Kitabı oku: «Seewölfe Paket 27», sayfa 2
„Ich sehe selbst nach. Bleibt hier.“
„Es ist Wahnsinn, jetzt an Deck zu gehen, Sir“, rief Smoky ihm nach.
Das Schott flog krachend zu. Ein einziger schneller Blick genügte jedoch, um zu erkennen, daß es an Deck hell war. Irgendwo war auch dichter Qualm zu sehen.
Gleich darauf erklang Hasards Stimme. Er mußte laut brüllen, um durch das Donnern verstanden zu werden.
„Feuer an Bord!“
Diese Hiobsbotschaft riß augenblicklich alle hoch. Der Profos drückte es wieder mal drastisch aus.
„’raus mit euch! Jetzt sind wir sowieso im Arsch. Entweder verbrennen wir, oder wir werden an Deck erschlagen. Vielleicht haben wir aber noch eine Chance.“
Die ganze Meute drängte nach, als der Profos das Schott öffnete und an Deck sprang.
Zuerst blieben sie einen Lidschlag lang wie erstarrt stehen. Fast alles hatte sich in der kurzen Zeit verändert.
Der Himmel war dunkel, als sei Nacht. Nur die gewaltige rote Säule stand lodernd und immer wieder explodierend mitten in der See und schleuderte Brocken hoch. Diese Brocken pfiffen ihnen mit einem häßlichen Heulen um die Ohren, und wer von ihnen getroffen wurde, der war so gut wie erledigt, denn sie zischten mit unheimlicher Geschwindigkeit und zerstörerischer Wucht heran.
Die „Santa Barbara“ tanzte und schlingerte immer noch steuerlos in dieser Hölle – und sie brannte an einigen Stellen, wo das flüssige Gestein sie getroffen hatte.
In der Takelage qualmte es. Auf dem Achterdeck flackerte es auf den Planken, und von der Nagelbank am Fockmast loderten ebenfalls kleine Flammen, die nach dem Segel leckten.
Den einen aufflackernden Brand löschte die See, als ein Brecher über das Vorschiff tobte.
Ferris Tucker, Batuti, der Profos und Gary Andrews schnappten sich die Pützen und gingen fast über Bord, als sie Wasser schöpften. Immer wieder wurden ihnen die Beine weggerissen.
Hasard, Dan, Don Juan und Shane waren nach achtern gestürmt und schlugen die Flammen mit allem aus, was sie in die Hände kriegten.
Ein rotglühender Brocken raste auf das Achterschiff zu. Er streifte den Besanmast und zerplatzte in kleine Funken, die über die gesamte Galeone regneten.
Da brüllte Bill los, da fluchte Mac Pellew, und da stieß der bärtige Shane einen erschrockenen Schrei aus, als es in seinem grauen Bart zu knistern begann.
Tausende glühender und messerscharfer Nadeln stachen ihnen in Gesichter, Beine und Arme. Sie bohrten sich wie Feuerameisen in die Haut und hinterließen kleine Brandflecken, die bestialisch schmerzten.
Sie befanden sich mitten im Inferno, und es schien, als hätten sich alle Elemente gegen sie verschworen. Die Luft war zum Atmen zu heiß. Außerdem trug sie schwarzbraune heiße Asche heran, die sich in Augen, Ohren, Nase und Mund festsetzte. Dazwischen brüllte das Meer wie eine Horde hungriger Teufel, und zu allem Überfluß flogen immer noch glühende Brocken heran.
Es wurde ein Kampf auf Leben und Tod in einer Hölle, die nur noch aus kochenden Urgewalten bestand.
Etwas später sahen sie selbst wie wilde rußgeschwärzte Teufel aus. Hemden und Hosen waren versengt. Der Schweiß lief ihnen in Strömen über die Gesichter. Selbst das Wasser, das sich donnernd und brausend über sie ergoß, war keine Erfrischung. Es war mitunter so heiß, daß sie sich wie unter einem Hieb krümmten.
Es war kaum noch etwas zu sehen, außer dem glühenden Licht weit in der See und den immer noch aufflackernden Flammen, die wie aus dem Nichts auf den Planken entstanden.
Hasard hatte winzige Brandwunden im Gesicht. Der Profos war von einem glühenden Brocken am Arm gestreift worden und blutete. Es gab kaum noch einen, der keine Blessuren hatte. Aber bisher war noch keiner ernsthaft getroffen worden oder ausgefallen.
Für die Behandlung der Blessuren war jetzt ebenfalls keine Zeit. Das Wichtigste war, das Feuer zu bekämpfen. Brach ein nicht zu löschender Brand aus, dann waren sie hoffnungslos verloren. Es gab dann keine Rettung mehr in dem flammenden Inferno. Niemand hätte es geschafft, schwimmend die Küste zu erreichen, von der man noch nicht einmal mehr wußte, wo sie sich befand.
Zwei Segel waren aus dem Liek gerissen und wurden geborgen. Besan- und Großmarssegel waren von unzähligen schwarzen Punkten durchlöchert, durch die der heiße Wind pfiff.
Alles Tuch wurde unter lautem Gebrüll weggenommen. Sie brüllten alle und schlugen immer wieder mit den Händen nach den roten Feuersternen, die sich in ihre Haut brannten.
Es sah auch nicht so aus, als würde sich der jetzige Zustand bald ändern oder bessern. Eher wurde es noch schlimmer.
Sie lenzten jetzt als hilfloser Spielball der Elemente vor Topp und Takel. Die See hämmerte unermüdlich auf die Galeone ein, so daß sie in allen Verbänden knackte und krachte.
Hasard versuchte, sich anhand der Magmasäule zu orientieren, doch das erwies sich als unmöglich, denn das Monstrum, das eine neue Insel gebar, wanderte unaufhörlich weiter. Den Kompaß konnte er ebenfalls nicht ablesen, dazu war es zu dunkel.
Irgendwann einmal spürten sie, daß die „Santa Barbara“ immer schneller wurde. Ein gewaltiger Sog bewegte sie rasend schnell fort. Eine riesige Welle tat ein übriges, auf der sie stundenlang mitritten. Dann gab es wiederum nur noch Dunkelheit, heiße Luft und Feuer.
3.
Es war weder Tag noch Nacht. Es war ein Zustand, der sich kaum beschreiben ließ. Niemand wußte, wieviel Zeit inzwischen vergangen war.
Aber sie schöpften wieder neue Hoffnung.
Himmel und Meer waren eins. Es gab keinen sichtbaren Übergang. Auch die Sonne schien nicht.
Der Himmel war von tiefer dunkler Farbe, vermischt mit einem schmutzigen fahlen Gelb in der Mitte. Das Wasser hatte die gleiche Färbung. Die Sicht betrug bestenfalls eine halbe Meile. Von da an verwischte alles zu einem konturlosen Gespinst. Sie befanden sich in einer Art Dunstglocke, deren Umfang nicht abzuschätzen war.
Die Decks waren dunkelgrau von herabgeregneter Asche, die mit dem überkommenden Seewasser eine dicke Schmiere gebildet hatte.
Dazwischen gab es überall schwarze Brandflecken.
Immer noch trieb die „Santa Barbara“ auf einer Dünung, die sie eilig durch die See schob.
Nach der harten Schufterei hatten sie abwechselnd jeder ein, zwei Stunden vor Erschöpfung geschlafen.
Jetzt waren sie wieder wach – verdreckt, verrußt, immer noch abgeschlafft und mit kleinen Brandwunden übersät. Die blauen Flecken zählten sie erst gar nicht mit, die sie sich geholt hatten, als die Galeone verrückt spielte.
Der Tag begann mit einer Entdeckung, die niederschmetternd war, als sich Hasard auf dem Achterdeck umschaute. Überall sah er Brandlöcher im Holz, aber das war es nicht, was ihn so entsetzte. Das Schiff war übersät mit den Dingern.
Ungläubig starrte er auf das Kompaßhäuschen. Das war nur noch ein kleiner Trümmerhaufen und bestand aus ein paar Brettern, die auf die Planken genagelt waren.
Der Kompaß war zerschmettert und absolut unbrauchbar. Ein kleiner Magmabrocken mußte ihn getroffen und zerstört haben.
„Was ist, Sir?“ fragte Dan, als er Hasards betroffenes Gesicht sah.
„Der Kompaß ist zerstört worden. Es sind nur noch ein paar Glasscherben übrig.“
Dan O’Flynn schluckte hart. Er sah ebenfalls auf die Trümmer.
„Tatsächlich“, murmelte er mit zuckenden Lippen. „Damit können wir wirklich nichts mehr anfangen. Und was jetzt?“
Die Nachricht von dem zerschmetterten Kompaß sprach sich schnell herum. Einer nach dem anderen erschien auf dem Achterdeck, um sich den Schaden anzusehen.
„Ausgerechnet der Kompaß“, stöhnte Ben Brighton. „Ohne den sind wir hilflos wie ein Neugeborenes.“
Don Juan, der hochgewachsene Spanier mit den schmalen Hüften, den breiten Schultern und dem kühn geschnittenen Gesicht, sah das als nicht ganz so schlimm an.
„Keine Sorge“, meinte er. „Auf den spanischen Schiffen ist es üblich, daß nicht nur ein Kompaß an Bord ist. Auf der ‚Isabella‘ haben wir ja auch mehrere Exemplare für den Notfall. Wir werden in irgendeiner Last schon einen anderen finden. Wenn nicht, befindet er sich in der Kapitänskammer. Außerdem dürfte im Beiboot noch ein kleiner Kompaß sein.“
„Dann sehen wir lieber gleich nach“, riet Hasard. „Ein Schiff ohne Kompaß ist wie – äh …“
„Eine Kneipe ohne Bier“, half der Profos aus.
„Ja, du hast es wieder mal genau getroffen.“
Es gab zwei Jollen an Bord, die kieloben lagen und festgezurrt waren. Schon das gab Hasard zu denken, denn die Jollen waren ganz sicher nicht so gut ausgerüstet wie die der „Isabella“.
Die Zurrings wurden gelöst, und die erste Jolle umgedreht.
„Leer“, sagte Ferris Tucker überflüssigerweise. „Nicht mal einen kleinen Notkasten haben die Dons in die Jolle gebaut.“
Vor der zweiten, etwas größeren Jolle, standen sie dann ebenfalls mit ratlosen Gesichtern herum. Auch in ihr befand sich nichts, nicht einmal die Riemen, die man gut hätte anbringen können.
„Sehr enttäuschend“, meinte der Seewolf. „Weiß der Teufel, wie lange die Galeone schon im Hafen lag. Vermutlich sehr lange, sonst hätte man die Ausrüstung in den Jollen gelassen.“
Don Juan ging nach einem kurzen Blick weiter nach achtern.
„Noch ist nichts verloren“, meinte er über die Schulter hinweg. „Wir werden schon noch einen Kompaß auftreiben.“
„Optimismus hat er ja“, sagte Shane, „aber ob seine Landsleute auch so gedacht haben?“ Er strich sich mit der Hand mißmutig durch den grauen Bart und befühlte besonders intensiv jene Stellen, wo die Funken seiner Manneszier so übel mitgespielt hatten. Da war doch, verdammt noch mal, einiges versengt.
Hasard folgte Don Juan. Dan marschierte ebenfalls hinterher.
„Seht inzwischen mal in den anderen Räumen nach“, sagte Hasard. „Dabei lernen wir auch gleichzeitig das Schiff etwas näher kennen. Im Augenblick haben wir Zeit dazu.“
Nachdem sie das Schott der Kapitänskammer geöffnet hatten, blieben sie mitten in dem Raum stehen und sahen sich um.
Es gab die üblichen eingebauten Schapps, eine breite Koje mit Vorhang, ein ausladendes Schreibpult und zwei Teppiche, die auf den Boden genagelt waren, damit sie nicht verrutschten.
„Schon lange nicht mehr gelüftet worden“, stellte der Seewolf fest. „Fast scheint mir, als sei die Kammer mal vor langer Zeit bewohnt gewesen. Die Kapitäne haben wahrscheinlich an Land übernachtet.“
Sie öffneten jedes Schapp, blickten unter die Koje in das Schapp, aber darunter befanden sich nur ein paar modrige Flaggen.
Sie trieben noch zwei spanische Uniformen auf, ein paar Hemden und Hosen sowie ein paar Schriftstücke, mit denen sich nicht viel anfangen ließ.
„Auch kein Ersatzkompaß“, sagte Hasard enttäuscht.
„Und nur wenige Karten“, fügte Dan O’Flynn hinzu. „Im Pult sind ein paar alte und ungenaue Dinger von der Westküste Yucatáns. Da sitzen wir ganz schön in der Klemme, wenn wir nicht noch woanders fündig werden.“
Die drei Männer sahen sich enttäuscht an.
„Na ja, den Himmel auf Erden haben wir auch nicht erwarten können bei unserer überstürzten Abreise“, meinte Hasard. „Klar, daß da nicht ein vollausgerüstetes Schiff mit allen Schikanen vor unserer Nase lag. Das wäre auch zu einfach gewesen. Ich bin gespannt, was die anderen Räume hergeben.“
Damit begann die eigentliche Inspektion der „Santa Barbara“, die sich über Stunden hinzog.
„Bis auf ein paar leichte Schäden scheint sie gut in Schuß und sehr seetüchtig zu sein“, meldete der Schiffszimmermann Ferris Tucker. „Wie das Holz allerdings von unten aussieht, kann ich noch nicht beurteilen. Das müssen wir später einmal feststellen.“
Sie trieben immer noch in diesem diesigen tristen Grau ohne erkennbaren Horizont. Hin und wieder war auch einmal ein fernes Grollen zu hören. Es klang aber sehr weit entfernt, und es flogen auch keine glühenden Brocken mehr durch die Luft.
Der Kutscher und Mac Pellew inspizierten verständlicherweise zuerst einmal Kombüse und Vorratslast, um den Bestand zu kontrollieren.
„Sieht ganz gesund aus“, meinte Mac nach einem Rundblick. „Die haben sich ganz gut eingedeckt, die Dons. Für zwei bis drei Wochen dürften die Vorräte ganz sicher reichen.“
„Ist doch bestens“, sagte der Kutscher. „Deshalb brauchst du nicht so ein grämliches Gesicht zu ziehen. Wenigstens werden wir so schnell nicht verhungern.“
„Wein ist auch da, aber ziemlich saurer Scheiß“, nölte Mac herum. „Wenn wir Rohzucker finden, können wir ihn trinken, sonst nehmen wir ihn als Essig.“
Verdrießlich wie ein alter Marabu stolzierte er durch die Kombüse, befühlte dies und jenes und hatte an allem was zu meckern.
„Der Koch war eine regelrechte Sau“, stellte er abschließend unzufrieden und sauertöpfisch fest. „Der hat die Töpfe immer nur mit einem nassen Lappen ausgerieben, aber nie mit Sand gescheuert.“
„Dann hast du ja eine Menge nachzuholen“, erwiderte der Kutscher. „Wir werden den Laden gemeinsam auf Trab bringen.“
„Ohgottchen, da haben wir ja mehr Arbeit als alle anderen zusammen.“
Die Proviantlast gab auch ziemlich viel her, obwohl ihr ein merkwürdiger Geruch entströmte. Wahrscheinlich lag es an dem eingepökelten Fleisch in den Fässern, daß es hier so roch.
Was die anderen Besatzungsmitglieder betraf, so fanden sich auch noch einige, die sich anfangs schamhaft versteckt hielten.
Es gab eine ganze Menge tiefäugiger Kakerlaken, und es gab auch einige Ratten an Bord.
„Ich habe sie pfeifen hören“, sagte Mac.
Der Kutscher blickte gerade mit gerunzelter Stirn einer Kakerlake nach, die in einer Ritze unter der Wand verschwand.
„Kakerlaken pfeifen nicht“, sagte er nachdenklich.
„Ich habe auch Ratten gemeint.“
„Ja, die pfeifen schon mal. Aber das werden wir ihnen schon noch austreiben. Wir werden Fallen aufstellen.“
„Kakerlaken gehen nicht in Fallen“, sagte Mac griesgrämig. „Die finden genug zu fressen und sind viel zu klein für Fallen.“
„Himmel noch mal! Wir quatschen dauernd aneinander vorbei!“ brauste der Kutscher auf. „Ich meine doch Fallen für die Ratten.“
„Ratten gehen in Fallen“, sagte Mac, worüber sich der Kutscher schon wieder aufregte. Der Kerl pennte heute offenbar im Stehen und kapierte überhaupt nichts.
Zur Probe öffnete der Kutscher ein paar Fässer. Er fand Schmalz, Zwieback, Oliven und gedörrtes Obst. In einem anderen Faß waren getrocknete Kastanien eingelagert.
„O je“, nölte Mac weiter. „Kastanien und Oliven! Das ist vielleicht was und so. Bestimmt haben die noch Hundefett und Seegurken an Bord.“
„Für dich ganz sicher gebratene Gänsebrüstchen und geräucherte Heringe. Du mußt nur genau suchen.“
Der Kutscher ließ den verbiesterten Mac Pellew stehen und ging nach oben an Deck. Mac hatte heute seinen schlechten Tag, aber nach dem, was sie hinter sich hatten, war das kein Wunder. Er nahm ihm seine Nörgelei jedenfalls nicht weiter übel.
Auf der Kuhl traf er auf einen Seewolf, der ein sorgenvolles Gesicht hatte und wie abwesend in den undurchsichtigen Dunst starrte, der sie von allen Seiten umgab. Neben ihm standen Don Juan, Dan, der Profos, Ben und noch ein paar andere. Und alle sahen betreten drein.
Der Kutscher räusperte sich verhalten.
„Proviant haben wir für mindestens vierzehn Tage“, berichtete er. „Er wird aber länger reichen. Das ist nur eine erste und oberflächliche Schätzung. Kann sein, daß wir vier Wochen damit langen. Wie es mit Trinkwasser aussieht, weiß ich noch nicht, Sir.“
„Da steht genügend in Fässern in der Vorpiek“, sagte Hasard. „Das sieht soweit ganz gut aus, bis auf den Kompaß.“
„Keinen gefunden, Sir?“
„Nein, obwohl wir alles durchsucht haben. Es ist wie verhext: Auf diesem Schiff befand sich nur ein einziger Kompaß, und ausgerechnet der mußte zertrümmert werden.“
„Dann müssen wir uns nach der Sonne richten“, sagte der Kutscher kleinlaut.
„Dann laß sie doch mal scheinen“, blaffte ihn der Profos an. „Oder siehst du sie etwa?“
„Wenn sie einmal nicht scheint, dann bedeutet das ja auch nicht, daß sie bis in die nächste Ewigkeit verschwunden ist“, knurrte der Kutscher zurück. „Aber das geht ja wieder mal nicht in deinen hirnverbeulten Transack hinein, den du über den Augen hast.“
„Hört auf, verdammt noch mal“, fuhr Hasard dazwischen. „Wir haben eine schwerwiegende Entscheidung zu treffen. Ihr könnt euren Disput später fortsetzen. Jetzt reden wir über etwas anderes, und zwar darüber, ob wir die Reise ins Ungewisse fortsetzen oder nicht.“
Langes Schweigen herrschte nach seinen Worten.
„Wir wollen doch nach China“, sagte Ben ruhig. „Wie es den Anschein hat, sind wir auf dem Weg dorthin. Natürlich geschah das alles reichlich überstürzt, aber das brachten die Umstände mit sich. Jetzt haben wir ein Schiff und auch genügend Proviant und Wasser.“
„Aber keinen Kompaß“, warf Dan ein. „Weißt du, was das heißt, ohne Kompaß quer durch den Pazifischen Ozean zu segeln?“
Ben Brighton, sonst eher bedächtig und immer lange überlegend, war diesmal voller Eifer und Tatendrang.
„Wir waren schon einmal hier“, entgegnete er. „Dabei sind wir auf so viele Inseln gestoßen, daß wir auch diesmal wieder welche finden werden und unsere Vorräte ergänzen können. Was die Kursbestimmung betrifft, gebe ich dem Kutscher recht. Wir orientieren uns tagsüber nach der Sonne und nachts nach den Sternen, wie es schon viele vor uns getan haben. Wenn wir zurücksegeln, sind wir jedenfalls nicht besser dran, im Gegenteil, dann haben wir die Dons auf dem Hals, und das ganze Theater beginnt von vorn.“
„Klar“, sagte Carberry. „Ben hat recht. Wenn wir zurückkehren, erreichen wir nichts. In Panama können wir uns nicht blicken lassen, und der andere Rückweg ist ebenfalls versperrt. Wir würden mitten in das Chaos segeln. Außerdem wüßte ich wirklich nicht, was wir den anderen im Stützpunkt erzählen sollen. Die würden uns für nicht mehr normal halten.“
Hasard hörte schweigend zu und ließ sie eine Weile diskutieren, bis sie sich wieder einmal die Köpfe heiß geredet hatten.
Er stellte jedoch fest, daß niemand dabei war, der ernsthaft eine Rückkehr erwog. Bei vielen mochte das an der Abenteuerlust liegen, wieder in andere Länder zu segeln. Auch seine beiden Söhne, Hasard und Philip, hatte wieder einmal das Fernweh gepackt. Der fehlende Kompaß war für sie dabei das kleinere Übel.
Er selbst überdachte die Lage jetzt ganz nüchtern. Vor ihnen lag ein endlos langer und völlig ungewisser Törn durch ein riesiges und unberechenbares Meer. Sie hatten zwar ein paar Seekarten, aber keinen Kompaß. Es war ohne weiteres möglich, daß sie aufgrund fehlender Navigationsinstrumente eine der zahlreichen Inseln verfehlten. Sie brauchten nur ein paar Meilen daran vorbeizusegeln. Fazit: Sie landeten im Nichts, verdursteten oder verhungerten. Kein Mensch würde jemals erfahren, was aus ihnen geworden war.
Das war die eine Seite. Die andere war von Ben und Edwin Carberry bereits angesprochen worden.
„Wir werden diese Entscheidung gemeinsam treffen, weil sie von sehr schwerwiegender Bedeutung ist“, sagte der Seewolf. „Dabei halten wir es so, daß jeder einen Teil der Verantwortung trägt, indem wir abstimmen. Ihr kennt das Für und Wider dieser Reise. Sollten wir in einen leeren Teil des Pazifiks vorstoßen und die Inseln verpassen, dann wird die ‚Santa Barbara‘ irgendwann einmal vielleicht aufgefunden werden, und an Bord werden dann nur Skelette sein. Was vorher allerdings passieren wird, mag sich jeder selbst ausmalen, denn auch diese Seite gilt es zu berücksichtigen.“
„Hm, Knochenmänner“, sagte Carberry unbehaglich. „Bisher haben wir es immer geschafft. Hast du so große Bedenken, Sir?“
„Ich stelle das nur zur Diskussion und zur Abstimmung, Ed. Jeder mag selbst entscheiden. Wir sollten nur nicht vor möglichen unangenehmen Tatsachen die Augen verschließen und so tun, als sei das alles ein unbedeutender Klacks.“
„Es kann aber auch alles gut ausgehen, oder?“ fragte Carberry.
„Selbstverständlich.“
Hasard sah, wie es hinter den Stirnen arbeitete. Die meisten blickten aufs Meer hinaus, obwohl sie dort nichts sahen als dieses unselige Dämmerlicht, in dem sie auf einem unbekannten Kurs drifteten.
„Gut, dann sollten wir abstimmen“, meinte Don Juan.
Die Abstimmung brachte genau das Ergebnis, das der Seewolf auch erwartet hatte.
„Wer ist dafür, daß wir die Reise fortsetzen?“ fragte er. „Wer zustimmt, der möge bitte die Hand heben.“
Alle Hände hoben sich wie auf ein Kommando. Auch Mac Pellew, der wieder an Deck erschienen war, hob die Hand. Allerdings zog er dabei ein Gesicht, als stimme er seiner eigenen Beerdigung zu.
„Gut, dann ist das also entschieden“, sagte Hasard. „Die Gegenprobe erübrigt sich, ich habe keine Hand unten gesehen. Wir segeln nach China, aber wir lassen uns vorläufig treiben, bis dieses Halbdämmer verschwunden ist. In der Zwischenzeit klaren wir dieses Schiffchen von vorn bis achtern auf und kümmern uns auch um die Geschütze. In der Segellast liegen zum Glück genügend Ersatzsegel. Wir werden die alten und morschen Dinger austauschen.“
Will Thorne, der alte und immer bescheiden im Hintergrund bleibende Segelmacher, versprach, sich zusammen mit Roger Brighton, dem Takelmeister, darum zu kümmern. Will hatte sich erstaunlich schnell von seiner Fieberkrankheit erholt.
Die anderen teilte der Profos zum Aufklaren ein. Es gab auf der „Santa Barbara“ noch etliches zu tun.
An dem herrschenden Zustand änderte sich auch vorläufig nichts. Der Wind und die Drift schoben sie weiter ins Unbekannte. Es war ein eigenartiges Gefühl, nicht zu wissen, was vor ihnen lag. Sie waren wie Blinde, die das Licht suchen, um sich anhand eines winzigen Helligkeitsunterschiedes zu orientieren. Aber vorerst gab es dieses Licht noch nicht, das sie so eifrig suchten. Die Welt blieb auch weiterhin wie in Watte verpackt.
Dennoch gingen sie unverdrossen an die Arbeit.