Kitabı oku: «Seewölfe Paket 29», sayfa 15

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4.

Was da auf die Bretter trat, nötigte sogar dem Profos Respekt ab.

Ein riesenhafter glatzköpfiger Mann mit einem gewaltigen schwarzen Schnauzbart erschien. Sein Körper war eingeölt, und am ganzen Körper zuckten Muskelwülste auf, sobald er sich bewegte.

Dieser Ibrahim trug nur eine knielange Hose und einen gewaltigen Ledergürtel. Sein Oberkörper war nackt, und den Schädel hatte er sich blitzblank rasieren lassen.

Er stellte sich in Positur und holte Luft. Dabei spannte er auch seine Muskeln an, riesige Wülste, die ruckartig aufquollen. Alles an diesem Mann strotzte nur so vor Kraft.

„Ibrahim, der stärkste Mann der Welt!“ verkündete der Bucklige. „Wer ihn besiegt erhält ein Goldstück. Wer ihn nicht besiegt, der wird ein paar Goldstücke brauchen, um seine Knochen zusammenflicken zu lassen. Wer von den ehrenwerten Herren wagt es, gegen Ibrahim anzutreten? Es wird geboxt. Schläge bis an die Gürtellinie sind erlaubt. Ein Goldstück für den, der Ibrahim auf die Bretter schickt!“

Der Bulle flößte zwar allen Respekt und vielen auch Angst ein, aber als der Bucklige das Goldstück hochhielt und es der Menge zeigte, da gab es immer wieder Kerle, die es sich verdienen wollten und direkt hungrig auf das Goldstück blickten.

Mit einem Goldstück ließ sich sehr viel anfangen. Damit war der Lebensunterhalt für mehr als zwei Monate gesichert. Viele waren davon überzeugt, bei Ibrahim den richtigen Schlag anbringen zu können, und viele hielten sich für wesentlich stärker, als sie in Wirklichkeit waren.

Noch bevor der Profos reagieren konnte, drängte sich bereits ein junger, kraftvoller Türke nach vorn. Seine Blicke waren begehrlich auf das Goldstück gerichtet.

„Ich trete gegen ihn an!“ rief er.

Ibrahim sah gelassen und mit über der gewaltigen Brust verschränkten Armen zu, wie sich der Türke das Hemd vom Körper riß.

Dann ging es auch gleich zur Sache. Der junge Türke stürmte wie ein wildgewordener Büffel vor und drosch Ibrahim die Fäuste mit aller Kraft ins Gesicht. Er wollte schon triumphierend losbrüllen, doch der Bulle nahm den Kopf blitzschnell zur Seite. Die Schläge verpufften wirkungslos und gingen ins Leere. Ibrahim erwartete seinen Gegner mit einem schiefen Grinsen.

Beim zweiten Ansturm gelang dem Türken ein Schlag gegen die gewaltige tonnenförmige Brust. Der Bulle steckte den Schlag gelassen weg, als hätte er ihn nicht gespürt.

Er wartete auch den nächsten Ansturm noch ab und stoppte den Türken mit seinen gewaltigen Fäusten. Der versuchte jetzt, angesichts des Goldstückes, alles auf eine Karte zu setzen und schlug wieder zu.

Ibrahim blockte ab. Nur seine Arme wurden getroffen.

Jetzt begann es in der Menge zu kochen und zu brodeln. Die Kerle feuerten den jungen Türken an und brüllten wild durcheinander.

Bei dem Türken rastete etwas aus. Er schrie ebenfalls und drang mit wildem Gebrüll auf Ibrahim ein. Er hatte einen mörderischen Blick drauf und verlor die Übersicht. Statt den Klotz kühl und überlegt anzugehen, um vielleicht dessen Schwäche auszunutzen, schlug er planlos, wild und unüberlegt zu. Seine Arme wirbelten wie Dreschflegel, aber es gelang ihm nicht, einen richtigen Treffer anzubringen.

Als er wieder ins Leere schlug, erwischte ihn ein harter Schlag, dessen Wucht ihn quer durch den provisorischen Ring trieb.

Er stand kaum auf den Beinen, als ihn ein zweiter Schlag erneut fällte. Diesmal blieb er benommen auf den Knien hocken und schüttelte den Kopf.

Ibrahim ließ ihm Zeit und wartete, bis er wieder auf den Beinen war.

„Fair kämpft er ja“, sagte Smoky, „das muß man ihm lassen. Dafür kann er aber verdammt hart schlagen.“

Ganz überraschend griff der Türke an. Offenbar hatte er jetzt eine wilde Wut im Bauch und sah sein Goldstück für immer entschwinden.

Bei diesem Angriff erwischten ihn zwei mörderische Haken. Sein Kopf flog in den Nacken, er überschlug sich fast und brach gurgelnd auf den Brettern zusammen. Dort blieb er stöhnend liegen.

„Der Kampf ist entschieden!“ rief der Bucklige. „Ibrahim hat gewonnen! Oder hat jemand Einwände?“

Keiner hatte Einwände. Der Türke kam von allein auch nicht mehr auf die Beine, und so trugen sie ihn aus dem Ring.

„Du willst doch nicht gegen das Monstrum antreten?“ fragte der Kutscher. „Der hat noch gar nicht richtig gezeigt, was er kann. Für den war das nur ein Spielchen. Immerhin hat er den Türken mit ein paar Schlägen fast zugrunde gerichtet.“

Carberry grinste schief. Er blickte dem Türken nach, den sie auf den Boden legten, und der immer noch so entsetzlich stöhnte, als hätte er keinen heilen Knochen mehr im Leib.

„Warum nicht“, sagte er gelassen. „Spaß muß sein und Abwechslung erst recht. Ich werde den Kerlen doch nicht das Goldstück schenken.“

„Der zermatscht dich“, warnte der Kutscher eindringlich, doch damit stieß er bei Carberry nur auf taube Ohren.

Während die beiden sich noch unterhielten, war bereits ein anderer Mann im Ring erschienen, ein breitschultriger Kerl mit einer Schlägervisage, einer mächtig plattgehauenen Nase und riesigen Fäusten. Offenbar war er ein Seemann von einem der zahlreichen Schiffe, die im Hafen lagen. Er sah lüstern auf das Goldstück, das der Bucklige wieder hochhielt, nickte dann und drehte sich blitzschnell um. Er begann schon draufloszuschlagen, noch bevor der Kampf angesagt wurde.

Für Ibrahim kam dieser Angriff überraschend, und so mußte er zwei harte Treffer auf die Brust einstecken.

Kumpane des Breitschultrigen begannen zu grölen und zu pfeifen und feuerten ihn an.

Aber auch der Schläger hatte keine Chance. Nach seinen Treffern erwischten ihn die gewaltigen Fäuste und fegten ihn erbarmungslos durch den Ring. Seine plattgeschlagene Nase begann zu bluten, ein Veilchen blühte in seinem Gesicht auf, und er sah nach einem weiteren Hieb sehr lädiert aus.

Ibrahim gab ihm den Rest. Seine Fäuste flogen von links, von rechts, gestochen oder als wilde Schwinger. Dann explodierte eine Faust unter dem Kinn des Mannes, die ihn aus dem Ring warf. Wie ein Bündel Lumpen flog er zwischen seine Kumpane.

Der Kutscher wollte den Profos wieder ablenken und in ein Gespräch verwickeln, doch da hatte sich Carberry bereits einen Weg durch die Menge gebahnt und stand dem Bullen grinsend gegenüber.

„Ah, hier will es noch einer versuchen!“ schrie der Bucklige. „Ein wahrhaft starker und furchtloser Mann! Ob er wohl das Goldstück gewinnen wird?“

Carberry spürte, wie er von dem Glatzkopf gemustert wurde. Der Kerl tastete ihn mit Blicken ab und taxierte ihn ein.

Aber Carberry hatte das längst getan, und dabei hatte er festgestellt, daß dieser Ibrahim mühelos die schwersten Körpertreffer wegsteckte. Solche Schläge prallten an ihm wirkungslos ab.

Der Profos grinste ein bißchen und hob die Arme in Brusthöhe, und damit ging es auch schon los.

Ibrahim hatte seinen Gegner offenbar richtig eingeschätzt und wollte nichts anbrennen lassen. Dieser Narbenmann war mit Vorsicht zu genießen, da kannte er sich aus, denn er hatte schon einige hundert Männer auf die Bretter geschickt. Dieser Kerl mit dem gewaltigen Kinn gehörte jedoch nicht zu der Sorte, die losbrüllten und wild drauflosschlugen, der schlug gezielter.

Zwei riesige Fäuste flogen auf Carberry zu. Der einen konnte er ausweichen, die andere erwischte seine Schulter und wirbelte ihn herum.

Der hat einen Schlag drauf wie ein Hammerwerk, dachte der Profos. Sekundenlang war seine Schulter wie gelähmt, dann verging der Schmerz jedoch schlagartig.

Der Profos drosch ihm eins an den Hals. Ein zweiter Schlag traf Ibrahim oberhalb des Gürtels. Den einen Schlag steckte er grinsend weg, der andere erschütterte ihn ein wenig.

Dann flogen nur noch die Fäuste, bis die Männer ins Schwitzen gerieten. Der Kampf verlief sehr zur Freude der Zuschauer, denn der Narbenmann ließ sich nichts schenken und drosch immer wieder zurück.

Carberry hatte sich eine besondere Taktik ausgewählt. Er schlug nur selten nach dem Gesicht des Glatzkopfes, er bearbeitete ihn mit Hieben und Treffern in die Magengegend, und damit erreichte er genau das, was er wollte. Ibrahim begann zu keuchen, das Trommelfeuer zeigte leichte Wirkung, obwohl auch der Profos eine Menge einstecken mußte.

„Den Profoshammer!“ brüllte Smoky wild. „Mann, laß den Profoshammer los, Ed!“

Carberry hörte nichts. Er sah nur diesen gewaltigen Kerl vor sich und mußte den heranfliegenden Fäusten ausweichen. Den Profoshammer, seinen ganz speziellen Schlag, hob er sich für später auf. Das sollte die Überraschung für Ibrahim werden.

Carberry fing sich einen Brocken ein, an dem er eine ganze Weile zu schlucken hatte. Der Kerl setzte immer wieder sofort nach und schlug jetzt ohne Pause auf ihn ein.

Aber Carberrys Schläge zeigten ebenfalls Wirkung. Ibrahim stand der Schweiß in dicken Perlen auf Stirn und Gesicht, und immer wieder mußte er tief Luft holen, denn dieser Narbenmann trieb ihm mit seinen fürchterlichen Schlägen die Luft aus den Lungen, wie er es noch nie erlebt hatte.

Die Zuschauer, die wie gebannt auf die Szene starrten, gaben keinen Mucks von sich. Eine fast beängstigende Stille herrschte auf dem Platz von Kasimpasa, wo sich immer mehr Zuschauer einfanden.

Ein schneller Haken erwischte das rechte Ohr von Ibrahim. Den Türken durchraste ein nie gekannter Schmerz. Er brüllte auf, sein Gesicht verzerrte sich, und dann hieb er wild um sich.

Der Profos setzte dem heranrasenden Büffel ein Ding auf das rechte Ohr und die andere Faust in die Schultergrube. Damit hatte er den Riesen genau da, wo er ihn haben wollte.

Ibrahim schlug jetzt unkontrollierter und beging den gleichen Fehler wie ihn seine anderen Gegner begangen hatten. Viermal schlug er an Carberry vorbei, dann geriet er in rasende Wut, als der Profos immer wieder unter seinen Fäusten wegtauchte.

Dem stärksten Mann der Welt rann Blut aus einer geplatzten Augenbraue. Sein linkes Ohr war eingerissen und blutete ebenfalls.

Er verstand die Welt nicht mehr und stierte mordgierig auf den Narbenmann. Dem lief zwar auch der Schweiß über das Gesicht, aber er zeigte noch keine Anzeichen von Erschöpfung. Sein Gesicht war auch noch nicht verbeult, er hatte nur schwere Körpertreffer eingesteckt.

Ibrahim riß die Arme hoch und wollte von der Seite zuschlagen. Aber da war der Narbenmann weg und die Schläge gingen ins Leere. Er wurde von der eigenen Wucht ein Stück nach vorn gerissen – und da stand der Narbenmann plötzlich wieder wie aus dem Boden gewachsen da.

Ibrahim sah noch klar und deutlich, wie der Kerl mit dem Amboßkinn sich einmal um seine Achse drehte. Es ging unwahrscheinlich schnell.

Weiter registrierte er noch, wie etwas auf ihn zuflog. Es war ein mörderisches riesiges Ding, das mit atemberaubendem Tempo heranraste. Er konnte nicht mehr ausweichen, er stolperte nur noch einen kleinen Schritt nach vorn – und damit lief er direkt in den Profoshammer hinein.

Das Ding, das der Profos abfeuerte, kam mit aller Kraft aus dem Schultergelenk, die Drehung um die eigene Achse verstärkte die Auftreffwucht noch ganz erheblich, denn dahinter saß die ganze geballte Kraft des Narbenmannes.

Dieser Brocken erwischte Ibrahim wie der Tritt eines Elefanten, und er landete knallhart auf seinem Kinn. Eine mächtige Explosion schüttelte ihn von oben bis unten durch und stoppte ihn auf der Stelle. Dann torkelte er zwei Schritte zurück, verdrehte die Augen und spürte, wie es Nacht um ihn wurde.

Die Bretter dröhnten und vibrierten, als Ibrahim mit seinem ganzen Gewicht auf ihnen landete. Reglos blieb er liegen.

Carberry schnaufte ein bißchen, blieb mit gesenkten Fäusten stehen und starrte auf den gefällten Mann. Er hörte kaum die wilden Rufe und das Gebrüll, das über den Platz hallte. Von überall her riefen, brüllten, kreischten, pfiffen und schrien sie.

Der Bucklige stand mit offenem Mund da, stierte auf Ibrahim, dann wieder zu Carberry und wußte nicht, was er davon halten sollte, denn Ibrahim rührte sich immer noch nicht. Es sah aus, als halte er auf den Brettern ein Nickerchen.

Der Profos befühlte vorsichtig seine rechte Faust, die den Koloß mit einem mörderischen Schlag gefällt hatte. Tat ganz schön weh, das Ding, er hatte das Gefühl, in eine Eichenwand gedroschen zu haben. Die Knöchel waren aufgeschrammt und brannten wie Feuer.

„Nun sag schon, wer der Sieger ist“, knurrte er den Buckligen an. „Sicher hat niemand Einwände, was, wie?“

Der Bucklige war immer noch starr und blickte auf seinen stärksten Mann der Welt, dessen linkes Augenlid jetzt zuckte. Das war aber auch die einzige Reaktion, die bewies, daß noch Leben in ihm war. Etwas Derartiges hatte der Bucklige noch nicht erlebt. Der stärkste Mann der Welt hatte eine empfindliche Niederlage hinnehmen müssen.

„Das – das Goldstück gehört Ibrahim“, stotterte er verwirrt. Er versuchte, den Profos hinzuhalten. „Er – er selbst überreicht es.“

„Dein Ibrahim kann gar nichts mehr überreichen“, fauchte Carberry. „Mit dem ist heute nicht mehr zu reden. Und wenn du die Siegerprämie nicht gleich herausrückst, wirst du auch lange nichts mehr überreichen. Dann wackel ich dich nämlich so lange durch, bis dir der Arsch voll Tränen steht.“

Als Jung Philip das übersetzte, brandete in der Menge Gelächter auf. Gleichzeitig wurden aber auch Drohungen gegen den Buckligen laut. Mit einer hastigen Bewegung überreichte er dem Profos des Goldstück. Der nahm es grinsend in Empfang und ließ es in der Hosentasche verschwinden.

Dann sagte er: „Einen Gruß noch an den zweitstärksten Mann der Welt. Und wenn du noch mehr Goldstücke übrig hast – wir sind mehr als dreißig Kerle, die dem lieben Ibrahim zeigen, wo es langgeht.“

Er ließ den völlig verstörten Buckligen stehen und bahnte sich seinen Weg durch die Menge zurück.

Der Kutscher sah ihn besorgt und kopfschüttelnd an.

„Du hast dir ein paar ganz schöne Brocken eingefangen, aber du hast den Kerl prächtig geschafft. Hast du Schmerzen, wollen wir an Bord zurück?“

„Ich doch nicht!“ tönte der Profos. „Was soll ich jetzt an Bord – mir das Goldstück ansehen? Nein, mein lieber Kutscher, das werden wir jetzt auf den Kopf hauen, ich habe nämlich Durst. So ein Kampf strengt schließlich an, was, wie? Also, gehen wir.“

Mit diesem Carberry ist es doch immer das gleiche, dachte der Kutscher. Der würde sich nie ändern. Prügelte sich aus reinstem Jux herum, gewann ein Goldstück und haute es anschließend in der nächsten Kneipe auf den Kopf. Nicht zu fassen! Und dafür ging er das Risiko ein, halbtot geprügelt zu werden.

Es dauerte auch nicht lange, da hatten sie die richtige Pinte gefunden. Sie war gar nicht weit vom Hafen entfernt.

Dann begann eine fröhliche Runde.

5.

Ali Mustafa hatte die schlimmste Nacht seines Lebens hinter sich.

Als der Morgen graute, hatte er nicht eine einzige Minute geschlafen. Sein Körper war nur noch ein Stück rohes Fleisch. Er war mit Blutergüssen und dunkelblauen Striemen von oben bis unten übersät. Jeder einzelne Knochen tat ihm weh, und auf den Beinen konnte er schon gar nicht mehr stehen. Alles brannte wie höllisches Feuer.

Er hörte Schritte, aber er sah niemanden. Er verspürte Hunger und einen entsetzlichen Durst, doch keiner kümmerte sich um ihn. Es war, als hätten sie ihn längst vergessen. Aber sie erschienen wenigstens auch nicht, um ihn wieder zu foltern.

Das erste Gebet des Muezzin war verklungen.

Als auch das zweite abgeleiert war, lag er immer noch fast reglos in der kalten stinkenden Brühe. Danach hörte er Schritte, die vor seinem Verlies abrupt endeten. Zwei Männer unterhielten sich leise, aber er konnte kein Wort verstehen. Sie flüsterten miteinander.

Angst wallte in ihm auf. Sicher wollten sie ihn holen. Er lauschte angespannt und mit plötzlich hellwachen Sinnen.

Nach einer Weile erstarb das Flüstern, und er hörte, daß sie an der Tür hantierten.

Die Ungewißheit peinigte ihn. Er wußte nicht, was sie taten. Aber vielleicht wollten sie ihn nur verunsichern, ihn ängstigen, bis er wahnsinnig wurde.

Die Schritte entfernten sich wieder. Ali Mustafa atmete erleichtert auf, daß die Schergen weg waren.

Nach endlosen Ewigkeiten hörte er den Muezzin wieder. Es war das dritte Gebet. Sein Herz begann laut zu pochen. Bald mußte es soweit sein.

Er versuchte den Gedanken zu verdrängen, wenn sie ihn vor das Kanonenrohr banden. Sicher würde es ein schneller und fast schmerzloser Tod sein, wenn die Kanone gezündet wurde. Doch der Gedanke ließ sich nicht verdrängen, er kehrte immer wieder beharrlich zurück.

Ali Mustafa zuckte zusammen, als erneut Schritte zu hören waren. Es waren drei Männer, das hörte er deutlich heraus. Mit klopfendem Herzen lauschte er.

Direkt vor seiner Tür blieben die Schritte aus. Geraschel und Gekratze waren zu hören, dann ein Quietschen der Türscharniere. Undeutlich erkannte er die Umrisse von drei Männern.

Es war soweit!

„Raus mit dir, Ali Mustafa“, sagte eine Stimme.

Der Gefangene rührte sich nicht.

„Raus mit dir!“ wiederholte die Stimme, jetzt schärfer.

„Vielleicht hat er die Nacht nicht überstanden“, sagte jemand. „So was soll ja passieren.“

„Der ist zäh wie Leder. Holt ihn da raus.“

Die Soldaten fluchten, als sie in das Verlies stiegen. Sie fluchten über den Dreck und die Brühe, aber nur, weil sie Angst hatten, sich die Schuhe zu versauen.

Sie packten Ali Mustafa bei den Armen und zerrten ihn hinaus. Mit einer Fackel leuchteten sie ihm ins Gesicht, bis seine Haare versengten.

„Vorwärts, durch den Gang hinaus“, befahl einer. „Du siehst ja noch ganz gesund aus, also kannst du auch laufen.“

Aber Ali konnte nicht laufen. Er war nicht einmal in der Lage, ein Bein vor das andere zu setzen. Jede Bewegung bereitete ihm höllische Qualen.

Als sie ihn einmal losließen, schrie er leise auf und sackte in sich zusammen.

Sie schleppten ihn fort, bis er das Tageslicht sah. Draußen wartete ein Karren, vor den ein Muli gespannt war. Sie warfen ihn auf den Karren und lachten roh.

Die Reise ging nach Yedikule an der südlichen Westmauer, wo die Häuser am Hang standen und sich weiter oben die Festung mit den Kanonen befand. Dort wurden auch die Verbrecher hingerichtet. Es war der „Platz der tausend Ängste“, wie die Türken ihn nannten.

Als sie in der Festung anlangten, zerrten sie Ali Mustafa von dem Eselskarren und stießen ihn auf den Platz, wo die Soldaten standen, die Ali unbeteiligt musterten.

Einer seiner Wächter ging auf einen breitschultrigen Mann zu, der einen roten Fez auf dem Kopf trug.

„Das ist Ali Mustafa Hayri. Die drei Kadis haben ihn zum Tode verurteilt. Er soll nach dem vierten Gebet vor die Kanone gebunden werden. Die Anklage lautet …“

„Ich weiß“, sagte der Hauptmann. „Er ist ein Verräter, ein Spion und ein Zauberer. Er hat den Kadi verflucht. Es wird dem Henker ein besonderes Vergnügen sein, ihn zu richten.“

Ali Mustafa sah die große Kanone, deren Mündung direkt auf das Wasser zeigte. Unter der Festung segelte gerade eine Sambuke vorbei.

„Das vierte Gebet beginnt gleich“, sagte der Hauptmann. „Bindet ihn vor die Kanone. Ein Hundesohn wie er hat kein Recht mehr auf ein letztes Gebet.“

Derbe Fäuste griffen zu und stießen Ali in Richtung der Kanone. Er sah den riesigen Schlund, diese gewaltige Mündung, und schluckte hart.

Die Kugel befand sich schon in dem Rohr, nur das Pulver wurde noch eingefüllt. Sie nahmen ziemlich viel, wie er entsetzt feststellte.

Gleich darauf erschien ein hünenhafter Kerl, der auf seinem riesigen Schädel einen lächerlich kleinen Fez trug. Der Kerl richtete den Blick drohend auf ihn und musterte ihn von oben bis unten, als wollte er berechnen, in wie viele Stücke Ali wohl fliegen würde, sobald die Kanone abgefeuert war.

Ali Mustafa hatte diesen riesigen Fleischberg schon einmal gesehen und wußte, daß es der Henker Omar war, ein Kerl, der fast tagtäglich Hinrichtungen in Istanbul und Umgebung vornahm.

Ali nahm einen schon widerlichen Geruch nach Knoblauch wahr, als der Henker sich ihm näherte. Seine riesigen Hände packten zu und hielten Ali unbarmherzig in einem mörderischen Griff fest. Mit wenigen Handgriffen band ihn der Henker an das Kanonenrohr. Alis Füße berührten gerade noch den Boden. Die Arme hatte er wie in einer liebevollen Umarmung um das Rohr geschlungen.

In diesem Augenblick rief der Muezzin. Es war das vierte Gebet, und es klang anfangs dünn und kehlig vom Minarett, und es dauerte auch sehr lange, als wolle der Muezzin die Hinrichtung hinausschieben.

Ali wußte, daß er sich das alles nur einbildete. Er hatte nicht mehr das richtige Gefühl für die Gegenwart und mit dem Leben schon fast abgeschlossen.

Dennoch sah er jetzt alles überdeutlich und von einer eindringlichen Klarheit. Er sah die Mauern der Festung, den großen Turm und auf der Zinne des Turmes einen dunkelgrauen Vogel, der sich mit aufreizender Langsamkeit das Gefieder putzte.

Du hast es gut, dachte er. Dir stellt keiner nach, dich klagt keiner fälschlicherweise an, und wenn es dir nicht mehr gefällt, dann fliegst du einfach auf und davon.

Der Vogel verschwand, als der Muezzin das vierte Gebet beendet hatte, und flog davon.

Der Henker, die Soldaten und der Hauptmann erhoben sich und warfen einen Blick zum Himmel.

Ali wurde nicht gefragt, ob er noch etwas zu sagen hatte. Das war hier nicht üblich. Von nun an ging alles sehr schnell.

Dem Henker wurde ein kupfernes Gefäß gereicht, in dem Holzkohle glühte. Er stellte es neben sich auf den Boden und griff zu der Zündlunte, die wie ein langer dünner Stock aussah. Mit einem kritischen Blick überprüfte er noch einmal das Zündpulver, das sich im Zündloch der Kanone befand. Den anderen bedeutete er mit einem Handzeichen, daß sie zurücktreten sollten, wenn die Kanone durch den harten Rückstoß zurückpolterte.

Dann sah er Ali höhnisch in die Augen, nahm den Luntenstock, stieß ihn in die Glut und hob ihn hoch.

Er trat ein wenig zur Seite und senkte das glutende Ende auf das Zündloch.

Ali Mustafa wurde es schwarz vor den Augen, als er das leise feine Knistern hörte. Alle seine Haare richteten sich in diesem fürchterlichen Augenblick auf, und sein Körper wurde taub und gefühllos.

Er hielt die Augen geschlossen. Jeden Augenblick würde es seinen Körper zerfetzen. Er wollte schreien, irgend etwas tun, doch er konnte sich nicht bewegen.

Jetzt! Das Zischen wurde zu einem Fauchen. Gleichzeitig pfiff und knisterte es immer lauter.

Wahnsinnige panische Angst erfaßte ihn. Er hatte schon oft dabeigestanden, wenn eine Kanone abgefeuert wurde, aber dieses grelle zischende Geräusch kannte er nicht und hatte es auch noch nie gehört. Es hatte immer ganz anders geklungen.

Mit aller Gewalt riß er die Augen auf.

Aus dem Zündloch stach eine helle blitzende Flamme, die explosionsartig hinausschoß. Er glaubte auch zu sehen, daß sich in dem Kanonenrohr ein Riß gebildet hatte. Fassungslos und unfähig, sich zu bewegen, sah er zu, wie diese grelle beißende Flamme nach dem Henker schlug und ihm ins Gesicht raste.

Der grobschlächtige Mann stieß einen gellenden, wilden Schrei aus, der bis zum Hafen zu hören sein mußte. Voller Angst und Entsetzen schlug er die Hände vor das Gesicht, aber es war schon zu spät. Die gewaltige Stichflamme hatte sein Gesicht innerhalb kürzester Zeit pechschwarz verfärbt.

Der Henker sah nichts mehr. Immer noch brüllend vor Schmerz, raste er in blinder Panik davon und rannte gegen die Mauer, die seinen Aufprall hart stoppte. Dann fiel er auf den Rücken, wälzte sich auf dem Boden und schrie immer noch wie ein Tier.

Ali Mustafa verstand die Welt nicht mehr. Aus der Kanone schoß nahe beim Zündloch immer noch grelles Feuer heraus. Eine gewaltige Feuerzunge leckte nach allen Seiten. Dazu zischte, fauchte und brauste es.

Der Hauptmann und seine Soldaten rannten blindlings davon und verschwanden durch das Tor, das nach unten zur Treppe führte. Nur ein Mann duckte sich in seiner Angst verstört vor der Mauer, hatte die Arme vor das Gesicht geschlagen und drehte der Kanone den Rücken zu.

Der Schuß aus der Kanone löste sich nicht mehr. Die Pulverladung wurde als riesige Stichflamme durch Zündloch und Riß hinausgeblasen und verlor an Wirkung und Intensität.

Das Rohr glühte jetzt stark, und der Geruch nach verbranntem Metall drang Ali in die Nase. Hinzu gesellte sich noch ein beißender, übelriechender Qualm, der träge aus dem Rohr quoll und ihn einnebelte.

Immer noch verständnislos blickte Ali Mustafa auf das Kanonenrohr. Dann fiel sein Blick auf den Henker, der sich am Boden wand und die Seele aus dem Leib schrie.

Mit den Händen hielt er weiterhin sein entstelltes und verbranntes Gesicht bedeckt, seine säulenförmigen Beine trommelten wie irr auf dem Boden herum.

Der Mann, der an der Mauer kniete, drehte sich vorsichtig um und konnte nicht glauben, was er sah. Da hing Ali Mustafa immer noch vor dem Kanonenrohr, und ihm war nichts passiert, gar nichts. Er hatte nur zähen Pulverqualm einatmen müssen.

Der Soldat erhob sich und schlich furchtsam näher. Das Rohr blickte er dabei mißtrauisch an, und auch Ali warf er einen ungläubigen Blick zu. Dem tobenden Henker näherte er sich allerdings nicht, sondern betrachtete ihn nur verstört.

Nach und nach erschienen der Hauptmann, die Soldaten und die drei Wächter, die Ali hergebracht hatten. Alle waren starr vor Staunen und blickten immer wieder zu der Kanone.

Der Hauptmann war am meisten betroffen. Kopfschüttelnd sah er Ali Mustafa an. Um den Henker kümmerte er sich ebenfalls nicht. Er warf ihm nur einen schnellen Blick zu.

„Ein Wunder ist geschehen, bei Allah!“ rief er bestürzt. „Allah will nicht, daß er den Tod findet.“

„Dann müssen wir ihn losbinden“, flüsterte einer der Männer. „Nach den Gesetzen des heiligen Korans darf er nicht ein zweites Mal mit dem Tode bestraft werden.“

„Dann bindet ihn los“, sagte der Hauptmann. Er schien Angst vor Ali zu haben, denn der schien über die Schwarze Kunst zu verfügen. Wie anders war sonst zu erklären, daß ihm nichts passiert war? Allah hatte schützend seine Hand über ihn gehalten, oder er war ganz einfach ein Scheitan, der sich der dunklen Mächte bediente.

Als sie Ali nur sehr zögernd losbanden, zitterte er am ganzen Körper und sackte langsam in die Knie. Jetzt erst überlief es ihn abwechselnd heiß und kalt. Er sah seine Umwelt nur noch wie durch einen dichten Schleier und hörte kaum die Worte, die gesprochen wurden.

„Was ist mit Omar, dem Henker?“ fragte der Hauptmann. „Seht mal nach, was mit ihm passiert ist.“

Der Henker war für die meisten Männer so unheimlich wie Ali Mustafa, der seinen sicheren Tod überlebt hatte. Aber dieser Henker schlug um sich und brüllte so laut, daß sich keiner an ihn herantraute. Seine Beine strampelten jetzt in der Luft herum. Er sah aus wie ein riesiger auf den Rücken gefallener Käfer, der sich aus eigener Kraft nicht mehr erheben konnte.

Einer brachte einen Eimer Wasser und leerte ihn über seinem Kopf aus. Das schien die furchtbaren Schmerzen ein wenig zu lindern, denn das nervtötende Gebrüll ließ etwas nach. Dafür verlangte der Henker mit heiserer Stimme nach noch mehr Wasser.

Sie brachten es, bis er sich langsam beruhigte. Dann halfen ihm zwei Männer auf die Beine und fuhren entsetzt zurück, als sie sein Gesicht sahen.

Das war nur noch eine schwarze verkohlte Scheibe, in der blutrote Lippen zu erkennen waren. Die Augen waren verbrannt und verklebt. Er wischte mit seinen ungeschlachten Händen ständig daran herum.

„Ich bin blind!“ schrie er immer wieder. „Allah hat mir mein Augenlicht genommen, als ich den Hundesohn hinrichtete! Was ist denn nur geschehen?“

Der Hauptmann erklärte es ihm.

„Der Schuß ist nicht losgegangen. Beinahe wäre die Kanone explodiert. Ali Mustafa ist nichts passiert, du hast ihn nicht gerichtet.“

„Dafür hat Allah mich gerichtet“, jammerte der Henker. „Dieser Hundesohn von einem Ali Mustafa hat mich verflucht, genau wie er die Kadis verflucht hat. Wo ist dieser räudige Sohn einer verfluchten Wanderhure? Ich bringe ihn eigenhändig um, diesen Bastard!“

„Du wirst niemanden mehr umbringen, Omar“, sagte der Hauptmann kühl. „Dem Gesetz nach darf Ali nicht mehr getötet werden, so steht es geschrieben, und so werden wir es halten.“

„Aber er muß bestraft werden, man kann ihn nicht freilassen. Er ist schuld daran, daß ich jetzt für alle Zeiten blind bin.“

Der Hauptmann schien mit dem Henker nicht gut auszukommen. Er mochte ihn nicht, auch die anderen mochten ihn nicht.

„Ob er daran schuld ist oder nicht, hat nichts mit dir persönlich zu tun. Wir werden noch einmal bei dem Kadi nachfragen. Der wird dann entscheiden, was zu geschehen hat.“

Der Henker wimmerte und begann zu laut zu klagen und zu lamentieren. Nicht nur, daß er erblindet war – auch sein Oberkörper wies schwere Brandwunden auf. Ein Teil seines Hemdes hatte sich ins Fleisch gebrannt.

Der Hauptmann schickte einen Mann los, der den Kadi befragen sollte. Gleichzeitig ließ er einen Arzt holen, der den Henker versorgen und seine Schmerzen lindern sollte.

„Du wirst solange auf der Festung eingesperrt, Ali Mustafa, bis der Kadi über dein weiteres Schicksal entschieden hat“, sagte der Hauptmann. „Aber freue dich nicht zu früh, man wird dich trotzdem gebührend bestrafen.“

Ali Mustafa gab keine Antwort. Ihm war alles gleichgültig. Er empfand weder Freude noch Genugtuung, er empfand überhaupt nichts. Er war dem Tod so nahe gewesen, daß er immer noch nicht glaubte, was er sah und erlebte.

Zwei Männer trugen Ali in das Verlies, weil er nicht laufen oder gehen konnte. Aber diesmal behandelten sie ihn etwas besser, und er erhielt auch etwas zu essen und zu trinken.

Dann mußte er warten.

Er wartete genau drei Stunden, dann war der Mann wieder zurück und hatte ein Schreiben des Kadi mitgebracht.

Der Hauptmann las es und ging persönlich zu Ali Mustafa.

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1902 s. 21 illüstrasyon
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