Kitabı oku: «Seewölfe Paket 24», sayfa 21
„Hanno!“ rief Hein Ropers. „Nichts wie ’ran!“
Hanno richtete sich von dem außer Gefecht gesetzten Gegner auf und fuhr zu Hein Ropers herum. Die Soldaten waren heran und hoben die Musketen, um damit auf die Aufsässigen einzuschlagen. Hein Ropers donnerte dem ersten, der in seine Reichweite geriet, den erbeuteten Helm auf den Schädel.
Das gab wieder einen scheppernden Laut, und der Helm rutschte dem Soldaten bis über die Augen. Hein Ropers setzte ihm die Faust gegen die Kinnlade, und der Mann taumelte zurück. Er ruderte mit den Armen und nahm zwei seiner Kameraden mit. Sie kämpften fluchend um ihr Gleichgewicht.
Aber immer mehr Soldaten rannten die Niedergänge zur Back hinauf. Eine Riesenkeilerei begann – mit Hein Ropers und Hanno Harms im Zentrum.
Jean Ribault wäre den beiden gern zu Hilfe geeilt, doch sie hatten abgesprochen, daß er sich zurückhielt. Er schirmte Jans und Mels Flucht sozusagen als Posten ab – und sollte alles so klappen, wie sie es sich ausrechneten, mußte zumindest er als letzter „Deutscher“ an Oberdeck der „Goldenen Henne“ zurückbleiben.
Hein und Hanno schlugen sich wie die Berserker. Die Soldaten brauchten immer mehr Nachschub. Mit polternden Schritten näherten sich die Spanier auch von achtern und stürmten nach vorn.
Keiner beachtete mehr Ribault, Jan Ranse und Mel Ferrow, auch nicht die Wachen an Bord der beiden Kriegsgaleonen und der Kriegskaravelle. Auf der Back der „Goldenen Henne“ war der Teufel los.
Der Radau schwoll derart an, daß selbst Don José de Zavallo, der sich inzwischen in der Koje der Kapitänskammer zur Ruhe begeben hatte, hochschreckte und aufsprang. Er stieß ein paar üble Verwünschungen aus, kleidete sich eilig an und hastete nach draußen.
5.
Jan Ranse und Mel Ferrow nahmen die günstige Gelegenheit wahr. Sie huschten zum Heckschanzkleid, kletterten hinüber und enterten zur Galerie ab. Von hier aus gelangten sie über das Hennegat und das Ruder in die Jolle. Blitzschnell kappte Jan mit dem einen der beiden Fleischermesser, das Mel ihm inzwischen zugesteckt hatte, die Schleppleine. Mel kauerte bereits hinter ihm im Boot. Die Leine brach, die Jolle blieb hinter der „Goldenen Henne“ im Kielwasser zurück.
Spätestens jetzt hätten zumindest die Deckswachen der spanischen Kriegskaravelle Alarm schlagen müssen. Aber sie hatten nur Augen für die Kämpfer auf der Back der „Goldenen Henne“. Mit gutem Grund: Dort ging es zu, als sei der Teufel in eigener Person aufgeentert. Hein Ropers und Hanno Harms schlugen mit Fäusten, Helmen und erbeuteten Musketen um sich. Sie standen Rücken an Rücken und schickten einen Gegner nach dem anderen auf die Planken.
Jean Ribault registrierte, daß Jan Ranse und Mel Ferrow verschwunden waren. Er grinste, dann sah er, wie das Schott des Achterkastells aufflog und gegen die Querwand knallte. Don José de Zavallo stürmte aus dem Gang hervor, sein Gesicht war wild verzerrt.
„Was geht hier vor?“ schrie er.
„Krawall!“ brüllte einer der Soldaten.
De Zavallo raste an Jean Ribault vorbei, ohne ihn zu bemerken. Unwillkürlich überlegte Jean Ribault, ob er nach unten laufen und das Schott zur Vorpiek öffnen sollte. Er bewegte sich auf das Vordeck zu.
Doch das Steuerbordschott des Vordecks wurde von innen aufgestoßen. Der Sargento sprang auf die Kuhl und richtete seine Muskete auf Jean Ribault.
„Keine Bewegung!“ herrschte er ihn an. „Hände hoch!“
Jean Ribault hob die Hände. Mit dem Sargento war nicht zu scherzen. Der hatte ohnehin einen Haß auf ihn, weil er ihn niedergeschlagen hatte.
Soldaten stürmten aus dem Vordeck auf die Kuhl.
„Auf die Back!“ rief der Sargento ihnen zu.
Er selbst blieb jedoch vor Jean Ribault stehen, hielt ihn mit der Muskete in Schach und ließ ihn nicht aus den Augen.
Don José de Zavallo kämpfte sich auf der Back durch das wüste Getümmel der Leiber auf Hein Ropers und Hanno Harms zu. Er wollte Hein Ropers packen. Der aber rammte ihm die Faust bretthart gegen das Kinn.
De Zavallo flog zurück und stürzte nur deshalb nicht auf die Planken, weil seine Soldaten ihn auffingen. Die Kinnlade schmerzte wieder wie wahnsinnig, glühende Nadeln schienen darin zu stecken. De Zavallo stieß die wüstesten Flüche aus, die er kannte.
Selbst der Verbandsführer war inzwischen aufmerksam geworden. Er stand auf dem Achterdeck der Führungsgaleone und verfolgte mit fassungsloser Miene, was auf der Back der „Goldenen Henne“ passierte.
„Recht so!“ schrie Hanno. „Wir schmeißen sie alle über Bord!“
Daraus wurde dann aber doch nichts. Hein Ropers und Hanno Harms schenkten den Spaniern nichts – und sie hatten einen wilden Spaß daran, endlich ihre Fäuste einsetzen zu können. In diesen Fäusten schien Eisen zu stecken. Sie setzten ihren Gegnern wüst zu, aber letzten Endes war die Übermacht doch zu groß.
Aber der Zweck der Übung war erreicht. Jan Ranse und Mel Ferrow waren entwischt. Die Kriegskaravelle war immer weiter nach Backbord aufgesegelt, die Deckswache konnte gar nicht genug von dem tobenden Handgemenge mitkriegen, das sich auf der beschlagnahmten Karavelle abspielte.
So fiel keinem der Spanier auf, daß sich die Jolle vom Heck der „Goldenen Henne“ löste und nach Steuerbord, also ostwärts, in der Dunkelheit verschwand.
Aufatmend ließen sich Jan Ranse und Mel Ferrow auf die Duchten sinken. Sie hatten den Mast gerichtet und das Segel gesetzt. Hoch am Wind glitt die Jolle dahin. Die beiden Männer lauschten dem Gebrüll, das noch immer an Bord der „Goldenen Henne“ ertönte.
„Hein und Hanno machen ihre Sache wirklich gut“, sagte Jan Ranse. „Aber hoffentlich hat das keine Schikanen dieses verdammten Teniente zur Folge.“
„Das glaube ich kaum“, erwiderte Mel Ferrow. „Sie sind jetzt alle wach und auf den Beinen. Der Verbandsführer wird es wohl nicht zulassen, daß der Teniente auf eigene Faust handelt. Hein und Hanno wandern ab in die Vorpiek, das ist alles.“
„Hoffentlich behältst du recht“, sagte Jan Ranse.
Besorgt schaute er trotzdem drein. Das Schicksal der Kameraden war ungewiß. Mel und er mußten so schnell wie möglich die Freunde erreichen, sonst konnte es für Jean Ribault und die Crew der „Goldenen Henne“ höchst übel aussehen.
In diesem Punkt gab sich auch Mel Ferrow keinen Illusionen hin. Sie mußten rasch nach Grand Bahama gelangen und danach trachten, möglichst am nächsten Morgen auf die „Isabella IX.“ und den Schwarzen Segler zu stoßen. Dann hieß es, Kurs auf St. Augustine zu nehmen, wo der Kriegsschiff verband mit der „Goldenen Henne“ an die Pier gehen würde.
„Mann“, sagte Mel Ferrow. „Drück uns die Daumen, Jan. Daß wir es schaffen.“
„Wir schaffen es“, sagte Jan.
Das Geschrei an Bord der „Goldenen Henne“ hatte inzwischen nachgelassen und verebbte jetzt ganz. Jan Ranse und Mel Ferrow wechselten nur stumm einen Blick. Sie wußten, was das bedeutete. Hein Ropers und Hanno Harms waren im „Gefecht“ untergegangen, mit „flatternden Fahnen“ sozusagen.
In der Tat: Endlich war es den spanischen Seesoldaten gelungen, die beiden Deutschen zu überwältigen und niederzuschlagen. Hein Ropers und Hanno Harms fielen auf die Planken, schwer wie deutsche Eichen. Sie grinsten sich noch zu, dann wurden sie bewußtlos. Hein Ropers glaubte, irgendwo Singvögel zwitschern zu hören, bevor ihm die Sinne schwanden. Unsinn, dachte er, auf See gibt’s keine trällernden Piepmätze. Hanno hörte gar nichts mehr. Er sah nur blutrote und gelbe Kreise vor seinen Augen tanzen. Dann versank alles in erlösender Finsternis.
Der Teniente Don José de Zavallo wollte sich in seiner Wut auf die beiden Besinnungslosen stürzen. Aber vom Achterdeck der Führungsgaleone ertönte eine schneidende Stimme. „Teniente!“
De Zavallo wandte den Kopf. „Señor Capitán?“
Der Verbandsführer hatte im stillen sein Urteil über diesen de Zavallo etwas revidiert. Für einen Teufelskerl hatte er ihn gehalten. Aber auch der Teniente war nicht übermächtig und unfehlbar. Die Deutschen hatten ihm eine harte Nuß zu knacken gegeben.
„Teniente!“ rief der Kommandant. „Was ist da los? Wie konnte das schon wieder passieren?“
„Unaufmerksamkeit!“ rief de Zavallo zurück. „Ich werde meine Leute dafür zur Verantwortung ziehen!“
„Die Männer waren auf ihren Posten!“ rief der Kommandant. „Meine Männer können es bestätigen! Aber die Deutschen scheinen sie provoziert zu haben!“
„Ja, so muß es gewesen sein“, antwortete de Zavallo.
„Das reicht mir jetzt!“ rief der Verbandsführer. „Sorgen Sie dafür, daß so etwas nicht mehr geschieht.“
„Ja, Señor!“ De Zavallo zitterte vor Wut. So etwas mußte ihm passieren! Diese verfluchten Deutschen! Er wies auf Hein Ropers und Hanno Harms. „Abführen, die Hunde!“ schrie er. „Schleppt sie weg! Sperrt sie zu den anderen in die Vorpiek!“
Gesagt, getan – Hein und Hanno wurden von den aufgebrachten Soldaten nach unten transportiert. Dabei ging man nicht sehr zimperlich mit ihnen um. Hanno fing auch noch einen derben Tritt ein, als die Spanier das Schott der Vorpiek aufrissen und ihn zu den anderen warfen. Doch davon merkte er nichts. Er schlief immer noch tief und fest.
Hein Ropers kam als erster wieder zu sich. Er rieb sich den Schädel und blinzelte ein bißchen mit den Augenlidern. Die höllischen Schmerzen gingen davon aber nicht weg.
„He“, brummte er. „Wo bin ich hier?“
„Wo wohl?“ sagte eine bekannte Stimme. „In der Vorpiek natürlich.“
„Renke? Wo ist Hanno.“
„Hier neben mir“, entgegnete Renke Eggens. „Mann, ihr habt ja einen Heidenspektakel veranstaltet. Was war los?“
„Ablenkungsmanöver“, erwiderte Hein Ropers lakonisch. „Jeans Plan. Mel und Jan sind weg, abgehauen mit der Jolle.“
„Gut“, sagte von Hutten. „Siehst du, Renke, es hat geklappt.“
„Ein Glück“, sagte Renke. „Die beiden werden es schon schaffen, Hasard und den Wikinger zu verständigen. Na, dann haben wir ja wieder eine Hoffnung.“
„Daß sie uns heraushauen“, brummte Hein Ropers. „Ehe die Dons uns an der Rah zum Zappeln aufhängen. Ich glaube, die haben so langsam die Schnauze von uns voll.“
„Hat dieser Scheißteniente schon gemerkt, daß unsere Leute weg sind?“ fragte Erich Winlow.
„Noch nicht“, erwiderte Hein Ropers. „Aber wenn ihr einen Schrei hört, wißt ihr, daß es soweit ist.“
Die spanische Kriegskaravelle war unterdessen zurückgefallen und segelte wieder im Kielwasser der „Goldenen Henne“. Der Soldat, der auf der Back die Wache hatte, sah ein wenig verblüfft zum Heck der „Henne“. Immer wieder kratzte er sich an der Stirn. Da stimmte, doch was nicht!
Schließlich benachrichtigte er den Profos, der auf der Kuhl der Kriegskaravelle das Kommando über die Mitternachtswache hatte. „Profos, Profos!“
Der Profos setzte eine grimmige Miene auf. Schon wieder dieser Kerl, dachte er, der raubt mir noch den letzten Nerv. Der „Kerl“ war dafür bekannt, daß er immer eine Menge Geister und Spukgestalten sah, und er spann die übelsten Schauergarne. Seine Kameraden behaupteten, er sei nicht ganz richtig im Kopf – eben „etwas bescheuert“.
Der Profos enterte auf die Back der Karavelle.
„Was ist los?“ fragte er.
„Da fehlt was am Heck der deutschen Karavelle“, sagte der Soldat aufgeregt.
„So? Was denn? Das Ruder vielleicht?“
„Ich weiß es nicht.“
„Du weißt nicht, was fehlt?“ stieß der Profos wutschnaubend aus. „Weißt du, was ich glaube? Dir fehlt was – nämlich der Grips! Statt dessen hast du Kabelgarn in deinem Gehirn!“
„Ja, Señor“, sagte der Soldat, dann drehte er sich wieder um und blickte starr zum Heck der „Goldenen Henne“. Da fehlte wirklich was – aber es wollte ihm nicht einfallen, was es war.
Erst etwa eine Stunde nach Mitternacht wurde das Fehlen der beiden deutschen „Hands“ an Bord der „Goldenen Henne“ von de Zavallos Soldaten bemerkt. Und da stieß de Zavallo den Wutschrei aus, auf den die Männer in der Vorpiek warteten. Sie grinsten sich im Dunkeln an.
„Jetzt hat er sein Fett“, sagte Hanno Harms, der mittlerweile auch das Bewußtsein wiedererlangt hatte. „Das gönn’ ich ihm, diesem eitlen Gockel.“
„Wo sind sie?“ brüllte de Zavallo Jean Ribault an, nachdem man ihm das Fehlen von Jan Ranse und Mel Ferrow gemeldet hatte.
Jean Ribault zuckte nur mit den Schultern. „Keine Ahnung. Über Bord gefallen vielleicht?“
De Zavallo wäre dem Franzosen am liebsten an die Kehle gesprungen, doch er bezwang sich.
„Wo sind sie?“ brüllte er noch einmal.
„Ich weiß es nicht“, antwortete Jean Ribault, und das stimmte im Prinzip ja auch. Wußte er, wo Jan und Mel jetzt waren? Nein. Nur eins war ihm gewiß – daß es den Spaniern jetzt garantiert nicht mehr gelang, die beiden Flüchtlinge wiederzufinden.
„Teniente!“ rief der Sargento vom Achterdeck. „Die Jolle ist auch weg!“
„Die Jolle“, sagte de Zavallo ächzend. „Sie sind damit getürmt.“ Er sah Jean Ribault mit wilder Mordlust in den Augen an. „Und du hast es gewußt, du Hurensohn!“
„Wenn ich ein Hurensohn bin, bist du ein verdammter Bastard“, sagte Ribault, allerdings auf Deutsch.
„Sprich Spanisch!“ schrie de Zavallo.
„Teniente!“ rief in diesem Moment der Verbandsführer. „Was ist jetzt schon wieder passiert?“
„Zwei Deutsche sind geflohen!“ erwiderte de Zavallo. „Mit der Jolle, die wir im Schlepp hatten!“
„Das haben Sie zu verantworten, Teniente!“ rief der Verbandsführer. „Passen Sie gefälligst besser auf!“
„Ich finde sie wieder!“ stieß de Zavallo mit seltsam schriller Stimme hervor. Seine Nerven schienen der Belastung kaum noch gewachsen zu sein.
„Nein!“ rief der Kommandant. „Wir werden wegen dieser beiden Kerle nicht die Fahrt unterbrechen und eine Suchaktion beginnen! Das ist Unsinn!“
„Aber …“
„Wir segeln weiter!“ rief der Verbandsführer. „Der Teufel soll die Kerle holen! Achten Sie gefälligst darauf, daß es nicht dauernd zu Zwischenfällen kommt, verdammt noch mal!“
„Ja, Señor!“ würgte de Zavallo hervor. Diesen Rüffel mußte er einstecken – er! Am liebsten wäre er in der See versunken. Eine solche Blamage hatte er schon lange nicht mehr erlitten. Deutsche Bastarde, dachte er, das sollt ihr mir büßen!
Täuschte er sich – oder ertönte aus der Vorpiek ein dumpfes, höhnisches Lachen? Herrgott, dachte er, ich verliere noch den Verstand.
Ja, sie lachten wirklich, die Männer in der Vorpiek. Sie hatten ja jedes Wort verstehen können.
„So!“ brüllte Hanno Harms begeistert. „Das hat er nun davon, der Hundesohn von einem Teniente!“
Als die Posten mit den Musketenkolben gegen das Vorpieksschott donnerten, stellten die Männer ihr Lachen ein. Nur zwei Kerle lachten noch, allerdings nicht an Bord der „Goldenen Henne“, sondern auf dem Flaggschiff des Verbandes – Pedro Tores und El Rojo. Sie wollten sich ausschütten vor Lachen. Zu ihrem Glück hatten sie jetzt Freiwache und befanden sich im Logis, wo es außer ihren Kameraden niemand sonst hören konnte.
Don José de Zavallo blickte Jean Ribault an.
„Ich will dich hier nicht länger sehen, du Drecksack!“ sagte er.
„Wie’s beliebt“, sagte der Franzose. „Wenn es irgendwo ein Schlafplätzchen für mich gibt, lege ich mich gern zur Ruhe.“
„Ja“, sagte der Teniente mit zynischem Grinsen. „Ich habe ein feines Plätzchen für dich.“
So wurde auch Jean Ribault zur Vorpiek abgeführt.
Als er zwischen seinen Kameraden kauerte und das Schott hinter ihm zuknallte, brummte Renke Eggens: „Eigentlich haben wir schon auf dich gewartet.“
„Na, nun bin ich ja da“, sagte Jean Ribault. „Ein Glück, daß wir hier so viel Platz haben.“
„Ach, das ist nicht so schlimm“, sagte Karl von Hutten. „Ich stelle mir dauernd vor, wie Jan und Mel den Steckmast der Jolle setzen, das Segel riggen und ostwärts kreuzen. Das genügt mir.“
„Ja“, sagte Jean Ribault grimmig. „Und bald sind wir in St. Augustine. Freut ihr euch schon darauf?“
„Und wie“, sagte Renke. „Die Dons werden uns dort bestimmt einen herzlichen Empfang bereiten.“
Am frühen Morgen des 29. April liefen die drei spanischen Kriegsschiffe mit ihrer „Beute“ in St. Augustine ein. Don José de Zavallo stand an der Schmuckbalustrade des Achterdecks der „Goldenen Henne“ und blickte zu den Menschen, die auf den Piers zusammenliefen.
Inzwischen hatte er seine Selbstsicherheit wiedererlangt. Es war nur richtig gewesen, daß er auch den frechen Kerl, diesen Ersten Offizier, zu den anderen in die Vorpiek gesteckt hatte. Seitdem hatte es keine unliebsamen Überraschungen mehr gegeben. In der Vorpiek wären die Hunde auf Nummer Sicher.
Doch jetzt mußten sie von der Karavelle an Land geschafft werden, und dort konnten sie wieder für Ärger sorgen, wenn sie nicht sofort eingesperrt wurden. Diese Deutschen, die sich als so unberechenbar und tolldreist erwiesen hatten, waren hinter Schloß und Riegel am besten aufgehoben.
Die Schiffe vertäuten im Hafen. Sofort gab der Verbandsführer seine Befehle. De Zavallo sollte die Gefangenen mit einem starken Trupp Seesoldaten unverzüglich zur Festung bringen und dort ins Gefängnis sperren lassen. Dem Teniente war das nur recht. Er stellte seinen Trupp zusammen, dann ließ er die Gefangenen aus der Vorpiek der „Goldenen Henne“ holen.
Ribault, Karl von Hutten, Renke Eggens, Hein Ropers, Hanno Harms und die anderen Männer der Crew traten einer nach dem anderen auf die Kuhl ihres Schiffes. Sie blinzelten in das Sonnenlicht, das ungewöhnlich grell für sie wirkte. Dann starrten sie in die Mündungen von Musketen.
„Guten Morgen“, sagte Renke Eggens ironisch. „Der Herr Teniente will kein Risiko mehr eingehen, was?“
De Zavallo hatte es gehört und trat näher.
„Bei der geringsten falschen Bewegung gebe ich den Befehl zum Feuern“, sagte er.
„Sie werden dies alles zu verantworten haben“, sagte Renke. „Es ist völlig unzulässig, ein Schiff auf diese Weise aufzubringen. Das ist Piraterie, Señor. Ich verlange noch einmal …“
„Gar nichts verlangen Sie“, unterbrach ihn de Zavallo kalt. Dann gab er dem Sargento und den Soldaten einen Wink. „Abführen!“
Renke sah ein, daß es keinen Sinn hatte. Er würde mit dem Verbandsführer nicht reden können. Dann eben nicht, dachte er grimmig, aber mit dem Festungskommandanten werden wir uns schon verständigen. Er muß sich wenigstens anhören, was wir vorzutragen haben.
Während sie unter Bewachung der Soldaten an Land gebracht und zur Festung dirigiert wurden, dachte Renke immer wieder darüber nach, welche Chancen sie hier in St. Augustine hatten, überhaupt angehört zu werden.
Nun – Don Antonio de Quintanilla würde dem Festungskommandanten kein Unbekannter sein. Der Hinweis auf den Gouverneur konnte den Kommandanten möglicherweise doch einschüchtern oder ihn zumindest nachdenklich stimmen.
Was aber weder Renke noch die anderen Männer der „Goldenen Henne“ ahnen konnten, war die Tatsache, daß im Inneren der Festung eine Überraschung besonderer Art auf sie wartete. Ein neuer Sachverhalt! Er sollte den weiteren Verlauf des Geschehens entscheidend beeinflussen, allerdings nicht zugunsten der „Vengeurs“ und ihrer deutschen Kameraden.
6.
Ihre Schritte hallten auf den Steinstufen der steilen Treppe, als sie in den Festungskerker hinunterstiegen. Renke Eggens und Jean Ribault waren ganz vorn, an der Spitze der Gruppe, den Schluß bildete Jonny, der jüngste Mann der Crew.
De Zavallo und seine Seesoldaten hielten die Männer nach wie vor mit Musketen in Schach. Es gab keine Chance zur Flucht. Die Männer der „Goldenen Henne“ waren ihrem Schicksal ausgeliefert.
Aber dann ging das große Theater los: Die Gefangenen wurden an einer großen Kerkerzelle vorbeigeführt, in der zerlumpte, heruntergekommene Gestalten hockten. Die Gestalten erhoben sich, traten näher und umklammerten mit abgemagerten, klauenartigen Händen die Gitterstäbe. Neugierige Blicke richteten sich auf die neuen Gefangenen.
Plötzlich stieß jemand einen Schrei aus: „Das sind sie! Die Bastarde!“
„Maul halten!“ fuhr de Zavallo die Zelleninsassen an.
„Die Bastarde! Ich erkenn’ sie wieder!“ brüllte der Kerl in der Zelle.
Erst jetzt ging es auch Renke Eggens, Jean Ribault und der Crew auf, daß die Gefangenen mit den „Bastarden“ keineswegs die spanischen Soldaten meinten.
Ein Finger richtete sich auf die Männer der „Goldenen Henne“. Es war derselbe Kerl, der eben geschrien hatte. Jetzt brüllte er: „Die haben sich die ‚Lady Anne‘ unter den Nagel gerissen! Samt der Goldbeute!“
Jean Ribault spürte, wie es ihn siedendheiß durchlief. Herrgott, dachte er, das kann nicht wahr sein. Und doch begriff er: Ausgerechnet die Kerle des Sir John Killigrew waren es, die da in der Zelle standen und sie wie Wesen von einem anderen Stern angafften. Es war kaum zu fassen, aber wahr: ausgerechnet hier, in St. Augustine, traf man wieder aufeinander!
Beim näheren Hinsehen stellte sich heraus, daß der Schreihals keinesfalls abgemagert war, sondern im Gegenteil wohlgenährt. Trotz des Bartes, den er inzwischen trug, erkannte Jean Ribault ihn wieder: Es war O’Leary, der brutale Bootsmann der ehemaligen „Lady Anne“.
Ihm schien es am besten von allen zu gehen. Außer den Kerlen der Sir-John-Crew entdeckten Ribault und seine Freunde nun auch die sieben Hochwohlgeborenen, darunter Sir James Sandwich. Die erweckten den derangiertesten Eindruck. Kein Wunder, denn sie hatten den rohen Patronen von der „Lady Anne“ ja nichts entgegenzusetzen.
O’Leary, das war auf Anhieb klar, regierte in der Zelle – und er frißt sich auf Kosten der feinen Gentlemen dick und rund, klarer Fall, dachte Jean Ribault. Ihre Blicke trafen sich, und O’Leary stieß einen wüsten Fluch aus.
Als die Seesoldaten die neuen Gefangenen hereingeführt hatten, hatte O’Leary geglaubt, ihn müsse der Schlag treffen. Natürlich, das waren sie: die Bastarde, die die „Lady Anne“ entführt hatten. Er hatte nicht den geringsten Zweifel. Kerle, die zu dem verfluchten Seewolf und der schwarzhaarigen Hexe gehörten!
Na, das war vielleicht ein Ding!
„He!“ grölte O’Leary. „Ich will sofort den Kommandanten sprechen!“ Er rüttelte mit den Fäusten an den Gitterstäben. „Zum Henker! Ich habe ihm etwas Wichtiges mitzuteilen!“
Jean Ribault zuckte mit keiner Wimper, aber noch einmal durchfuhr es ihn siedendheiß. Und er war sich sofort darüber im klaren, was jetzt los sein würde. Die Folgen waren unausdenkbar – auch in Verbindung zu Arne von Manteuffel!
Mein Gott, dachte Ribault, daß ausgerechnet diese Hundesöhne überlebt haben und jetzt hier hocken! Natürlich kannte er die ganze Geschichte mit Sir Johns „Crew von Lumpen“, die Freunde hatten ihm hinterher alles erzählt. Seinerzeit war er bereits mit der „Lady Anne“ und der Goldladung zur Schlangen-Insel gesegelt. Danach hatten die Geschehnisse um Sir John und dessen Crew ihre fatale Wende genommen. Doch wer hatte ahnen können, daß die Überlebenden ausgerechnet hierher, nach St Augustine, verschlagen werden würden?
Don José de Zavallo war stehengeblieben. Er befahl seinen Soldaten, ebenfalls anzuhalten. Der Zug verharrte.
De Zavallo trat zu Ribault, blickte zu O’Leary, und fragte barsch: „Was gibt es hier zu schreien?“
O’Leary wies auf Ribault. „Der da! Der gehört zu dem Piratenpack!“
Sir John Killigrews Ferkelsöhne Simon Llewellyn und Thomas Lionel waren mittlerweile hinter den Bootsmann getreten.
„Ja“, bestätigten sie wie aus einem Mund. „Das stimmt!“
„Ich verstehe kein Wort“, sagte de Zavallo. Er wandte sich an Jean Ribault. „Du vielleicht Deutscher?“
„Ich spreche Deutsch und Spanisch“, entgegnete Ribault so ruhig wie möglich.
„Einen Dolmetscher holen!“ rief de Zavallo einem seiner Soldaten zu. Der Mann, der ganz am Ende der Gruppe stand, drehte sich um und verschwand über die Steintreppe nach oben.
Seine hastigen Schritte verklangen. Schweigen war eingetreten. Nur das Scharren von Füßen auf dem harten Fußboden war zu vernehmen. O’Leary, die Killigrew-Brüder, die Überlebenden der „Lady Anne“-Crew und die sieben „Gentlemen“ sahen die „Deutschen“ mit unverhohlenem Haß an.
„Ihr kennt euch?“ fragte de Zavallo.
„Nein“, erwiderte Ribault.
„Piraten“, sagte O’Leary. „Piraten.“
Dieses Wort verstand der Teniente, und er sprach wieder Jean Ribault an. „Der Kerl behauptet, ihr seid Piraten?“
Ribault sah de Zavallo gelassen in die Augen.
„Was schert es mich, was dieses Subjekt behauptet, Teniente?“ fragte er in seinem – absichtlich – gebrochenen Spanisch zurück.
Schritte näherten sich und trappelten die Treppe herunter. Der Soldat erschien mit dem Dolmetscher, einem etwas untersetzten, mittelgroßen Spanier.
O’Leary begann sofort wieder zu brüllen und deutete mit dem Finger auf Jean Ribault. „Der! Der gehört zu dem Piratenpack des Philip Hasard Killigrew! Ich kann’s beschwören! Ich halte meine Hand dafür ins Feuer!“
Der Dolmetscher übertrug seine Worte ins Spanische. Don José de Zavallo rieb sich nachdenklich das Kinn und musterte wieder Jean Ribault. Doch der verzog keine Miene – und auch seine Kameraden zeigten keinerlei Reaktion.
Die Ferkel-Brüder Simon Llewellyn und Thomas Lionel stimmten wieder mit ein: „Jawohl, sie sind englische Piraten! Auch wir können das bezeugen!“
„Was sagen diese Säcke?“ wollte der Teniente von dem Dolmetscher wissen.
„Daß sie es bezeugen können, Señor.“
„Gut.“ De Zavallo blickte wieder Ribault an. „Es ist, wie ich eben schon vermutet habe. Der Kerl scheint dich zu kennen. Und er sagt, du seist kein deutscher Handelsfahrer, sondern ein englischer Pirat.“
Ribault war jetzt völlig ruhig und antwortete kaltblütig: „Ich kenne diese Subjekte nicht, Teniente.“ In seiner Stimme lag ein verächtlicher Unterton, und – o ja – er konnte schauspielern, wenn es darauf ankam. „Sieht man ihren Visagen nicht bereits an, wer sie sind?“
„Sie behaupten, daß du zu Killigrew gehörst“, sagte der Teniente.
„Wer ist denn dieser Killigrew?“ fragte Renke Eggens.
„Ruhe“, sagte de Zavallo. „Ich will kein Wort hören. Ich spreche mit diesem Mann hier.“ Wieder sah er Ribault herausfordernd an. „Nun?“
„Ich kenne keinen Philip Hasard Killigrew“, entgegnete Jean Ribault. „Denn ich fahre seit Jahren als Erster Offizier für das deutsche Handelshaus der von Manteuffels. Mit Piraten habe ich nie etwas zu tun gehabt. Das überlasse ich zum Beispiel den Spaniern, die sich ja auch nicht scheuen, ein deutsches Handelsschiff zu beschlagnahmen und die Mannschaft in einen Kerker zu sperren.“
De Zavallo brauste wieder auf. „Ich verbitte mir derartige Reden! Zur Hölle mit euch Deutschen! Du lügst!“
„Was sagt er?“ fragte O’Leary den Dolmetscher.
„Daß diese Männer Deutsche sind und lügen“, erwiderte der Dolmetscher.
„Was?“ brüllte O’Leary. „Deutsche? Da lachen ja die Hühner! Das sind Killigrew-Schnapphähne! Piraten!“
„Ruhe!“ schrie Don José de Zavallo ihn an. Mit einer herrischen Gebärde bedeutete er auch dem Dolmetscher, zu schweigen.
„Ich lüge nicht“, sagte Jean Ribault. „Und ich verbitte mir solche Anschuldigungen, Teniente.“
„Basta!“ brüllte de Zavallo. „Das reicht! Genug! Sperrt diesen Mann in eine Einzelzelle!“ Er griff nach Ribaults Arm und stieß ihn auf zwei der Soldaten zu. „Weg mit ihm!“
Jean Ribault war versucht, den Mann niederzuschlagen. Er konnte in diesem Moment nur mit äußerster Beherrschung an sich halten. Doch er durfte keinen Fehler begehen. Widerstandslos ließ er sich abführen.
Die Soldaten schubsten ihn an Renke Eggens vorbei, und er konnte Renke gerade noch zuflüstern: „Keine Sorge! Auch, wenn sie mich foltern, gebe ich nichts zu! Lieber verrecke ich!“
„Halte durch, Jean!“ zischte Renke.
„Steckt die anderen in die große Sammelzelle!“ ordnete de Zavallo an.
So wurden auch Renke Eggens, Hein Ropers, Hanno Harms, Karl von Hutten und die übrigen Männer der „Goldenen Henne“ eingesperrt. Ein Wärter öffnete eine große Eisentür. Die Soldaten richteten ihre Musketen auf die Crew. Schweigend betraten die Männer ihr Verlies.
Es war gut doppelt so groß wie das Mannschaftslogis der „Goldenen Henne“ und bot ihnen genug Platz. Stroh war auf dem harten Steinboden ausgestreut.
Von Hutten ließ sich als erster darauf nieder und sagte: „So, dann dürfen wir uns wohl auf einen längeren Aufenthalt einrichten.“
Renke hockte sich neben ihn. „Das findest du wohl witzig, was?“
„Nein“, erwiderte von Hutten grimmig. „Absolut nicht. Es ist nur eine gewisse Portion Galgenhumor.“
„Hört euch das an“, sagte Hein Ropers.
Im Kerker war der Teufel los. O’Leary hörte nicht auf, zu brüllen und zu toben. Er rüttelte an den Gitterstäben seines Verlieses.
„Piraten! Sie sind Piraten!“ schrie er. „Der eine gehört zu Killigrew! Hängt ihn auf!“
„Aufhängen!“ heulten auch die Killigrew-Brüder.
Da begannen auch die anderen Männer der „Lady Anne“ zu schreien und zu lärmen. Don José de Zavallo nahm die Neunschwänzige vom Gurt und drohte damit. Aber das Drohen nutzte nichts. Er hieb wütend nach O’Leary, doch der wich gedankenschnell aus. Die Peitsche traf Simon Llewellyn und Thomas Lionel, und die Ferkel-Brüder heulten auf wie Straßenköter.
Jetzt wurde es auch in den benachbarten Zellen lebendig. Die Kerkerinsassen tobten und brüllten und schlugen mit ihrem Eßgeschirr gegen die Gitter und die Wände.
De Zavallo schaute sich nach Verstärkung um. Ein paar Wärter, grobschlächtige Kerle, rückten an, und der Teniente befand, daß es besser war, ihnen die Angelegenheit zu überlassen. Sie würden schon für Ruhe sorgen.
Im Kerker von St. Augustine schien ein wahres Inferno ausgebrochen zu sein. Der Höllenlärm drang bis nach draußen und ließ die Spanier aufhorchen – in der Festung und am Hafen.
Selbst Don Lope de Sanamonte, der Kommandant, schaute von seinem Schreibpult auf. Er stand auf, schritt durch sein Arbeitszimmer und öffnete die Tür.
„Was ist da los?“ fragte er den Posten, der auf dem Flur Wache hielt. „Das hört sich nach einem Aufstand im Gefängnis an.“
„Ob es mit den Gefangenen von dem requirierten Schiff zu tun hat, Señor?“
„Sehen Sie nach“, sagte Don Lope. „Ich erwarte Ihre Meldung.“ Mit diesen Worten zog er sich wieder in seinen Raum zurück.