Kitabı oku: «Kann Mahler Monroe lieben?»
C.-A. Rebaf
Kann Mahler Monroe lieben?
Gerstenmayers erster Fall - Ein erotischer Roman
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
Titelbild
Titel
Impressum
Widmung
Unterwegs mit Erdfrüchten
Der rote Paco-Paco
Wien, St. Marx
Eine Lovestory danach
Über die Donau
Grinder spielt Orgel
Ein Brief von Marietta
Schauspielern müsste man können!
Mariahilf
Opus 1
Kuhmist und Mozartkugeln
Im gelben Sandstein
Wieder über die Donau
Wo ist der Prof.?
d-Moll und F-Dur im Fieberwahn
Marietta im Bunker
Composer
Donau-Paco-Paco-Schifffahrt
B’suffa!
Grinder ist plötzlich Vater
,Mulde 1'
Marlene
An der Schweizer Grenze
Zwei Genies
Baum taucht wieder auf
Grinder und Blondie
Eine schwangere Leiche
Spielchen
Gerstenmayer als ,Der Alte'
Die Klon-Story
Trauer um Blondie
Marietta und Hannes in Wien
Alarm!
Das SM-Paar zieht los
Wanted: Marlene
Verdacht
Wandel einer Beziehung
Gerstenmayer kombiniert messerscharf
Der Tod und das Mädchen
Marlenes wenige Reste
Musikexperten unter sich
High Noon in Wien
Italienische Konzertreise
Zerstrittene Genies
Gerstenmayer löst den Fall
Epilog
Danksagung
Weitere Titel
Impressum neobooks
Titelbild
Titel
C.-A. Rebaf Kann Mahler Monroe lieben? Gerstenmayers erster Fall Erotischer Roman wespen-kontor
Impressum
Etwaige Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig.
Alle namentlich genannten Personen sind frei erfunden. Enthält deutliche Beschreibungen sexueller Handlungen und ist nur fürErwachsene geschrieben. Text und Buchumschlag: Alle Rechte bei C.-A. Rebaf 2017 - 2019 1. Auflage ,Leipziger (Gen-)Allerlei' mit Lektorat Christiane Lober, Halle 4. Auflage Lektorat Ralf Rabemann, Böblingen ISBN 978-3-7427-3365-8
Widmung
Für Sabeth in sehr tiefer Liebe.
Unterwegs mit Erdfrüchten
An einem warmen Spätsommertag wollte ich mich gerade zur nahe gelegenen Stadt begeben. Der Weg, der früher einmal eine asphaltierte Landstraße gewesen war, stellte heute nur noch eine Ansammlung von Schlaglöchern dar. Ich verließ soeben mein Dorf und passierte die letzte Hausruine an der Straße. Dann kamen die Felder, von denen nur einige bestellt waren. Dazwischen wuchs auffallend hohes Gebüsch, aus dem die neuen Baumriesen hervorragten. Der radioaktive Fall-out nach der Katastrophe soll deren Wachstum verursacht haben. Als diese Mutationen die ersten Male aufgetreten waren, hatte man sich noch gewundert. Heute, später, gehörten sie bereits zur normalen Landschaft: Bäume wie tropische Urwaldriesen standen jetzt hier in Oberbayern. In Hiroshima sollen nach dem Bombenabwurf auch überdimensional große Blumen geblüht haben. Aber das war ja lange, lange vor der Katastrophe gewesen, die nur wenige Menschen überlebt hatten. Die meisten waren allerdings an ihren Folgen, nicht am Ereignis selbst gestorben. Heute in der Zeit danach leiden wir immer noch sehr unter den Auswirkungen, sagten einige. Aber die meisten hatten sich wie ich arrangiert. Meine Eltern hatten die Katastrophe überlebt. Denn sie gehörten zu denen, die zunächst eine natürliche Toleranz gegenüber radioaktiver Strahlung aufwiesen. Nur solche Menschen überlebten. Aber auch meine Eltern sind inzwischen an den Spätfolgen gestorben. Ich hingegen war noch sehr klein gewesen, als es geschehen war, und habe ihre Resistenz-Gene wohl geerbt.
Da blitzte mir in der Mittagssonne etwas Golden-Metallisches neben meinem Weg vom Feld her entgegen. Ein harter, scharfer Lichtstrahl, eine Reflexion blitzte dort kurz auf. Da hielt ich inne und ging auf das Feld: Das obere Ende eines Zylinders ragte dort aus der Erde. Offensichtlich war der Gegenstand durch das letzte Umpflügen an die Oberfläche geworfen, aber nicht beachtet worden. Eilig begann ich mit bloßen Händen zu graben und hielt kurz darauf einen knapp ein Meter langen Zylinder in der Hand. Er war aus Bronze oder Kupfer, und Grünspan bedeckte fast die gesamte Oberfläche. Warum blieb eine kleine Fläche des Metalls an der Oberseite frei, sodass ich die Lichterscheinung sehen konnte? Der Zylinder war in zwei Hälften geteilt; und seine Mitte war so gearbeitet, dass man sie aufschrauben können sollte. Das versuchte ich, aber es gelang mir nicht. Kurzerhand steckte ich das Ding in den Rucksack und ging meines Weges. Was mochte sich darin wohl befinden? Gold? Diamanten? Papiere?
Von Ferne ragte ein ausgebrannter Kirchturm aus einer Ansammlung von Mauerresten. Das war sie, die nahe Kleinstadt oder – besser – war sie früher einmal gewesen. Nur wenige Häuser waren bewohnt. Wir brauchten die anderen Ruinen nicht mehr. Es lebte heute, nach der Katastrophe, vielleicht noch ein Prozent der Menschen, vielleicht auch weniger. Niemand wusste das so genau. Wir befanden uns wieder im Mittelalter, wohnen in kleinen Gruppen, fast ohne jegliche Vernetzung untereinander. Meine Eltern hatten mir einmal etwas von Reisen erzählt. Schon dieses Wort kannten wir eigentlich nicht mehr, denn man konnte nicht mehr reisen. Es gab keine Transportmittel und keine Straßen mehr. Früher sollte es möglich gewesen sein, sich wie ein Vogel auch durch die Lüfte fort zu bewegen. Das vermochte ich mir überhaupt nicht mehr vorzustellen. Wir pflegten nur noch zu Fuß zu gehen und legten auf diese Weise Entfernungen zurück, die wir in ein, maximal zwei Stunden schafften. Länger sollte man sich auch nicht an einem Stück draußen aufhalten.
Es war ruhig hier auf meinem Fußmarsch, und so konnte ich mich ganz meinen Gedanken hingeben. Nur die Vögel zwitscherten. Ganz von ferne hinter mir hörte ich einen meiner Nachbarn mit seinem Paco-Paco ein Feld abernten. Ich kannte das Motorengeräusch. Nach der Katastrophe hat ein überlebender Südamerikaner diese Art Vehikel aus alten Schrottautos gebaut und ihm den Namen seiner Heimatsprache gegeben. ‚Paco-Paco‘ gab so wunderbar lautmalerisch das Geräusch des Diesels wieder. Diese Ungetüme bestanden aus einem alten Motor, der von einem Holzvergaser angetrieben wurde. Holz wuchs nach der Katastrophe in Hülle und Fülle hier. Wir brauchten es zum Heizen und für das wenige Licht am Abend. Normalerweise standen wir mit der Sonne auf, und wenn sie unterging, verlangsamte sich das Leben deutlich und wenig später gingen wir schlafen.
Immer noch spürte ich in meinem Rucksack etwas – in diesem Fall unangenehm Hartes – an meine Rippen drücken. „Ach ja, da ist ja noch der verwunschene Metallzylinder!“, fiel es mir wieder ein.
Nur unser Nachbar im Dorf besaß seinen Paco bei uns hier. Früher soll einmal jede Familie ein eigenes Auto besessen haben. Unglaublich! Sie hatten Treibstoff dafür an Tankstellen verkauft. Das kann ich mir nicht vorstellen. Woher kam gleich nochmal dieses Teufelszeug, das die Autos antrieb?
Ich trug Kartoffeln auf dem Rücken, die ich in der Stadt eintauschen wollte. Dort gab es Händler, die in der Gegend umherstreiften und aus früheren Zeiten Nützliches aufspürten: einen Kochtopf, ein Ofenrohr, einen Ofen. Dieses Zeug lag in verlassenen Häuserruinen. Die Krämer sammelten alles ein und boten es auf dem Markt zum Tausch an.
Herr Mayr, der Händler in der Nachbarstadt, zu dem ich jetzt gerade gehen wollte, hatte sich kürzlich auch einen Paco gekauft. Seine Geschäfte schienen gut zu laufen – sogar bis nach München. Aber das war auch gefährlich, weil es gerade dort immer noch außerordentlich hoch verstrahlt war. Doch diesen Umstand musste er in Kauf nehmen – Berufsrisiko. Außerdem war es sehr beschwerlich, auf diesen Straßen mit einem Paco vorwärts zu kommen. Mehr als Schritttempo war da sowieso nicht drin.
So trödelte ich gedankenverloren vor mich hin und kam gerade an der ersten Hausruine der Stadt vorbei. Die meisten Häuser waren bis auf die Grundmauern abgebrannt. Früher hatte hier das sogenannte ‚italienische Viertel‘ von Weilheim gestanden. Heute sah es aus wie das ausgegrabene Pompeji. Nur einzelne Steinwände ragten mit hohlen Fensterlöchern wie übergroße Skelette ins ‚Stadtbild‘. Große Riesen, Holunderbüsche mit schweren Fruchtdolden, hatten die geschwärzten Wände begrünt.
Mir fiel wieder der Metallzylinder ein. Was sich wohl darin befinden mochte? Doch ich musste mich noch gedulden.
In meinem Rucksack hatte ich Kartoffeln, die in meinem Garten gewachsen waren. Die wollte ich bei Herrn Mayr gegen einen Ofen eintauschen. Nur ein paar Kilo als Qualitätsprobe trug ich jetzt zu ihm. Mayr sollte dann mit seinem Paco kommen, den Ofen bringen und die drei Säcke mitnehmen. Ich besaß ein großes Kartoffelfeld und brauchte für mich und meinen kleinen Jungen nur wenige Erdfrüchte den Winter über, sodass wir einen Überschuss hatten. Ein zweiter Ofen für unser Schlafzimmer wäre allerdings für die kalte Jahreszeit eine große Erleichterung gewesen. Das war mein Vorhaben.
Ich träumte in der himmlischen Ruhe vor mich hin, als mich plötzlich ein ungewohntes Knattern aufschreckte: Ein mir unbekannter roter Paco-Paco mit einer Karosserie aus Sperrholz um den Fahrgastraum bahnte sich mühsam den Weg aus der Stadt in Richtung meines Dorfes und kam mir entgegen. Als er gerade an mir vorüber fuhr, sah ich einen Fahrer im Fond und einen unbekannten Mann auf dem Rücksitz.
Sofort schoss mir der Gedanke durch den Kopf, dass ich dieses Gesicht schon einmal gesehen hätte. Aber wo nur? Der Fremde nickte mir ebenfalls gedankenverloren zum Gruß zu, und schon war das Gefährt an mir vorbei mit dem vorne offenen Zweizylinderdieselmotor, auf dem die Buchstaben M.A.N. noch deutlich zu sehen waren. Hinten auf einer Art Ladefläche befanden sich Holzscheite sowie das Ungetüm von Kessel, unter dem das Feuer brannte, eben der typische Holzvergaser. Gab es etwa einen Reisenden hier? Hier im Pfaffenwinkel? Was wollte hier jemand?
Viele Fragen! Ich wanderte meines Weges und überlegte angestrengt, woher mir dieses Gesicht mit einer runden Nickelbrille und einer hohen Stirn so bekannt vorkam – doch ohne Ergebnis.
Herrn Mayr – ein freundlicher Oberbayer, den man im bayrischen Dialekt als ‚g’wampert‘ bezeichnet hätte – hatte ich noch nie unfreundlich erlebt. Sein sonniges Gemüt wurde durch seine tägliche halbe bis ganze Maß ständig erhellt. Aber trotz allen Optimismus und aller Lebenslust war er nicht leicht zu übervorteilen. Er war eben auch einer von der Sorte ‚Bier ist Bier und Schnaps ist Schnaps‘! Gründlich begutachtete er meine mitgebrachten Kartoffeln und wartete ab, welchen Tausch ich ihm anbieten würde.
„Davon habe ich noch drei Zentner eingelagert, die ich gerne gegen einen stabilen Ofen eintauschen würde.“
„A was!“, war seine knappe Antwort, mir weiterhin immer listig die Rede überlassend. Ich wollte schließlich etwas von ihm, also überließ er mir zunächst die Gesprächsführung.
„Haben Sie denn schon ausreichend Vorräte?“, versuchte ich, ihn aus der Reserve zu locken. „Mit Kartoffeln kann man sicher gute Geschäfte machen!“
„Wie maanenS’?“, kam es aus ihm heraus, und er tat plötzlich sehr geistesabwesend.
Aber auch ich verspürte kaum Lust, weiter in ihn zu dringen, da mir plötzlich der Fremde und der Metallzylinder wieder einfielen. Der Unbekannte, der mir mit seinem Fahrer in dem roten Paco entgegengekommen war: Was wollte der? Ein Reisender auf dem Weg nach Polling? Ich starrte vor mich hin ins Leere, und das Gespräch stockte ganz plötzlich. Mayr wurde es auf einmal sichtbar ungemütlich, da ich mich weigerte, weiter zureden.
„Scheesanns’, Ihre Kartoffeln.“ Ich war sehr überrascht, seine Stimme so klar und deutlich zu hören. Sie riss mich geradezu aus meiner Grübelei.
„Gelt?“, strahlte ich ihn an und versuchte, ihn mit meinem verführerischsten Schlafzimmerblick von der Seite anzuschauen! Hatte ich ihn jetzt?
„Ja, an was für’n Offa hätt’n S’ dann gedacht, gnäd’ge Frau?“ Aha, mein Blick zeigte Wirkung! Es funktionierte doch immer wieder, das schöne Spiel zwischen den Geschlechtern!
„Na, einen aus Eisen für unser Schlafzimmer. Da ist es im Winter immer so kalt. Holz zum Heizen haben wir ja genug.“
„Ich hätt’ da schon was füa Eana. Aber drei Zentna sann ned fuil! Und der Offa is’ no’ an oiled Qualidäd!“
War doch nicht tief genug, mein Blick, und mir war klar, nachzulegen nützte jetzt wenig; jetzt musste ich mich bewegen.
„Ich hab leider nicht mehr an Kartoffeln. Die restlichen brauchen wir selbst.“
„Na, Gnäd’ge, mehr Klöß’ ess i über d’ Winder au ned. Aber s´nächst Joahr wär’n Reiberdatschi a ned bläd! Und ’s Joahr druff au ned.“
„Nächstes Jahr!“, stieß ich überrascht hervor und schluckte. „Weiß ich, wie die Ernte dann ausfällt? Das kann ich Ihnen doch guten Gewissens nicht zusagen.“ Jetzt war ein weiteres verführerisches Lächeln angesagt, und ich schenkte es ihm. Dankbar nahm er es auf.
„Also guad. Sechs Zentna in de nächst’ Joahr! Da kimm i Eana weid entgegn!“ Aha, jetzt begann das Feilschen!
„Aber, Herr Mayr“, ich himmelte ihn geradezu an, „Sie wollen mich doch nicht übers Ohr hauen, oder?“ Und ich erhob schelmisch meinen warnenden Zeigefinger. In Mayrs Gesicht erkannte ich, dass es ihm doch jetzt peinlich wurde. Gut, ich war meinem Ziel einen deutlichen Schritt näher gekommen und hatte wieder einen Punkt für mich gewonnen.
„Ich schlage vor, Sie zeigen mir erst einmal den Ofen, und dann reden wir weiter“, versuchte ich, den Handel wieder auf eine sachliche Ebene zu heben, was Mayr sehr dankend annahm, traten denn auch schon kleine Schweißperlen auf seine Stirn.
„Gnäd’ge Frau, das is’ a goada Vorschlag.“ Schon ging er voraus in sein Lager, das auf der gegenüberliegenden Seite des Hofes gelegen war. Er holte sein riesiges blau-weißes Karo-Sacktuch aus der Krachledernen, tupfte aufgeregt die Stirn ab und wischte sich über den Stiernacken.
Das Anwesen war wohl ein sehr alter Bauernhof mit Wohnhaus, Stall und Scheune, die um den quadratischen Hof angeordnet und mit einer hohen Mauer eingezäunt waren. Durch die Katastrophe war es völlig ausgebrannt und mit Zeltplanen, Blechen, Strommasten als Stahlträgern und allerlei weiterem improvisierten Material wieder notdürftig aufgebaut. In der Scheune befand sich sein Lager, im Stall rechts daneben standen wieder Tiere, es roch nach Schweinen, Schafen, Ziegen und Hasen.
Sein riesiger Paco-Paco, ein Dreiachser mit einem Dreizylinder-Dieselmotor und großer Ladefläche, stand im Hof. Der Holzvergaser nahm bei diesem Gefährt die Stelle des Beifahrersitzes ein und konnte so vom Fahrer auch während der Fahrt leicht beheizt werden.
Trotz seiner kurzen Beine war Mayr flink, so dass ich Mühe hatte, ihm zu folgen. Als wir an dem Fahrzeug vorbei kamen, ließ ich eher beifällig fallen: „Dürfte ich Sie bitten, auch den Transport des Ofens zu übernehmen? Bei der Rückfahrt könnten Sie ja gleich die Kartoffeln mitnehmen.“ Er tat, als ob er es überhört hätte, aber ich wusste, er hatte es sehr wohl auf geschnappt.
Wir stöberten kreuz und quer durch sein Lager. Mayr kam noch mehr ins Schwitzen, denn er fand den Ofen nicht auf Anhieb und musste ständig Dinge aus dem Weg räumen, da er dachte, er würde den Ofen dahinter finden. So wertvoll, wie er tat, schien das angepriesene Stück also nicht zu sein! Endlich hatte er ihn gefunden.
„Na, Gnäd’ge, hoab ich z‘vuil vasproacha?“
Der Ofen war ziemlich verrostet, aber mit alten gusseisernen Platten und Verzierungen versehen. Wenn wir den reinigen würden, wäre er schon richtig. Ich fuhr mit der Hand über seine Oberfläche, und Staub wirbelte auf. Übertrieben spielte ich in dieser Szene die Rolle der Naserümpfenden und brachte sogar einen einigermaßen glaubhaften Niesanfall zustande. Verächtlich wendete ich meinen Blick von dem guten Stück ab und drehte mich entrüstet meinem Begleiter zu: „Nein, Herr Mayr, diese Dreckstück bieten Sie mir für meine wunder-schöne Kartoffeln an?“
Mayr zuckte etwas zusammen.
„Und Sie wollen dafür sogar sechs Zentner Kartoffeln verlangen?“ Ich schaute ein wenig mütterlich-tadelnd von oben auf ihn herab. Dieser Rollenwechsel von der zuvor Verführenden zur jetzt strengen Mutter war strategisch sehr wirkungsvoll.
Ich tat so, als wollte ich mich gerade abwenden, als er mir in die Augen schaute und leise sagte: „Fünf Zentna.“ Jetzt hatte ich ihn soweit!
„Vier“, kam es scharf aus meinem Mund.
Er tat, als ob er einen Schlag erhalten hätte, und sagte seine Standardformel auf: „Gnäd’ge, Se ruiniere ma!“
Ich wusste, dass das sein Okay war, und setzte noch drauf: „Aber ich erhalte noch einen Rest hitzebeständige Eisenfarbe, damit wir das gute Stück nach der Bearbeitung auch ins Schlafzimmer stellen können.“
Er war einverstanden und fügte hinzu: „I bring Eana des Ding nächst’ Woch’.“
Wir verabschiedeten uns voneinander, und ich freute mich innerlich, doch einen guten Handel abgeschlossen zu haben.
Es war doch kein Fehler von meinem Vater als Heranwachsende einiges gelernt zu haben. Darunter war neben einem großen Wissen um die klassische Musik auch das Feilschen: Er brachte mir alle Tricks bei, die Männer so beim Aushandeln von ‚Deals‘ drauf haben, um sich dabei gegenseitig über‘s Ohr zu hauen. Meine Mutter sagte damals zu ihm nicht nur einmal: „Mein Gott, sie ist doch ein Mädchen, Du erziehst sie wie einen Jungen!“
Jetzt wurde es schon langsam dunkel, und ich begab mich schnell und zufrieden auf den Rückweg in mein Dorf.
Zu Hause fand ich den Metallzylinder in meinem Rucksack wieder und betupfte die Fuge des Schraubverschluss mit etwas Essig. Es zischte, nach ein paar Tropfen Öl und mit etwas Geduld, konnte ich ihn endlich drehend öffnen.
Darin befand sich ein Kinoplakat aus Zeiten vor der Katastrophe. Es war eine blonde Frau mit einem großen Busen in einem weißen Neckholder-Kleid zu sehen. Sie stand auf einem Gitterschacht, aus dem wohl ein Luftzug nach oben wehte und ihren weiten leichten Rock in die Höhe hob. Das Gesicht der Frau zeigte, dass sie zwar erschrocken versuchte, aus Scham ihren Rock nach unten zu ziehen, die schelmische Komponente ihres Lächelns signalisierte dem Betrachter jedoch deutlich, dass sie dem Windhauch aus dem Schacht eher dankbar war, dass er die Entblößung ihrer wunderschönen Beine vorgenommen hatte, um ihre perfekten Konturen und Reize ihrem Begleiter oder einem anderen Mann zu zeigen, dem sie gerade auffiel. Auf diese Weise blieb sie einerseits eine schamhafte junge Frau, und nur der böse Wind war schuld an ihrer Verruchtheit! ‚Die Verführungskunst der Frauen bestehen darin, diesen Spagat zwischen Scham und Raffinesse perfekt zu beherrschen. Die Heilige und die Hure!‘, fiel meinem männlichen Teil in mir dazu ein. Meine weibliche Seite hatte nur ein verachtendes Wort dafür: ‚Flittchen!‘. Auf dem Plakat war neben der Frau eine schwungvolle Unterschrift zu lesen.
Ich fand eine leere Wand und hängte das Plakat auf. Nicht, dass ich es besonders schön gefunden hätte. Aber die kahle Wand mit dem Plakat gefiel mir besser als ohne.
Der rote Paco-Paco
Es war schon beinahe dunkel und ich konnte fast nichts mehr erkennen, als ich leichtfüßig durch das ehemalige Klosterdorf schritt. In den Ruinen des Klosterhofes erkannte ich dennoch den roten Paco mit der erlöschenden Glut unter dem Holzvergaser. War der Fremde etwa hier geblieben? Irgendwie hatte ich plötzlich Angst, und meine Genugtuung über den guten Handel mit Herrn Mayr war fast vergessen.
Zu Hause angekommen, wartete Golie schon auf mich. Er hatte den Abendbrottisch gedeckt und lachte, als er mich sah. Wir aßen zusammen, und ich brachte ihn anschließend ins Bett. Draußen war es bereits dunkel geworden. Ich legte in unserer Wohnküche noch einmal Holz in den Herd und schaute durch die Herdritzen verträumt in die Glut.
Ich hatte Gottlieb, wie er eigentlich hieß, als kleines Findelkind in München gefunden gehabt. Er hatte nur ein Schild um den Hals mit der Aufschrift getragen: ‚Ich heiße Gottlieb, erbarmt Euch meiner!‘ So etwas war seit der Katastrophe an der Tagesordnung. Seine Eltern waren wohl an den Spätfolgen gestorben. Da ganze Familien ausgelöscht wurden, gab es immer wieder den Fall, dass eine Hilfe innerhalb der gewohnten Umgebung nicht mehr möglich war, und so wurden Kinder von ihren sterbenden Eltern einfach ausgesetzt. Was sollten sie auch unternehmen in einer Situation, in der jegliche medizinische Versorgung völlig zusammen-gebrochen war?
Er war ein putziges Kleinkind mit hellbraunen Haaren und einem ewigen Lächeln auf den Lippen gewesen. Ich fühlte mich selbst gerade sehr verloren und hilflos. Eine spontane Zuneigung entstand. Ich beschloss, der Aufforderung auf dem Schild Folge zu leisten und mich seiner zu erbarmen. Es war Liebe auf den ersten Blick gewesen, und ich habe es nie bereut, ihn mit zu meiner kleinen Wohnung genommen zu haben.
Anfangs war es für mich sehr ungewohnt, aber mit der Zeit wuchs ich schnell in meine Rolle als Mutter hinein, zumal ich mich mit meinem alten, dreirädrigen Kinderwagen nahtlos in das Stadtbild einfügte, den ich dank meiner guten Verhandlungskünste auf dem Markt hatte ergattern können.
Irgendwann beschloss ich dann, die Stadt zu verlassen und hinaus aufs Land zu ziehen. Eine gute Bekannte schwärmte mir von einem alten Roman vor und wollte mich begleiten. Bücher waren sehr, sehr rar, und nur solche, die die Brände der Katastrophe überstanden hatten, wurden auf den Märkten angeboten.
In ihrem zerfledderten Buch, der Autor war wohl ein gewisser Thomas Mann gewesen und der Titel nicht mehr entzifferbar, las sie von einem Ort mit Namen Pfeiffering südlich von München, der in den schönsten Farben geschildert wurde. Jemand hatte in der alten rororo-Taschenbuchausgabe meiner Freundin mit blauem Kugelschreiber an den Rand die Bemerkung:
Pfeiffering = Polling? und Waldshut = Weilheim?
geschrieben. Im Buch wurde des öfteren der Name ‚Doktor Faustus‘ erwähnt.
Irgendwann beschlossen wir, der Sache auf den Grund zu gehen und uns diese Gegend einmal anzusehen, wo die Orte sowohl einen realen als auch einen literarischen Namen trugen. Wir marschierten in einer schönen Sommerwoche immer an den zerstörten Gleisen der alten Eisenbahnstrecke nach Garmisch entlang und gelangten tatsächlich dorthin. Es war gefährlich, aber wir waren jung, unvernünftig und setzten uns der Strahlung aus. Am Abend schliefen wir in Kellern. Der See, den wir in Starnberg erreichten, lockte uns zwar sehr zu einem Bade, aber dieses Strahlenrisiko wollten wir dann doch nicht auf uns nehmen, und so genossen wir die Aussicht auf das Wasser mit den weißen Berggipfeln der Alpen im Hintergrund und marschierten am Ufer weiter. Meine Freundin hatte alle Stellen, die für unseren Ausflug touristisch wichtig waren, unter-strichen und missbrauchte diesen Roman über einen avantgardistischen Komponisten, mit Namen Adrian Leverkühn, als Reiseführer à la Baedecker.
Schließlich kamen wir in Weilheim an und sahen zu unserer Enttäuschung das Gleiche, was wir von überall her kannten: Ruinen, verbrannte Kultur und wenige Menschen, die, wie verscheuchte Ratten dort hausten und von einem Loch ins nächste huschten. Es war so trostlos, dass wir schnell an einem Flüsschen weiter nach Süden marschierten, dieses dann verließen und uns an einem kleinen Bach orientierten, um immer weiter in Richtung Berge zu gelangen. Bald darauf erreichten wir eine riesige Ruinenanlage, die wohl das alte Kloster gewesen sein musste. Ein herausragender, höherer Schutthaufen, den wir die ganze Zeit schon von Weitem gesehen hatten, musste wohl der alte Turm gewesen sein. Die alte Barockfassade mit dem runden Rosettenfenster, das völlig zerbrochen war und uns wie das Auge Polyphems anstarrte, war überraschenderweise noch erhalten. Zum ehemaligen Kirchenschiff hin überspannte ein Balken mit ein Zeltdach einen weiten Raum.
Spielte da jemand Orgel? Sollte diese etwa noch intakt sein? Wir standen gleichsam angewurzelt, und der kleine Golie, den ich über die weite Strecke auf meinem Rücken getragen hatte, vollführte dort einen merkwürdigen Tanz, als ob die Musik in ihm etwas ganz Besonderes entfachte. So konnte ich ihn nicht mehr lange halten und ließ ihn auf den Boden gleiten. Sofort robbte er auf dem Rücken dem schmalen, freigelegten Eingang zu, aus dem die Musik heraus schallte.
Meine Freundin und ich verstanden gar nichts mehr.
Im Inneren unter dem provisorischen Zeltdach blieb er erstarrt liegen, lauschte und war von uns nicht mehr von der Stelle zu bewegen, bis die Musik abbrach und der Organist, ein Mann um die vierzig, dem nur wenige blonde Haare um eine Halbglatze wehten, über eine Holzleiter vom Rest der Orgelempore kletterte. Hinter ihm folgte ein Junge, der – wie von ihm befreit – davon rannte.
Der einmal wohl recht stattliche Blonde sprach uns freundlich an, schließlich verirrten sich selten Fremde hierher. Seine netten Worte taten uns zusammen mit der schönen Musik zuvor gut, munterten uns wieder auf und hoben unsere Stimmung. Ja, Golie flippte ganz und gar aus, fuchtelte mit den Armen wie ein drolliger kleiner Tanzbär, sodass der Blonde mit uns in schallendes Gelächter verfiel.
Er war bester Laune. Ich hatte ihn so noch nie erlebt. Trotz seines zarten Alters zeigte er mir mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln, dass es ihm hier gut ging und dass er gerne bleiben wollte.
Wir sahen uns dann im Dorf um, fanden wenige Menschen und viele zum Teil gut erhaltene und leere Wohnräume, die mir erheblich besser gefielen als meine Unterkunft in München zuvor. In mir reifte der Entschluss, hier zu bleiben, was meine Freundin nicht verstand. Ich hatte sowieso alles, was mir wirklich wertvoll war, dabei und quartierte mich im ehemaligen Klosterdorf ein. In den nächsten Tagen half mir der Organist, der mir durchaus nicht unsympathisch war, führte uns beide bei den wenigen Menschen im Dorf ein. Golies sonniges Wesen half dabei sehr. Sie alle waren sehr freundlich und empfahlen mir sogar eine besondere Ruine, die an ein großes Feld angrenzte, auf dem man gut Ackerbau betreiben könne, um das Leben zu fristen. Ich nahm den Rat an, und so waren wir hier im Gut Schweigestill bei Pfeiffering gelandet, wie es im Roman meiner Freundin genannt wurde. Das lag jetzt schon einige Zeit zurück.
Hatte ich das alles geträumt? War ich in der Stube eingeschlafen? Meine Glieder waren ganz steif, und ich legte mich nach nebenan zu Golie ins Bett unseres Schlafzimmers. Mehr als die beiden Räume bewohnten wir nicht. Meistens waren wir draußen, wenn das Wetter es einiger-maßen zuließ. Es mochte zwar gefährlich sein, aber wir beide schienen ausreichenden Resistenzschutz gegenüber der Strahlung zu besitzen, da wir jetzt schon gut vier Jahre so lebten und uns glänzender Gesundheit erfreuten.
Am nächsten Morgen erwachte ich und war ganz benommen. Ich hatte einem Traum, einer der-jenigen, die so realistisch abzulaufen pflegten, dass ich nicht zwischen Traum und Wirklichkeit unterscheiden konnte. Daher benötigte ich einige Zeit, um meine Gedanken zu sortieren:
Mein Vater hatte die Hauptrolle in meinem nächtlichen Schauspiel gespielt und erzählte mir als kleinem Mädchen von einem Musiklehrer. Dieser sei von seinem Lieblingskomponisten so besessen gewesen, dass er sein Äußeres verändert habe, um diesem ganz ähnlich zu sein: Er habe eine Brille getragen, obwohl er eigentlich keine benötigt hätte, und sich sein Haar mit leichten Grausträhnen versehen lassen und streng nach hinten gekämmt, sodass seine hohe Stirn sein Gesicht betont habe und er somit einer der wenigen Fotografien seines Idols doch sehr nahe gekommen sei. Dann wurde die Geschichte dramatisch, denn der Lehrer und mein Vater als dessen junger Schüler hätten um die Gunst derselben Frau gebuhlt, einer Klassenkameradin meines Vaters. Der Lehrer und der Mitschüler, beide hatten sich unsterblich verliebt. Das begehrte Mädchen war dann nach dem Abitur vor beiden in eine weit entfernte Wüste geflohen. Schon damals lange vor der Katastrophe standen dort überall Schilder mit dem Radioaktivitätssymbol. Es war ein Ort, der besser nie gegründet worden wäre, denn er war der eigentliche Grund aller unserer heutigen Missstände: Los Alamos.
An dieser Stelle riss der Traum ab.
Hatte mir mein Vater nicht einmal unter Tränen erzählt, dass er die erste Liebe seines Lebens tragisch verloren habe?
So sehr ich mir auch Mühe gab, ich konnte mich nicht an den Namen erinnern, weder an den des imitierenden Lehrers, noch an den des Komponisten. Lediglich das war mir jetzt klar: Die Person, die mein Vater geschildert hatte, erinnerte mich an den fremden Reisenden im roten Paco gestern. Kam er mir von daher bekannt vor?
Golie schlug die Augen auf und rutschte unter meine Decke zu unserem morgendlichen Kuschelritual. Wir löffelten, und er fragte mich begeistert, ob er heute wieder zum Organisten gehen dürfe. Seit einiger Zeit verbrachte der Vierjährige viel Zeit mit dem freundlich, ruhigen Mann. Mit Steffen, so hieß er, hatten wir uns beide angefreundet. Ich setzte volles Vertrauen in ihn, da er mir ja auch nicht unsympathisch war. Allerdings hatte er alle meine schüchternen Annäherungsversuche abgeblockt. Er schien mir nur mit der Musik oder besser mit seiner Orgel liiert zu sein, oder besser mit dem, was davon noch übrig war.