Kitabı oku: «Seewölfe Paket 17», sayfa 10
Es war einer der schwärzesten Tage in der Geschichte der Seewölfe.
„Wir segeln weiter nach Rügenwalde“, sagte Hasard tonlos und mit steinernem Gesicht.
Dann nahm er seinen Platz auf dem Achterdeck ein, aber er sah und hörte nichts von den Manövern wie Ankerlichten und Segelsetzen. Er war nicht daran beteiligt und fühlte sich wie ein Fremder auf seinem eigenen Schiff. Auf seinen Brustkorb drückten unsichtbare Gewalten, die ihm die Luft nahmen.
Er drehte sich um und starrte nach achtern, nach Osten, dorthin, wo die See Gary Andrews zu sich genommen hatte. Er sprach kein Wort mehr, und die Männer, die scheu zu ihm hinblickten, bemerkten, daß sein Rücken gebeugt war.
Auf allen Decks herrschte Totenstille. Marionetten standen dort herum, leblose Puppen, denen man die Fäden durchgeschnitten hatte.
Ein Tag zum Verzweifeln.
6.
Der vermeintlich Ertrunkene war wieder bei Bewußtsein. Er fühlte sich ausgeruht, frisch und den Umständen nach ziemlich munter. Seine Lebensgeister waren wieder voll da, und auch an die zurückliegende Zeit vermochte er sich zu erinnern, bis er an den Strand gespült wurde.
Mit wachen Augen sah er sich um und erkannte, daß jemand ihn gefesselt hatte und er in einem merkwürdigen Bau lag.
Ein dämmeriges Erdloch war das, eine stinkende Fuchshöhle, deren Wände und Decke mit fauligem Holz abgedichtet und mit Seegras und trockenem Strandhafer gepolstert waren, damit der Sand nicht zwischen den Ritzen hindurchrieselte.
Ein Geräusch drang ihm in die Ohren. Da war das leise Rauschen, Gurgeln und Knistern, als liefen kleine Wellen gegen einen flachen Strand an, ein unverkennbares Geräusch, das ihm sagte, daß er sich in unmittelbarer Nähe des Strandes befand.
In dem erbärmlichen Loch gab es ein kleines Holzbord. Darauf lag ein zerfledderter Schlapphut, da hing eine alte Jacke, und da lagen auch ein Kanten Brot, ein Stück Salzspeck und ein paar runde Gegenstände, die er schließlich als Eier identifizierte. Möweneier dem Aussehen nach.
Das übelste in dieser stinkenden Behausung war ein merkwürdiges Individuum, das ständig aus einer Kruke soff und beim Ausatmen und Rülpsen einen pestilenzartigen Gestank verbreitete.
Erheitert entsann sich Gary an das Lieblingswort des Profos Edwin Carberry. „Rübenschwein“, sagte der von morgens bis abends.
Natürlich ist ein Rübenschwein ein recht vager Begriff, überlegte Gary, er hatte auch nie darüber nachgedacht, wie so ein Rübenschwein wohl aussehen mochte.
Jetzt wurde ihm der Begriff mehr als verdeutlicht, denn dieses schnapssaufende, rülpsende und mattäugige Individuum, das war ein Rübenschwein, das war der Urbegriff dafür. Genauso und nicht anders hatte man es sich vorzustellen.
Ein Rübenschwein also! So taufte Gary den Kerl in Gedanken dann auch gleich.
Aber was, zum Teufel, fiel diesem verdammten Rübenschwein ein, ihn in diese Rattenhöhle zu schleppen und zu fesseln! Er hatte Hunger und Durst, und er hatte sein Schiff verloren, und nun lag er hier und konnte sich kaum bewegen. Und neben ihm hockte das Rübenschwein mit glasigen Augen, kicherte hin und wieder dämlich und soff diesen stinkenden Fusel aus der Kruke, als wäre es Himbeersirup.
In Gary Andrews stieg die Wut hoch.
Er zerrte wild an seinen Fesseln und brüllte los: „He, was soll das, du Rübenschwein? Warum hast du mich gefesselt? Verdammt, binde mich gefälligst los!“
Stanislaus kicherte verhalten. Er war so betrunken, daß er Gary Andrews bereits doppelt sah. Er verstand auch kein Wort von dem Gebrüll.
Er nuckelte noch einmal an der Kruke, nahm dann ein Entermesser, das Gary erbost als sein eigenes kannte, und zog es in einer international unmißverständlichen Geste quer über seinen Hals.
„Du bist ein Pirat, mein Gefangener, peronnje“, sagte er, immer noch blöde kichernd und lallend. Sein Gesichtsausdruck sprach Bände, der sagte Gary alles. Natürlich verstand auch er kein Wort von dem Gefasel.
„Ah, du bist bescheuert, Rübenschwein“, murmelte Gary, „du hast offenbar nicht alle Mucks im Schapp. Du hast einen doofen Opa, und das hat abgefärbt.“
Der Kerl wedelte wieder mit dem Messer und ließ es dicht an Garys Gesicht vorbeizischen.
Der Bursche ist unberechenbar, besoffen und gefährlich, dachte Gary und verhielt sich vorerst still. Der war nicht ganz dicht im Dachstübchen, und vor solchen Kerlen mußte man sich in acht nehmen.
Stanislaus stierte Gary weiter an, wackelte mit dem Oberkörper und grinste fortwährend, bis es Gary unheimlich wurde. Der Kerl wollte ihn doch nicht etwa abstechen?
Der schuckerne Stanis hatte die Augen schon halb geschlossen. Sein Blick war trübe, verschleiert und glasig. Er quasselte etwas und zeigte dann auf ihn.
Gary wurde hellhörig. Hatte er eben was von „englisch“ oder von „England“ verstanden? Oder hatte er sich verhört?
Er nickte schnell, denn vielleicht ließ sich mit dem Kerl doch noch eine Verständigung arrangieren.
„Ich bin Engländer“, sagte er klar und deutlich und deutete mit dem Kinn auf seine Brust. „Ich heiße Gary Andrews.“
Das schien den Kerl unverständlicherweise kolossal zu belustigen. Er lachte laut und riß das Maul auf, daß Gary hinter seiner Seetangmatte die braunen Zahnstummel sah. Schlimmer als im Leichenschauhaus sah das darin aus, zumal etliche Zähne wirklich nur noch angefaulte Fragmente waren.
Stanislaus lachte noch immer, dann nahm er den nächsten Zug aus der Kruke, die höchstens noch zu einem Drittel gefüllt war.
Durst hatte Gary ja auch, aber nicht auf diesen fürchterlich stinkenden Fusel. Und sein Magen knurrte vor Hunger. Aber der Kerl dachte gar nicht daran, ihm etwas zu geben.
Dafür sprach er wieder ein paar unverständliche Worte.
Gary wurde mißtrauisch. Der Sprache nach war das Rübenschwein ein Pole, und mit denen hatten sie sich gerade in letzter Zeit oft genug herumgeschlagen und Ärger gehabt.
Was konnte der Kerl mit ihm vorhaben? Was wollte er? Etwas Gutes steckte nicht dahinter, sonst hätte ihn der Pole ja nicht gefesselt.
Der Kerl lehnte sich an die Bretterwand zurück, aus der leise feiner Sand in die Höhle rieselte. Er brabbelte jetzt mit sich selbst, hob immer wieder die Kruke hoch und ließ den Inhalt leise gluckern, als wolle er prüfen, ob sich der nächste Schluck überhaupt noch lohnte.
Weil das Rübenschwein jetzt mit sich selbst beschäftigt war, probierte Gary heimlich seine Fesseln. Unmerklich zerrte er daran, doch die Stricke gaben nicht nach. Davon verstand der Kerl etwas.
Die Handfesseln waren hinter seinem Rücken zusammengebunden, da konnte er im Augenblick absolut nichts tun, denn das Rübenschwein fummelte immer noch mit dem Messer herum.
Gary blieb still liegen und starrte in die mit Unrat und Dreck durchsetzte Höhle. Der Fuselgestank begann unerträglich zu werden.
Das Rübenschwein rülpste wieder, lehnte sich halb zur Seite und war jetzt so voll, daß es sich aus eigenen Kräften ganz bestimmt nicht mehr aufrappeln konnte.
Auch sein unverständliches Gebrabbel verstummte. Der Kerl hielt die Kruke in der halb ausgestreckten Hand, das Messer in der anderen und kippte leicht zur Seite. Die Kruke war jetzt leer und Stanislaus bis oben hin voll.
„Kipp doch endlich um“, sagte Gary flüsternd.
Stanislaus tat ihm nach weiteren Minuten den Gefallen. Erst stierte er ausdruckslos zu dem schmutzstarrenden Vorhang am Eingang, dann entrollte ihm die Kruke, und er kippte seitlich weg. Sein Körper drehte sich halb zur Seite. Er versuchte noch einmal, seine vorherige Stellung einzunehmen, doch das klappte ebenfalls nicht mehr, der Fusel hatte ihn umgehauen. Nur das Messer hielt er noch krampfhaft in der Faust.
Gary wartete weiterhin geduldig, bis der versoffene Kerl sich nicht mehr rührte. Dafür begann er zu schnarchen, daß der Sand wieder durch die Bretter rieselte.
Gary wälzte sich vorsichtig herum, um den Schläfer nicht zu wecken. Dann fletschte er die Zähne, drehte sich mit seitlich langgestrecktem Hals zu der Hand hin und packte sein Entermesser mit den Zähnen. Ganz sacht zog er es aus der Faust, während das Rübenschwein weiterschnarchte.
Er richtete sich in Sitzstellung auf, schlenkerte sein Messer mit den Zähnen hinter sich und fummelte dann so lange mit den gefesselten Händen herum, bis er es erreichen konnte. Als er es in der Hand hatte, rutschte er sitzend weiter bis zur Bretterwand, wo der verlauste Kerl schnarchte, daß die Wände wackelten.
Es dauerte endlos lange, bis es Gary gelang, das Entermesser so zwischen die klaffenden Ritzen zu zwängen, daß es einigermaßen festen Halt hatte. Aber er schaffte es nach mehreren Anläufen.
Dann ging er an die Arbeit, hielt die gefesselten Hände über die Klinge und bewegte sie hin und her. Er brauchte sehr viel Geduld und Ausdauer, bis ein Erfolg eintrat, denn immer wieder rutschte die Klinge ab und schnitt ihm in die Handgelenke.
Er fluchte nicht, säbelte weiter und warf immer wieder einen Blick auf das Rübenschwein. Stanislaus lag jetzt der Länge nach ausgestreckt auf dem Boden, den Mund weit geöffnet. Sein verfilzter Bart zitterte und wackelte bei jedem Schnarcher, und die Luft, die er ausstieß, war schlimmer als der Geruch des Fusels, den er in sich hineingekippt hatte.
Plötzlich gaben die Fesseln nach. Seine Hände waren zwar noch nicht frei, doch das schaffte er mit einer letzten Kraftanstrengung. Die Fesseln zersprangen.
Aufatmend lehnte sich Gary zurück, holte ein paarmal tief Luft, packte dann das Messer und zerschnitt die Fußfesseln. Das war nur noch ein Klacks, dann war er frei.
Ruhig und überlegt ließ er erst einmal das Blut durch seine Finger zirkulieren. Den Schläfer behielt er dabei scharf im Auge.
„So, jetzt bist du dran, Freundchen“, knurrte Gary, „jetzt halten wir es einmal umgekehrt.“
Als er sich bückte, öffnete Stanislaus ein Auge. Er schloß es jedoch sofort wieder, denn Garys Jagdhieb an die Schläfe beförderte ihn augenblicklich ins Schnarchland zurück.
Gary drehte ihn auf den Rücken, nahm die Stricke und fesselte dem Kerl die Hände, und das verstand er noch besser als Stanislaus.
Dann waren die Beine an der Reihe, bis Stanislaus wie ein Paket aussah. Er schnarchte jetzt nur noch leise.
Gary sah sich erleichtert um. Der Magen hing ihm bis in die Knie. Er hatte entsetzlichen Hunger und hätte einen halben Ochsen verspeisen können. Der Speck lockte, der Kanten Brot und die Möweneier. Aber zuerst griff er in die Tasche des Kerls, denn er vermißte seine Münzen. Vier fand er noch und steckte sie grinsend wieder ein.
Danach fiel er über die „Vorräte“ des Rübenschweins her, säbelte den Speck ab, schnitt sich Brot mit dem Entermesser und trank die Möweneier aus.
Jetzt kehrten seine Lebensgeister noch nachdrücklicher zurück, und er hätte wieder Bäume ausreißen können. Das war ihm die eine Silbermünze wert, die der Kerl ihm geklaut und vermutlich in Schnaps umgesetzt hatte. Und dafür, daß er ihn gefesselt hatte, mußte er ebenfalls noch ein Opfer bringen.
Gary fand das Knäuel Takelgarn, das der verluderte Gauner ebenfalls an sich genommen hatte, und steckte es wieder ein. Hinter dem Bord fand er eine etwas angerostete Pistole, aber keine Munition dazu. Für einen Bluff war sie aber immer noch gut, und so schob er sie ebenfalls in seinen Gürtel.
Seine Klamotten waren inzwischen so von der eigenen Körperwärme getrocknet, daß sie nur noch etwas klamm wirkten. Daher nahm er auch die alte zerschlissene und wattierte Jacke mit, ebenso den Schlapphut, der auf dem Bord lag.
Als er gehen wollte, entdeckte er noch einen Ledersack, den er ebenfalls mitnahm. Das alles zusammen glich vielleicht die englische Silbermünze wieder aus, dazu gesellte sich noch der Ärger über diesen verlausten Kerl.
So ausgerüstet, pirschte Gary bis an den schmutzigen Vorhang und warf einen Blick ins Freie. Er befand sich in einem Erdloch zwischen den Dünen, einer gut getarnten Behausung.
Sorgfältig sah er sich um, ob niemand in der Nähe war. Alles war still und ruhig, bis auf ein paar kreischende Möwen.
Am Strand blieb er erneut stehen und überlegte. Die „Isabella“ und die „Wappen von Kolberg“ segelten nach Westen, denn sie wollten nach Rügenwalde. Also stand sein Kurs ebenfalls fest. Auch er würde westwärts marschieren, immer am Strand entlang. Das würde zwar eine verdammte Weile dauern, aber einmal würde auch er dort eintreffen.
Auch der längste Weg führte zum Ziel.
Die Sachen hatte er inzwischen angezogen und den Schlapphut aufgesetzt. Als er sich in Marsch setzte, hätte ihn niemand seiner Kameraden erkannt, denn er sah aus wie ein abgefledderter Pennbruder. Zumindest war er eine recht merkwürdige Gestalt.
7.
Unverdrossen marschierte der einsame Mann weiter, doch schon nach zehn Minuten Marsch tauchte der kleine Ort Rixhöft auf, und da wurde Gary stutzig. Er hatte gerade noch so viel Zeit, sich seitwärts in Büsche und Dünen zu schleichen, um nicht gesehen zu werden.
Mißtrauisch beobachtete er die Männer. Es waren Uniformierte, die vor einer Schenke mit einem dicken Zivilisten sprachen.
Kein Zweifel, das waren polnische Soldaten, und denen wollte er nun nicht gerade begegnen. So blieb er in seinem Versteck und beobachtete die Männer, ganz besonders den Dicken, der sehr aufgeregt wirkte und gestenreich immer wieder nach Osten auf die See deutete.
Ihre Stimmen waren für Gary nur ein unverständliches fernes Gemurmel, von dem er absolut nichts verstand.
Geduldig wartete er. Dabei war es sehr interessant, was die Soldaten mit dem Dicken besprachen.
Der Dicke war niemand anders als Pjontek. Er hatte die Soldaten gerufen, nachdem der verrückte Stanislaus den Schnaps mit einer englischen Münze bezahlt hatte.
„Zeige uns mal die Münze“, sagte einer der Soldaten. Er nahm sie Pjontek aus der Hand und betrachtete sie.
„Ja, das ist eine englische Münze“, sagte der Soldat nickend. „Ich habe schon einmal eine solche gesehen.“
„Hier geht etwas Geheimnisvolles vor“, behauptete der Wirt kühn. „Den ganzen Vormittag bis zum frühen Nachmittag lagen zwei Galeonen vor der Küste vor Anker. Ich habe alles deutlich beobachtet. Sie haben drei Boote zu Wasser gelassen und sind pausenlos dicht unter der Küste gesegelt.“
„Und was suchten sie?“
„Das weiß ich nicht, keine Ahnung. Zwei Männer sind an den Strand gesegelt und dort entlanggegangen. Eine lange Strecke sogar, während ihnen das eine Boot ganz dicht folgte.“
Der Dicke schwitzte vor Aufregung, außerdem stand auch er jetzt einmal im Mittelpunkt und wußte allerlei zu berichten, denn die fünf Soldaten hörten interessiert und gespannt zu. Sie gaben ihm sogar die Münze wieder zurück.
„Haben sie Bernstein gesucht?“ fragte der Soldat.
„Das glaube ich nicht. Es muß wohl etwas anderes gewesen sein. Jedenfalls war das eine Schiff ziemlich groß, das andere etwas kleiner. Ich habe so ein Schiff auch noch nie gesehen, aber ich bin sicher, daß das größere das englische Piratenschiff war, das ihr so dringend sucht.“
„Wie sahen die Kerle denn aus?“
„Oh – wilde Gestalten, schwarzhaarig und groß. Einer trug einen Degen, die anderen lange Piratenmesser und Pistolen. Sie sahen so aus, als wollten sie die Dörfer plündern“, erzählte der dicke Pjontek übereifrig. „Und viele Kanonen waren auf den beiden Seglern zu erkennen.“
„Und wo sind sie jetzt?“
„Leider sind sie kurz nach Mittag weitergesegelt, in westlicher Richtung, und die Boote haben sie auch wieder mitgenommen. Aber ist es nicht merkwürdig, daß der verrückte Stanislaus ausgerechnet heute mit einer englischen Münze bezahlt hat? Das muß doch genau untersucht werden!“ ereiferte sich der Wirt.
„Das werden wir auch genau untersuchen, Pjontek. Hast du den schuckernen Stanis gefragt, woher er die Münze hat?“
„Klar, das habe ich sofort gefragt. Ich fragte: ‚Wo hast du die Münze denn her?‘“
„Und was sagte er dann?“
„‚Gefunden, unten am Strand‘, so sagte er wörtlich. Ich fragte ihn noch, ob die Münze vielleicht ein paar Brüderchen hätte, aber ihr kennt ihn ja: Wenn der nichts sagen will, dann lacht er nur immer dämlich und gibt keine Antwort.“
„Vielleicht hat sie einer der Piraten wirklich am Strand verloren“, meinte der eine Soldat nachdenklich.
Pjontek schüttelte schnell den Kopf.
„Verloren kann sie von den Piraten keiner haben“, sagte er schlau, „denn da waren die beiden Piratensegler mit ihren Booten ja noch gar nicht in unserer Nähe. Also muß er sie woanders herhaben.“
Das leuchtete den Soldaten ein. Alle nickten unisono.
„Wo ist der schuckerne Stanis jetzt?“
„In seiner Höhle. Ich habe ihm eine Kruke Schnaps verkauft, und da ist er gleich abgehauen. Wenn er Schnaps hat, dann hockt er sich in die Ecke und säuft so lange, bis die Kruke leer ist. Danach ist er dann total besoffen und pennt seinen Rausch aus.“
Die Soldaten sprachen miteinander, blickten auf das Meer hinaus und fanden alles sehr merkwürdig.
„Kannst du uns seine Behausung zeigen? Wir werden ihm mal einen kleinen Besuch abstatten.“
„Es wird mir eine Ehre sein, euch dort hinzuführen.“ Pjontek dienerte. „Schließlich muß das ja geklärt werden. Vielleicht steckt er mit den Brüdern unter einer Decke.“
„Alles ist möglich“, sagte der Anführer der Fünfmanngruppe. „Dann also los.“
„Ich gehe vor“, sagte Pjontek eifrig. „Hier müssen wir quer durch die Dünen, dann sind wir gleich da.“
Von alledem verstand Gary absolut nichts. Er sah nur, daß die Kerle alle sehr aufgeregt wirkten, daß der dicke Zivilist immer noch mit den Händen fuchtelte und auf die Kerle einredete.
Aber Gary Andrews schwante nichts Gutes. Weil er den Sinn der Gespräche nicht begriff, nahm er an, der verrückte Säufer hätte die Soldaten alarmiert.
Er kauerte sich in seinem Versteck zusammen und kroch fast in den Boden hinein, denn die fünf Soldaten und der Zivilist schlugen seine Richtung ein und hielten fast genau auf ihn zu.
Verdammt, dachte er, ich muß hier weg, ich muß so schnell wie möglich verschwinden, sonst geht es mir an den Kragen.
Sehr dicht gingen sie jetzt an seinem Versteck vorbei. Gary schwitzte Blut und Wasser, doch dann atmete er erleichtert auf, denn der Dicke wechselte den Kurs etwas nach rechts, und so marschierten sie in knapp fünf Yards an ihm vorbei, ohne ihn zu entdecken.
Auffallend eilig hatten sie es, um von dem verrückten Stanislaus zu erfahren, woher die Münze stammte. Aber der Kerl war für die nächste Zeit ganz sicher nicht ansprechbar. Bis der seinen Rausch ausgeschlafen hatte, würde sicher eine Ewigkeit vergehen.
Während er den Kerlen nachblickte, blieb er immer noch reglos in seiner Deckung liegen. Dann wandte er den Blick nach vorn und sah sich die Kneipe an.
Ein paar Leute verschwanden ins Innere der Schenke. An einem langen Holm sah Gary fünf angebundene Pferde, die den Soldaten gehörten. Neben den Gäulen stand ein Posten, den sie als Bewachung zurückgelassen hatten.
Gary Andrews grinste ein bißchen. Es sah verwegen aus, denn in seinem Schädel reifte ein Plan. Wenn er sich auf einen der Gäule schwingen könnte, dann waren seine Probleme der langen Wanderung gelöst, und er war vielleicht noch eher in Rügenwalde als die „Isabella“ und die „Wappen von Kolberg“.
Vorsichtig richtete er sich auf und marschierte zwischen die Dünen. Der Wirt und die Soldaten marschierten immer noch in Strandrichtung. Hin und wieder sah er durch die Dünen nur ihre Köpfe. Dann tauchten sie wieder weg.
Ein Posten, dachte er, ein Mann. Das war für einen Kerl wie ihn zu schaffen, vorausgesetzt, er konnte sich nahe genug an den Mann heranpirschen, damit der nicht ganz Rixhöft alarmierte.
Er sah sich den Kerl genauer an und stellte fest, daß er fast im Stehen schlief und vor sich hin döste. Er hatte sich an den Holm zurückgelehnt und starrte zu Boden, die Augen dabei halb geschlossen.
Die Soldaten konnten ihn jetzt nicht mehr sehen, selbst wenn er sich zu voller Größe erhob.
Neben der Schenke befand sich ein Stall mit offener Tür. Von der Seite her mußte er den Posten umgehen, dann hatte er die besten Aussichten nicht vorzeitig entdeckt zu werden.
Wie eine Schlange bewegte er sich durch den Sand, bis er ein paar Schlehenbüsche erreichte, die ihm weiter Deckung boten.
In diesem Augenblick blickte der Posten hoch und starrte genau in seine Richtung.
Gary blieb stocksteif stehen, als sei er erstarrt. Wahrscheinlich hatte er ein wenig die Äste bewegt. Aber dieser Kerl war mißtrauisch, dem entging so schnell nichts. Erst nach einer Ewigkeit wandte er endlich den Blick ab.
Gary schlich weiter und umging die Schenke in einem riesigen Bogen, bis er sie von der anderen Seite im Blickfeld hatte. Auch dort gab es direkt neben der Schenke eine angelehnte Stalltür.
Wenn er durch den Stall ging und ihn durchquerte, mußte er direkt vor dem Posten stehen und konnte ihn überraschen.
Im Halbdämmer des Stalles befanden sich nur ein halbes Dutzend Schweine, die seinen Eintritt mit Grunzen begrüßten. Schnell glitt er weiter, bis er die offene Tür der anderen Seite erreichte.
Der Posten lehnte immer noch träge an dem Holm neben den Pferden. Aus der Schenke vernahm Gary Stimmen in polnischer Sprache. Auch zwei Frauenstimmen unterschied er.
Er drückte seinen Schlapphut fester ins Gesicht, trat dann lautlos aus dem Halbdämmer und wollte den Posten anspringen, als eins der Pferde hochstieg und laut wieherte, als sei es durch Gary erschreckt worden.
Ihm blieb nichts anderes mehr übrig, als blitzschnell zu handeln, sonst ging alles schief.
Mit einem mächtigen Satz sprang er den Posten an. Der war jetzt aufmerksam geworden, sah den Schatten und duckte sich instinktiv.
Da war Gary heran und schlug zu. Sein Hieb erwischte den Posten jedoch nur an der Schulter, und so entstand ein kurzes, heftiges Gerangel, bis Gary seine Hände wieder frei hatte.
Der nächste Hieb erwischte den Uniformierten an der Schläfe. Der Pole knickte in den Knien ein und brach zusammen. Er fiel auf die Seite und blieb reglos liegen.
Hoffentlich haben sie in der Kneipe nichts bemerkt, dachte Gary und warf einen schnellen Blick zum Strand.
Die Soldaten waren nicht zu sehen, sie beschäftigten sich wohl gerade mit dem verrückten Säufer.
Schnell nahm sich Gary die Waffen aus dem Bandelier des Postens und steckte ihm seine erbeutete rostige Pistole dafür hinein. Er vergaß auch nicht die Pulverflasche und das Säckchen mit den Bleikugeln, das er ebenfalls hastig einsteckte.
Fünf Pferde, dachte er. Nahm er eins, dann würden sie ihn verfolgen, nahm er aber gleich alle fünf, dann konnten sie bestenfalls hinter ihm herlaufen. Bis sie sich neue Pferde besorgt hatten, würde eine ganze Weile vergehen.
Der Posten murmelte etwas und bewegte sich. In der Kneipe rief eine tiefe Männerstimme unverständliche Worte. Für Gary Andrews wurde es allerhöchste Zeit.
Er entschloß sich, alle fünf Pferde zu nehmen, um kein unnötiges Risiko einzugehen. Sie waren mit Satteltaschen behängt und anscheinend gut ausgerüstet.
In rasender Eile band er die Zügel zusammen, schwang sich auf den erstbesten Gaul und knotete die Zügel an das Pferd, auf dem er saß.
Es war wirklich allerhöchste Zeit, denn jetzt öffnete sich die Tür der Schenke, und zwei Männer rannten ins Freie. Eine dicke Frau, wahrscheinlich die Frau des Wirtes, rannte hinterher und schrie laut und gellend. Noch weitere Männer stürmten aus der Schenke und rannten brüllend und schreiend hinter dem flüchtigen Reiter her.
Über die Schulter blickend sah Gary, daß sie die Fäuste schüttelten. Einer hob einen Knüppel auf und warf ihn voller Wut hinter Gary her. Und die Frau zeterte und schrie wie eine Furie, rannte mal hierhin, mal dorthin und benahm sich wie eine Verrückte.
Aber zu diesem Zeitpunkt hatte Gary Andrews bereits die ersten dreißig Yards hinter sich und war nicht mehr einzuholen.
Er sah auch, daß sich der Posten wieder aufrappelte und nach seinem Bandelier tastete. Doch dort steckte nur die verrostete Pistole, die er jetzt herauszog und abdrückte.
Da kannst du lange drücken, Junge, dachte Gary belustigt. Aus der wird sich nie wieder ein Schuß lösen.
Die Hufe donnerten über den Boden. Die Rosse schnaubten und rannten, als sei der Teufel hinter ihnen her.
Gary Andrews drehte sich grinsend im Sattel um. Die Freiheit winkte, er fühlte sich wie neugeboren.
„Arwenack!“ brüllte er aus voller Lunge. „Arwenack!“
Wie ein Gewittersturm fegte er durch die Dünen, daß der Sand nach allen Seiten hoch aufspritzte, zum Strand hinunter und galoppierte weiter am Wasser entlang westwärts.
Es sollte doch mit dem Teufel zugehen, wenn er seine Kameraden nicht wiederfand.
Von alledem hatten die Soldaten und der dicke Wirt nichts bemerkt. Das Geschrei und Gezeter drang nicht mehr an ihre Ohren. Sie waren schon zu weit vom Ort des Geschehens entfernt.
Pjontek blieb stehen und deutete auf einen Hügel zwischen den Dünen, der sich von den anderen nur dadurch unterschied, daß er dreckiger war und in der Nähe Unrat herumlag.
„Hier ist es“, sagte er und deutete unter einen Überhang aus Strandhafer und scharfem Gras.
Die Soldaten umstellten das schmutzstarrende Loch. Einer ging vor und fetzte angewidert den schmutzigen Vorhang zur Seite. Dahinter war es dunkel wie im Kohlensack.
Aus dem Erdloch drang ein Schnarchen, so entsetzlich laut, daß der Soldat verdattert stehenblieb, sich bückte und in der Finsternis etwas zu erkennen versuchte.
„Rauskommen!“ brüllte er mit Donnerstimme. „Sofort raus aus dem Loch, oder wir schießen!“
Durch das Gebrüll wurde das Schnarchen abrupt unterbrochen. Doch einen Lidschlag später setzte es wieder mit unverminderter Heftigkeit ein und wurde sogar noch schlimmer.
„Eine Frechheit ist das!“ schrie der eine der vier Soldaten.
Noch einmal brüllten sie in das Erdloch hinunter, und nach jedem Schrei wurde das Geschnarche unterbrochen, setzte aber gleich darauf mit urweltlichem Getöse wieder ein.
Einer der Soldaten hielt die Muskete in das Erdloch und fetzte die Reste des Vorhangs endgültig herab. Dann gewöhnte er seine Augen an das Halbdämmer und sprang einen Schritt vor.
Auf dem Boden lag zusammengekrümmt eine schmutzige Gestalt.
Angewidert deutete der Soldat auf den Säufer und fragte: „Ist er das, Pjontek?“
Pjontek schob sich in den stinkenden Bau und nickte.
„Aber der Kerl ist ja gefesselt“, sagte er verwundert. „Wie hat er das denn fertiggekriegt?“
„Das war bestimmt nicht er selbst, du Blödmann. Aber das werden wir gleich erfahren.“
An den Fesseln schleifte er das schnarchende Bündel hart nach oben. Dann warf er den verrückten Stanislaus in den Sand und knotete die Fesseln auf. Während der ganzen Prozedur schlief Stanislaus immer noch, murmelte nur etwas und schnarchte weiter.
„Den kriegen wir nicht wach“, sagte ein anderer Soldat. „Da werden wir wohl Geduld aufbringen müssen.“
„Wir können ihn ja so lange wässern, bis er wieder wach wird“, schlug der dritte Soldat vor. „Entweder er ersäuft dabei, oder er wird reden.“
„Gute Idee.“
Sie lachten roh, krempelten Stanislaus dann die Taschen um und suchten nach weiteren Münzen. Der vierte Soldat durchsuchte inzwischen den stinkenden Strandbau. Auch er fand nichts.
„Keine Münzen mehr“, meldete er, „oder aber er hat sie irgendwo vergraben.“
„Das werden wir gleich wissen.“
Zu zweit schleppten sie den schukkernen Stanis an den Beinen zum Wasser hinunter, stießen und knufften ihn und versuchten, ihn wach zu kriegen. Doch Stanislaus hatte einen Schlaf wie tausend Tote. Er zuckte nicht einmal mit der Wimper.
Da warfen sie ihn lachend in hohem Bogen in die Ostsee. Zwei Soldaten sprangen hinterher und tunkten ihn, bis er zum erstenmal zu prusten begann.
„Langsam wird er wach“, sagte der eine.
Stanis kriegte ein paar saftige Ohrfeigen, wurde wieder gewässert und kriegte keine Luft mehr. Da begann er zu zappeln und wachte endlich auf. Seine Augen waren blutrot, sein Schädel dröhnte wie eine Glokke, und er konnte nicht stehen. Immer wieder kippte er ihnen weg.
„He, du Säufer!“ schrien sie. „Bist du jetzt endlich wach, oder sollen wir dich absaufen lassen?“
Die Reaktion war ein lautes Rülpsen.
Die zweite und dritte Ohrfeige warfen Stanislaus von den Beinen, und er landete erneut aufklatschend @ Wasser. Sie gingen nicht gerade rücksichtsvoll mit ihm um, und sie wasserten ihn so lange, bis er taumelnd auf den Beinen stand und kaum noch atmen konnte.
Ein Fußtritt warf ihn wieder in den Sand. Der erste Soldat riß ihn gleich darauf hart auf die Beine und schnauzte ihn an.
„Du wirst jetzt reden, Stanis, und du wirst alles sagen, was wir wissen wollen. Und spiel nicht den Verrückten. Wenn du unsere Fragen nicht beantwortest oder nur dämlich grinst, dann wird die Ostsee hier dein Friedhof. Wir werden dich wie eine Katze ersäufen, wenn du uns anlügst.“
Stanislaus stand schwankend da. Die Gesichter um ihn herum waren doppelte Scheiben, die er nicht unterscheiden konnte. Auch die Uniformen sah er in allen Farben schillern. Er wußte aber, was die Glocke geschlagen hatte, denn die Soldaten fackelten nicht lange, und sie würden ihre Drohung ohne weiteres augenblicklich in die Tat umsetzen.
Damit er noch nüchterner wurde, erhielt er gleich wieder ein paar Tritte und Ohrfeigen, bis er endgültig wußte, wo es langging.
„Wo hast du die englische Münze her?“
„Ich – ich fand sie.“
Weil sie mit der Antwort durchaus nicht zufrieden waren, stellten sie Stanislaus auf den Kopf und tunkten ihn wieder. Danach setzte es auch noch ein paar Maulschellen.
Diesmal war er so geschafft, daß er kaum noch antworten konnte. Der Fusel war jedoch aus seinem Gehirn gewaschen, denn jetzt hatte er sich kräftig mit Salzwasser vermischt.
„Denk daran, daß du gleich ein toter Mann bist, wenn du nur noch ein einziges Mal lügst“, drohten sie.
„Ich will alles sagen.“
„Beginnen wir mit der Münze.“








