den Suff zu verfluchen, und als er gerade beim Thema war, stand der Feldscher auf und brachte eine Flasche aus der großen Arzneikiste mit, weil die meisten der Kerle schon wieder unter dem merkwürdigen Bauchgrimmen litten. Der Feldscher drückte jedem die Flasche fast mit Gewalt in die Hand und ermahnte ihn mit ernsten Worten, ja kräftig davon zu trinken. Sie tranken nur widerwillig und mit verzerrten Gesichtern, und Cribbs hörte ein wenig auf zu predigen.
„Was ist das eigentlich für ein Zeug, Feldscher?“ fragte er. „Müssen die Leute es denn trinken? Es bereitet ihnen offensichtlich Qualen.“
„Ja, Sir, das stimmt“, erwiderte der Feldscher mit frommem Augenaufschlag. „Aber was sein muß, das muß sein. Wir wollen doch alle gesund und bei Kräften bleiben. Und sehen Sie, Sir, bei den meisten läßt das Bauchgrimmen schon nach.“
„Es müßte eigentlich schon längst nachgelassen haben“, meinte der Master nachdenklich. „Sie trinken es doch jeden Tag.“
Er nahm die Flasche, schnupperte daran und stellte sie angeekelt wieder zurück.
„Das riecht ja so übel wie Fusel“, sagte er.
„Ja, Sir, das riecht wirklich fast so wie dieses widerwärtige Zeug. Aber es ist Rübensaft, ich habe ihn selbst hergestellt aus Rüben, die wir noch von England an Bord haben. Es ist ein sehr bewährtes Heilmittel und hat noch die guten Eigenschaften, daß es einem das Saufen verleidet und man gar nicht mehr an fleischliche Sünden denkt. Wenn man genug davon getrunken hat, vergeht einem einfach alles, Sir.“
Nun, der Feldscher mußte es ja wissen, dachte Cribbs, der hatte sein Handwerk ja nicht umsonst gelernt und wußte eine ganze Menge.
Archibald Cribbs wunderte sich nur darüber, daß manche danach leicht glasige Augen kriegten, und bei dem Jüngsten an Bord war es ganz besonders schlimm. Der Kerl wurde immer ganz steif danach, und sie mußten ihn nach dem Genuß des Zeugs stets wie ein Brett nach unten tragen.
Aber Medizin hatte ja bekanntlich recht oft so unangenehme Begleiterscheinungen.
Nie wäre Archibald Cribbs auf die Idee verfallen, daß der Feldscher zusammen mit dem Koch ganz ungeniert Rübenschnaps destillierte. Deshalb stank es manchmal auch so entsetzlich an Bord. Und erst recht wäre ihm nie eingefallen, daß die Kerle den Schnaps direkt unter seinen Augen soffen, wenn er lauthals dagegen wetterte. Sie hielten eisern wie ein Mann zusammen. Es gab keine Schlägereien an Bord, weil Cribbs ständig Friedfertigkeit predigte, und so glaubte er, er hätte eine ein wenig einfältige Mannschaft an Bord, denen er alle Lumpereien abgewöhnt hatte.
Hingegen dachte die Mannschaft, sie hätten einen recht einfältigen Kapitän an Bord, was schon eher seine Richtigkeit hatte. Aber sie kamen prächtig miteinander aus. Daß der Jüngste allerdings ständig umkippte, beunruhigte Cribbs ein wenig, denn der Moses war immer der erste, der stockbesoffen war, aber das führte Cribbs auf seine Magerkeit zurück. Der Kerl war einfach noch zu jung, und der Feldscher versicherte, ihm fehle rein gar nichts, das hätte er von seinem Vater geerbt, der auch öfter mal umfiel. Das läge bei manchen so in der Familie.
Sie mußten Archibald noch einiges erklären, und es gab Tage, da begriffen die Kerle kaum etwas oder interpretierten die Sprüche völlig falsch. So ein Tag war auch heute wieder, aber sie stellten Fragen, und das war die Hauptsache, überlegte Archie. Das zeigte zumindest, daß sie lernbegierig waren. Er war mit seiner Mannschaft sehr zufrieden.
Er schrak leicht zusammen, als der Kutscher zum Essen rief.
„Was – schon wieder Mittag?“ fragte er ungläubig. „Ihr habt doch eben erst gegessen. Habe ich denn so lange gepredigt?“
„Ja, Sir, es war wunderschön“, sagte der Bootsmann mit leuchtenden Augen. „Wir können gar nicht genug davon hören. Vielleicht könnten Sie uns heute nach dem Essen noch ein wenig vorlesen?“
„Gut“, sagte der fromme Archie. „Aber denkt an die Völlerei! Wer zuviel ißt, wird dick und krank.“
Dabei blickte er auf seinen eigenen, ziemlich dicken Bauch. Das muß am Trinkwasser liegen, dachte er, vielleicht trank er zu viel davon, oder?
Roger war zweifellos der intelligenteste Mann an Bord der „Arethusa“. Er war auch beileibe nicht faul, aber er verstand es geschickt, Archies Schwächen auszunutzen, und so konnten sie sich alle öfter mal einen guten Tag machen, während sie den Kapitän dazu animierten, ihnen aus der Bibel vorzulesen, was Archie auch mit großem Wohlwollen tat.
Aber faul waren die Kerle tatsächlich nicht, und Roger ganz besonders nicht. Im Gegenteil, denn er hatte keine leichte Jugend gehabt. Schon sehr früh war er mit seinem Vater und seinen Brüdern auf der Nordsee zum Fischen gefahren und hatte dem Meer mühsam genug seinen Lebensunterhalt abringen müssen. Dabei hatte er noch das Handwerk des Seilers und Ropemakers gelernt und war heute Takelmeister. Und die Arbeit am laufenden und stehenden Gut brachte zwangsläufig mit sich, daß man immer alle Hände voll zu tun hatte.
Roger war zäh und konnte hart zupacken, und ihm lag das Abenteuer im Blut.
Als die Fischerei dann kaum noch etwas einbrachte, und sein Vater längst auf dem Meer geblieben war, da hatte er sich auf die „Arethusa“ verdingt, und auf diesem Schiff fuhr er jetzt unter dem frommen Archibald Cribbs seit eineinhalb Jahren. So hatte er auch einen großen Teil der Welt kennengelernt.
Am Nachmittag predigte Archie Friedfertigkeit, ein Thema, das allen gründlich zum Hals heraushing, und dessen umwerfende Neuigkeiten sie bis zum Erbrechen kannten. Diesmal wurde es richtig langweilig, und bei dem Thema „Liebet einander!“ fiel Rogers Blick auf die Bewaffnung an Deck der „Arethusa“.
Die war nicht nur spärlich, sondern direkt bescheiden, ja erbärmlich. Vier Neunpfünder standen auf der Kuhl, diskret unter Segelleinen verborgen, und so klein, daß sie damit bestenfalls Haie kitzeln konnten. Aber merkwürdig war das schon: Trotz dieser kleinen lächerlichen Stücke hatte sie noch niemand angegriffen. Folglich mußte an Archies Ansicht doch etwas Wahres dran sein. Er ging von der These aus, daß man allen anderen Menschen immer friedlich begegnen müsse, mit offenen Herzen und freundlichem Lächeln. Hielt man sich daran, so Archibalds Ansicht, dann taten einem die anderen auch nichts. Zum Erstaunen aller war diese reichlich merkwürdige Theorie immer aufgegangen, was den Kapitän veranlaßte, in seiner These absolute Bestätigung zu finden.
Als Archie weiterhin Gewaltlosigkeit und Nächstenliebe predigte, widersprach der Bootsmann, um alles ein wenig in die Länge zu ziehen.
„Das mit der Feindesliebe ist auch so eine Sache, Sir, die wir nicht so recht begreifen. Heißt es denn nicht ‚Auge um Auge, Zahn um Zahn‘?“
„Das ist nicht so gemeint“, sagte Cribbs unwirsch, er wurde immer leicht unwirsch, wenn er sich etwas selbst nicht erklären konnte. „Es heißt ja weiter, daß man nicht widerstreben soll, denn so dir jemand einen Streich gibt auf deinen rechten Backen, dem biete den anderen auch dar.“
„Damit er noch mal kräftig draufhauen kann, Sir?“ vergewisserte sich der Bootsmann.
„Symbolisch, symbolisch“, sagte Archibald. „Man soll sich überhaupt nicht schlagen oder prügeln.“
„Symbolisch kann man sich ja mal eine pflastern lassen“, meinte Roger. „Vor allem tut das auch nicht so weh.“
Sie regten Archibald zur Diskussion an, und der stand auf der Kuhlgräting und wetterte dagegen, und überhaupt müßten sie jetzt doch so langsam kapiert haben, was er meine.
Aber die Schlitzohren kapierten nicht. Alles mußte ihnen dreimal und ganz genau erklärt werden. Aber Cribbs war froh, daß es wenigstens ganz langsam in ihre Schädel ging, denn es freute ihn, daß seine langwierigen Bemühungen immerhin doch auf fruchtbaren Boden fielen.
Darüber vergingen der Mittag und der Nachmittag. Die Rudergänger lösten sich ab und gearbeitet wurde gar nichts. Der Mann im Ausguck hörte die Worte still an seine Ohren plätschern. Sie drangen vom Deck überdeutlich zu ihm herauf, und fast wäre er darüber eingeschlafen, so wie die vielen anderen, die vorgaben, Archis Stimme zu lauschen und wegen der besseren Konzentration die Augen geschlossen hatten.
In Wahrheit dösten sie vor sich hin, waren einigermaßen satt und zufrieden und ließen eine Litanei nach der anderen an sich vorbeiplätschern. Archibalds sanfte Worte, das Wiegen der Karavelle auf dem Wasser, das alles lullte sie ein, und so stand Archibald vor seiner Mannschaft und dozierte vor dösenden Kerlen.
Hin und wieder hielt er inne und linste über die Bibel. Aber sobald seine Stimme verstummte, öffneten sich die Augen der Kerle, die darauf gedrillt waren, bei einem plötzlichen Schweigen des Masters augenblicklich zu erwachen. Archibalds Eindruck, daß sie ganz genau zuhörten, verstärkte sich dadurch jedesmal. Nein, da schlief kein einziger, sie hatten die Augen wohl doch nur der besseren Konzentration wegen geschlossen, und sobald er einmal schwieg, sahen ihn diese Augen erwartungsvoll an.
Sehr zufrieden und nach einem leisen Räuspern, las der Kapitän weiter.
Erst der Ruf aus dem Ausguck ließ alle zusammenzucken.
„Drei Schiffe Steuerbord voraus!“ schrie der Mann an Deck. „Es scheinen drei Feluken zu sein.“
Archibald klappte die Bibel zu, drehte sich um und blickte über das Wasser, das ruhig und langgezogen dünte. Er hatte scharfe Augen und nickte, als er die Feluken erkannte. Sie segelten in Dwarslinie Kurs Nordwest. Die Dwarslinie war langgezogen, und wenn die „Arethusa“ auf ihrem Kurs blieb, würde sie mitten durch die Feluken hindurchsegeln müssen.
„Es scheint“, sagte Cribbs, „als suchten sie die See ab, denn diese Art der Segelei ist doch recht merkwürdig.“
Die anderen waren hellwach. Mißtrauen war immer angebracht, wenn sie gerade hier im Mittelmeer, wo es von Piraten und Küstenhaien nur so wimmelte, anderen Schiffen begegneten. Bisher war ja immer alles gutgegangen, aber man konnte nie wissen. Denn Cribbs These nahmen sie zwar alle zur Kenntnis, sie glaubten nur nicht daran, daß sich alle anderen auch friedlich verhielten.
Nach einer Weile war deutlich zu sehen, daß die Feluken ganz leicht den Kurs änderten. Die Linie hielt auf sie zu.
„Die wollen etwas von uns, Sir“, sagte Roger. Sein Gesicht war besorgt und mißtrauisch, und seine blauen Augen irrten von den heransegelnden Feluken wieder zu Archibald Cribbs. „Sie sollten vielleicht doch lieber vorsichtshalber Waffen ausgeben lassen, Sir. Und die Neunpfünder …“
Archibald Cribbs sah den blonden Engländer fast entrüstet an.
„Geht denn das schon wieder los?“ sagte er. „Habe ich euch nicht jeden Tag gepredigt, daß wir anderen friedlich begegnen und die dann das gleiche tun? Die vier Kanonen bleiben unter der Leinwand, und Waffen werden ebenfalls nicht ausgegeben. Diese drei Feluken sind friedliche Handelsfahrer, genau wie wir, und es ist nur natürlich, daß sie sich eine englische Karavelle einmal aus der Nähe ansehen wollen. Wir werden sie freundlich empfangen, wie das Christenpflicht ist, und ein paar nette Worte oder Gesten mit ihnen wechseln, und wenn sie merken, daß wir in absolut friedlicher Absicht nach Beirut wollen, werden sie sich ebenso friedlich verhalten wie wir.“
„Sir“, sagte Roger. „Das meine ich doch nur – äh – symbolisch. Wir könnten uns ja symbolisch bewaffnen und die Waffen verstecken.“
„Und was sollen diese Männer von uns denken, wenn sie die Waffen trotzdem sehen? Ich werde es dir sagen: Sie werden denken, wir wollten sie provozieren oder sie heimtükkisch angreifen. Schlagt euch das aus dem Kopf, Männer. Wir sind friedliche und gottesfürchtige Kauffahrer.“
„Und wenn es doch Piraten sind?“ fragte Roger grimmig.
Aber Archibald Cribbs hatte auch darüber recht eigenartige Ansichten.
„Hat uns schon mal ein Pirat aufgebracht? Nein, natürlich nicht. Was wollte er auch von uns! Wir haben nichts, wir wollen nichts von ihnen, wir sind freundlich und höflich, und das werden selbst Piraten einsehen müssen. Wenn sie sich wirklich unfreundlich benehmen, werde ich ihnen zurufen: Liebet einander! Und alles ist in Ordnung.“
„Verdammt noch mal“, sagte der Bootsmann so leise, daß Archie ihn wieder nicht verstand. „Ist der Kerl denn vernagelt? Wir rennen doch in unser Verderben, wenn das wirklich Piraten sind. Weshalb denn grasen sie das Meer in breiter Formation ab!“
„Sie verstehen unsere Sprache doch nicht“, versuchte Roger es noch einmal, um Cribbs umzustimmen. „Und wir verstehen auch nicht, was sie sagen. Und wenn wir von Liebe und Freundschaft faseln, dann schneiden sie uns die Köpfe vom Hals.“
Archibald umklammerte seine Bibel, sah die Männer noch einmal streng an und schüttelte dann entschieden den Kopf.
„Wir bleiben auf Kurs“, entschied er. „An Bord meines Schiffes wird jedenfalls nicht geschossen, auch die Kanonen werden nicht ausgerannt. Wir sind friedliche Seefahrer.“
Mit diesen Worten drehte er sich um und kehrte aufs Achterdeck zurück.
„Friedliche Seefahrer!“ höhnte Roger. „Kalfaterte Blödmänner sind wir. Archie sieht in jedem Schnapphahn nur das Gute. Ich für meinen Teil werde mich jedenfalls zu verteidigen wissen, und wenn es nur mit meinem Entermesser ist. Euch würde ich dasselbe empfehlen.“
„Darauf kannst du dich verlassen“, sagte der Bootsmann. „Ich habe mich mein Leben lang rumgeprügelt, und ich schlage lieber zuerst zu, dann weiß ich wenigstens, woran ich bin.“
Wieder änderten die Feluken leicht den Kurs. Ihre Absicht war unverkennbar. Sie wollten sich die Karavelle einmal aus der Nähe ansehen, und beim bloßen Ansehen würde es ganz sicher nicht bleiben.