Kitabı oku: «Seewölfe Paket 26»
Impressum
© 1976/2019 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-95439-994-9
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de
Inhalt
Nr. 501
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Nr. 502
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Nr. 503
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Nr. 504
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Nr. 505
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Nr. 506
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Nr. 507
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Nr. 508
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Nr. 509
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Nr. 510
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Nr. 511
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Nr. 512
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Nr. 513
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Nr. 514
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Nr. 515
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Nr. 516
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Nr. 517
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Nr. 518
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Nr. 519
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Nr. 520
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
1.
Old Donegal Daniel O’Flynn ließ nun schon zum wiederholten Male sein meckerndes Lachen hören. Ed Carberry, der – wie die anderen – hinter einem der Uferfelsen in Deckung hockte, warf dem Alten einen grimmigen Blick zu und schüttelte verständnislos den Kopf.
„Ich sage euch, ich sage euch“, rief Old Donegal halblaut und rieb sich dabei begeistert die Hände, „bei denen da drüben gibt’s jetzt das große Heulen und Zähneklappern!“
„Warte bloß ab“, knurrte Ed Carberry. „Wenn du zu große Sprüche klopfst, heulst und klapperst du bald selber, Donegal. Schadenfreude bringt nämlich Unglück. Wußtest du das nicht?“ Der Profos zwinkerte den anderen kaum merklich mit dem linken Auge zu.
Stenmark, der ihm am nächsten kauerte, mußte sich mächtig anstrengen, um sein Grinsen zu unterdrücken. Einfacher hatte es da schon der Rest der derzeitigen „Empress“-Crew, denn sie waren durch die breiten Rücken des Profos und des blonden Schweden vor den Blicken des alten O’Flynn geschützt und konnten sich ein ausgiebiges Feixen erlauben.
„Da bist du aber im Irrtum, Mister Carberry“, sagte Old Donegal giftig. „Schadenfreude ist die schönste Freude. Aber Unglück bringt sie bestimmt nicht. Das hast du mal wieder in den falschen Hals gekriegt.“
Der Profos der „Isabella“ schluckte ruckhaft und schob das Rammkinn vor.
„Stimmt nicht“, sagte er grollend. „Das habe ich von einer einäugigen Kesselflickerin in Plymouth. Ich traf die Lady um Mitternacht vor dem Friedhofstor. Sie las mir aus der Hand und gab ein paar Lebensweisheiten von sich. Zum Beispiel, daß Schadenfreude Unglück bringe. Jawohl, das hat sie gesagt.“
Old O’Flynn starrte sekundenlang stumm auf die Bucht hinaus. Seine Miene verdüsterte sich dabei, als hätte er auf einmal keine Freude mehr an dem, was sich an diesem Morgen des 8. Juli 1595 soeben abgespielt hatte.
Ein paar Trümmer von der kleinen Jolle der „San Jacinto“ trieben noch auf der Wasseroberfläche. Und drüben auf der Galeone wurden dem einzigen Überlebenden von fünf Bootsgasten vermutlich gerade die Leviten gelesen – wenn dieser verrückte Hund von einem sogenannten Kapitän ihn nicht sogar gleich erschoß. Immerhin hatte er zwei seiner Leute einfach über den Haufen geknallt – aus schierer Wut. Der dritte Tote ging auch auf sein Konto, denn die Kanone, die wegen überhöhter Pulverladung auseinandergeflogen war, hatte er sich zuzuschreiben. Und vier Leute waren jetzt im Kugelhagel der „Empress“-Mannen mit dem kleinen Beiboot zu den Fischen gegangen.
Damit hatte der Verrückte auf der spanischen Galeone nur noch fünfzehn Mann.
Und kein einziges Beiboot mehr.
Dagegen verfügten Old Donegal und seine Gefährten immerhin über drei handfeste Jollen – nämlich zwei von der gegnerischen Galeone, die da vor der Westseite der Bucht lag, und ihre eigene von der verschwundenen „Empress of Sea II.“.
„Wer ist denn hier schadenfroh?“ erkundigte sich der Alte unvermittelt. „Ich doch nicht! Das hast du gesagt, Mister Carberry! Verdammt, du willst mir was unter die Weste jubeln. Behauptest Sachen, die überhaupt keiner nachprüfen kann. Wie willst du denn beweisen, daß ich schadenfroh bin? He, wie denn?“
Ed Carberry sah den alten Zausel noch einen Moment grinsend an. Dann setzte er plötzlich eine überlegene Miene auf und hob das wüste Rammkinn noch ein Stück höher.
„Ich verstehe, Mister O’Flynn. Du gibst es also zu!“
„Was?“ Old Donegal war drauf und dran, hinter seiner Deckung aufzuspringen. Nur mit Mühe bezwang er seinen aufwallenden Zorn. „Was soll ich zugeben?“
„Daß du daran glaubst“, entgegnete Ed Carberry.
„An was, zum Teufel, soll ich glauben?“
„Daran, daß Schadenfreude Unglück bringt – so, wie ein Freitag, der dreizehnte, Unglück bringt, oder ein schwarzes Katzenvieh, das einem …“
„Jetzt reicht es!“ schrie der Alte. „Du willst mir das Wort im Mund umdrehen! Das habe ich nicht gesagt! Nie im Leben! Dafür gibt es schließlich Zeugen. Ich habe genau das Gegenteil erklärt.“
„Hast du nicht. Du hast erklärt, daß man dir die Schadenfreude erst nachweisen müßte. Damit hast du mehr oder weniger zugegeben, vor was du Angst hast. Nämlich davor, daß du dich ins Unglück stürzt, weil du in Wirklichkeit doch schadenfroh bist. Meine einäugige Lady vom Friedhofstor hatte nämlich doch recht. Das weißt du ganz genau. Nur wenn dir einer mal überlegen ist, was die Schwarzseherei angeht, dann kannst du’s nicht ertragen, was, wie?“
„Das ist keine Schwarzseherei“, entgegnete Old Donegal wütend. „Ich habe das Zweite Gesicht. So etwas nennt man einen Seher. Jawohl, ich habe die Fähigkeiten eines Sehers!“
Carberry holte tief Luft, war so richtig in seinem Element und genoß es offenbar, den Alten langsam, aber sicher auf die Palme zu bringen.
Der Kutscher räusperte sich laut und verhinderte, daß der Profos seinen bärbeißigen Kontrahenten erneut aufstachelte.
„Wenn ich die Gentlemen höflichst bitten darf, das neue Diskussionsthema über seherische Fähigkeiten auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben! Ich denke, wir haben im Augenblick höchst realistische Probleme zu bewältigen, bei denen uns ein Zweites Gesicht nicht sehr viel helfen kann. Ich bitte zu bedenken, daß wir uns auf den nächsten Angriff vorbereiten sollten, der mit Sicherheit nicht lange auf sich warten lassen wird. Waffenreinigen, Munitionsvorräte ergänzen und dergleichen. Zu tun gibt es wahrhaftig genug.“
Die anderen brummten beifällig. Nils Larsen und Sven Nyberg hatten bereits begonnen, die Läufe ihrer Musketen mit den Putzstöcken zu bearbeiten. Martin Correa nickte und fing damit an, die Pulverflaschen einzusammeln, um den Inhalt zu ergänzen.
„Unser Pfannenschwenker trifft mal wieder den Belegnagel auf den Kopf“, sagte Carberry anerkennend. „Und wie schön er das ausdrückt! Wußte gar nicht, daß ich so was kann – an einer Diskussion teilnehmen.“
„Bist ja bloß froh“, sagte Old Donegal zischelnd, „daß du dich elegant aus der Affäre ziehen kannst.“ Er hob die Stimme, als der Profos aufbrausen wollte. „Der Kutscher hat recht. Wir richten uns nach seinem Vorschlag. Hasard und Philip, ihr beiden betätigt euch als Pulveraffen.“
Carberry wandte sich zu den Söhnen des Seewolfs um.
„Wenn ihr oben in der Höhle seid, könnt ihr gleich mal nachsehen, wie es dem kleinen Sir John geht. In Ordnung?“
„Kommt nicht in Frage!“ rief Old Donegal bissig. „Die Nebelkrähe ist absolute Nebensache. Laßt euch nicht erwischen, daß ihr mit dem Mistvieh eure Zeit verplempert. Ihr habt Pulver zu holen und sonst nichts!“
Der Kutscher gab den Jungen mit einer Kopfbewegung zu verstehen, einfach loszumarschieren. Old Donegal zeterte ohnehin noch, als sie längst die Jakobsleiter erreicht hatten, die zum Höhleneingang hinaufführte.
Spätestens seit dem ersten Licht dieses neuen Tages gab es für die Dons an Bord der „San Jacinto“ ein Rätsel weniger. Die Jakobsleiter, die da aus der vier Yards hohen Höhlenöffnung in der Steilwand baumelte, war die Lösung all dessen, worüber sich die Goldgierigen in den letzten Stunden vermutlich den Kopf zerbrochen hatten.
Und trotzdem war ein weiteres Rätsel noch immer ungelöst: Woher, in aller Welt, nahmen die Unbekannten, denen der zweisprachige Papagei gehörte, bloß ihre Energie? Wie hatten sie die unvorstellbare Strapaze bewältigt, eine ganze Schiffsladung von Goldkisten in diese winzige Höhlenöffnung zu wuchten, die noch dazu so hoch über dem Erdboden lag?
„Ein bißchen mulmig ist mir doch“, sagte Hasard junior, als er mit seinem Bruder das untere Ende der Jakobsleiter erreichte. Die Felswand über ihnen war wie ein vorspringendes Dach, denn der Überhang hoch über der Grottenöffnung neigte sich ein beträchtliches Stück nach vorn, der Bucht zu.
„Wieso?“ fragte Philip begriffsstutzig. „Meinst du, Sir John ist in seiner Kiste erstickt?“
„Unsinn! Ich rede von den Spaniern.“ Hasard deutete mit dem Daumen über die Schulter. „Die haben doch bestimmt Stielaugen, seit sie sehen, was es mit der Jakobsleiter auf sich hat. Stell dir vor, die versuchen es mit einer weittragenden Muskete, wenn wir auf entern.“
Philip wandte sich um und blickte zu der Galeone, die vor den westlichen Riffs ankerte.
„Die Amigos werden sich hüten, sage ich. Die haben noch genüg von der Kanone, die ihnen um die Ohren geflogen ist. Ich würde jedenfalls keine Muskete abfeuern, die eine zu starke Ladung im Rohr hat. Außerdem werden sie sich jetzt erst mal zusammenreimen, was sich hier abgespielt hat.“
Hasard nickte. „Hoffen wir, daß du recht hast.“
„Los, beeil dich“, drängte sein Bruder. „Mister O’Flynn bringt es fertig, uns höchstpersönlich Dampf unter dem Hintern zu machen, wenn wir nicht schnell genug sind. Und dann haben wir nicht genug Zeit für Sir John.“
Hasard brummte zustimmend und begann, aufzuentern. Jeden Moment rechnete er mit einer Kugel, die haarscharf neben ihm auf den Felsen prallte, sich abplattete und als handtellergroßer Bleipfannkuchen in den Sand fiel. Doch nichts dergleichen geschah.
Gefahrlos bewältigte Hasard junior als erster den Aufstieg zum Felsenloch. Sein Bruder folgte ihm mit zügig-kraftvollen Bewegungen.
Die beiden Jungen waren sich voll und ganz der Tatsache bewußt, was sie den Spaniern an Bord der „San Jacinto“ verdeutlichten. Eben jenen Umstand nämlich, der seit Tagesanbruch offenkundig geworden war. In der Nacht hatten die „Räuber“ des Goldschatzes ihre sichere Höhle verlassen und sich bis an die Zähne bewaffnet hinter den Uferfelsen postiert.
Philip junior erreichte gleichfalls den Grotteneingang. Einen Moment blickten die Brüder zum Strand hinunter, wo die Männer vom Bund der Korsaren in Deckung lagen und die Galeone aufmerksam beobachteten.
Es war die logische Folgerung gewesen, die Höhle zu verlassen und dort unten in Stellung zu gehen. Nachdem man die beiden großen Jollen der „San Jacinto“ gekapert hatte, waren die Voraussetzungen für die Dons ungleich schlechter geworden. Und wenn sie es dennoch mit der kleinen Jolle versuchten, konnte man ihnen nur vom Strand aus einen gebührenden heißen Empfang auf breiter Front bereiten – wie geschehen.
Auf die Heimlichtuerei hatte man so oder so verzichten können. Denn die Voraussetzungen für die Verteidigung waren ungleich besser geworden. Dieser hirnrissige Bursche von einem Kapitän mußte sich schon etwas einfallen lassen, wenn er mit seinen fünfzehn Mann noch etwas ausrichten wollte.
„Hurtig, hurtig“, sagte Hasard und ahmte dabei den Tonfall des Profos nach. „Bewegen wir uns, sonst erstickt der arme Sir John womöglich noch.“
Philip nickte nur. Gemeinsam eilten sie los, in den hinteren, sich erweiternden Bereich der Grotte, wo die Goldkisten, die Proviantvorräte und die Ausrüstungsgegenstände von der „Viento Este“ lagerten. Die beiden Jungen arbeiteten rasch und zielstrebig. Innerhalb von wenigen Minuten hatten sie sechs Pulverfäßchen und ein Dutzend lederne Kugelbeutel zur Felsenöffnung geschleppt.
Hasard deutete auf das gestapelte Segeltuch und die Taurollen.
„Den Ladebaum haben wir zwar nicht mehr zur Verfügung, aber ich denke, wir kriegen den ganzen Kram trotzdem auf einmal nach unten.“
„Eine Persenning und ein Tau“, entgegnete Philip und nickte. Dann hieb er seinem Bruder begeistert auf die Schulter. „Klar! Damit haben wir noch mehr Zeit gewonnen.“
Gemeinsam schleppten sie in aller Eile einen Tuchballen und eine Taurolle nach vorn. Dann kehrten sie in den hinteren Bereich zurück, wo auf einem Felsvorsprung eine einsam blakende Laterne stand.
Behutsam zogen sie die Proviantkiste, in der Ed Carberry den vorlauten Vogel verstaut hatte, zwischen den Goldkisten hervor. Die Jungen runzelten die Stirn, als sie die Kiste auf den Boden stellten und begannen, die seitlichen Verzurrungen zu öffnen. Zwar war es einerseits vorteilhaft, daß Sir John in seinem Verlies kein freudiges Gezeter anstimmte – was letzten Endes verräterisch gewesen wäre. Andererseits war die totale Stille in der Kiste aber auch besorgniserregend.
„Vielleicht ist er beleidigt“, sagte Hasard, als er den Kistendeckel öffnete.
„Zuzutrauen wär’s ihm.“
Im nächsten Moment erstarrten die Brüder und rissen den Mund vor Schreck weit auf.
Der karmesinrote Papagei lag auf der Seite, regungslos, die Knopfaugen weit geöffnet und stumpf.
„Um Himmels willen!“ hauchte Hasard. „Vorhin haben wir gespottet, und jetzt ist es tatsächlich passiert!“
„Der arme Kerl“, flüsterte Philip und strich über die Schwingenfedern Sir Johns. Tränen standen in den Augen des Jungen. „Das hat er nun wirklich nicht verdient.“
„Nein, das nicht“, sagte Hasard mit erstickter Stimme. „Wir hätten an Luftlöcher denken sollen.“
„In der Eile? Wir mußten doch aufpassen, daß Mister O’Flynn nichts mitkriegt.“
„Was im Grunde keine Entschuldigung ist.“
„Nein, du hast recht.“ Philip seufzte. „Und wir können uns auch nicht damit herausreden, daß ihn Mister Carberry in die Kiste gepackt hat. Er hätte ja an die Luftlöcher denken müssen.“
„Es ändert nichts. Am besten nehmen wir den armen Kerl gleich mit nach unten und begraben ihn.“
„Begraben? Meinst du nicht, daß er eine Seebestattung verdient hat? Schließlich war er ebenso Seemann wie wir alle.“
„Sicher“, sagte Hasard und preßte die Lippen zusammen. Auch seine Augen waren jetzt feucht. Die Vorstellung, die Sprüche und das Gezeter des munteren roten Burschen missen zu müssen, war einfach unerträglich. „Mister O’Flynn wird nichts dagegen haben, wenn wir Sir John einen würdigen Abschied von dieser Welt bereiten.“
„Der alte O’Flynn?“ Philip schniefte. „Der wird doch froh sein! Du kennst ihn!“
Hasard nickte bedächtig und mit Leichenbittermiene. Er hob den reglosen Papagei aus der Kiste, legte ihn in eine Felsmulde und half seinem Bruder die Kiste wieder zu verschließen und zurück in den Hohlraum zwischen den Goldkisten zu schieben. Sie wandten sich um, bereit, sich ihrer traurigen Pflicht zu entledigen.
Es war, als wären sie gegen eine unsichtbare Mauer gelaufen.
Die Mulde, in der sie Sir John zur vorübergehenden Ruhe gebettet hatten, war leer.
Fassungslos sahen sie sich um und suchten mit Blicken jeden Quadratinch ab. Doch die Laterne erhellte nur einen kleinen Teil der Grotte.
Ein Krächzen ließ die Jungen zusammenzucken. Es klang wie ein Räuspern.
„Affenärsche!“ tönte es im nächsten Moment schnarrend aus dem dunklen Teil der Grotte. „Haut in Streifen! Rrrrübenschweine! Backbrassen!“ Es folgte ein Meckern, das wie von einem Ziegenbock klang, aber zweifellos von Old Donegal stammte. Sein triumphierendes Meckern nach dem Untergang der kleinen Jolle der „San Jacinto“ mußte bis hier herauf zu hören gewesen sein – durch einen geschlossenen Kistendeckel hindurch.
Hasard und Philip wechselten einen entgeisterten Blick.
„Dieser schlitzohrige Geier!“ zischte Hasard. „Weißt du, was der mit uns gemacht hat?“
„Klar“, antwortete Philip. „Dieses Suppenhuhn hat sich tot gestellt und uns an der Nase herumgeführt.“
Wie zur Bestätigung endete das Meckern in der Dunkelheit, und ein plötzliches Flügelklatschen war zu hören.
Segelnd schwebte Sir John im nächsten Moment aus der Finsternis und landete mit elegantem Schwung hoch oben auf dem Stapel der Goldkisten. Dort trippelte er bis an den Kistenrand, beugte sich vor, legte den Kopf schief und blickte interessiert mit einem Auge auf die Jungen hinunter.
Ein tiefes Rollen drang aus dem nun aufgeplusterten Leib des Aras. Er ging in einen energischen Befehlston über.
„Klar Deck überall!“
Abermals sahen die Jungen sich an. Sie brauchten es nicht auszusprechen: Wenn Old Donegal mitkriegte, was sich hier abspielte, würde er seine Drohung doch noch in die Tat umsetzen. Und das bedeutete, daß Sir John endgültig schlachtreif war.
Hasard blickte zu dem Vogel hoch, der jetzt leise brabbelte und sich von einem Bein auf das andere wiegte.
„Fang nur an, dich über uns lustig zu machen!“ warnte der Junge.
Philip stieß ihn mit dem Ellenbogen an.
„Um Himmels willen, reize ihn nicht noch! Wir müssen jetzt besonders freundlich zu ihm sein. Denke daran, was er hinter sich hat. Stundenlange Dunkelheit. Wir können froh sein, wenn er nicht sofort rausfliegt.“
Hasard preßte die Zähne aufeinander, daß es knirschte.
„Er hat Hunger und Durst. Davon können wir ausgehen. Und damit läßt sich bestimmt was anfangen.“
„Sprich es nicht aus“, sagte Philip eindringlich. „Du weißt, was für ein gerissener Kerl er ist.“
Hasard nickte nur. In der Tat durften sie nicht sagen, daß sie Sir John natürlich wieder einfangen mußten. In seinem eigenen Interesse zwar, aber das änderte nichts. Er würde es spitzkriegen, wenn sie es laut aussprachen, und dann war er auf und davon. Vielleicht flog er sogar wieder zu den Spaniern, um sich an Bord der „San Jacinto“ wichtigtuerisch aufzuplustern.
Ein geltungsbedürftiger kleiner Geier war er schon immer gewesen.
„Der arme Sir John“, sagte Hasard daher voller Mitgefühl, „er hat bestimmt einen fürchterlichen Durst. Bleib du hier, Philip, und gib ihm was zu fressen. Ich gehe mal schnell nach vorn und hole ein bißchen Wasser.“
„Ja, tu das“, sagte Philip eifrig. „Ich gebe ihm inzwischen etwas Hartbrot und ein paar von den roten Bohnen, die er so gern mag. Er muß ja einen wahnsinnigen Hunger haben!“
Eilends schafften die Zwillinge das Notwendige heran, um Sir Johns Appetit zu wecken. Hasard holte Trinkwasser in einer Muck, während Phillip Hartbrot zerbröselte und die Krumen zusammen mit den Bohnen auf eine Proviantkiste streute, die er in den Lichtkreis der Laterne gestellt hatte. Hasard stellte die Muck daneben, und dann wandten sie sich erwartungsvoll zur Seite, um die Reaktion des Papageis zu beobachten.
„Rrrrübenschweine“, schnarrte Sir John und fuhr fort, sich am Kistenrand zu wiegen.
„Der macht sich wirklich über uns lustig“, flüsterte Hasard ergrimmt. „Glaubst du nicht, daß er genau weiß, was wir wollen?“
„Wir wollten ihm ein bißchen Bewegungsfreiheit verschaffen“, entgegnete Philip erbittert. „Daß er das gleich so schamlos ausnutzt, konnte natürlich kein Mensch ahnen.“
„Keine Vorwürfe“, sagte Hasard leise. „Du weißt, wie empfindlich er auf diesem Ohr ist.“
Philip nickte, atmete tief durch und nahm ein paar Krumen und Bohnen in die Hand. In der offenen Handfläche hielt er sie dem roten Vogel entgegen.
„Sieh mal, Sir John, ist das nicht lecker? Dir muß doch der Magen knurren – nach der langen Schutzhaft. Und ist dir nicht die Kehle trocken geworden? Also, Wasser ist auch da, alter Freund. Und nun sieh endlich ein, daß wir dich nur vor Mister O’Flynn gerettet haben.“
„So redet ein Landmann mit seiner kranken Kuh“, sagte Hasard leise kichernd. „Das behauptet jedenfalls der Kutscher immer, und der muß es ja wissen.“
Philip forderte ihn mit einer ärgerlichen Handbewegung auf, zu schweigen. In der Tat vollzog sich mit Sir John eine sichtbare Wandlung. Die freundlichen Worte und der Anblick der schmackhaften Nahrung schienen endlich ihre Wirkung erzielt zu haben. Er hob den Kopf, richtete sich für einen Moment hoch auf und duckte sich dann wieder, wobei er auf und ab wippte. Die unverkennbaren Anzeichen für den bevorstehenden Abflug, wie die Zwillinge wußten.
Und er stürzte sich wahrhaftig von oben hinunter, rauschte mit ausgebreiteten Schwingen an Philips lockender Handfläche vorbei und landete auf der Kiste mit dem Hauptangebot an Fressen.
„Mißtrauischer Halunke!“ fluchte Philip unterdrückt.
Hasard näherte sich mit beiden Händen unterdessen lautlos dem Freßplatz, um blitzschnell zuzupacken.
Sir John nahm ein paar rasche Schlucke aus der Muck, schaufelte sich Krumen und Bohnen in den Krummschnabel und entwischte den zuschnappenden Händen des Jungen mit elegantem Anlauf. Im nächsten Augenblick klatschten seine Flügel bereits wieder in der Weite der Grotte, und er drehte eine Runde nach der anderen über den Köpfen der Jungen.
Ihnen brach der Schweiß aus. Jeden Moment konnte Old Donegal unten am Strand nach ihnen brüllen. Und was sollte dann aus Sir John werden? Der verrückte Vogel flog entweder hinüber zu den Dons und wurde dort von dem nicht weniger verrückten Anführer massakriert, oder er blieb hier, in einer trügerischen Freiheit, und wurde von Old Donegal geschlachtet und in den Suppentopf gesteckt.
Zuzutrauen war es dem alten Griesgram wirklich – und wenn er es nur tat, um die Papageienbrühe hinterher wegzuschütten.
„Himmel noch mal, Sir John“, sagte Philip flehentlich. „Wenn du jetzt nicht zurückkommst, mußt du die Konsequenzen tragen.“
„Dann können wir dir nicht mehr helfen“, fügte Hasard voller Bitterkeit hinzu, „dann ist es aus mit dir.“
Noch minutenlang blieb den Söhnen des Seewolfs nichts anderes übrig, als mit bangen Blicken den Kreisflug des roten Papageis zu beobachten. Aber wie durch ein Wunder schienen ihre Worte schließlich doch zu wirken.
Sir John ließ sich auf seinem ursprünglichen Platz nieder, oben auf den Kisten, und dann, plötzlich, sauste er zur Freßstelle. Richtig genußvoll sah er aus, wie er aus der Muck nippelte und Krumen und Bohnen knabbernd verzehrte. Schließlich glaubte Hasard zu träumen, als es sich der Bursche gefallen ließ, gestreichelt zu werden.
Und dann, tatsächlich, konnte er ihn von der Kiste wegnehmen und wieder in den Sicherheitsbehälter stecken, den Philip inzwischen geöffnet hatte. Diesmal schoben sie ein paar Holzspäne zwischen Deckel und Kistenrand, bevor sie die Verzurrungen wieder anbrachten.
Aufatmend wischten sich die Jungen den Schweiß von der Stirn.
„Mann o Mann“, sagte Hasard stöhnend, „das hätte verdammt ins Auge gehen können.“
„Jetzt aber Beeilung“, entgegnete Philip, „sonst wird der Alte doch noch mißtrauisch und riecht den Braten.“
Sie liefen zur Felsenöffnung, schlugen Pulverfässer und Kugelbeutel in der Persenning ein und verknoteten das Tau oben an dem Riesenbeutel. Vorsichtig hoben sie die Last über den Rand der Öffnung und stemmten sich in ausreichendem Abstand gegen das Tau, das sie langsam durch ihre kräftigen Hände gleiten ließen.
„Gute Arbeit!“ lobte der alte O’Flynn die beiden, als sie die ersten Pulverfässer in die Deckungen schleppten. „So kann man sich die Schufterei erleichtern, wenn man seinen Kopf gebraucht, nicht wahr?“
Die Zwillinge wechselten einen verstohlenen Blick, als sie zurückliefen, um die nächsten Fässer zu holen. Manchmal wußte man bei dem Alten wirklich nicht, woran man war. Vielleicht hatte er den aus Sicherheitsgründen eingesperrten Vogel ja auch schon vergessen.
Und wenn man es genau betrachtete, brauchte Sir John ohnehin nicht mehr unter Verschluß gehalten zu werden. Denn man versteckte sich nicht mehr vor den goldgierigen Spaniern. Folglich war die Heimlichtuerei überflüssig.
Old Donegal mußte nur noch davon überzeugt werden.