Kitabı oku: «Seewölfe Paket 21», sayfa 25
4.
Dennoch hatte er keinen Grund, jetzt noch niedergeschlagen oder gar verzweifelt zu sein. Immerhin hatte er sich bis hierher retten können. Die See hatte ihn nicht geholt, und er konnte recht zufrieden sein, wieder Boden unter den Füßen zu haben. Alles weitere würde sich ergeben. Er mußte versuchen, das Beste aus seiner Lage zu machen.
Erst jetzt untersuchte er seine Brust richtig, auf der sich ein gehöriger Bluterguß abzeichnete. Wenn er die Arme und den Oberkörper bewegte, schmerzte der Brustkasten immer noch. Wieder tastete er seine Brustrippen ab – und stöhnte auf. Es war immer noch da und hatte nicht nachgelassen, und auch das Atemholen bereitete ihm nach wie vor Qualen.
Was hätte der Kutscher in diesem Fall getan? Ja, er hatte einmal gesagt, man müsse den Brustkorb fest bandagieren, wenn die Rippen gebrochen oder angebrochen wären. Das war wichtig, weil die Rippen sich dann nicht mehr bewegen konnten und in relativ kurzer Zeit wieder heilten oder zusammenwuchsen.
Hasard untersuchte seine „Vorräte“ und entdeckte ein dünneres, knochentrockenes Stück Segeltuch. Es kostete ihn einige fast akrobatische Verrenkungen, aber er schaffte es, sich das Tuch fest um den Brustkorb zu wickeln. Auch den Knoten zu schlagen, war keine leichte Arbeit. Als er endlich damit fertig war, ließ er sich aufatmend zurücksinken und blieb für einige Zeit liegen.
Er zählte die Möwen, die über ihm kreisten, schloß die Augen und drohte einzuschlafen.
Nein, dachte er energisch, jetzt noch nicht. Er gab sich einen inneren Ruck und erhob sich wieder. Er verließ seinen Lagerplatz, kehrte zu dem Floß zurück, überprüfte noch einmal, ob es sicher lag, und unternahm dann eine erste Besichtigung der Insel.
Es stellte sich heraus, wie er es inzwischen nicht mehr anders erwartete, daß er auf diesem Stückchen Erde der einzige Mensch war. Es gab keine Eingeborenen und keine Piraten, die sich hier versteckt hielten. Aber auf der nördlichen Ostseite entdeckte er schließlich doch etwas, das ihn stutzen und verharren ließ.
Er stolperte fast über einen flachen, von Gras bedeckten Graben, in dem sich Wasser zu bewegen schien, schenkte ihm aber weiter keine Aufmerksamkeit. Sein Blick war auf das gerichtet, was sich draußen, im Wasser vor der Insel, befand.
Zwischen den Korallenriffs lag ein Schiffwrack, der Rumpf einer dreimastigen Galeone. Die Decks waren der See zugekehrt, die Masten richteten sich wie spitze Finger auf das Wasser. Zerbrechlich wirkte der Rumpf, als würde er jeden Moment zerfallen und ganz versinken.
Hasard setzte sich wieder in Bewegung und untersuchte den Strand. Auch auf dieser Seite der Insel war er unberührt und zeigte keine menschlichen Spuren, weder Fußabdrücke noch Feuerreste noch sonstige Relikte.
Vielleicht, dachte der Seewolf, ist es den Schiffbrüchigen gelungen, mit einem Boot die Insel zu verlassen. Sie sind nach Kuba gesegelt, wie die Überlebenden der beiden Kriegsgaleonen.
Morgen, so nahm er sich vor, schwimme ich zum Wrack und sehe nach, ob ich etwas finde, das ich gebrauchen kann.
Jetzt war er zu müde dazu. Er forschte noch den Rest des Eilandes ab, entdeckte aber außer ein paar Möweneiern nichts mehr, das sein Interesse erregte.
Er kehrte zu seinem improvisierten Lagerplatz zurück. Mit Hilfe des Segeltuches bereitete er sich eine Liegestatt, so gut es irgend ging, und deckte sich auch mit dem Tuch zu. Er sank in einen Tiefschlaf, aber als er hinüberglitt in die Sphäre der Ruhe, galt sein letzter Gedanke wieder den Freunden und seinen beiden Söhnen.
Sie kämpften, und er lag hier. Niemals hätte er für möglich gehalten, daß ihm so etwas widerfahren würde – und doch war es eingetreten.
Am Morgen des 26. Juli stand die Sonne längst über der Kimm, als Hasard aufwachte. Vorsichtig öffnete er die Augen, auf Überraschungen gefaßt. Gab es Besuch? Nein – weder Menschen noch wilde Tiere. Er richtete sich auf, gähnte und bewegte die Arme. Endlich fühlte er sich erfrischt, und er meinte auch, daß die Schmerzen im Brustkasten geringer geworden seien.
Sein Frühstück bestand aus der Milch und dem Fleisch der Kokosnuß, außerdem nahm er den rohen Inhalt eines Möweneies und einen winzigen Schluck Branntwein zu sich. Dann erinnerte er sich daran, daß er bei seinem Rundgang an der Ostseite der Insel eine Art Rinnsal überquert hatte. Er hatte es nicht weiter beachtet, weil ihm das Wrack der Galeone aufgefallen war. Jetzt aber kehrte er zu dem Rinnsal zurück und folgte seinem Verlauf ins Innere der Insel.
Tatsächlich fand er wenig später im Mangrovendschungel eine kleine Süßwasserquelle. Er beugte sich darüber, schöpfte das kühle, frische Naß mit beiden Händen und trank. Somit hatte er auch das Wasserproblem gelöst.
Seine nächste Untersuchung galt dem Wrack. Er verließ den Urwald, trat auf den Strand und spähte zu den Riffs hinüber, wo es in unveränderter Lage festgeklemmt war, etwa zweihundert Yards vom Ufer entfernt.
Die Steuerbordseite war nach Osten gekantet, der Bug wies nach Norden. Wäre das Wrack hundert Yards höher gewesen, hätte Hasard noch wagen können, hinüberzuschwimmen. So aber war das Unternehmen zu riskant – wegen der Haie. Bislang hatten sie ihn in Ruhe gelassen, und er befand jetzt, nach gründlicher Überlegung, daß es nicht ratsam war, das Schicksal herauszufordern.
Deshalb kehrte er zu seinem Landeplatz zurück, schob das Floß ins Wasser und wriggte mit dem einen Riemen aus der Lagune. Eine flache Dünung kräuselte die See, der Wind wehte handig aus Nordosten. Keine Wolke kündigte einen bevorstehenden Wetterumschwung an, alles war ruhig. Günstige Voraussetzungen für sein Vorhaben: Wieder konnte er von Glück reden, und das Schicksal schien es doch nicht so schlecht mit ihm zu meinen.
In relativ kurzer Zeit erreichte er das Wrack und brauchte wegen der Beschaffenheit seines Untersatzes nicht zu befürchten, irgendwo aufzulaufen. Ungehindert wriggte er auf die Bordwand zu und umsteuerte das Heck. Dann hielt er überrascht die Luft an.
Von Land her war es wegen der Lage des Wracks nicht zu sehen gewesen: Steuerbord mittschiffs auf der Kuhl stand noch ein auf Klampen verzurrtes Beiboot, eine dreiriemige Jolle für sechs Rudergasten. Hasard stieß unwillkürlich einen leisen Pfiff aus. Damit hatte er nicht gerechnet.
Durch die Schräglage des Wracks wurde die Steuerbordseite des Bootes zum Teil von Seewasser umspült, aber dieser Umstand hatte keine Bedeutung. Hasard legte an und unterzog es einer genauen Untersuchung. Es war völlig intakt und in keiner Weise beschädigt.
Die beiden Klampen mittschiffs auf der Backbordseite der Kuhl waren leer. Dort mußte sich eine größere Jolle befunden haben, wie Hasard feststellte.
Ihr Fehlen deutete darauf hin, daß die Schiffbrüchigen tatsächlich mit ihr das Wrack verlassen hatten. Wer waren sie, woher stammten sie und was war ihr Ziel gewesen? Was hatte dazu geführt, daß sie mit ihrem Schiff auf das Riff gelaufen waren? Ein Sturm?
Er konnte sich nur auf Vermutungen verlassen und würde wahrscheinlich nie erfahren, was sich zugetragen hatte. Sicher war seiner Ansicht nach, daß die Schiffbrüchigen Kurs auf Kuba genommen hatten. Die Galeone war spanischer Bauart, auch daran bestand kein Zweifel. Ein Handelsfahrer. Er hatte noch Zeit, alles zu durchforschen und zu untersuchen, und vielleicht entdeckte er auch ein Logbuch.
Die Jolle war ein Geschenk des Himmels. Besser hätte er es nicht treffen können. Er lachte, vertäute das Floß und kletterte an Bord des Wracks. Die Zurrings hatte er schnell gelöst. Er brauchte dem Boot nur einen geringen Schub zu geben. Fast von allein glitt es ins Wasser und schaukelte in den flachen Wellen.
Hasard stieg hinein, bevor es abtreiben konnte. Er stand zwischen den Duchten und blickte prüfend zu Boden – und plötzlich registrierte er, daß es doch Wasser zog.
„Na also“, sagte er. „Es wäre ja auch zu schön gewesen.“
Die Jolle hatte auf der Backbordseite, wo sie trocken gelegen hatte, ein paar undichte Stellen. Natürlich: Das Seewasser hatte der Steuerbordseite nichts anhaben können, im Gegenteil, es hatte das Holz aufquellen lassen und dicht gehalten. Erst nach Wochen oder Monaten hätte das Holz an dieser Stelle zu faulen begonnen. Die Trockenheit hingegen hatte bewirkt, daß die Planken an der Backbordseite Wasser durchließen.
Hasard überlegte, ob er das Boot wieder an Bord des Wracks ziehen sollte. Wo waren die Riemen? War es nicht besser, trotz der Lecks doch gleich zur Insel zu pullen? Er konnte es schaffen, aber der eine Riemen, mit dem er das Floß vorwärtsgewriggt hatte, reichte dafür nicht aus. Zu schnell füllte sich die Jolle mit Seewasser. Es stand bereits fußknöchelhoch und plätscherte munter gegen die inneren Bordwände.
Unter den Duchten waren Riemen verzurrt. Er holte zwei heraus, legte sie in die Rundsein, nahm auf der mittleren Ducht Platz und begann zu pullen. Er überlegte nur kurz, ob er das Floß ins Schlepp nehmen sollte, dann verwarf er die Idee wieder. Es blieb keine Zeit dafür. Er mußte sich höllisch beeilen, wenn er das Ufer noch erreichen wollte – mit der Jolle.
Ohne komme ich bestimmt an, dachte er grimmig, und zwar schwimmend. Aber wenn der Kahn erst auf dem Grund der Lagune liegt, nutzt er mir nichts mehr.
Er konzentrierte sich voll auf seine Arbeit. Das Boot glitt vorwärts, das Wrack blieb hinter ihm zurück. Das Pullen verursachte wieder Schmerzen in Hasards Brustkorb, aber sie waren nicht mehr so intensiv wie zuvor, als er die Bandage noch nicht gehabt hatte. Er konnte sie ertragen.
Der Schlaf hatte ihn gestärkt, er pullte kräftig und ohne auszusetzen. Zunächst bewegte er sich zügig voran, dann aber begann das Boot schwerer zu werden. Eine unsichtbare Macht schien an seinem Heck zu zerren, das Wasser stieg über Hasards Knöchel und gab der Jolle eine leichte Schräglage.
Die Fahrt wurde immer langsamer, aber der Seewolf hatte die Landzunge erreicht, die er umrunden mußte, um in die Lagune zu gelangen.
Er biß die Zähne zusammen, preßte die Lippen fest aufeinander und ruckste wie ein Besessener an den Riemen. Die Jolle schien jetzt eine Tonne zu wiegen, gierig nahm sie das Seewasser in sich auf. Ihr Heck senkte sich immer tiefer, und bald würde die Bordwand unterschneiden.
Doch die Landzunge glitt vorbei, und Hasard war nun in der Lagune. Etwas rascher, als er angenommen hatte, schrumpfte die Distanz, die ihn noch vom Ufer trennte, zusammen. Die Brandung ergriff das Boot und hob es hoch, und die Geschwindigkeit nahm wieder etwas zu – ohne Hasards Zutun. Es rauschte und gischtete, und mit einem Ruck senkte sich die halb gekenterte, lecke Jolle auf den Strand.
Knapp aufgelaufen, dachte er und richtete sich auf. Er holte die Riemen binnenbords und verstaute sie, durchsuchte noch einmal alles und fand in der achteren Plicht eine Pütz. Sie war heil.
Er stieg aus und schöpfte Seewasser, dann entleerte er es ins Innere der Jolle. Das Wasser stieg bis zum Dollbord an und lief fast darüber hinweg. Hasard ließ die Pütz wieder sinken und betrachtete sein Werk. Er war zufrieden. Er brauchte jetzt nur noch einige Zeit abzuwarten, und die Leckstellen schlossen sich von selbst. Dies war die übliche Methode, um das Holz aufquellen zu lassen und alle Fugen abzudichten.
Noch einmal unterzog er das Boot einer eingehenden Kontrolle und stellte fest, daß es aus guter spanischer Edelkastanie gebaut war. Ein hartes, widerstandsfähiges Holz, das viel Harz erzeugte und sich somit praktisch selbst gegen Fäulnis und Verfall schützte. Edelkastanie war so gut wie englische Eiche, besser als Zypresse, Pinie und Pappel. Ein Boot wie dieses konnte sehr alt werden, ohne nennenswerten Schaden zu nehmen.
In der Tat war es bis auf die Lecks, die Hasard gefunden hatte, völlig unbeschädigt. Er rechnete damit, den ganzen Tag über warten zu müssen, danach aber würde die Jolle seetüchtig sein. Der Vorgang des Aufquellens mußte kontrolliert werden, und er würde auch ständig mit der Pütz Wasser nachschöpfen müssen, bis keins mehr durch die Lecks austrat und auf den Strand lief.
Dies würde in den nächsten Stunden eine seiner Tätigkeiten sein. Er war stolz auf seinen Fund, und er war von Zuversicht erfüllt. Aber er konnte noch mehr tun: Das Wrack mußte gründlich durchsucht werden, vielleicht gab es noch mehr zu holen.
Er sah jetzt ein, daß er doch einen Fehler begangen hatte: er hätte das Floß mitnehmen sollen. Aber es hatte an der Zeit gefehlt. Er war jetzt darauf angewiesen, zu schwimmen, und er konnte nur hoffen, daß er keinen Haien begegnete. Mist, dachte er, das ist mangelnde Übersicht. Gut, daß dich keiner der Kameraden beobachten kann.
Carberry hätte, wenn er ihn jetzt gesehen hätte, wahrscheinlich wieder mal kein Blatt vor den Mund genommen und einen seiner groben Kommentare von sich gegeben. Auch Shane hätte wohl einen Witz gerissen. Ben nicht, der hüllte sich in vielsagendes Schweigen. Aber Ferris konnte seinen vorlauten Mund ebenfalls nicht halten.
Ihr Halunken, dachte Hasard, hoffentlich seid ihr noch mal mit heiler Haut davongekommen. Er ertappte sich dabei, daß er wieder an sie dachte. Ständig sann er darüber nach, was aus ihnen und der „Lady“, der „Isabella“, geworden war. Er sehnte sich nichts mehr herbei, als wieder unter ihnen zu sein.
Aber das würde noch eine Weile dauern. Heute indes, am 26. Juli, hatten die Spanier mit einiger Sicherheit die Schlangen-Insel erreicht und begannen mit der Belagerung.
Wenn doch wenigstens eine Brieftaube käme und mir eine Nachricht brächte, dachte er. Aber das war reine Utopie. Jussufs gefiederte Lieblinge waren auf Santo Domingo nicht „programmiert“, und außerdem ahnte ja keiner, daß er hier festsaß und sich mit den primitivsten Mitteln am Leben erhielt.
5.
In der Vorderbucht der Jolle war ein Loch, und darunter, auf dem Kiel, ein Mastschuh. Dies war ein untrügliches Zeichen dafür, daß das Boot über Besegelung verfügen mußte. Es gab keine andere Möglichkeit: Der Seewolf mußte zum Wrack zurückkehren und dort nach einem Mast und dem erforderlichen Segeltuch suchen.
Er entkleidete sich bis auf eine kurze Hose. Der Verband würde nun naß werden, aber auch das ließ sich nicht ändern. Am bedenklichsten stimmte ihn die Haifischgefahr. Bevor er ins Wasser stieg, suchte er mit seinem Blick wieder alles ab. In der Lagune waren keine Dreiecksflossen und auch keine verdächtigen Bewegungen zu vermerken, aber er wußte noch nicht, wie es draußen, auf der offenen See, aussah.
Bei seinem ersten Abstecher zum Wrack hatte er allerdings keinen einzigen grauen Gesellen bemerkt. Vielleicht hatte er auch weiterhin Glück – fast verließ er sich darauf.
Das Wasser war angenehm warm und lud zu einem Bad ein. Na eben, dachte er grinsend, ich habe ja sonst auch nichts vor. Er watete durch die Brandung und begann zu schwimmen, als die Fluten ihm bis zur Brust reichten.
Während er sich durch gleichmäßige, weit ausholende Bewegungen voranbrachte, hielt er immer wieder Ausschau nach Haien. Leicht konnte es jetzt passieren, daß er überraschend angefallen wurde. Er hatte das Messer bei sich, aber das nutzte ihm herzlich wenig, wenn er es mit mehreren Biestern zu tun hatte. Nur gegen einen einzelnen Hai vermochte er zu bestehen, und auch ein solches Duell würde ihm das äußerste an Zähigkeit und Schnelligkeit abverlangen.
Er war auf alles vorbereitet. Im Kraulstil verließ er die Lagune und stieß zu dem Wrack auf dem Riff vor. Aus der jetzigen Perspektive wirkte es größer als vorher, und seinen Decks schien etwas Unheimliches, Rätselhaftes anzuhaften. Die Aura des Schreckens stieg aus den Schotts und Luken auf, und etwas schien davor zu warnen, daß sich ein Unbefugter die Innenräume ansah.
Aber Hasard war weder ängstlich noch abergläubisch. Es war nicht das erste Wrack, das er durchsuchte, und er war natürlich darauf gefaßt, auf ein paar grausige Entdeckungen zu stoßen. Doch Skelette und Wasserleichen konnten ihn nicht schockieren. Er hatte schon genug davon gesehen, seit er die Meere befuhr. Mit der Zeit härtete man ab und wurde unempfänglich für eine bestimmte Art von Eindrücken. Im übrigen gehörte er nicht wie Old O’Flynn zu den Männern, die Toten Übersinnliches oder magische Fähigkeiten andichteten.
Er langte an seinem Ziel an und kletterte an Bord. Noch einmal blickte er aufs Wasser zurück – keine Haie. Sie sind alle zur Schlangen-Insel geschwommen, dachte er grimmig, vielleicht findet dort das große Festessen statt.
Er kroch über die abschüssige Kuhl der Galeone und mußte sich überall festhalten, um nicht abzurutschen – an der Nagelbank, am Großmast, an der Lukengräting und am Schanzkleid. Eine längliche Kiste am Backbordschanzkleid fiel ihm auf. Er arbeitete sich darauf zu und öffnete sie.
Hier fand er, was er suchte: einen Mast, Schoten mit Blöcken, ein Segel mit einer Spreizgaffel, ein Ruderblatt, eine Pinne und weitere Riemen. Er grinste und dachte: Fein. Alles, was das Herz begehrt, ist vorhanden. Du brauchst nur zuzugreifen.
Am Mast noch angeschlagen waren Vorstag sowie Backbord- und Steuerbordwant. Er konnte mit seinem neuen Fund wirklich zufrieden sein. Mit Sorgfalt wählte er aus, was er brauchte, dann begann er, es auf das Floß zu bugsieren. Er zurrte alles fest, vom Mast bis zur Pinne, und begab sich anschließend wieder an Bord der Galeone. Vielleicht hielt sie noch mehr angenehme Überraschungen für ihn bereit. Er bedankte sich bei dem Capitán, wer immer es gewesen sein mochte. Auch er – wie der Tote, dem er den Degen abgenommen hatte – ahnte sicherlich nicht, daß er ungewollt einem verdammten Engländer geholfen hatte.
Hasard durchforschte das Achterdeck und sah sich in allen Kammern um. Er entdeckte keinen einzigen Toten, dafür aber wieder Utensilien, die er gebrauchen konnte. Alles erweckte erstaunlicherweise einen recht freundlichen Eindruck, in der Kapitänskammer war es direkt gemütlich. Sie war mit dunkel gebeiztem Nußbaumholz getäfelt, die Einrichtung selbst war von erlesenem Geschmack.
Der Eigner – vielleicht war er der Capitán in Person – schien ein Mann von Format und Klasse zu sein. Das Schiff war solide gebaut und bestens ausgerüstet. Es verfügte über wenige Verzierungen, war aber dennoch von gediegener, unaufdringlicher Schönheit. Alles befand sich am rechten Platz. Nach Hasards Schätzungen war das Schiff nicht älter als fünf, sechs Jahre.
Ein Jammer, dachte er. Aber der Capitán hatte seine Berechnungen aufgestellt, bevor er es im Stich gelassen hatte. Die Schäden im Inneren mußten groß sein. Es kostete mehr, diese Galeone zu bergen, aufzuslippen und zu reparieren, als ein neues Schiff zu bauen und auszurüsten – so absurd das für jemanden klingen mochte, der mit der Seefahrt nicht vertraut war.
Störend wirkte in dieser Kapitänskammer eigentlich nur, daß alles schief stand und man sich nicht richtig hinsetzen konnte. Hasard arbeitete sich hangelnd quer durch den Raum und untersuchte die Schapps und das Pult. Er stieß auf zwei doppelläufige Pistolen, die er sich sofort zusteckte. Es waren teure Modelle mit achteckigen Läufen, die eine mit einem Radschloß und die andere mit einem Miqueletschloß versehen. Auch die dazugehörigen Kugeln und das Pulver fand er.
Ein Spektiv aus matt glänzendem Messing gehörte ebenfalls zu den brauchbaren Gegenständen, die er für die bevorstehende Bootsfahrt an sich nahm. Er hantierte prüfend damit herum, zog es auseinander und blickte von der Heckgalerie aus zur Insel. Die Optik war klar und scharf, nichts hatte die Qualität des Glases beeinträchtigt.
Er kehrte in die Kammer zurück, schob das Spektiv zusammen und steckte es hinter den Gurt. Dann öffnete er die Laden des Pults und zog ein paar Karten daraus hervor. Die beste und detailreichste nahm er mit, sie zeigte den gesamten Bereich der Karibik und schien recht zuverlässig zu sein, was die Angabe der geographischen Breiten und Längen betraf.
Wenig später entdeckte er in einem der Nachbarräume einen kleinen Bootskompaß und eine Muskete mit Munition und trockenem Pulver. Hammer, Axt und Säge stöberte er in der Werkstatt des Schiffszimmermanns auf, die weiter vorn lag. Hier fand er auch einige dicke, geschmiedete Nägel, für die er unter Umständen gleichfalls eine Verwendung fand.
Aber das war noch lange nicht alles. Er fand eine geteerte Jacke, die ihm paßte, Wolldecken und eine Persenning, ein leeres kleines Faß, eine Flinte, Angelhaken und Angelschnur, weiteres Tauwerk nebst Blöcken und eine Öskelle.
Nur ein Logbuch entdeckte er nicht, weder in der Kammer des Kapitäns noch in den anderen Räumen, die er gründlich untersuchte. Nichts gab ihm Auskunft über die Identität des Schiffes, und nirgends konnte er auch nur den Namen lesen. Ein Handelsfahrer war es, das stand fest, aber er bekam nicht heraus, woher er stammte, wohin er unterwegs gewesen war und was er geladen hatte.
Die Frachträume konnte er nicht weiter durchsuchen. Dort stand alles unter Wasser, und es war zu gefährlich, Tauchversuche zu unternehmen. Er ließ es bei dem jetzigen Ergebnis bewenden. Die Galeone wahrte ihre Anonymität, es schien, als wolle sie keine weitere Auskunft über sich geben. Hasard akzeptierte es – und er respektierte die Würde, die von diesem Schiff ausging.
Er war ein nur geduldeter Gast, und fast fühlte er sich wie ein Dieb. Er trug seine Fundsachen auf das Floß, verstaute wieder alles, löste die Leinen und legte ab. Mit einem Handzeichen grüßte er zum letztenmal die Galeone, dann wriggte er zur Lagune und zum Strand zurück, wo die Jolle lag und auf ihn wartete.
Aus einem Schapp einer Achterdeckskammer hatte er Verbandsstoff mitgenommen, so daß er seinen nassen Segeltuchverband jetzt austauschen und die Brust fest bandagieren konnte. Er verwendete einige Zeit und Mühe darauf, war mit dem Ergebnis aber zufrieden.
Er trat vor die Jolle hin und betrachtete sie. Der Wasserstand war wieder etwas abgesunken. Er griff zur Pütz, füllte sie mit Seewasser und kippte es in das Boot, bis es wieder bis zum Rand voll war.
Gegen Mittag suchte er mit dem Angelzeug eine Klippe auf und ließ sich nieder. Es war heiß geworden, aber er empfand die Sonne, die auf ihn niederbrannte, als angenehm.
Er blickte sich um und entdeckte einen winzigen Krebs, der auf ihn zukroch. Mit einigem Geschick gelang es ihm, ihn einzufangen und als Köder auf den Haken zu spießen. Er warf seine simple Angel aus, verfolgte, wie der Haken mit dem Köder untertauchte, streckte die Beine weit von sich und wappnete sich mit Geduld.
Wieder eilten seine Gedanken zu den Kameraden an Bord der „Isabella“, zu Ribault, dem Wikinger, Siri-Tong und den Freunden von der Schlangen-Insel. Fand jetzt die große Schlacht statt? Unwillkürlich lauschte er, aber es war kein ferner Kanonendonner zu vernehmen.
Es fiel ihm nicht leicht, dazuhocken und darauf zu warten, daß ein Fisch anbiß, während es auf der Schlangen-Insel jetzt um Leben und Tod ging. Allein die Vorstellung, daß der Bund der Korsaren bis aufs Blut kämpfte und er völlig machtlos war, setzte ihm wieder schwer zu.
Aber er wurde durch die Angel abgelenkt. Noch einmal hatte er Glück. Nur knapp eine Viertelstunde war verstrichen, wie er schätzte, und jetzt straffte sich die Schnur plötzlich.
Hasard richtete sich halb auf, gab etwas Schnur nach, zog ein wenig daran und sah unter der Wasseroberfläche einen Schatten, der sich ruckend bewegte. Das war kein kleiner Fisch – er schien einen ordentlichen Brocken am Haken zu haben.
Er ließ ihm noch etwas Spielraum, dann war er sicher, ihn fest am Haken zu haben. Entschlossen zog er an der Schnur und hievte die Beute aus dem Wasser. Sie entpuppte sich als ein prächtiger Zackenbarsch. Er fing ihn mit der Hand auf, warf ihn auf den Felsen und tötete ihn.
Nur kurze Zeit darauf gelang es ihm, noch einen zweiten Zackenbarsch zu fangen. Mit dem Messer weidete er beide Tiere aus. Dann kehrte er zu seinem Lagerplatz zurück.
In den Achterdecksräumen des Wracks hatte er auch ein paar Feuersteine und Feuerstahl gefunden, die er jetzt zum Einsatz brachte. Ein bißchen Laubwerk und dürre Zweige waren schnell zusammengesucht, die er als Zunder aufhäufte. Dann schlug er Feuerstahl und Flint aneinander, und der entstehende Funke entfachte den Zunder.
Bald knisterte und züngelte ein munteres Feuer. Hasard baute aus kleinen Astgabeln und Zweigen einen Drehspieß, auf dem er die beiden Fische zubereiten konnte. Während er sie briet, stand er noch einmal auf, ging zu der Jolle, kippte Wasser nach und suchte sein Lager wieder auf.
Die Fische waren gar. Er nahm seine einfache, aber wohlschmeckende Mahlzeit zu sich: heißer Zackenbarsch, frisch vom Spieß, reines Quellwasser, das er in einer Pütz aus dem Inseldschungel geholt hatte, ein wenig Kokosnuß und Branntwein. Der größte Hunger und Durst waren nun endgültig gelöscht.
Die letzten Glutreste des Feuers schüttete er mit Sand zu. Danach ging er zum Boot und kontrollierte es noch einmal. Er schüttete noch zwei Pützen Wasser nach, konnte sich nun aber davon überzeugen, daß immer weniger durch die Leckstellen nach außen drang.
Bald war es soweit – bald konnte er aufbrechen und in See gehen. Er fieberte diesem Moment jetzt entgegen und konnte es kaum noch erwarten, die Insel wieder zu verlassen.
Am späten Nachmittag dieses Tages hatte der Seewolf den Eindruck, daß über der Wasserlinie der Jolle nichts mehr nach außen sickerte. Trotzdem wartete er noch bis zum Einbruch der Dunkelheit, um ganz sicher zu sein, daß es keine unliebsamen Überraschungen gab, wenn er sich auf See befand.
Am Abend öste er die Jolle mit der gefundenen Kelle wieder leer, verstaute seine „gesammelten Güter“ in der Plicht, riggte das Boot auf, schob es in die Brandung und enterte an Bord.
Noch einmal wandte er sich um und blickte zum Strand und zu den Palmen zurück. Ade, Cay Santo Domingo, dachte er, wir sehen uns vielleicht noch einmal wieder, dann aber unter anderen Voraussetzungen. Er setzte das Segel, und die Jolle glitt aus der Lagune auf die offene See hinaus.
Genügend Proviant hatte er bei sich: gebratenen Zackenbarsch, Kokosnüsse, ein paar gebackene Möweneier, Trinkwasser aus der Quelle und Brandy. Damit konnte er eine Woche oder sogar noch länger durchhalten. Er hoffte inständig, daß die Fahrt zur Schlangen-Insel nur höchstens zwei oder drei Tage in Anspruch nehmen würde, mußte aber damit rechnen, daß der Wind einschlief oder das Wetter sich verschlechterte.
Der Wind fiel vorerst immer noch aus Nordosten ein. Hasard luvte an und nahm Kurs auf Great Inagua, deren Position er genau im Kopf hatte. Er plante, sich von einer Insel zur anderen voranzuarbeiten, von den Bahamas zu den Caicos. So hielt er das Risiko gering, von einem jäh heraufziehenden Sturm überrascht zu werden. Er mußte stets die Gelegenheit haben, relativ schnell unter Land zu verholen, um sich schützen zu können.
Die Jolle lag gut am Wind, und er trimmte sie so aus, daß er sogar das Ruder festlaschen konnte. Immer wieder kontrollierte er die Leckstellen, aber es bestand keine Gefahr mehr. Das Holz war aufgequollen und hielt dicht wie ein perfekt verschalktes Schiffsschott, kein Tropfen Wasser drang ein.
Der Wind dauerte die ganze Nacht über an. Hasard orientierte sich an den Sternen und hielt den Kurs. Blieb das Wetter, wie es war, konnte er Great Inagua im Verlauf des nächsten Tages erreichen.
Aber der 27. Juli bescherte ihm doch eine unangenehme Überraschung. Der Wind schlief ein, er blieb in einer Flaute hängen. Er mußte pullen und gelangte nur noch sehr langsam voran. Der Tag verstrich, ohne daß sich ein Lüftchen regte, und auch die nächste Nacht über blieb alles ruhig.
Hölle, dachte Hasard, wenn das so weitergeht, brauche ich einen Monat für den Törn zur Schlangen-Insel.
Er pullte und legte immer wieder Pausen ein. Die Brust machte ihm kaum noch zu schaffen, aber er konnte nicht unausgesetzt mit den Riemen arbeiten. Das hielt auch der stärkste Mann nicht durch.
Die Zeit verging, ein neuer Tag, der 28. Juli, kündigte sich im Osten durch heraufziehende Grauschleier an. Hasard hielt nach allen Seiten Ausschau und bediente sich dabei des Spektivs, aber er sichtete weder Land noch Mastspitzen. Wieder war er völlig allein, und das Gefühl der Einsamkeit beschlich ihn von neuem.
Er hatte nur wenig geschlafen, und auch die Müdigkeit zehrte an ihm. Er trank etwas Branntwein, verdünnt mit Wasser, aß ein Stück Kokosnuß und begann wieder zu pullen.
Wenig später hob er den Kopf und registrierte, daß das Segel sich bewegt hatte. Eine Brise begann zu wehen und umfächelte ihn, zunächst nur schwach, dann aber zunehmend stärker. Er konnte wieder segeln, brauchte nur noch die Pinne zu bedienen und konnte sich wieder ausruhen.
Der Wind dauerte an, aber erst am Abend hatte Hasard Great Inagua endlich in Sicht. Im Einsetzen der Dunkelheit entdeckte er einen Schimmer an der Westküste und richtete das Spektiv darauf. Ein Feuer – vielleicht war dort jemand, der ihm helfen konnte? Ebensogut konnte es sich natürlich um ein Lager von Küstenhaien oder Galgenstricken handeln. Aber er beschloß, trotzdem darauf zuzuhalten und zumindest zu untersuchen, wer das Feuer entfacht hatte. Er würde es so einrichten, daß er nicht gesehen wurde.
Vorsichtshalber überprüfte er die beiden doppelläufigen Pistolen und die Muskete, die er natürlich schon vor dem Verlassen von Cay Santo Domingo geladen hatte. Man kann ja nie wissen, dachte er. Ein Schußwechsel mit Piraten war allerdings das allerletzte, auf das er erpicht war. Er wollte nur erfahren, was es mit dem Feuer auf sich hatte, und hoffte, nicht in eine Falle zu geraten.