Kitabı oku: «Seewölfe Paket 16», sayfa 7

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9.

Hasard richtete es so ein, daß sie in einer finsteren Nacht bei Schneetreiben vor der Küste ankerten und ein Boot aussetzten.

Der Rustabout Bill wurde an Land gepullt und abgesetzt. Er sollte sich beim dicken Plymson unauffällig umhören, denn Plymmie hatte ja immer die Ohren am Boden und hörte das Gras wachsen und wußte auch ganz genau, an welchen Stellen es grüner und saftiger war.

Kurz vor Morgengrauen kehrte Bill zurück und erzählte die Neuigkeiten, die er erfahren hatte.

„Das Geschwader liegt wieder im Hafen, Sir, so habe ich von Plymson erfahren. Auch die ‚Hornet‘ ist wieder zurückgekehrt. Doc Freemont hat erreicht, was er wollte. Lord Cliveden ist mit zwei Abgesandten in Plymouth erschienen und befindet sich seit zwei Tagen dort. Es hat sich natürlich alles herumgesprochen, und es wurde eine faire Untersuchung eingeleitet. Wir haben nicht das geringste zu befürchten, Sir, und können unbesorgt einlaufen. Da scheint mächtig der Teufel los zu sein, in jeder Kneipe wird über uns geredet.“

„Und was ist mit dem Marquess?“ fragte Hasard gespannt.

„Der Duke of Battingham ist ebenfalls in Plymouth.“

Hasard pfiff leise durch die Zähne.

„Vielleicht hat er seinem Schnösel die Ohren langgezogen.“

„Man munkelt, daß der Marquess vorläufig von seinen Pflichten entbunden wurde“, sagte Bill. „Plymson meinte, an seine Stelle hätte man den Ersten Offizier des Flaggschiffes gesetzt.“

„Dann scheint ja alles in Ordnung zu sein. Und auf die Nachricht ist absoluter Verlaß?“

„Aye, Sir, es gibt nicht den geringsten Zweifel.“

In den Gesichtern seiner Männer sah der Seewolf Entspannung. Insgeheim war jedem ein zentnerschwerer Stein von der Seele gefallen, und ihre Gesichter strahlen zufrieden.

„Wenn der Duke persönlich da ist“, sagte Hasard, „dann bedeutet das für seinen Ableger nichts Gutes. Die beiden verstehen sich nämlich so prächtig, daß sie sich hassen. So habe ich es gehört.“

„Dann laufen wir also ein?“ fragte Ben.

„Natürlich. Nehmt das Boot an Bord und hievt den Anker. Wir legen uns wieder an den Ausrüstungskai.“

„Dann lassen wir. bei Plymson gleich noch ein Faß auslaufen“, sagte der Profos voller Hoffnung. „Das ist doch ein Grund zum Feiern.“

„Morgen abend“, versprach Hasard. „Erst werden wir alles klären, was es zu klären gibt, dann können wir loslegen.“

Das Boot wurde an Bord genommen, dann der Anker gehievt, und als die Dämmerung hereinbrach, segelte die „Isabella“ wieder in den Hafen von Plymouth zurück.

Der Schwarze Segler war nirgends zu sehen. Thorfin gurkte vermutlich noch immer draußen herum und suchte sie, oder er befand sich ebenfalls auf dem Kurs zurück, seit sie sich aus den Augen verloren hatten.

Auf den Galeonen des Marquess rührte sich nichts, als sie vorbeisegelten. Die Wachen waren zwar aufgezogen, doch niemand rief sie an, obwohl jedermann sie erkannte.

„Ein sehr gutes Zeichen“, sagte Hasard zufrieden. „Aber die Galeonen von Onkel Henry sehen etwas mitgenommen aus. Denen ist wohl die ruppige See nicht so recht bekommen.“

Sie sahen wirklich zerrupft aus, und die Segel waren auch schlecht aufgetucht und trugen Windbeulen.

Langsam glitt die „Isabella“ an den Kai heran. Die Dämmerung wich einem trüben Morgen mit kühlem Wind.

Als das Anlegemanöver beendet war, zeigte Carberry auf die Pier, von der das Stück fehlte.

„Sieht ja wirklich mies aus“, sagte er zu seinem Freund Ferris. „Aber die Siegel sind wenigstens nicht beschädigt worden. Unser Siegelbewahrer hat ja hoffentlich nicht geschlafen.“

Old O’Flynn vernahm die Worte sehr wohl und brauste gleich auf.

„Willst du Stint jetzt etwa mit mir Streit anfangen? Wenn ich auf etwas aufpasse, dann passiert nichts. Rein gar nichts. Und die Siegel sind unbeschädigt, davon kann sich der Lord überzeugen.“

„Er wird dir dann eine Urkunde aushändigen“, sagte Ferris. „Und eine öffentliche Belobigung erhältst du auch noch. Wahrscheinlich wird der Stadtrat von Plymouth zusammentreten und dich feierlich ausloben. Du kriegst dann als königlicher Siegelverwahrer auch eine Rente auf Lebenszeit ausgesetzt.“

O’Flynn starrte den Zimmermann verblüfft an.

„Ist das wirklich so?“ fragte er erstaunt.

„Natürlich“, sagte der Profos ernst. „Das ist immer so. Ganz sicher mußt du auch noch zur Königin. Sie werden dich in einer Kutsche nach London bringen, dort wirst du in den Palast marschieren und mußt an feierlichen Gelagen teilnehmen.“

„Und das auf meine alten Tage“, sagte O’Flynn gerührt. „Davor habe ich direkt furchtbaren Bammel.“

„Und dein Holzbein mußt du grün anstreichen“, sagte der Profos mit dem gleichen ernsten Gesicht, „weil das bei Hofe für alte Freibeuter und Piraten Vorschrift ist. Am besten, wir streichen es jetzt gleich an, dann ist es bis morgen restlos trocken.“

„Du verdammter krummbeiniger Brassenläufer!“ schrie Old O’Flynn mit zornigem Blick. „Ich wußte doch gleich, daß man von euch beiden miesen Stinten immer verarscht wird und nie eine richtige Antwort kriegt.“

Dann wurde er noch fuchtiger und rannte auf den Profos los.

„Aber dir werde ich es zeigen, du lausige Nordseewanze.“

Diesmal flüchtete der Profos, denn Old O’Flynn war voll aufgebraßt und hatte eine gallige Wut im Bauch.

„Seid ihr verrückt geworden?“ fragte Hasard ruhig, dem das Geplänkel nicht entgangen war. „Streitet ihr schon wieder?“

„Aber wir doch nicht, Sir“, beteuerte der Profos. „Donegal wollte nur sein Holzbein grün anstreichen, aber davon habe ich ihm abgeraten.“

Hasard wandte sich kopfschüttelnd ab und ging in seine Kammer, während der Kutscher und MacPellew daran gingen, das Frühstück zuzubereiten.

Es war noch nicht ganz fertig, als Hasard junior die Ankunft einer Kutsche meldete.

Hasard war sofort an Deck und hielt Ausschau. Diesmal war es ein anderes Gefühl, eine Kutsche zu sehen, denn jetzt erschien kein junger Schnösel, um haltlose Requirierungsansprüche zu stellen.

Der Kutsche entstiegen Lord Cliveden in vornehmer und eleganter Kleidung sowie zwei weitere Herren.

Die Begrüßung fiel ausgesprochen freundlich aus. Kein Grund zur Besorgnis also, dachte der Seewolf. Doc Freemont hatte tatsächlich das erreicht, was er wollte, und er war dem Arzt sehr dankbar dafür.

Hasard bat die Herren in seine Kammer. Auch die Männer der Schiffsführung nahmen an der Unterredung teil.

Zunächst einmal sah der Lord sich um und nickte anerkennend.

„Ein prächtiges Schiff, Sir Hasard“, sagte er begeistert. „Wirklich ein sehr hervorragendes Schiff.“

„Bitte, nehmen Sie Platz, meine Herren“, sagte Hasard.

Getränke wurden gereicht, aber der Lord nippte zu dieser frühen Stunde nur daran, sah sich aber immer wieder in der Kapitänskammer um.

„Es hat reichlich viel Ärger in letzter Zeit gegeben, Sir Hasard“, sagte Lord Cliveden. „Man hat Ihnen ständig Schwierigkeiten bereitet.“

„Zu meinen allergrößten Bedauern“, gestand Hasard. „Ich habe diese Schwierigkeiten nicht provoziert, ich versuchte, ihnen auszuweichen und verteidigte nur mein Recht.“

„Daß Ihnen auch zusteht. Diese Schwierigkeiten sind mittlerweile beseitigt. Es hat eine Untersuchung stattgefunden, die empörende Einzelheiten enthüllte. Der Marquess of Battingham hat sich Übergriffe erlaubt, zu denen er nicht berechtigt war. Als der Duke of Battingham davon erfuhr, reiste er extra nach Plymouth. Er hält sich zur Zeit immer noch hier auf.“

„Heißt das“, fragte Hasard leise, „der Marquess war nicht berechtigt, mein Schiff zu requirieren?“

„Natürlich nicht. Er ist etwas, nun, sagen wir – hm – zu übereifrig. Jedenfalls ist er zu jung, um ein Geschwader zu führen.“

So kann man es auch ausdrücken, dachte Hasard. Natürlich konnte der Lord den Marquess nicht einen bornierten Tölpel nennen, aber er dachte das ganz sicherlich, auch wenn er es nicht aussprach. Sein kurzes Lächeln bewies das zur Genüge.

„Er ließ uns an die Kette legen“, sagte Hasard. „Ich weiß nicht, ob Sie davon unterrichtet sind, Lord Cliveden. Er …“

„Ich bin über jede dieser empörenden Einzelheiten unterrichtet, auch darüber, daß der Marquess einfach die ‚Hornet‘ besegeln ließ und mit ihr unberechtigt in See ging. Das lastet man ihm natürlich ebenfalls an. Ich erfuhr auch, daß Sie sich dagegen – zu Recht – wehrten.“

„Das Siegel ist unbeschädigt, Lord Cliveden. Wir haben es an Bord, und wir kommen für den angerichteten Schaden selbstverständlich in voller Höhe auf.“

„Das Siegel hat nicht die geringste Gültigkeit. Es ist im Namen der Königin von einem jungen Heißsporn mißbraucht worden. Wir haben uns bei der Untersuchung bemüht, fair zu bleiben und die Angelegenheit neutral zu beurteilen. An dieser Untersuchung nahm übrigens auch der Duke of Battingham teil, und er hat sich sehr korrekt verhalten und vor allem Sie, mein lieber Sir Hasard, von jeglicher Schuld freigesprochen. Von Schuld war im übrigen nicht die Rede, es ging mehr um die Unüberlegtheiten des Marquess. Er ist vom Dienst suspendiert worden und hat keinerlei Befehlsgewalt mehr. Das hat der Duke selbst veranlaßt.“

Hasard atmete tief aus und nickte erleichtert. Die anderen hörten mit gespannten, Gesichtern zu, was der Lord noch alles zu berichten hatte.

Es war eine ganze Menge, und dabei kamen immer mehr Untugenden des eifrigen Marquess heraus.

Lord Cliveden bedankte sich bei Hasard noch einmal für den persönlichen Einsatz, den er für England geleistet hatte, und erhob sich dann nach einer weiteren Stunde mit seinen beiden schweigsamen Begleitern, den Abgesandten der Königin.

„Wir sehen uns heute nachmittag noch, Sir Hasard“, sagte er abschließend, „dann werden wir noch die näheren Details besprechen.“

„Ich danke Ihnen, Lord Cliveden“, sagte der Seewolf. „Ich danke Ihnen auch im Namen meiner Männer für die faire Untersuchung.“

Hasard erhob sich ebenfalls und nahm aus einer Schublade eine in Leder gebundene Mappe, die er dem Lord überreichte.

„Bis heute nachmittag“, sagte er. „Hier sind die Schiffspapiere der ‚Hornet‘, die ich damit wieder der Krone überstelle, damit alles seine Richtigkeit hat. Es fehlt ein Segel an Bord, Sir. Es ging durch einen unglücklichen Umstand verloren.“

„Ich war der Ansicht, man bezeichnet das als sogenannte Kettenkugel“, sagte der Lord ernst, „Aber das mag wohl auch ein unglücklicher Umstand sein.“

Die Männer verabschiedeten sich. Hasard brachte sie an Deck und geleitete sie bis zur Kutsche. Dann verbeugte er sich knapp.

Der Lord sagte noch etwas zu ihm, woraufhin alle beide lächelten.

Als die Kutsche anfuhr, hielt Carberry es vor Neugier nicht mehr aus.

„Was hat er gesagt, Sir?“ wollte er wissen.

„Ich fragte ihn, was aus dem Marquess nun wird.“

„Und was wird aus ihm?“

„Der Alte hat ihm eine sehr üble Standpauke vor versammelter Mannschaft gehalten, vor der gesamten Besatzung. Und dann nahm er seinen Ableger mit, zwecks Erholung, wie er das ausdrückte. Künftig wird Onkel Henry sich wohl mit Hühnern, Pferden und Schweinen beschäftigen, denn der Duke hat riesige Landgüter, und auf denen soll der Lümmel sich erst einmal Landluft um die Ohren wehen lassen.“

Die Seewölfe grinsten schadenfroh.

„Die Hühner tun mir leid“, sagte Ed. „Der Kerl wird doch sofort die Eier requirieren, die sie legen.“

Befreites Gelächter erklang, und als Ed vorschlug, Plymmie heute abend einen kleinen Besuch abzustatten, hatte niemand etwas dagegen. Natürlich würde dieser Besuch in allen Ehren verlaufen, das war klar.


1.

Jaulend strich der Wind um das scheunengroße Gemäuer hinter dem Deich von Norderney, in dem gelacht und getrunken, geflucht und gespielt wurde. An den Fensterläden rüttelte er, zerrte an den Dachpfannen, eilte weiter, trieb Schneisen in den kniehohen Strandhafer, fauchte zwischen den tiefer im Inselinneren errichteten Gemäuern hindurch und raste nach Süden über das Wattenmeer weg zum Festland hinüber.

Zu dem Heulen des Windes gesellte sich das Rauschen der See. Hohe Brandungswellen liefen gegen Strand und Deich an und brachten die kleinen Boote an den Piers, die wie dürre Finger in die Nacht hinausragten, zum Tanzen.

Schweren Schrittes verließ Onno Osten das Wirtshaus hinter dem Deich und rammte die Bohlentür hinter sich zu. Er spuckte aus, wischte sich mit der Hand über den Mund, versenkte beide Hände tief in den Hosentaschen und stapfte zum Deich hoch, wobei er leicht ins Wanken geriet.

Doch es war nicht der rauhe Wind, der sein Gleichgewicht etwas unsicher werden ließ – es waren das viele Bier und die Schnäpse, die er getrunken hatte.

Gezecht und gelärmt hatte er mit seinen Freunden, was ihn mit unbändiger Freude erfüllte. Nachdem er noch rasch seinen Schlenderschluck zu sich genommen hatte – wie die Friesen dies nannten – trieb es ihn nun mit Macht nach Hause zu Herma, seiner Frau, der er von seinem Glück zu berichten gedachte.

Gut den Ablauf eines Stundenglases lang, also eine halbe Stunde, stand er wie festgenagelt oben auf dem Deich und blickte starr nach Norden, auf die See hinaus. Manchmal lehnte er sich etwas vor, dann wieder zurück, aber nie geriet er völlig aus der Balance.

Der eisigkalte Januarwind pfiff ihm mitten ins Gesicht und versuchte, seine mächtige Gestalt zu packen. Aber nichts konnte einen Mann wie Onno umwerfen, leichter war es, einen Baum zu fällen. Er war über sechs Fuß groß und hatte schrankbreite Schultern. Sein wuchtiger Kopf saß scheinbar halslos auf dem stiernackigen Oberkörper, sein leicht fliehendes Kinn führte zu dem dünnlippigen Mund hinauf, der nichts von dem ausdrückte, was in seinem Hirn vor sich ging.

Es arbeitete hinter Onno Ostens Stirn, und hin und wieder zuckte es in seinem breiten, von einem feinen Netz roter Äderchen durchzogenen Gesicht. Doch der Schnaps und das Bier hatten seinen Geist umnebelt, er brauchte seine Zeit, um zu einem vernunftsmäßigen Schluß dessen zu gelangen, was er sah.

Schließlich stieß er einen Laut aus, der einer Mischung aus Grunzen und Seufzen glich, und seine winzigen blauen Augen verengten sich zu Schlitzen.

„Sturm wird’s geben“, brummte er, dann wandte er sich um und verließ den Deich. Auch diese bedeutungsschwere Erkenntnis wollte er Herma mitteilen, falls sie von dem Schlechterwerden des Wetters noch nichts bemerkt hatte – was er nicht annahm.

Schweigend durchquerte er den wilden Hafer. Der vom Regen des Tages aufgeweichte Untergrund schmatzte unter seinem groben Schuhwerk. Ohne auch nur ein weiteres Wort zu sich selbst zu sagen, wanderte er auf die trostlose Ansammlung von Häusern zu, die die Menschen von Norderney stolz „das Dorf“ zu nennen pflegten.

Fast war Onno schon an dem ersten, größten Gebäude vorbei, da hob er seinen Blick – und blieb wie vom Donner gerührt stehen.

Es waren nicht die wenigen Lichter, die aus einigen Fenstern, deren Läden noch nicht verschlossen waren, ins Freie fielen. Es war der fahle Schein des Mondes, der ihm zu der grausigen Entdeckung verhalf.

Hätten die Wolken in diesem Augenblick den Mond verdeckt, wäre Onno auf das, was sich hier seinen Augen darbot, wahrscheinlich nicht aufmerksam geworden. So aber blieb er stehen und starrte wie gebannt auf das Tor des großen Hauses. Seine Lippen bewegten sich plötzlich heftig und schienen ein Wort formen zu wollen, doch es drang nur Unverständliches aus seinem Mund.

Das, was vom Balken über dem Tor herabbaumelte, mochte beim ersten Hinsehen wie ein Sack voll Lumpen wirken, aber Onno begriff trotz seiner Trunkenheit, daß der Schein trog. Er überwand seinen inneren Widerstand und näherte sich mit linkischem Schritt der reglosen Gestalt. Dann berührte er ihr Bein.

Er wollte sich nicht nur davon überzeugen, daß der, der da hing, ein offensichtlich toter Mensch war. Er wollte auch wissen, um wen es sich handelte. Fast zuckte er zusammen, die Erkenntnis traf ihn wie ein Hieb.

„Klusmeier“, murmelte er.

Er ließ das Bein des Toten los, drehte sich um und ging davon. Er wandte nur noch einmal den Kopf und blickte über die Schulter zurück zu dem Unglücklichen, dann strebte er seinem Heim zu, entschlossen, sich nicht mehr aufhalten zu lassen, durch nichts auf der Welt. Gleich drei Neuigkeiten an diesem Abend, und das auf der unwirtlichen Insel, die nur selten etwas Interessantes bot, wenn man von den Aktivitäten ihrer Bewohner absah.

Onno Osten stieß fast gegen die Tür seiner Behausung, so eilig hatte er es. Er brauchte wieder eine ganze Weile, um die Tür zu öffnen, und er bemerkte nichts von dem, was innen vorging, konnte nichts wissen und nicht ahnen, zumal er im Moment viel zu aufgeregt war.

„Herma“, sagte er mit undeutlicher, dumpfer Stimme, aber Herma schien nicht zu hören, da sie nichts erwiderte.

Es muß wohl an dem verdammten Sturmwind liegen, dachte Onno.

Herma Osten lag unbekleidet auf ihrem Ehebett. Der Mann, der sich lächelnd über sie beugte, war so groß wie Onno, und auch seine Schultern waren so breit wie die ihres Mannes. Aber sonst unterschied ihn so manches von Onno, nicht nur die strohblonden Haare, die er lang trug und nicht stoppelkurz wie jener, sondern vor allen Dingen das, was in seinem Kopf geschah, wenn er zu denken begann, und auch alles andere, was er als echter Kerl von Norderney vorzuweisen hatte.

Er war der bedeutendste und reichste Mann der Insel, der Kopf der Sippe, die hier das Wort führte. Es erfüllte Herma mit Stolz, daß er schon seit einiger Zeit ein Auge auf sie geworfen hatte. Sie hatte alles darangesetzt, ihn zu sich ins Haus zu locken, und er hatte sich nicht zweimal bitten lassen.

Jetzt war er da und bemühte sich um sie, wie es Onno nur höchst selten tat. Eine Woge der Wonne durchlief sie. Am liebsten hätte sie vor Glück laut aufgeschrien, aber sie bezwang sich, denn sie befürchtete, daß man es in den anderen Häusern trotz des Sturmwindes vernehmen könnte.

Plötzlich hielten sie inne, denn sie hatten beide das Rumoren an der Haustür gehört. Herma richtete sich halb auf.

Der Mann wollte sie auf das Bett zurückdrücken, doch sie hob in einer beschwörenden Geste die rechte Hand und raunte ihm zu: „Das kann nur Onno sein. Gleich ist er hier und – mein Gott, Groot-Jehan, er darf uns nicht zusammen erwischen.“

Lüder Groot-Jehan lachte leise. „Hab doch nicht solche Angst. Vielleicht ist er viel zu besoffen, um noch klar etwas zu erkennen. Ich verstekke mich hier im Zimmer, und wenn er eingeschlafen ist, machen wir weiter.“

„Nein, Groot-Jehan! Das – das kann ich ihm nun doch nicht antun!“ stieß sie entsetzt hervor. „Das ist nicht recht!“

„Ach? Meinst du das wirklich im Ernst?“ fragte er spöttisch. „Ja. Alles hat seine Grenzen.“ Sie stand auf und wollte zur Tür eilen, besann sich aber gerade noch rechtzeitig genug ihres Zustandes.

Während sie in aller Eile ihre Kleidungsstücke zusammenraffte, trat Lüder Groot-Jehan hinter sie, griff nach ihren Schultern, beugte sich über sie und küßte ihren Hals.

„Ich bin verrückt nach dir“, sagte er leise.

„Ich doch auch“, flüsterte sie und stöhnte verhalten auf.

„Zum Teufel mit Onno.“

„Sag das nicht. Er gehört doch – zu uns“, wisperte sie, und das schlechte Gewissen begann immer stärker bei ihr zu pochen. „Geh jetzt. Ich flehe dich an – geh!“

„Na gut“, brummte Groot-Jehan. „Ich achte deine Gefühle.“ Auch er begann sich hastig anzuziehen, während an der Vorderseite des Hauses Schuhe hart gegen die Bohlen schlugen und Onno vor sich hin fluchte.

Groot-Jehan küßte die Frau noch einmal, dann raunte er ihr zu: „Aber ich komme wieder, verlaß dich drauf. Noch heute nacht.“

„Nein! Onno bringt dich um!“

„Ach, Unsinn.“ Groot-Jehan lächelte wieder. Er hatte ein markantes, wettergegerbtes Gesicht, in dem blaugraue Augen funkelten. „Du weißt doch schon, was geschehen ist. Die Sippe und das Dorf müssen zusammenhalten – darum geht es mir. Verstehst du jetzt?“

„Ja“, hauchte sie.

Dann entließ sie ihn durch eins der hinteren Fenster, und er tauchte unbemerkt in der Nacht unter. Herma verließ das Schlafzimmer und ging zur Tür.

Genau in diesem Augenblick hatte Onno seinen Kampf gegen die Tücke des Objekts gewonnen und stieß die Tür auf. Polternden Schrittes trat er in den Wohnraum, blieb bei ihrem Anblick stehen und sagte leicht lallend: „Korn, Herma!“

„Korn?“ wiederholte sie verwundert und musterte ihn von oben bis unten. „Hast du nicht schon genug getrunken? Weißt du, wie spät es ist? Ich habe schon geschlafen. Du hast mich aus dem Bett geschreckt.“

Er brummelte etwas, das wie eine Entschuldigung klang, dann ließ er sich auf einen der Stühle an dem klobigen Eichenholztisch sinken. Herma holte nun doch lieber die Flasche mit dem Korn und füllte einen Becher bis zur Hälfte mit dem leicht süßlich riechenden Schnaps.

Onno seufzte, hob den Becher an den Mund und trank ihn in einem Zug aus.

„Nun rede doch endlich“, sagte sie. „Du bist ja ganz durcheinander. Was ist geschehen? Ich sehe dir an, daß was passiert ist. Hat es eine Schlägerei gegeben? In der Kneipe? Müßt ihr euch immer prügeln?“

Onno schüttelte wie ein benommener Stier sein Haupt. „Nee. Aber es geht wieder los.“

„Was geht wieder los?“

„Klusmeier hängt bei Groot-Jehans am Tor und ist mausetot. Ich hab ihn eben gesehen.“ Großzügig goß sich Onno noch einen Schluck Korn ein. „Keine Angst, ich habe ihn da hängen lassen.“

„Der arme Klusmeier“, sagte Herman entsetzt. Eigentlich wußte sie ja bereits alles durch Lüder Groot-Jehan, doch die Art, wie Onno ihr die Angelegenheit vortrug, weckte ihre Bestürzung von neuem, so daß nichts an ihrem Gesichtsausdruck geheuchelt war. „Er war doch Groot-Jehans bester und treuester Knecht. Mein Gott! Das waren sicher wieder die Lütt-Jehans. Können die uns denn nie in Ruhe lassen?“

„Weiß ich nicht“, brummte Onno und nahm wieder den Becher an die Lippen. Er wurde jetzt redseliger und erzählte auch den Rest – daß er einen halben Groschen gewonnen hätte und daß es Sturm geben würde. Danach sprach er aber gleich wieder von dem Toten und erklärte noch einmal: „Es geht wieder los. Mit Mord und Totschlag. Junge, Junge.“

„Das ist doch noch gar nicht erwiesen“, sagte Herma leise. „Vielleicht gibt es doch wieder einmal eine Einigung zwischen Norderney und Baltrum.“

„Und wenn’s Krieg gibt?“ fragte Onno mit finsterer Miene.

Er sah jetzt schon deutlich vor sich, wie sich die Bewohner beider Inseln gegenseitig auslöschten, wie nichts von ihnen und ihren Dörfern übrigblieb. Der Korn heizte seine Phantasie an, und er nahm noch einen Schluck zu sich. Es ist das Ende, dachte er, aber wenn die Lütt-Jehans am Strand landen, hauen wir auf sie ein, bis das ganze Stroh aus ihren verdammten Körpern rausfliegt.

Die Friesen auf Norderney und Baltrum ernährten sich vom Fischfang und von der Jagd. Im Winter hockten sie oft tagelang in ihren gut getarnten Unterständen am Strand und warteten auf Graugänse und Enten, die sie mit ihren Flinten vom Himmel holten. Sie sammelten auch gern Möweneier aus den Nestern der Strandhaferfelder, um sie in ihren Steinöfen zu backen, und verminderten auf diese Weise den Vogelbestand, was sie aber nicht weiter beeindruckte.

Eine weitere Existenzquelle war den Friesen die Piraterie und die Strandräuberei, die sie eifrig betrieben. Auf Norderney lebte die Sippe der Groot-Jehans, die gut achtzig Prozent der Bevölkerung stellte. Männer wie Onno Osten und seine Frau Herma galten als „Auswärtige“, weil sie von einer Nachbarinsel übergesiedelt waren. Doch die große Familie behandelte alle Dörfler ebenbürtig.

Auf Baltrum herrschte die Sippe der Lütt-Jehans und bildete ein Inselvölkchen von Brüdern und Schwestern, Vettern und Basen, Onkeln und Tanten, Groß- und Urgroßeltern, Neffen und Nichten, Enkeln und Urenkeln. Dort gab es nur ganz wenige „Zugewanderte“, die man an den zehn Fingern aufzählen konnte.

Beide Sippen waren verfeindet, und zwar schon seit Jahren, denn ein Lütt-Jehan hatte einen aus der Groot-Jehan-Sippe umgebracht, und später hatte es einen Vergeltungsanschlag gegeben, dem dann eine Reihe mysteriöser Todesfälle auf beiden Seiten folgte.

Hartnäckig hielt man an dieser Art der Blutrache fest. Wenn eine Sippe eins ihrer Mitglieder verlor, wurde der Tote von seinen eigenen Angehörigen ans Haus gehängt, denn dies galt als Mahnung an die Familie, daß noch eine Rechnung offen sei, die beglichen werden müsse. Mit anderen Worten, der Tote blieb solange hängen, bis die Sippe einen Angehörigen der Gegenseite erwischte und ihn umbrachte.

Endlos setzte sich diese Reihe von Anschlägen und Morden fort, und vielleicht hätten sich die Sippen auf diese Weise längst gegenseitig aufgerieben, wenn nicht hin und wieder etwas Erstaunliches eingetreten wäre.

Ging es um die Seeräuberei, dann wurden die Groot-Jehans und die Lütt-Jehans plötzlich ein Herz und eine Seele, und alle Streitigkeiten wurden vorübergehend ausgesetzt.

Herma Osten fuhr unwillkürlich zusammen, als mit einemmal gegen die Tür ihres Hauses geklopft wurde. Onno hingegen schien es nicht wahrzunehmen. Er brütete nach wie vor düster über seinen schrecklichen Gedanken.

Wieder ertönte das Klopfen, und Herma rief: „Wer ist da?“

„Ich bin’s – Groot-Jehan!“ tönte es zurück.

Ihr Herz begann heftig zu pochen, sie wollte nicht öffnen. Onno aber richtete sich jetzt umständlich von seinem Stuhl auf und sagte laut: „Komm rein, Lüder, die Tür ist offen!“

Lüder Groot-Jehan trat ein, und dann standen sich die beiden Männer gegenüber. Herma wäre am liebsten im Boden versunken. Sie war sicher, daß jetzt alles herauskam.

Doch Lüder legte Onno die Hand auf die Schulter und sagte: „Weißt du schon das Neueste? Wir haben vor drei Stunden unseren Klusmeier tot am Strand aufgefunden. Armer Teufel. Er ist ertrunken, und die Flut hat seine Leiche angespült.“

„Da haben die Lütt-Jehans nachgeholfen!“ stieß Onno zornig hervor. „Sie haben ihn verschleppt und ersäuft!“

„Das glaube ich auch, deshalb habe ich Klusmeier ans Tor gehängt“, sagte Lüder Groot-Jehan. „Ich war schon drüben auf Baltrum und habe Karl Lütt-Jehan zu sprechen verlangt, doch der behauptet, er habe mit der Sache nichts zu tun. Es müsse ein Unfall gewesen sein, sagt er, und wir wollten ihm die Geschichte nur in die Stiefel schieben.“

„Er lügt“, sagte Herma aufgebracht.

„Davon bin ich überzeugt“, erklärte Lüder, nachdem er ihr einen bedeutungsvollen Blick zugeworfen hatte, der von Onno nicht bemerkt wurde. „Aber wir haben trotzdem beschlossen, die Angelegenheit vorläufig beizulegen.“

„Wieso?“ fragte Onno und hielt sich an der Tischkante fest, um nicht aus dem Gleichgewicht zu geraten. „Ist ein Schiff gestrandet?“

„Das nicht, aber der Zeitpunkt ist günstig, um die Falle fertigzustellen“, erwiderte Lüder. „Morgen früh, wenn der Sturm ein bißchen nachläßt, gehen wir alle zusammen an die Arbeit. Wir dürfen das nicht mehr aufschieben. Die Winterstürme bringen uns reiche Beute.“

„Aber wird die Falle auch wirklich funktionieren?“ erkundigte sich Onno. „Wir haben sie noch nicht ausprobiert.“

„Keine Angst“ sagte Lüder Groot-Jehan. „Die Sache mit der Falle war meine Idee, und ich versichere dir, es wird alles so klappen, wie ich es mir vorgestellt habe. Los, meine Leute sind schon dabei, alle aus dem Dorf zusammenzutrommeln. Wir halten eine Besprechung ab. Ich will, daß wir uns alle einig sind.“

„Gut.“ Onno stopfte sich die zu einem Drittel geleerte Flasche Korn in die Tasche, dann stapfte er sogleich ins Freie.

Lüder zog Herma zu sich heran und küßte sie.

„Bis bald“, sagte er, und mit diesen Worten verließ auch er das Haus, um dem bedrohlich schwankenden Onno zu folgen.

Herma ließ sich seufzend auf einen Stuhl fallen und dachte: O Norderney, was soll bloß aus dir werden, wenn das alles so weitergeht?

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