Kitabı oku: «Seewölfe Paket 9», sayfa 6

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9.

Als der Lieutenant in die Amtsstuben der Stadtkommandantur trat, hörte Sir Richard Bingham damit auf, sich über den Seewolf und dessen Kameraden zu ärgern.

Killigrews und Ribaults Zögern, bei dem nachlassenden Sturm auszulaufen, dieses fortwährende Hinhalten – es war Bingham mittlerweile verdächtig geworden. War ihnen am Ende gar nicht daran gelegen, die „Gran Grin“ zu entern?

Nun, wenn das der Fall war, dann würde er, Bingham, sich den Proviant schon irgendwie wiederholen, den er ihnen in seiner „grenzenlosen Großzügigkeit“ geschenkt hatte.

„Sir“, sagte der Lieutenant. „Eine Reiterpatrouille hat zwischen den Klippen vor der Küste eine Galeone gesichtet. Zweifellos handelt es sich um einen Spanier.“

„Etwa gar um die ‚Gran Grin‘?“

„Sir, das wissen wir nicht. Es gibt keine Flagge, keine Schriftzeichen auf dem Rumpf, denen man auf die Distanz von zweihundert Yards entnehmen könnte, wie der Name des Schiffes sein könnte.“

„Egal. Die Hauptsache ist, daß der Kahn nicht vom Fleck fortkommt, Lieutenant, und daß wir die Gewißheit haben, an Bord keine gut bewaffneten, schlagkräftigen Philipps anzutreffen.“

Der Lieutenant lachte auf. „Das ist ausgeschlossen, Sir – so, wie das Schiff aussieht. Es sitzt hoffnungslos fest, ich schwöre es Ihnen.“

In Bingham war für einen Moment der Verdacht aufgekeimt, bei der Galeone könnte es sich um ein intaktes Schiff der Armada handeln, dessen Besatzung eine Fahrrinne zwischen den Klippen hindurch entdeckt hatte. Es war eine Art fixe Idee der englischen Besatzer in Irland, spanische Truppen könnten von den Schiffen der Armada irgendwann gelandet werden, dort einen Brükkenkopf bilden und dann damit beginnen, die Insel „aufzurollen“.

Die alte Furcht, Irland könne spanisch und damit eine ständige Bedrohung Englands werden – Sir William Fitzwilliam hatte sie Bingham wie allen anderen Gouverneuren und sonstigen Untergebenen ausreichend eingetrichtert. Immer wieder tauchte auch vor Binghams geistigem Auge das Gespenst apokalyptischer spanischer Reiter auf, die über Irlands Boden jagten.

Er verscheuchte dieses Bild aus seinen Gedanken. Viel lieber konzentrierte er sich auf das, was der Lieutenant ihm soeben gemeldet hatte.

„Unsere Leute sagen, sie hätten an Land Leichen gefunden“, fuhr der Lieutenant jetzt in seinem Bericht fort. „Außerdem Trümmer von Planken, Spieren, Rahen, Segelfetzen – das sagt doch genug aus, nicht wahr, Sir?“

Bingham rieb sich die Hände. „Allerdings. Wir brauchen nicht einmal mehr die ‚Isabella‘ und die ‚Vengeur‘, um uns diesen spanischen Segler einzuverleiben, Lieutenant. Wissen Sie schon, auf was ich hinauswill?“

„Ja, Sir. Wir bemannen unsere zwei Schaluppen und die kleinen Einmaster, die uns zur Verfügung stehen, segeln durch die Bucht und entern die Galeone.“ Seine Miene wurde plötzlich ernst. „Aber es befinden sich immer noch einige Dons an Bord des Schiffes, Sir, das dürfen wir nicht vergessen.“

„Himmel, Lieutenant, wir haben fünfzig gut bewaffnete Gardisten – die dürften doch wohl ausreichen, um diese elenden schiffbrüchigen Hidalgos über die Klinge springen zu lassen.“

„Gewiß, Sir. Soll ich auch den Hauptmann verständigen?“

Bingham hatte sich erhoben. „Sicher sollen Sie das, Sie Armleuchter. Liebe Güte, haben Sie etwa Angst vor dem bevorstehenden Einsatz, Mann? Ich will Ihnen was sagen: Wir werden einen strategischen Plan entwickeln – der Hauptmann und ich. Wir werden kämpfen, ohne Verluste zu haben. Was sagen Sie dazu?“

„Großartig“, entgegnete der Lieutenant ohne rechte Überzeugung.

„Fein. Und nun schieben Sie erst mal ab und holen mir diesen spanischen Jüngling aus der Kerkerzelle – diesen Juan Flores. Ich nehme von Land aus eine Ortsbesichtigung vor und will den Burschen dabeihaben, um ’rauszukriegen, ob das wirklich die ‚Gran Grin‘ ist.“

Juan Flores’ Hoffnungen wurden zerstört. Er saß mit gebundenen Händen auf dem Sattel eines Pferdes und war in die Mitte eines zwanzigköpfigen Trupps genommen worden, an deren Spitze Bingham und der Hauptmann ritten.

Der grobknochige Wallach, den man für Sir Richard Bingham gesattelt und gezäumt hatte, drohte unter der Last des Dicken fast zusammenzubrechen. Angesichts der grandiosen Reitkünste ihres Gouverneurs konnten sich die Soldaten das Lachen kaum verkneifen.

Aber es war eine Illusion zu glauben, daß ihre Aufmerksamkeit deswegen nachließ. Die Gardisten behielten Juan scharf im Auge. Er hatte keine Chance, etwas zu unternehmen. Er konnte weder fliehen noch irgendeine Kriegslist durchführen, die dem Reiterpulk Schaden zufügte.

Ganz anders wäre es gewesen, wenn sie schon jetzt mit den Schaluppen und Einmastern zu den Klippen im Norden der Bucht aufgebrochen wären – da hätte Juan Flores gewußt, wie er Verwirrung hätte stiften können.

Der Sturm lag in seinen letzten heftigen Zügen. Schon riß der Wolkenverhang auf, und hier und da drang streifiges Sonnenlicht durch.

Am Strand vor den Klippen verhielt der Pulk, und Bingham ließ Juan Flores zu sich herüberdirigieren. Harris, der Dolmetscher, war auch wieder zugegen, er übersetzte Wort für Wort, was zwischen den beiden gesprochen wurde.

„Das Wrack dort zwischen den Klippen – ist das die einst so stolze ‚Gran Grin‘?“ erkundigte sich der Gouverneur.

Juan wußte, daß es keinen Zweck hatte, jetzt, da er schon so viel preisgegeben hatte, noch etwas zu leugnen.

„Ja, das ist sie“, erwiderte er.

„Ein paar Gestalten winken herüber“, sagte Bingham. „Sieh sie dir an. Ist der Herzog dabei? Der Prinz? Kannst du sie sehen?“

Juan Flores zerriß es fast das Herz vor Kummer, als er durch ein Spektiv blicken mußte, das ihm der Lieutenant vors Auge hielt. Er sah den Kapitän Pedro de Mendoza und den Feldscher und schätzungsweise zwei Dutzend völlig ausgemergelte Gestalten am Schanzkleid der Galeone stehen und schwach gestikulieren. Sie hatten die Reiter gesichtet und hofften auf Hilfe.

„Ich kann weder den Herzog noch den Prinzen entdecken“, sagte er wahrheitsgemäß.

Bingham kaute ein wenig auf der Unterlippe herum, dann meinte er: „Egal. Vielleicht halten sie sich ja unter Deck auf. Für Medina Sidonia und den Prinzen Ascoli kriegen wir natürlich ein riesiges Lösegeld vom spanischen König. Aber für den Fall, daß sie tot sein sollten, bleibt uns immer noch die Kriegskasse des Biskaya-Geschwaders mit den hunderttausend Gold- und Silbermünzen.“

„Was machen wir mit den Philipps?“ wollte der Hauptmann wissen – obwohl er die Antwort schon kannte.

„Die servieren wir ab, außer Medina Sidonia und dem Prinzen Ascoli natürlich.“

„Und die sieben Gefangenen in der Stadtkommandantur?“

„Da fragen Sie noch?“

„Sie werden standrechtlich erschossen?“

„Standrechtlich, jawohl“, erwiderte der dicke Bingham grinsend. „Und jetzt lassen Sie uns zurück in den Hafen reiten. Dort setze ich Ihnen meinen strategisch perfekten Plan auseinander, und wir bemannen die Schaluppen und die Einmaster.“

Er fühlte sich ganz als Feldherr.

Wieder im Hafen von Westport angelangt, hievte Bingham seine schwere, ungefüge Gestalt zunächst aus dem Sattel des Wallachs, dann gab er seine Befehle. Juan Flores wurde in den Kerker zurückgebracht. Plötzlich begann sich der junge Mann zu sträuben, aber das nutzte ihm auch nichts mehr. Brutal zerrten zwei Gardisten ihn fort.

Bingham stolzierte auf dem Kai auf und ab, ließ die Schaluppen und die Einmaster bemannen und mit genügend Munition und Waffen versehen. Dabei schwafelte er von seinem großen Einsatz.

„Schneid und ein unbeugsamer Wille, Umsicht und Tatkraft stehen am Beginn eines jeden großen Gefechts“, teilte er dem Hauptmann mit, der jetzt schon langsam am Verstand seines Gouverneurs zu zweifeln begann.

„Die Umzingelung des Feindes, das Einkesseln, das rasche Zupacken mit eiserner Hand verwandeln den rauhen Krieg in Kunst“, fuhr Sir Richard Bingham fort. „Eine Kunst, die nicht jeder versteht. Man muß dazu geboren sein. Habe ich recht, Hauptmann?“

„Jawohl, Sir.“

„Lieutenant, meinen Degen!“ rief Bingham. „Und holen Sie mir auch zwei geladene Pistolen, damit ich mich allen Erfordernissen der Schlacht wie ein Mann stellen kann. Lieutenant, nun laufen Sie schon!“

Er wandte sich zu dem Hauptmann um, baute sich breitbeinig vor ihm auf und erklärte: „Die Kanonen der ‚Gran Grin‘ können nicht mehr feuern, mein Bester. Flores, dieser Dummkopf, hat mir auch das verraten: Es gibt keine Munition mehr an Bord der Galeone. Ist das nicht wunderbar? Und nun meine Strategie: Wir gehen mit den Schaluppen und den Einmastern auf Musketenschußentfernung an die Galeone der Spanier heran – von allen Seiten, versteht sich. Dann feuern wir.“

Der Hauptmann hob die Augenbrauen. „Und Medina Sidonia und der Prinz?“

„Die werden vorher selbstverständlich aufgefordert, das Schiff zu verlassen“, sagte Bingham, der sich bereits die Phase des Sieges bildhaft vorstellte. „Wenn sie dazu kein Beiboot mehr haben, stellen wir ihnen natürlich eins zu Verfügung, wir sind ja großzügig, was, Hauptmann?“ Er lachte.

Der Hauptmann lachte mit, vor allen Dingen, weil er an die Dukaten, Dublonen und Piaster dachte, die in dieser sagenhaften Kriegskasse liegen sollten.

„Und wenn wir die hochwohlgeborenen spanischen Bastarde erst haben, schießen wir den Rest der Philipps zusammen“, verkündete Bingham. Er sah sich nach allen Seiten um. Sie Menschen von Westport waren zusammengelaufen und wohnten diesem „grandiosen Schauspiel“ bei. Jawohl, sie huldigten ihm, dem Gouverneur Sir Richard Bingham, der das Zeug zum König hatte.

„Ausrotten werden wir sie, und zwar im Handumdrehen!“ rief Bingham.

Der Lieutenant kehrte zu ihm zurück und brachte ein Wehrgehänge mit einem verzierten Degen, das Bingham sich jetzt mit einiger Mühe um den dicken Bauch band. Anschließend schob er sich zwei Radschloßpistolen in den Gurt, deren Kolben Perlmuttereinlagen hatten.

Die Schaluppen und die Einmaster waren jetzt so gut wie gefechtsbereit und klar zum Auslaufen. Bingham und sein Trupp schickten sich an, an Bord zu gehen.

Ein niederträchtiger, gemeiner Plan war das Vorhaben des Gouverneurs – bar jeder Menschlichkeit. Aber Menschlichkeit, Ritterlichkeit, Fairneß waren Begriffe, die er nicht kannte, wie er schon Doctor Wheeler zu verstehen gegeben hatte, dem Arzt, der jetzt in der Menge stand und mit aufsteigender Wut verfolgte, was der fette Mann unternahm.

Selbstverständlich dachte der sehr ehrenwerte Sir Richard nicht im Traum daran, sich aktiv am Kampfgeschehen zu beteiligen. Das alles überließ er lieber dem Hauptmann, dem Lieutenant und den Soldaten, die jetzt in die Schaluppen und Einmaster kletterten. O nein, Bingham gedachte nicht, seine wertvolle Haut auch nur ansatzweise zu Markte zu tragen. Nicht einen Kratzer wollte er kriegen, falls gekämpft wurde. Er würde sich brav im Hintergrund halten und „die Schlacht“ leiten, wie sich das für einen genialen Feldherrn gehörte.

Er war derart mit seinen Vorbereitungen beschäftigt, daß er nicht mehr verfolgte, was an Bord der „Isabella VIII.“ und der „Le Vengeur“ geschah.

Er hätte besser daran getan, ein waches Auge auf die Schiffe zu werfen, denn die Seewölfe und die Männer der „Vengeur“ waren dabei, ihm einen dicken Strich durch die Rechnung zu ziehen.

Längst hatten Hasard, Jean Ribault und die anderen erkannt, was Bingham plante und in die Tat umzusetzen gedachte. Die letzte Bestätigung hatten sie ja jetzt von Bingham höchstpersönlich erhalten. Sie konnten von Bord ihrer Schiffe aus verfolgen, wie er auf dem Kai auf- und abstolzierte und seine großspurigen Reden schwang.

„Sir“, sagte Carberry. „Ich bitte dich hiermit um die Genehmigung, den Hundesohn ungespitzt in die Pier rammen zu dürfen, an denen die Schaluppen und die anderen Scheißkähne liegen.“

„Abgelehnt, Ed“, erwiderte Hasard.

„Himmel, warum dürfen wir denn nicht loslegen?“ fragte der Profos, der in diesem Augenblick die Welt nicht mehr verstand. „Was hält uns denn noch? Der Fettsack hat eine Lektion verdient, denn er ist ein Plünderer und Leuteschinder. Wenn die Lissy das wüßte, würde sie ihn köpfen lassen.“

„Ja.“ Hasard blickte zu Jean Ribault und Karl von Hutten hinüber, und die beiden grinsten ihm zu. „Ed“, fuhr der Seewolf fort. „Das ist alles völlig klar. Aber vergiß nicht die fünfzig Soldaten.“

„Ach, die. Die brauchen wir doch nur mal scharf anzugucken, dann kippen sie von selbst ins Hafenbekken.“

„Ich will kein Blutvergießen. Außerdem darf unser vierköpfiger Trupp, der die sieben spanischen Gefangenen aus dem Kerker befreien soll, durch eine impulsive, unbedachte Handlung nicht gefährdet werden.“

„Aye, Sir“, sagte Carberry. Dann wandte er sich Old O’Flynn zu und fragte gedämpft: „Impulsiv, was ist das?“

„Das ist, wenn du vor Wut in den Teppich beißt, aus der Haut fährst oder den Großmast aus dem Kielschwein rupfst“, entgegnete der Alte grinsend.

Hasard verließ die Kuhl und schritt über die Gangway auf die Pier, an der die beiden Schiffe fest vertäut lagen. Jean Ribault hatte sich gleichfalls in Bewegung gesetzt. Sie trafen sich auf der Mitte der Pier und marschierten über das Kopfsteinpflaster an der Hafenmauer direkt auf Sir Richard Bingham zu.

„Mein lieber Richard“, sagte Hasard. „Wie ich sehe, scheinen Sie Großes vorzuhaben. Was ist geschehen? Haben die Spanier Irland überfallen?“

Bingham musterte den Seewolf in einer Mischung aus Hochmut und Geringschätzigkeit. Dies war gar nicht so einfach, denn er mußte zu Hasard aufschauen, weil er gut einen Kopf kleiner war.

„Während ihr hier herumhängt und faulenzt, führen wir Krieg für England“, antwortete Bingham. „Die ‚Gran Grin‘ ist in die Clew Bay getrieben worden, und wir brechen jetzt auf, um uns die Dons zu kaufen.“

„Ach, richtig, die ‚Gran Grin‘“, sagte Jean Ribault. „Die hatte ich schon fast vergessen …“

„Es wäre besser gewesen, wenn Sie sich an unsere Vereinbarungen gehalten hätten“, zischte Bingham.

„Dazu ist es noch nicht zu spät“, meinte Hasard. „Wir können sofort auslaufen, werter Richard, das Wetter läßt es jetzt zu.“

Bingham hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen. Dieser verdammte Seewolf war drauf und dran, seine Pläne zu durchkreuzen. Jetzt, da die „Gran Grin“ so leicht zu kapern war, wollte er die Kerle von der „Isabella“ und der „Vengeur“ nicht mehr dabeihaben. Die waren imstande und schnappten ihm die spanischen Adligen und die Kriegskasse des Biskaya-Geschwaders unter der Nase weg.

„Die ‚Gran Grin‘ übernehme ich“, sagte er daher fest entschlossen. „Sie beide hingegen sollten mit westlichem Kurs aus der Bucht kreuzen und nach weiteren spanischen Schiffen Ausschau halten. Da tauchen bestimmt noch mehr auf, das sagt mir mein Instinkt.“

„Einverstanden“, erwiderte Hasard. „Jean, werfen wir also die Leinen los.“

„In Ordnung, Hasard.“

Der Seewolf deutete einen Gruß zu Bingham an. „Viel Erfolg, Sir. Und Waidmannsheil.“

„Wie bitte?“

„Eine fette Jagdbeute wünschen wir“, sagte Jean Ribault.

„Ja, ja, danke, schon gut“, erklärte der fette Gouverneur. Er drehte sich rasch wieder seinen Männern zu und rief: „Geht das nicht schneller? Beeilt euch, daß ihr alle an Bord kommt, ich will jetzt endlich auslaufen.“

Mit watschelndem Gang steuerte er über die Pier, in die Carberry ihn so gern gerammt hätte, auf die beiden Schaluppen und die vier Einmaster zu, die jetzt voll bemannt waren. Die Leinen wurden gelöst. Der Hauptmann und der. Lieutenant mußten Bingham in die Führungsschaluppe, das „Flaggschiff“ der glorreichen Flotte, hineinhelfen. Dabei geriet die Schaluppe bedrohlich ins Schwanken.

„Leinen los!“ ertönte auch das Kommando von der „Isabella“ und der „Vengeur“, aber dennoch ließen sich Hasard, Jean und ihre Kameraden mächtig Zeit. Ja, sie arbeiteten geradezu übertrieben langsam, und immer wieder schien es bei dem Ablegemanöver irgendwelche Schwierigkeiten zu geben.

So lief Binghams „Flotte“ zuerst aus – und das war Hasards und Jeans volle Absicht.

Sie warteten nämlich noch auf Big Old Shane, Ferris Tucker, Dan O’Flynn und den Kutscher – und auf die sieben Spanier aus dem Kerker der Stadtkommandantur. Daß die Spanier „standrechtlich erschossen“ werden sollten – mit anderen Worten: umgebracht –, hatten Hasards „Späher“ Dan und Bill nämlich längst herausgekriegt.

10.

Shane, Ferris, Dan und der Kutscher pirschten sich auf Umwegen an die Stadtkommandantur heran. Sie wähnten sich unbeobachtet, aber in einer düsteren Gasse trat ihnen plötzlich ein Mann in den Weg.

„Gestatten Sie, daß ich mich vorstelle“, sagte er. „Doctor Wheeler. Bitte hören Sie mich an.“

Shane wollte schon Anlauf nehmen und den Mann, den er für einen Spitzel Binghams hielt, durch einen gezielten Faustschlag zu Boden schicken, da bremste ihn der Kutscher.

„Augenblick, Shane. Ich glaube nicht, daß der Mann feindselige Absichten hat.“

„Nur, weil er ein Quacksalber ist?“ zischte Ferris dem Kutscher zu. „Hör bloß auf.“

Sie schoben sich näher an Doc Wheeler heran, und dieser sprach hastig auf sie ein. „Ich weiß, daß der Seewolf nur zum Schein auf Binghams schmutzige Angebote eingegangen ist. Anders kann ich es mir jedenfalls nicht vorstellen. Und ich weiß auch, daß Sie, Gentlemen, jetzt die sieben spanischen Gefangenen aus dem unterirdischen Verlies der Kommandantur befreien wollen.“

„Also doch“, sagte Shane. „Doc, die Gentlemen müssen Sie leider mitnehmen, und Sie werden hübsch brav sein, ja?“

„So warten Sie doch. Ich will Ihnen helfen. Sie müssen mir glauben. Selbst konnte ich für die Spanier nichts tun, weil Bingham mir gedroht hat, weil ich Familie habe … Aber ich wehre mich trotzdem dagegen, daß er sich an wehrlosen, kranken, halbverhungerten Menschen vergreift. Ich kann Ihnen versichern, daß die Spanier nicht gefoltert worden sind, soviel ist mir bekannt. Und ich will Ihnen noch mehr sagen: Das Tor zum Hof der Kommandantur wird von zwei Soldaten bewacht. Es gibt aber noch einen Nebeneingang, den sie leicht öffnen können. Ich verrate Ihnen, wie das geht.“

„Das ist eine Falle“, murmelte Ferris Tucker. „Hölle und Teufel …“

„Noch etwas“, fuhr der Arzt fort. „Ich gebe Ihnen Medikamente für die armen Teufel mit. Ansteckende Krankheiten haben sie nicht, aber die Zähne werden ihnen ausfallen, ihre Augen werden sich entzünden, sie werden Ausschlag kriegen, wenn nicht sofort etwas für sie getan wird.“

Der Kutscher lächelte. „Ich habe selbst schon Arzneimittel bei mir, Sir, aber selbstverständlich greife ich gern zu, denn mann kann ja nie genug Medikamente zur Verfügung haben.“

„Wie, Sie sind …“

„Nur ein Feldscher, Sir.“

„Kutscher“, raunte Shane ihm zu. „Mensch, hör auf. Merkst du denn nicht, was läuft?“

„Nein. Dieser Mann meint es ehrlich“, versicherte der Kutscher ihm. „Ich bin da völlig sicher.“

„Also, ich bin mit dem Kutscher einer Meinung“, sagte Dan O’Flynn. Genügend Menschenkenntnis hatte auch er. So aufrichtig, wie dieser Doc Wheeler sie anblickte, konnte sich kein Heuchler und Verräter verhalten.

„Ihr werdet noch sehen, was ihr davon habt“, sagte Big Old Shane gedämpft. Er traute hier in Westport keinem über den Weg. Die Stadt war seiner Ansicht nach ein ausgesprochenes Halunkennest.

Der Kutscher nahm die Medikamente von Doctor Wheeler entgegen und versenkte sie in einer ledernen Tasche, die er sich umgehängt hatte. Er deutete eine kleine Verbeugung an. „Meinen herzlichen Dank, Sir. Wir wissen Ihre Hilfsbereitschaft zu schätzen und werden Sie immer in angenehmer Erinnerung behalten.“

„Ich muß mich bedanken“, erwiderte der Arzt. „Verzeihen Sie, wenn ich nicht selbst an Ihrer Aktion teilnehme, aber ich muß in dieser Stadt leben. Mit meiner Frau. Mit meinen drei Kindern. Unter Binghams Knute.“

„Dafür haben wir volles Verständnis“, sagte der Kutscher. „Auf Wiedersehen, Sir.“

„Auf Wiedersehen – und viel Erfolg.“

Die vier von der „Isabella“ schlichen weiter. Doc Wheelers Gestalt verschmolz hinter ihnen mit dem Dunkel der Gasse.

„Du mit deinen geschraubten Reden, Kutscher“, zischte Ferris Tukker. „Ich sehe ja ein, daß ihr beide, Dan und du, auch recht haben könntet, aber manchmal bringst du mich ganz schön in Wut mit deinem Gequatsche.“

Der Kutscher entgegnete darauf nichts. Es war die innere Anspannung vor dem Unternehmen, die Ferris und auch Shane ziemlich unwirsch werden ließ. Sie fühlten sich hauptsächlich verantwortlich für den Ausgang ihres Vorhabens, und das zehrte doch ein wenig an ihren Nerven.

Sie schwiegen. Der Nebeneingang zum Hof der Kommandantur, den Doc Wheeler ihnen beschrieben hatte, existierte tatsächlich, und der Kutscher demonstrierte, daß er sich mit einigem Geschick auch auf genau die Weise öffnen ließ, die der Arzt ihm schnell mitgeteilt hatte.

So huschten sie Sekunden später über den Hof, an den Stallungen vorbei und dann in den Haupttrakt des Gebäudes. Dan hatte bei seinen Erkundungsgängen durch die Stadt herausgefunden, daß der Kerker sich hier befand. Er hatte niedrige, vergitterte Fensteröffnungen in Fundamenthöhe entdeckt, die darauf schließen ließen, daß es ein Kellergewölbe gab.

Waffen hatten die vier Männer reichlich von Bord der „Isabella“ mitgenommen und sich in die Gürtel gesteckt, aber, wie sooft, stellte sich auch diesmal wieder heraus, wieviel doch eine solide Handspake aus englischer Eiche wert war.

Dem ersten Posten im Gebäudeinneren, der sich überrascht zu ihnen umdrehte, hieb Big Old Shane die Spake auf das Haupt. Der Gardist Sir Richard Binghams sackte zusammen, ohne sich mit einem Wort oder Laut über die rüde Behandlung zu beklagen.

Shane, Ferris, Dan und der Kutscher pirschten weiter, fanden die Steintreppe, die gewunden in das Kellergewölbe hinabführte, und folgten ihrem Verlauf.

Wenig später traten noch einmal die Spaken in Aktion. Diesmal knüppelten Shane, Ferris und Dan auf die zwei Wachtposten vor dem Zugang zum eigentlichen Kerker ein. Es war das Pech der Gardisten, daß sie keine Helme trugen.

Der eine Soldat wollte seine Muskete in Anschlag bringen und abdrücken. Beinah wäre es ihm auch gelungen, was zur Folge gehabt hätte, daß sämtliche Wachen, die Bingham in seinem „Gouverneurspalast“ zurückgelassen hatte, zusammengelaufen wären und Shane, Ferris, Dan und dem Kutscher den Rückweg abgeschnitten hätten. Zwei oder drei Mann hätten genügt, um die Kellertreppe zu bewachen und den Männern der „Isabella“ die Hölle heiß zu machen.

Gerade noch rechtzeitig verpaßte Big Old Shane dem Soldaten den entscheidenden Hieb. Ächzend sank auch dieser Mann zusammen. Er blieb reglos neben seinem Kameraden liegen.

Der Kutscher hatte die Muskete aufgefangen, die dem Gardisten entglitten war. Behutsam löste er die Spannung des Hahnes und führte den Hahn mit dem Daumen in Sicherungsposition auf die Pfanne des Steinschlosses zurück.

„Hast du auch nicht zu hart zugeschlagen?“ fragte Ferris den graubärtigen Riesen.

Der Kutscher beugte sich über die Soldaten. Nach einer kurzen Untersuchung stellte er fest: „In Ordnung. Sie leben beide noch, sind nur bewußtlos.“

Ferris entnahm dem einen Gardisten ein Schlüsselbund und probierte an der Gittertür, die sie vom Verlies trennte, einen Schlüssel nach dem anderen aus. Dann hatte er den richtigen gefunden, und sie hasteten in den dunklen, feuchten Gang zwischen den Zellen, zu den sieben ausgemergelten Gestalten, die sie völlig entgeistert anblickten.

Der erste Offizier Vega de la Torre staunte noch mehr, als er die fremden Männer in tadellosem Spanisch erklären hörte, was der Grund ihres Besuches sei, und was sie sonst noch vorhatten.

Rasch waren die Zellentüren geöffnet. De la Torre standen die Tränen in den Augen, als er in den Gang hinaustaumelte, und er schämte sich dessen nicht. Er blickte zu Juan Flores, trat zu ihm, legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte leise: „Du brauchst keine Gewissensbisse zu haben. Ich habe begriffen, warum du gesprochen hast. Du hast es zu unserem Besten getan – und für die Mannschaft an Bord der ‚Gran Grin‘.“

„Dennoch bin ich gescheitert“, erwiderte Juan bedrückt. Er hatte ihnen ja berichtet, daß die Galeone auf die Klippen gelaufen war – und was der Henker Bingham vorhatte.

„He“, raunte Ferris Tucker ihnen zu. „Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Vorwärts. Wir müssen uns mächtig beeilen.“

Sie verließen den Kerker, hetzten die wuchtigen Treppenstufen hinauf und konnten die Kommandantur ungesehen durch die kleine Tür verlassen, die sie auch zum Eindringen benutzt hatten. Ebenso ungehindert gelangten sie zu der Pier, an der die „Isabella“ und die „Vengeur“ zum sofortigen Auslaufen warteten.

„Kutscher“, sagte Shane etwas außer Atem, als sie an Bord geklettert waren und die Schiffe nebeneinander her in die Bucht hinausrauschten. „Du hattest also doch recht. Dieser Doc Wheeler hat uns nicht hereingelegt.“

Der Kutscher nickte. „Ich wette, er steht irgendwo in einem der Häuser dort hinter einem Fenster und beobachtet uns. Er darf jetzt aufatmen. Sein Gewissen ist rein.“ Er wandte sich zu den Spaniern um, die gerade vom Seewolf begrüßt wurden. „Senores“, sagte der Kutscher. „Bisher habe ich leider keine Gelegenheit gefunden, aber lassen Sie sich jetzt ein wenig Lebertran einflößen. Sie werden staunen, wie rasch der Ihnen wieder auf die Beine hilft.“

Die „Isabella“ und die „Le Vengeur“ segelten nicht westwärts, wie Bingham es von ihren Kapitänen verlangt hatte. Sie rauschten hoch am Wind mit Backbordhalsen und auf Steuerbordbug liegend nordwärts zu den kleinen, dem Buchtufer vorgelagerten Inseln.

Von Westport aus konnten sie nicht mehr beobachtet werden, denn die Stadt lag an einer kleinen Bucht, die nach Osten verlief – beide Schiffe befanden sich also für die Wache der Kommandantur, die jetzt das Verschwinden der Gefangenen bemerkt hatte, im toten Blickfeld. Das war gut so, denn auf diese Weise würde kein Bote lospreschen, um Bingham darüber zu unterrichten, daß die „lieben Freunde“ zu ihm unterwegs waren.

Das Wetter hatte sich beruhigt. Nur eine mäßige Dünung kräuselte das Wasser der Bucht. So war es selbstverständlich, daß Bill, der Ausguck, etwa eine halbe Stunde nach dem Auslaufen an Steuerbord der „Isabelle“ die „Flotte“ des Sir Richard Bingham sichtete, die sich viel dichter unter Land nach Norden bewegte.

Ebenso selbstverständlich war es, daß auch Bingham die „Isabella“ und die „Vengeur“ erspähte.

„Er wird sich die Haare raufen und mit den Zähnen knirschen“, sagte auf der „Vengeur“, die jetzt in Kiellinie hinter der „Isabella“ lief, Jean Ribault zu Karl von Hutten. „Was meinst du, ob unser übergewichtiger Freund wohl ahnt, was wir vorhaben, oder ob er glaubt, wir hätten uns im Kurs geirrt?“

Karl lachte. Er hatte durchs Spektiv zu den beiden Schaluppen und den vier Einmastern hinübergeblickt und gesehen, daß vom „Flaggschiff“ des stolzen Verbandes aus signalisiert wurde. „Er gibt uns Zeichen. Wir sollen beidrehen.“

„Husten werden wir dem was, nicht wahr, Sir?“ sagte auf der „Isabella“ Ed Carberry zum Seewolf.

„Natürlich, Ed. Wir halten unter Vollzeug auf die ‚Gran Grin‘ zu und erreichen sie so zeitig, daß Bingham nur noch das Nachsehen hat.“

„Man müßte ihm trotzdem noch eins auswischen.“

„Das tun wir auch, Ed“, sagte der Seewolf. „Warte nur ab.“

Kapitän Pedro de Mendoza glaubte zu träumen. Gaukelte der beginnende Wahn ihm Trugbilder vor? War diese Vision die letzte große seelische Qual, die er durchstehen mußte, ehe er zum Sprung über die düstere Schwelle ansetzte?

Mit schwachen, zittrigen Knien stand er auf der Back seines zertrümmerten Schiffes und blickte zu der dreimastigen Galeone. Auffallend hoch waren ihre Masten, flach die Aufbauten, und auf dem Achterdeck glaubte der Spanier ein Ruderhaus zu erkennen.

Ein Schnellsegler, dachte er.

Die Galeone schob sich näher und näher heran, und nach Süden sicherte eine zweimastige Karacke, deren Lateinersegel von einer flinken, kundigen Mannschaft aufgegeit wurden.

Auch die Galeone geite ihre Segel auf, und dann wurden zwei große Beiboote abgefiert und bemannt. Sie lösten sich von den Bordwänden der Galeone. Je sechs Rudergasten pullten sie mitten zwischen die Inselklippen – und dann wußte de Mendoza plötzlich, daß er keinem grausamen Traum erlegen war. In den Jollen erkannte er jetzt deutlich genug zwei seiner Männer – de la Torre und Francisco Sampedro. Mehr tot als lebendig sahen sie aus, wandelnde Skelette, aber sie konnten lachen, winken, rufen, die erlösende Nachricht überbringen.

„Capitán! Wir haben es geschafft! Senor Capitán – El Lobo del Mar ist erschienen, um uns zu helfen!“

Erlösung, ja, aber wenige Minuten später, als die Männer der Jollen zu ihm und den anderen an Bord der „Gran Grin“ kletterten, hatte de Mendoza doch wieder den Eindruck, vom Regen in die Traufe geraten zu sein. El Lobo del Mar, der Seewolf – der große Schwarzhaarige, der jetzt auf ihn zutrat, wer hatte von ihm nicht schon gehört? Spaniens Todfeind. Und dieser Mann sollte jetzt allen Ernstes vorhaben, ihm Beistand zu leisten, ihn und den letzten Rest der Mannschaft aus dieser tödlichen Klemme zu holen?

Hasard blieb vor de Mendoza stehen und streckte die Hand zum Gruß aus.

„Sagen Sie nichts, Senor“, erklärte er in seinem tadellosen Spanisch. „Ich weiß auch so, was Sie denken. Der Feind wirft keinen rettenden Anker, nicht wahr? Ich gestehe, ich war mit dabei, auch vor Calais. Aber bei allem, was Sie über mich gehört haben, werden Sie nicht abstreiten können, daß ich auch für meine Fairneß bekannt bin. Sie und Ihre Besatzung sind in Not. Das ist keine Kriegssituation. Wir haben de la Torre und seine sechs Begleiter aus dem Kerker von Westport geholt. Wir bringen auch Sie von hier fort, ehe der korrupte, beutegierige Gouverneur Bingham Sie überfallen kann.“

De Mendoza erkannte die Ehrlichkeit in Hasards Worten. Er ergriff die dargebotene Hand und drückte sie.

Seine Besatzung und er wurden von der „Isabella“ übernommen, während Jean Ribault und Karl von Hutten mit der „Vengeur“ weiter nach Süden sicherten.

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