Kitabı oku: «Seewölfe Paket 18», sayfa 6

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11.

Mardengo war am Ende. Erst jetzt begriff er, auf welches Risiko er sich eingelassen hatte. Die „Isabella“ war hoffnungslos unterbemannt, nur mit einer vollzähligen Besatzung hätte sie gegen zwei Schiffe bestehen können. So aber mußte er es geschehen lassen, daß sich die Spanier von zwei Seiten näherten. Sie nutzten zum Längsseitsgehen eine Feuerpause aus, die er gezwungenermaßen einlegen mußte, weil er mit dem Nachladen der Geschütze nicht nachkam.

Die Spanier schrien und stürmten von beiden Seiten heran, sie sprangen auf die Decks der „Isabella“ und schossen und fochten nieder, wer sich ihnen in den Weg stellte. Der Korse brach unter einem wilden Säbelhieb Don Augustos zusammen, ein anderer Pirat fiel, als Don Lope auf ihn schoß.

Mardengo verteidigte das Achterdeck, aber auch er konnte sich nicht halten. Zwei Spanier trieb er zurück, einen dritten tötete er, doch dann drang die Übermacht von allen Seiten auf ihn ein – nur der Weg nach achtern war noch frei.

Mardengo zögerte nicht, zumal er sah, daß keiner seiner Kerle den Enterangriff überlebte. Er schwang sich über die Heckreling, hechtete ins Wasser und verschwand in den Fluten.

Die Spanier stürzten an die Reling und richteten ihre Musketen, Arkebusen und Tromblons auf das Wasser, doch Mardengo tauchte nicht mehr auf.

„Wo steckt der Hurensohn?“ brüllte Don Lope de Sanamonte. „Ist er ertrunken?“

„Ja, Señor“, entgegnete der Bootsmann der „Santa Veronica“. „Jedenfalls hat es den Anschein.“

Doch der Schein trog. Mardengo tauchte sehr weit, bis er sich außerhalb der Sichtweite des Gegners befand. Er erreichte das Nordufer der Insel und ging an Land. Er schlüpfte ins Dickicht und bewegte sich durch den Urwald. Sein Gesicht war verzerrt. Rache, dachte er immer wieder, ihr werdet alle sterben.

Die Spanier suchten nicht nach ihm, sie segelten mit den drei Schiffen in die Mündung des Flusses und gingen vor Anker. Die Boote wurden abgefiert, und ein starkes Aufgebot ging an Land. Don Augusto und Don Lope führten je einen Trupp an, sie waren sicher, Mardengo früher oder später zu finden.

Oka Mama hatte den Fluß fast erreicht. Plötzlich zuckte sie zusammen – vor ihr war ein Geräusch, dann eine Bewegung. Sie hob die Muskete und war zum Feuern bereit, da erklang der Laut eines Nachtvogels, und sie wußte Bescheid. Sie ließ die Waffe wieder sinken.

„Bist du’s?“ fragte sie leise.

„Ja“, erwiderte Mardengo und trat aus dem Dickicht auf den Pfad. „Wir müssen verschwinden. Die Spanier haben gesiegt. Nur einige bleiben in den Fallen hängen, die anderen kämmen alles ab.“

Oka Mama schwieg. Sie vernahmen das Gebrüll der Spanier, die in Fallgruben stürzten oder von Giftpfeilen getroffen wurden. Aber beide wußten sie, daß jede Hoffnung umsonst war. Die Partie war verloren.

Es hatte auch keinen Sinn, Mardengo für sein Versagen zu bestrafen.

„Gehen wir“, sagte Oka Mama mit brüchiger Stimme. „Die Berge sind unsere letzte Rettung.“

Ja – dort wollten sie sich verstecken, bis Ruhe eintrat. Die Nacht war noch lang. Vielleicht konnten sie später wenigstens ein Boot entführen und damit fliehen.

Sie stiegen in den Felsen auf und langten vor dem Wasserfall an. Oka Mama hob mißtrauisch den Kopf.

„Bist du sicher, daß sie noch nicht hier sind?“ fragte sie im Rauschen des Wassers.

„Ganz sicher“, erwiderte er. Als erster betrat er die Höhle. Hände packten ihn von allen Seiten, jemand hielt ihm den Mund zu. Er konnte Oka Mama nicht mehr warnen.

Sie folgte ihm durch den Wasserfall, und es waren Carberry und Dan O’Flynn, die sie festnahmen.

„Ich sollte dich quer durch den Busch jagen, du verschrumpelte Sumpfhexe“, sagte der Profos. „Aber darauf verzichte ich.“

Mardengo versuchte sich loszureißen, aber Hasard fällte ihn mit einem einzigen Hieb. Er schleppte ihn unter den Wasserfall, brachte ihn wieder zum Bewußtsein und fragte ihn über den Verlauf des Gefechts aus. Mardengos letzter Widerstand zerbrach, er schilderte, was sich zugetragen hatte.

Ilaria war neben Oka Mama und fesselte sie.

„Teufelin“, sagte sie. „Du hast uns in dem Glauben gelassen, Pirates’ Cove liege einsam im Meer. Das stimmt nicht. Es ist nicht weit zu den Nachbarinseln, wir hätten jederzeit fliehen können. Das wirst du alles noch bereuen.“

Oka Mama schwieg. Was sollte sie sonst auch tun? Es gab nichts mehr zu retten, nichts mehr mit den Zähnen zu verteidigen. Sie hüllte sich in einen Mantel aus Haß und Verachtung und wehrte sich nicht, als sie geknebelt und ganz nach hinten in die Höhle geschleppt wurde.

Mardengo wurde ebenfalls gefesselt und geknebelt, dann beratschlagte Hasard von neuem mit seinen Männern.

„Wir wissen jetzt, wo die Spanier sind“, sagte er. „Die ‚Isabella‘ ankert in der Flußmündung. Wahrscheinlich sind nur wenige Ankerwachen zurückgelassen worden. Das ist unsere Chance.“

Das Gebrüll der Spanier war verstummt. Sie hatten die Fallen bewältigt, suchten den Urwald ab und gelangten in das Lager, wo sie die vier gefesselten und geknebelten Piraten fanden. Es kostete sie einige Zeit, die Insel zu erforschen – eine bessere Chance gab es für die Seewölfe nicht.

Hasard beschloß, sofort zu handeln.

12.

Wieder setzte sich der lange Zug in Bewegung. Im Schutz der Nacht schleppten die Seewölfe die Schatztruhen und den Proviant in den Dschungel hinunter. Das Wagnis war groß, aber Hasard sah keine andere Möglichkeit, sein Schiff zurückzuerobern.

Auch Ilaria und die fünf Mädchen, Tamao, Asiaga und Little Ross hatten sich bereit erklärt, bis zum bitteren Ende zu kämpfen, falls sie mit den Spaniern zusammenstießen. Selbst die beiden schwarzen Sklaven fürchteten sich nicht mehr. Ihnen war alles recht, wenn sie nur endlich Pirates’ Cove verlassen durften, das für sie zu einem Alptraum des Schreckens geworden war.

Der erste Teil des Unternehmens verlief wider Erwarten problemlos. Unbehelligt erreichten sie die Mündung des Flusses und verharrten im Dickicht. Hasard kroch ein Stück weiter, teilte behutsam die Zweige und Blätter mit den Händen und spähte zu den Schiffen, die vor Anker lagen.

„Viele Wachen sind tatsächlich nicht an Bord“, raunte er Ben zu, der sich neben ihn schob. „Wir können es schaffen. Sag Ferris, Shane, Dan, Smoky, Roger und Blacky Bescheid.“

Kurze Zeit später war das Kommando bereit, die Männer hatten sich bis auf ihre Hosen entkleidet. Sie glitten ins Wasser und schwammen lautlos zur „Isabella“. Wieder entdeckte man sie nicht. Hasard, Ben, Ferris, Shane, Smoky und Dan enterten am Ruder und an der Ankertrosse auf, Roger und Blacky schwammen zu der „Santa Veronica“ und der anderen Galeone hinüber. Auch sie hatten ihre Aufgabe.

Hasard enterte als erster das Achterdeck der „Isabella“ und schlug einen Posten nieder. Ein zweiter Spanier fuhr zu ihm herum, doch Ben war zur Stelle und schleuderte ihm einen Belegnagel an den Kopf. Auch dieser Mann brach bewußtlos zusammen.

Die anderen Seewölfe waren ebenfalls an Deck und überwältigten die dritte und vierte Wache – weitere Spanier befanden sich nicht an Bord.

„He, was ist bei euch los?“ rief ein Soldat von der Back der „Santa Veronica“ herüber.

„Alles in Ordnung!“ antwortete Hasard. „Hier lief nur der Affe herum, wir haben ihn einfangen müssen.“

Der Spanier lachte. „Wirf ihn doch ins Wasser.“ Er wandte sich seinen Kameraden zu. „Die Engländer haben einen Affen, wie findet ihr das?“

Sie lachten schallend. Wenige Augenblicke später verstummten sie. Die „Santa Veronica“ und die zweite Galeone trieben mit der Strömung auf die See hinaus. Roger und Blacky hatten die Ankertrossen gekappt.

Die Spanier schrien und fluchten, aber sie handelten nicht schnell genug. Ehe sie die Segel setzen und manövrieren konnten, befanden sich die Schiffe bereits in bedrohlicher Nähe des Riffs, und sie hatten alle Hände voll zu tun, sie vor dem Auflaufen zu bewahren.

Hasard hatte seinen Männern an Land inzwischen das verabredete Zeichen gegeben. Sie verstauten die Truhen und Kisten und den Proviant in den Booten, die die Spanier benutzt hatten, um an Land zu gelangen. Sie schoben sie ins Wasser, sprangen hinein und begannen wie die Besessenen zu pullen.

Wieder klappte alles. Sie erreichten die „Isabella“, gingen längsseits und legten Taue um die Kisten und Truhen, die von Hasard und den anderen abgefiert wurden.

Roger und Blacky waren mittlerweile auch wieder eingetroffen und halfen mit, den Schatz und den Proviant an Bord zu befördern. Alles lief in größter Eile ab. Dann enterten alle auf. Die Jolle der „Isabella“ wurde hochgehievt, die anderen Boote blieben im Wasser zurück. Die kleine Jolle befand sich nach wie vor an Bord, sie war ja ziemlich stark beschädigt und vorerst nicht zu verwenden.

Hasard ließ den Anker lichten, die Männer begaben sich auf ihre Stationen. Das Großsegel wurde gesetzt, das Schiff glitt mit der Strömung und am Westwind segelnd aus der Mündung. Immer noch tönte vom Riff das Geschrei der Spanier herüber, aber sie konnten nicht sehen, wie die „Isabella“ Pirates’ Cove verließ. Es war zu dunkel.

Die „Isabella“ glitt am Riff vorbei, ging auf Kurs Nordosten und segelte in die offene See hinaus. Wenig später war sie in der Nacht verschwunden.

Es sollte noch einige Zeit dauern, bis Don Augusto und Don Lope über diesen Vorfall unterrichtet wurden. Als sie davon vernahmen und zu toben begannen, war es zu spät, die Engländer zu verfolgen, von denen man erst jetzt erfuhr, daß sie sich auf der Pirateninsel befunden hatten. Kein Mensch wußte, in welche Richtung sie sich gewandt hatten, die Nacht war ihr Verbündeter.

Hasard hielt zu diesem Zeitpunkt an Bord der „Isabella“ Inspektion. Der Schatz von Pirates’ Cove befand sich noch auf dem Hauptdeck, er würde aber bald nach unten geschafft werden, sobald die schlimmsten Gefechtsschäden ausgebessert worden waren.

Trotz der Löcher in den Decks und im Schanzkleid und all der Schäden, die durch das Gefecht Mardengos gegen die Spanier neu entstanden waren, war die „Isabella“ – und das war fast ein Wunder – noch voll seetüchtig und manövrierfähig. Es würde einige Zeit in Anspruch nehmen, alles zu reparieren, aber die Hauptsache war zunächst, daß die „Lady“ segelte und kein Wasser zog.

Daß sie keine bedeutenden Lecks hatte, stellte Hasard fest, als er die unteren Räume inspizierte. Hier registrierte er auch, daß der Schatz von St. Augustine immer noch an Bord war. Keine Kiste fehlte. Die Spanier hatten den Schatz an Bord der „Isabella“ belassen, denn sie hatten vorgehabt, sie als Prise nach Fort St. Augustine zu überführen. In diesem Punkt waren sich Don Augusto und Don Lope einig gewesen, aber sie sollten noch begreifen, welchen Fehler sie begangen hatten.

Plötzlich ertönte ein Lachen aus dem Stauraum. Ben und Dan eilten nach unten und blieben überrascht bei Hasard stehen, der fast Tränen in den Augen hatte.

„Was ist denn los?“ fragte Ben besorgt. Selten hatte er seinen Kapitän so lachen sehen.

„Hier“, sagte Hasard und wies auf einen großen, massiven Gegenstand, den man trotz der Dunkelheit nicht übersehen konnte.

„Ein Anker“, sagte Dan verblüfft. „Hol’s der Henker, der gehört doch gar nicht uns.“

„Die Spanier haben ihn uns geschenkt“, sagte Hasard. „Sie müssen das Fehlen unseres Bugankers bemerkt haben, da haben sie von einem ihrer Schiffe einen Ersatzanker an Bord gebracht. Ist das nicht phantastisch?“

Sie lachten jetzt alle drei. In der Tat war es Don Augustos Bestreben gewesen, ein intaktes, vollständig ausgerüstetes Schiff als Prise nach St. Augustine zu überführen – und den Ersatzanker hatte er vorsorglich gleich von der „Santa Veronica“ auf die „Isabella“ schaffen lassen.

Hasard, Ben und Dan kehrten auf das Achterdeck zurück. Hasard ließ die Crew antreten, seine erste Frage galt Carberry.

„Wie geht es deiner Schulter, Ed?“

„Sie ist noch dran“, erwiderte der Profos. „In ein paar Tagen bin ich wieder voll auf dem Damm.“

„Kutscher, stimmt das?“

„Aye, Sir! Ich habe ihn gründlich untersucht.“

„Haben wir weitere Verletzte?“

„Es sind nur Beulen und Kratzer zu verzeichnen“, meldete der Kutscher.

„Gut. Wir segeln direkt zur Waccasassa-Bucht – zu den Timucua-Indianern.“

„Und was wird aus uns?“ fragte Ilaria und deutete auf die fünf Mädchen und die beiden schwarzen Sklaven.

Hasard lächelte. „Euch setzen wir so bald wie möglich irgendwo an Land. Es ist bei uns eigentlich nicht üblich, Frauen an Bord zu haben. Aber darüber unterhalten wir uns noch ausführlich.“

Sie kicherte. „Ja, wir haben viel miteinander zu bereden.“

Hasard gab noch ein paar Befehle, dann zog er sich in seine Kammer zurück. Wie sollte er die feurige Spanierin bremsen? Er wußte es noch nicht, aber er war sicher, daß ihm etwas einfallen würde …

ENDE


John Curtis

Der Fluch des Schlangengottes

1.

Karl von Hutten stand auf einer der Beobachtungsplattformen des Felsendoms und blickte nach Südwesten. Araua, die Tochter Arkanas und des Seewolfs, stand neben ihm. Auch sie spürte die Spannung, jenes eigenartige Kribbeln und die Unruhe, die ihren gesamten Körper befallen hatte, seitdem der Himmel über der Schlangeninsel sich derartig verändert hatte.

Zu beschreiben war das alles eigentlich gar nicht. Die rötlichen Farben der Abenddämmerung wichen mehr und mehr einem schwefligen Gelb, das sich auf sonderbare Weise mit zunächst zarten, dann aber sich mehr und mehr verdichtenden violetten Farbtönen vermischte.

Er sah unheimlich aus, der Himmel, der sich dort im Südwesten über den Horizont schob und bereits innerhalb weniger Augenblicke eine bedrohliche Ausdehnung erlangt hatte.

„Ein Unwetter, Araua“, sagte Karl von Hutten, der Mann mit dem indianisch geschnittenen Gesichtszügen und dem schulterlangen blonden Haar. Er wirkte neben der Araukanerin Araua wie ein Exote – aber doch war der indianische Anteil in seinem Blut unübersehbar.

Araua, die mittlerweile in die Aufgaben ihrer Mutter, der Schlangenpriesterin hineingewachsen war und die trotz ihrer siebzehn Jahre schon nahezu erwachsen wirkte, nickte.

„Du hast recht, da braut sich etwas zusammen. Ein Sturm, ein Gewitter, ein Hurrikan vielleicht. Aber dort hinten, genau dort, wo es über der See emporsteigt, befindet sich Arkana, meine Mutter, mit ihren Schlangenkriegerinnen!“

Arauas Züge hatten sich verdüstert. Sie lebte schon viele Jahre auf der Schlangeninsel, sie wußte, welche verheerenden Stürme und Unwetter die Karibik mitunter von einer Stunde auf die andere zu gebären vermochte – und sie hatte diese Unwetter, den zornigen Atem der mächtigen Götter, fürchten gelernt.

Karl von Hutten, der in Abwesenheit des Seewolfs, der Roten Korsarin, des Wikingers, Jean Ribaults und Arkanas für die Sicherheit der Insel verantwortlich war, schwieg. Er beobachtete statt dessen sehr genau die sich ständig weiter ausdehnenden Wolkenformationen. Was er sah, bereitete ihm Sorge, denn diese Wolken quirlten nicht nur heftig durcheinander, sondern sie verfärbten sich von Minute zu Minute mehr auf eine geradezu unheimliche Weise, wie er es zuvor noch nie gesehen hatte. Da braute sich ein Unwetter zusammen, auf das sie sich schleunigst vorbereiten mußten. Auch auf der Schlangeninsel.

Nicht ohne Sorge dachte er wie Araua im gleichen Augenblick auch an Arkana, die sich mit ihrer „Mocha II.“ genau in diesem Seegebiet befinden mußte. Zwar verstanden Arkana und ihre Schlangenkriegerinnen von der Tempelwache sich mittlerweile hervorragend auf Seemannschaft – aber ihr Schiff war alt und taugte nicht mehr viel. Jedenfalls glaubte sich Karl von Hutten daran zu erinnern, daß der alte Ramsgate dieses Urteil über die „Mocha II.“ abgegeben hatte, nachdem sie von ihm und seinen Männern auf der neuen Werft im hinteren Teil der Schlangenbucht gründlich überholt worden war. Hesekiel Ramsgate hatte dringend zu einem Neubau geraten, noch bevor Arkana mit der „Mocha II.“ die Schlangenbucht verließ, um das Schiff und die Veränderungen und Neuerungen, die der alte Ramsgate daran vorgenommen hatte, einer Prüfung auf See zu unterziehen.

Aber das war noch nicht alles – denn ausgerechnet irgendwo dort hinten, mit Kurs auf Tortuga, segelten auch der Wikinger mit seinem Schwarzem Segler, Siri-Tong mit „Roter Drache“, Jean Ribault mit seiner brandneuen „Le Vengeur III.“ und Jerry Reves, der die ebenfalls neue und als Schwesterschiff der „Le Vengeur III.“ zu bewertendes „Tortuga“ befehligte. Sie alle wollten auf Tortuga den für die Schlangeninsel in vielerlei Bereichen notwendigen Nachschub von Diego, dem ihnen allen sehr befreundeten Schildkrötenwirt, besorgen. Denn Diego trieb auf Tortuga einen schwunghaften Handel mit allem, was entweder von den Bewohnern Tortugas oder aber von denen der Schlangeninsel benötigt wurde. Und seltsamerweise hatten ihn bisher auch die übelsten Schnapphähne, die sich von Zeit zu Zeit auf Tortuga einnisteten, in Ruhe gelassen. Denn ohne Diego ging auf dieser Insel einfach gar nichts mehr, und das wußten sie alle.

Außerdem aber wollten Siri-Tong, Jean Ribault und auch der Wikinger in Erfahrung bringen, was sich alles während ihrer langen Abwesenheit von der Schlangeninsel in der Karibik getan und ereignet hatte. Das war lebenswichtig, und Tortuga, insbesondere Diego und seine Felsenkneipe, die „Schildkröte“, stellten eine außerordentlich zuverlässige Nachrichtenbörse dar.

Das alles schoß Karl von Hutten durch den Kopf, während er das sich immer bedrohlicher gestaltende Unwetter im Südwesten der Insel beobachtete und sich nicht darüber klarzuwerden vermochte, welcher Natur es sei. Ein Hurrikan war das nicht, ein normaler Sturm ebenfalls nicht und ein schwerer Gewittersturm kündigte sich ebenfalls durch andere Anzeichen an.

„Komm Araua“, sagte er. „Wir müssen zur Bucht hinunter. Das Unwetter wird mit dem nächsten Mahlstrom viel Wasser in die Schlangenbucht treiben. Wir müssen die ‚Wappen von Kolberg‘ dagegen sichern, daß sie sich losreißt, oder sie zerschellt am Ende der Bucht in den Klippen!“

Araua nickte nur kurz. Daß Karl von Hutten ihre unausgesprochene Frage nicht beantwortet hatte, wie er die Gefahr einschätzte, in der sich Arkana und ihre Schlangenkriegerinnen auf der „Mocha II.“ befanden, sagte ihr genug. Und flüchtig dachte sie in diesem Moment daran, daß sich außer von Hutten, Arne von Manteuffel, dem Vetter des Seewolfs, ihren Schlangenkriegern und Schlangenkriegerinnen, soweit sie sich nicht an Bord der „Mocha II.“ bei Arkana befanden, und dem alten Hesekiel Ramsgate samt seinen Schiffbauern niemand weiter auf der Schlangeninsel befand.

Als Araua und Karl von Hutten den Felsendom verließen, brannte im Westen das Abendrot über der See, und es war, als ob die Götter Feuer vom Himmel ins Meer schütteten. Aber südlich davon – da hatte der Himmel jetzt eine teils schwefliggelbe, teils düster-violette Färbung angenommen. Schwere Wolkentürme, in denen es immer wieder aufblitzte, schoben sich höher und höher über die Kimm empor. Manchmal vernahm Araua das noch sehr leise und sehr ferne Grollen des den gewaltigen Entladungen folgenden Donners.

Der alte Ramsgate streckte behaglich die Beine aus. Die Flammen des Lagerfeuers leckten gierig an den Holzscheiten empor, die seine Männer zu einer Art Pyramide aufgetürmt hatten. Die Flammen zauberten tanzende Schatten und Lichter auf das Gesicht des Schiffbaumeisters, das durch den schlohweißen Bart ein schon fast ehrwürdiges, biblisches Aussehen angenommen hatte.

Der alte Ramsgate fühlte sich auf der Schlangeninsel sauwohl, genau wie seine Männer auch. Er war froh, dem Angebot des Seewolfs, der Roten Korsarin und des Wikingers gefolgt zu sein, von Rame Head, seiner einstigen Werft in der Nähe von Plymouth, auf die Schlangeninsel zu übersiedeln. Denn hier gab es keine adeligen Laffen, keine Hofschranzen und auch keine Schergen der englischen Krone, die ihm und seinen Männern oft genug das Leben zur Hölle gemacht hatten.

Hesekiel Ramsgate dachte noch mit Schaudern an die letzten Ereignisse auf seiner Werft, und, verdammt nochmal, es war verflixt heiß hergegangen vor den Ausrüstungskais seiner Werft und auch auf dem Werftgelände selbst.

Hesekiel Ramsgate richtete sich aus seiner bequemen Haltung auf. Er sah seine Männer an, allesamt wie er erfahrene Schiffbauer, aber auch rauhe Kämpfer, sofern sie zur Waffe greifen mußten. Er hob seinen schweren Humpen, der randvoll mit Wein gefüllt war.

„Auf unsere neue Heimat, Männer“, sagte er mit dunkler, wohlklingender Stimme. „Auf sie und auf alle Bewohner dieser Insel, denen wir unverbrüchliche Treue halten werden, gleich, was geschieht! Denn dies hier ist für uns alle ja wie ein Paradies, fast wie ein Traum!“

Beistimmendes Gemurmel erhob sich in der Runde, und auch die Männer des alten Ramsgate erhoben ihre Humpen. Recht hatte er, der alte Hesekiel. Die Insel wirkte auf sie wie ein Juwel. Das begann mit dem wirklich paradiesischen Klima, verglichen mit den rauhen Stürmen, die oft Rame Head umtobt hatten, und verglichen mit dem kalten, grauen Nebel, der nur allzuoft das ganze Land und die See tagelang eingehüllt hatte. Es setzte sich fort mit der Schlangenbucht, ihren langen sandigen Stränden, dem azurblauen Wasser der Bucht, den Palmen, die diesen Strand säumten und dem gewaltigen Felsendom, der alles überragend wie das Wahrzeichen der Insel in den Himmel zu wachsen schien.

Hesekiel Ramsgate warf einen Blick zu seiner neuen Werft hinüber, für die man im hinteren Teil der Schlangenbucht einen hervorragenden Platz gefunden hatte.

Sie machte gute Fortschritte. Die Helling, groß genug, um auch einen Viermaster wie den Schwarzen Segler aufzuslippen, war fast fertig. Ebenfalls wuchsen die Schuppen für Werkzeuge und Zubehör, für die Lagerung wertvoller Hölzer, die zum Schiffbau unerläßlich waren, empor. Aber alles fügte sich harmonisch in die Schlangenbucht ein.

Hesekiel Ramsgate und seine Männer waren zufrieden – mehr noch, sie waren geradezu glücklich, hier, auf der sagen- und legendenumwobenen Schlangeninsel ihre neue Heimat gefunden zu haben. Eine Heimat, die ihnen im Gegensatz zu England allen Frieden gewährte und in der sie mit jedermann, auch mit den Schlangenkriegern und Schlangenkriegerinnen Arkanas, gut auskamen.

Die Männer Ramsgates hatten es schon bald gespürt: Dies hier war eine Gemeinschaft, in der jeder für den anderen eintrat, ohne lange zu fragen. Und das gefiel ihnen allen besonders.

Der alte Ramsgate warf einen Blick zur „Wappen von Kolberg“ hinüber, die vor der Werft ankerte. Der kommende Tag würde eine Menge Arbeit bringen, denn auch die Galeone Arne von Manteuffels sollte aufgeslippt und dann vom Kielschwein bis zu den Toppen überholt werden. Außerdem hatte Ramsgate einige Modernisierungen vorgeschlagen. Zum Beispiel sollte die „Wappen von Kolberg“ anstelle des bisherigen Kolderstocks eine Ruderanlage erhalten, wie sie die „Isabella IX.“ und auch die anderen Neubauten bereits hatten. Außerdem sollte die Galeone mit höheren Masten und breiteren Rahen ausgerüstet werden, was ihre Geschwindigkeit bestimmt um einige Meilen erhöhen würde. Denn vom Rumpf her vertrug sie die größere Segelfläche leicht.

Hesekiel Ramsgate, der es trotz seiner Jahre noch mit vielen jüngeren ohne weiteres aufnahm, dabei aber zusätzlich über die Erfahrungen seines langen und bewegten Schiffbauerlebens verfügte, hob abermals seinen Humpen und trank den Männern am Feuer zu. Aber dann setzte er den Humpen plötzlich ab, und seine, wie die Blicke der übrigen Männer, richteten sich auf die beiden Ankömmlinge, die eben aus dem Dunkel in den Lichtkreis des Lagerfeuers vor der Werft traten.

„Araua, von Hutten – was führt euch denn noch hierher?“ fragte er und stand gleichzeitig auf. Mit seinem feinen Gespür für Menschen hatte er an den Gesichtern der beiden sofort erkannt, daß irgend etwas nicht in Ordnung war.

Von Hutten verlor keine Zeit. Er trat in den Lichtkreis des Feuers, und seine hellblonden Haare, die einen seltsamen Kontrast zu seiner indianisch-braunen Gesichtsfarbe bildeten, schienen kleine Blitze auf die Männer zu schleudern, sobald sie den Schein der lodernden und zuckenden Flammen reflektierten.

„Im Südwesten unserer Insel braut sich ein schweres Wetter zusammen. Aber es ist kein Hurrikan und auch kein gewöhnlicher Gewittersturm. Es ist irgend etwas anderes, ich habe dergleichen, solange ich in der Karibik lebe, noch nicht gesehen. Die Wolken haben eine schwefliggelbe Farbe, die sich aber mehr und mehr mit einem düsteren Violett vermischt. Außerdem quirlen die riesigen Wolkentürme, die sich schneller und schneller über die Kimm emporschieben und den Himmel schon zum großen Teil bedecken, wie in einem Wirbelsturm durcheinander. Nein – ich habe so etwas noch nie gesehen!“

Ramsgates Männer waren ebenfalls aufgesprungen. Zwar lebten sie erst seit kurzer Zeit in der Karibik, aber was es bedeutete, wenn sich so ein schweres Wetter zusammenbraute, das wußten sie.

Der alte Ramsgate ergriff auch sofort die Initiative.

„Los, Männer, wir müssen die ‚Wappen von Kolberg‘ sichern. Schafft starke Trossen herbei, holt die Galeone an die Werft heran und vertäut sie dort so fest, daß sie kein Sturm loszureißen vermag!“

Die Männer ließen ihre Humpen Humpen sein und rannten sofort zur Helling hinüber. Der alte Ramsgate, der ihnen folgen wollte, wurde jedoch von Araua und von Hutten zurückgehalten.

„Die ‚Mocha II.‘ befindet sich wahrscheinlich genau dort, wo das Wetter in diesem Moment schon tobt. Was ist mit dem Schiff, Hesekiel? Das Urteil, das du Arkana abgegeben hast, war nicht sonderlich gut.“

Ramsgate warf der Tochter Arkanas einen raschen Blick zu, und er sah, daß sie ihn aus großen, schwarzen Augen anstarrte, in denen in diesem Moment die Angst der Tochter um die Mutter flackerte.

Araua war oft genug mit dem Wikinger oder mit Siri-Tong auf See gewesen, um die Gefahren eines schweren Sturmes richtig einschätzen zu können. Besonders dann, wenn ein Schiff wie die „Mocha II.“ in einen solchen Sturm geriet.

Hesekiel Ramsgate fuhr sich mit der Hand über die hohe Stirn.

„Es hat keinen Zweck, euch etwas vorzumachen. Die Galeone Arkanas ist alt. Die Verbände des Rumpfes sind nicht mehr die besten, auch die Beplankung weist schwache Stellen auf. Es hatte keinen Sinn, das alles zu reparieren, darum schlug ich einen Neubau vor. Meine Männer und ich haben getan, was wir konnten. Ich kann für Arkana nur hoffen, daß sie das Wetter beizeiten erkannt und einen Nothafen angelaufen hat. Aber vielleicht ist sie ja auch gar nicht so weit ins offene Meer hinausgesegelt …“

Er spürte den brennenden Blick Arauas, und er sah das Araukanermädchen an. Wie immer war sie fast nackt. Sie trug lediglich einen knappen Lendenschurz – so wie alle Schlangenkriegerinnen auf der Insel.

„Du hättest sie mit diesem Schiff nicht segeln lassen dürfen, Hesekiel“, sagte sie dumpf. „Ich verstehe das nicht, du bist doch sonst kein Mann, der …“

Ramsgate trat dicht an Araua heran, dann legte er ihr seine Rechte schwer auf die Schultern.

„Ich hätte deine Mutter auch nicht segeln lassen, Araua“, erwiderte er. „Aber sie sagte, der Schlangengott habe ihr aufgetragen, mit diesem Schiff noch eine Fahrt zu unternehmen. Arkana bat mich, darüber Stillschweigen zu bewahren. Und das habe ich bis zur Stunde getan, so daß alle denken mußten, es handele sich um eine ganz normale Erprobungsfahrt. Nur habt ihr alle eines übersehen: Wäre das so gewesen, dann hätte ich mich an Bord der ‚Mocha II.‘ befunden. Doch meinen diesbezüglichen Wunsch lehnte Arkana freundlich, aber bestimmt ab. Das ist alles, was ich dir dazu sagen kann.“

Araua sah den alten Ramsgate überrascht an. Dann wechselte sie jedoch mit Karl von Hutten rasch ein paar Worte in einer Sprache, die Ramsgate nicht verstand. Anschließend sah sie den Schiffbaumeister an.

„Verzeih“, sagte sie, „ich habe dir Unrecht getan. Ich schäme mich, denn ich hätte es besser wissen müssen …“

Araua drehte sich um und war gleich darauf in der Dunkelheit verschwunden.

„Was ist mit ihr, wo ist sie hin?“ fragte Ramsgate Karl von Hutten entgeistert, der ihr ebenfalls nachblickte.

„Araua will in den Schlangentempel, um den Schlangengott zu befragen“, antwortete er nach einer Weile. Er sah, wie sich die Stirn Ramsgates furchte, und wie er nachdenklich, aber voller Zweifel in die Dunkelheit starrte, dorthin, wo Araua verschwunden war.

Von Hutten berührte ihn sacht an der Schulter.

„Dir ergeht es wie uns allen dereinst“, sagte er. „Wir alle, auch der Seewolf, fanden keine Erklärung für die merkwürdigen Vorgänge im Schlangentempel, und anfangs hielten wir den Schlangengott sogar für einen Götzen. Nur Siri-Tong ermahnte uns immer wieder, den Schlangengott ernst zu nehmen, und dann taten wir es schließlich auch. Ich sage dir, Hesekiel, dieser Schlangengott ist alles andere als ein Götze. Seine Voraussagen und seine Prophezeiungen haben, sich noch immer erfüllt. Und wenn du im Tempel vor ihm stehst, wenn seine grünen Augen dich anglühen, dann weißt du plötzlich, daß er über Kräfte verfügt, für die uns jede Erklärung fehlt. Ich sage dir, dieser Schlangengott ist ein lebendiger Gott, und wehe dem, der sich seinen Zorn zuzieht!“

Der alte Ramsgate starrte den Halbindianer von Hutten an. Er wußte, daß gerade von Hutten niemals auch nur ein Wort mehr sagen würde, als er verantworten konnte. Aber es war auch das erstemal, daß er so zu ihm gesprochen hatte.

„Komm jetzt, wir sollten uns wirklich um die ‚Wappen von Kolberg‘ kümmern, das Wetter wird bald losbrechen …“

Und als ob er mit seiner Prophezeiung recht behalten sollte, zuckte in diesem Moment ein erster, greller Blitz über den dunklen, düster leuchtenden Himmel. Anschließend fuhr eine Bö durch die Schlangenbucht, die so heftig war, daß sie die beiden Männer beinah umwarf.