Kitabı oku: «Black Tales of Rock», sayfa 2
Track 3
eon schritt der Gruppe von eifrig miteinander schwatzenden Studenten hinterher, während sie alle zusammen den steilen Pfad hinaufstiegen, der sie zu ihrem ersten Rastpunkt führen würde. Zum wiederholten Mal fragte er sich, warum er am Vorabend das Angebot angenommen hatte, sie zu diesem ominösen Fluss zu begleiten.
Natürlich hatte er gerade nichts Besseres zu tun gehabt. Seine Kommilitonen waren bereits auf dem Rückweg nach Deutschland. Nur er hatte in dem völlig überfüllten Bus keinen Platz mehr bekommen, sodass er noch drei weitere Tage in diesem Nest irgendwo in Peru verbringen musste, bevor der nächste Bus ging. Da war ihm die Möglichkeit, nicht einfach nur in irgendwelchen Bars herumsitzen zu müssen, ganz gelegen gekommen.
Und dann war da ja auch noch Dani.
Das kesse kleine Energiebündel mit den erdbeerblonden Haaren, Sommersprossen und der Stupsnase hatte es ihm sofort angetan, als er sie in dem Restaurant zum ersten Mal gesehen hatte. Als sie ihn dann sogar angesprochen hatte, war er sich vorgekommen, als hätte er in einer Lotterie den Hauptgewinn gezogen. Zwar stellte sich im Laufe des Gesprächs heraus, dass sie hauptsächlich nach einem Ersatzteilnehmer für ihre Exkursion gesucht hatte, weil in ihrer Reisegruppe jemand krank geworden war und der Ausflug eine Mindest-Teilnehmerzahl hatte. Aber er wusste inzwischen, dass sie zwar mit der Gruppe, aber trotzdem allein hier war. Da konnte sich ja noch etwas entwickeln.
Die anderen waren ihm im Grunde genommen egal. Tom und Tina schienen ein frisches Pärchen zu sein, denn sie wirkten wie zusammengeschweißt. Man sah sie immer nur im Doppelpack. Ralf und Hannes waren ebenfalls ein Paar, aber sie wirkten, als wären sie schon ewig zusammen. Sie waren ganz in Ordnung, hatten aber keinerlei Interessen, die Leon geteilt hätte, sodass er bisher kaum ein Wort mit ihnen gewechselt hatte. Die Letzte im Bunde war Henriette, eine total verpeilte Kunststudentin, mit einer Frisur wie ein aufgeplatztes Sofakissen und einem Esoterikfimmel.
Sie alle verband nur die Tatsache, dass sie an einer Last-Minute Mystery Tour für Abenteuerlustige teilnahmen, die sie bis in dieses Nest in einem Ausläufer der Anden geführt hatte. Und sie hatten dort von diesem seltsamen Fluss gehört, in dem türkisfarbenes Wasser fließen sollte und der an manchen Stellen angeblich sogar bergauf floss.
Leon hielt zwar ein Großteil der Geschichten, die ihm, vor allem von Henriette, erzählt worden waren, für blanken Schwachsinn, aber trotzdem hatte er sich dazu überreden lassen, mit der Gruppe aufzubrechen. Die ersten paar Kilometer waren in Ordnung gewesen. Eine nette Wanderung in grandioser Umgebung bei schönem Wetter. Aber dann war ihr Führer von dem recht komfortablen Wanderweg abgebogen und sie mussten fast zwei Stunden lang einen felsigen Pfad hinaufkraxeln.
Was hast du dir denn gedacht, Idiot? Hier geht es doch früher oder später immer einen Berg hoch, schalt er sich selbst. Und jetzt hab dich nicht so. Selbst wenn der Fluss letztendlich ne Pleite ist, dann kannst du immer noch mit Dani was starten.
Immerhin waren die Signale, die sie ihm mit Blicken von Zeit zu Zeit sandte, ermutigend. Er atmete auf und beeilte sich, um nicht den Anschluss zur Gruppe zu verlieren.
***
Nach einer weiteren halben Stunde kamen sie an einem Punkt an, von dem eine Hängebrücke, die nur aus Seilen und Planken bestand, über eine tiefe Schlucht zu einer noch etwas höher gelegenen Klippe führte. Von dort aus mussten sie nur noch etwas hochklettern, das wie eine für Riesen konzipierte Treppe wirkte. Dann bedeutete ihnen der Führer, dass sie ihre Zelte auf dem kleinen Plateau, das sie nun erreicht hatten, aufschlagen sollten.
Leon ließ seinen Blick umherschweifen. Zu allen Seiten waren nur Berge und Himmel zu sehen. Alles wirkte so unendlich weit, dass er das Gefühl bekam, auf dem Dach der Welt zu stehen. Zu seiner Linken senkte sich der gelbe Sonnenball langsam in Richtung Horizont und verwandelte das tiefe Blau des Himmels mehr und mehr in Orange.
Okay, selbst wenn das mit Dani doch nix wird, war der Ausblick schon mal die Anstrengung wert.
Mit neu erwachtem Elan machte er sich daran, sein Zelt aufzustellen und sah dabei zu, es möglichst nah zu dem seiner Angebeteten zu platzieren. Die anderen verteilten ihre Behausungen auf der Fläche des Plateaus. Tom und Tina gingen sogar so weit, ihres hinter einer Felsnase zu positionieren, die die Ebene in zwei Bereiche aufteilte. Dort befand sich, ein wenig tiefer gelegen, ein Bereich, der an zwei Seiten von Fels umschlossen war. Daneben führte ein Pfad weg vom Plateau und in die Tiefe.
»Ach, das ist ja allerliebst«, rief Hannes, als er die beiden entdeckte. »Ein Traumschloss in den Wolken für das junge Glück.«
»Stimmt«, bemerkte Leon, der, durch den Ausruf aufmerksam geworden, dazugetreten war. »Das sieht ja wirklich fast so aus, als würde es in den Wolken stehen.«
»Krass«, kam es von Ralf, der neben seinem Freund stand. »Eben war noch viel mehr von dem Weg zu sehen.«
Fasziniert standen die fünf vor dem Zelt und beobachteten die weißen Schwaden dabei, wie sie langsam über den Pfad und auf sie zu krochen, bis dieser komplett vom wabernden Weiß verschluckt wurde und es, wie die Wellen eines Nebelmeers, an einer Stufe, direkt neben dem aufgebauten Zelt leckte.
»Kommt mal her. Das müsst ihr euch anschauen. Ist das zauberhaft.«
Dieser Ausruf kam von Henriette, die weiter oben auf der eigentlichen Hochebene stand.
Als die anderen zu ihr getreten waren, wurde ihnen klar, was sie meinte.
Um die gesamte Ebene herum quollen dichte Wolken aus der Tiefe hinauf und verwandelten sie in kurzer Zeit in eine Insel mitten im Himmel.
»Ähm, sagt mal, fällt euch was auf?«, unterbrach Danis Stimme das atemlose Schweigen, das sie alle ergriffen hatte.
»Was denn?«, fragten sie alle im Chor und mussten kichern.
»Wo ist denn eigentlich … wie heißt er noch?«
»Yurak«, beeilte sich Tina zu antworten. »Das ist Quechua und bedeutet ‘weiß’.«
»Na, wie auch immer«, sagte Dani ungerührt. »Aber wo ist er denn nun?«
Alle schauten sich um. Sie teilten sich auf und sahen in jedem Winkel des Plateaus nach, jedoch ohne Erfolg. Schließlich standen sie sich mit ratlosen Gesichtern wieder gegenüber.
»Wer war denn der Letzte, der den Typen gesehen hat?«
»Ich hab fast das Gefühl, dass ich das war«, warf Leon ein. »Nachdem wir diese komische Treppe hoch sind, ist der, glaub ich, am Zugang zum Plateau stehen geblieben und hat uns aufbauen lassen. Vielleicht ist er abgehauen, während wir beschäftigt waren.«
»Warum sollte er denn das machen?«, fragte Henriette mit großen Augen.
»Ist doch egal, er ist weg«, kam es von Tom. »Vielleicht wollte er von der anderen Seite der Brücke noch was holen und ist von den Wolken überrascht worden.«
Die eine Hälfte der Gruppe nickte, die andere schien nicht überzeugt.
»Was soll’s«, fasste Leon die Situation zusammen. »Durch die Wolken will bestimmt keiner von uns wieder nach unten steigen. Hier oben ist es eigentlich ganz schön und auch trocken. Machen wir einfach das Beste draus und übernachten hier. Morgen wird er schon wieder auftauchen.«
Er genoss die grundsätzlich zufrieden wirkenden Blicke der anderen, besonders den von Dani, die ihm sogar zuzwinkerte.
***
Während die Sonne in einem atemberaubenden Farbspiel hinter den Kuppen der Berge in der Ferne versank, suchten sie sich alle Utensilien für das Abendessen zusammen. Dann saßen sie zusammen um den Spirituskocher herum, über dem der ehemalige Inhalt einiger Dosen in einem Topf köchelte. Nachdem sie alle satt waren, unterhielten sie sich noch eine Weile über das, was sie am folgenden Tag zu erleben hofften.
Tom und Tina waren die Ersten, die sich in ihr Zelt zurückzogen. Hannes warf seinem Freund einen glühenden Blick zu, dann verschwanden auch sie in Richtung ihres Zelts. Leon blieb sitzen, denn er hoffte, dass auch Henriette bald den Drang verspüren würde, in ihren Schlafsack zu kriechen.
Aber dann war es doch Dani, der die Augen im Sitzen zufielen, während Henriette noch in einer Tour plapperte. Leon versuchte, an ihren Blicken abzulesen, ob eine Einladung erfolgen würde, sie später in ihrer Behausung besuchen zu kommen. Aber die sonst so energiegeladene Studentin wirkte so müde, dass ihm klar wurde, dass er heute niemanden haben würde, um für zusätzliche Wärme im Schlafsack zu sorgen. Schließlich unterbrach auch die unermüdliche Kunststudentin ihren Redefluss und teilte Leon mit, dass sie sich nun zur Ruhe begeben würde. Also räumte er noch ein wenig auf, bevor er sich ebenfalls hinlegte.
***
Er musste sein Zelt wohl unbewusst nach der Sonne ausgerichtet haben, denn Leon wurde durch einen hartnäckigen Lichtstrahl geweckt, den der sich über den Horizont erhebende gelbe Ball durch die halb geöffnete Klappe seines Zelts direkt in sein Gesicht schickte. Er wollte sich umdrehen, merkte dabei aber, dass sich seine Blase meldete.
»Hilft ja nix«, grummelte er und schälte sich aus dem Schlafsack. Dann tappte er verschlafen aus dem Zelt und sah sich um. Im Westen war der Himmel noch tiefdunkelblau und teilweise von Sternen gesprenkelt. Im Osten brannte der Himmel geradezu. Und rundherum war immer noch alles in die wattige Schicht aus Wolken gehüllt.
Leon ging in Richtung der Treppe, wo keines der Zelte stand, und erleichterte sich. Als er wieder zu seinem Schlafplatz zurückging, war ihm, als ob er leise Geräusche hörte. Intensiv lauschend schlich er in die Richtung, aus der sie zu kommen schienen. Schließlich war er an der Felsnase angekommen. Noch bevor er seinen Kopf um sie herum streckte, war ihm bereits klar, was er dort hörte. Es war Tina, die leise gurrte und stöhnte, begleitet von Rascheln und Quietschen.
Schmunzelnd wollte Leon sich umdrehen, um sich wieder hinzulegen, aber die Töne, die Tina in ihrer Lust von sich gab, hatten auch ihn genügend in Wallung gebracht, dass er nicht mehr so einfach in den Schlaf finden würde.
Ob ich einfach mal schaue? Merkt ja keiner. Die anderen pennen und die beiden sind genug beschäftigt.
Mit einem diebischen Grinsen schlich Leon um den Felsen herum und legte sich dann so auf den Boden, dass er durch das Netz der Entlüftungsöffnung hindurchspähen konnte.
Innen drin ging es ordentlich zur Sache. Tom und Tina hatten offensichtlich bereits genug Reibungswärme erzeugt, dass sie, fast unbekleidet, auf den geöffneten Schlafsäcken lagen und sich einander hingaben. Tina lag unten und hatte ihre Beine weit gespreizt, zwischen denen ihr Freund unermüdlich daran arbeitete, sie beide zum Höhepunkt zu bringen.
Leon beobachtete sie schweigend. Bald musste es so weit sein. Und wenn sie fertig waren, dann würden sie vielleicht auch wieder etwas von dem mitbekommen, was um sie herum vorging. Er wollte nicht als Spanner entlarvt werden und war drauf und dran, sich vorsichtig zurückzuziehen, als er mit einem Mal etwas erblickte, das überhaupt nichts mit dem Pärchen zu tun hatte.
Durch einen schmalen Spalt in der Zeltklappe schien sich eine Schlange zu winden.
Leon schüttelte ungläubig den Kopf und riss die Augen weit auf.
Nein, es war keine Schlange. Aber das war noch viel unglaublicher.
Es schien ein Wolkenfetzen zu sein, der sich wie ein langer dünner Finger immer weiter ins Zeltinnere schob. Ehe Leon es sich versah, berührte das weiße nebulöse Etwas den großen Zeh von Tinas nacktem Fuß.
Als dies geschah, fing der Fuß leicht an zu zucken. Von dort aus breitete sich das Zucken durch ihren ganzen Körper aus.
Tom schien das alles nicht zu bemerken. Er arbeitete weiter fleißig an ihrer beider Ekstase.
Dann begann Tina zu kichern.
Erst kaum merklich.
Dann immer lauter, bis sogar der unermüdliche Tom es bemerkte und den Kopf, den er in Tinas Haaren vergraben hatte, hob, um in ihr Gesicht zu sehen.
Das, was er dort erblickte, veranlasste Tom dazu, ein angsterfülltes Quieken von sich zu geben und sich von Tina wegzuschieben.
Aber er kam nicht von seiner immer irrer kichernden Freundin los, so sehr er sich auch bemühte.
Leon sah all dies mit wachsender Verwirrung an, ohne sich jedoch von dem Anblick lösen zu können.
Plötzlich fingen die beiden an, sich zu bewegen.
Sie standen nicht etwa auf. Sie glitten liegend über den Boden.
Leon blinzelte und sah erneut hin.
Sie bewegten sich nicht von selbst. Sie wurden gezogen. Das weiße Ding, das mit seinem Fühler Tinas Fuß berührt hatte, hatte sich nun um ihren Knöchel gewickelt und zog Tina und den sich verzweifelt wehrenden Tom auf den Zelteingang zu. Der junge Mann blickte sich hektisch um. Sein Blick traf den von Leon und er versuchte, ihm etwas zuzurufen.
Da wickelte sich ein armdicker weißer Strang um seinen Hals und alles, was Tom herausbrachte, war ein ersticktes Gurgeln, bevor er zusammen mit der immer noch hysterisch kichernden Tina aus dem Zelt ins wabernde Wolkenmeer gezogen wurde, das sich bis zum Zelt ausgebreitet hatte.
In diesem Moment löste sich die Paralyse, die Leon befallen hatte. Er stolperte zurück. Dann richtete er sich auf und starrte ungläubig in die flauschig weiß und friedlich wirkende Wolkenmasse, aus der man noch gedämpftes Kichern hören konnte, das sich immer weiter entfernte.
»Scheiße«, entfuhr es seiner Kehle in einer Lautstärke, von der er meinte, dass sie seine eigenen Trommelfelle zum Platzen bringen müsste. Dann rannte er und schrie immer weiter unartikulierte Laute, bis er an den Zelten der anderen angelangt war.
Diese krochen verschlafen heraus und sahen Leon verdutzt und ein wenig ärgerlich an.
»Wenn das ein Scherz sein soll, dann ist er echt gelungen. Haha, ich lach mich tot«, grunzte Ralf mit saurer Miene.
»Nein, nein«, rief Leon mit sich überschlagender Stimme. »Ihr versteht nicht. Tom und Tina. Sie sind … sind … weg.«
»Hat den kleinen Schlingeln ihr einsames Wolkenschloss nicht gereicht? Ist doch egal. Die kommen schon wieder.«
»Kommen?«, krächzte Leon heiser. »Nein, die kommen nicht mehr wieder. Da war was in den Wolken. Das hat sie aus dem Zelt gezerrt.«
»Du hast die in ihrem Zelt beobachtet?«, gluckste Hannes. »Hey, da haben wir also nen kleinen Spanner, wie?«
Röte schoss Leon in die Wangen.
»Du hast echt zugesehen?«, kam es von Dani. »Und? Wie hat er sich so gemacht? War’s heiß?«
Wenigstens klang sie nicht angeekelt, sondern eher interessiert.
Das bringt mich nicht weiter. Verdammt, sie müssen doch verstehen, schoss es Leon durch den Kopf.
»Kommt mit. Ich zeig’s euch«, rief er, drehte sich um und lief zurück zum Zelt des Pärchens. Dort angekommen, legte er sich wieder in die Position, die er vor Kurzem eingenommen hatte. »Ich bin aufgewacht und als ich draußen vorm Zelt war, hör ich Geräusche. Denen bin ich hinterher und hab dann kurz hier reingeschaut. Na ja, ich geb ja zu, dass ich mal schauen wollte, was da abgeht. Aber plötzlich wickelt sich etwas Weißes, das wie ein Teil der Wolken wirkt und durch die Klappe reingekrochen war, um ihren Fuß und zieht die beiden in die Wolken rein.«
Ralf bedeutete Leon, zur Seite zu rutschen, und legte sich selbst an seinen Platz.
»Joa, von hier aus hattest du sicher nen prima Blick auf die beiden.«
Damit drehte er seinen Kopf zu Leon herum und bedachte ihn mit einem dreckigen Grinsen.
»Wenn ich gewusst hätte, dass du so tolle Schauergeschichten erzählen kannst, dann hätte ich dich gestern Abend schon drum gebeten«, bemerkte Henriette begeistert. »Aber nun ist es langsam gut. Und auch Tom und Tina können jetzt wieder rauskommen.«
Sie hüpfte eine der Stufen hinunter. Direkt bis an den Rand der wogenden weißen Masse.
»Tu das nicht«, schrie Leon. »Nicht in die Wolken!«
»Ach, komm schon«, gab sie zurück. »Was soll schon passieren?«
Mit einer übertrieben vorsichtigen Miene tauchte sie ihren rechten Zeh in das Weiß. Dann sah sie triumphierend in die Runde.
Die anderen blickten Leon, der mit schreckgeweiteten Augen aufgesprungen war, belustigt an.
»Siehst du«, sagte Henriette und breitete beide Arme aus, mit ihrem Fuß immer wieder in die Wolke fahrend.
»Komm da schnell wieder …«, begann Leon und ging mit zitternden Schritten auf die Kunststudentin zu.
In diesem Moment begann sie zu kichern.
Leon sprang vor, aber zu spät.
Mit einem Ruck wurde Henriette das rechte Bein unter dem Körper weggezogen. Sie kippte um und knallte mit dem Gesicht auf den Fels zu seinen Füßen. Ein hässliches Knirschen war zu hören, als ihre Nase auf dem harten Untergrund brach.
Die Umstehenden stießen erschrockene Schreie aus und machten ebenfalls Schritte auf die am Boden Liegende zu.
Dann hob Henriette den Kopf und sah sie an, mit Augen, die nur noch aus Weiß zu bestehen schienen. Dabei kicherte sie weiter, während ihr Blut aus der Nase über das Gesicht lief.
Leon krabbelte hektisch ein Stück von ihr weg. Dann wurde die junge Frau in die Wolken gezerrt, während ihr lautes Kichern langsam verhallte.
»Scheiße«, schrie nun auch Dani und raufte sich die Haare.
»Ich hab’s euch doch gesagt«, keuchte Leon mit versteinerter Miene, über die Tränen flossen, ohne dass er es bemerkte.
***
Die Sonne stand hoch am Himmel. Weite Teile des Gebirges rings um das Plateau herum lagen unter einem wolkenlosen Himmel da. Nur das Plateau selbst wurde immer noch von einer undurchdringlichen watteweißen Schicht umringt, von der kleine Ausläufer an manchen Stellen immer wieder über die Felseinfassung der Ebene leckten.
Die vier Verbliebenen saßen mitten auf der Fläche im Kreis um den Spirituskocher herum, zwischen den Zelten, die sie so weit wie möglich von der Kante entfernt neu aufgestellt hatten. Sie starrten mit leerem Blick auf den Wasserkessel, der schon seit mehreren Minuten Dampfwolken ausstoßend vor sich hin pfiff.
»Wir müssen doch irgendwas tun können«, murmelte Hannes tonlos.
Niemand antwortete ihm.
»Verdammter Mist«, schrie er und gab dem Kocher einen Tritt, sodass alles mehrere Meter weit durch die Luft flog und am Rand des Plateaus zum Liegen kam, nur Zentimeter von den so fürchterlich normal wirkenden Wolkenmassen entfernt.
»Bist du bekloppt?«, schrie Ralf zurück. »Erst triffst du mich fast mit dem heißen Kessel und jetzt liegt er auch noch fast in dem … Zeug. Sieh zu, dass du den zurückholst, bevor …«
»Bevor was?«, gab Hannes zurück. »Denkst du, der große weiße Riese kommt plötzlich und schnappt sich unseren Tee? Ach nee. Es ist ja bloß Wasser, weil du nur rumgesessen hast, mit den Teebeuteln in der Hand, anstatt sie ins Wasser zu packen. Hol den Dreck doch selbst.«
Er drehte sich um und verschwand in dem Zelt der beiden.
»Boah, jetzt hab dich doch nicht so«, grummelte Ralf und hievte sich hoch. Er wollte seinem Freund ins Zelt folgen, blieb dann aber vor dem Eingang stehen. Unschlüssig schaute er hin und her. Schließlich stieß er heftig die Luft aus, drehte sich wieder um und stapfte in Richtung des Kessels, der ungefähr dort lag, wo sie alle zum ersten Mal dieses Plateau betreten hatten.
»Vorsicht«, flüsterte Leon, obwohl er immer noch nicht den Blick von der Stelle hob, wo vor kurzem noch der Kessel gestanden hatte. Er erntete dafür von Ralf nur ein Grunzen.
Dieser ging kurz vor dem mit der Tülle nach oben auf der Seite liegenden Kessel in die Hocke und beugte sich ganz vorsichtig vor. Mit einer Hand auf dem Boden abgestützt, versuchte er mit der anderen nach dem Kessel zu angeln. Zuerst erwischte er zwar die Tülle mit dem Pfeifenaufsatz, bewirkte damit aber nur, dass dieser zur Seite rollte und nun sogar ein Stück über die Felskante hinausragte. Instinktiv beugte er sich ein Stück weiter vor.
Leon, der die sinnlose Betrachtung des leeren Platzes vor ihm zugunsten der Beobachtung von Ralfs Aktivitäten aufgegeben hatte, durchzuckte es wie ein Stromschlag. Mit einem Satz war er auf den Beinen und wollte einen Warnruf ausstoßen, aber bei dem, was er erblickte, blieb ihm dieser im Hals stecken.
Ralf, der selbst zusammengezuckt war, als er bemerkt hatte, was er tat, beugte sich plötzlich noch viel weiter vor und spähte über den Rand des Plateaus. Danach ließ er sich zurücksinken und drehte seinen Kopf in Richtung der Zelte.
»Hannes«, krächzte er. »Leute … kommt her. Kommt schnell. Das müsst ihr euch ansehen.« Seine Stimme wurde immer lauter und drängender, während er sprach.
»Was ist denn los?«, kam es von Hannes, der seinen Kopf aus dem Zelt herausstreckte.
»Im Ernst. Ihr müsst sofort kommen. Hier ist alles frei. Die Treppe nach unten. Wir können hier weg. Wir können weg. Weg. Weg. W…«
Mit einem Mal erstarb seine Stimme, weil sich eine Wolke wie ein weißer Sack über seinen Kopf gestülpt hatte und ihn nach hinten zog.
»Raaaalf!«
Mit sich überschlagender Stimme warf sich Hannes, der interessiert in seine Richtung getappt war, in einem übermächtigen Satz auf seinen Freund und krallte sich an seinen Beinen fest. Verzweifelt versuchte er, ihn wieder aus der erbarmungslosen Umklammerung freizubekommen.
Es schien zu funktionieren.
Das unaufhaltsame Rutschen des zappelnden Körpers von Ralf, kam zum Erliegen.
Mit lautem Triumphgeheul arbeitete sich Hannes an Ralfs Körper hinauf und machte sich daran, die diffusen Schwaden, die seinen Kopf umschlossen, auseinanderzureißen. Leon und Dani, die zuerst nur perplex zugesehen hatten, liefen auf die beiden zu, um Hannes zu helfen.
Sie waren noch zwei Schritte entfernt, als die weiße Masse mit einem gewaltigen Ruck zurückgezogen wurde. Ralfs Körper verschwand in einem Sekundenbruchteil in der wabernden Flut.
Hannes hatte den Körper seines Freundes geistesgegenwärtig losgelassen.
Aber es war zu spät gewesen.
Der Ruck hatte auch seinen Körper bereits zwei Meter über die Felskante hinausbefördert. Mit rudernden Armen und einem überraschten Ausdruck auf dem Gesicht verschwand er durch den tatsächlich vollkommen freien Bereich um die Steintreppe nach unten. Wenig später war ein Schrei zu hören, der nach einem klatschenden Geräusch verstummte.
Dani sah Leon mit kalkweißem Gesicht an und hauchte: »Da waren’s nur noch zwei.«
***
Die Sonne ging unter.
Zum dritten Mal, seit die Gruppe diese Hochebene betreten hatte, verwandelte der feurige Ball den Himmel und die umliegenden Berggipfel in ein prachtvolles Spiel aus Rot- und Blauschattierungen.
Aber Leon hatte keinen Blick für die Schönheit, die sich ihm präsentierte.
Eins, eins, eins, ging es ihm fortwährend durch den Kopf.
Seit es auch Dani erwischt hatte, war aus der Zwei die einsamste aller Zahlen geworden. Wer hätte denn auch ahnen können, dass dieses Ding sich sogar durch eine millimeterschmale Felsspalte schieben konnte. Mitten auf dem Plateau stehend, war sie plötzlich ganz steif geworden.
Dann begann das Kichern.
Eine ganze Stunde lang waren diese Töne aus ihrer Kehle gedrungen, während sie einfach nur dastand, wie zur Salzsäule erstarrt und mit Nebel in den Augen.
Und er hatte nichts weiter tun können, als sich mit zugehaltenen Ohren an der Felsnase zusammenzukauern und darauf zu warten, dass es aufhören würde. Schließlich war auch ihr Körper quälend langsam auf die Felskante zu gezogen worden, um dann in den Schwaden zu verschwinden.
Seitdem war er allein.
Das Essen war inzwischen fast aufgebraucht. Wasser gab es auch nicht mehr. Und an Schlaf war nicht zu denken. Die Bilder, die er dann sah, waren einfach zu fürchterlich.
Kurz bevor die Sonne den Horizont berührte, straffte er seinen Körper und schob sich an der Felsnase, die für eine Weile zu seinem Refugium geworden war, nach oben, bis er stand. Dann stieß Leon sich ab und begann zu rennen.
»Jetzt wollen wir doch mal sehen, was zur Hölle da so gottverdammt lustig ist«, schrie er und sprang.
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