Kitabı oku: «Seewölfe Paket 16», sayfa 20
2.
Der graue Dunstschleier hatte sich bei Einbruch der Dunkelheit verzogen und war einer kalten, klaren Nacht gewichen. Das abendliche Backen und Banken war seit mehr als zwei Glasen vorüber und allmählich wurde es etwas ruhiger auf der neuen Galeone der Seewölfe. Die Decks leerten sich, was nicht zuletzt auf die Kälte zurückzuführen war.
Nur die beiden Ankerwachen harrten dick vermummt und mit einem zufriedenen Gefühl in der Magengegend auf ihren Plätzen aus. Der Kutscher und Mac Pellew, die beiden Köche und Feldschere, waren an diesem Abend ohne Zweifel an die oberste Stelle der Beliebtheitsskala gerückt. Die dänischen Fischgerichte, die sie aus ihren Pfannen gezaubert hatten, waren einsame Spitze gewesen.
Bill, der da, wo bei anderen Menschen der Magen sitzt, ein endloses Loch zu haben schien, rülpste satt und zufrieden wie ein Säugling, dem man einen Topf Brei verabreicht hat.
Bob Grey stieß ihn an. „Was ist das?“
„Das war ich“, antwortete Bill verlegen. „Verdammt, ich habe wohl doch zuviel …“
„Quatsch!“ unterbrach ihn Bob. „Ich meine nicht die Geräusche deines Wohlbefindens, sondern den dunklen Schatten, der achteraus zu sehen ist.“
Bill blickte angestrengt in die Dunkelheit, dann stieß er einen kurzen Pfiff aus.
„Ich sehe nicht nur einen dunklen Schatten, sondern auch Lichter. Das muß wohl ein Schiff sein.“
„Du merkst aber auch alles“, sagte Bob. „Ich dachte schon, es handele sich um eine schwimmende Seekuh, der man eine Laterne zwischen die Hörner gehängt hat.“
Bill ging nicht auf die Bemerkung ein. Er wirkte plötzlich konzentriert.
„Es scheint eine Schaluppe zu sein“, sagte er. „Und da die Kerle Lichter brennen haben, liegt es wohl nicht in ihrer Absicht, uns bei Nacht zu überraschen.“
„Trotzdem“, sagte Bob Grey, „irgend etwas haben die vor. Wir müssen sofort unsere Leute wahrschauen. Los, Bill, sag Hasard Bescheid.“
„Bin ja schon unterwegs“, erwiderte Bill. Schnurstracks begab er sich auf den Weg zur Kapitänskammer.
Philip Hasard Killigrew beugte sich gerade über eine Seekarte, als Bill ihm die Meldung brachte.
„Und die Schaluppe hält auf uns zu?“ fragte er.
„Ohne Zweifel, Sir!“
„Gut, Bill“, fuhr Hasard fort, „dann wahrschaue unsere Leute. Wir wollen kein Risiko eingehen.“
„Aye, Sir!“ Bill verschwand augenblicklich, um die übrigen Seewölfe hochzupurren.
Das alles geschah ohne jeden Lärm. Die Männer, die sich größtenteils im Mannschaftslogis aufhielten, gingen sofort auf Stationen, ohne daß laute Befehle gebrüllt werden mußten. Der Besatzung der heransegelnden Schaluppe bot sich nach wie vor ein friedliches Bild. Dennoch war die „Isabella“ in sehr kurzer Zeit darauf vorbereitet, jedem Angreifer kräftig auf die Finger zu klopfen.
Auf der Schaluppe schien man jedoch keine unlauteren Absichten zu hegen. Zumindest waren solche bis jetzt nicht zu erkennen.
Der kleine Segler näherte sich bis auf Rufweite, dann wurden die Segel eingeholt. Ein Mann, der auf dem Achterdeck stand, preite die Seewölfe an.
Ohne daß es einer besonderen Aufforderung bedurfte, begann Nils Larsen, der neben den Seewolf getreten war, zu dolmetschen.
„Es handelt sich um ein Schiff, das Wachdienst für den Öresund versieht“, übersetzte er aus dem Dänischen. „Es ist vom Hafenkommando in Helsingör beauftragt, nach dem Woher und Wohin zu fragen und bei beabsichtigter Sunddurchquerung auch gleich den Sundzoll zu kassieren.“
„Da haben wir’s“, brummte Edwin Carberry. „Die Kerle sind hinter dem Geld her wie der Teufel hinter einer armen Seele. Selbst bei Nacht und Nebel stöbern sie arme Leute auf, um ihnen in den Geldbeutel zu langen. Bei allen triefäugigen Kakerlaken – da sollte man doch mit einem Besen dreinschlagen! He, Nils, sind die Blondköpfe hier oben im Norden alle so verdammt geldgierig, was, wie?“
„Ed übertreibt zwar“, fügte Hasard lächelnd hinzu, „aber ein bißchen eilig haben die es schon.“
Nils Larsen hörte das als Däne gar nicht so gern. Besonders Carberrys geharnischte Bemerkung trieb ihm die Röte ins Gesicht.
„Für dich sollte man noch eine Maulsteuer einführen, Mister Carberry“, sagte er gereizt.
„Eine was?“
„Eine Maulsteuer! Jedesmal, wenn einer wie du sein Schandmaul aufklappt, sollte er dafür eine Golddublone an Steuern bezahlen, das wäre nicht mehr als recht und billig, wenn man an die gepeinigten Ohren anständiger Christenleute denkt!“
„Ha!“ rief Ed. „Unser Blondschopf kann wohl die Wahrheit nicht vertragen, was, wie? Sag diesen Rübenschweinen aus Helsingör lieber, daß sie sich verholen sollen, denn wir hätten die Angewohnheit, Steuern jeder Art mit Eisenkugeln zu bezahlen, und zwar mit solchen, die hübsch rund sind und siebzehn bis fünfundzwanzig Pfund wiegen.“
„Jetzt reg dich wieder ab, Ed“, sagte Hasard. „Um den Sundzoll kommen wir nicht herum. Bezahlen müssen wir ihn so oder so. Also tun wir es lieber gleich, dann brauchen wir uns morgen nicht mehr damit aufzuhalten.“
Der Seewolf dachte praktisch, zumal er aus den Segelanweisungen für die Ostsee, die in der versiegelten Order enthalten waren, wußte, daß der Sundzoll eine legale Sache war.
Schon seit Anfang des 15. Jahrhunderts erhoben die dänischen Könige den sogenannten Sundzoll von allen den Sund passierenden Schiffen, und zwar von Helsingör aus. Die Berechtigung dazu war durch Verträge mit den seefahrenden Nationen anerkannt worden. Eine Ausnahme bildeten lediglich die sechs Hansestädte Lübeck, Hamburg, Rostock, Stralsund, Wismar und Lüneburg sowie die Städte Stettin, Kolberg und Kammin. Sie waren vom Sundzoll völlig befreit, während einzelnen Staaten wie Schweden, Holland, England und Frankreich eine Ermäßigung bewilligt worden war.
Der Sundzoll setzte sich aus einer Schiffsabgabe von durchschnittlich zwölf Speziestalern und dem Warenzoll zusammen, der ein bis eineinhalb Prozent des Ladungswertes betrug. Auf diese Weise flossen in die Kassen des dänischen Königshauses ansehnliche Summen.
Auf Anweisung des Seewolfs stand Nils Larsen Rede und Antwort, indem er das Herkunftsland der „Isabella IX.“ sowie den Namen ihres Kapitäns nannte. Außerdem wies er darauf hin, daß man beabsichtige, am nächsten Morgen den Öresund zu passieren.
Die Antwort der Dänen erfolgte prompt, und Nils Larsen übersetzte.
„Der Kapitän der Schaluppe heißt Aage Svensson. Er möchte an Bord kommen, um die Formalitäten zu erledigen.“
„Einverstanden“, sagte Hasard, „er soll kommen.“
Nils Larsen gab die Antwort des Seewolfs weiter.
Während dessen rümpfte Edwin Carberry die Nase.
„Woher wissen wir eigentlich, daß das alles stimmt, was die Beutegeier da erzählen? Vielleicht wollen sich die Rübenschweine nur bei uns einschleichen, um dann plötzlich über uns herzufallen.“
„Solange nicht die ganze Besatzung zu uns an Bord steigt, habe ich in dieser Hinsicht keine Bedenken“, erwiderte der Seewolf. „Ich nehme an, daß der Kapitän in angemessener Begleitung auf der ‚Isabella‘ erscheinen wird. Und solange er sich in unserer Mitte befindet, werden seine Leute gewiß nicht auf dumme Gedanken verfallen. Oder würdest du mit einer winzigen Schaluppe ein gut armiertes Schiff unserer Größenordnung zu entern versuchen?“
„Genaugenommen nicht, Sir. Und wenn du mit diesem Schiff unsere ‚Isabella‘ meinst, dann würde ich lieber gleich die Flucht ergreifen.“
„Na also. Bringen wir die Sache hinter uns. Wenn wir den Sundzoll bezahlt haben, wird man uns nicht mehr behelligen, und wir können morgen unseren Weg fortsetzen.“
„Aye, Sir“, sagte der Profos und behielt trotzdem sein mißtrauisches Gesicht bei.
Die Schaluppe schor längsseits, und wenig später enterte ihr Kapitän, ein blonder Kleiderschrank mit hellen, harten Augen, an Bord der „Isabella“. In seiner Begleitung befanden sich zwei Männer, die einander glichen wie Tag und Nacht. Der eine war klein und dick, der andere glich einer abgebrochenen Bohnenstange und trug ein Tintenfaß sowie Federkiele und Papier bei sich. Wahrscheinlich handelte es sich um den Schreiber, der dafür zu sorgen hatte, daß alles „von Amts wegen“ über die Bühne ging.
Edwin Carberry stieß Old Donegal an, der am Steuerbordschanzkleid lehnte und die Männer wortlos musterte.
„Und solche Affenärsche setzen ihre ungewaschenen Füße auf die Planken unserer Lady“, raunte er. „Ich würde den Kerlen eine Ladung Pulver in die Stiefel füllen und dann einige Funken hineinfallen lassen. Auf diese Weise könnten wir diesen verdammten Sundzoll gleich mit dem Fersengeld, das sie geben müßten, verrechnen.“
Hasard, der diese Bemerkung gehört hatte, warf dem Profos einen tadelnden Blick zu, was diesen dazu veranlaßte, einen unschuldsvollen Blick gen Himmel zu schicken.
Aage Svensson, der Kapitän der Schaluppe, trug eine schmucke Uniform. Nachdem er sich dem Seewolf vorgestellt hatte, musterte er aufmerksam das Schiff.
„Ein stolzer Segler, Kapitän Killigrew“, sagte er mit einem verbindlichen Lächeln. „Mein Kompliment!“
„Das heißt Sir Hasard!“ ließ sich der Profos laut und deutlich vernehmen. Offenbar gelang es ihm immer noch nicht, seine Antipathien, die er gegen die Geldeintreiber hegte, zu unterdrücken. „Die englische Königin hat unseren Kapitän nämlich zum Ritter geschlagen!“
Edwin Carberry hatte das in englischer Sprache gesagt, trotzdem schien ihn Aage Svensson verstanden zu haben, denn er vollführte eine entschuldigende Geste.
„Ed – bitte!“ sagte der Seewolf mit scharfer Stimme. Und zu dem dänischen Kapitän gewandt, fuhr er fort: „Ich bin nicht titelsüchtig, nennen Sie mich ruhig so, wie es Ihnen beliebt.“
Svensson lächelte.
„Ehre, wem Ehre gebührt! So steht es schon in der Bibel. Ich freue mich jedenfalls, ein solch hervorragendes Schiff inspizieren zu können, Sir Hasard.“
In Begleitung des Seewolfs, Nils Larsens und des immer noch mürrischen Edwin Carberrys besichtigte er dann die „Isabella“. Dabei ließ er sich auch die Laderäume der großen Galeone zeigen. Nur wegen der Zollfestsetzung, versteht sich.
„Sie führen keine Ladung mit sich?“ fragte er erstaunt.
„Nein“, erwiderte Hasard. „Wir sind bestrebt, Handelsbeziehungen mit den Ostseeanliegern anzuknüpfen. Und da wir keine Ware verkaufen, sondern kaufen möchten, führen wir keine Ladung mit uns.“ Daß die „Isabella“ im Auftrag der englischen Königin unterwegs war, verschwieg er wohlweislich.
Aage Svensson nickte.
„Ich verstehe. Und wer ist der Schiffseigner? Ich meine, in wessen Auftrag sind Sie unterwegs?“
„Ich segle auf eigene Rechnung“, erklärte Hasard.
„Nun gut“, sagte der Schaluppenkapitän. „Da Sie keine Handelsware mit sich führen, muß ich die Schiffsabgabe nach Größe und Ausstattung Ihrer Galeone berechnen.“
„Walten Sie Ihres Amtes“, forderte ihn Hasard auf. „Und bedenken Sie, daß für englische Schiffe eine Ermäßigung vertraglich vereinbart ist.“
„Aber selbstverständlich, Sir“, sagte Svensson und setzte nun eine amtliche Miene auf. „Die Zollabgabe wird in ihrer Höhe den vertraglichen Vereinbarungen angepaßt sein. Schreiber“, wandte er sich an die dürre Bohnenstange, die würdevoll mit dem Tintenfaß einherschritt, „bist du bereit, das amtliche Dokument auszufertigen?“
„Natürlich, Kapitän.“
„Also“, fuhr Svensson fort, „dann setze ich hiermit im Namen und im Auftrag des dänischen Königs den Sundzoll für die ‚Isabella IX.‘ auf achtzig Silbertaler fest. Stelle bitte die Zahlungsbestätigung aus. Sir Hasard wird sie erhalten, sobald die Zollabgabe entrichtet ist.“
Ein bißchen happig, dachte Hasard. Die nehmen es auch von den Lebendigen, weil es bei den Toten nichts zu holen gibt. Aber er sagte nichts, denn er wollte keinen Ärger haben. Im Hinblick auf seinen Geheimauftrag war er darum bemüht, die Fahrt möglichst ungestört fortsetzen zu können. Außerdem war dieser Sundzoll eine festgeschriebene Sache, an der kein Weg vorbeiführte.
„Hier ist es nicht hell genug“, meinte er. „Folgen Sie mir doch bitte in meine Kammer, dort können wir die Angelegenheit bei guter Beleuchtung erledigen.“
Damit waren die Dänen einverstanden. Kurze Zeit später hielt Hasard die Zahlungsbestätigung über 80 Silbertaler in Händen. Auf dem Schriftstück wurde gleichzeitig versichert, daß die „Isabella“ nunmehr berechtigt sei, den Öresund zu passieren. Und das war Hasard recht so, weil er weitersegeln konnte, ohne vorher noch die Zollbehörde in Helsingör anlaufen zu müssen.
Nach einer höflichen Verabschiedung gingen Aage Svensson und seine Begleiter von Bord. Bald darauf segelte die Schaluppe südwärts und verschwand schließlich in der Dunkelheit.
Die schlechte Laune Edwin Carberrys hatte sich immer noch nicht gebessert. Sein Gesicht wirkte düster, und sein mächtiges Kinn war wie ein Rammklotz nach vorn geschoben.
„Diese Rübenschweine würden selbst nackten Männern noch in die Tasche greifen“, knurrte er. Offenbar ging es ihm nicht in den Kopf, daß man eine solche hohe Summe bezahlen mußte, nur um weitersegeln zu dürfen. „Das sind Schnapphähne“, fuhr er grollend fort. „Jawohl, richtige Beutelschneider sind das!
Die knöpfen anständigen Seeleuten das Geld ab, und ihr König, dieses blonde Lockenköpfchen, futtert sich dafür einen drallen Bauch an!“
Die Seewölfe grinsten über diese sachkundige Feststellung ihres Zuchtmeisters. Nur Nils Larsen warf ihm noch einen giftigen Blick zu, bevor er ins Mannschaftslogis zurückkehrte.
Dort hielt der Kutscher für jeden eine Muck mit heißem Wasser und Rum bereit. Und das wirkte bei der lausigen Kälte wahrhaftig Wunder.
3.
Mit Ausnahme der Ankerwachen schliefen die Seewölfe den Schlaf der Gerechten. Was da im Mannschaftslogis und in den Achterdeckskammern, in denen die Männer der Schiffsführung untergebracht waren, durch lautes Schnarchen an Holz „gesägt“ wurde, hätte mit Sicherheit für eine neue Galeone ausgereicht.
Es war gegen zwei Uhr in der Nacht.
Smoky und Stenmark gingen die sogenannte „Friedhofswache“, die von Mitternacht bis um vier Uhr in der Frühe dauerte. In regelmäßigen Abständen fanden sie sich am Ruderhaus ein, um die Ankerpeilung zu überprüfen.
Die beiden Peilobjekte hoben sich einigermaßen sichtbar gegen den Nachthimmel ab. Sonst war die Sicht zur Küste ziemlich beeinträchtigt. Längst waren in der anfänglich so klaren Nacht Wolken aufgezogen, die zeitweise den Mond verdeckten.
Smoky und Stenmark, die schon der Kälte wegen ständig in Bewegung blieben, enterten gerade über den Steuerbordniedergang von der Kuhl zum Quarterdeck auf.
Da ging plötzlich ein leichter Ruck durch das Schiff.
„Was war das?“ fragte Stenmark.
Der bullige Smoky zuckte mit den Schultern.
„Frag mich was Leichteres. Vielleicht ist einer aus seiner Koje gefallen.“
„Wohl auch immer einen Scherz auf den taufrischen Lippen, was?“ Stenmark war nicht gerade bester Laune. „Ich finde, wir sollten schleunigst die Ankerpeilung überprüfen. Irgend etwas stimmt da nicht!“
„Na schön“, meinte Smoky und gähnte. „Ich verhol mich zum Ruderhaus. Du kannst dich ja sonst ein bißchen umsehen.“
Augenblicke später peilte Smoky zu den beiden Landmarken – der Tanne und dem Spitzfelsen. Und von da an war es vorbei mit der Nachtruhe der Seewölfe.
Dem rauhbeinigen Smoky lief ein eiskalter Schauer über den Rücken. Mit Entsetzen stellte er fest, daß die Peilung rapide auswanderte. Sofort wirbelte er herum, um Stenmark zu wahrschauen. Aber das war mittlerweile nicht mehr notwendig.
Von der Back her brüllte der blonde Schwede lauthals: „Ankertrosse gebrochen!“
Stenmark hatte bemerkt, daß die Trosse des Backbord-Bugankers lose im Wasser hing. Und nun konnte er sich auch den Ruck erklären, den sie vor wenigen Augenblicken wahrgenommen hatten.
Jetzt wurde es brenzlig, darüber waren sich die Ankerwachen im klaren. Es mußte sofort etwas geschehen, denn die „Isabella“ ging auf Wanderschaft.
Smoky, der sich noch auf dem Achterdeck aufhielt, reagierte schnell. Geistesgegenwärtig legte er das Ruder hart Backbord, so daß das Heck der achteraustreibenden Galeone zum Land, der Bug aber zur See schwenkte. Wenn der Wind und der Strom den Bug noch weiter herumdrückten, bis er nordwärts wies, dann würde sich die „Isabella“ wesentlich besser steuern lassen, als wenn sie über das Heck trieb. Das wiederum wäre sehr gefährlich, denn Smoky wußte aus der Seekarte, daß hinter ihnen die Küste in leichtem Bogen nach Westen schwang und die in die See ragende Landspitze von Kullen bildete.
Das Gebrüll der beiden Ankerwachen riß auch die übrigen Männer aus dem Schlaf.
Der Seewolf war der erste, der auf dem Achterdeck erschien, aber auch die anderen ließen nicht lange auf sich warten. Die Männer begriffen rasch, was geschehen war und bereits fünf Minuten später hatten sie den Steuerbord-Buganker geworfen.
Wer jetzt noch einen winzigen Rest von Müdigkeit in seinen Knochen verspürte, wurde spätestens durch den lauten Wutschrei Edwin Carberrys hellwach.
„Donner und Wolkenbruch!“ brüllte er. Dabei stand er wie ein griechischer Athlet mit drohend erhobenen Fäusten auf der Back. „Wenn ich das Rübenschwein in die Finger kriege, das dafür verantwortlich ist, zerstampfe ich es zu Pulver! Danach renke ich ihm den Hals aus und zerbreche ihm jeden Knochen einzeln. Und die Haut werde ich ihm eigenhändig in Streifen von seinem blaukarierten …“
„Moment, Ed!“ unterbrach ihn Hasard, der auf die Back geeilt war. „Ganz davon abgesehen, daß du dich im Hinblick auf deine Strafmaßnahmen in der Reihenfolge vertan hast, solltest du zunächst mal vermelden, was dieses bedauernswerte Rübenschwein deiner Meinung nach angestellt hat.“
Der Profos knurrte wie ein gereizter Löwe und deutete mit ausgestrecktem Arm in Richtung Ankertrosse.
„Ich verwette meinen Kopf, Sir“, rief er mit Donnerstimme, „daß diese Trosse gekappt worden ist!“
Im Schein einer Laterne besah sich Hasard den Rest der Backbord-Ankertrosse.
„Du hast recht, Ed“, stellte er fest. „Die Kardeele sind einwandfrei durchgetrennt worden, daran gibt es keinen Zweifel. Wir müssen in dieser Nacht ein zweites Mal Besuch gehabt haben.“
„Verdammter Mist!“ schimpfte Old O’Flynn, der ebenfalls zur Back aufgeentert war. Während er sich mit einer Hand auf seine Krücke stützte, fuhr er sich mit der anderen über das stoppelbärtige Gesicht. „Der Anker ist natürlich ebenfalls futsch. Da soll doch gleich der Teufel die Kerle holen, die das getan haben! Ob da nicht doch diese habgierigen Zolleintreiber die Hände im Spiel hatten, he?“
„Das ist unwahrscheinlich“, meinte Hasard. „Der Anschlag auf unsere Ankertrosse kann ja erst vor kurzer Zeit erfolgt sein, während die Schaluppe seit Stunden verschwunden ist. Ich denke, wir sollten im Hinblick auf die Zöllner, die ja auch nur ihre Pflicht erfüllen, nicht zu mißtrauisch sein. Es muß da noch jemanden geben, der ein lebhaftes Interesse an uns hat.“
Old Donegals verwittertes Gesicht wirkte düster.
„Und wenn wir den erwischen, kann Ed mit meiner vollen Unterstützung rechnen. Solchem Gesindel sollte man wirklich die Haut in Streifen von den karierten Affenärschen ziehen! Wenn Ed die Längsstreifen übernimmt, kümmere ich mich um die Querstreifen. Von denen wird keiner mehr eine Hand an unsere Lady legen!“
Auch der Seewolf war verärgert über den heimtückischen Anschlag. Aber er war sich auch darüber im klaren, daß Zorn jetzt wenig nutzte. Deshalb versuchte er sofort, dem Geschehen auf den Grund zu gehen.
Eine Befragung Stenmarks und Smokys brachte kein Ergebnis. Außer dem leichten Ruck, der durch das Schiff gegangen war, hatten sie nichts bemerkt. Und danach hatten sie alle Hände voll zu tun gehabt.
Old Donegal musterte die beiden Ankerwachen mit grimmigem Blick.
„Hättet ihr Kerle eure Klüsen nicht besser aufreißen können, he? Wenn irgendein hübscher Weiberrock an unserer Ankertrosse herumgeturnt wäre, das hättet ihr bestimmt bemerkt. Wenn aber irgendwelche Spitzbuben unsere Ankertrosse durchsäbeln, da schaut ihr wohl geflissentlich weg, wie?“
Stenmark reagierte fuchtig.
„Jetzt halt aber die Luft an, Mister O’Flynn!“ fauchte er und trat einen Schritt näher an Old Donegal heran. Dann aber schien er sich blitzschnell auf eine andere Taktik zu besinnen. „Hör zu, Donegal“, fuhr er mit gedämpfter Stimme fort. „Soll ich dir mal ganz im Vertrauen erzählen, was wirklich vorgefallen ist?“
„Ich bestehe darauf“, erwiderte der Alte würdevoll.
„Nun gut“, sagte Stenmark. „Dann sperr deine Lauscher auf. Es war nämlich ein Wassermann gewesen!“
„Ein Wa-Wassermann?“ Old Donegal blieb das Wort beinahe im Halse stekken.
„Jawohl, ein Wassermann“, sagte Stenmark unbeirrt. „Es war sogar ein Prachtexemplar, denn er hatte überall grüne Schuppen, und seine großen, runden Augen glühten wie zwei Laternen. Ich hörte plötzlich ein Geräusch und ging der Sache nach. Und was sah ich da? Der Wassermann hangelte sich gerade an unserer Ankertrosse nach oben! Ich riß sofort mein Messer heraus und kappte die Trosse, so daß der grüngeschuppte Kerl mit einem lauten Fluch ins Wasser zurückfiel. Den Rest der Geschichte kennst du ja.“
Der alte O’Flynn, der zwar ein rechter Haudegen, aber auch sehr abergläubisch war, hatte Stenmark nicht unterbrochen. Seine Augen hingen gebannt an den Lippen des blonden Schweden, bis ihn das Gelächter der anderen in die Wirklichkeit zurückholte.
„Du triefäugige Seegurke!“ schimpfte er da lauthals. „Du willst mir wohl einen Bären aufbinden, was? Laß dich bloß nicht mehr in meiner Nähe blicken, sonst ziehe ich dir mit meiner Krücke einen Scheitel durch deine blonden Locken!“
Doch Stenmark befand sich schon außer Reichweite. Er kannte schließlich die Reaktionsschnelligkeit Old Donegals. Und wo der rauhbeinige Alte hinlangte, da wuchs so rasch kein Gras mehr.
„Stenmark und Smoky trifft keine Schuld“, stellte der Seewolf fest. „Im Gegenteil, wenn sie nicht so rasch reagiert hätten, wäre die Sache schlimm ausgegangen. Wie jeder sehen kann, sind die Sichtverhältnisse miserabel. Von der Küste sind nur die Umrisse einigermaßen deutlich zu sehen. Wenn die Trosse – was anzusehen ist – von Schwimmern gekappt wurde, dann konnten diese tatsächlich unbemerkt an die ‚Isabella‘ herankommen.“
„Aber – was bezweckten diese Bilgenratten damit, was, wie?“ knurrte der Profos.
„Wir können im Moment nur Schlußfolgerungen anstellen“, antwortete Hasard. „Wahrscheinlich sollte die ‚Isabella‘ achteraus bei Kullen aufbrummen. Wenn Stenmark und Smoky geschlafen hätten, wäre das mit ziemlicher Sicherheit passiert. Demnach ist also jemand scharf auf unser Schiff. Wenn es an der Landzunge aufgelaufen wäre, hätte man uns bestimmt überfallen, denn bei einem solchen Vorkommnis herrschen auf den meisten Schiffen Wuhling und Zustand, zumindest bei harmlosen Handelsfahrern.“
Diese Vermutung leuchtete den Seewölfen ein. Sie waren schließlich nicht von gestern und hatten während ihrer Fahrten über alle Meere der Welt genug Erfahrungen gesammelt.
„Das bedeutet“, sagte Ferris Tukker, der Schiffszimmermann, „daß da drüben an der Küste Schnapphähne auf der Lauer liegen.“
„Das ist stark anzunehmen“, erwiderte Hasard. „Wir sollten überlegen, wie wir weiter vorgehen wollen.“
„Und was wird jetzt aus unserem Anker, Dad?“ fragte Jung-Philip, der zusammen mit seinem Zwillingsbruder auf der Back erschienen war.
„Nach dem werden wir morgen fischen“, sagte der Seewolf. „Bis dahin werden wir die Ankerwachen verstärken, damit wir keine weiteren Überraschungen erleben.“
Hasard bestimmte sechs Männer, die als Ankerwachen unter Waffen aufziehen sollten: Edwin Carberry, Batuti, Will Thorne, Jeff Bowie sowie Al Conroy und Luke Morgan.
Die Ankerwachen wurden mit Musketen, Pistolen und Tromblons bewaffnet und gingen an allen strategisch wichtigen Stellen des Schiffes auf Stationen.
Wenn jetzt noch mal jemand versuchen sollte, seine beutelüsternen Finger nach der „Isabella IX.“ auszustrecken, dann würde er gewaltig was draufkriegen, das war gewiß.