Kitabı oku: «Seewölfe Paket 17», sayfa 9

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Den Kampf gegen das Element Wasser hatte er gewonnen, aber er forderte auch seine allerletzte Kraftreserve. Stöhnend torkelte Gary auf den hellen Streifen zu. Das Wasser bedeckte jetzt nicht einmal mehr seine Knie, schließlich nur noch seine Waden.

Das war der Augenblick, in dem sein ausgelaugter, unterkühlter Körper endgültig streikte und alles verweigerte. Es ging nicht mehr weiter.

Aufstöhnend brach er auf dem hellen Sand zusammen und streckte sich der Länge nach aus. Ein paar neugierige Wellen spielten mit seinem Körper, und eine schaumig anrollende Woge trug ihn mit lautem Schmatzen weiter den Strand hinauf.

Aber da schlief Gary Andrews bereits einen totenähnlichen Schlaf, sah und hörte nichts mehr.

Etwas später weckte ihn die Kälte. Er wußte nicht, wie lange er dagelegen hatte. Er wußte nur, daß er sich am Strand befand und gerettet war. Alles andere zählte vorerst nicht.

Die Kälte brachte jeden Nerv in ihm zum Klingen. Er zitterte, und seine Zähne schlugen hörbar aufeinander. Er mußte weiter auf den Strand hinauf, denn hier blies der Wind zu kalt, hier stäubte pausenlos der Gischt über seinen Körper. Dort in den Dünen konnte er sich verkriechen, da war er einigermaßen geschützt.

Mühsam kroch er auf allen vieren über den Sand, schleppte sich zwischen die Dünen, zog sich an Sanddorn und Strandhafer weiter und erreichte schließlich eine Mulde, die ihn vor dem kalten Wind schützte. Ein dichter Vorhang aus Strandgras bot ihm zusätzlichen Schutz.

Er klapperte zwar immer noch mit den Zähnen und fror entsetzlich, doch das war nichts im Vergleich zum Wasser. Er brauchte seine Kräfte nicht mehr weiter zu verausgaben, er konnte es ohnehin nicht. So ließ er sich in die Mulde fallen und rollte sich zusammen wie ein Igel.

Jetzt habe ich wieder eine Koje, dachte er noch, dann schwanden ihm auch schon die Sinne, und er war übergangslos weg.

Von dem, was sich praktisch in unmittelbarer Nähe abspielte, sah und hörte er nichts mehr.

Es war gut eine Viertelstunde vergangen, als die „Wappen von Kolberg“ und die „Isabella“ die Stelle passierten und weiter Kurs Ost segelten. An jener Stelle war die See fast taghell erleuchtet, denn auf beiden Schiffen brannten überall Lampen. Gerade passierten sie jene Stelle, wo Gary Andrews total erschöpft an Land gewankt und zusammengebrochen war.

4.

Über der riesigen halbmondförmigen Bucht von Danzig war der Himmel verhangen und hatte die Farbe von kaltem Haferbrei. Kühler Wind strich über die Halbinsel Hela. Die Dämmerung kroch nur zögernd über den Horizont.

Das war die Zeit, in der der verrückte Stanislaus seine Strandbehausung verließ und an den Stränden herumstreunte, um nach Treibgut zu suchen oder sich an den ausgelegten Aalreusen der Fischer zu vergreifen.

Von Rixhöft bis Hela und über Putzig, Gdingen bis Danzig kannten sie ihn alle, den verrückten Stanislaus. Im Dialekt redeten sie vom „schuckernen Stanis“. Das bedeutete das gleiche wie verrückt.

Ein Engländer hätte ihn als heruntergekommenen Beachcomber bezeichnet, als nichtstuerischen Herumstreuner, der er auch war.

Sein „Strandpalast“ war ein drekkiges, in die Dünen gegrabenes und mehr als schmuddeliges Erdloch, das er mit Brettern und angeschwemmtem Treibholz abgedichtet und ausgebaut hatte. Hin und wieder rieselte der Sand in sein Erdloch, den Stanislaus dann mit den Händen wieder hinauskehrte.

Als er an diesem grauen Morgen aus dem stickigen Dünenloch hervorkroch, sah er ungewaschen und total verdreckt aus. Seine Haare waren strähnig und verfilzt. Sein Bart ähnelte einer Matte aus vertrocknetem Seetang, und er verbreitete einen Duft um sich, daß selbst ein alter Ziegenbock die Flucht ergriffen hätte.

Der schuckerne Stanis begann den Tag meist mit einem kräftigen Schluck Rübenschnaps zu begrüßen, dann rülpste er laut und vernehmlich, verrichtete sein Geschäft in den Dünen und stromerte am Strand entlang.

Seine Kleidung bestand aus einer schmierigen, fetzigen Hose und einem schwarzgrauen Hemd. Das Hemd hatte er sich aus angeschwemmtem Segeltuch selbst genäht. Daß in dem Segeltuch noch ein Toter steckte, hatte Stanislaus nicht gestört. Er brauchte ein Hemd, der eingenähte Seemann nicht mehr, und so hatte er dem Toten bedenkenlos die letzte Hülle geklaut und ihn wieder treiben lassen.

Heute hatte er keinen Schnaps und auch kein Geld, um sich welchen zu kaufen. Hin und wieder lebte er von Gelegenheitsarbeit, aber dazu hatte er heute ebenfalls keine Lust.

Er starrte nach Westen und sah in weiter Ferne zwei Segelschiffe am Horizont immer kleiner werden. Ihre Segel leuchteten in dem trüben Morgen.

Sein Magen knurrte, und so schlich er sich erst einmal an die in der Nähe von Rixhöft ausgelegten Reusen heran. Vorsichtig sah er sich nach allen Seiten um, um nicht wieder an die erbosten Fischer zu geraten. Sie hatten ihn schon zweimal erwischt und kräftig durchgeprügelt, damit ihm das Räubern verging. Doch das hielt Stanislaus nicht von weiteren heimlichen Aktivitäten ab.

Aus den Dünen stieg gerade eine Möwe auf, und sofort änderte Stanislaus seine Richtung. Etwas später fand er auch das Nest mit zwei Eiern.

Er kickte sie leicht an und soff sie grinsend aus. Und weil er ein boshafter und hinterhältiger Kerl war, füllte er die Möweneier wieder mit Sand auf und legte sie in das Nest zurück, daß sie wie unbeschädigt aussahen. Solche kleinen Lumpereien bereiteten ihm eine diebische Freude.

Als er sich diesmal den Reusen zuwandte und am Strand entlangpilgerte, blieb er plötzlich wie erstarrt stehen und blickte ungläubig in den Sand. Deutlich erkennbar sah er den Abdruck zweier Stiefel. Nach ein paar Schritten verschwand der Abdruck, und es sah so aus, als sei hier einer auf allen vieren durch den Sand gekrochen, denn er sah auch die Abdrücke von Händen.

Eine Weile blieb er reglos stehen und starrte die Spuren an. Dann drehte er sich um und suchte alle Himmelsrichtungen ab.

Niemand war weit und breit zu sehen. Ostwärts lagen im Wasser zwei kleine Fischerboote, zum Westen hin lag sein eigener vergammelter und ewig suppender Kahn vor einem Steinanker.

Wenn die Leute auch immer sagten, Stanislaus sei ein rappeliger Wirrkopf, der vom vielen Dösen einen Sonnenstich gekriegt hätte, so stimmte das nicht ganz. Stanislaus war zwar schucker, wie die Leute von Hela und Umgebung sagten, aber er war ein bauernschlaues durchtriebenes Schlitzohr und durchaus in der Lage, logische Rückschlüsse zu ziehen. Manchmal stellte er sich auch nur dumm, und durch sein dämliches Grinsen verstärkte sich daher der Eindruck, einen Verrückten vor sich zu haben.

Sofort begann er zu überlegen. Dort hinten sah er noch die beiden Schiffe auf Westkurs, hier im Sand war die Spur eines Mannes, die in die Dünen führte. Folglich war der Kerl von einem dieser Schiffe über Bord gefallen, zur Küste geschwommen und hatte sich total erschöpft in den Dünen verkrochen.

Den Kerl wollte er sich unbedingt ansehen. Vielleicht war er schon tot, aber dann konnte er ihn noch ein bißchen fleddern. Ein Paar Stiefel, Hemd und Hose fielen dabei zumindest für ihn ab.

Lautlos schlich er der Spur nach. Als er die Dünen erreichte, kroch er ebenfalls auf allen vieren weiter und folgte der Schleifspur.

Sie führte zu einer Senke, einer Mulde zwischen den Dünen, die mit Strandhafer und Sanddorn dicht bewachsen war.

Stanislaus arbeitete sich heran, lauschte, hörte nichts und schlich weiter, bis er den Rand der Mulde erreichte und einen Blick hineinwerfen konnte.

„Deibel, Deibel auch“, sagte er leise.

In der Mulde lag ein Mann wie tot auf dem Rücken, die Arme seitwärts ausgebreitet, den Kopf zur Seite gedreht. Der Mann war dürr und hager, schien aber sehr stark und zäh zu sein. Das Hemd klaffte offen über seiner Brust, und über der behaarten Brust zog sich quer eine lange Narbe hin. Die Haare des Mannes waren hellblond, der Kopf von länglicher Form mit schmalem Gesicht. Der Kerl trug sehr gute Stiefel, ein sauberes Hemd und eine starke Leinenhose, an deren Seite ein Messer steckte. Er schien schon ein paar Stunden hier zu liegen, denn seine Kleidung begann zu trocknen.

Stanislaus schielte auf die Brust des Schläfers, wo die große Narbe unter den Haaren sichtbar war. Hatte der Kerl sein Leben bereits ausgehaucht?

Nein, der lebte noch, der war entweder bewußtlos oder so erschöpft, daß er noch weitere Stunden schlafen würde. Das Schwimmen in dem kalten Aprilwasser mußte ihn ganz schön geschlaucht haben.

Stanislaus robbte weiter in die Mulde und fixierte den Schläfer, dessen Brust sich regelmäßig hob und senkte. Da er ein vorsichtiger Mann war, gewitzt durch recht üble Erfahrungen, zog er dem Kerl erst einmal das Messer vorsichtig aus dem Hosenbund, an dem die Lederscheide befestigt war. Dann setzte er ihm das Messer so auf die Brust, daß nur noch eine Daumenbreite Abstand bestand.

„He, du!“ rief Stanislaus. „Wach auf, du!“

Keine Reaktion, kein Seufzen, nichts. Der Mann blieb absolut reglos auf dem Rücken liegen.

„Peronnje, wach auf!“ brüllte Stanislaus.

Der Schläfer dachte gar nicht daran, zu erwachen. Er war in eine Welt abgetreten, wo Worte ungehört verhallten.

„Auch gut“, sagte Stanislaus heiser und grinste habgierig. „Wollen wir das Vögelchen doch mal ins Nestchen bringen.“

Zuerst jedoch steckte er das Messer ein. Dann drehte er den Schläfer in eine Art Hockstellung, schob sich halb unter ihn und lud sich die Last auf den Rücken. Taumelnd stand er dann auf den Beinen und fluchte leise.

Verdammt, so hager der Kerl auch war, er schien Knochen aus Eisen zu haben und war verflucht schwer. Der bestand nur aus Muskeln und Sehnen. Kein Gramm Fett war an ihm, aber seine Muskeln waren hart wie Stein.

Stanislaus torkelte mit seiner Last durch den Sand, seinem „Palast“ entgegen, den er nachts schon am Geruch orten konnte, wenn er, total besoffen vom Rübenschnaps, seine Behausung suchte.

Ächzend ließ er den Mann fallen, der immer noch nicht erwachte und sich wieder der Länge nach ausstreckte.

Danach peilte Stanislaus noch einmal die Lage, um den Mann ungestört filzen zu können. Leute ließen sich bei seiner Behausung sowieso nur selten sehen, weil sie immer befürchteten, von dem verlotterten Beachcomber angebettelt oder beklaut zu werden. Und auch diesmal sah er weit und breit niemanden.

Schnell huschte er wieder in sein Erdloch zurück, fand den Schläfer unverändert daliegen und filzte ihm erst einmal die Taschen. Das Messer hatte er schon. Jetzt fand er eine Rolle Kabelgarn in der rechten Tasche. Enttäuscht legte er sie auf ein vergammeltes, aus Treibholz hergestelltes Bord, an dem ein dreckiger Schlapphut und eine ausgefranste, schmierige Jacke hingen.

Die andere Hosentasche war wesentlich ergiebiger. Es klimperte hell, als Stanislaus mit der Hand hineinfuhr.

Münzen! Das war ein klingender Begriff. Münzen ließen sich in Rübenschnaps umsetzen.

Fünf Münzen waren es, aus Silber, die er auf seine ausgestreckte Handfläche legte und gierig betrachtete. Dazu kicherte er, und über sein verwittertes, bärtiges Gesicht zog ein heller Schimmer der Freude. Soviel Münzen auf einem Haufen hatte er schon lange nicht mehr gesehen.

Allerdings sagten ihm diese Münzen nichts, er kannte sie nicht, aber der dicke Pjontek, dem die Kneipe in Rixhöft gehörte, der nahm sie ganz sicher. Der nahm alles, was nach Silber oder Gold aussah.

Und Stanislaus selbst nahm alles, was nach Schnaps aussah oder so ähnlich roch. Er kicherte wieder und sah sich im Geiste bereits mit einer Schnapskruke bewaffnet in seiner Hütte sitzen. Und weil diese Vorstellung immer plastischer wurde und ihm bereits das Wasser im Mund zusammenlief, faßte er den Entschluß, wenigstens eine der Münzen in Fusel umzusetzen. Der dicke Pjontek mußte die Kruke aber dafür bis an den Rand füllen.

Hastig steckte er die Münzen ein, warf noch einen Blick auf den Schläfer und sah sich in seinem Erdloch um. Falls der Kerl erwachte, konnte er kaum etwas klauen, außer vielleicht die alte Jacke oder den Schlapphut. Mehr war bei ihm nicht zu holen, nur noch ein Stückchen Speck und ein paar Möweneier.

Gleich darauf zog er los, grinsend und voller Vorfreude. Die Münzen hatte er so verteilt, daß sie nicht klimperten und keiner mißtrauisch wurde, wenn man ihn mit soviel Geld sah.

Zehn Minuten lief er, dann war er in Rixhöft und steuerte auf die Kneipe zu. Er flitzte sabbernd hinein und wartete ungeduldig, bis der dicke Pjontek aus der Küche erschien und ihn stirnrunzelnd musterte.

„Kannst du Schwein dich nicht wenigstens einmal waschen?“ fuhr er Stanislaus an. „Du verstinkst mir ja die ganze Schenke. Wenn du hier bist, traut sich stundenlang niemand mehr rein.“

„Geld ist Geld“, sagte Stanislaus grinsend, „und wenn einer stinkt und Geld hat, dann ist er dir doch lieber, als wenn er nicht stinkt und dafür kein Geld hat.“

Das konnte der schwammgesichtige dicke Pjontek allerdings nicht abstreiten.

Stanislaus tat so, als suche er endlos lange in seinen Taschen, dann brachte er die Silbermünze heraus und legte sie auf den Tresen. „Kriege ich dafür eine Kruke Rübenschnaps? Aber eine große, bis an den Rand gefüllte!“

Pjontek nahm die Münze, blickte lange darauf und sah dann den schuckernen Stanis an.

„Na gut“, sagte er endlich, „obwohl sie ja eigentlich nicht soviel wert ist.“

„Die ist viel wert, die ist aus Silber“, widersprach Stanislaus.

„Das ist eine englische Münze, verstehst du? Und die sind nicht soviel wert“, log der Dicke. „Aber wenn du mir nicht glaubst, dann kauf deinen Schnaps doch woanders.“

„Ich glaub dir ja, Pjontek, aber ich will trotzdem eine ganz volle Kruke dafür.“

Zehn Kruken Rübenschnaps dürfte sie wert sein, überlegte der Wirt. Ein feines Geschäftchen für ihn. Aber da brannte ihm noch eine Frage auf der Seele.

„Wo hast du die Münze denn her?“ fragte er lauernd.

„Gefunden.“

„Und wo?“

„Unten am Strand“, sagte Stanislaus kichernd.

„Das ist aber merkwürdig“, meinte Pjontek. „Ich habe gerade gehört, daß man einen englischen Segler in der Danziger Bucht gesichtet hat. Wahrscheinlich ist das ein Piratenschiff. Und du findest gleich darauf diese Münze! Hinter dem Piratenschiff sind unsere Leute wie die Wilden her. Und ein zweiter Segler ist auch noch dabei, und den hat man von den Polen gekapert. Sehr merkwürdig ist das. Hat der Silberling vielleicht noch ein paar kleine Brüderchen?“

Stanislaus sah zu, wie der Wirt die Kruke füllte, hörte selig, wie es glukkerte, und war mit seinen Gedanken nur noch bei dem Fusel.

Er grinste dämlich und begriff offenbar nicht; was der dicke Pjontek meinte.

„Schnaps“, sagte er kichernd, „hei, wie das riecht! Machst du die Kruke auch wirklich ganz voll?“

„Jaja, natürlich“, knurrte der Wirt ungeduldig. Seine Frage wiederholte er nicht, denn der verrückte Stanislaus würde ihm doch keine vernünftige Antwort mehr geben. So war er froh, daß der alte Stinker endlich beseligt abzog und dabei die Kruke wie ein Wickelkind umklammerte.

Stanislaus hatte es jetzt furchtbar eilig, denn mittlerweile war dem verlausten Beachcomber ein Licht aufgegangen, und das brannte so hell wie eine Fackel. Er überlegte angestrengt, und er glaubte, seine Gedankengänge knistern zu hören.

Ein polnischer Soldat hatte einmal über Stanislaus gesagt, falls man durch seine tiefsten Gedanken und Überlegungen waten würde, dann kriegte man nicht einmal feuchte Schuhe.

Sollten sie von ihm denken, was sie wollten. Er gestattete sich einen schnellen Schluck aus der Kruke, leckte sich die Lippen und rannte weiter, bis er bei seiner Behausung war.

Dort hätten sich die Schwätzer allerdings über den verrückten Stanislaus gewundert, denn der ging ganz systematisch vor. Vorsichtig stellte er die Kruke auf den Boden, überlegte es sich dann aber anders und stellte sie auf das Bord. Von dort nahm er auch ein faseriges Tau und schlang es dem immer noch Bewußtlosen blitzschnell um die Arme. An den Handgelenken verknotete er das Tau und verfuhr dann genauso mit den Beinen des Mannes.

So, das ist erst einmal erledigt, dachte er zufrieden. Jetzt konnte er einen kleinen gurgeln.

Genußvoll setzte er die Kruke an und spülte einen weg, ließ gluckern, holte Luft, soff weiter und würzte den stinkenden Rübenschnaps mit wohligen „Ahhs“ und „Ohhhs“.

Noch einmal schaute er sich die Münzen an. Vier Stück hatte er jetzt noch, das waren vier volle Kruken Rübenschnaps.

Ja, es waren alles englische Münzen, und sie sahen eine wie die andere aus.

Sein Blick fiel auf den Schläfer. Demnach schien dieser Kerl also ein Engländer zu sein. England, was, zum Teufel, war das, und wo mochte das wohl liegen? Stanislaus hatte davon noch nie gehört.

Aber soviel anders sahen diese Engländer anscheinend nicht aus. Na ja, hellblond und hager, ein bißchen dürr, aber solche gab es auch in Polen.

Dieser Mann schien jedenfalls sehr wichtig zu sein und eine große Rolle zu spielen, denn seine Landsleute waren wie wild hinter den Kerlen her. Und Piraten waren sie!

Stanislaus kicherte verhalten. Wenn die Polen so scharf auf die Engländer waren, dann konnte er ihnen diesen Kerl ja regelrecht verkaufen. Er brauchte ihn nur auszuliefern, denn von nun an betrachtete er den englischen Piraten als seinen Gefangenen. Ha, da war ihm endlich mal der große Wurf gelungen. Und wenn sie ihm nicht glaubten, dann würde er einfach behaupten, daß dieser Mann von dem englischen Schiff stamme. Er selbst habe gesehen, daß der Kerl über Bord gefallen und dann an Land geschwommen sei. Jawohl, und das würde er jederzeit auf seinen Eid nehmen. Sollte der Kerl mal was dagegen sagen. Kein Mensch würde ihm glauben.

Zufrieden griff er nach seiner Kruke und gurgelte einen langen Zug hinunter. Seine Augen begannen zu leuchten. Stanislaus malte sich seine Zukunft in schillernden Farben aus, und die verhieß nichts anderes als eine Riesenkruke Rübenschnaps, aus der er bis ans Ende aller Tage saufen konnte.

Einen Vorrat würde er sich anlegen, überlegte er, oder sich selbst einen Apparat bauen, um den Schnaps zu gewinnen. Die Rüben dazu konnte er sich ja nachts bei den Bauern auf den Feldern klauen.

Dieser Tag war so ganz nach seinem Herzen, ein Feiertag war das, ein Glückstag, doppelter Sonntag. Er mußte nur verdammt vorsichtig zu Werke gehen.

Die Spuren mußten verwischt werden, das überlegte er noch, bevor er sich wieder mit der Kruke beschäftigte, deren Inhalt jetzt doch merklich abnahm.

Wieder warf er einen Blick auf seinen Gefangenen. Er konnte ihn über die Putziger Wiek mit dem kleinen Boot hinüber nach Gdingen bringen, wo die polnischen Soldaten waren – seine Landsleute.

Daß sie ihn kaufen würden, stand außer Zweifel. Er mußte jedoch einen guten Preis herausschlagen.

Als er wieder zur Kruke griff, war sein Gehirn schon leicht umnebelt, doch er hatte noch so viel Verstand, daß er die Kruke gleich wieder absetzte.

Die Spuren am Strand durfte er nicht vergessen, denn die waren wichtig. Es war nicht nötig, daß jemand sie entdeckte.

Er torkelte aus seinem dreckigen Erdloch und ging durch die Dünen zum Strand. Dabei blickte er nach Westen und sah wieder die beiden Schiffe, die er längst hinter der Kimm glaubte.

Jetzt lagen sie vor Anker und setzten gerade Boote aus, die bemannt wurden.

Stanislaus murmelte etwas, dann begann er damit, die Fuß- und Schleifspuren am Strand sorgfältig zu verwischen. Auch seine eigenen ließ er nicht aus, damit niemand Rückschlüsse ziehen konnte. Als er damit fertig war, legte er sich zwischen die Dünen in sichere Deckung und beobachtete, was die Kerle mit den Booten taten.

Sein „gefangener Pirat“ war gut versorgt, um den brauchte er sich vorerst nicht zu kümmern.

5.

Die „Isabella“ und die „Wappen von Kolberg“ lagen um diese Zeit zwischen Rixhöft und Karwen vor Anker.

Hasard hatte die Suche nach Gary Andrews noch lange nicht aufgegeben. Er konnte und wollte sich nicht vorstellen, daß Gary ertrunken war. Er klammerte sich immer noch an ein kleines Zipfelchen Hoffnung, ihn doch noch zu finden.

Die Stimmung war so gedrückt, daß nur wenig gesprochen wurde. Nur hin und wieder fiel mal ein Wort. Selbst der Profos Edwin Carberry schwieg beharrlich.

Smoky, Matt Davies und Blacky schlichen mit hängenden Ohren an Deck umher und fühlten sich schuldig. Insgeheim hoffte zwar jeder von ihnen auch noch, Gary zu finden, doch es sah nicht mehr danach aus. Viel zuviel Zeit war inzwischen vergangen.

Drei Boote waren jetzt auf dem Wasser, eins von der „Wappen“, die beiden anderen von der „Isabella“.

Hasard hatte gerechnet und gerechnet, Dan und Ben hatten ihn dabei unterstützt. Es mußte hier ganz in der Nähe passiert sein, als Gary über Bord ging. Auch die Abdriften und den Wind hatten sie mit in ihre Rechnung bezogen. Nach menschlichem Ermessen gab es keine andere Stelle.

In der großen Jolle saßen Hasard und Dan O’Flynn neben den anderen schweigenden Seewölfen. Pausenlos suchten ihre Blicke die See und den Strand ab.

„Wir segeln von hier aus in langen Suchstreifen nach Osten“, sagte Hasard. „Wir gehen unter Land, um jede Möglichkeit auszuschöpfen.“

„Hoffentlich ist er irgendwo an Land gegangen und hat es geschafft“, meinte Dan inbrünstig.

Auch die Jolle Arne von Manteuffels setzte jetzt Segel, um den Küstenstreifen ostwärts abzusuchen. Die zweite Jolle bewegte sich unter Ferris Tucker weiter draußen auf See. Es blieb nur so viel Platz zwischen ihnen, daß ihren Augen nichts entging, was eventuell in der See trieb.

Hasard sah das ebenfalls besorgte Gesicht seines Vetters, der persönlich an der Suche teilnahm. Die beiden Männer nickten sich schweigend zu.

Die Jollen segelten los. Unzählige Augenpaare blickten angestrengt über das Wasser. Alle Kieker, die es an Bord gab, waren mitgenommen worden.

„Noch weiter unter Land“, sagte Hasard nach einer Weile. „Dort vorn gehen wir an den Strand. Wenn er es geschafft hat, dann müssen im Sand auch Spuren sein.“

„Wir werden ihn finden“, sagte der Profos zuversichtlich. „Gary ist ein guter Schwimmer, der hat es geschafft.“

Er sagte nicht, wie es ihm gerade auf der Zunge lag: Gary war ein guter Schwimmer, aber man hörte doch heraus, daß der Profos trotz aller Zuversicht selbst kaum noch daran glaubte, daß Gary es geschafft hatte. Insgeheim befürchtete er, daß sie bald seine Leiche auf dem Wasser finden würden – wenn überhaupt.

Die große Jolle lief auf den Strand zu. Hasard und Dan sprangen heraus und wateten durch das flache Wasser dem Strand entgegen.

„Segelt langsam weiter!“ rief er den anderen zu. „Wir steigen später wieder ein, wenn wir den Strand abgesucht haben.“

Dan O’Flynn blickte zuerst zurück nach Westen. Aber da war der Strand glatt und ohne Spuren. Hin und wieder fand sich etwas angeschwemmter Seetang, ein paar Muscheln, halbvertrocknete Quallen und ein paar kleine Krebse. Auch kleinere Holzstücke und Angeschwemmtes fanden sich, Dreck, eine verweste Möwe.

Menschliche Spuren jedoch, wie sie ein aus dem Wasser gestiegener Mann hinterließ, fanden sich nicht. Der Strand war glatt, nur mit ein paar kleinen Steinen besät.

„Ich kann es nicht glauben“, sagte Hasard. „Es erscheint mir einfach unwahrscheinlich, daß Gary ertrunken sein soll.“

„Noch haben wir nicht alles abgesucht, Sir“, sagte Dan voller Zuversicht, doch auch die war gespielt.

„Du glaubst doch auch nicht mehr daran“, sagte Hasard.

Dan O’Flynn gab keine Antwort. Starr blickte er in den Sand. Seinen scharfen Augen entging nichts, selbst wenn sich die Spuren weit voraus befunden hätten.

Niemand ahnte, daß sie gerade jetzt die Stelle passierten, wo Gary Andrews an Land gewatet war. Stanislaus hatte die Spuren so sorgfältig verwischt, daß man nichts mehr sah.

Und er hockte in seinem Versteck zwischen den Dünen in nur ein paar Yards Abstand von ihnen, und auch Gary befand sich in unmittelbarer Nähe.

Der Pole lag im Sand, verborgen zwischen Strandhafer und yardhohem Gras, und belauerte sie. Fasziniert starrte er auf die Boote, die dicht unter der Küste ostwärts segelten, aber noch mehr faszinierten ihn diese beiden Männer.

Da kann ich mich nur beglückwünschen, die Spuren rechtzeitig verwischt zu haben, dachte er, denn sonst hätten sie mein Versteck gefunden und natürlich meinen Gefangenen.

Piraten waren das also, englische Piraten. Er hörte, daß sie miteinander in einer Sprache redeten, von der er noch nie ein einziges Wort gehört hatte.

Er starrte ihnen mit großen Augen nach, als sie weitergingen und immer wieder den Strand absuchten. Dann kicherte er leise vor sich hin, weil sie die kritische Stelle längst überschritten und nichts entdeckt hatten.

Ein paar Augenblicke spielte er mit dem verrückten Gedanken, diese beiden Männer ebenfalls gefangenzunehmen. Die Belohnung der polnischen Behörden würde so großzügig ausfallen, daß er bis an sein Lebensende von morgens bis abends Schnaps trinken konnte.

Diese Vorstellung erregte ihn immer mehr, aber er sah auch ein, daß sie bloßes Wunschdenken war. Die beiden Kerle waren groß und sehr kräftig, und selbst wenn er mit ihnen fertig werden sollte, dann waren da immer noch die anderen in den Booten, denen das nicht entgehen würde.

Aber herrlich auszuspinnen war dieser Gedanke, und er stellte sich vor, wie er mit drei gefangenen englischen Piraten nach Gdingen segelte und sie dort bei der polnischen Kommandantur der Miliz auslieferte.

Wie einen Helden würden sie ihn feiern, und sein Name würde in aller Munde sein. Und der Schnaps würde überreichlich fließen. Natürlich nicht der einfache Rübenschnaps, das müßte dann schon ein erlesenes Wässerchen sein, etwa aus Roggen gebrannt, eins, das er sich sonst nicht leisten konnte und das immer nur die hohen Herren soffen.

Berauschend war diese Vorstellung, aber leider undurchführbar, denn so verrückt, die Männer anzugreifen, war er dann doch nicht.

Er verwarf diesen prächtigen Gedanken widerwillig, eben weil er nicht in die Tat umzusetzen war. Er hatte nicht einmal eine Waffe, jedenfalls keine richtige, mit der man etwas anfangen konnte.

Ein paar Wortfetzen, die der Wind herüberwehte, vernahm er noch, ohne etwas davon zu verstehen.

Peronnje, ein Jammer war das. Aber eins stand für ihn fest:

Dieser Pirat, der jetzt gefesselt in seinem Erdloch lag, gehörte zu den suchenden Kerlen. Er war einer von ihnen, und er würde ihn hüten wie seinen Augapfel.

Er blieb reglos liegen und kroch erst auf allen vieren wieder zu seiner Behausung zurück, als er die Männer nur noch ganz klein und sehr weit entfernt am Strand sah.

Hasard ließ immer noch weitersegeln. Während er mit Dan am Strand verzweifelt weitersuchte, segelten die Boote die gesamte Nordküste der Halbinsel Hela und das dazugehörende Seegebiet ab.

Die Suche wurde immer verzweifelter, immer angestrengter, doch von Gary Andrews fand sich keine Spur.

Mittlerweile war es Mittag geworden, die letzte Hoffnung war zunichte.

Hasard setzte sich in den Sand, stützte das Kinn in beide Hände und starrte über das Meer. So blieb er schweigend eine ganze Weile sitzen. In seinem Gesicht erschienen Falten, die sonst nicht dagewesen waren. Seine Lippen waren hart verkniffen.

Nach einer Ewigkeit stand er auf und wischte sich mit einer resignierenden Bewegung über die Augen. Seine Stimme klang rauh und heiser.

„Wir kehren um, Dan. Sage das den anderen. Wir segeln zurück und grasen noch einmal in langen und weiten Kreuzschlägen das Gebiet ab. Weiter östlich werden wir nichts finden, wir sind längst über den Punkt hinaus.“

Dan O’Flynn schluckte hart, seine Antwort bestand ebenfalls nur aus einem unverständlichen Gemurmel.

Er hob müde den Arm und gab den Booten Handzeichen. In allen saßen Männer, deren harte Gesichter Trauer ausdrückten, die aufs Wasser starrten und wie benommen wirkten.

Etwas später segelten sie in langen Schlägen den Törn an der Küste zurück, diesmal weiter auseinandergezogen, bis sie schließlich wieder bei der „Isabella“ waren.

Arne von Manteuffel sah seinen Vetter Hasard besorgt an. Schließlich legte er ihm die Hand auf die Schulter.

„Ein schlimmer Tag“, sagte er leise. „Es läßt sich mit Worten allein nicht ausdrücken.“

„Nein“, erwiderte Hasard, „es läßt sich nicht mit Worten sagen. Ich danke dir für deine Mithilfe, Arne.“

„Die war selbstverständlich. Ich wünschte euch, es wäre anders ausgegangen.“

Auf der „Wappen von Kolberg“ wurde die Jolle etwas später an Bord genommen. Auf der „Isabella“ hievten sie ebenfalls schweigend und in sich gekehrt die Boote an Deck.

Matt, Blacky und Smoky standen mit käsigen Gesichtern an Deck und wußten nicht, wo sie ihre Hände lassen sollten. Sie wagten nicht aufzublicken.

„Was jetzt, Sir?“ fragte Ben Brighton niedergeschlagen.

Er mußte die Frage zweimal wiederholen, ehe der Seewolf antwortete. Sein Blick war leicht verschleiert, getrübt. Er schloß sekundenlang die Augen und stieß die Luft aus.

„Es hofft der Mensch, solang er lebt“, sagte er leise. „Wir haben alles getan, alles versucht. Ich habe keine Hoffnung mehr.“

Sie umstanden ihn schweigend, husteten oder krächzten unterdrückt und wußten nicht, was sie sagen sollten. Das Wissen um den Verlust ihres Kameraden bedrückte sie, Trauer stand in den Gesichtern, in den Augen schimmerte es feucht.

Einmal, im Nildelta, im Kanal der Pharaonen, hatten sie den Verlust ihrer alten „Isabella“ beklagt und fast resigniert. Aber die war nur ein großes Stück Holz gewesen, auf jeder Werft ersetzbar, von jedem Schiffbaumeister wieder neu anzufertigen.

Gary Andrews hingegen war ein Mensch und ein sehr harter Verlust, ein Kamerad, auf den absolut Verlaß war und der jetzt eine riesige Lücke hinterließ. Diese Lücke war nicht ersetzbar, niemand vermochte sie auszufüllen.

Auch auf der „Wappen von Kolberg“ senkten sie die Köpfe, scharrten mit den Füßen und standen schweigend da, denn mittlerweile kannten sie jeden der Seewölfe und konnten mit ihnen fühlen.

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