Kitabı oku: «Seewölfe Paket 16», sayfa 8
2.
Nach ihrem Stapellauf und der bewegten Jungfernfahrt lag die „Isabella IX.“ wieder am Ausrüstungskai von Plymouth. Neben ihr war der Schwarze Segler Thorfin Njals vertäut, dessen vier Masten majestätisch und würdig in den grauen Himmel ragten.
Philip Hasard Killigrew stand auf dem Achterdeck seines Schiffes und kontrollierte mit aufmerksamem Blick die Arbeiten, deren Ausführung er angeordnet hatte. Hesekiel Ramsgate – der Mann, der die „Isabella“ konstruiert hatte und nach Überzeugung der Seewölfe der beste Schiffsbauer von ganz England überhaupt war –, Schiffszimmermann Ferris Tucker, Big Old Shane, der ehemalige Schmied und Waffenmeister von Arwenack-Castle, und der Takelmeister Roger Brighton nahmen kleine Verbesserungen vor, die Ramsgate Hasard dringend empfohlen hatte.
Beispielsweise wurden jetzt Schwerwettersegel angeschlagen, denn es war ja harter Winter geworden. Das Anbringen des groben, schweren Tuches war eine Heidenarbeit, die ganze Crew packte mit zu, vom Profos Edwin Carberry bis hin zu den Zwillingen Philip und Hasard, und schließlich schickte Thorfin Njal noch ein paar seiner Männer als Verstärkung auf die „Isabella IX.“ hinüber.
Als der größte Teil der Arbeiten bewältigt war, rief Hasard Ramsgate, den Wikinger und Jean Ribault zu einer kurzen Besprechung in seine Kammer. Die vier Männer tranken ein Glas Brandy.
Dann wandte sich der Seewolf an Thorfin Njal und fragte: „Bleibt es wirklich bei dem, was du angekündigt hast? Ich meine, es wäre doch kein schlechter Gedanke, wenn wir auch weiterhin zusammen segeln würden.“
„Gewiß wäre das nicht schlecht“, brummte der Wikinger. Dann lachte er rauh. „Aber wohin führt denn der Kurs, wenn man fragen darf?“
„In die Neue Welt.“
„Auf Beutezug?“
„Natürlich auf Beutezug“, erwiderte Hasard. „Außerdem gibt es dort drüben noch ein paar Fleckchen Erde, die wir nicht richtig ausgekundschaftet haben.“
„Es existieren sogar Plätze, die wir überhaupt noch nicht kennengelernt haben“, fügte Jean Ribault hinzu. „Wenn ich da an das geheimnisvolle Florida denke, an die Küsten, die von Coronado und De Soto bereist wurden – da wartet noch so einiges auf uns, Freunde.“
„Hört sich hochinteressant an“, sagte Hesekiel Ramsgate. „Soll es da nicht auch den berühmten Jungbrunnen geben?“
„Ja“, erwiderte Jean. „Aber keiner weiß, ob die Quelle der ewigen Jugend tatsächlich irgendwo im Sumpf oder in der Wüste darauf wartet, entdeckt zu werden, oder ob die Geschichte nicht doch nur ein Hirngespinst ist.“
„Eine Legende“, sagte Hasard. „Ganz gewiß. Tut mir leid für dich, Hesekiel, aber du wirst auch so über hundert Jahre alt.“
„Doch wenn wir Gold am Golf von Mexiko finden“, sagte Jean Ribault, „dann ist das für uns mehr wert als irgendein obskurer Brunnen. El Dorado ist letzten Endes kein Traum, das haben die Funde der Spanier und Portugiesen im Süden der Neuen Welt bewiesen, nicht wahr?“
„Ja“, meinte der Seewolf. „Und es wird Zeit, daß wir ihnen wieder etwas von ihrem Reichtum abknöpfen, den sie sich auf unrechtmäßige Weise verschaffen. Wir sind die längste Zeit in Plymouth gewesen, jetzt geht es wieder auf große Fahrt.“
Thorfin Njal lachte und hieb sich mit der Hand auf den Oberschenkel. „Ich weiß schon, auf was ihr hinauswollt, ihr Halunken. Breitschlagen wollt ihr mich, oder? Überreden lasse ich mich aber trotzdem nicht. Sicher, wenn ich das alles so höre, wird auch mir der Mund wäßrig, das gebe ich zu. Aber ich habe von der Neuen Welt und von der Schlangen-Insel vorläufig trotzdem die Nase voll.“
„Mach doch, was du willst“, sagte Jean. „Fahr nach Norden hinauf und laß dir den Hintern abfrieren. Mir soll’s recht sein.“
Thorfin sah ihn drohend an. „Willst du meine Heimat beschimpfen?“
„Um Himmels willen, nein.“
„Bei Odin, es ist nicht nur kalt im Nordland!“ stieß der Wikinger hervor. „Dort findest du auch das Glück, Jean Ribault, Wärme und Behaglichkeit, Met und Rentiere, so viele du willst. Es zieht mich mit aller Macht nach oben in die eisige Kälte, ich habe sie lange genug entbehrt.“
„Na gut“, meinte Ribault. „Aber das mit Thule, den fernen und glücklichen Inseln, die du zu finden hoffst, ist ja doch bloß eine fixe Idee. Nein, reg dich nicht gleich wieder auf. Was ich dir in deinen Dickschädel hämmern will, ist nur folgendes: Die Sache mit Thule ist genauso erfunden wie die Mär vom Jungbrunnen.“
„Da hört sich doch alles auf“, sagte der Wikinger entrüstet. „Hast du überhaupt eine Ahnung von den Geheimnissen des Nordens? Kennst du die Welt, in der Thor und Odin die Herrscher sind?“
„Nicht wie du“, erwiderte der Franzose. „Aber ich habe das, was man einen gesunden Menschenverstand nennt. Gegenfrage: Weißt du, wo du die Inseln Thule zu suchen hast?“
„Nein.“
„Du hast also nicht den geringsten Anhaltspunkt?“
„Nein. Aber ich werde sie finden.“
„Ich geb’s auf“, sagte Ribault. „Du bist ja doch nicht davon abzubringen, und gegen deinen Dickschädel kommt keiner an.“
„Thule“, wiederholte Ramsgate nachdenklich. „Liegt das nicht in Grönland?“
„Ja“, entgegnete Hasard. „Und wir sind auch schon dort gewesen, ehe wir die Nordwestpassage suchten. Die Eskimosiedlung Thule hat jedoch nichts mit den mysteriösen Inseln zu tun, von denen Thorfin spricht.“
„Sehr richtig“, bestätigte der Wikinger. „Aber nun laßt mich mal ein offenes Wort sprechen, Freunde. Ich drehe den Spieß um, Hasard, und ich frage dich: Wie wäre es, wenn du mich begleiten würdest? Das wäre doch eine gute Bewährungsprobe für deine ‚Isabella‘ und für deine Mannschaft.“
Der Seewolf lächelte. „Tut mir aufrichtig leid, aber du kannst mich nicht herausfordern, Thorfin. Ich will nach Amerika, und in diesem Punkt bin ich genauso störrisch wie du.“
Thorfin Njal hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. „Beim Donner, was soll’s? Dann trennen wir uns eben. Haben wir das nicht öfter getan und uns dann später wiedergetroffen? Was mich betrifft, so vergieße ich keine Walroßtränen, ich bin doch kein altes Weib.“
„Schon gut, darum ging es ja auch gar nicht“, sagte Hasard. „Ich will nur Klarheit. Jean, was ist mit dir?“
„Ich gehe von Bord, das habe ich ja auch schon angedeutet.“
„Ja. Hesekiel?“
„Ribault und ich haben darüber gesprochen“, entgegnete Ramsgate. „Wir werden zusammenbleiben, weil wir noch eine ganze Menge miteinander zu bereden haben. Besonders wegen der Schiffe, die Ribault bei mir in Auftrag geben will.“
Hasard nickte. Er kannte die Pläne, die Ribault und vor allem auch Siri-Tong mit der Schlangen-Insel hatten, und sie fanden seine volle Billigung.
„Gut, dann sind wir uns also einig“, meinte der Seewolf. „Jeder hat seine eigenen Vorstellungen, und was die Pläne für die Schlangen-Insel betrifft, bin ich einverstanden. Es gibt keine Einwände, wir trennen uns in vollem Einvernehmen. Darum ging es mir hauptsächlich.“
Sie erhoben sich und schüttelten sich stumm die Hände. Monate, so wußten sie, konnten vergehen, bis sie sich wiedersahen, möglicherweise auch Jahre. Ihre Augen drückten den Wunsch aus, daß sie alle unversehrt aus den Abenteuern zurückkehren mochten, die jetzt jeder von ihnen auf sich nahm. Doch sie sprachen das nicht offen aus. Sie wußten auch so, daß der Segen des einen die Reisen des anderen begleiten würde. Immer wieder würden sie sich der gemeinsam durchfochtenen Kämpfe entsinnen, und die Erinnerung an die Erlebnisse auf den Meeren gab ihnen neue Kraft für die Zukunft.
Am Nachmittag dieses Tages rollte auf dem Kai eine Kutsche vor, die von vier Pferden gezogen wurde. Die Männer der Crew, die auf dem Hauptdeck der „Isabella IX.“ ihren Dienst versahen und Wache schoben, wollten Ben Brigthon, Hasards Erstem Offizier und Bootsmann, einen entsprechenden Hinweis geben, doch Ben war bereits auf das Gefährt aufmerksam geworden und enterte vom Quarterdeck aus das Achterdeck, um die Kutsche genauer in Augenschein nehmen zu können.
Der Kutscher zerrte an den Zügeln, der Vierspänner stoppte. Drei Männer stiegen aus, von denen zwei wie auf eine vorher getroffene Vereinbarung hin am Schlag verharrten. Der dritte Mann – hochgewachsen, hager und distinguiert – schritt auf die „Isabella“ zu und grüßte, indem er seinen schmalkrempigen, hohen Filzhut abnahm und ein Stück hochhob.
„Lord Gerald!“ rief Ben und lachte. „Warten Sie, ich sage sofort Hasard Bescheid!“
„Tun Sie das, Mister Brighton“, erwiderte Gerald Cliveden, Lordschaft von Elizabeths I. Gnaden und Sonderbeauftragter Ihrer Majestät. „Darf ich inzwischen schon an Bord kommen?“
„Selbstverständlich dürfen Sie das!“ Ben sah zu Carberry, der von der Kuhl zu ihm aufblickte, und der Profos scheuchte sofort Jack Finnegan und Paddy Rogers los, die Cliveden an der Gangway in Empfang nehmen sollten.
Der elegante Herr in dem kurzen schwarzen Cape, den dunklen Hosen und den Schnallenschuhen begab sich also an Bord des neuen Schiffes und schüttelte den Männern, die er inzwischen bestens kannte, die Hände.
Dann sah er sich nach allen Seiten um, nickte anerkennend und sagte: „Wirklich, ein feines Schiff ist das, das muß man Mister Ramsgate lassen.“
Hesekiel Ramsgate hatte es vernommen, denn er war inzwischen mit Hasard, Jean Ribault und Thorfin Njal auf dem Quarterdeck erschienen.
Mister Ramsgates Augen blitzten.
„Das will ich meinen“, erwiderte er nicht ohne Stolz, „das derzeit Beste, was meine Werft zu bieten hat. Gerade recht für Mister Killigrew!“
„Willkommen an Bord, Lord Gerald“, sagte der Seewolf und schritt auf Cliveden zu, der sich anschickte, das Quarterdeck zu entern. „Darf ich Sie in meine Kammer bitten? Es freut mich aufrichtig, Sie wiederzusehen.“
„Und selbstverständlich fragen Sie sich, was mich zu Ihnen führt“, sagte Cliveden lächelnd und drückte ihm die Hand. Er begrüßte auch den Wikinger und alle anderen, die sich zu diesem Zeitpunkt auf dem Achterdeck aufhielten.
„Ich sehe es Ihnen an, daß Sie etwas auf dem Herzen haben“, meinte Hasard. „Wollen wir es in aller Ruhe besprechen?“
„Ja.“ Noch einmal ließ Cliveden seinen Blick über die Decks, die Masten und die Takelung der „Isabella“ wandern. „Hat Ihr Schiff die Jungfernfahrt gut überstanden? Hat es sich bewährt?“
„Allerdings“, sagte Hasard.
„Ich hätte auch niemals gewagt, das Gegenteil anzunehmen. Vortrefflich, wirklich, ganz vortrefflich.“
Sie betraten mit Ben, Shane, Ferris, Old O’Flynn, dem Wikinger, Ribault und Ramsgate zusammen die Kapitänskammer, und Hasard berichtete von der ersten Fahrt der „Isabella IX“. Dann rückte Cliveden ohne große Umschweife mit seinem Anliegen heraus.
Er zog aus der Innentasche seines Capes ein dickes Kuvert hervor. Es war mit dem Siegel der Königin versehen, wie die Männer sogleich erkannten.
„Ich habe die offizielle Aufgabe, Sie zu fragen, ob Sie einen neuen Auftrag übernehmen würden, Mister Killigrew“, sagte der Lord. „Ihre Majestät bittet Sie darum.“
„Das ehrt mich. Aber um welche Art von Auftrag handelt es sich?“
„Darüber kann ich leider keine nähere Auskunft geben.“
„Wie bitte?“ Hasard war nun doch reichlich verwundert. „Wie soll ich denn dann überhaupt beurteilen, ob ich ihn ausführen kann oder nicht?“
Cliveden lächelte wieder. „Sie können es, Mister Killigrew, davon bin ich fest überzeugt. Sie sind gleichsam prädestiniert, dieses Unternehmen durchzuführen. Ihr Frankreich-Auftrag ist ein voller Erfolg geworden, trotz aller Widrigkeiten, mit denen Sie zu kämpfen hatten. Sie glauben ja gar nicht, wie sehr Ihr Ansehen bei Hof gestiegen ist.“
Ja, das Unternehmen in der Bretagne – der Seewolf hatte Yves Grammont und den spanischen Spionen das Handwerk gelegt, und er hatte gleichzeitig auch Easton Terry, der ihm als Verbündeter zur Seite hatte stehen sollen, als einen gefährlichen Verräter entlarvt. Gerade diese Erfahrung war ihm eine Lehre gewesen, und aus diesem Grunde verspürte er jetzt auch eine gehörige Portion Skepsis.
Andererseits konnte er diesen neuen Auftrag – den er nicht einmal in seinen Ansätzen kannte – schlecht abschlagen, weil zum einen die Königin dahinter-stand und zum anderen Lord Cliveden ihm gegen den Schnösel Marquess Henry geholfen hatte, der die „Isabella“ hatte requirieren wollen, jetzt aber aufgrund seiner Eigenmächtigkeit von seinem Vater abberufen worden war und künftig auf seinem Landsitz friedlich Hühner züchten würde.
„Ich weiß, Sie denken an die Sache mit Easton Terry“, sagte der Lord nun von sich aus. „Aber Sie werden dieses Mal keinen Mitstreiter zur Seite haben, auf den Sie sich nicht verlassen können, Mister Killigrew. Sie werden allein sein. Doch gerade die Affäre Terry ist der Grund dafür, warum die Königin diesmal eine versiegelte Geheimorder ausgestellt hat. Keiner soll vor dem richtigen Zeitpunkt davon erfahren, wie der Auftrag lautet, nicht einmal Sie selbst.“
„Und wann tritt der richtige Auftrag ein?“ fragte Hasard. „Wenn ich nicht einmal den Kurs kenne, wohin soll ich mich dann wenden?“
„Nach Skagen sollen Sie segeln, erst dort dürfen Sie das Siegel aufbrechen und die Order lesen“, erwiderte Cliveden.
Die Seewölfe sahen sich verdattert an. Nur Thorfin Njal begann zu lachen.
„Skagen?“ wiederholte er. „Bei Odin, also doch eine Fahrt hoch in den Norden hinauf, Hasard, nicht in die Neue Welt. Ich habe das Gefühl, wir begegnen uns doch bald wieder.“
„Halt mal die Luft an, du behelmter Nordpolbär“, sagte Shane. „Noch ist gar nicht sicher, ob wir diesen Auftrag auch wirklich übernehmen.“
„Mann, was haben wir bloß verbrochen?“ brummelte der alte O’Flynn. „Nach Eis und Schnee steht mir nicht der Sinn. Außerdem geht da oben bestimmt was schief, ich spür’s in meinem Beinstumpf. Wir saufen mit der ‚Isabella‘ ab, und dann …“
„Und dann hängen wir dich als Treibanker außenbords“, fiel Ben ihm ins Wort. „Fängst du jetzt wieder mit deiner Schwarzmalerei an?“
„Darf ich die Gentlemen um Ruhe bitten?“ sagte der Seewolf. „Vorläufig ist überhaupt nichts entschieden. Oder vielleicht doch?“
„Nein, Sir“, sagten die Männer.
Lord Gerald Cliveden war ihren Worten halb amüsiert, halb beunruhigt gefolgt. Er wollte sich wieder an Hasard wenden, doch dieser kam ihm zuvor und fragte: „Was steckt hinter dieser Geschichte, Lord Gerald? Sie wissen doch bestimmt etwas mehr, als Sie zugeben wollen.“
Der Lord hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. „Tut mir leid, aber es ist mir nicht mehr darüber bekannt als das, was ich Ihnen bereits mitgeteilt habe. Sie wissen, daß Sie meinem Wort vertrauen können, Mister Killigrew. Ich würde mir nie einfallen lassen, auch nur etwas von dem, was ich wissen könnte, Ihnen gegenüber zu verheimlichen.“
„Verzeihen Sie, Sir, ich wollte Sie nicht beleidigen.“
„Natürlich können Sie auch ablehnen“, sagte Cliveden. „Niemand würde Ihnen das verübeln. Aber, wie gesagt, bei Hofe wäre man hocherfreut, wenn Sie auch dieses Mal wieder die hohe Verantwortung akzeptieren würden, mit der man Sie betraut. Lassen Sie mich nur noch das eine erwähnen: Man würde es Ihnen sehr hoch anrechnen, wenn Sie einschlagen.“
Hasard überlegte scharf. Clivedens Anliegen zog ihm einen Strich durch die Rechnung, denn er hatte so schnell wie möglich in die Neue Welt hinübersegeln wollen. Aber er konnte und wollte den Lord nicht zurückweisen, das wäre schäbig und unehrenhaft gewesen.
„Welchen Kurs soll ich nehmen, um nach Skagen zu gelangen?“ fragte er.
„Durch den Kanal, an der Nordseeküste entlang, dann nach Helgoland hinüber, schließlich Richtung Jütland und nach Skagen hinauf. Dort können Sie dann die königliche Order öffnen. Ich glaube, sie enthält einen hochinteressanten Auftrag, denn die Königin würde Sie nicht auf diese Reise schicken, wenn es keine wichtigen Hintergründe dafür gäbe.“
„Irgendwelche Aufwiegler?“ fragte Ben Brighton. „Droht England etwa auch von Osten her Gefahr?“
„Ich weiß es nicht“, versetzte der Lord und stieß einen Seufzer aus. „Auch mir wäre wohler zumute, wenn ich wenigstens einen Anhaltspunkt erhalten hätte. Doch selbst mir gegenüber hat Ihre Majestät strengste Geheimhaltung gewahrt.“
„Vielleicht geht es darum, einen Schatz zu heben“, sagte Ferris Tukker.
„Oder aber wir sollen uns die Köpfe einschlagen lassen“, brummte der alte O’Flynn. Er sprach jedoch nicht weiter, denn Ben und Shane warfen ihm vernichtende Blicke zu.
Hasard wandte sich zu seinen Männern um. „Also los. Wer etwas zu sagen hat, soll es jetzt vorbringen. Ben, geh bitte an Deck und versammle die Männer. Ich will, daß beraten und abgestimmt wird, unterrichte sie über alles, was Lord Gerald uns vorgetragen hat.“
„Aye, Sir.“ Ben drehte sich um und verließ den Salon, er eilte auf das Hauptdeck hinaus und begann, mit Carberry, seinem Bruder Roger, Blacky, Batuti, Gary Andrews, Luke Morgan, Finnegan, Rogers und allen anderen zu sprechen.
„Irgendwie reizt mich die Sache jetzt“, sagte Big Old Shane. „Wer weiß, welche Überraschung Skagen für uns bereithält? Es könnte ja auch mal ein Auftrag sein, in dem sich Nützliches mit dem Angenehmen verbinden läßt.“
„Zum Beispiel?“ fragte Ferris.
„Vielleicht sollen wir skandinavische Kneipen auskundschaften“, sagte Shane, und dann lachten sie alle.
Wenig später ließ der Seewolf abstimmen, und die komplette Besatzung der „Isabella“ erklärte sich damit einverstanden, den Auftrag zu übernehmen. Keiner widersetzte sich, keiner enthielt sich der Stimme – Ehrensache, denn allein Lord Gerald Cliveden gegenüber, der alle Sympathien der Crew auf seiner Seite hatte, durfte man sich keine Blöße geben.
So nahm Hasard das versiegelte Kuvert aus der Hand des Lords entgegen und sagte: „Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, Sir, es erst in Höhe von Skagen zu öffnen. Von jetzt an werde ich die Order sorgsam verwahren, so daß nur ich Zugang dazu habe.“
Cliveden gab ihm die Hand. „Ich vertraue Ihnen und Ihren Männern, Mister Killigrew. Meine besten Wünsche begleiten Sie, und ich hoffe, daß Sie es nicht bereuen werden, der Königin und insbesondere mir diesen Gefallen zu erweisen.“
Er verabschiedete sich und ging von Bord. Hasard betrat das Achterdeck und blickte ihm nach, wie er in seine Kutsche stieg, noch einmal zur „Isabella IX.“ herübergrüßte und dann davonfuhr.
Noch wußte Hasard die Bedeutung dessen, auf das er sich eingelassen hatte, nicht zu ermessen, aber er hoffte inständig, daß die neue Reise im Auftrag der Königin keine Enttäuschung für seine Männer und ihn werden würde.
3.
Lüder Groot-Jehan, so hieß es auf Norderney und auf Baltrum, war Karl Lütt-Jehans Halbbruder. Doch keinem der Inselbewohner war es jemals gelungen, einen hieb- und stichfesten Nachweis dafür zu finden, daß sie dieselbe Mutter gehabt hatten, denn die Frau, die Lüder und Karl zur Welt gebracht haben sollte, war im Jahre 1563 an der Schwindsucht gestorben. Lüders leiblicher Vater war wenige Jahre später auf See in einem schweren Sturm ertrunken, der kleine Junge Lüder war unter mysteriösen Umständen eines Tages von einer Frau namens Frieda im Strandhafer von Norderney aufgefunden worden, und Eberhard Lütt-Jehan, der den kleinen Karl auf Baltrum unter sein strenges Regime genommen hatte, lehnte seither jegliches Sorgerecht für den „Bastard“ ab.
Frieda und Eberhard waren alt geworden und hatten die Führung der Sippen weitgehend Lüder und Karl überlassen, doch wenn es um gemeinsame Aktionen ging, in deren Verlauf alle Fehden vorübergehend vergessen wurden, nahmen sie immer noch regen Anteil an den Handlungen ihrer Schützlinge.
Frieda hatte in großzügiger Auslegung ihrer Position als Pflegemutter den Nachnamen Groot-Jehan angenommen, doch der alte Eberhard konnte es trotz des Dunkels, das über der Familiengeschichte der Jehans lag, nicht lassen, darüber ironische Bemerkungen von sich zu geben, wenn sich die Gelegenheit dazu bot.
So waren die beiden Alten auch an diesem Tag in der schmalen Passage zwischen den Inseln zugegen und verfolgten von Bord der Boote aus, was Lüder und Karl und deren Helfer unternahmen. Der Wind, der immer noch eisig von Norden wehte, konnte sie nicht abschrecken, und keine Woge wäre hoch genug gewesen, um sie das Fürchten zu lehren.
Während der Nacht hatte der Sturm die Inseln gepeitscht, am Morgen aber hatte er nachgelassen und gestattete es den Jehans, die Falle in der Passage fertigzustellen. Bei Ebbe waren schwere Holzbalken ins Watt gerammt worden, die mit scharfen Eisenspitzen versehen waren. Zusätzlich ummantelten die Männer die dicken Holzpfähle mit eisernen Lanzen. Ihr Bestreben war darauf ausgerichtet, diese Lanzen mit Tauen so fest wie möglich zu zurren.
Geschickt lenkten sie ihre Boote durch die Priele, stiegen mal aus und dann wieder ein, und innerhalb von gut drei Stunden war die Arbeit bewältigt. Die Bank, auf der sie die Falle errichtet hatten, war bereits eine Barriere für sich, auf der bei Niedrigwasser schon so manches Schiff aufgelaufen war. Durch die Balken – sie erstreckten sich auf eine Breite von etwa einer Viertelmeile – verwandelte sich die Passage nun auch bei Flut in ein tückisches Schiffsgrab.
Die letzten Handgriffe wurden getan. Die Boote hatten wieder am Ufer eines Prieles angelegt, die Männer enterten die Sandbank und wanderten zwischen den Pfählen herum, um noch einmal alles gründlich abzusichern.
Lüder Groot-Jehans Gefolgschaft bestand in erster Linie aus seinen Vettern Jode, Jan und Uwe, die untereinander Brüder waren, sowie aus seinem Schwager Willem, Onno und drei anderen „Zugewanderten“. Willem war mit Grete, Friedas Tochter, verheiratet.
Grete, die mit Herma und anderen Frauen und Mädchen am Strand von Norderney stand und verfolgte, was sich im Watt abspielte, war also sozusagen Lüders Halbschwester – was ihn nicht davon abgehalten hatte, auch ihr den Hof zu machen. Davon allerdings wußten weder Willem noch Frieda etwas, sonst hätte es mächtigen Ärger gegeben.
Bei Karl Lütt-Jehan befanden sich die Vettern Heino, Pit, Friedhelm und Brüne, außerdem fünf weitere Männer, deren verwandtschaftliches Verhältnis zu Karl unklar war. Gerlinde, Karls Base, und gut zwei Dutzend andere Mädchen und Frauen hatten sich am Strand von Baltrum eingefunden, um jede Phase des Geschehens verfolgen zu können.
Frieda – sie war hager und knochig und hatte ein vogelartiges Gesicht – hockte im Bug ihres Bootes und spähte aus wachsamen Augen zu Lüder und Karl. Sie wollte ganz sichergehen, daß die Waffenstillstandsregeln auch wirklich nicht verletzt wurden. Wenn Karl Lüder beispielsweise ein Bein stellte, war es aus mit dem Frieden.
Aber die „Brüder“ benahmen sich anständig und gaben sich gegenseitig keinen Anlaß zum Streit.
Nur Eberhard äugte hin und wieder arglistig zu Frieda hinüber und suchte nach einer Möglichkeit, sie ein bißchen zu ärgern. Er war ein riesengroßer Mann mit gerötetem Gesicht und einer Knollennase, sein Alter wurde auf achtzig Jahre geschätzt, doch präzise Daten ließen sich auch hierüber nicht finden. Auch im hohen Alter konnte Eberhard noch ziemlich fuchtig werden, wenn ihm etwas nicht paßte. Dann war er imstande, sogar seinem Liebling Karl eine Maulschelle zu verpassen.
Frieda nickte zufrieden und sagte: „Gute Sache, das. Jetzt, in den schweren Winterstürmen, gerät wieder so manches Schiff in Not. Heute abend kriegen wir Nebel, und bei der hohen See fällt jedem Kapitän die Orientierung schwer. Wenn der Wind weiterhin aus Norden bläst, machen wir noch heute nacht dicke Beute, das ist mal sicher.“
Eberhard Lütt-Jehan stützte sich auf seinen Eichenwurzel-Handstock und glich die Bewegungen des Bootes geschickt mit den Beinen aus.
„Tja, Frieda“, sagte er gemütlich. „Du mußt das ja wissen. Du bist schließlich so ’ne richtige Groot-Jehan.“
Sie warf ihm einen mißbilligenden Blick zu und zischte: „Fängst du wieder an? Du kannst es wohl nicht lassen, was? Aber mich kannst du nicht reizen. Wir Groot-Jehans sind sowieso die Schlaueren. Mein Lüder hat die Idee mit der Falle gehabt.“
„Hoffentlich stellt er sich nicht selbst ein Bein“, sagte der Alte und kicherte. „Er treibt so allerhand, dein Lüder, wie ich hörte, und irgendwann bricht ihm das noch das Genick.“
„Wie meinst du das?“ Frieda war hellhörig geworden.
„Och, nur so.“
„Ja? Paß man auf, daß du dir nicht selbst das Maul verbrennst. Bei uns am Haustor hängt Klusmeier seine Leiche – als Mahnung. Das muß noch aufgeklärt werden, mein Alter.“
Diesmal wurde Eberhard giftig. „Nun aber mal langsam. Mit Klusmeiers Tod haben wir nichts zu tun.“
„Das kannst du mir nicht einreden.“
„Frieda – ich kann es beschwören“, sagte der Alte, und plötzlich wurde er sehr ernst.
„Pah, auf deinen Eid gebe ich nichts.“
Er schluckte es und entgegnete sofort: „Klusmeier ist in der See ertrunken, es hat keiner nachgeholfen. Brüne will ihn in seinem Boot gesehen haben. Die Wellen haben das Boot kentern lassen, und vielleicht hat Klusmeier das Dollbord auf den Kopf gekriegt, so daß er die Besinnung verloren hat. Dann wurde seine Leiche vom Meer angespült.“
„Und das Boot?“ zischte Frieda aufgebracht. „Ist das vielleicht verschwunden? Es hätte doch wohl auch angeschwemmt werden müssen, oder?“
„Deubel“, brummte der Alte. „Das ist auch mir unerklärlich. Aber ich hoffe, daß es irgendwann wieder auftaucht.“
„Das hoffe ich auch, und wie!“ stieß Frieda hervor.
Die Groot-Jehans und die Lütt-Jehans hatten unterdessen ihre Arbeiten an der Falle abgeschlossen und kehrten zu ihren Booten zurück.
„Jetzt brauchen wir bloß noch abzuwarten“, sagte Lüder. „Für uns ist es die beste Erntezeit, ich schlage vor, daß wir Wachen einteilen.“
„Einverstanden“, sagte Karl. „Taucht ein Schiff auf, dann weisen wir ihm den Weg, indem wir am Strand Laternen schwenken.“
Lüder lachte. „Ja. Wir können auch Feuer entzünden, das ist noch ein Stück weiter draußen zu sehen. Na, wir werden den verirrten Seefahrern schon als Lotsen dienlich sein, wenn der Wind weiter so schön auflandig weht.“
„Pullen wir jetzt zum Ufer zurück“, schlug Karl vor. „Bald setzt die Flut ein, und es dauert auch nicht mehr lange, dann wird es dunkel.“
„Halten wir die Augen offen“, sagte Lüder. „Gut möglich, daß es eine feine Nacht für uns wird.“
So pullten sie in ihren Booten zurück, die Groot-Jehans zum Ostufer von Norderney und die Lütt-Jehans zum Westufer von Baltrum. Hier nun wurden Reisig und Holzscheite aufgeschichtet, wobei auch die Frauen und Mädchen eifrig mithalfen. Sie alle malten sich bereits aus, wie es sein würde, wenn das erste Schiff durch die Passage segelte. Es würde mit seinem Rumpf über die Eisenspitzen der Balken schrammen und ihn sich aufschlitzen, und bei ablaufendem Wasser saß es dann völlig fest. Durch das Gewicht drückten sich die Eisenspitzen weit durch den Rumpf, und am Ende saß das Schiff fest, abgepallt wie auf einer Werft.
Der Wind nahm wieder etwas zu, ohne seine Richtung zu ändern. Die Flut stellte sich ein, höher stiegen die Wogen der aufgewühlten See. Die Friesenfalle lauerte auf ihr erstes Opfer, das Verhängnis konnte seinen Lauf nehmen.
Die Schritte der Männer hallten von den Hausmauern im Hafenviertel von Plymouth wider, zielstrebig hielt der Trupp auf die „Bloody Mary“ von Nathaniel Plymson zu. Der Seewolf hatte sich und seinen Männern noch einmal Landurlaub gegeben, denn erst in der Frühe bei Sonnenaufgang würde die „Isabella IX.“ auslaufen.
Der Abend galt dem Abschied von Cornwall – und auch die Crew des Wikingers ging mit, um noch mal „richtig einen hinter die Binde zu kippen“, wie der Boston-Mann lachend gesagt hatte.
Während sie auf Plymsons Kneipe zusteuerten, wurden wieder Vermutungen über die geheime Order angestellt.
„Es geht bestimmt in die Ostsee“, sagte Dan O’Flynn, der neben Hasard marschierte. „Wollen wir wetten?“
„Über so etwas schließe ich grundsätzlich keine Wetten ab“, erwiderte Hasard. „Aber die Wahrscheinlichkeit, daß du recht hast, ist groß, Dan. Nur: Was sollen wir im Auftrag der Königin ausgerechnet in der Ostsee erledigen?“
„Viel gibt’s da nicht zu holen“, sagte Ben.
„Wer sagt denn, daß wir was holen sollen?“ fragte sein Bruder. „Ich könnte mir gut vorstellen, daß wir nur was auskundschaften sollen.“
„Was denn? Einen Seeweg nach China?“ zischte Old O’Flynn. „Hört bloß auf, ihr Stinte, von dem Zeug hab ich die Nase gestrichen voll. Ich will nicht noch mal in so einem Scheißkanal steckenbleiben wie da unten in diesem Elendsland Ägyp …“
„Ruhe im Logis“, unterbrach ihn der Profos. „Wir haben da mal was vereinbart, Donegal. Von den Pharaonen und all dem Dreck wollten wir kein Sterbenswörtchen mehr erwähnen. Halte dich daran, sonst stopfe ich dich aus und hänge dich neben Plymsons Stör über die Theke.“
„Vielleicht führt uns der Törn ja auch nach Schweden“, sagte Stenmark.
„Das könnte dir passen, was?“ brummte Smoky. „Du bist da oben zu Hause. Aber was haben wir da verloren?“
„Den Achtersteven“, entgegnete der Schwede mit schiefem Grinsen. „Bei manchen Leuten sitzt er nicht fest genug.“
„Norwegen ist unser Ziel“, meinte Ferris Tucker. „Daran hat noch keiner von euch gedacht.“
„Nicht so laut“, sagte der Seewolf. „Auch hier könnten die Wände Ohren haben.“ Er deutete auf die steil aufragenden Fassaden in der Gasse, die sie gerade durchquerten.
„Und Finnland?“ flüsterte Blacky. „Wie wär’s denn damit? Ich habe gehört, daß die Mädchen dort ihre Schneeschuhe auch dann nicht ausziehen, wenn sie mit einem Mann ins Bett gehen.“
„Aber ihren Fuchspelz legen sie ganz bestimmt ab“, sagte Sam Roskill, und sofort begannen alle anderen zu lachen.
Jetzt wurden doch Wetten abgeschlossen, denn keiner vermochte sich den Zweck der Reise zu erklären.
Fast hatten sie jetzt die „Bloody Mary“ erreicht, und Hasard wandte sich an Thorfin Njal.
„Hör mal zu“, sagte er. „Du mußt mir einen Gefallen tun. Ich könnte noch drei Männer gebrauchen. Ich habe hin und her überlegt und bin zu dem Schluß gelangt, daß meine derzeitige Crew für ein Schiff der Größe der ‚Isabella IX.‘ immer noch ein wenig zu klein ist.“