Kitabı oku: «'I'-Gene», sayfa 4

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Berlin-Grunewald, Macapá, 2054 n. Chr.: Aufzug zu den Sternen

Peter O. las es in der Tageszeitung: 'Der Space-Elevator 'ES' in Macapá soweit einsatzbereit. Erste unbemannte Test-Transporte werden durchgeführt.'

Die ersten Materialien, zunächst noch mit einer kleinen Maximallast von 50 Kilo, rollten gemütlich in den Himmel und dann in den Weltraum. Die Geschwindigkeit war zunächst, mit 25 Stundenkilometer, ja sehr bescheiden! Die weite Entfernung wurde in jeweils 10 km lange Teilabschnitte gegliedert, die mit sogenannten Transfer-Stationen verbunden wurden. Immerhin waren das insgesamt 3358 Stück! Der erste Versuchstransport dauerte immerhin beinahe zwei Monate! Es war jedoch geplant, das Tempo allmählich auf 250 – 400 km/h zu steigern, so dass ein Transport auf unter vier Tage reduzieren würde. Außer-dem war geplant, parallel Mehrfach-Shuttles an einem Seil einsetzen zu können. Das Projekt ergab nach Abschluss die Möglichkeit, große Mengen an Material auf kostengünstige Weise in den Weltraum zu transportieren.

Es wurde schon diskutiert, dass, eine Reihe von Außen-stationen ähnlich, aber natürlich sehr viel größer, als die alte 'ISS' gebaut werden sollten. Angedacht wurden riesige Röhren-Räder mit Speichen, die sich, wie im Film 'Odyssee 2001 im Weltraum', zu Walzerklängen drehten, um eine Schwerkraft für die Bewohner im Inneren zu erzeugen.

Peter schlug sorgfältig die Zeitung im Café 'Bristol' am Ku' damm zusammen; er hasste es, wenn die Zeitung von einem Vorgänger völlig zerknüllt war und wollte es dem nicht antun, der nach ihm das Journal las. Oft saß er in dem etwas verstaubten Lokal am Ku'damm und sah sich schon als Teil des Interieurs dort an. Als pensionierter ‚Post-Prof‘ hatte er eh' ausreichend Zeit. Dann nahm er den 249er Bus in den Grunewald und ging in sein Büro.

Dort nahm er seine Sternkarten, wie jeden Morgen, hervor. Er rechnete, beschrieb ganze Excel-Seiten voll mit komplizierten Formeln und plötzlich fing sein faltiges Gesicht zu lächeln an. „Ja, das sollte so gehen!“, sagte er ganz stolz zu sich. Alte Menschen reden gerne mit sich selbst, weil viele in ihrem Umfeld weggestorben sind und sie nur noch wenige haben, mit denen sie kommunizieren können. Dann loggte er sich in seinen Blog ein und schrieb:

17.04.2054

Das ‚Sternentor‘ öffnet sich am 16. März 2880.

Eine in diesem Jahrtausend nicht wiederkehrende Chance bietet sich der Menschheit:

1950 DA, ein Asteroid mit einer Umlaufzeit von 930 Jahren, nähert sich der Erde, so dass auf diesem Himmelskörper eine fliegende, 'bemenschte' Raumstation errichtet werden könnte. Das sollte von einer entsprechend zu errichtenden Mondaußen-station erfolgen. Der zügige Ausbau des ‚ES’ und die konsequente Anwendung aller ‚SPGM‘-Regeln sind dafür unumstößliche Voraussetzungen.

Damit könnte der Startschuss für die Besiedelung des Weltalls durch die Menschheit starten.

Wir haben nur noch 826 Jahre für die Vorbereitung! Die große Frage ist: Wie lösen wir das Energie-Problem?

Peter O. war höchst befriedigt, in seinem jetzt schon so langen Leben den – wie er es empfand – wichtigsten Beitrag geleistet zu haben. Er war noch so klar im Kopf, dass ihm bewusst war, dass noch nie ein Projekt über einen Zeitraum von 826 Jahren gestartet wurde. Aber er war sich auch sicher, dass die Überwindung der Ignoranz seiner Mitbewohner das größte Hindernis sein und die meiste Zeit verschlingen wird.

„War es nicht vor ziemlich genau 100 Jahren auch so, als die USA die Entwicklung ihrer Raketentechnik völlig verschlafen hatten und nur durch die Konkurrenz der Russen die Ignoranz endlich in den Sechzigern überwunden wurde?“ dachte Peter O. und schmunzelte, „vielleicht kann ich ja aus der Geschichte lernen. Sollte ich von vorne herein zwei sich streitende Gruppen initiieren? Ausgerechnet mir, dem alten 'Post-Prof', wird eine immer stärker in sich selbst verliebte Jugend keine Gefolgschaft leisten. Eine junge Generation, die die Achtung vor dem Wissen der Alten verloren hat, weil Wiki alles besser weiß! Die Alten hatten sich da selbst ein Kuckucksei gelegt. Schließlich hatten doch alle die 'Post-Profs' und emeritierten Experten das in Wiki niedergelegt, was sie wussten. Jetzt fiel es wie ein Totschläger auf sie zurück! Keiner der Jungen befragt die Alten mehr! Alle fragen Wiki!“ Peter schlief über diesem Gedanken, auf seinem Schreibtisch gebeugt, ein.

Ein Piepsen seines Computers weckte ihn wieder auf und zeigte den Eingang einer Antwort in seinem Blog an. Es meldete sich ein unbekannter Volkswirtschaftler, der sich Karl-Eugen Marx nannte. Peter O. fragte sich, ob dieser Name wohl ein Pseudonym sei und las:

17.04.2054

Der Kapitalismus ist gerettet!

Falls die Menschheit in der Lage sein wird am16. März 2880 das vorhergesagte Sternentor zu nutzen und in das Weltall vordringen sollte, wird das Dilemma des Kapitalismus Vergangenheit sein! Die Grenzen des Wachstums auf der Erde als Antriebskraft dafür gehen immer stärker zur Neige. Aber im Weltall wird die Menschheit unendliche Quellen für weiteres Wachstum finden!

Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist jede Anstrengung das Sternentor zu nutzen voll und ganz zu unterstützen. Ja, ich gehe noch weiter, zu behaupten, dass sogar der Fortbestand des Kapitalismus und somit der ganzen Menschheit von einem gelungen Start ins Weltall abhängt!

Peter O. war ein Astronom. Er hatte nur in der Schule von den Erkenntnissen von Karl Marx zum Kapitalismus gehört. Auch hatte ihn auch ein kleines Büchlein damals beschäftigt mit dem Titel: 'Die Grenzen des Wachstums'.

Aber das Argument von Karl-Eugen M. schien für ihn folgerichtig.

London, 2054 n. Chr.: London Eye

„Björn, Björn, wo bist Du nur?“, rief Thor laut durch seine Abteilung, „ist der Kerl etwa immer noch nicht da? Immer diese unzuverlässigen Mitarbeiter!“ Björn kam gerade aus der Toilette, als sein Boss ihn fast umrannte. „Darf man denn hier nicht einmal zum Pinkeln?“, fragte der Mitarbeiter scharf. Etwas verdattert, aber schlagfertig, legte Thor seinen Arm um ihn und schob ihn in sein Büro. Der Chef wusste genau, dass sein Mitarbeiter mit Berührungen am ehesten zu beruhigen war. „Björn, hör zu! Setze dich bitte in den nächsten Flieger nach London und kontaktiere Mr. Fitzgerald im British Museum. Ich habe ihn schon per E-Mail verständigt, er erwartet dich. Du musst mit ihm – ich weiß er ist der beste Spezialist dafür – Du musst mit ihm heraus-finden, was es mit dem kleinen Hundeknöchelchen auf sich hat! Woher kommt das? Gibt es noch mehr Material für unsere Sequenzierungen?“ „Chef, was ist das für ein Kamikaze-Auftrag! Glauben Sie wirklich, ich kann da etwas erreichen? Das gibt doch nur eine nette Sightseeing-Tour!“ „Wenn du die Sache so angehst, natürlich! Hey Junge, ich erwarte etwas mehr Biss“, konterte der Chef. „Ich bin doch kein Vampir!“, gab Björn sehr schlagfertig zurück. „Du hockst so schnell als möglich im Flieger und siehst, was du erreichen kannst! Hugh! Ich habe gesprochen!“ Immer wenn Thor diese Floskel frei nach Karl May deklamierte, wussten seine Mitarbeiter, dass alle Diskussion vergeblich war.

Noch am gleichen Tag gegen Abend saß Björn in einem Billig-Flieger nach Stansted. Er nahm den Express-Bus nach Kings Cross und lief zu einem nahegelegenen Hostel, wo er ein Zimmer gebucht hatte. Er wollte das Reisebudget des Instituts nicht allzu sehr mit seiner Vergnügungsreise belasten und war immer noch nicht überzeugt, dass er die kleinste Chance auf einen Erfolg haben würde. Am nächsten Tag frühstückte er Toast, Margarine mit Buttergeschmack und Jam, im Keller des Hostels zu einem dünnen Kaffee und nahm ein Taxi von Kings Cross, wohl wissend, dass es nach Holborn zum Museum nicht weit war. Noch immer hatte er den muffigen, ungelüfteten Geruch der Kissen und Decken des Hostels in der Nase. Pünktlich um 10 Uhr war er da und Mr. Fitzgerald empfing ihn, wie verabredet, am Haupteingang. „Welcome Björn! I am Patrick!“, sagte Fitzgerald, gab ihm die Hand und umfasste mit seiner anderen Björns Unterarm. Dieser fragte sich sofort, ob wohl Patrick so wie er gepolt war? Auszuschließen war es nicht! Nachdem beide gemerkt hatten, dass Björns Englisch etwas holprig war, schwenkte Patrick in eine Art Schwyzerdütsch um. „Du musst wissen, ich habe eine Weile in Bern gelebt“, erklärte er. Björn war erleichtert und Patrick kam mit seinem Leipziger Dialekt gut zurecht.

Patrick zeigte ihm in einem kurzen Schnelldurchgang das Wichtigste des Museums und dann verzogen sie sich in das riesige Asservaten-Lager. „Thor hat mir schon von seiner bahnbrechenden Entdeckung berichtet.“ Patrick zog eine Schublade auf und Björn sah etwa 200 Knöchelchen dort liegen. Alle sorgfältig nummeriert. „Hier, Nummer '192837', müsste euer Goldstückchen sein. Siehst du, hier wurde die kleine Probe für Eure Sequenzierung entnommen.“ Björn war verblüfft, dass sich das alles so geordnet anließ. „Was sind das andere für Knochen?“, fragte Björn. „Nun, das müssten zunächst alle sein, die damals von Carter gefunden wurden. Ich habe das Dokument von Carters 'Servant' gelesen, das mir Andromeda von euch in Leipzig geschickt hatte. Sie hat wirklich einen tollen Fund gemacht.“ Manchmal fiel Patrick das deutsche Wort nicht ein und er beließ es beim Englischen. „Das heißt, dass wir alle diese 200 Proben sequenzieren müssten, um zuordnen zu können, welche Knochen zusammen gehören!“ Björn trat der Schweiß auf die Stirn. Er sah schon, dass diese Arbeit an ihm hängen blieb. „Das ist doch nicht alles! Hier, die nächsten Schubladen beinhalten auch Knochen aus der Ausgrabungskampagne von Carter. Diesmal waren allerdings große Ober- und Unterschenkelknochen dabei, die Björn eindeutig als ‚human‘ einordnete. „Diese kommen wohl nicht in Frage, die sind doch nicht vom Hund, oder?“, stellte er fest. „Wohl kaum!“, bestätigte Patrick.

„Habt ihr denn eine Ahnung, von welchem Körperteil dieses Hundeknöchelchen sein könnte?“, fragte Björn. „Nein, nicht wirklich!“ erwiderte Patrick enttäuscht. Sie schauten sich alle Fundstücke genau an und wurden immer ratloser. Die Zeit verflog wie im Fluge.

Schließlich schob Patrick alle Schubladen wieder zurück und sagte zu Björn: „Ich sehe, wir kommen nicht weiter! Wir brauchen eine Luftveränderung! Ich habe da eine Idee, komm mit!“ Patrick nahm Björn am Arm, sie verließen das Museum und stiegen ins nächste Londoner Taxi. „To London Eye please“, gab Patrick dem Driver Anweisung und kurz darauf fand sich Björn in einer Glasgondel des Londoner Riesenrads wieder. Patrick wusste natürlich nicht, dass Björn extreme Höhenangst hatte. Dieser hielt sich schon gleich zu Anfang auf der hölzernen Sitzbank fest und vermied es, nach unten zu schauen. „Na, habe ich dir zu viel versprochen? Das ist doch eine echte Luftveränderung! Wir werden 135 m über der Stadt kreisen! Da ist die Luft viel besser!", triumphierte Patrick. „Wenn du meinst“, erwiderte Björn kleinlaut. Als sie ganz oben angelangt waren, konnte sich Patrick nicht mehr halten und zog Björn am Arm von der Mitte an die Glaswand. Björn schrie nur: „Nein! Nein! Ich habe extreme Höhenangst!“ Er wurde ganz panisch und Patrick schlang seine Arme wie zum Schutz um ihn. Dabei kam seine Hand an Björns Schlüsselbein, das ziemlich heraus stand. Björn stürmte zurück auf die Holzbank, schloss die Augen und setzte sich. „Das ist es: 'Schlüsselbein'! Das ist die Lösung! Ich bin sicher, der kleine Knochen ist ein Teil eines Hunde-schlüsselbeins.“ Björn verstand gar nichts mehr und wollte in seiner Panik nur raus. Patrick hatte alle Mühe, ihn davon abzuhalten, den 'Not-Aus-Knopf' zu drücken. „Sorry, Patrick, aber ich muss mich jetzt etwas erholen. Das war zu viel für mich! Außerdem geht mein Rückflug in vier Stunden. Ich sollte mich auf die Socken machen.“ Er ließ Patrick wie einen begossenen Pudel mit einem Hundeschlüsselbein stehen.

Am nächsten Tag hatte Thor großspurig ein Gruppenseminar mit dem Titel ‚Björn berichtet über die Recherche-Ergebnisse im British Museum‘ angekündigt. Auch Andromeda wurde eingeladen. Björn schwante schon zu Anfang, dass dies sein Waterloo bedeuten würde. Alle saßen gebannt im Seminarraum und der Beamer summte. Björn kam mit hochrotem Kopf herein und stellte sich an das Rednerpult. "Ja, Herrschaften…“ stotterte er. „Ergebnisse wollt ihr hören …“, er räusperte sich erneut. Dann deklamierte Björn mit einem vielsagenden Lächeln: „Patrick hat mir im London Eye ganz oben an mein Schlüsselbein gefasst und meinte, das Knöchelchen sei ein Teil eines Hundeschlüsselbeins. Keine Ahnung, wie er dazu kommt! Das war's!“ „Was? Das war's?“, empörte sich Thor. „Ja“, Björn schaltete den Beamer aus und fragte: „Sonst noch Fragen?“ Da meldete sich Andromeda: „In dem Bericht von Carters Diener ist die Rede von einer ganzen Reihe von Knochen, die zusammen gefunden wurden. Wie viele sind das denn und sind die alle erfasst und katalogisiert?“ „Gute Frage, Andromeda!“, heuchelte Björn. Er wollte dieses Thema eigentlich vermeiden. „Ja, es sind etwa 250 Knochen, aber auch viele eindeutig humanen Ursprungs, Oberschenkel, Ellen, Speichen, Rippen.“ „Na, das ist doch etwas! Ran an den Speck! Fitzgerald soll Proben nehmen, wir sequenzieren alle, zumindest einige wichtigen Gene von jeder Probe zur Eingruppierung!“ Björn wurde bleich. Das war Arbeit für ein Jahr! „Wenn sie meinen Chef“, sagte er kleinlaut.

Björn war nur noch am Sequenzieren. Er hatte mit den kleinen Knochen begonnen, weil er dachte, dass er bei denen eher eine Chance hätte, ein Canoidea-Gen zu finden. Aber sie waren alle von humanem Ursprung. Als letztes nahm er sich die Probe Patricks von dem großen Oberschenkelknochen vor. Er war völlig demotiviert und wollte schon kündigen. Da geschah es: er fand eine Übereinstimmung von 99,8%. Das Hundeschlüsselbein und der Menschenoberschenkelknochen waren eindeutig von ein und demselben Individuum! Wie konnte das sein?

Thor erzählte Andromeda von den Ergebnissen und die sagte nur kurz: „Ich hatte gleich an 'Anubis' gedacht, als ihr dieses 'Hucanoidea-Genom' beschrieben hattet.“ „Können wir es wagen, eine solche These ernsthaft in einem seriösen wissenschaftlichen Journal zu publizieren?“ Thor war das erste Mal in seinem Leben ratlos.

Leipzig, 2054 n.Chr.: Andromeda erleidet einem literarischen Interruptus

Sie sehnte sich im Stillen einen Orgasmus herbei und scrollte in dem bei eBay gekauften Dokument, um wieder eine ‚scharfe‘ Stelle zu finden. Der Zusammenhang an sich interessierte sie zunächst weniger. Der erschien ihr in dem gefundenen ‚Werk‘ eh sehr wirr. Ihre Augen stolperten über einen Begriff als Überschrift, der sie neugierig machte:

Schwefelgasig‘

Wir sehen ein vertrautes Bild: Ich sitze arbeitend im Zug. Ich, Walt, der Mann, der benannt ist nach Walter Faber, nein bitte noch einmal, aber mit englischer Aussprache: Walter Faber, der ja gerade in New York wohnt und mit Ivy Schluss machen will. Eben gerade jener Walter Faber, der Held aus Max Frischs Roman HOMO FABER.

In welcher Zeit befinden wir uns? Sitzen wir hier einer fast vergessenen Romanfigur der fünfziger Jahre gegenüber, der hageren Gestalt eines Sam Shepard, aber einem Gesicht wie Robert Redford, angezogen mit einem weiten, fast zu großen Jackett? Seinen breitkrempigen Hut hat er auf den Tisch neben sein Notebook gelegt, auf dem er gerade konzentriert tippt. Sein blondes Haar hat er wild ohne Scheitel nach hinten gekämmt. Er fährt in einem ICE der 3. Generation mit Neigetechnik, den Zügen, die die Steckdosen für Notebooks unter jedem Sitz haben. Er reist oft mit dem Zug, aber auch mit dem Flugzeug, nur selten mit dem Auto, jedoch fast immer, um seinen Geschäften nachzugehen, wie einst der Walter Faber, der Macher, der HOMO FABER, der Mensch als Handwerker.

Nein, der echte Walter Faber kann ich wirklich nicht sein. Ich reise zwar auch viel, wie er, und tippe dabei, wie er. Aber ich benutze keine schlanke, leichte 'HERMES Baby', die elegante, mechanische schweizerische Reiseschreibmaschine, die keine Energie aus Steckdosen benötigte, damals. Nein, ich benutze heute ein Notebook unter Windows.

Dennoch ist die Ähnlichkeit von mir mit Walter Faber frappierend! Handelt es sich hier etwa um eine Wiedergeburt, ein Baumscher Klon? Oder nur um einen Menschen, der die Romanfigur nach lebt? Jedenfalls benimmt er sich gerade eben wie sein literarisches Vorbild, einen Liebesbrief an seine Freundin tippend. Einen Liebesbrief in exakt gedruckten Lettern, die Ausdrucksform des Technokraten. Genauso übernahm Walt es von seinem Idol und hielt es sein Leben lang auch durch: In jungen Jahren schrieb er Liebesbriefe mit seiner Schreibmaschine, einer alten somnambulen AEG, die noch dieses typische runde Schriftbild der 20er Jahre hatte. Auf diese, meine AEG war ich stolz, damals und identifizierte mich mit ihr, die ich noch zu Schulzeiten von einem Händler gebraucht, jedoch generalüberholt, gekauft hatte. Sie war in ihrer Wuchtigkeit ein echtes Bollwerk und symbolisierte die Schwere meiner zögerlichen literarischen Anfänge. Aber ich trotzte ihr dennoch einige Texte ab – damals.

Wie so ganz anders war dagegen die schlanke 'HERMES Baby' meines Vorbilds. Wie scheinbar leicht und elegant schien der Held meines Lieblingsromans mit dieser Maschine Sätze zu formulieren. In meiner Fantasie verschmolz ich immer völlig mit dem Autor. Eine 'HERMES Baby' war damals etwas vom Feinsten, Schweizer Hightech, für eine solche Maschine war unser junger Walt nicht reif und außerdem konnte er sie sich nicht leisten, damals. Er, der er lediglich auf seiner gebrauchten alten AEG die ersten Buchstaben sammelte, seine eigene Handschrift verachtend, die Klarheit der Maschinenschrift bevorzugend.

Wie anders ist alles jetzt im Hier und Heute: Ich habe es geschafft und jette durch die Welt, genau wie er, Walter Faber: Jetzt, im ICE 'Clara Schumann', auf dem Weg von Weimar nach Frankfurt, tippe ich auf meinem Notebook mit dem triumphalen Gefühl, eine riesige technologische Überle-genheit über Walter Fabers 'HERMES Baby' zu benutzen, wenn ich ausreichend Energie habe. Höre ich doch auch noch gleichzeitig ein Chopin-Klavierkonzert aus dieser Maschine über Kopfhörer. Der Pentium-Prozessor im Notebook erledigt das alles mit links. Die MP3-Technologie komprimiert Musik in höchster Qualität, so dass meine Festplatte keinerlei Speicherplatzprobleme hat. In welcher Steinzeit lebte dagegen Walter Faber in den fünfziger Jahren?

Etwas enttäuscht, hier keinen erotischen Text zu finden, den sie als Onanier-Vorlage missbrauchen könnte, versuchte Andromeda diesen Text einzuordnen. Sie schloss, dass er sehr viel später als der letzte geschrieben sein musste. Das 'Ich' hatte jetzt sogar einen Namen und war kein Student mehr, sondern ein 'Macher' und er gestand, dass er sich nebenbei als Schriftsteller betätigte und als solcher fühlte.

Ob 'Walt' wirklich sein Name war, oder nur eine literarische Fantasie, ging nicht aus dem Text hervor.

Ich, Walt, höre gerade den zweiten langsamen Satz des Konzerts und träume vor mich hin. Fließen Gefühle aus der Musik in meinen Liebesbrief? Beende ich ihn mit einem Hauch Chopinscher Sehnsucht?

Zwischen den Sitzen schauen mich zwei Mascara-Augen in dunklem Braun an. Eine Frau vom Typ, wie sie Modigliani gemalt hat. Aber ich bin noch im Banne meiner Freundin, an die der Liebesbrief gerichtet war. Deswegen bin ich nicht in Stimmung für einen Flirt. Ich kann heute nicht so schnell von einer zur anderen weiblichen Aura wechseln.

Andromeda war wiederum enttäuscht. Sie hatte sich jetzt etwas anderes erhofft. Aber ihr Frustrationspegel war noch nicht so hoch, um ihre Lesung abzubrechen.

Passen Walts geflickte Jeans, die wir auf den ersten Blick unter dem Jackett wohl übersehen haben, zu ihm und seinem aus der Literatur entliehenen Erscheinungsbild? Stammen die Hosen noch aus Zeiten seines Studiums? Oder war es irgendein anderer Chemieunfall mit Batteriesäure, H2SO4-verdünnt, als er wieder einmal das obligatorische 'Basisexperiment' eines jeden Chemiestudenten in den ersten Semestern wiederholte? Diese Chemikalie verträgt sich nämlich nicht mit dem auch noch so groben Baumwolljeansstoff. Kleinste Spuren, die wie auch immer auf den Stoff gelangen, ergeben beim nächsten Waschen ein Loch. Walts Studienzeit liegt jetzt schon einige Zeit zurück, er ist inzwischen Geschäftsführer und auf dem Wege zum Notar, um dort verbrieft sogar Vorstandsvorsitzender der vom ihm mitgegründeten Aktiengesellschaft zu werden. Ein interessantes Leben: Mit Höhen, gerade heute, und Tiefen, im letzten Quartal, wo alles einzubrechen drohte und er sich wie Herkules vorkam, alleine das Firmenfirmament stützend. Die Steuerungssoftware für den Roboter eine ‚nightmare‘! Konzept falsch, Berater falsch, kein Geld. Ein übler Sumpf? Wo war der Halt, an den er sich klammern und sich und seine Mitarbeiter herausziehen konnte? Es war schließlich sein Netzwerk! Seine Kontakte brachten eine Lösung. Dieses Beispiel zeigte, dass Walt sich mit einer von außen, vielleicht als Fatalismus zu bezeichnenden Haltung, in problematische Situationen stürzte. In Wirklichkeit war es nicht Fatalismus sondern die feste Gewissheit, immer eine Lösung zu finden.

Gleich wird sich Walt seiner neuen Lektüre widmen: Günter Grass, das weite Feld der Wiedervereinigung beschreibend. Eine interessante Konstruktion, diese zwei oder sogar drei Engel über Berlin: Fonty, Hoftaller und sein britisch-schottisches Engelspiegelbild Tallhover. Einer, in der Beschreibungen Fontys mit Schnauzbart, trägt die Gesichtszüge des Autors.

Der Koch des Speisewagens, mit österreichischem Akzent, öffnet die Abteiltür und bietet charmant Kaffee an. Nein, kurz vor 8 Uhr abends ist es Walt zu spät für dieses Genussgift. Er hat heute über Tage sowieso zu sehr gesündigt: drei Tassen mit Koffein! Das ist sehr viel für ihn und putscht ihn jetzt am Abend auf. Deshalb ist er jetzt noch so fit.

Walt wird heute den Flachmann einweihen, den er an Weihnachten von Geraldine geschenkt bekam. Dieses Geschenk war für ihn völlig unverständlich, denn sie stänkerte immer gegen seinen Alkoholgenuss, den sie als 'Sucht', er dagegen als 'Genuss' bewertete. Aber dann schenkt sie ihm doch diesen Flachmann. Aber so unlogisch sind nun einmal Frauen. Walt erinnert das silbrig-edelmetallene Gefäß immer an Jack Nicolson, in 'Easy Rider', mit seinem Arme-wie-Flügel-Schlagen und 'nick-nick' Deklamieren, wenn er einen Schluck nimmt.

Walt hatte das Gefäß zu Hause mit Eigenmarke „Haunshofer Affenschaukel“, dem Gemeinschaftsprojekt von seinem Vater und ihm befüllt: Walt hatte die Zwetschgen geerntet, Maische in Oberbayern hergestellt und sein Vater hatte im Auto alles an die Bergstraße zum Brennen gebracht. 24 Liter Zwetschgenschnaps, Jahrgang 1997, die Hälfte ließ er seinem Vater zurück, an der Bergstraße, den Rest genießt er 2001 immer noch.

Er scheut sich, den Alkoholiker hier öffentlich zu mimen. Wird er sich trauen und den Flachmann auch nach USA mitnehmen? In das Land der Antialkoholiker, oder besser, das Land aller heimlichen Alkoholiker? Dort wo das Trinken von Alkohol in der Öffentlichkeit sogar unter Strafe steht?

Sein Flug geht in vier Tagen: Frankfurt, über LA nach Palm Springs und zurück über Denver, Philadelphia, Washington und New York. Er freut sich auf New York besonders, das letzte Mal war er vor zwanzig Jahren dort.

Walt liest weiter in seinem Buch 'über die weiten Felder' und stolpert über eine interessante Stelle. Grass fällt das Folgende auch auf. „...immerhin ist der Arbeiter und Bauernstaat mit dieser oft minderwertigen Kohle beheizt worden und entsprechend gasig roch es landauf und landab, falls einem Staatswesen ein solch eigenständiger Geruch nachgesagt werden kann“. Schön formuliert, 'gasig' ist ein wunderbares Wort, aber Walt mit seinem Chemiker-Hintergrund hätte wohl doch etwas präziser 'schwefelig' oder noch besser 'schwefelgasig' formulieren wollen. Er weiß sehr gut, was der spätere Nobelpreisträger gemeint hatte, und Erinnerungen an die Berliner Winterinversionswetterlagen steigen in ihm auf. Dann konnte auch die selbständige politische Einheit Berlin-West nicht einen frischen, freiheitlichen Geruch erzeugen und musste die DDR-Kohle in den abertausend Kachelöfen der Altbauwohnungen des damaligen letzten weißen Kreises verheizen.

Andromeda glaubte jetzt mehr zu wissen. Der 'Ich' genannte, Walt, war ein kreativer Chemiker, der sein Berufsleben literarisch verarbeitete.

Dennoch fühlte sie sich frustriert, wie bei einem 'schwefelgasigen Interruptus', und eine erhoffte sexuelle Erfüllung hatte sie diesmal nicht bekommen. War das nicht bei Bruckner auch manchmal so?

Um ihr sexuelles Gleichgewicht zurück zu gewinnen, rief sie mit dem Smartphone Mike an, ihren Call-Boy. Dieser verstand es auf einfühlsame Weise, sie doch noch zu einem Superorgasmus zu bringen, so dass sie danach selig einschlafen konnte. Wie würde sie nur ihr trostloses Singledasein ohne ihn durchstehen?

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