Kitabı oku: «Seewölfe Paket 17», sayfa 8

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2.

Die Böen fielen immer noch unregelmäßig und hart ein, und am Ruder schwitzte Smoky Blut und Wasser, um jeden Drücker sogleich abzufangen.

Das gelang ihm nicht immer, es war ohnehin eine höllische Schinderei, und es passierte noch einmal, gerade als sich Blacky in seiner Koje – von Alpträumen geplagt – herumwälzte.

Diesmal holte die „Isabella“ stark über, die See tobte über die Decks, und die Luft war mit Zischen und Brodeln erfüllt.

Blacky rutschte durch seine Koje, stieß irgendwo an und hieb wild um sich. Der Schmerz ließ ihn schlagartig wach werden. Genau an der verbundenen Schramme hatte er sich gestoßen.

Mit einem Fluch auf den Lippen sichtete er sich auf.

„Dieser Anfänger!“ brüllte er. „Dem Smoky hau ich die Klüsen dicht, wenn sein Törn rum ist. Dieser verdammte Nachttopfsegler! Wer soll denn dabei noch schlafen!“

Zornerfüllt sah er sich um. Aus dem Quartier drang das Schnarchen der Arwenacks, die der plötzliche Drücker nicht hatte wach werden lassen, und darum beneidete sie Blacky.

Er wußte nicht, wie lange er geschlafen hatte. Im Quartier war alles zeitlos, da schaukelte nur die Ölfunzel vom Deckenbalken und schwang wild und unbändig hin und her.

Wieder blickte er rein zufällig zu der anderen Koje hinüber, doch die war immer noch leer. Nichts hatte sich da verändert.

„Verdammt“, murmelte Blacky leise und starrte in die Koje.

Angestrengt überlegte er, wieviel Zeit wohl vergangen sein mochte, seit er eingeschlafen war und diesen Quatsch geträumt hatte.

Waren es nur Augenblicke gewesen, Minuten oder Stunden?

Er stieg aus der Koje, um sich ganz genau zu vergewissern, daß Gary wirklich nicht gegenüber lag. Die Decken lagen unberührt in der Koje, und nun beschlich Blacky doch ein dumpfes und verdammt mulmiges Gefühl. Ihm wurde unheimlich.

Ohne Rücksicht zerrte er Matt Davies aus der Koje, der auch erst eine Weile brauchte, bis er klar denken konnte.

„Gary ist weg“, sagte Blacky heiser.

Der Hakenmann war über die erneute Störung nicht gerade erfreut und bedachte Blacky mit üblen Flüchen.

„Das hast du doch gerade eben gesagt!“ schimpfte er. „Oder ist das schon länger her?“

„Bestimmt schon viel länger.“

„Glaubst du etwa, daß er über Bord …“ Matt Davies traute sich kaum weiterzureden. Er sah nur, daß Blacky hart und fassungslos schluckte und mit fast irrem Blick immer wieder in die leere Koje stierte, als könne er Gary dort mit seinen Blicken hineinwünschen.

„Los, wir purren die Kerle hoch!“ schrie Blacky. „Und wir durchsuchen gleich das ganze Schiff.“

Auf der friedlich dahinsegelnden „Isabella“ herrschte gleich darauf der gefürchtete Zustand, eine Wuhling, die sich darin äußerte, daß zunächst alle Männer aus den Kojen flitzten und anfingen, das Schiff von vorn bis achtern abzusuchen.

„Der kann doch nicht über Bord sein“, sagte Blacky immer wieder.

Inzwischen waren Hasard, Ben, Carberry und Ferris Tucker auf dem Achterdeck erschienen. Alle waren jetzt auf den Beinen, und zuerst suchten sie das Galion ab.

Aber Gary Andrews war spurlos verschwunden. Es stand mit absoluter Sicherheit fest, daß er sich nicht mehr an Bord des Schiffes befand.

Diese Erkenntnis war so niederschmetternd und erdrückend, daß sie alle die Köpfe hängenließen.

Aber jetzt griff der Seewolf ein und traf in aller Eile die notwendigen Maßnahmen.

Zunächst wurde das Achterdeck hell erleuchtet, und im Schein der vielen Lampen sahen sie sein hartes, kantiges und verbissen wirkendes Gesicht. Die Augen waren gnadenlos und kalt, und seine Stimme hatte einen eisigen, fast metallischen Klang, der ihnen durch und durch ging.

„Bewahrt zunächst einmal Ruhe“, sagte er gepreßt. „Wir werden nicht wie kopflose Hühner handeln. Es steht fest, daß Gary über Bord gegangen ist und niemand sein Verschwinden bemerkte. Darüber wird noch zu sprechen sein. Werft jetzt Holz und Grätings ins Wasser. Gebt der ‚Wappen von Kolberg‘ das vereinbarte Zeichen, daß wir zurücksegeln. Sie werden zwar nicht wissen, warum wir das tun, aber sie werden sich denken können, daß wir gute Gründe dazu haben. Und jetzt zu Gary: Smoky sagt, er hätte ihn als letzter noch einmal gesehen. Das war nach dem Wachwechsel um Mitternacht. Ins Quartier ist er nicht mehr gegangen, sonst hätte ihn da wenigstens einer sehen müssen. Seine Koje ist unberührt, wie wir festgestellt haben. Gary muß also in dem Augenblick außenbords gegangen sein, als wir diese Bö voll nahmen und hart überkrängten. Inzwischen hat es viermal geglast, es sind also zwei Stunden vergangen.“

Dieser letzte Satz hing unheilschwer über ihren Köpfen.

Hasard sah in bleiche und entsetzte Gesichter, in Augen, die fassungslos auf das Meer blickten, in Augen, die wohl wußten, daß es unwahrscheinlich war, einen Mann nach zwei Stunden noch einmal im Meer zu entdecken. Ganz zu schweigen von den zwei Stunden, die sie bis zum vermeintlichen Punkt brauchten.

Das war härter als eins mit dem Knüppel, und er sah ihnen an, daß es jeden schockte und ihnen allen durch die Knochen fuhr.

Smoky stand wie ein Häufchen Elend am Ruder. Ihm war schlecht, und das sagte er auch.

„Ich bin daran schuld, Sir“, sagte er heiser. „Wenn Gary etwas passiert, ist es meine Schuld. Ich habe die Lady viel zu spät abgefangen, weil ich nicht schnell genug angeluvt habe. Ich habe das einfach nicht richtig erkannt.“

Hasard schwieg zu den Selbstvorwürfen. Sein Gesicht verschloß sich noch mehr.

Auf allen Decks brannten jetzt Lampen. Die „Isabella“ war in helles Licht getaucht, das mit seinem Schein auch die See ringsum erhellte.

Der Profos scheuchte die Männer mit Donnerstimme und harten Worten auf die Stationen, und diesmal fluchte er nicht, wie es sonst seiner Art entsprach. Auch packte er gleich mit an.

Den anderen war der Schock so in die Knochen gefahren, daß sie sich wie gelähmt fühlten. Smoky hatte so ein Gefühl im Magen, daß er sich am liebsten übergeben hätte.

Hasard sah, daß das Licht auf der „Wappen von Kolberg“ sofort bemerkt worden war und sie jetzt ebenfalls Anstalten trafen, den Kurs wieder zurückzusegeln.

Gary Andrews ist über Bord gegangen, dachte er wie betäubt. Und das schon vor zwei Stunden!

Gary! Wie lange kannten sie ihn schon? Seit der ersten Stunde, schon von der „Marygold“ her. Matt, Blakky, Smoky und Gary waren die Männer der Stammcrew, der Kern der Seewölfe, zu denen später auch der Profos Edwin Carberry und einige andere gehörten.

Was mußte in diesem von Gott und der Welt verlassenen Mann jetzt wohl vorgehen, überlegte Hasard, wenn er irgendwo zwischen den Wellen einsam um sein Leben kämpfte. Mit Sicherheit verließ er sich darauf, daß man sein Verschwinden sehr bald bemerken würde. Und an diese Hoffnung klammerte er sich auch. Das gab ihm neuen Lebensmut und Auftrieb, das ließ ihn ausharren.

Aber sie hatten sein Verschwinden nicht bemerkt, nichts war ihnen aufgefallen, statt dessen hatten sie sich im Quartier gegenseitig angeödet, nur weil einer eine Schramme und der andere eine Beule hatte.

In Hasard stieg ein nie gekannter Zorn hoch.

„Warum hast du nicht gleich Krach geschlagen, als du merktest, daß Gary nicht in seiner Koje war?“ fragte er Blacky mit harter Stimme.

„Wir – wir dachten, Sir – Gary sei vielleicht auf den Abtritt des Galions gegangen.“

„Das wundert mich, daß ihr sogar gedacht habt“, sagte der Seewolf eisig. „Und dabei blieb es. Ihr mußtet ja um des Kaisers Bart streiten, das war wichtiger. Inzwischen ging wertvolle Zeit verloren.“

„Ich bitte um Entschuldigung, Sir“, murmelte Matt Davies verstört, „keiner hat auch nur entfernt daran gedacht, daß Gary über Bord gehen könnte.“

„Die Entschuldigung lasse ich nicht gelten, sie ist nichts weiter als Geschwätz.“

„Aber Sir …“

„Halt den Mund, Mister Davies, oder ich vergesse mich. Ihr seid zu gleichgültig geworden, euch ist alles egal. Was kümmert euch schon der Nebenmann! Ihr hängt in letzter Zeit etwas im Schlendrian, ihr laßt nach. Aber ich werde euch wieder auf Trab bringen, und wenn wir Gary nicht mehr finden, dann wird sich hier vieles ändern, verlaßt euch drauf! Ich nehme das nicht so hin!“

„Ich habe wirklich geglaubt, Gary sei auf den Abtritt gegangen“, murmelte Blacky heiser und mit gesenktem Kopf. „Jeder verschwindet mal für kurze Augenblicke, und keiner denkt sich was dabei.“

„Du brauchst dich weder zu entschuldigen noch zu verteidigen“, peitschte Hasards harte Stimme auf. „Ihr seid dickfellig geworden, nachlässig und schludrig. Ihr seht nur noch euch selbst.“

Die Männer zuckten zusammen. Hasard sprach zu ihnen mit selten gehörter Schärfe. Erbarmungslos kanzelte er sie ab, bis sich die Köpfe noch tiefer senkten und Beschämung in den Gesichtern stand.

„Sir …“, murmelte Matt Davies.

„Ich will nichts mehr hören!“ brüllte der Seewolf. „Sucht die Schuld gefälligst nicht bei anderen, sucht sie bei euch, und faselt mir nicht ständig die Ohren voll, daß es euch leid tut. Ihr hättet euch früher darum kümmern müssen.“

Wieder zuckten sie zusammen. Jeder hing seinen Gedanken nach, die Gary Andrews galten. Besonders Matt Davies kroch in sich zusammen, denn er hatte eine derartige Situation bereits einmal in aller Härte durchlebt. Auch er war einmal über Bord gegangen und hatte nie geglaubt, daß er es überleben würde. Davon waren über Nacht auch seine Haare grau geworden.

Jeder versuchte, sich in Garys verteufelte Lage zu versetzen. Die Frage, die nicht ausgesprochen wurde, hing ihnen allen auf den Lippen.

Wie lange konnte er durchhalten? Schaffte er es, oder war er längst ertrunken?

Sie sahen dem Seewolf beschämt nach, der erregt auf dem Achterdeck auf und ab ging, den Blick immer wieder auf die See gerichtet. Manchmal streifte er auch ihre Gesichter, und dann spürten sie, wie es ihnen heiß wurde. Immer wieder äußerte er sich mit einer Schärfe, die sie nicht mehr gewohnt waren.

Irgendwo, weit zurück, trieb jetzt ein einsamer Mann im Wasser. Er war allein auf dem Meer, er sah keine Sterne, er konnte sich nicht orientieren und hielt sich vermutlich in der Hoffnung über Wasser, daß sie ihn bald fanden.

Wenn er überhaupt noch schwamm …

Es ging ihnen allen schwer an die Nieren, und vor ihrem geistigen Auge tauchte immer wieder das Gesicht Gary Andrews’ auf, unbekümmert und offen, freundlich und hilfsbereit. Ein Kampfgefährte, der nicht mehr aus ihren Gedanken zu verbannen war.

Gleichzeitig schockte sie das Wissen um die geringe Chance, ihn wiederzufinden. Zwei Stunden waren vergangen, seit er verschwunden war, zwei weitere Stunden würden vergehen, bis sie die Stelle erreichten, wo er über Bord gefallen war. Das hieß aber noch lange nicht, daß sie ihn dann auch fanden.

Ben Brighton und Dan O’Flynn rechneten noch immer fieberhaft aufgrund des zurückgelegten Kurses, welche Position die „Isabella“ hatte, als Gary über Bord gewaschen wurde. Hasard rechnete auch mit. Sein Gesicht war von Trauer und Sorge überschattet. Nach einer Weile deutete er auf die Karte.

„Wir werden das Gebiet um Rixhöft absuchen“, sagte er leise. „Dort muß es passiert sein. Wir setzen jetzt jeden Fetzen Tuch, damit wir so schnell wie möglich dort eintreffen. Ich warte nur noch, bis die ‚Wappen von Kolberg‘ bis auf Rufweite heran ist.“

Dan O’Flynn nickte bestätigend.

„Die Stelle haben wir in etwa“, meinte er. „Es fragt sich nur, wie weit Gary inzwischen abgetrieben worden ist. Ob er in der Finsternis weiter auf See hinausschwamm oder ob es ihm gelang, das Festland zu erkennen. Anhaltspunkte hat er ja keine“, setzte er erbittert hinzu.

Hasard stieß tief die Luft aus und wandte sich ab. Etwas später war die „Wappen von Kolberg“ auf Rufweite heran und segelte fast in gleicher Höhe den alten Kurs zurück.

„Was ist passiert?“ erklang von drüben die vertraute Stimme von Hasards Vetter Arne von Manteuffel.

„Mann über Bord!“ rief Hasard und legte die Hände vor die Lippen, weil der Wind die Worte gleich wieder fortriß. „Es muß etwa auf der Höhe von Rixhöft passiert sein.“

Ein paar Sekunden herrschte Stille, dann fragte Arne von Manteuffel verblüfft zurück: „Das ist ja schon zwei Stunden her. Habt ihr das jetzt erst bemerkt?“

„Leider jetzt erst!“ rief Hasard. Er wollte noch etwas hinzufügen, schwieg dann aber und verkniff sich die harte Bemerkung gerade noch. Später konnte er mit Arne darüber reden.

„Das tut mir leid!“ brüllte Arne. „Gebe Gott, daß wir ihn noch finden. Wir werden die ganze Küste auf den Kopf stellen.“

„Ja, das werden wir“, sagte auch Hasard. Er schien wie von einer schweren Last gebeugt und hoffte inständig, daß Gary es noch eine Weile aushalten würde.

„Jeden Fetzen Tuch hoch!“ befahl er hart. „Danach die Boote klarmachen, daß wir nach dem Ankern sofort suchen können.“

„Aye, aye, Sir!“ schrie der Profos. Auch er war in dieser Nacht ein anderer als sonst. Kein noch so lahmer Scherz kam über seine Lippen, nicht mal ein Wort der Aufmunterung.

Kurz darauf lief die „Isabella“ unter vollem Preß, gefolgt von der ebenfalls voll aufgetuchten „Wappen von Kolberg“.

Blacky und Matt Davies klarierten gerade die Nagelbank. Sie sahen sich mit bitteren Gesichtern an. Blacky heulte fast, so ging ihm das Verschwinden Garys an die Nieren. Aber dem Hakenmann Matt Davies erging es nicht anders. Sie gaben sich immer wieder gegenseitig die Schuld.

„Ich bete für ihn“, sagte Matt schniefend. „Verdammt, hätte ich nur auf dich gehört, als du nach Gary fragtest, Blacky.“

„Und hätte ich nur gleich nachgesehen“, sagte Blacky niedergeschlagen.

Mit dem „Wenn“ und „Hätte“ hatten sie es die ganze Zeit. Aber das ließ sich nicht mehr korrigieren, und so standen sie traurig und mit suchenden Augen an der Nagelbank und blickten immer wieder über die See.

Jeder kannte des anderen Gedanken, aber keiner wagte, ihn offen auszusprechen.

Der Himmel war schwarz und verhangen. Hin und wieder jagte eine Bö heran. Vom Mond war kein Zipfelchen zu sehen, auch kein einziger Stern lugte durch die finstere Wolkendecke. Dazu kam die kabbelige See mit den weißen Schaumköpfen auf den Wellen.

Die starrten sie an wie hypnotisiert und stellten sich vor, daß Gary irgendwo im Dunkel der Nacht, weit weg von hier, seinen aussichtslosen Kampf gegen die Elemente kämpfte. Allein die bloße Vorstellung war schon furchtbar genug. Wie mußte ihm da erst selbst zumute sein, wenn er um sein Leben schwamm. Ohne Ziel und ohne Hoffnung. Niemand hielt das lange durch, da war nicht nur die körperliche Belastung zu stark, das zerrte auch an den Nerven, weil kaum Hoffnung bestand.

Selbst wenn sie die Stelle erreichten, hatten sie ihn noch lange nicht, denn einen Mann in dieser See und dazu bei Nacht und totaler Finsternis zu suchen und auch zu finden, das grenzte schon an ein Wunder.

Eher fand man die verdammte Stecknadel im Heuhaufen.

3.

Gary Andrews war ein Seewolf, und das hieß nichts weiter, als daß er sich nicht einfach verloren gab.

Den Schock, so plötzlich über Bord gegangen zu sein, hatte er inzwischen verkraftet, und er begrub auch gleich darauf die heimliche Hoffnung, daß man sein Überbordgehen bemerkt hatte.

Aus, Ende, das hatte er gerade eben noch gedacht, doch nun nahm er den Kampf ums Überleben auf, wenn es auch wenig sinnvoll erschien. Er war nicht der Kerl, der sich jetzt heulend und zähneklappernd selbst bemitleidete, er war aus Hartholz, aus guter englischer Eiche, und die war hart, knorrig und fest.

Einfach absaufen, und dann war alles aus? No, Sir, dachte er. Ich bin ein guter Schwimmer, und solange ich nur einen Arm bewegen kann, werde ich schwimmen. Wenn es sein muß, bis in alle Ewigkeit.

So sprach er sich selbst Mut zu. Als er durch die Finsternis blickte, glaubte er trotz der Schwärze den Schatten der „Isabella“ doch noch als unförmigen Umriß zu erkennen.

Sie entfernt sich mit einer geradezu unglaublichen Geschwindigkeit, dachte er.

Er sah den Schatten längst nicht mehr, doch in seiner Einbildung existierte er weiter, und er starrte sich die Augen aus. Den Lichtkranz vom Achterdeck glaubte er jedoch noch deutlich erkennen zu können, der von der Hecklaterne herrührte, milchig und verwaschen schien wie der Hof des Mondes an einem diesigen Tag.

Übergangslos fiel er in ein tiefes Tal und begann mit den Armen um sich zu schlagen. Etwas zischte laut, wälzte sich dann heran und hob ihn auf einer schaumigen Woge hoch.

Der ewige Rhythmus der See erfaßte ihn und warf ihn hin und her. Immer wieder schlug das Wasser über ihm zusammen. Wirbel entstanden vor seinem Gesicht, hoben ihn hoch, drückten ihn nach unten. Er sah sie nicht, er fühlte sie nur, wenn sie ihn bereits erreicht hatten. Deshalb fiel es ihm auch schwer, immer rechtzeitig Luft zu holen.

Da war doch noch die Hoffnung, daß auf der entschwindenden „Isabella“ jetzt plötzlich Lichter aufflammten, daß Kommandos gebrüllt wurden, der riesige Schatten herumschwang und auf den anderen Kurs ging.

Einbildung ist das, dachte er nüchtern, bloßes Wunschdenken, denn er hatte die Orientierung verloren und wußte überhaupt nicht mehr, in welche Richtung sich das Schiff entfernte.

Die „Wappen von Kolberg“ war noch lange vor der „Isabella“ verschwunden und damit auch das Licht ihrer Achterdeckslampe.

Es ließ sich nicht leugnen, daß er die Hoffnung jetzt endgültig begraben mußte. Nichts mehr war zu sehen außer den schaumigen Kronen wildbewegter See, die mit tausend Salzarmen nach ihm griff.

Sein anfängliches Drauflospaddeln entsprach seiner ersten Panik, die sich jetzt immer mehr legte. Das Wasser war zwar lausig kalt, fast eisig, doch er war abgehärtet genug, um es eine ganze Weile zu ertragen.

Kühl und überlegt rechnete er sich jetzt eine Chance aus, eine lächerlich einzige nur, aber sie war da. Er mußte es schaffen, Land zu erreichen.

Das einzige, was er wußte, war, daß das Land im Süden lag, und so rief er sich ins Gedächtnis zurück, wie sie gesegelt waren, bevor die Wachablösung erfolgte, und wie die See stand.

Demnach mußte Süden im rechten Winkel zur Wind- und Wellenrichtung liegen. Als er Smoky das Ruder übergab, hatte der Wind aus Westen geweht. Von West her wurde auch das Wellenbild bestimmt.

Also lag er auf dem falschen Kurs“, denn er kriegte die See hart, von der Seite, von der falschen allerdings.

Wieder schluckte er überraschend Wasser, als er sich herumdrehte. verdammt schwierig war das, sich in er Finsternis zu orientieren, denn auch die See spielte ihm einen Streich. Mitunter hatte er das Gefühl, sie würde von allen Seiten gegen ihn anrennen.

Nach und nach drehte er sich so weit im Wasser, bis seine Beine nach Norden zeigten. Er blickte jetzt nach Süden, doch da gab es nichts anderes zu sehen als in den anderen Himmelsrichtungen auch — nur Wasser, Schaum und Finsternis.

Jetzt kriegte er die Wellen von der anderen Seite, und diesmal war es die richtige. Erneut brauchte er eine ganze Weile, um festzustellen, daß er sich auch nicht irrte, denn der kleinste Irrtum in seiner Situation war absolut tödlich. Da würde er nicht zum Land schwimmen, sondern immer weiter auf See hinaus — so lange, bis ihn die Kräfte verließen und er jämmerlich absoff und sein Grab im Baltischen Meer fand.

Im Ententümpel, dachte er, im Heringsteich und wie sie die Ostsee noch bezeichnet hatten. No, Sir, sagte er sich, ein Gary Andrews, der ersoff nicht in einem Heringsteich, der suchte sich sein Seemannsgrab zwischen Korallen, wie es sich gehörte, aber nicht im Baltischen Meer, wo einen die Heringe und Dorsche verwundert anstarrten und wo man mehr auf Grund stand, als man lag.

Er grinste verkniffen und dachte diesen Gedanken zu Ende. War doch ganz lustig, von ein paar Miesmuscheln angestarrt zu werden und sich nach dem Tode vielleicht in der Aalreuse eines knorrigen Fischers wiederzufinden.

Erneut überschwemmte ihn ein hoher, harter Brecher und trug ihn ein ganzes Stück fort.

Verflucht lausig kalt wurde es nun. Die Beine waren schwer wie Blei, die Arme klamm und steif, und nachdem er sich daran gewöhnt hatte, im Wasser zu treiben, kehrte auch die Müdigkeit langsam wieder zurück.

Was mochten sie wohl jetzt auf der „Isabella“ tun? Na klar, die meisten lagen in ihren Kojen und grunzten zufrieden vor sich hin.

Aber Matt und Blacky mußte es doch, verdammt noch mal, eigentlich auffallen, daß seine Koje leer war. Oder waren sie so müde, daß sie sich einfach hinhauten, ohne nach links oder rechts zu sehen?

War ihm ja auch schon passiert, überlegte er. Man knautschte sein „Gute Nacht“ durch die Zähne, zog sich die Decke über die Ohren und war gleich weg. Besonders dann, wenn man die Lady ein paar Stunden bei Nacht durch die See gejagt hatte.

Verdammt merkwürdige Gedanken gingen ihm durch den Sinn. Ernsthaft fragte er sich, was es wohl zum Frühstück geben würde.

Pfannkuchen mit Sirup vielleicht? Vielleicht hielten sie für ihn eine Extraration zurück, weil sie wußten, daß er höllisch ausgehungert zurückkehren würde.

Quatsch war das, ausgemachter Blödsinn. Er dachte an dämliche Pfannkuchen mit Sirup, und dabei kämpfte er um sein Leben, schluckte immer wieder diese kalte, salzige Brühe und versuchte ständig, nicht vom Kurs abzuweichen. Wenn der Wind jetzt unmerklich drehte, fand er sich ohnehin nicht mehr zurecht, denn dann hatte er keinen Bezugspunkt mehr.

Aber diese Gedanken, mochten sie auch noch so verrückt sein, taten ihm wohl und lenkten ihn oft genug ab. Er gähnte mit geschlossenem Mund, bis seine Wangenmuskeln schmerzten.

Dann konzentrierte er sich mit aller Gewalt darauf, das Land im Süden zu erreichen, das noch in so weiter Ferne lag. Wieder rief er sich die Wache auf dem Achterdeck ins Gedächtnis zurück. Zehn oder fünfzehn Minuten nach dem Wachwechsel mußte die „Isabella“ auf den Steuerbordbug gehen, um nicht zu dicht unter Land zu geraten. Demnach konnte das Land eigentlich gar nicht so unendlich weit entfernt sein, redete er sich immer wieder ein. Vielleicht befand es sich schon ganz dicht vor ihm. Er sah es wegen der totalen Finsternis nur noch nicht.

Gary Andrews spürte, daß seine Arme immer schwerer wurden. Seine nach Norden gerichteten Beine lagen nicht mehr waagrecht im Wasser, sondern hingen durch. In den Kniekehlen hockte die Kälte wie Eis, die seine Bewegungen lahmer werden ließ. Bei jedem zweiten Atemzug geriet ihm Wasser in den Mund. Es brannte in den Augen, biß in der Nase und beizte seine Lippen. Hustend und Wasser spuckend schwamm er weiter. Eine Welle hinauf, dann wieder hinunter. Die dritte schlug wirbelnd und schaumig über ihm zusammen und drückte ihn dem Grund entgegen.

Jetzt schmerzte auch sein Nacken von der Kälte, und seine Glieder wurden immer schwerer.

„Da vorn ist die Küste!“ ächzte er. „Nur noch ein paar Kabellängen, dann bin ich an Land!“

Nach einer Weile verlor er auch das Zeitgefühl und wußte nicht mehr, wie lange er nun schon im Wasser schwamm. Es konnten Minuten, aber auch schon Stunden sein – eine Ewigkeit womöglich.

Vom Land war immer noch nichts zu bemerken, und als er sich einmal sinken ließ, fand er unter sich keinen Grund. Danach legte er sich auf den Rücken und ließ sich von den Wellen schieben.

Nach und nach erlahmten durch die Kälte seine Kräfte. Die Arme waren noch schwerer geworden, die Beine bewegte er mitunter kaum noch.

Dann kam die Zeit, da er glaubte, er würde es doch nicht mehr schaffen. Das Land war viel zu weit weg. Er verspürte wieder diese unheimliche Mattigkeit und hatte nur noch den Wunsch, endlos lange zu schlafen, sich auszuruhen. Gleichzeitig wurde auch der Fluß seiner Gedanken träger. Er dachte kaum noch etwas. Alles rückte wie in geisterhafte neblige Fernen. Gleichgültigkeit kam auf, und er hatte den Wunsch, sich einfach sinken zu lassen, aufzugeben, sich nicht mehr abzustrampeln, weil es ja doch nichts mehr einbrachte und keinen Sinn hatte.

Die Zeit tropfte endlos dahin. Eine Woge überrannte ihn. Er Verlor die Orientierung und schloß müde die Augen. Man kann sogar beim Schwimmen schlafen, dachte er schwach.

Aber das war dann auch gleichzeitig das Ende. Noch einmal riß er sich zusammen, stellte entsetzt fest, daß er unwillkürlich die Richtung gewechselt hatte, und verfiel fast in Panik, als er sich nicht gleich zurechtfand.

Ein verrücktes Ding war das. Augenblicklich war er munter und dachte in seiner ausweglosen Situation wieder an Pfannkuchen mit Sirup, als gäbe es nichts Wichtigeres auf der Welt. Dabei aß er sie gar nicht einmal so besonders gern, nur jetzt verspürte er seltsamerweise einen regelrechten Heißhunger darauf.

Solche verrückten Gedanken gingen einem wohl durch den Kopf, wenn man gleich jämmerlich ersoff.

Er schwamm weiter, bewegte sich aber kaum noch. Die Wellen stießen und schoben ihn, hoben ihn hoch, drückten ihn runter, spielten ihr tödliches Spiel mit ihm.

Gary kämpfte gegen sich selbst. Da war schon wieder diese abgrundtiefe Müdigkeit, die Kälte, die Schwäche, die aussichtslose Lage, doch noch das Land zu erreichen, und die geheime Angst, ausgerechnet vielleicht in eine tief ins Land schneidende Bucht zu schwimmen, die kein Ende nahm.

Einmal glaubte er das feine Klingen von weit entfernten Glocken zu vernehmen. Da war auch gleichzeitig ein ständiges Summen, das einschläfernd wirkte. Die Glocken klangen lauter, ihre Schläge waren dumpf und nachhallend, und in seinen Ohren war ein dunkles Brausen.

Er spürte, daß er unterging. Er konnte nicht mehr. Die Kraft fehlte ihm, um Arme und Beine zu bewegen. Es war, als hielte ihn jemand erbarmungslos fest und ließe ihn nicht mehr weiterschwimmen. Oder zog ihn jemand ganz bewußt in die Tiefe?

Er holte tief Luft, denn der Druck auf seinen Lungen wurde immer unerträglicher. In diesem Augenblick schien er von innen her zu explodieren. Statt der Luft sog er Salzwasser in seine Lungen, und ein höllisch brennender Schmerz weckte ihn augenblicklich.

Wie ein Wilder schlug er um sich, hustete, krächzte und spie das brennende Salzwasser aus. Ein rasender Kopfschmerz plagte ihn, und er schnappte mit einem irren Schrei erneut nach Luft, strampelte und begann, wie ein ertrinkender Hund zu paddeln.

Schlagartig erwachten seine Lebensgeister wieder. So deutlich wie eben hatte er den Tod durch Ertrinken noch nie gespürt. Nur noch ein weiterer falscher Atemzug, Wasser anstelle von Luft, und er hätte es nicht mehr durchgestanden.

Verflucht, wo war denn die Küste? Er schwamm doch schon die ganze Nacht. Er konnte jetzt wirklich nicht mehr. Das Leben, das in ihn zurückfloß, hielt nicht lange an, es war nur das Aufbegehren eines Körpers, über den er keine Kontrolle mehr hatte.

Er zitterte wie im Fieber, schüttelte sich, klapperte mit den. Zähnen und riß sich wieder zusammen.

Noch hundert Yards, sagte er sich, dann habe ich es geschafft. Wenn ich dann immer noch kein Land vor mir habe, schaffe ich es nicht mehr, dann laß ich mich in die Tiefe sinken.

Idiotisch, dachte er, als sei er gar nicht er selbst, aber der Kutscher würde die Pfannkuchen mit Sirup dann vielleicht dem Bordhund Plymmie geben, oder der dicke Paddy Rogers fraß sie. Der fraß sowieso am liebsten den ganzen Tag. Und jetzt lag er behäbig in der Koje und fror ganz bestimmt nicht.

Dan O’Flynn müßte ihn doch eigentlich vermissen, überlegte er. Oder Smoky oder …

Keiner vermißte ihn. Sie waren froh, daß er über Bord gegangen war, dann konnten sie ihre Pfannkuchen endlich in Ruhe allein mampfen, und vielleicht warfen sie noch ein paar Kerle über Bord, damit sie alles für sich allein hatten.

In diesem Augenblick sah Gary Andrews ganz klar und erkannte, daß sich sein Geist zu verwirren begann. Eine merkwürdige Situation. Er wußte, daß er jetzt zu spinnen anfing, daß irgend etwas bei ihm aushakte.

Klar und scharf gezeichnet sah er die Gesichter seiner Kameraden vor sich. Er sah das besorgte Gesicht Hasards und hörte ihn überlaut und deutlich fragen: „Wo, zum Teufel, kann Gary denn nur sein? Durchsucht noch einmal das ganze Schiff!“

„Gary hat abgemustert, Sir“, sagte der Profos mit Grabesstimme. „Der große Kapitän hat ihn zur letzten Reise angeheuert.“

„Bist du sicher, Profos?“

„Wenn ich es doch sage, Sir, ganz sicher. Gary kommt nie wieder!“

Gary kommt nie wieder! hämmerte es wie mit riesigen Gongs durch seinen Schädel. Nie wieder, nie wieder …

Er ließ sich sinken, immer tiefer. Es ging langsam und doch schnell. Da war ein Schweben in einen endlosen Abgrund, der sich wohltuend vor ihm auftat, da war ein sanftes Dahingleiten in unbekannte und warme Sphären. Und da war die Stadt mit den vielen hellen Lichtern. Die Leute liefen am Strand zusammen, zeigten auf ihn, lachten und zogen ihn aus dem Wasser, und sie sagten ihm, jetzt hätte er keine Sorgen mehr.

Aber da war auch noch etwas anderes, etwas Hartes, das ihn berührte, etwas, das nicht nachgab und das seinen zusammensinkenden Körper abfederte. Es ging einfach nicht mehr weiter.

Sein Kopf schaute immer noch aus dem Wasser, seine Hände vollführten sinnlose Paddelbewegungen. Nur seine Beine standen ruhig, wenn auch etwas zitternd auf einem merkwürdigen Untergrund.

Gary Andrews konnte es nicht glauben. Er lachte und schniefte gleichzeitig. Dann lachte er lauter, und er fühlte, daß er Grund unter den Füßen hatte, daß er stand.

Er tat einen unbeholfen wirkenden Schritt vorwärts. Dann schüttelte es ihn vor Lachen. Gleichzeitig schlugen seine Zähne klappernd aufeinander.

„Ich habe es geschafft“, lallte er. „Ich bin endlich an der Küste angelangt.“

Diese Erkenntnis gab ihm wieder neue Kraft und peitschte seinen erschöpften Körper vorwärts. Es war ein unendlich beglückendes Gefühl, als er mit den Armen durchs Wasser ruderte und es immer flacher wurde. Schultern und Brust waren jetzt frei. Er wankte und taumelte, war glücklich und hätte am liebsten laut gebrüllt vor neuer Lebensfreude.

Dann blickte er voraus und erkannte zum ersten Male seit langer Zeit auch wieder schwache Umrisse. Er erblickte die Grenzscheide zwischen See und Land, einen Streifen hellen Sandes mit hohen Dünen dahinter, über die heulend der Wind pfiff. Mit übermenschlicher Anstrengung schleppte er sich weiter, mit zitternden Knien, fast bewegungslosen Armen, schnatternd und frierend.

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