Kitabı oku: «Seewölfe Paket 14», sayfa 4
Wenig später sollte sich bewahrheiten, daß Sir Johns Gezeter nicht grundlos gewesen war: Von Süden her jagten durch die Dünen Männer auf Dromedaren heran – Beduinen! Sie schwenkten ihre Waffen und stimmten ein wildes Geschrei an.
Hasard bedeutete seinen Männern, sich hinter die Dollborde der Boote zu ducken. Die Waffenläufe richteten sich drohend auf die anstürmende Horde. Der Tanz konnte beginnen.
6.
Die Beduinen waren nun so dicht heran, daß sie sich von der Zahl der Männer in den Booten und auch von deren Bewaffnung einen Eindruck verschaffen konnten, doch sie dachten nicht daran, sich einschüchtern zu lassen. Sie schwangen Lanzen und Krummsäbel, stießen gellende Schreie aus und trieben ihre hochbeinigen Reittiere auf das Wasser des Kanals zu.
„Wartet noch“, sagte der Seewolf zu seinen Männern. „Schießt erst, wenn ich euch den Befehl dazu gebe.“
„Aye, Sir“, antworteten die Männer wieder.
Die Beduinen hatten den Kanal erreicht, die Kamele drängten sich im dichten Pulk und strebten ins Wasser.
„Großartig“, sagte der Profos grimmig. „Da hätten wir sie also, unsere nette kleine Karawane.“
„Ja“, sagte Dan O’Flynn gedehnt. „Wie schön, daß man in dieser Einsamkeit endlich mal wieder auf menschliche Lebewesen stößt.“
Zwar lauerten nicht überall in dieser Wüste nur Feinde – die Karawane, zu der auch das Mädchen Parisade gehörte, war eine angenehme Ausnahme gewesen –, doch in diesem Fall war die feindselige Absicht der Beduinen eindeutig. Zum Angriff bereit steuerten sie durch das Wasser auf die Boote zu.
Die Seewölfe hatten allen Grund, hart und ohne jeden Kompromiß zu reagieren. Die Rücksicht und das Gebot der Fairneß hatten mit dazu beigetragen, daß sie in eine der schwersten Lagen geraten waren, in denen sie jemals gesteckt hatten – und zur Zeit und in dieser Situation waren alle Araber für sie eine Bande von Ali Abdel Rasuls, von heimtükkischen und verschlagenen Kerlen, die nur eins herbeiwünschten, nämlich den Tod der verhaßten „Giaurs“.
„Feuer frei!“ schrie der Seewolf.
Ja, diesmal verzichtete er darauf, zu Beginn der Auseinandersetzung lediglich Schreckschüsse abfeuern zu lassen. Es waren mehr als zwanzig Kerle mit Kaftan und Djelaba, die da auf sie eindrangen. Grund genug für die Männer der „Isabella“, sich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zur Wehr zu setzen.
„Bringt sie um, die Christenhunde!“ schrie ein großer Kerl im dunklen Djelaba, der der Anführer der Bande zu sein schien.
Die Zwillinge verstanden seine Worte, aber auch Hasard, Dan O’Flynn und ein paar andere konnten inzwischen genug Arabisch, um den Sinn dieser wenigen Silben einwandfrei zu deuten.
Giaurs, Christenhunde – wie oft hatte man ihnen diese Worte im Land Ägypten entgegengeschleudert. Nur die Muslims kannten angeblich die Wahrheit Gottes, alle anderen Menschen waren für sie Ungläubige. Hasards Wut über diese Art von Intoleranz und Überheblichkeit brach in diesem Augenblick voll durch,
Er schoß selbst als erster auf einen der Angreifer, und dann krachten auch die Tromblons und Musketen seiner Männer. Ein Bleihagel fegte den Kamelreitern entgegen und erzielte eine verheerende Wirkung. Fast die Hälfte der Bande wurde aus den Sätteln gerissen, schreiend landeten die Kerle im Wasser.
Dann löste sich die Meute auf und bildete zwei Gruppen, die die Jollen in die Zange zu nehmen versuchten. Ferris Tucker stieß eine Verwünschung aus und schleuderte eine der Flaschenbomben. Mit zischender Lunte torkelte sie durch die Luft, und als sie zwischen den Banditen landete, war die Zündschnur bereits durch den Korken bis auf die Ladung abgebrannt, so daß sie nicht mehr erlöschen konnte. Sie glomm noch eine Sekunde, dann zerriß es die Flaschenwände mit immenser Wucht. Eine schaumgekrönte Wassersäule stieg aus dem Kanal auf. Die Dromedare schrien gellend, die Reiter brüllten, das Durcheinander war perfekt.
Ferris tauschte mit Al Conroy einen Blick. Al Conroys Miene war anerkennend. Sie hatten in den Jahren ihres Zusammenseins genug Erfahrung mit den Flaschenbomben gesammelt, doch alle Kenntnis bewahrte sie nicht vor gelegentlichen Fehlern. Diesmal aber hatte der Wurf perfekt gesessen, und die Länge der Lunte war von Ferris genau richtig berechnet worden.
Wieder krachten die Handfeuerwaffen. Die Seewölfe schossen ihre letzten noch geladenen Tromblons leer, dann die Pistolen. Die Zwillinge luden die abgefeuerten Musketen und Blunderbüchsen nach, mit fliegenden Fingern versahen sie ihr Werk.
Ferris wollte noch eine zweite Flaschenbombe werfen, doch das war schon nicht mehr nötig. Die Abwehr der Seewölfe war so jäh, wild und vernichtend, daß die letzten Beduinen die Flucht ergriffen. Hasard zählte nur noch ganze sechs Kerle, die ihre Dromedare mit Rufen und heftigen Beinbewegungen aus dem Kanal trieben, zurück ans südliche Ufer, und dann ab durch die Wüste dorthin, von wo sie aufgetaucht waren.
Jetzt aber traten Carberry, Big Old Shane, Batuti und Pete Ballie in Aktion. Ohne sich vorher groß miteinander abgestimmt zu haben, sprangen sie außenbords und wateten den flüchtenden Gegnern nach. Das Wasser reichte ihnen bis zu den Schultern und bot einigen Widerstand, trotzdem gelang es ihnen, noch zwei der reiterlosen Kamele zu erreichen, ehe sich der ganze Pulk entfernte und die herrenlosen Tiere mitnahm.
Die Beduinen dachten nicht daran, noch etwas zur Rettung ihrer wertvollen Tiere zu unternehmen. Die blanke Angst saß ihnen im Nacken, sie hatten nur noch den einen Wunsch: so viel Distanz wie möglich zwischen sich und die Boote zu legen. Die Hacken ihrer Füße trommelten gegen die Flanken der Dromedare, in einer Staubwolke jagten sie davon.
Big Old Shane und Batuti hängten sich an „ihr“ Kamel. Mit vereinten Kräften gelang es ihnen, den schnaubenden und nach hinten austretenden Vierbeiner zu bändigen.
„Gut so!“ brüllte Shane. „Laß ihn nicht los, Batuti!“
„Den Teufel wird Batuti tun!“ rief der schwarze Herkules und klammerte sich an einem der Hinterläufe des Kamels fest.
Das andere Kamel jedoch raste in panischer Flucht mit Carberry und Pete Ballie aus dem Wasser. Die beiden ließen nicht locker. Der Profos hielt sich am Schwanz fest, Pete an einem der Hinterbeine, und so stolperten sie fluchend mit dem Tier am Ufer entlang.
Sir John flatterte über ihren Köpfen und krächzte: „Satansbraten! Galgenvögel! Kanalratten!“
Die Männer in den Booten konnten nicht anders, sie mußten einfach lachen. Denn es war eine Szene von unvergleichlicher Komik, die sich da an Land abspielte: Carberry stolperte und fiel, Sir John fluchte wie verrückt. Pete Ballie klammerte sich immer noch an dem Bein des Kamels fest und überhäufte das arme Tier mit den übelsten Beleidigungen. Carberry rappelte sich wieder auf, rannte ihnen nach und kriegte diesmal das andere Hinterbein des Kamels zu fassen. Er hängte sich daran, als ginge es um sein Leben.
Das Dromedar tobte. Es bockte wie ein Esel und stieß die fürchterlichsten Laute aus, ein dissonantes Kreischen, ein fast menschliches Schreien und eine Art Wiehern, das dem eines Maultiers nicht unähnlich war.
Die Männer lachten und klatschten Beifall, an guten Ratschlägen, wie Ed und Pete das Tier am besten zum Stehen bringen konnten, mangelte es nicht.
Nur einer lachte nicht mit – Ferris Tucker. Verdrossen und erbittert zugleich blickte er auf eine Lanze, deren Spitze unterhalb der Wasserlinie in Ben Brightons Boot ragte. Da rann nun bereits Wasser in die Bilge, nicht viel zwar, aber genug, um den Schiffszimmermann unruhig zu stimmen. Verletzt war niemand, aber die Beduinen hatten durch ihren Angriff dennoch Schaden angerichtet.
Die Lanze wirkte zwar selbst wie ein Pfropfen in dem Loch, das sie verursacht hatte, aber immerhin – es suppte, wie man zu sagen pflegte, und auf die Dauer würde der Wasserpegel im Boot steigen.
„Sir“, sagte Ferris. „Verdammt und zugenäht, wir haben ein Leck.“
Der Seewolf hatte gerade Dan O’Flynn und Blacky losgeschickt, damit sie Carberry und Pete Ballie bei der Bändigung des Kamels halfen. Die beiden wateten an Land, verfolgt vom Johlen und Pfeifen ihrer Kameraden. Carberry war es unterdessen zwar gelungen, eins der Vorderbeine des Tieres zu ergreifen, doch er lief höchstens Gefahr, schwungvoll in den Wüstensand befördert zu werden.
Hasard wandte sich Ferris zu, der immer noch eine erbitterte Miene schnitt, und sah sich die Bescherung an.
„Wir legen am Ufer an“, entschied er.
Rasch wurden beide Jollen an die Südseite des Kanals dirigiert, und der Seewolf ließ die Männer aussteigen, um Bens Jolle zu leichtern. Er unterzog nun auch sein Boot einer ausgiebigen Untersuchung, konnte jedoch keinerlei Beschädigung feststellen.
Bens Jolle lag inzwischen so hoch im Wasser, daß die Lanze aus dem Wasser ragte.
„Na fein“, sagte Ferris grimmig. „Dann mal los. Wer faßt mit an und hilft mir, das zu beheben?“
Alle Männer meldeten sich bereitwillig, Ferris grinste und suchte Al und Will Thorne als Assistenten aus.
„Du triefäugige Wüstengaleone!“ brüllte Carberry das Kamel an. „Willst du wohl stehenbleiben? Willst du wohl gehorchen?“
Das Dromedar, störrischer denn je, dachte nicht daran, sich von den Flüchen und Befehlen in irgendeiner Weise beeinflussen zu lassen. Immer wieder versuchte es, auszubrechen und davonzulaufen, und Carberry und Pete Ballie hatten schon einiges an Huftritten und Knüffen einstekken müssen. Zum Glück waren aber jetzt Dan und Blacky zur Stelle und packten mit zu. Jeder hielt ein Bein, und dieses Mal mußte das Kamel kapitulieren, ob es wollte oder nicht. Carberry ließ das Vorderbein los, richtete sich auf und gab dem lieben Tier mit der Faust was auf die Schnauze – und jetzt wurde es so sanft wie ein Lamm.
Als er das Kamel stöhnen hörte, wurde selbst der ruppige Profos mit einemmal weich. Er ließ sich dazu verleiten, ihm die Hand zwischen die Ohren zu legen.
„Nimm’s nicht so schwer“, sagte er. „Tut mir leid, dich so behandeln zu müssen, aber du hast es ja nicht anders gewollt.“
„Ja, ja“, sagte Dan O’Flynn. „Da sieht man wieder, wer ein Herz für Tiere hat.“
„Würde ich es sonst bei euch blinden Kanalratten aushalten?“ stieß Carberry aus. Sein Kinn schob sich dabei bedrohlich vor.
„Nein, natürlich nicht, Ed“, erwiderte Dan schnell.
„Wie lange wollen wir hier noch rumstehen?“ fragte Pete Ballie keuchend. „Das Biest stinkt wie die Pest. O Lord, ich hab’ noch nie einen so abscheulichen Gestank in der Nase gehabt.“
Blacky wollte darauf etwas entgegnen, ließ es aber lieber sein. Pete schien momentan nicht in der besten Stimmung zu sein. Das Kamel hatte ihm immerhin beachtliche Flecken und Schrammen zugefügt.
Zu viert brachten sie das Tier nun zu den Booten, dort warteten bereits Shane und Batuti mit dem anderen Kamel. Es gab wieder ein großes Gelächter, und die Männer schlugen sich gegenseitig auf die Schultern. Sie waren erleichtert, denn jetzt hatten sie zwei Tiere, von denen sie die beiden Boote ziehen lassen konnten.
„Wir können treideln“, sagte Hasard. „Gut reagiert, Ed. Vielleicht schinden wir wieder einen Vorsprung heraus und holen den Zeitverlust auf. Jedenfalls aber brauchen wir uns nicht mehr so abzurakkern.“
Treideln – wie der Kameltreiber Yussuf alias Ali Abdel Rasul es ihnen mit der „Isabella“ vorexerziert hatte – Hasard mußte unwillkürlich an die Episode zurückdenken. Mit einem Schlag war die Erinnerung an die Geschehnisse am Nil wieder in ihm wach, und er verspürte erneut einen Anflug von Trauer und Wehmut, als er an ihr Schiff dachte.
Rasch verdrängte er diese Bilder aus seinem Geist. Es hatte keinen Zweck, sich wieder damit abzugeben und sich in immer größere Selbstvorwürfe zu verstricken. Ihr Ziel, den Kanal zu verlassen und den Mensaleh-See zu erreichen, hatte den absoluten Vorrang vor allem anderen, nur hierauf durften seine Überlegungen ausgerichtet sein.
Ferris Tucker reparierte das Leck. Al und Will unterstützten ihn und reichten ihm das Material, das er zum Abdichten des Loches in der Bordwand brauchte. Hasard ließ der Vorsicht halber alle Männer vom Kutscher untersuchen. Er wollte ganz sicher gehen, daß keiner von ihnen verwundet worden war.
„Wir haben mächtigen Dusel gehabt“, sagte der Kutscher am Ende. „Es ist wirklich keiner verletzt.“
„Ausgezeichnet“, sagte der Seewolf. „Ferris, wie weit bist du?“
„Fertig, Sir.“
Das Instandsetzen der Jolle hatte nicht länger als eine halbe Stunde gedauert. Hasard und seine Männer konnten sich jetzt um die Beduinen kümmern. Die Verwundeten hatten sich natürlich längst verholt, aber acht Tote hatte die Bande zurückgelassen, die zum Teil im Wasser schwammen, zum Teil am Ufer gelandet waren.
Die Seewölfe nahmen ihnen die Lanzen und Krummsäbel ab, dann bestatteten sie die Toten unweit des Ufers, so gut es ging. Sie einfach den Aasfressern zu überlassen, brachte Hasard denn doch nicht übers Herz.
Nach verrichteter Arbeit kehrten sie zu den Booten zurück und stiegen ein – und nun wurde getreidelt. Batuti war auf das eine Kamel geklettert, Luke Morgan auf das andere. Weiter ging es, bald mit viel Hallo und Witzeleien, weil Luke mit seinem Kamel mächtig viel Zirkus aufführte.
„Halt die Luft an, Else!“ schrie er und schlug dem Tier mit der Hand gegen den Höcker. „Ho, was ist denn in dich gefahren? Suchst du einen Freier?“
Das Kamel antwortete mit grunzenden Lauten und trat kräftig nach hinten aus, wobei es mit dem Tau in Konflikt geriet, an dem es das eine Boot hinter sich herzog. Es strauchelte und drohte zu fallen, Luke konnte sich nur noch mit Mühe im Sattel halten. Er sparte nicht mit Schimpfworten. Irgendwie schien das etwas zu nutzen, das Kamel hielt das Gleichgewicht und trottete schwankend weiter, wobei es nun seinem Beinamen „Wüstenschiff“ alle Ehre bereitete.
Die Männer in den Booten lachten begeistert.
„He, Luke!“ schrie Big Old Shane. „Sieh mal richtig hin! Das ist kein Weibchen, sondern ein Männchen, Junge! Was ist denn, hast du Schlick auf den Augen?“
„Sand“, korrigierte Luke. Er grinste und tätschelte dem Dromedar noch einmal den Höcker. „Na, dann mal weiter, John, und immer hübsch artig. Wenn du brav bist, bringe ich dich mit der Lady da drüben zusammen, auf die bist du doch scharf, oder?“
Das Kamel wandte halb seinen Kopf und blickte zu dem anderen Kamel – tatsächlich handelte es sich um ein Weibchen – am Südufer hinüber, so, als habe es Lukes Worte ganz genau verstanden. Es drehte den Kopf noch etwas weiter nach hinten und fixierte Luke mit einem Auge – und dann versuchte es wieder, den Mann abzuwerfen. Es war das Tier, das Carberry und Pete zu zweit nicht hatten bändigen können – ein ganz obstinates Vieh.
Luke hielt sich fest und war krampfhaft um seine Balance bemüht.
„Führ’ dich nur weiter so auf, du Dickschädel“, sagte er zornig. „Wir werden ja sehen, wer der Stärkere ist. Wir müssen uns nämlich irgendwie zusammenraufen, kapiert?“
Das Kamel stieß ein beleidigtes Grunzen aus.
7.
In der Nacht war Jack Finnegan aufgewacht, und wieder hatte er geglaubt, seine strapazierten Nerven spielten ihm einen Streich. Dann aber hatte er sich vergewissert, daß er nicht träumte: Wirklich, kleine Regentropfen hatten sein Gesicht genäßt, und irgendwo in der Ferne hatte ein Blitz gezuckt. Dann war das verhaltene Grollen eines Gewitterdonners über die See gerollt.
Die anderen hatten fest geschlafen. Finnegan aber hatte sich die Pütz genommen und sie dazu benutzt, ablaufendes Wasser von ihrer Segel-Sonnenschutzplane aufzufangen. Schließlich hatte der kurze Regen ausgesetzt, und Finnegan hatte seine Holzpütz auf der Plattform in der Nähe des Mastes abgestellt und fortan wie seinen Augapfel gehütet.
Er wartete darauf, daß es wieder anfing zu regnen, doch diesmal wurde er enttäuscht. Unberechenbar waren die Launen der Natur, im Guten wie im Argen.
Am Morgen des dritten Tages nun, den sie als Gefangene ihres eigenen Schiffes auf der Plattform verbrachten, wies Finnegan seinen Freund Paddy Rogers auf das kostbare Naß hin, das er gewonnen hatte.
„Mann, ein schöneres Geschenk gibt es nicht“, sagte Rogers überwältigt.
„Ja“, brummte Finnegan und warf einen Blick auf Reuter, Marten und Pravemann, die eben aufwachten und sich die Augen rieben. „Nimm schnell einen Schluck. Danach stellen wir die Pütz wieder weg. Vielleicht merken die Kerle nicht, daß Wasser drin ist.“
„Und wenn schon. Hast du denn genug getrunken?“
„Nur einen kleinen Schluck. Wir müssen äußerst sparsam damit umgehen.“
Rogers nickte und hob die Holzpütz an seinen Mund. Er benetzte nur ein wenig seine Lippen und ließ den Schluck Wasser durch seine Kehle rinnen, dann setzte er wieder ab und tat, was Finnegan ihm empfohlen hatte. Die Pütz stand nun etwa in der Mitte der einen Hälfte des Marses, und beide Engländer hatten ein waches Auge darauf.
Reuter war jedoch nicht entgangen, daß Paddy Rogers die Pütz hochgehoben hatte.
„He!“ sagte er heiser. „Was hat denn das nun wieder zu bedeuten? Rogers, ist dein Geist umnachtet?“
Rogers begegnete seinem Blick. „Sag das noch mal.“
Piet Reuter zog es vor, zu schweigen. Sein Blick wanderte zum Segel hoch und verharrte dort. Plötzlich straffte sich seine Gestalt, er griff nach Pravemanns Schulter und rüttelte daran, versetzte auch dem großen Jan Marten einen Stoß.
„Was ist? Zeigt sich endlich ein Schiff?“ murmelte Pravemann.
„Nein. Aber das Segel ist noch ganz feucht“, entgegnete Reuter. „Heute nacht hat es geregnet.“
Marten blinzelte und gab einen unwilligen Laut von sich.
„Regen?“ wiederholte er. „Sollen wir vielleicht das Segel ablutschen? Pfui Teufel, das schmeckt mir nicht.“
„Wir können es einfacher haben“, sagte Reuter und stand auf. Er trat bis dicht an die Pütz und konnte das Wasser darin erkennen.
Marten und Pravemann hatten sich ebenfalls von ihren harten Schlafplätzen erhoben, sie spürten etwas von der Bedeutung, die dieser Moment für sie alle hatte.
Paddy Rogers brachte sich vorsichtshalber zwischen Piet Reuter und die Pütz. Noch hockte er auf der Plattform, aber er war bereit, sehr schnell aufzuspringen und den Holländer daran zu hindern, auch nur die Hand nach der Pütz auszustrekken.
„Sehr nett finde ich das nicht von euch“, sagte Reuter schleppend. „Ihr reißt euch heimlich das Wasser unter den Nagel und laßt uns nicht einmal daran nippen. Na, zum Glück habt ihr ja nicht gleich alles ausgesoffen, wir kriegen unseren Anteil noch.“
„Anteil? Dir ist wohl nicht gut, was?“ sagte Rogers und sah ihn von unten her an.
Jack Finnegan musterte den Holländer ebenfalls kalt.
„Daß ihr darauf keinen Anspruch habt, ist dir doch wohl klar“, sagte er. „Ihr habt uns nur verhöhnt, aber wir haben die Pütz unter Einsatz unseres Lebens aus dem Wasser gefischt.“
„Mit den Kameraden zu teilen, ist Ehrensache.“ Reuter lächelte verschlagen. „Nun stellt euch doch nicht so an. Kann man nicht mal einen Spaß mit euch machen? Hölle, wenn ich das Wasser hätte, würde ich es ganz bestimmt mit euch teilen.“
„Das erzähl’ lieber deinen Freunden“, sagte Finnegan verächtlich. „Die kaufen es dir ab. Aber uns kannst du nicht verschaukeln, klar?“
„Vorsichtig, Finnegan …“
„Ihr würdet uns nicht einen Tropfen abgeben, wenn die Pütz euch gehören würde. Ihr seid ein schlimmes Trio, das weiß ich gut genug, Piet Reuter, und wenn ihr nicht eine gehörige Portion Respekt vor uns hättet, wären wir längst von den Haien zerrissen worden, nicht wahr?“ Finnegan stemmte die Fäuste in die Seiten. „Möchtest du ein Tänzchen mit uns wagen? Na los, ich warte. Hol dir das Wasser, wenn du dich traust.“
Paddy Rogers war plötzlich auf den Beinen und richtete sich dicht vor Reuter zu seiner vollen Körpergröße auf.
„Ich warte auch“, sagte er gelassen.
Reuter rührte sich nicht vom Fleck, doch er wagte nicht, die beiden Engländer anzugreifen, auch mit Martens und Pravemanns Unterstützung nicht. Jetzt, da es ums eigene Überleben ging, hätte Reuter zwar eine Menge riskiert, doch der Einsatz war ihm immer noch zu hoch. Es war ein Wagnis, Finnegan und Rogers direkt anzugehen. Lieber wartete er eine bessere Gelegenheit ab. Die würde sich schon noch bieten.
Jan Marten war ein starker Kerl, aber vor Paddy Rogers schreckte er zurück, denn er wußte, wie dieser Mann zuschlagen konnte. Man hatte dies im Vordeck der „Zeland“ bei einer Auseinandersetzung sehen können – seinerzeit hatte Rogers einmal drei Kerle, die ihm eine kleine Flasche Whisky gestohlen hatten, nach Strich und Faden verprügelt, so sehr, daß ihnen Hören und Sehen vergangen war. Statt sie dem Profos zu melden, hatte er sich lieber auf seine Art Genugtuung verschafft.
Seit jenem Tag waren ihm die Hochachtung und der Respekt der gesamten Crew gewiß gewesen. Pravemann hatte regelrecht Angst vor Rogers, wenn er dies auch gut verbarg. Kurzum, alle drei Holländer hatten Grund genug, die offene Auseinandersetzung mit dem Bullen zu meiden.
Und Jack Finnegan? Der war auch ein harter und gefährlicher Kämpfer, das wußten sie. Drei gegen zwei, dieses Verhältnis täuschte über die wahre Kräfteverteilung: Reuter, Marten und Pravemann riskierten, selbst zu den Haien befördert zu werden, wenn sie mit den bloßen Fäusten auf die Engländer losgingen.
Etwas anderes wäre es gewesen, wenn Messer und Säbel zur Verfügung gestanden hätten. Aber die gab es nun mal nicht. Die einzige Waffe auf der Plattform war die Verstrebung, mit der Rogers gegen die Haie gekämpft hatte, und die gehörte nach wie vor den beiden Engländern. Da konnte Pravemann es sich noch so sehr wünschen, beispielsweise Rogers ein Messer in den Rücken zu schleudern – dieses Verlangen würde sich nicht erfüllen lassen, solange sie auf dem Mars verweilen mußten.
Jack Finnegan nahm die Pütz und stellte sie an den Rand der Plattform. Das war eine zusätzliche Herausforderung. Er wollte prüfen, wie groß Reuters Mut war.
„So“, sagte er. „Wenn ihr es jetzt wagt, auch nur einen Versuch zu unternehmen, um euch die Pütz zu holen, stoße ich sie ins Wasser, damit ihr sie ja nicht kriegt, ihr drei Käsefresser.“
„Jetzt gehst du zu weit“, sagte Piet Reuter leise.
„Ich? Du hättest gestern lieber nicht so dreckig lachen, sondern uns besser helfen sollen.“
„Du kannst uns deswegen nicht sterben lassen, Finnegan.“
„Tue ich das? Noch seid ihr hübsch lebendig, soweit ich erkennen kann.“
„Finnegan, laß doch mal vernünftig mit dir reden.“
„Das hört sich schon besser an.“
„Das Gequatsche hat keinen Zweck“, sagte plötzlich Jan Marten. „Geben wir’s diesen Bastarden!“
„Halt dich zurück“, warnte Reuter. Er wußte, daß Martens Gerede nur eine leere Drohung war, aber er hoffte, dessen Worte ausnutzen zu können, um seinen eigenen Sätzen den nötigen Nachdruck zu verleihen.
„Immer ruhig Blut und setzt euch wieder“, sagte Pravemann. „Was soll denn das Ganze? So erreichen wir gar nichts. Irgendwann schlafen unsere Freunde ja doch wieder ein. Dann sehen wir, wie sich das regeln läßt.“
„Irrtum“, sagte Finnegan höhnisch. „Wir schlafen mit einem geschlossenen und mit einem wachen Auge. Hätte ich sonst vielleicht den Regen bemerkt?“
Reuter trat zu Marten und Pravemann zurück. Sie raunten sich untereinander etwas zu, wiesen auf die Engländer und schienen zu beratschlagen. Was sie sprachen, konnten Finnegan und Rogers nicht verstehen.
Finnegan und Rogers verschränkten die Arme vor der Brust.
„Laß dich von denen bloß nicht ins Bockshorn jagen“, sagte Finnegan verhalten. „Sie können gar nichts tun. Immer hübsch ruhig bleiben, Paddy.“
So belauerten sich die beiden Parteien gegenseitig wie wilde Tiere – und unten im Wasser lauerten weiterhin die Haie. Jedem der fünf Männer war klar: Wer bei einem eventuellen Kampf von der Plattform flog, dem war nicht mehr zu helfen.
Jack Finnegan lag für einige Zeit mit seinen eigenen Gefühlen im Widerstreit, dann entschied er sich, wenigstens den Versuch einer Einigung zu unternehmen. Er brach das tödliche Schweigen, das auf der Plattform herrschte.
„Eigentlich ist es idiotisch, was wir hier treiben“, sagte er. „Wir könnten, wenn wir wollten, Ruhe und Frieden walten lassen. Wollen wir es nicht probieren? Ich meine, das wäre in unserem Interesse, denn wenn wir den Haß weiterhin schüren, wird der Mars für uns fünf bald zur Hölle.“
„Wie klug er redet“, sagte Pravemann höhnisch. „Richtig gebildet, was? Er hätte das Zeug zum Bordkaplan.“
Finnegan ließ sich durch diese Worte nicht beeinflussen. „Wir müssen ganz einfach zusehen, so lange wie möglich durchzuhalten. Vielleicht taucht irgendwann ja doch ein Schiff auf. Je mehr Zeit vergeht, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit. Leuchtet euch das nicht ein?“
„Doch“, erwiderte Piet Reuter. „Aber dann rück’ jetzt auch mit dem Wasser heraus, Finnegan. Ich hab’ nämlich Durst.“
„Nein.“
„Also sind wir wieder da, wo wir angefangen haben?“
„Nicht ganz“, sagte Finnegan. „Wir teilen das Wasser ein. Ihr habt also eine Chance, euren Anteil doch noch zu erhalten. Nur nicht sofort – ihr hättet euch ja heute nacht satt trinken können. Warum habt ihr’s nicht getan?“
„Warum hast du uns nicht geweckt?“ fragte Reuter aufgebracht.
„Weshalb hast du nicht aufgepaßt?“
So ging es hin und her, aber im Verlauf des hitzigen Gesprächs wurde mehr und mehr deutlich, wer die eigentliche Autorität auf der Plattform war: Finnegan. Er allein war imstande, den Überblick zu bewahren und die schiffbrüchige Gruppe zu leiten. Er blieb kühl und gelassen und offenbarte seinen harten Kern, der ihn nicht aufgeben ließ. Schließlich mußten Reuter, Marten und Pravemann seinen Vorschlag bezüglich des Wassers akzeptieren, es blieb ihnen nichts anderes übrig.
Somit war der Streit zwischen den beiden Parteien vorläufig auf einem ruhenden Punkt angelangt. Jeden Augenblick aber konnten die Reibereien von neuem beginnen.
Am nächsten Tag, dem vierten auf der Marsplattform, trieb aus der gesunkenen „Zeland“ ein Bootshaken auf. Die fünf Männer kauerten am Rand der Marsplattform und betrachteten das Ding, als handle es sich um eins der Weltwunder der Antike, dabei war es doch nur ein simpler Haken, dem bei normalem Betrieb an Bord eines Schiffes kein Mensch übertriebene Aufmerksamkeit geschenkt hätte.
„Den könnten wir gebrauchen“, sagte Piet Reuter.
„Ja“, pflichtete Jack Finnegan ihm bei. „Als Waffe gegen die Haie. Wer entert mit mir ab?“
„Ich natürlich“, erwiderte Paddy Rogers.
„Nein, du bleibst hier. Versteh mich nicht falsch, Paddy, aber es ist besser so.“
Reuter grinste. „Wegen des Wassers, wie? Damit wir es nicht aussaufen, oder? Nur die Ruhe, Finnegan, wir haben unsere Ration ja nun schon gehabt.“
Trotzdem kann man euch nicht trauen, dachte Finnegan, würden Paddy und ich runtersteigen, würdet ihr garantiert die Pütz leeren, darauf verwette ich meinen Kopf.
„Jan“, sagte Reuter zu Marten. „Wie wäre es mit dir?“
Marten sah verdutzt auf. „Ich soll … gut, meinetwegen, ich habe keine Angst. Wäre doch gelacht, wenn wir den verdammten Peekhaken nicht erwischen würden, was?“ Er musterte Finnegan und grinste. Er hatte Reuters Blick und Miene zu deuten gewußt: Er, Jan Marten, sollte versuchen, den Haken mit der eisernen Spitze an sich zu bringen, denn dann hatten sie nicht nur eine Waffe gegen die Haie, sondern auch gegen Finnegan und Rogers.
Finnegan nickte ihm aufmunternd zu. „Los, Paddy, gib ihm die Planke.“
Rogers händigte dem großen Holländer die Marsverstrebung nur widerwillig aus, aber er sah andererseits auch ein, daß es keine andere Möglichkeit gab. Allein konnte Jack Finnegan nicht hinuntersteigen, es wäre sein Tod gewesen. Und er, Paddy, war genau der richtige Mann, um die Pütz zu verteidigen, er mußte auf der Plattform zurückbleiben, denn ihm zollten Reuter und Pravemann den erforderlichen Respekt.
Finnegan hangelte nach unten, gefolgt von Marten. Sie hatten das Wasser fast erreicht, und der Engländer griff bereits nach dem Bootshaken, der in einem günstigen Winkel auf den Mast zutrieb – da hieb Marten plötzlich mit der Verstrebung zu.
Finnegan erhielt das Holz gegen den Rücken, er spürte einen Schmerz, der durch seinen ganzen Körper raste, seine Finger wurden für einen Augenblick kraftlos. Er ließ seinen Halt los und stürzte von den Webeleinen ins Wasser.
Paddy Rogers war der Zwischenfall nicht entgangen. Er stieß einen Fluch aus und griff sich die Pütz. Wütend schwenkte er sie und schrie: „Marten, du Schweinehund, jetzt schlage ich deinen beiden Kumpanen den Schädel ein!“
„Tu’s nicht!“ rief Marten. „Die verdammte Planke ist mir doch bloß ausgerutscht!“
„Jawohl, es war ein Mißgeschick“, sagte auch Reuter. „Ich habe es gesehen. Das war keine Absicht.“
„Sei vernünftig“, begann auch Pravemann auf den bulligen Engländer einzureden. „Glaubst du denn im Ernst, wir wären so dämlich, uns mit dir anzulegen? Wir wissen doch, daß du uns überlegen bist.“
Paddy Rogers zögerte.
Finnegan war im Wasser untergetaucht, schoß jetzt jedoch wieder hoch und schwamm zu den Wanten zurück. Jan Marten schickte einen drohenden Blick zu ihm hinüber. Er streckte die Hand nach dem Bootshaken aus und versuchte dabei, auch die Planke festzuhalten, doch sie entglitt ihm und landete mit einem hallenden Klatscher im Wasser.
Marten stieß eine lästerliche Verwünschung aus und langte wieder nach dem Haken.
„Die Haie!“ rief Finnegan. „Mein Gott, die Haie, Mann!“
Er trachtete, die Verstrebung in seinen Besitz zu bringen, doch die grauen Mörder waren nah heran und umzingelten ihn bereits.
Paddy Rogers geriet erneut in Zorn.
„Marten, du Bastard!“ brüllte er. „Hilf Jack, oder ich wisch’ deine Leute vom Mars!“
Reuter überlief es abwechselnd heiß und kalt, als er Rogers’ Blick registrierte. Die grau-grünen Augen schienen plötzlich zu lodern. In diesem Zustand war er zu allem fähig und würde es mit Leichtigkeit schaffen, sie beide von der Plattform zu befördern.
Pravemann stand geduckt da und hielt nach einer Möglichkeit zur Verteidigung Ausschau. Es gab sie jedoch nicht, die einzige Hoffnung lag in einem Sieg beim offenen Kampf. Aber auf einen solchen Kampf verzichteten sie lieber.