Kitabı oku: «Seewölfe Paket 28», sayfa 16
5.
Die beiden Schnapphähne waren tot, wie Carberry feststellte, als sie die große Düne erreicht hatten.
„Was tun wir mit ihnen?“ fragte Shane.
„Gar nichts“, knurrte Carberry zurück. „Meinetwegen sollen die Geier sie holen. Ich fühle mich nicht verpflichtet, den Totengräber für üble Schnapphähne zu spielen.“
Sie nahmen die Tragegestelle mit den leeren Fässern auf und umgingen die Düne. Dort blieben sie erst einmal stehen.
Ganz dicht vor ihnen befand sich ein langgestreckter Palmenhain. Er war um ein großes Wasserloch gruppiert. Hier gab es nicht nur Wasser im Überfluß, sondern auch Datteln.
Kein Mensch ließ sich blicken. Erst viel weiter hinten lag ein kleines Dorf mit hellen Lehmhäusern, einer Moschee und zwei Minaretten. Dort schien sich zur Zeit niemand aufzuhalten. Die paar Bewohner hatten wohl angesichts der Piratensambuke blitzschnell das Weite gesucht und waren dorthin gelaufen, wo noch mehr Palmenhaine standen.
In dem Wasserloch spiegelte sich die Sonne. Das Wasser selbst war von tiefblauer Farbe. Hier ging auch kein Wind mehr, und so war es unerträglich heiß.
„Sieht nach Ruhe und Frieden aus“, sagte Shane, „leider aber gibt es immer wieder ein paar Hundesöhne, die diesen Frieden nachhaltig stören müssen.“ Er sah sich noch einmal genau um, konnte aber niemanden entdecken. Auch drüben bei den Hütten rührte sich nichts.
Batuti und Shane luden die Fässer an der Wasserquelle ab und füllten sie. Es war herrliches klares und kühles Wasser. Davon überzeugten sie sich gleich an Ort und Stelle.
Während die beiden Wasser einfüllten, pflückten Ferris und der Profos Datteln ab. Ferris tat es voller Eifer und probierte auch gleich welche. Carberry tat es mit verzogenem Gesicht.
„Von dem süßen Pappzeug kriegt man matschige Flossen“, maulte er. „Meine sind schon so weich wie die Datteln selbst.“
„So süß sind die doch gar nicht“, widersprach Ferris. „Außerdem bereichern sie unseren Speisezettel. Der Kutscher hat gesagt, man kann daraus auch Schnaps herstellen. Man muß sie nur richtig präparieren.“
Plötzlich waren die Datteln gar nicht mehr so uninteressant für den Profos. Ziemlich wild begann er zu pflücken.
„Dattelschnaps, was, wie? Das müssen wir gleich ausprobieren. Ich habe doch gewußt, daß die Dinger zu etwas gut sind.“
Innerhalb kurzer Zeit war der große Leinensack voll mit Datteln. Inzwischen hatten auch Shane und Batuti die Fässer gefüllt. Mit Hilfe der Tragegestelle schleppten sie die Wasserfässer zur Jolle. Der Profos hatte sich den Sack mit Datteln aufgeladen.
„Wir sollten noch mehr davon holen“, schlug er vor. „Schließlich nehmen wir den Leuten in dem Dorf ja nichts weg. Die haben jede Menge Datteln.“
„Ich dachte, die seien dir zu pappig und matschig“, sagte Shane grinsend.
Carberry dachte wieder an Dattelschnaps und blickte verzückt zum Himmel.
„Das war am Anfang so. Jetzt sind mir diese Früchtchen so richtig sympathisch geworden. Ich werde nachher gleich mal mit dem Kutscher reden.“
Etwas später waren sie an Bord, und da nahm der Profos sofort den Kutscher zur Seite.
„Stimmt es, daß man aus den Datteln Schnaps bereiten kann?“
„Das stimmt. Man kann das aus fast allen Früchten. Sie müssen nur süß sein und stark gären.“
„Dann fangen wir am besten gleich an, bevor sie vergammeln“, drängte Carberry. „Wir holen auch sofort noch mehr.“
„So schnell geht das nun auch wieder nicht. Du kannst nicht ein paar Datteln abrupfen und anschließend verlangen, daß sie zu Schnaps werden. Dazu gehört etwas mehr. Aber ich werde es versuchen. Shane kann mir aus Kupferblech ein paar Röhrchen herstellen, die braucht man nämlich zur Destillation.“
„Aha. Aber wenn wir mehr Schnaps herstellen wollen, können wir dann nicht einfach ein Kanonenrohr nehmen? Ich meine, da läuft doch wesentlich mehr durch als durch so ein kleines Röhrchen.“
Der Kutscher amüsierte sich köstlich über den eifrigen Profos. Aber leider waren seine gigantischen Ideen mit Kanonenrohren und so nicht in die Tat umzusetzen. Er brauchte eine ganze Weile, um dem Profos das zu verklaren.
Eine halbe Stunde später wurden noch drei weitere Fässer Trinkwasser geholt. Der Profos sorgte dafür, daß auch noch reichlich Datteln an Bord genommen wurden. Der Grund dafür war der Küstenverlauf. Hasard war in den Großmars aufgeentert und hatte mit dem Spektiv die Küste genau abgesucht. Von weiteren Oasen oder Ansiedlungen war weit und breit nichts zu sehen. Nur ein wüstenähnlicher und unbewachsener Landstrich erstreckte sich an der Backbordseite.
Bis sie damit fertig waren, wurde es Abend, und die Schatten der Nacht senkten sich über Land und Meer. Sie beschlossen, die Nacht über hier vor Anker liegenzubleiben. Es gab in Küstennähe zahlreiche Untiefen und außerdem das Problem mit Ebbe und Flut, das einen wesentlich anderen als den gewohnten Rhythmus aufwies.
Erst in der Frühe des nächsten Tages segelte die „Santa Barbara“ wieder weiter.
Von dem unterdrückten Schrei erwachte Ahmed aus seinem Halbschlaf und fuhr hoch. Fassungslos blickte er zu seinem Onkel. Ein derartiges Gesicht hatte er bei ihm noch nie gesehen.“
Selim hatte den Mund weit aufgerissen. Die Augen quollen ihm fast aus den Höhlen, sein braunes Gesicht war ganz fahl und gelblich geworden. Dazu stieß Selim ein paar undefinierbare Laute aus. In der Hand aber hielt er eine Muschel, und in die starrte er hinein, als sei dort alle Herrlichkeit der Welt verborgen.
„Was ist, Onkel Selim, fehlt dir etwas?“ fragte Ahmed besorgt.
Selim gab immer noch keine Antwort. Nur um seine Lippen zuckte es ständig. Er schien etwas sagen zu wollen, brachte aber vorerst keinen Ton heraus. Schließlich begann er zu schnaufen.
„Allahs Schwarze Träne“, sagte er heiser. „Du hast eine von Allahs Schwarzen Tränen gefunden, Ahmed. Hier ist sie.“
Der Onkel fiel auf die Knie, hielt die große Muschel mit der rechten Hand umklammert und bedankte sich lautstark und kreischend bei Allah über den glücklichen Fund. Er pries ihn in den höchsten Tönen. Dann kehrte er langsam wieder in die Wirklichkeit zurück, benahm sich aber trotzdem immer noch seltsam und eigenartig.
Endlich durfte auch Ahmed Allahs Schwarze Träne sehen, aber der Onkel hielt sie jetzt mit beiden Händen umklammert.
Ahmed war erst etwas enttäuscht über den Fund. Er beugte sich über die Hände und sah in die Muschel. Zunächst sah er nur etwas Schwarzes zwischen dem rosigen Fleisch. Es war klein und unscheinbar auf den ersten Blick. Ahmed hatte sich die Schwarzen Tränen immer ganz anders vorgestellt – schwarz und geheimnisvoll schimmernd.
Ein harter Stoß traf die Tartane. Ahmed konnte sich gerade noch festhalten, sonst wäre er über Bord gegangen. Die Tartane hatte nur ein knapp kniehohes Schanzkleid. Sie benahm sich bei dem Seegang jetzt wie wild, aber das Wasser kochte auch schon fast.
Feierlich und voller Andacht bohrte Selim mit dem Finger in dem Muschelfleisch herum und schob die Perle höher. Erst jetzt offenbarte sich ihre ganze Schönheit, und sie war viel größer, als es den Anschein erweckte.
Stumm starrte er das kleine Wunderwerk an. Er hatte schon rosa, gelbliche und fast durchscheinende Perlen gesehen, aber niemals ein Exemplar von solch erlesener Schönheit. Er war wahrhaftig eine der Tränen, die Allah in seiner Trauer geweint hatte und die dann auf den Meeresgrund gesunken waren, wo der schwarze Vogel sie hütete und gefräßige Haie sie bewachten.
Und er, Ahmed, hatte dieses Prachtstück gefunden! Er war unbändig stolz darauf.
Aber jetzt mußten sie schnellstens an Land, denn die See wurde immer wilder und aufgewühlter. Die Tartane ächzte und krachte in allen Verbänden. Sie schlingerte hin und her, tauchte tief mit dem Bug ins Wasser und wurde von hohen Brechern überschwemmt.
„Wir müssen zurück!“ schrie Ahmed durch den Sturm, dessen Brausen hohler und orgelnder wurde, weil er an Heftigkeit zunahm.
Selim sagte gar nichts. Er starrte nur die Perle an, die Perle, die ihm Reichtum bescheren würde, wenn er sie verkaufte.
Der Onkel reagierte immer noch nicht. Er schien nicht einmal zu bemerken, daß sich um sie herum die Hölle auftat.
Da gab es einen scharfen peitschenden Knall. Ahmed sah sofort, daß das Ankertau gebrochen war.
Jetzt wurde es noch schlimmer, denn sofort legte sich die Tartane hart auf die Seite. Das kleine Segel zerfetzte. Der Sturm trieb sie auf die ferne Küste zu.
Selim schlitterte auf Knien über das ganze Deck und stieß sich den Schädel. Die Muschel mit der Perle hielt er immer noch umklammert, als wolle sie ihm jemand entreißen.
Ahmed kriegte jetzt Angst, als der Onkel sich nicht mehr erhob. Der harte Anprall hatte ihn offenbar bewußtlos werden lassen.
Er wagte sich ein paar Schritte vor, um dem Onkel zu helfen, doch da traf ein fürchterlicher Brecher das kleine Schiff. Er wischte mit unvorstellbarer Gewalt über das Deck. In einer Sturzflut aus Wasser und wildem Schaum sah Ahmed undeutlich, wie Selim die Hand öffnete, als er sich aufrichten wollte.
Der harte Wellenschlag wischte Allahs Schwarze Träne über Bord! Sie verschwand irgendwo in der Tiefe beim Außenriff.
Der Junge spürte, wie sich eine harte Faust um sein Herz krampfte. Es schien jeden Augenblick aussetzen zu wollen. Jahrelang und unter vielen Gefahren hatten sie nach den kostbaren Perlen gesucht. Und jetzt, als sie endlich eine gefunden hatten, war sie auch schon wieder fort, noch bevor sie sie richtig betrachten konnten.
Diese Schwarze Träne war für alle Zeiten verloren.
Weitere Überlegungen konnte Ahmed nicht anstellen. Er sah nur noch den Onkel weiter auf das Schanzkleid zurutschen. Die Tartane hing hart nach Backbord über, aber Selim konnte sich nicht festklammern.
Ahmed wußte nicht, ob er den Verlust der schwarzen Perle schon bemerkt hatte.
Dann traf es ihn selbst mit fürchterlicher Gewalt. Ein hallender Schlag dröhnte in seinen Ohren. Eine Riesenfaust schlug ihm hart ins Kreuz. Aufschreiend griff er um sich, doch da war nichts mehr als Wasser und abermals Wasser.
Er stürzte, fiel, überschlug sich, wurde mitgerissen und fortgetragen von wirbelnden Wogen, die immer wieder über ihm schäumend zusammenbrachen. Die Welt bestand nur aus einem einzigen Chaos, in dem es kein Unten und kein Oben mehr gab.
Die Erkenntnis, daß er sich nicht mehr auf der Tartane befand, überfiel ihn erst später. Dann nämlich, als er auf den wilden Wogen nur noch weit entfernt ein schwankendes kleines Gebilde sah, das von einer Seite zur anderen torkelte.
Von der Küste sah er nicht einmal einen Strich, und hoch über ihm befand sich nur ein Feld aus großen grauen Wolken.
Ahmed empfand ungeheure Angst, eine Angst, wie er sie nur selten in seinem Leben gehabt hatte. Er schrie und brüllte, wurde unter Wasser gedrückt, wild emporgeschleudert und hin und her geworfen, bis er nicht mehr wußte, wo oben und unten war.
Wenn ihn eine Welle hochhob, sah er in weiter Ferne die Tartane. Er preßte die Zähne zusammen und konzentrierte seine Blicke auf das wild schlingernde Schiffchen. Doch den Onkel sah er nicht. Entweder lag er noch bewußtlos an Deck, oder die See hatte ihn ebenfalls über Bord gespült.
Sein einsamer Kampf gegen die wütenden Elemente begann. Verzweifelt schlug er anfangs noch um sich. Aber das kostete ungeheure Kräfte und erschöpfte ihn schnell. Dann fing er an, seine Lage zu überdenken.
Er wußte ungefähr, wo die Küste lag, und er wußte auch, daß es eine sehr weite Strecke war, die er schwimmend zurücklegen mußte. Obwohl er ein guter Schwimmer war, hatte er Bedenken, es zu schaffen, denn dazu war die See zu hoch.
Die Angst war wieder da, die ihn zweifeln ließ, an ihm nagte und fraß und seine Unsicherheit vergrößerte. Hinzu kamen auch gleich noch eine Menge anderer Sorgen. Hatte der Onkel es überlebt? Würde die Tartane an der Küste zerschellen oder untergehen? Außerdem war die kostbare Perle im Meer verschwunden. Allein das war schon ein herber Verlust.
Ein schäumender Brecher begrub ihn und wirbelte ihn nach unten wie in einen gigantischen Sog. Gerade noch rechtzeitig hielt Ahmed die Luft an, um kein Salzwasser schlucken zu müssen.
Das Meer spie ihn nach einer Weile wieder aus. Hustend, keuchend und heftig nach Luft ringend, geriet er an die Oberfläche. Da hatte er schon fast die Orientierung verloren und wußte nicht mehr, wo das Land lag. Von der Tartane sah er ebenfalls nichts mehr. Wind und Wellen hatten sie weit abgetrieben. Oder war sie schon gesunken?
Er betete und flehte zu Allah, daß er ihn endlich aus dieser Misere erlösen und zur Küste geleiten möge.
Einmal glaubte er, weit voraus einen dunklen Schatten über dem Wasser zu sehen. Er schwamm kaum noch, ließ sich einfach von den Brechern treiben und wartete. Nicht mehr lange, das wußte er, würden seine Kräfte erschöpft sein. Dann sank er wie ein Stein auf den Meeresgrund.
Die Bewegung über dem Wasser war immer noch zu sehen, aber nur sehr undeutlich zu erkennen.
Sein Herz schlug plötzlich schneller. Vielleicht hatte Onkel Selim es doch noch geschafft und suchte jetzt nach ihm das Meer ab.
Hin und wieder verschwand der Schatten, und dann tanzten Ahmed rote Ringe vor den Augen, aus denen bunte Kreise wurden. Ihm wurde alles egal und gleichgültig. Auch diesen Zustand kannte er. Er hatte ihn ein paarmal erlebt, wenn er in seiner Neugier zu tief getaucht war. Dann kam es wie ein Rausch über einen, oder man wurde gleichgültig.
Wieder sah er den Schatten. Es war nur ein vager Umriß, der sich aus den Wellen hob, aber danach sofort wieder im nächsten Wellental verschwand.
Der Schatten rückte nicht näher. Er schien auf der Stelle zu tanzen, obwohl er mal größer wurde und dann wieder schrumpfte.
Er starrte so angestrengt darauf, daß er nicht merkte, wie sich über seinem Kopf ein neuer Brecher auftürmte. Direkt vor ihm schlug er zischend und donnernd zusammen.
Ahmed schluckte Wasser, denn diesmal hatte er nicht aufgepaßt. Er schluckte so viel, daß seine Lungen brannten und ihm übel wurde. Ein Hustenanfall würgte und schüttelte ihn. Die roten Ringe wurden erneut zu feurigen Kreisen und immer größer.
Dann fraßen sie ihn in einer gigantischen roten Explosion auf.
6.
Sein Erwachen begriff er überhaupt nicht. Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren und wußte auch nicht, wo er sich befand.
Er wähnte sich auf einem hohen Berg, von dem ihn jemand unsanft hinabstieß, aber immer bevor sein Körper in die Tiefe aufschlug, wurde sein Fall jäh gebremst und ging in ein langes Schweben über. Wie ein Vogel, der sich von der Bergspitze ins Tal gleiten läßt.
Kehliges Lachen glaubte er einmal in seiner unmittelbaren Nähe zu hören. Ein paar geflüsterte Worte fielen. Danach versank er übergangslos in einem tiefen Wasser, das ihm machtvoll ins Gesicht schlug.
Lange Zeit konnte er sich diesen eigenartigen Zustand nicht erklären. Er hatte so etwas auch noch nie erlebt.
Das Auf und Ab blieb, ebenso der große und dumpfe Gong, dessen hallender Schlag an seine Ohren drang. Kaum war er verhallt, da erklang er wieder. Ein merkwürdiger Ton war das.
Da war auch etwas Licht, wie er feststellen konnte. Das Licht wurde nur alle Augenblicke dunkel, als würde es von einem riesigen Schwamm aufgesogen.
Dann brannte es schmerzhaft auf seiner Wange, und als er mühsam die Augen öffnete, kehrte er mit einem Schlag in die Wirklichkeit zurück und wußte sofort, was passiert war – bis zu jener Stelle, wo ihn die rote Explosion verschlungen hatte.
Er sah sich um. Vor Entsetzen schloß er sofort wieder die Augen, denn er sah direkt in die Fratze des Scheitans, der ihn höhnisch angrinste und ihm einen Backenstreich gab.
Die Stimmen um ihn herum wurden lauter. Dazwischen erklang rohes und bösartiges Gelächter.
„Mach die Augen auf, du Bastard!“ brüllte der Scheitan mit donnernder Stimme.
Ahmed riß die Augen weit auf, um weiteren schmerzhaften Backenstreichen zu entgehen. Er wollte etwas sagen, brachte aber vor Aufregung und Schreck vorerst keinen Ton heraus.
Dafür starrte er in dämonische Fratzen. Manche blickten ihn aus zusammengekniffenen Augen gleichgültig an, andere grinsten hinterhältig, und ein paar weitere Kerle musterten ihn wie einen giftigen Fisch, den sie am liebsten wieder ins Meer zurückwerfen würden.
Das waren Totengräber in wilder verwegener und verdreckter Kleidung, Buschräuber, Schnapphähne und Blutsäufer übelster Sorte, zwischen die er geraten war.
Piraten waren es, wie sie die Küstengebiete um Abu Dhabi heimsuchten, Kerle, die Beute rissen wie Ali Ben Chufru und noch einige mehr, die sich auch nicht scheuten, arme Fischer auszuplündern.
Und diese Halunken hatten ihn offenbar aufgefischt und bereiteten sich jetzt einen Spaß daraus, ihn ins Leben zurückzuholen.
Ahmed blickte aus den Augenwinkeln scheu nach links. Dort stand ein bärtiges Ungeheuer mit finsteren Augen und drohenden Blicken. Der Kerl lehnte am Schanzkleid und schaute herüber. Ahmed sah, wie sein Körper immer auf und ab ging, wie er sich hob und senkte, wenn die Wellen das Schiff bewegten. Er sah nur diesen gewaltigen, tonnenförmigen Leib. Die Beine vermochte er nicht zu sehen.
„Na, bist du endlich wieder bei dir?“ fragte ein unrasierter Kerl mit einem hämischen Grinsen. „Beinahe hätten dich die Haie gefressen, aber du warst ihnen wohl noch zu klein und zu mager.“
Die anderen lachten roh und betrachteten ihn weiter. Nur der Kerl mit dem tonnenförmigen Brustkasten und dem dicken Bauch lachte nicht.
„Schmeißt den Wurm wieder über Bord“, sagte er grollend. „Möchte wissen, warum ihr den überhaupt aufgefischt habt. Was sollen wir mit Kindern an Bord, he?“
Die anderen schienen auch nicht so recht zu wissen, was sie mit Kindern an Bord sollten und sahen sich verunsichert an.
„Ach was“, sagte einer, „jetzt haben wir ihn schon mal. Der Kapitän wird ihn sicher behalten wollen.“ Er packte Ahmed am Ohrläppchen und zog kräftig. Der Junge fuhr in die Höhe, als hätte ihn ein Skorpion gestochen.
„Du hast uns dein lausiges Leben zu verdanken, also benimm dich anständig und sei unterwürfig, sonst fliegst du wieder zurück über Bord und kannst dich mit den Fischen unterhalten. Wie heißt du überhaupt?“
„Ich heiße Ahmed.“
„Und wie bist du da ins Wasser gelangt?“
Ahmed entschloß sich, die Wahrheit zu sagen. Wenn ihn die Kerle beim Lügen erwischten, dann brachten sie ihn vielleicht um.
„Ich war zum Fischen draußen, und da gerieten wir in einen Sturm. Ich fiel über Bord, und dann weiß ich nichts mehr.“
Der Tonnenmann lachte verächtlich. Er sah so aus, als wollte er den Jungen gleich persönlich über Bord werfen. Ahmed sah, daß er zwei große Pistolen im Hosenbund trug.
„Wo bin ich hier?“ fragte Ahmed zaghaft. Dann entsann er sich gerade noch rechtzeitig, daß sie Unterwürfigkeit von ihm verlangten, und er bedankte sich überschwenglich bei seinen Rettern.
„Du bist bei …“
Der Kerl in der geflickten Kleidung wollte weitersprechen, doch von achtern erklang eine barsche und laute Stimme.
„Was ist das für ein Krach da vorn, verdammt noch mal?“
Die Kerle flitzten nur so zur Seite, als die Stimme erklang.
Ahmed sträubten sich die Nackenhaare, als er den Mann sah. Gleichzeitig überlief ihn eine Gänsehaut, und er spürte, wie es in allen seinen Gliedern zu kribbeln begann.
Der Mann, der sich da aus einem Schott zwängte, war kein anderer als Ali Ben Chufru, der Küstenpirat vom Stamme der Beni Yas, der Mörder, der so feige und hinterhältig seinen Vater umgebracht hatte.
Ahmed zitterte jetzt am ganzen Körper. Er hatte sich immer geschworen, diesen Mann eines Tages zu töten, um seinen Vater zu rächen. In allen Einzelheiten hatte er sich das ausgemalt.
Jetzt aber war alles ganz anders und sah auch ganz anders aus. Ahmed wurde das fürchterliche Gefühl nicht los, daß man diesen Halunken gar nicht umbringen konnte. Der würde sogar mit einem Messer zwischen den Rippen noch verächtlich lachen, und selbst die Kugel aus einer Pistole würde ihm nichts anhaben. Und er hatte weder ein Messer noch eine Pistole. Sein Tauchermesser zum Lösen der Muscheln hatte er im Wasser irgendwo verloren.
„Wir haben einen Wassermann gefangen“, sagte einer lachend und deutete auf Ahmed, dessen Gesicht völlig blutleer war.
„Bringt ihn zu mir!“ befahl Ali Ben Chufru herrisch.
Zwei Kerle schnappten Ahmed bei den Achseln und schleiften ihn mehr, als daß sie ihn schoben, nach achtern, wo Ali breitbeinig auf den Planken stand. Der Pirat musterte ihn verächtlich von oben bis unten. Aber als er den Blick abwenden wollte, ruckte er mit dem Kopf herum, runzelte die Stirn und sah Ahmed genauer an.
„Habe ich dich nicht schon einmal gesehen, Bürschlein?“ fragte er.
Ahmed schüttelte angstvoll den Kopf.
„Nein, Sidi, ich glaube nicht. Ich habe dich jedenfalls noch nie gesehen, Herr.“
„Irgendwo habe ich dich kleinen Bastard schon mal gesehen“, sagte Ali. Dann lachte er roh. „Ist ja auch egal. Es interessiert mich einen Dreck, wo du her bist. Wer von euch Halunken hat den Bengel aus dem Wasser gefischt?“
„Das war ich, Sidi“, sagte einer, der einen Schritt vortrat.
Ali packte den Kerl mit spitzen Fingern an seinem Bart, zwirbelte ihn ein bißchen, bis dem Kerl das Wasser in die Augen stieg, und schlug ihm dann die Faust hart an den Schädel.
Der Kerl raste zurück, als hätte ihn eine besonders harte Bö getroffen, knallte mit dem Kreuz an den Mast und fiel auf die Planken.
„Ohne meine Erlaubnis wird niemand aufgefischt“, sagte Ali. „Hast du das verstanden, du Sohn einer räudigen Hündin?“
„Du warst aber nicht an Deck, Sidi, und es ging alles sehr schnell“, jammerte der Kerl.
„Ich bin immer an Deck“, sagte Ali. „Und wenn du das jemals bezweifelst, dann brauchst du auch deine Augen nicht mehr, weil sie dann nichts mehr taugen. Ich werde sie dir herausschießen.“
Der Kerl blieb auf den Planken knien und beugte demütig den Kopf, bis seine Stirn das Holz berührte. Ali gab ihm mit verächtlichem Grinsen einen Fußtritt. Dann wandte er sich an Ahmed, dessen Herz immer lauter klopfte. Fast drei Jahre war es jetzt her, daß Chufru seinen Vater umgebracht hatte. Der Haß fraß noch immer in dem Jungen.
„Du kannst an Bord bleiben, du kleiner mickriger Bastard. Und du wirst jedem gehorchen, der dir etwas befiehlt. Wenn du etwas klaust, schneide ich dir persönlich den Hals durch und verfüttere deinen Kadaver an die Haie, verstanden?“
„Ja, Herr, ich habe verstanden“, hauchte Ahmed. Ihm war speiübel zumute, als der Pirat ihn erneut musterte. Ständig hatte er das Gefühl, Ali Ben Chufru würde ihn durchschauen.
„Zeige ihm, was er zu tun hat, Tarsa“, sagte Ali zu dem tonnenförmigen Mann, der reglos hinter ihm stand.
„Ja, Herr.“
Der Tonnenmann, wie Ahmed ihn insgeheim nannte, packte ihn wie ein Karnickel am Genick und schob ihn mit einer Hand vor sich her nach vorn. Der Griff war so hart, daß Ahmed schmerzhaft das Gesicht verzog.
Vor einem Schott blieb der Tonnenmann stehen. Es roch verheißungsvoll. Verschiedene Gewürze erfüllten die Luft dicht vor dem Schott.
Ahmed riskierte noch einen schnellen Blick in die Runde. Viel Zeit dazu blieb ihm nicht, aber er sah noch genug.
Piraten, wohin er blickte. Zerlumpte Gestalten, abenteuerlich gekleidete Figuren, Narbenmänner, bärtige Visagen, unrasierte, gemeine und hinterhältige. Kein einziger Kerl war dabei, der einigermaßen redlich aussah. Er befand sich wahrhaftig auf der gefürchteten schwarzen und düsteren Sambuke, vor der die Fischer so erbärmliche Angst hatten.
Aber er sah in diesem kurzen Augenblick noch mehr. Die See ging längst nicht mehr so hoch wie vorhin. Das Land war an Backbord ein ganz feiner dunstiger und kaum erkennbarer Strich. Nur die Tartane war nirgends zu sehen, so sehr er auch suchte. Er konnte sie nicht mehr entdecken und nahm an, daß sie doch untergegangen war. Die Sorgen überfielen ihn wieder, doch zum Nachdenken blieb keine Zeit.
Der Tonnenmann ließ ihn los und stieß ihm die mächtige Faust ins Kreuz. Er flog ein paar Stufen hinunter ins Halbdämmer und hörte noch die Stimme des fürchterlichen Kerls.
„Du wirst dem Koch helfen, du Laus!“
Ahmed landete an einem heißen Herd, vor dem ein in Dunstschwaden gehüllter Kerl stand. Der Kerl war hager und hatte lange spitze Mausezähne in einem unrasierten Gesicht. Auf dem Herd stand in Schlingerleisten ein großer Kessel, in dem es dampfte und brodelte wie in einer Giftküche.
Der Koch starrte ihn mit offenem Maul an. Er sah aus wie eine große Maus, die in die Falle gegangen war.
„Ich soll hier helfen, Herr“, sagte Ahmed kläglich.
„Du sollst helfen? Meinetwegen, Arbeit gibt es genug. Dann brauche ich jedenfalls nicht mehr so viel zu tun. Die Kocherei hängt mir sowieso zum Hals heraus. Immer ich! Dabei kann ich gar nicht kochen.“
Er rührte in der Suppe herum und spie auf den Boden. Dabei hustete er zum Gotterbarmen.
Die Kombüse war klein, stickig, dreckig und von Schwaden durchzogen. Was der Kerl kochte, war für Ahmed unerfindlich. Aber er würzte kräftig, denn es roch immer intensiver. Vielleicht glich er seine schlechte Kocherei durch die Zugabe von reichlich Gewürzen aus.
Der Mausezahn befahl ihm sogleich, die Suppe umzurühren. Dabei spie er alle Augenblicke auf die schmutzstarrenden Dielen. Er selbst lümmelte sich faul ans Schott und kommandierte nur noch herum.
Ahmed mußte Asche an Deck tragen, einen Abfallkübel nach oben bringen und ausleeren und andere Kleinigkeiten tun.
Er wollte freiwillig die Dielen schrubben, weil es so entsetzlich dreckig war, aber der Kerl sah ihn an, als hätte er den Verstand verloren.
„Hat Tarsa das befohlen?“ fragte er entsetzt. Offensichtlich hatte er heillose Angst vor geschrubbten Planken.
Ahmed wußte mittlerweile, daß Tarsa der Tonnenmann war und überall an Bord gefürchtet wurde.
„Nein, ich wollte es von selbst tun, Herr.“
„Du bist ja verrückt. Man tut nie etwas von selbst. Man wartet immer, bis es einer befiehlt. Dann muß man es allerdings tun, wenn man keinen Ärger haben will.“
Etwas später war das Essen fertig. Der Koch nannte es Ab Guscht, und es sollte ein Ragout aus Fleisch und Gemüse sein. Aber als es fertig war, bestand es aus einer dicken Pampe von Hirse, Reis, kleingeschnittenem Hammeltalg und grünlich-braunen Blättern. Das Zeug quoll im Hals auf und verhinderte das Reden. Zudem war es so scharf gewürzt, daß einige fast daran erstickten.
Dem Tonnenmann war das gleichgültig. Er schaufelte das Zeug in endlosen Mengen in sich hinein, ohne auch nur einmal aufzublicken. Viele andere stießen üble Verwünschungen aus.
Auch Ali Ben Chufru aß an Deck. Er tunkte den Holzlöffel in die Pampe und probierte. Dann winkte er mit gekrümmtem Zeigefinger den vor Angst schlotternden Koch herbei. Der Mausezahn mußte am Mast Aufstellung nehmen.
„Du bist erst seit vier Tagen an Bord“, sagte Ali freundlich. „Und du hast dich als Koch ausgegeben, als ich dich nahm. Das ist doch richtig, oder?“
„So ist es, Herr.“
„Deine Künste übertreffen wirklich alles.“ Ali blieb immer noch ausgesprochen freundlich. „Ich hoffe, du hast noch nicht gegessen, denn es gehört sich nicht für einen Koch, früher als der Sidi Reis zu essen. Das ist hier so üblich.“
„Ich habe noch keinen Bissen zu mir genommen, Herr“, versicherte der Koch voller Eifer. Seine Angst war jetzt einer gewissen Überlegenheit gewichen.
„Dann wollen wir beide gemeinsam essen“, sagte Ali. „Bring den ganzen Topf gleich an Deck.“
Ahmed mußte helfen, den Topf an Deck zu schleppen. Er war noch fast halbvoll. Der spitzzahnige Koch benahm sich, als sei er bei Hofe eingeladen und stand mit stolzgeschwellter Brust herum.
Ali tunkte wieder den Holzlöffel in die Pampe und probierte.
„Etwa Salz scheint noch zu fehlen“, meinte er.
Der Tonnenmann hatte schon eine gefüllte Pütz mit Seewasser auf den Planken stehen. Er hob sie hoch und kippte den Inhalt mit ausdruckslosem Gesicht in den Kessel. Dann rührte er mit einer Handspake das ganze Zeug um.
„So sieht das schon besser aus“, lobte Ali freundlich. „Und nun laßt erst einmal den Koch ausgiebig essen.
Zwei Kerle rissen dem Koch blitzschnell die Arme auf den Rücken und drückten ihn auf die Planken, bis er auf dem Kreuz lag und sich nicht mehr rühren konnte. Ein dritter Kerl brachte einen hölzernen Trichter, den sie dem Koch in den Hals steckten. Der konnte nicht einmal mehr schreien, so überrascht war er.
Ahmed stand schaudernd daneben und mußte mitansehen, wie sie mit dem Koch verfuhren. Offenbar war das nicht die erste Prozedur, die etliche Köche schon über sich ergehen lassen mußten, denn die Kerle verständigten sich nur mit Blicken und sprachen nicht viel.
Das Trichterende drückte dem Koch die Zunge nach unten. Er sah aus, als wollte er brüllen, aber er konnte nicht.
Dann hob der Tonnenmann den Kübel hoch, kippte ihn um und ließ den Inhalt in den Trichter rinnen.
Der Koch zuckte und zappelte, und dabei rann das Zeug unaufhörlich in seinen Hals. Ahmed sah, wie sein Bauch langsam zu einem Faß anschwoll und immer dicker wurde.
Wehren konnte sich der Koch auch nicht, denn zwei Mann hockten auf seinen ausgebreiteten Armen, der dritte hielt den Trichter, und der Tonnenmann schenkte fleißig nach, bis der Koch knallrot anlief und fast erstickte.
Ein Handzeichen von Ali Ben Chufru unterbrach die grausame Prozedur. Der eine nahm ihm den Trichter aus dem Hals, die beiden anderen aber hielten ihn weiter auf den Planken fest.
„War es gut?“ erkundigte sich Ali zuvorkommend. „Es hat doch Salz gefehlt, oder nicht?“
Der Koch konnte nicht antworten. Die Augen quollen ihm aus den Höhlen, und so ächzte er nur.
„Du brauchst nur zu nicken“, sagte Ali.
Daraufhin nickte der Koch fast unmerklich.
„Er will noch mehr“, sagte Ali. „Ich hätte gar nicht gedacht, daß dieser dürre Kerl so verfressen ist. Also gib ihm auch noch den Rest, wenn er nicht genug kriegen kann.“