Kitabı oku: «Seewölfe Paket 29», sayfa 27
4.
Die „Herberge“ von Kalibans Truppe lag im Norden des Binnenhafens in der Nähe des Strandes am Westufer der Goldenen Horns. Es war ein langgestrecktes Holzhaus, halb an den Uferhang gebaut und mit einer Terrasse über die ganze Breite auf der Uferseite. Die Terrasse stand auf Holzstützen und über dem Sand. Darunter lagen ein paar Ruderboote.
Das Haus mit einem flachen Giebeldach und herausragenden Regenrinnen aus Holz mochte früher einmal als Schuppen gedient haben. Die Terrasse war offenbar später angebaut worden, denn ihr Holz zeigte noch nicht die Verwitterungserscheinungen wie beim Haus, das an allen Ecken und Enden mehr oder weniger gut geflickt war.
Philip nannte es eine „Bruchbude“.
Das stimmte insofern, daß sie zumindest durch Ritzen auf der Stadtseite Einsichten ins Innere nehmen konnten. Im vorderen Teil, der nach Süden wies, befand sich der allgemeine Wohnraum der Truppe, versehen mit Bänken und Tischen, auch mit Sitzpolstern und Kamelsätteln sowie teilweise Teppichen ausgestattet. Ferner stand eine gemauerte, recht große Feuerstelle an der Stirnseite mit einem ebenfalls gemauerten Rauchabzug. Dort wurde gekocht.
Zur Zeit brodelte eine nach Knoblauch duftende Suppe in einem Kessel über dem Holzkohlefeuer. Der Kessel hing an einem Dreibeingestell.
Weitere alte „Bekannte“ entdeckten die Junioren im Wohnraum – einige Weiber und Knechte, die damals mit der Truppe gezogen waren.
Klarer Fall, der große Magier Kaliban beherrschte nach wie vor das Völkchen und mimte den Pascha. Was seine Autorität bedingte, mochten Hasard und Philip heute nicht mehr entscheiden. Wie gesagt, damals hatten sie ihm Respekt entgegengebracht, kleine Bürschchen, die sie gewesen waren.
Aber heute? Mein Gott, dieser Zickenbart mit dem Geiergesicht, den Spinnenfingern, den lauernden Augen und der Figur eines verbogenen Besenstiels! Wenn sie ihren Vater dagegenhielten, diesen großen Mann mit dem scharfgeschnittenen, braunen Gesicht, den breiten Schultern und den langen Elchbeinen – was für ein Kontrast!
Autorität, ja, die hatte Philip Hasard Killigrew, aber es war eine andere als die des Magiers, der sich jetzt auf einem Polster spreizte und von einem der Weiber sofort mit einem Glas Wein bedient wurde. Gleichzeitig erhielt er eine Schale mit Wasser, um sich die Spinnenfinger zu waschen, und ein Handtuch, um sie zu trocknen.
Inzwischen hatte man Muzaffer ins Dasein zurückgeholt. Er stierte um sich und war noch beduselt.
„Du hast getrunken!“ fauchte ihn Kaliban an. „Gib’s zu!“ Und er klatschte ihm das Wasser aus seiner Schale ins Gesicht. Jenes Wasser, in dem er sich die Spinnenfinger gewaschen hatte.
Muzaffer prustete und wurde klarer.
„Ich wurde von hinten niedergeschlagen“, sagte er wütend.
„Du lügst!“
Muzaffer richtete sich ächzend zum Sitzen auf und rieb sich das Genick.
„Dann muß mir wohl von hinten ein Balken an den Hals geflogen sein“, sagte er höhnisch, „oder eine Brettkante.“
Fatima, die bei ihm stand, beugte sich vor und musterte sein Genick.
Sie sagte ohne besondere Betonung, fast träge: „Stimmt! Die Stelle hinten am Hals ist blau verfärbt.“
„Halte du dich da raus!“ zischte Kaliban. „Meinst du, ich weiß nicht, daß du bei dem Halunken nachts unter die Bettdecke kriechst?“
„Am Hals habe ich ihn nicht geknutscht“, erwiderte Fatima spöttisch. „Bist wohl neidisch, wie? Kein Wunder, du bringst ja nichts mehr zustande.“
Kiki, der Liliputaner, kicherte, verstummte aber sofort, als ihm Kaliban einen wilden Blick zuwarf.
Hasard und Philip, die stummen Lauscher und Beobachter, staunten. Das waren ja liebliche Verhältnisse in Kalibans Truppe. Damals hatten sie das noch nicht so richtig mitgekriegt. Da war nach ihrer Meinung Fatima die „Frau“ von Baobab gewesen. Aber offenbar liebte sie die Abwechslung.
Kaliban überging Fatimas Bemerkung, daß er nichts mehr „zustande“ brächte. Lauernd fragte er Muzaffer: „Hast du dich auch in einer Gasse herumgetrieben wie Hassan?“
Erstaunt blickte Muzaffer zu dem fischigen Kerl. „Wieso? Bist du auch niedergeschlagen worden?“
„Ja, in einer Gasse. Von vier wüsten Kerlen. Mir haben sie was an den Kopf geschlagen, diese Strolche!“
Muzaffer schüttelte den Kopf. „Ich war in keiner Gasse. Ich stand bei dem Blinden, der von dem Jungen abgeholt wurde. Das Bürschchen hatte gerade die Tageseinnahmen des Alten in einen Beutel geschüttet – einen ganzen Fez voller Münzen …“
Kaliban fuhr dazwischen. „Noch eine Lüge! Den Fez hatte ich total geleert. Außerdem war er nur zu einem Viertel voll gewesen.“ Kalibans Stimme wurde leise und scharf: „Willst du uns betrügen, Muzaffer? Zeig mal, was du heute kassiert hast!“
Muzaffer griff unter sein Gewand, löste die Riemchen und wuchtete den Ledersack vor sich auf die Dielenbretter.
„Hier!“ sagte er triumphierend. „Ist das was? Reiche Beute! Nur die Einnahmen des Alten fehlen, die wollte ich dem Bürschchen nämlich abknöpfen. Aber genau in diesem Moment wurde ich von hinten niedergeschlagen. Von wem, das weiß ich nicht.“
„Ich habe die vier Kerle auch nicht erkannt“, sagte Hassan, „sie waren alle vier völlig vermummt. Außerdem haben sie mich ausgeplündert, diese dreckigen Buschklepper, diese räudigen. Meinen Ledersack haben sie gleich mitgehen lassen. Da war noch mehr drin als in deinem. Ich hatte auch bei den Basaren kassiert – Edelsteine und sogar zwei große Diamanten.“
„Du sollst die Pfoten von den Basaren lassen!“ fauchte Kaliban. „Wie oft soll ich das denn noch sagen? Die Basare mit den Schmuckhändlern werden scharf überwacht. Da haben wir nichts zu suchen.“
„Mich schnappt keiner“, erklärte der fischige Hassan.
„Vier Kerle haben dich geschnappt!“ fuhr ihn Kaliban an. „Vielleicht haben sie dich sogar beim Klauen beobachtet, du dämlicher Hund!“
Der fischige Hassan schrumpfte zusammen.
Kaliban beugte sich vor, langte nach Muzaffers Lederbeutel, zog ihn zu sich heran und öffnete ihn. Er starrte hinein, und sein Geierhals wurde immer länger. Fast kroch er mit der gekrümmten Nase in den Sack.
„Ja, da staunst du, was?“ sagte Muzaffer stolz. „Möchte wissen, ob du heute auch soviel eingesammelt hast.“
Der große Magier erlitt einen hysterischen Anfall. Er warf den Kopf in den Nacken und kreischte derart, daß ihm die Spucke aus dem Mund flog.
„Betrüger!“ heulte er. „Gauner! Spitzbube! Roßtäuscher! Reiche Beute? Wo ist sie, du Hurenbock? Wo ist sie?“
Und Kaliban riß den Sack hoch, stülpte ihn um und entleerte ihn. Die Kieselsteine prasselten wie Hagel auf die Dielen und hüpften herum. Einer rollte zu Kiki, der ihn aufhob, draufbiß und dumm guckte. Auch andere haschten nach den Steinchen. Vielleicht dachten sie, es seien kostbare Juwelen. Doch es waren Kieselsteinchen, ganz gewöhnliche, ordinäre Kiesel, wie sie zu Tausenden an den Stränden lagen.
Es gab einen Tumult, daß die Bude wackelte. Viel fehlte nicht, und sie hätten den schnauzbärtigen Muzaffer über dem Holzkohlenfeuer stückweise geröstet. Einhellig waren sie der Überzeugung, daß er sie hatte übers Ohr hauen wollen. Nur – mit Logik hatte das nichts zu tun.
Muzaffer selbst hatte einen Kiesel aufgenommen und stierte ihn an, als sei er ein Zauberstein und enthalte magische Kräfte. Er bewegte die Lippen und brabbelte irgend etwas vor sich hin, was niemand in dem Getöse verstand.
Die beiden Junioren waren am Grinsen und stießen sich immer wieder an. Sie hatten genau erreicht, was sie wollten.
Wie hatte Philip gesagt? Was meinst du, was bei denen los ist, wenn sie feststellen, daß ihre eigenen Taschen leer sind!
Jetzt war was los. Statt der Beute befanden sich Kieselsteinchen in Muzaffers Ledersack. Doch das ganz große Ereignis stand noch bevor, dann nämlich, wenn der große Magier seinen Beutesack öffnete.
Aber es war noch nicht soweit.
Kaliban kippte sich Wein in die Kehle und verschluckte sich vor lauter Aufregung. Er warf die Arme hoch, röchelte und schnappte nach Luft. Eins der Weiber sprang hinzu und klopfte ihm den knochigen Rücken ab.
Diese Szene brachte wieder etwas Ruhe in die Runde.
„Krch-öch-rcks!“ keuchte der große Magier, hatte kalten Schweiß auf der Stirn und hektische Flecken auf den hageren Wangen. Dazu wedelte er schwach mit den Armen.
Fatima schaute ihm spöttisch zu. Von Mitleid keine Spur. Vielleicht hoffte sie, daß der große Magier, der sie eine „alte Schlampe“ genannt hatte, den letzten Schnaufer tat.
Kaliban pumpte, rasselte und keuchte. Im ersten Moment hatte er tatsächlich auf dem letzten Loch gepfiffen. Viel hätte nicht gefehlt, und er wäre erstickt.
Jetzt berappelte er sich wieder.
„Hör auf mit der dämlichen Klopferei!“ ranzte er das Weib an, eine dicke Matrone namens Aischa, die ihm die Wäsche wusch und ihn auch sonst bediente.
Aischa trat erschrocken zurück und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Du solltest dich wenigstens bei Aischa bedanken“, sagte Fatima herausfordernd. „Schätze, du wärst sonst krepiert.“
„Halt dein Lästermaul, dumme Ziege“, schnappte Kaliban. „Oder brauchst du wieder mal eine Tracht Prügel?“
Fatima lachte scheppernd. „Von dir, was? Da mußt du aber vorher ein paar Pfeffereier essen, um Mumm in die Knochen zu kriegen, Alterchen.“
„Nenn mich nicht Alterchen!“ brüllte Kaliban.
Fatima zuckte mit den Schultern. „Wäre dir ‚wilder Stier‘ lieber?“
Kiki, der Gnom, kicherte wieder, und prompt empfing er Kalibans wilden Blick. Dann war Muzaffer dran, der sich inzwischen auf einen Kamelsattel gesetzt hatte und vor sich hinbrütete, weil er die Welt nicht mehr verstand.
Wie waren die Kieselsteine in seinen Ledersack gelangt?
„Wo hast du deine Beute versteckt?“ fragte Kaliban scharf.
Muzaffer blickte auf. „Ich habe nichts versteckt, begreifst du das nicht? Ich wurde niedergeschlagen und ausgeraubt.“
„Genau wie ich!“ plärrte der fischige Hassan.
„Halt’s Maul, Idiot!“ blaffte Kaliban und wandte sich wieder Muzaffer zu. „Meine Geduld ist bald zu Ende, ich hör mir das nicht mehr lange mit an. Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, daß jemand auf offenem Platz niedergeschlagen und ausgeraubt wird. Und der Dieb nimmt sich noch die Zeit, deinen Ledersack mit Kieseln zu füllen. Hältst du uns alle für blöd?“
„Ich fand ihn in einem leeren Schuppen südlich des Anlegers“, sagte jetzt Mehmed Bulba ein bißchen nachdenklich. „Also ist es doch möglich, ihn auszurauben und seine Beute mit Kieselsteinen auszutauschen.“
„Mit Kieselsteinen! Kannst du mir mal verraten, was das für einen Sinn haben soll?“ fragte Kaliban höhnisch.
„Daß sich Muzaffer den Ledersack selbst mit Kieselsteinen füllt, ergibt auch keinen Sinn“, sagte Fatima.
Kaliban warf ihr einen giftigen Blick zu. „Misch dich nicht in Sachen ein, von denen du nichts verstehst!“
„Fatima hat recht“, sagte Muzaffer. „Was soll ich davon haben, meinen Ledersack mit Kieseln zu füllen? Meine Messer sind auch verschwunden, verdammt noch mal. Ich kann mir nur erklären, daß mich jemand foppen wollte.“
„Du willst uns foppen!“ keifte Kaliban. „Du hältst uns für Dummköpfe und glaubst, uns Märchen auftischen zu können. Aber ich habe selten einen derartigen Quatsch gehört.“
Inzwischen hatte Achmed Ali, der frühere Messerwerfer in Kalibans Truppe, seinen Ledersack hervorgeholt, geöffnet und hineingeschaut. Und er stieß ein Ächzen aus.
„Kieselsteine!“ schrie er. „Dabei weiß ich genau, daß ich Münzen drin hatte!“ Er kippte den Ledersack aus, und wieder hüpften und rollten Kieselsteinchen über die Dielen.
Kaliban saß da und stierte ihn an, den Geierkopf vorgereckt, sein Zickenbart zitterte. Vielleicht hielt er Achmed Ali für irre – oder für ein Kaninchen, wie er es früher aus seiner Huttüte gezaubert hatte. Er hatte weiße Kaninchen mit roten Augen bevorzugt, die machten sich so besonders gut.
Ja, das waren noch Zeiten gewesen.
Aber hier war ein anderer Zauber zugange, kein fauler, sondern ein sehr handgreiflicher Zauber, zumindest was den Inhalt von zwei Beutesäcken betraf, die sie stets in gemeinsamer Runde hier allabendlich entleerten und dann untereinander aufteilten, wobei der große Magier, der König der Taschendiebe, natürlich den größten Anteil einsackte, nämlich ein ganzes Viertel der Gesamtbeute.
Stand ihm ja auch zu, nicht wahr? Erstens war er der Meister, zweitens hatte er sie erst mühsam anlernen müssen, und drittens waren in der Regel seine Fischzüge die fettesten.
Er merkte nicht, daß ihn alle anstarrten. Im Moment hatte er ein Karussell im Kopf. Hassan behauptete, niedergeschlagen und beraubt worden zu sein. Muzaffer behauptete das gleiche – mit dem Unterschied, daß er seinen Ledersack noch hatte, aber nicht mit Beutegut, sondern Kieselsteinen gefüllt. Achmed Ali war nicht niedergeschlagen, aber bestohlen worden, und wieder tauchten diese verdammten Kieselsteine statt der Beute in dem Sack auf.
Das mochte begreifen, wer wollte. Er jedenfalls begriff es nicht. Das war doch Wahnsinn! Das gab’s doch gar nicht!
Er zuckte zusammen, als die träge Stimme Fatimas ertönte.
„Wie wär’s denn, großer Kaliban“, sagte sie, „wenn du uns jetzt mal zeigst, was du erbeutet hast? Wir sind sehr neugierig, was der König der Taschendiebe alles errafft hat. Oder magst du es uns nicht zeigen? Hast du gar nichts drin in deinem Sack, du Schlimmer? Nur Luft? Oder vielleicht auch Kieselsteinchen?“
Stille.
Kaliban saß geduckt. Sein Blick flog von einem zum anderen. Wie gehetzt sah er aus, der Meister der Taschendiebe, der König unter den Langfingern. Und wieder glitzerte Schweiß auf seiner Stirn, perlte über die hohlen, Wangen und sickerte in den Zickenbart.
„Was behauptest du da?“ zischte er. „Willst du mich beleidigen, du falsche Schlange? Mich – euren Gebieter, der dafür sorgt, daß ihr alle ein Dach über dem Kopf und ein gutes Auskommen habt?“
„Bla-bla-bla“, sagte die Blume von Istanbul. „Ich habe nur festgestellt, daß du deinen Ledersack noch nicht geleert hast. Dafür hast du auf Muzaffer herumgehackt und ihn verdächtigt, daß er seine Beute versteckt habe und uns betrügen wolle.“ Ihre Stimme wurde hart und fordernd: „Also vorwärts! Laß sehen, was du geklaut hast! Hier geht’s doch ehrlich zu, oder?“
Die anderen nickten zustimmend.
Kaliban kochte vor Wut. Fatima hatte immer ein loses Maul gehabt, aber jetzt trieb sie’s auf die Spitze. Und sie untergrub seine Autorität mit ihren losen Reden.
Am meisten jedoch ärgerte er sich darüber, jetzt teilen zu müssen. Die drei anderen hatten nichts eingebracht, und sein Ledersack war randvoll. Gerade heute war er besonders erfolgreich gewesen.
Diese Schmarotzer!
Diese Parasiten!
„Wir warten“, sagte die Blume von Istanbul kalt. Kalibans erdolchende Blicke kümmerten sie nicht die Bohne.
Ich bringe sie irgendwann um, dachte der große Magier. Das lasse ich mir nicht mehr bieten. Und er beschloß, künftig Teile seiner Beute heimlich zu verstecken. Aber jetzt kam er nicht drum herum, seinen Erfolg vorzuweisen.
„Na gut“, sagte er mit mühsam unterdrücktem Zorn, „wie immer bin ich derjenige, der am meisten einbringt, während ihr auf der faulen Haut liegt oder Kieselsteine sammelt.“
Batula trumpfte auf. „Ich nicht, ich trommele!“
„Und ich tanze!“ fauchte Fatima. „Damit die Zuschauer abgelenkt werden! Ohne mich würdet ihr keine Leute auf einem Haufen haben und noch weniger als die Hälfte einbringen. Gerade das Gedränge um die Bühne erleichtert euch das Geschäft. Ihr braucht nur hinzulangen!“
„Und ich untermale Fatimas Tanz mit dem Klang der Saiten!“ keifte Kiki mit seiner seltsam hohen Stimme. „Keiner von uns liegt auf der faulen Haut. Das ist eine gemeine Beleidigung. Du bist böse, Kaliban! Pfui! Ich mag dich nicht mehr leiden, pfui-pfui!“
War die Stimmung vorher gegen Muzaffer gewesen, so wandte sie sich jetzt gegen den großen Magier.
Der holte endlich seinen Ledersack hervor und wuchtete ihn auf einen Tisch.
Ringsum glitzerten die Augen. Tatsächlich, der Meister der Taschendiebe hatte wieder den Vogel abgeschossen. Keiner konnte sich erinnern, jemals einen so prallgefüllten Sack gesehen zu haben.
„Kaliban ist doch der Größte!“ piepste Kiki. „Ich bin ihm wieder gut.“
Fatima warf ihm einen schrägen Blick zu. „Ob er der Größte ist, wird sich noch herausstellen. Ich habe ein feines Ohr. Was in dem Sack klirrt, sind keine Talerchen oder Münzen, sondern Kieselsteine!“
Erregtes Gemurmel wurde laut. Sie drängten sich um den Tisch und starrten auf den prallen Ledersack.
Kaliban fluchte, riß den Sack auf und kippte ihn aus.
Ein Regen von Kieselsteinen ergoß sich über den Tisch.
Fatima lachte gellend und triumphierend.
Kaliban fuhr herum und schmetterte ihr eine Ohrfeige, die ihr den Kopf versetzte. Aber das steckte sie weg. Sie schrie auf und sprang ihn wie eine Wildkatze an. Sekunden später zerkratzte sie ihm die Geiervisage und riß ihm ganze Büschel seines Zickenbarts aus.
Er taumelte brüllend zurück, stürzte über einen Hocker und ging zu Boden – Fatima mit ihm. Sie war wie entfesselt und drosch mit ihren Fäusten auf ihn ein. Sie spuckte und kratzte, tobte auf ihm herum und war drauf und dran, ihm ein Ohr abzubeißen.
Muzaffer riß sie zurück und hielt sie fest.
„Laß mich los!“ schrie sie. „Ich mach ihn fertig, diesen Hurenbock, diesen verdammten Bastard, diesen vergammelten Lustgreis! Ich habe es satt, für euch Scheißkerle zu tanzen und mich dafür auch noch beschimpfen zu lassen!“ Und sie schaffte es noch – bevor Muzaffer sie wegzerrte –, dem großen Magier einen Fußtritt zwischen die Rippen zu verpassen.
Der jaulte wie ein geprügelter Hund, nicht meisterlich oder gar königlich. Und er sah im Gesicht aus, als habe ihn eine Katze mit ihren Krallen angefallen.
Es war wieder einiges los in der „Herberge“ der Kalibantruppe.
Fatima heulte.
Einige Weiber rangen die Hände.
Die gute Aischa kniete beim großen Meister und legte ihm nasse Tücher auf das zerkratzte Gesicht.
Kiki rutschte auf den Kieseln aus, die in Massen auf dem Boden verteilt waren, und flog kreischend gegen ein Tellerregal, das zusammenbrach. Der größte Teil der Teller ging in Scherben.
Baobab grunzte ein ums andere Mal: „Uh-uh! Uh-uh!“
Mehmed Bulba tat es ihm nach und wußte nicht, wo er seine Hände lassen sollte, weil ihn alles so furchtbar aufregte. Und der fischige Hassan stand zitternd in einer Ecke und stierte auf die Kieselsteine, die einmal Münzen gewesen sein mußten. Er neigte zu der Ansicht, daß hier Dämonen am Werk gewesen waren und ihr übles Spiel getrieben hatten.
Die beiden Dämonen draußen hatten schwere Mühe mit sich selbst, ihr Höllengelächter zu unterdrücken. Sie platzten geradezu, hielten sich die Münder und hüpften herum wie Kobolde. Es war wie früher, wenn sie einen Streich ausgeheckt hatten und den Erfolg genossen. Dieser Streich überbot alles, was von ihnen jemals ausgekocht worden war. Ein Volltreffer war das, mitten hinein ins Schwarze.
Und wie ging’s jetzt weiter?
Zum ersten Male geisterte ein Gespenst durch Kalibans Truppe. Das Gespenst setzte sich aus Angst, Betroffenheit, nagenden Zweifeln und Mißtrauen zusammen.
Sonst verteilten sie um diese Zeit die Beute, und jeder war’s zufrieden gewesen. Na ja, bis auf Kaliban, der so gierig geworden war, gierig und geizig und krötig.
Heute bestand die Beute aus Kieselsteinen, und sie begriffen nicht, wie das hatte passieren können, zumal die vier Langfinger Stein und Bein schworen, gute Ergebnisse erzielt zu haben.
Daß ein blinder alter Mann von ihnen zweimal bestohlen worden war – einmal von Hassan und das andere Mal von Kaliban –, darüber sprachen sie nicht, und es war ihnen auch herzlich gleichgültig, weil sie um ihr Gewissen einen Panzer gelegt hatten.
Aber sie regten sich darüber auf, daß dieser Tag zu einer Pleite geworden war. Seit einem Jahr „arbeiteten“ sie in Istanbul, und Abend für Abend hatte jeder von der Beute kassiert. Das war schon zur lieben Gewohnheit geworden. Und nun auf einmal das! Wie ein Blitz aus heiterem Himmel.
Kaliban war völlig geschafft. Inzwischen saß er an dem Tisch, über den die Kiesel gerollt waren, hielt sich die kühlenden feuchten Tücher ans Gesicht und murmelte immer wieder: „Ich verstehe das nicht, ich verstehe das nicht. Wie konnte das passieren, wie konnte das passieren? Wie nur?“
Aischa kehrte die Scherben auf, ein anderes Weib sammelte die Kieselsteine zusammen. Ein drittes Weib rührte mit einem Kochlöffel in der nach Knoblauch duftenden Suppe herum.
Muzaffer brütete wieder. Sie brüteten alle und hingen herum wie Vögel im Regen. Allerdings sprachen sie dem Wein zu, dem Seelentröster, aber der versagte sich ihnen an diesem trüben Abend und spendete ihnen keinen Trost.
„Wie sind die Kiesel in meinen Ledersack gelangt?“ greinte Kaliban und blickte sich um, als könne ihm jemand darauf eine Antwort geben.
Klar gab’s darauf eine Antwort. Fatima fand sie.
Sie sagte: „Jemand hat sie hineingetan.“
Kaliban war zu ramponiert, um wieder wild zu werden.
Gequält sagte er: „Das ist unmöglich. Das hätte ich gemerkt.“
„So?“ sagte Fatima etwas spitz. „Merken denn die Leute, wenn du ihnen in die Taschen langst?“
„Das ist was anderes, ich bin ja auch …“
„Jaja, der König der Taschendiebe“, unterbrach ihn Fatima schroff. „Erzähl mir nichts! Du bist nicht der einzige, der fremde Taschen ausräubert, bilde dir das bloß nicht ein! Und jetzt hör mir mal genau zu, du Klugscheißer! Ausgerechnet ihr vier Taschendiebe seid so oder so aufs Kreuz gelegt worden! Das heißt, irgendein Jemand hat euch beobachtet und dann den Spieß umgedreht!“
Hasard stieß Philip an. Die schlaue Fatima brauchte genau Philips Redewendung. Philip nickte und spähte gespannt durch die Ritze.
Kaliban hatte die Tücher sinken lassen und stierte Fatima an, als sei die auch ein weißes Kaninchen mit roten Augen. Sie starrten alle zu der Blume von Istanbul. Das Weib am Suppenkessel vergaß das Umrühren.
„Du – du meinst …“, stotterte der große Magier.
„Genau das meine ich!“ Fatima lachte heiser. „Die Taschendiebe sind von anderen Taschendieben bestohlen worden! Vielleicht lauschen sie draußen und halten sich die Bäuche vor Lachen!“
Hasard und Philip reagierten blitzschnell und gaben Fersengeld. Als am Hauseingang Lampen geschwenkt wurden, waren sie längst in einer Gasse untergetaucht.
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