Kitabı oku: «Seewölfe Paket 21», sayfa 26

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6.

Selbstherrlich thronte Don Antonio de Quintanilla, der Gouverneur von Havanna, auf einem Kissen an dem flackernden Lagerfeuer. Die Flucht war ihm gelungen, und er durfte mit Recht – wie er sich immer wieder einredete – stolz auf sich sein. Er schürzte die Lippen und schaute sich triumphierend um, nickte seinen Kumpanen wohlwollend und aufmunternd zu und fühlte sich rundum wohl.

Dieses Mal war er nicht seekrank geworden, er hatte die Fahrt mit der Schaluppe gut überstanden. Pinzón, der Sub-Teniente, hatte gesagt, ihm seien nun wohl doch die richtigen Seebeine gewachsen. Don Antonio fühlte sich geschmeichelt. Er liebte es, wenn man ihm Honig um den Bart schmierte und ihm die Stiefel leckte. So hatte es eigentlich an Bord der „San José“ sein sollen, so hatte er es sich vorgestellt: daß er von vorn und hinten bedient wurde und man ihm jeden Wunsch von den Lippen ablas.

Aber es war anders gekommen. Kaum hatten sie den Hafen von Havanna verlassen, war ihm gräßlich übel geworden. Dann hatte er baden wollen, und es hatte eine Ewigkeit gedauert, bis Don Garcia Cubera eine Balje besorgt hatte. Er hatte es ohnehin nur widerstrebend getan.

Überhaupt, Don Garcia Cubera: Er war sein ärgster Feind geworden. Die anfänglichen Diskrepanzen hatten sich zu einem offenen Streit entwickelt. Don Antonio wollte umkehren und von dem Wahnsinnsplan, die Schlangen-Insel anzugreifen, ablassen. Er vermutete sogar, daß ihn das Niggerweib hereingelegt hatte. Er wollte heimkehren nach Havanna und dort sein angenehmes Leben führen, aber Cubera hatte sich dickschädlig in die Idee verbohrt, das Unternehmen zu Ende zu führen.

Folglich hatte Don Antonio versucht, ihn aus dem Weg zu räumen. Aber es hatte nicht geklappt. Gomez Guevara, der Kammerdiener, der zu jeder Schurkerei und sogar zu Meuchelmord fähig und bereit war, war entlarvt und gehängt worden. Cubera hatte ihn, Don Antonio, zu Kammerarrest verurteilt.

Aber das war noch nicht alles. Wenn es Cubera gelang, seinen Gefangenen nach Havanna zurückzubringen, würde er ihn dort vor ein Gericht zerren und endgültig aburteilen lassen. Da nutzte dann alles nichts mehr, weder Gift noch Bestechung. Vor einem neutralen Gerichtshof war Don Antonio zum Scheitern verdammt. Das bedeutete mit anderen Worten: Tod durch den Strang, durch Erschießen oder Köpfen.

Unwillkürlich schloß er die Augen. Er war diesem Schicksal entgangen, und er würde es verstehen, seine alte Position zu behaupten und zu festigen. Er empfand sich als Sieger und Herr der Lage, und seine altgewohnte, dreiste Arroganz war wieder erwacht – stärker als je zuvor.

Wer wollte ihn jetzt noch belangen? Sollte Cubera nach ihm suchen, er würde ihn nicht finden – jetzt nicht mehr. Don Antonio hatte sich aller erdenklichen Tricks bedient, um etwaige Verfolger irrezuführen und keine Spuren zu hinterlassen. Und diesen einen großen Vorteil hatte das Wasser ja: man hinterließ dort keine Fährten.

Für Cubera und seine Verbandskapitäne hatte sich Don Antonio in Luft aufgelöst. Sie konnten ihn abschreiben. Wahrscheinlich waren sie froh darüber, aber sie ärgerten sich natürlich auch, daß er ihnen entwischt war. Schließlich hatten sie sich an ihm rächen wollen.

So sah Don Antonio das, aber in Wirklichkeit hegte Cubera keine Haß- oder Vergeltungsgefühle gegen ihn. Er handelte nur um der Gerechtigkeit willen und erfüllte seinen Auftrag als Seeoffizier und Führer eines Kriegsgeschwaders korrekt, wie es sich gehörte. Er würde auch weiterhin nach dem Dicken fahnden, und wenn er ihn in Havanna antraf, würde er ihn anklagen – des versuchten Mordes, der Meuterei, der Bestechung, Insubordination und Fahnenflucht.

Fahnenflüchtige waren auch die Männer in Don Antonios Gesellschaft: der Sub-Teniente Vicente de Pinzón mit seiner Schaluppenmannschaft und Alonzo Coloma, der Proviantmeister der „San José“. Der Tod war ihnen sicher, wenn Cubera sie jemals wieder auffand und festnahm.

Sie hatten sich des schlimmsten Verbrechens schuldig gemacht, das ein Soldat begehen konnte. Desertion und Feigheit vor dem Feind waren schlimmer als Meuterei oder Befehlsverweigerung. Es gab nichts Verachtenswerteres als diese Art von Verrat. Schmächlich hatten sie ihre Kameraden im Stich gelassen, die gegen einen starken, hartnäckigen und eiskalt kalkulierenden Feind bestehen mußten. Verdrückt hatten sie sich wie Marodeure, die von den Erfolgen anderer profitieren und plündern und stehlen, wo sie können, aber Reißaus nehmen, sobald es gefährlich wird.

Doch all das kümmerte Don Antonios neue Gefolgschaft nicht im geringsten. Sie lachten und stießen sich an, ließen den Dicken hochleben und machten sich einen feinen Abend am Strand der Insel Great Inagua, die eine nicht vorhergesehene Station auf ihrer Flucht war.

De Pinzón empfand keine Skrupel. Sollten die Kerle vom Verband doch zusehen, wie sie zurechtkamen! Eine Schaluppe mehr oder weniger bedeutete ohnehin so gut wie nichts, das hatten der Angriff auf die Schlangen-Insel und das mißglückte Landeunternehmen deutlich bewiesen. Schon da hatte de Pinzón Zurückhaltung geübt und sich nicht „vorgedrängelt“. Nur deshalb – davon war er fest überzeugt – waren seine Männer und er überhaupt noch am Leben.

Coloma bereute den Schritt ebenfalls nicht. Er war sicher, daß er Kuba oder gar die Heimat Spanien nie wiedergesehen hätte, wenn er weiterhin an Bord der „San José“ geblieben wäre. Ein Wahnsinnsunternehmen war das Ganze – Don Antonio hatte das ganz richtig ausgedrückt.

Cubera hatte sich vergaloppiert, aber er wollte es nicht eingestehen, weder vor seinen Offizieren und der Mannschaft noch vor sich selbst. Er kämpfte bis zum bitteren Ende – und die „San José“ war wie die anderen Schiffe des Verbandes dem Untergang geweiht.

Es gab keine Rettung mehr. Der Feind stöberte sie sicherlich erneut auf und gab ihnen den Rest. Dann flogen wieder die Fetzen, und jeder Mann opferte sein Leben für das Vaterland und den glorreichen König, Seine Allerkatholischste Majestät, Philipp II. Und was hatten sie davon? Sie starben, aber Seine Hoheit würde es wahrscheinlich nicht einmal erfahren.

Dann schon lieber abhauen, bevor es zu spät ist – so hatten sie gedacht und ihren Plan in die Tat umgesetzt. So oder so riskierten sie ihr Leben, aber die Flucht räumte ihnen weitaus mehr Chancen ein, doch noch mit heiler Haut davonzukommen.

Immerhin hatte Don Antonio ihnen nicht nur harte, solide Goldtaler für ihre Hilfe bezahlt, er hatte ihnen auch allerlei versprochen. Er würde sie, so prahlte er, im Gouverneurspalast von Havanna verstecken, und Cubera sollte nur antanzen, dann würde er schon sehen, was er davon hatte.

Doch Cubera erreichte Havanna niemals mehr, dessen war Don Antonio völlig sicher. Er setzte es voraus und rechnete fest damit, daß er, wenn er endlich wieder in seiner Residenz saß, kandierte Früchte essen, süßen Portwein schlürfen und seine Ruhe haben würde.

Diese Kerle – de Pinzón, Coloma und die Schaluppen-Crew – glaubten ihm natürlich jedes Wort. Aber er würde es schon verstehen, sich ihrer zu entledigen, wenn er sie nicht mehr brauchte. Vorläufig log er noch das Blaue vom Himmel herunter, aber selbstverständlich hatte er nicht ernstlich vor, sie bei sich in der Residenz aufzunehmen. Doch nicht solches Volk, dachte er verächtlich, gab sich aber Mühe, ihnen nicht offen zu zeigen, wie er sie beurteilte.

Das Feuer, das der Seewolf aus der Ferne gesichtet hatte, brannte in einer Bucht an der Westküste von Great Inagua, und zwar bereits seit dem Spätnachmittag. In der halbkreisförmigen Bucht lag die Schaluppe vor Anker, bewacht von einem Posten.

Der Rest der Besatzung samt der Seesoldaten hatte sich mit dem Dicken, dem Proviantmeister und dem Sub-Teniente an Land begeben und um das Feuer versammelt – und es gab allen Grund zum Lachen und zur Freude, denn am Drehspieß bewegte sich ein triefendes, verheißungsvoll duftendes Schwein, das nun verspeist werden sollte.

Die Männer grölten, stießen sich untereinander mit den Ellenbogen an, tranken von dem Rotwein, der zur Ausrüstung der Schaluppe gehörte, und warteten gespannt darauf, daß der Braten endlich gar wurde. Einer von ihnen stand immer wieder auf und stach prüfend mit einer langen Gabel in das Tier.

„Es dauert nicht mehr lange“, sagte er.

„Das will ich dir auch geraten haben!“ rief de Pinzón, und wieder lachten sie alle.

Ein richtiges Wildschwein – wer hätte das gedacht! Ein Festmahl nach all den Strapazen, Ängsten und Entbehrungen, die sie in den vergangenen Tagen hatten auf sich nehmen müssen. Sie hatten es verdient. Diese Ansicht vertrat Don Antonio, und die Kerle feierten ihn mit ihren „Hoch“- und „Hurra“-Rufen wie einen Fürsten.

Don Antonio trank von dem dunklen, süffigen Wein, schloß die Augen und öffnete sie wieder. Er fühlte sich wie neugeboren. Er konnte es noch gar nicht fassen, daß er dem Teufel Cubera tatsächlich entkommen war, und doch war es die Realität.

„Mein lieber Coloma“, sagte er leutselig. „Dies ist der schönste Tag in meinem Leben. Noch nie habe ich mich so wohl wie heute gefühlt.“

Coloma, selbst dick und übersättigt, warf ihm aus seinen kleinen, listigen Augen einen raschen Seitenblick zu.

„Aber nicht doch, werter Don Antonio“, sagte er mit zuckersüßer Stimme. „Jetzt übertreiben Sie.“

„Nein, nein, es ist wirklich ein Feiertag für mich.“

„Sie werden ihn nie vergessen?“

„Nie. Aber vor allem werde ich immer daran denken, wie ihr mir geholfen habt, meine lieben Freunde.“ Don Antonio ließ sich zu einer jovialen Geste verleiten und legte Coloma die Hand auf die Schulter. Am liebsten hätte er ihn und die anderen schon jetzt irgendwie aus dem Weg geräumt, aber er brauchte sie ja noch.

„Ist das Kissen auch weich genug?“ fragte Coloma.

„Ja.“

„Möchten Sie noch einen Schluck Wein, Señor?“ fragte einer der Soldaten, der als Mundschenk diente.

„Ja, ausgezeichnet“, erwiderte Don Antonio.

„Señor Gouverneur“, sagte de Pinzón mit verschlagenem Grinsen. „Welches Stück hätten Sie gern? Darf’s ein Filet sein?“

„Ja, Filet ist gut.“

„Filet!“ brüllte de Pinzón seinem Koch zu. „Und hoffentlich wird’s bald, wir haben Kohldampf!“

Das stimmte. Viel hatte es an Bord der Schaluppe nicht zu beißen gegeben, und es war immer die gleiche Kost: Schiffszwieback, Dörrfleisch und Dünnbier. Sie hatten es satt, es hing ihnen zum Halse heraus. Sie wollten frisches Fleisch, Wein in Mengen und nach Möglichkeit – im ersten Hafen, den sie erreichten – Weiber, mit denen sie nächtelang herumhuren konnten.

Das Fleisch war schon mal da, und de Pinzón war klug genug, das Faß Wein zu opfern, das er bisher wie seinen Augapfel gehütet hatte. Die Stimmung mußte angeheizt werden, der Sieg wurde gefeiert!

Sie hatten Great Inagua im Norden gerundet und dadurch eventuelle Verfolger abgeschüttelt, die davon ausgegangen waren, die flüchtige Schaluppe würde bei Westkurs südlich der Insel bleiben. Die Verfolger hatte es wirklich gegeben – die letzte Kriegskaravelle des Verbandes, die inzwischen auch nicht mehr existierte. Sie war mit der „Empress of Sea II.“ zusammengetroffen und von Old O’Flynn und dessen grimmig entschlossener, aufgebrachter Crew versenkt worden. Anfangs war die „Empress“ der geflohenen Schaluppe nachgesegelt, später aber auf Gegenkurs gegangen, weil Old O’Flynn und seine Männer von der Überlegung ausgegangen waren, daß die Schaluppe einen anderen Kurs genommen haben mußte. Es war sinnlos geworden, die weite See nach ihr abzusuchen.

Hätten Don Antonio und seine Spießgesellen davon auch nur etwas geahnt, dann hätte ihre Begeisterung jetzt keine Grenzen mehr gekannt. Aber auch so waren sie bereits ganz schön in Fahrt – der Rotwein tat seine Wirkung, bevor das eigentliche Festmahl überhaupt begann.

Am Nachmittag dieses Tages hatte der Ausguck der Schaluppe an Land ein Schweinerudel gesichtet und sofort gemeldet. Irgendwann einmal mußten auf Great Inagua diese Tiere ausgesetzt worden sein. Hausschweine sicherlich, die mit der Zeit aber wieder verwildert waren. Don Antonio hatte davon gehört, daß es auch auf Hispaniola solche zurückentwickelten Schweine geben sollte, die von den ersten spanischen Kolonisten aus der Heimat an Bord ihrer Schiffe mitgebracht worden waren.

Als der Ausguck das Rudel gemeldet hatte, war Don Antonio sofort hellwach gewesen und hatte seiner Genußsucht nach all den Entbehrungen an Bord der „San José“ nicht widerstreben können. Ganz abgesehen davon hatten natürlich alle den größten Appetit auf einen saftigen Wildschweinbraten.

Folglich ankerte man in der Bucht, und an Land schwärmten die Seeleute und Seesoldaten aus. Bald krachten die Musketen. Sie erlegten einen prächtigen Keiler, weideten ihn aus und hängten ihn am Drehspieß über das Feuer, das mit größter Sorgfalt von de Pinzón persönlich entfacht und entsprechend angeheizt wurde.

Der Wein umnebelte Don Antonios Geist – aber nur ein wenig. Er trank wieder einen Schluck, schnalzte mit der Zunge und tupfte sich den Mund mit einem weißen Tuch ab. Er war eitel Wohlwollen – und immer noch voller Versprechungen.

Während er das brutzelnde, saftige Schwein beobachtete und ihm das Wasser bereits im Mund zusammenlief, sagte er: „Señores, ich muß euch ein Lob aussprechen. Es war klug von euch, den Restverband von Cubera zu verlassen.“

„Ja, das finde ich auch“, sagte Coloma sofort. „Sie sind alle zum Untergang verdammt, und Cubera ist ein verfluchter Narr. Ich habe schon lange die Nase voll gehabt.“

Wenn ich das doch früher geahnt hätte, dachte Don Antonio, dann wäre ich jetzt schon in Havanna. Laut sagte er: „Sehr richtig. Ihr werdet es nicht bereuen, meine Freunde, daß ihr euch unter meinen Schutz gestellt habt. Es war das Klügste, was ihr überhaupt tun konntet.“

„Das wissen wir“, sagte de Pinzón grinsend. „Und wir sind auch davon überzeugt, daß wir heil und unbeschadet Havanna erreichen.“

„Ja“, pflichtete Coloma ihm bei. „Ich habe nun auch keinen Zweifel mehr daran.“

„Wie sieht die Residenz von innen aus?“ fragte de Pinzón. „Ich war erst einmal in Havanna und habe sie flüchtig von außen gesehen. Ein prächtiger Bau! Mit allem Prunk und Luxus, nicht wahr?“

„So ist es“, erwiderte Don Antonio.

De Pinzón lachte. „Der elende Küstenwachdienst vor Remedios hat mir schon lange gestunken! Aber jetzt werde ich ja endlich nach Havanna versetzt!“

Das hatte Don Antonio ihm versprochen. „Und befördert“, fügte er gönnerhaft hinzu.

„Ja. Ich kann’s kaum erwarten!“

„Vielleicht brauche ich einen neuen Stadtkommandanten“, sagte Don Antonio. Er brauchte ihn ganz gewiß, denn Don Ruiz de Retortilla mußte früher oder später ersetzt werden. Aber nicht der Sub-Teniente würde den Posten bekleiden, ganz bestimmt nicht. Irgendwie war er dem Dicken zu gerissen. Er tat nur so unbedarft und schien in Wirklichkeit alles zu durchschauen. Vor ihm mußte man sich in acht nehmen.

„Alles zu seiner Zeit“, sagte Don Antonio. „Wer unter meinem persönlichen Schutz steht, der hat nichts zu befürchten.“

Das klang gut, war aber natürlich dummes Zeug, weil er zur Zeit und in dieser Situation absolut keine Schutzfunktion ausüben konnte. Aber was scherte ihn das? Wichtig war nur, daß die Kerle auch weiterhin auf sein Kommando hörten und ihn verehrten.

„Tapfere Kerle!“ stieß Don Antonio überschwenglich hervor. „Ja, das seid ihr! Nach unserer Rückkehr nach Havanna werde ich euch belohnen und dafür sorgen, daß ihr alle einen guten Posten übernehmt – vorausgesetzt, ihr wollt es!“

„Ja!“ brüllten die Kerle.

„Gut so“, sagte Don Antonio und ließ sich seine Muck wieder mit Wein füllen. „Jeder Wunsch wird persönlich behandelt, keiner soll sich zu beklagen haben.“ Er blickte zu de Pinzón. „Mein Bester, noch ein Wörtchen zu diesem edlen Tropfen.“

„Señor?“

„Du hast das Faß öffnen lassen, aber ich werde es dir ersetzen!“

„Nein – das geht zu weit, wirklich!“ stieß de Pinzón in gespielter Empörung aus und hob die Hand zu einer abwehrenden Geste.

„Nichts da!“ schrie der Dicke. „Keine Widerrede! Das ist ein Befehl! Das Faß wird ersetzt! Trinkt, Leute – Don Antonio bezahlt für euch!“

Und so wurde immer kräftiger gebechert, während der Spießbraten allmählich immer knuspriger ausschaute. Das Fest näherte sich einem ersten Höhepunkt – und keiner der Spanier bemerkte die Jolle, die sich vorsichtig der Bucht näherte – auch der Posten an Bord der Schaluppe nicht, denn der hatte nur Augen für den verlockenden Braten und das Faß Wein.

Er hielt sich für den im Moment unglücklichsten Menschen der Welt, denn er konnte an dem Gelage erst teilnehmen, wenn man ihn abgelöst hatte. Und vielleicht war dann der Wein ausgesoffen, und die besten Stücke vom Wildschweinbraten hatten sich die anderen einverleibt.

7.

Hasard umsegelte die Bucht und spähte wieder zu dem Feuer. Er hörte das Lachen und Grölen der Männer und stellte fest, daß es sich um Spanier handelte, aber ihre Gesichter konnte er auf die Entfernung nicht erkennen, auch durch das Spektiv nicht. Daß sich aber alles um einen dicken Braten versammelt hatte, registrierte er doch.

Guten Hunger, dachte er, aber Zackenbarsch ist auch nicht schlecht.

Wer waren diese Spanier? Hatten sie mit dem Kriegsverband zu tun? Nein, er konnte es sich nicht vorstellen. Was hatte sie hierher verschlagen? Waren sie etwa die Überlebenden der Handelsgaleone von Cay Santo Domingo? Nein – auch das schloß er aus. Die hatten sich mit größter Sicherheit nach Süden gerettet, und das Geschehen mußte auch schon Wochen zurückliegen. Außerdem hatten sie bestimmt nicht ein so großes Boot gehabt.

Im Vorbeisegeln sah er die Schaluppe, die in der Bucht vor Anker lag. Er erkannte auch, daß sie mit Drehbassen bestückt war. Was es mit diesem Segler auf sich hatte, wollte er jetzt unbedingt herausfinden.

Die Besatzung schien vollzählig an Land zu sein und hatte sich kreisförmig um das Feuer gruppiert. Immer lauter ging es zu, und der Wein schien tüchtig zu fließen. Sehr schön, dachte er, aber bald sind sie alle sternhagelvoll.

Er landete in der Nähe der Bucht, sicherte die Jolle und begab sich, mit der Muskete, den beiden Pistolen, dem Degen und dem Messer bewaffnet, zu dem nahen Unterholz. Er tauchte unter, blieb stehen und sah sich prüfend nach allen Seiten um, konnte aber nirgends einen Wachtposten entdecken. Die Dons benahmen sich völlig ungezwungen und schienen sich sehr sicher zu fühlen.

Hasard pirschte sich durch das Buschwerk in die Nähe des Feuers und lauschte den Gesprächen. Da wurde wieder gelacht und gegrölt, aber es wurden auch Komplimente ausgetauscht, die so falsch waren wie die ganze Atmosphäre der Freundlichkeit, die zwischen den beiden dicken Männern und dem hageren Mann mit dem verkniffenen Gesicht herrschte. Sie beherrschten das Zentrum der Versammlung und schienen die Anführer zu sein.

Plötzlich erstarrte der Seewolf. Jetzt ging ihm ein Licht auf – und ihm war klar, wer der fette Kerl mit der verrutschten Perücke war, der dauernd an seiner Muck nippte und gierig auf den Braten stierte. Der Gouverneur von Kuba! Don Antonio de Quintanilla!

Er wurde mit „Señor Gouverneur“ angesprochen, und man dienerte auch entsprechend. Die ganze Szene war ebenso absurd wie abstoßend, und Hasard wäre am liebsten aufgesprungen, um dem Kerl die Abreibung zu geben, die er ihm im stillen bereits versprochen hatte.

Er hatte sich gewünscht, ihm zu begegnen – jetzt hatte er ihn vor sich!

Aber natürlich mußte sich Hasard zurückhalten. Mit der Muskete und den beiden Pistolen konnte er gegen so viele Gegner kaum etwas ausrichten, obwohl er das Überraschungsmoment auf seiner Seite hatte. Es empfahl sich, zunächst abzuwarten, zu lauschen und sich eine List zurechtzulegen, mit der er den Dicken früher oder später überrumpeln konnte.

Er hatte keinen Zweifel, daß es sich tatsächlich um Don Antonio de Quintanilla handelte. Arne hatte ihm eine ausführliche Beschreibung des Kerls gegeben, sie ließ keinen Irrtum zu. Was aber von größter Bedeutung und Wichtigkeit für Hasard war, das waren die Informationen über das Kampfgeschehen, die er den Gesprächen dieser Spanier zumindest ansatzweise entnehmen konnte.

Er ließ sich auf den Bauch sinken, lag ausgestreckt da und konnte jedes Wort, das gesprochen wurde, deutlich genug verstehen, zumal sich die Kerle keine Mühe gaben, ihre Stimmen zu dämpfen. Sie fühlten sich nicht der geringsten Gefahr ausgesetzt und schienen mit heimlichen Beobachtern nicht zu rechnen. Daß die Insel unbewohnt war und zumindest an dieser Seite außer den Wildschweinen keinerlei Überraschungen bot, wußten sie, denn sie waren am Nachmittag gelandet und hatten alles genau ausgekundschaftet.

Der Braten wurde jetzt angeschnitten, die ersten Stücke verteilt. Don Antonio war zu beneiden, er empfing das beste, saftigste und zarteste Stück – ein riesiges Filet.

Aber auch die anderen konnten sich nicht beklagen. Sie drehten und wendeten das Fleisch in ihren Händen, bissen gierig zu und kauten geräuschvoll. Jetzt herrschte plötzlich Stille, sie wurde nur durch das Schmatzen und Schnaufen der hungrigen Männer unterbrochen.

Das Wildschwein war beim Braten immer wieder mit Seewasser übergossen worden, damit es die erforderliche Dosis Salz erhielt. Ein System, das durchaus funktionierte, auch der Kutscher hatte es schon ausprobiert. Die spanischen Schiffsköche waren findig und hatten Phantasie, die meisten von ihnen waren echte Zauberkünstler. So auch der Koch der Schaluppe. Die lobenden Worte und das zustimmende Nicken, mit denen seine Kameraden ihn bedachten, bewiesen, daß er sein Werk zur Zufriedenheit aller verrichtet hatte.

Es schmeckte ihnen so richtig, und das Fett lief ihnen über Wangen, Kinn und Finger. Es dauerte nicht sehr lange, und gut die Hälfte des Tieres war verspeist. Immerhin – Hasard zählte einundzwanzig Spanier, Don Antonio de Quintanilla mitgerechnet, und keiner von ihnen schien unter Appetitlosigkeit zu leiden.

Aus Teilen des Gespräches war ihm klargeworden, daß diese Kerle dem Verbandsführer, Cubera, praktisch von der Flagge gegangen waren. Sie waren Deserteure, und sie mußten mit der Höchststrafe rechnen – wenn man sie faßte.

Ob man sie aber jemals stellte, war noch die große Frage, denn Cubera schien mit seinem Verband erheblich in Bedrängnis geraten zu sein. Es gehörte kein großer Scharfsinn dazu, alles aus den Worten dieser Schaluppenbesatzung herauszuhören: Die Freunde der Schlangen-Insel mußten dem Verband gehörig eingeheizt haben.

Allem Anschein nach war eine der Galeonen im Tor zur Hölle auseinandergeflogen, die anderen waren bei der Belagerung erheblich ramponiert worden.

Ein Landeunternehmen hatte im Dunkeln stattgefunden, aber die Männer in den Jollen und den Schaluppen von Remedios waren auch hier gescheitert. Erbittert war der Widerstand der Schlangen-Krieger und -Kriegerinnen, Arkana führte sie mit meisterhafter Strategie an. Karl von Hutten, Pater David und Ramsgate samt den Männern von der Werft holzten ebenfalls mit, was das Zeug hielt. Cubera hatte sich an ihnen die Zähne ausgebissen.

Inzwischen hatte er – dem Vernehmen nach – also nur noch zwei Kriegsgaleonen und eine Kriegskaravelle, und auch die waren alle mehr oder weniger beschädigt. Daß Old Donegal Daniel O’Flynns „Empress of Sea II.“ an diesem Morgen die Karavelle versenkt hatte, konnten auch Hasard wie Don Antonio und dessen Begleiter nicht wissen.

Der klägliche Restverband hatte nach Grand Turk verholt und erholte sich dort. Gefechtsschäden wurden repariert und die Verletzten versorgt. Cubera ließ Listen aufstellen, wieviel Pulver, Kugeln und Proviant noch in den Depots vorhanden war, und Don Antonio schien sich ihm bei dieser Gelegenheit angedient zu haben. Er hatte die Chance aber nur genutzt, um sich endgültig abzusetzen.

Die Komplizenschaft des anderen Dicken, des Proviantmeisters Coloma, war ihm dabei unabdingbar gewesen. Coloma war das typische Schlitzohr, das auch an Bord eines Segelschiffes seine Pfründe hatte. Hasard schätzte, daß er Lebensmittel und Wein unterschlagen hatte, um sie an Land zu veräußern und sich das Geld in die eigene Tasche zu stecken. Er kannte diese Art von Kerlen. Aber lieber hatte Coloma auf seine Einnahmequelle verzichtet, als daß er das Risiko einging, an Bord der „San José“ zu sterben, wenn das nächste Gefecht stattfand.

Also Flucht – und Don Antonio hatte natürlich tief in die Tasche gegriffen. Er hatte diesen Dicken genauso entlohnt, wie er auch dem Schaluppenkommandanten de Pinzón einige Piaster oder Taler zugesteckt haben mußte. Aus dem Benehmen dieser beiden ließ sich schließen, daß sie bereits kassiert hatten. Die anderen, die Seeleute und Seesoldaten, sollten laut Don Antonios prahlerischer Rede alle noch fürstlich entlohnt werden.

Wer’s glaubt, wird selig, dachte Hasard. Er kannte solche Sprüche. In Wirklichkeit würde sich Don Antonio die Bande vom Hals schaffen, sobald er sie nicht mehr brauchte und sich eine passende Gelegenheit dazu ergab. Er konnte sie nicht dauernd wie einen Ballast mit sich herumschleppen. Sie waren ihm ein Klotz am Bein. Aber noch schienen sie nicht begriffen zu haben, daß er sie ausbooten würde. Noch herrschte die Begeisterung vor, die sie alles andere vergessen ließ.

Aber es würde noch ein böses Erwachen geben. Sie waren dem Tod entronnen, jedoch keineswegs in Sicherheit. Es kann auch passieren, daß sich die Wölfe gegenseitig zerfleischen, dachte Hasard, es wäre nicht das erste Mal.

Besonders de Pinzón schien darauf aus zu sein, Don Antonio doch irgendwie zu hintergehen. Die Art, wie er ihm schmeichelte und vor ihm katzbuckelte, grenzte an offenen Hohn – aber das schien wiederum dem Gouverneur nicht aufzufallen.

Eine feine Gesellschaft, dachte Hasard, aber wartet, ihr kriegt noch euer Fett.

Die Nachrichten über den Verlauf der Schlacht waren gut, und er atmete auf. Er durfte also wieder hoffen. Die Schlangen-Insel war nicht gefallen, sie befand sich nach wie vor in der Hand der Freunde. Daß die „Le Vengeur III.“ gesunken war, erfuhr er nicht. Erst später sollte er darüber unterrichtet werden.

Mit fettigen, klebrigen Fingern griffen die Kerle nach ihren Bechern und Mucks und ließen sich von dem „Mundschenk“ wieder Wein nachfüllen. Es ging hoch her, und vier, fünf Seeleute stimmten im Überschwang ihrer Gefühle ein unanständiges Lied an. Hasard mußte unwillkürlich grinsen. Gut so, dachte er, eßt und trinkt – und schlaft, wenn ihr müde seid, Compagneros. Nur zu!

Es lohnte sich, zu warten. Am liebsten hätte er zwar den dicken Gouverneur in einem tollkühnen Handstreich vereinnahmt und entführt, um ihn zur Schlangen-Insel zu verschleppen. Aber er überlegte es sich wiederum gründlich und gelangte zu dem Schluß, daß es doch eine Torheit wäre, jetzt zu handeln. Das Risiko, das er dabei einging, war zu hoch. Er hatte zwanzig Männer gegen sich, darunter zehn Seesoldaten.

Trotz des Weines, den sie getrunken hatten, waren sie immer noch reaktionsfähig. Nur einer von ihnen brauchte den mutigen Mann zu spielen, und er, Hasard, konnte einpacken. Ein Schußwechsel war das letzte, das er sich leisten konnte, und auch ein Handgemenge und Kampf mit Blankwaffen brachten ihn nicht weiter. Das Ziel, das er verfolgte, konnte er auch anders erreichen. Er brauchte dazu nur List und Geduld.

An denen sollte es nicht mangeln. Er beobachtete weiterhin die Spanier und vernahm, was sie sagten. Es waren jetzt eher belanglose Sachen, die geäußert wurden, aber sie gaben ihm doch Auskunft über den Charakter und das Wesen des Don Antonio.

Dieser fette Kerl war wirklich der Oberschurke von Havanna, und wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte ganz Spanien in Schutt und Asche versinken können. Die Hauptsache dabei war, daß die Residenz von Havanna erhalten blieb und er sein Schäfchen ins trockene brachte.

So hatte ihn auch Arne von Manteuffel geschildert. Aber Hasard hatte diesen Dicken erst richtig sehen müssen, um sich ein vollständiges Bild von ihm machen zu können. Der Mann war die Krönung aller durchtriebenen, korrupten und hinterhältigen Kerle, die Hasard je begegnet waren.

Daß er vor nichts zurückschreckte, wußte er auch. Giftmord und Folter – die Residenz von Havanna war nur äußerlich ein Paradies aus Zuckerguß. In ihrem Inneren, hinter der prunkvollen Fassade, herrschten Terror und Gewalt. Don Antonio gab große Feste, aber er war in der Lage, seinen besten Freund zu töten, wenn dieser ihm im Weg stand.

Das allerschlimmste aber war, daß er eine Frau hatte töten lassen, Samanta de Azorin. Alles hätte man ihm verzeihen können, nur das nicht. Es war das Gemeinste und Dreckigste, was es geben konnte.

Du wirst dafür noch bezahlen, dachte der Seewolf, ich schwöre es dir.

„Noch ein Stück, Filet!“ schrie Don Antonio. „Her damit! Ich habe Hunger!“

„Sehr wohl, euer Gnaden“, sagte de Pinzón und winkte seinem Koch herrisch zu. „Wird’s bald? Muß ich denn alles zweimal sagen?“

„Wein her!“ brüllte Coloma. „Meine Kehle ist trocken!“

„Wir haben auch Durst!“ grölten die Seeleute.

„Das Faß ist bald leer“, sagte der Mundschenk.

„Wir haben noch ein zweites an Bord“, sagte de Pinzón. „Heute fallen Ostern und Weihnachten auf einen Tag, Amigo, und so jung kommen wir nicht wieder zusammen. Also, wenn das verdammte Faß leer ist, stechen wir das zweite an, klar?“

„Jawohl!“ rief der Mundschenk.

„Es lebe der Comandante!“ brüllten die Kerle. „Es lebe Don Antonio! Es lebe Don Alonzo Coloma!“

Coloma verdiente die Anrede „Don“ natürlich nicht, aber das spielte keine Rolle. Überhaupt, man sollte es mit den Titeln und Rängen nicht so genau nehmen. Sie saßen ja – im wahrsten Sinne des Wortes – alle in einem Boot, und jeder taugte soviel wie der andere. Das redeten sie sich zumindest ein, und sie glaubten auch daran. Sie waren alle schon ziemlich stark angetrunken, auch Don Antonio, der dicke Proviantmeister und der Sub-Teniente.

Fleisch und Wein wurden verteilt, und wieder bewegten sich die Kieferknochen mahlend, und die fettglänzenden Lippen verursachten schmatzende und schnalzende Geräusche. Die Knochen flogen in den Sand und in die Büsche, das Grölen und Singen nahm in der Lautstärke noch zu.

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