Kitabı oku: «Essentials der Theorie U», sayfa 3

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Von der im Entstehen begriffenen Zukunft lernen

Meine erste Erkenntnis ist recht elementar. Nämlich: Es gibt zwei unterschiedliche Quellen des Lernens: (1) Lernen, indem man über die Vergangenheit nachdenkt, und (2) Lernen, indem man entstehende Zukunftsmöglichkeiten erspürt und verwirklicht.

Alle herkömmlichen Methoden des organisationalen Lernens funktionieren nach demselben Lernmodell: Lernen, indem man über frühere Erfahrungen nachdenkt. Doch dann stellte ich immer wieder fest, dass in Organisationen die meisten Führungskräfte täglich mit Herausforderungen konfrontiert waren, denen man nicht einfach dadurch begegnen kann, dass man über die Vergangenheit nachdenkt. Manchmal sind früh gemachte Erfahrungen nicht hilfreich und stellen vielleicht sogar die Hindernisse dafür dar, dass ein Team eine Situation nicht mit neuen Augen sehen kann.

Anders ausgedrückt: Aus der Vergangenheit lernen ist notwendig, aber nicht hinreichend. Alle umwälzenden Herausforderungen verlangen, dass wir uns der Sache mit einer neuen Herangehensweise nähern. Sie verlangen, dass wir uns entschleunigen, innehalten, die wichtigen Antriebskräfte der Veränderung erspüren, die Vergangenheit loslassen und die Zukunft, die entstehen möchte, kommen lassen.

Aber was ist notwendig, um von der im Entstehen begriffenen Zukunft zu lernen? Als ich diese Frage stellte, schauten mich viele Menschen mit einem ausdruckslosen Blick an: »Von der Zukunft lernen? Wovon sprechen Sie?« Viele meinten, es sei eine verschrobene Frage.

Doch es war genau diese Frage, an der sich meine Forschungsreise über mehr als 20 Jahre lang orientiert hat. Das Besondere an uns Menschen ist, dass wir uns mit einer entstehenden Zukunft in Verbindung setzen können. Genau das zeichnet uns als Menschen aus. Wir können die Muster der Vergangenheit sehen, durchbrechen und neue Muster schaffen. Keine andere Spezies auf der Erde ist dazu imstande. Bienen beispielsweise organisieren sich vielleicht mit einer höheren kollektiven Intelligenz; aber sie haben keine Möglichkeit, ihr Organisationsmuster zu ändern. Wir als Menschen sind dazu aber in der Lage.

Man kann es auch anders formulieren. Wir haben die Gabe, in zwei sehr unterschiedliche Zeitqualitäten und Zeitströme einzutauchen und uns in ihnen zu bewegen. Da ist zum einen die Qualität der Gegenwart, die sich als Verlängerung der Vergangenheit konstituiert. Der gegenwärtige Augenblick bestimmt sich aus dem, was gewesen ist. Da ist zum anderen die Qualität des gegenwärtigen Erlebens, das sich als Öffnung zu einem Feld zukünftiger Möglichkeit konstituiert. Der gegenwärtige Augenblick ist geprägt von dem, was anwesend werden möchte: die Gegenwart als Ankunftsgeschehen. Diese tiefere Zeitqualität, wenn wir uns ihr gegenüber öffnen, ist das Feld, in dem wir Presencing erleben können: das Erspüren und Vergegenwärtigen des höchsten zukünftigen Potenzials. Der Begriff Presencing ist eine Kombination aus »sensing« (erspüren) und »presence« (Gegenwart). Er bedeutet, sein höchstes Zukunftspotenzial zu erspüren und umzusetzen. Wann immer wir es mit Umbrüchen zu tun haben, ist es dieser zweite, aus der Zukunft entgegenlaufende Zeitstrom, der uns erlaubt, neue Impulse in die Welt zu setzen. Denn ohne eine solche Verbindung zur entstehenden Zukunft tendieren wir am Ende dazu, zu Opfern, statt zu Mitgestaltern von Umbrüchen zu werden.

Wie können wir uns als Individuen, Organisationen und als Ökosysteme mit diesem zweiten Zeitstrom in Verbindung bringen? An dieser Frage hat sich mein Forschungsweg in den letzten 20 Jahren orientiert. Das Ergebnis ist die Beschreibung eines tieferen Lernzyklus, der nach einer anderen Form von Prozess funktioniert, einem, der uns zu den Rändern des jeweiligen Systems führt, uns mit unseren tieferen Quellen von Wissen verbindet und uns dazu ermuntert, die Zukunft durch praktisches Handeln zu erkunden. Dieser tiefere Lernzyklus trifft sowohl auf unser Berufsleben als auch auf unser persönliches Leben zu. Als 16-Jähriger hatte ich beispielsweise ein Erlebnis, das mir einen Vorgeschmack davon gegeben hat, wie es aussieht und sich anfühlt, wenn man aus dem Feld des gewohnheitsmäßigen Handelns herausgerissen wird.

Im Anblick des Feuers

Als ich an jenem Morgen unseren Bauernhof verließ, um zur Schule zu gehen, hatte ich keine Ahnung, dass ich mein Elternhaus zum letzten Mal sehen würde, einen großen, 350 Jahre alten Bauernhof. Es war ein ganz gewöhnlicher Schultag, bis etwa ein Uhr, als der Lehrer mich aus der Klasse rief und sagte, ich solle nach Hause gehen. Ich hatte keine Ahnung, was passiert sein könnte, hatte aber das Gefühl, dass es nichts Gutes war. Nach der üblichen einstündigen Zugfahrt rannte ich zum Bahnhofsausgang und warf mich in ein Taxi. Noch lange, bevor das Taxi auf unserem Hof ankam, sah ich riesige graue und schwarze Rauchwolken. Mein Herz klopfte, als sich das Taxi unserer langen Hofeinfahrt näherte. Ich erkannte Nachbarn, Feuerwehrleute und Polizisten. Ich sprang aus dem Taxi und rannte durch die Menge, die sich versammelt hatte, den letzten halben Kilometer unserer kastaniengesäumten Einfahrt hinauf. Als ich den Hof erreichte, traute ich meinen Augen nicht. Die Welt, in der ich mein ganzes bisheriges Leben verbracht hatte, war verschwunden. In Flammen und Rauch aufgegangen.

Als die Wirklichkeit des vor mir lodernden Feuers mir so langsam ins Bewusstsein drang, hatte ich das Gefühl, als ob mir jemand den Boden unter den Füßen weggezogen hätte. Der Ort meiner Geburt, meiner Kindheit und Jugend war weg. Als ich dort stand, die Hitze des Feuers in mir aufnahm und spürte, wie sich die Zeit verlangsamte, erkannte ich, wie verbunden ich mit all den Dingen gewesen war, die das Feuer nun zerstörte. Alles, von dem ich dachte, das sei ich, war entschwunden. Alles? Nein, vielleicht nicht alles; denn ich spürte, dass ein winziger Teil meines Selbst noch am Leben war. Jemand war noch da, der dies alles beobachtete. Wer?

In diesem Moment wurde mir klar, dass es von meinem Selbst noch eine andere Dimension gab, die ich zuvor nicht gekannt hatte, eine Dimension, die mit dem Sehenden und seinen Zukunftsmöglichkeiten zusammenhing. In diesem Augenblick fühlte ich mich hochgehoben, ein wenig aufwärts über meinen physischen Körper hinaus, und begann, die Szenerie von diesem Ort aus zu beobachten. Ich spürte, wie sich meine Gedanken- und Wahrnehmungswelt verlangsamte, beruhigte und erweiterte. Ich merkte, dass ich gar nicht die Person war, die zu sein ich geglaubt hatte. Mein wirkliches Selbst war nicht mit dem materiellen Besitz verbunden, der gerade in den Trümmern verglühte. Ich wusste plötzlich, dass ich, mein wahres Selbst, noch am Leben war! Ich war dieses »Ich«, das der Seher war. Und dieser Seher war lebendiger, wacher, wesentlich präsenter als das »Ich«, welches ich zuvor gekannt hatte. Nicht mehr belastet durch die materiellen Beitztümer, die das Feuer gerade verschlungen hatte und von denen nichts mehr übrig war, fühlte ich mich leichter und frei, dem anderen Teil meines Selbst zu begegnen, dem Teil, der mich in die Zukunft zog – in meine Zukunft – in eine Welt, die darauf wartete, dass ich sie Wirklichkeit werden lasse.

Am Tag darauf kam mein 87-jähriger Großvater auf den Hof, was sein letzter Besuch dort werden sollte. Er hatte seit 1890 sein ganzes Leben auf dem Hof verbracht. Weil er sich einer ärztlichen Behandlung unterziehen musste, war er die Woche vor dem Feuer weg gewesen, und als er am Tag nach dem Feuer auf den Hof kam, sammelte er seine letzten Kräfte, stieg aus dem Auto aus und ging direkt zu der Stelle, wo mein Vater mit dem Aufräumen beschäftigt war. Ohne dass er die kleinen Feuer, die immer noch um das Anwesen herum brannten, zu bemerken schien, ging er auf meinen Vater zu, nahm seine Hand und sagte: »Kopf hoch, mein Junge, blick nach vorn!« Dann sagte er noch irgendetwas, drehte sich um, ging zurück zu dem wartenden Auto und verschwand. Wenige Tage später starb er friedlich.

Dass mein Großvater in der letzten Woche seines Lebens imstande war – nachdem so viel von dem, was er sein ganzes Leben lang bewirtschaftet hatte, in Flammen aufgegangen war –, sich auf die entstehende Zukunft zu konzentrieren, statt auf den Verlust der Vergangenheit zu reagieren, machte einen großen Eindruck auf mich.

Erst viele Jahre später, nachdem ich damit angefangen hatte, mich mit der Frage zu befassen, wie sich von einer entstehenden Zukunft statt von der Vergangenheit her lernen lässt, begann ich mit meiner, wie ich heute denke, wichtigsten Arbeit. Doch der Keim dafür lag in dieser frühen Erfahrung.

Das Gefäß bilden

»Ich hasse es, wenn jemand sagt, ›es gibt zwei Arten von Menschen‹«, sagte Edgar Schein, mein Mentor am MIT, eines Tages zu mir. Dann fuhr er mit einem Anflug von Lächeln fort: »Aber es gibt tatsächlich zwei Arten von Menschen: solche, die Prozesse verstehen, und solche, bei denen das nicht der Fall ist.«

Edgar Schein hat recht. Einen Prozess verstehen heißt, das Werden unserer sozialen Beziehungen zu verstehen. Möchte man beispielsweise aus einer dysfunktionalen Beziehung zwischen Akteuren eine funktionierende Beziehung machen, kann man den Beteiligten nicht einfach sagen: »So, jetzt verhaltet euch mal komplett anders.« Man muss weiter stromaufwärts im Prozess ansetzen, in dem soziale Wirklichkeit entsteht. Man muss das Werden dieser Beziehung von einem Modus in einen anderen, z. B. vom reaktiven in einen co-kreativen Modus, überführen.

Von zwei Arten von Menschen können wir ebenfalls sprechen, wenn es um die »Quelle« der Kreativität geht: solche, die soziale Gefäßbildung verstehen, und solche, bei denen das nicht der Fall ist. Der Begriff Gefäßbildung stammt aus der Moderatorensprache und bezeichnet die Bildung eines zuverlässigen schützenden Raumes. In Organisationen findet man oft Vorstandsvorsitzende und Führungskräfte, die solche Räume nicht schaffen. Sie glauben, Verhaltensveränderung sei einfach dadurch zu bewirken, dass sie Reden halten und der Organisation Instrumente verordnen. Instrumente sind natürlich wichtig. Aber sie werden auch oft überbewertet, weil sie so sichtbar sind. Doch was meistens unterbewertet wird, das ist der Stoff, den das Auge nicht sieht – beispielsweise die weniger sichtbaren Elemente eines zuverlässigen schützenden Raumes: Intention, Aufmerksamkeit und die subtilen Qualitäten des intensiven Zuhörens. Ein gutes Gefäß zu bilden heißt einen zuverlässigen schützenden Raum für einen generativen sozialen Prozess schaffen.

Ein Großteil des üblichen Sprachgebrauchs und viele der Werkzeuge für Veränderungsprozesse erweisen sich hier nur teilweise als nützlich. Nehmen wir beispielsweise die oft gebrauchte Beschreibung »Veränderung vorantreiben«. Hast Du schon einmal deine Familie gefragt, was sie davon hält, wenn Du deren Beziehungsnetz dazu »antreiben« würden, sich zu verändern? Viel Glück damit. Die Realität, einen tiefgreifenden Wandel zu begleiten, hat wenig damit zu tun, dass eine Person die andere zur Veränderung »antreibt«. Das ist die falsche Metapher, der falsche Ansatz. Hilfreicher ist meiner Ansicht nach die Landwirtschaftsmetapher.

Damit komme ich zu meiner dritten Erkenntnis und auch zurück zu meinen Wurzeln.

Soziale Felder

Ich wuchs auf einem 350 Jahre alten Bauernhof in der Nähe von Hamburg auf. Vor 60 Jahren beschlossen meine Eltern, die Produktionsweisen der konventionellen industriellen Landwirtschaft (Einsatz von Schädlingsbekämpfungs- und Unkrautvernichtungsmitteln sowie von Kunstdünger) aufzugeben und stattdessen nach biologisch-dynamischen Produktionsweisen zu arbeiten (Fokussierung darauf, das symbiotische Ökosystem des Hof-Organismus zu kultivieren). Jeden Sonntag nahmen meine Eltern mich, meine Schwester und meine beiden Brüder auf einen Feldgang über die Äcker unseres Hofs mit. Ab und zu machte mein Vater halt, hob einen Klumpen Erde aus der Furche, damit wir die unterschiedlichen Arten und Strukturen des Bodens erkennen lernten. Die Qualität des Bodens, erklärte er, hänge von vielen Millionen von Organismen ab, die in jedem Kubikzentimeter Erde leben und deren Arbeit notwendig sei, damit der Boden atmen und sich als lebendiger Organismus entwickeln könne.

Genauso wie bei jenen Feldgängen in meiner Jugend wird dieses Buch dich auf eine ähnliche Reise mitnehmen, auf der wir ab und zu innehalten und eine Fallgeschichte oder eine Erfahrung untersuchen, die uns die tieferliegenden Strukturen des sozialen Feldes verstehen helfen. Und genauso, wie der Biobauer komplett von der lebenden Qualität des Bodens abhängt, sind Sozialpioniere von der lebenden Qualität des sozialen Feldes abhängig. Ein soziales Feld ist nach meiner Definition Ausdruck der Qualität von Beziehungen, die zu Mustern des Denkens, Kommunizierens und Organisierens führen, die ihrerseits praktische Resultate hervorbringen.

Und genauso wenig, wie der Landwirt eine Pflanze zum schnelleren Wachstum »antreiben« kann, kann man in einer Organisation oder einer Gruppe praktische Resultate durch Verordnung erzwingen. Stattdessen muss die Aufmerksamkeit auf die Verbesserung der Bodenqualität gerichtet werden. Was ist mit der Qualität des sozialen Bodens gemeint? Sie bezieht sich auf die Qualität von Beziehungen zwischen Individuen, Teams und Institutionen, die kollektives Verhalten und praktische Resultate hervorbringen.

Im Rückblick erkenne ich, dass mein Weg in den letzten 40 Jahren eine Reise war, auf der ich soziale Felder erkundet, untersucht und »beackert« habe. Meine Eltern beackerten die Felder des Bauernhofs. Meine Kollegen und ich beackern soziale Felder. Und wenn du zufällig Manager, Führungskraft, Erzieher, Unternehmer, Künstler, Therapeut, Elternteil oder Menschenrechtler bist, ist das wahrscheinlich auch deine Rolle.

Die tieferen Erfahrungen und Ebenen des sozialen Feldes, wie sie hier beschrieben werden, sind jedem vertraut, der sich für soziale Bewegungen, Unternehmensgründungen oder Veränderungsinitiativen einsetzt. Ich selbst engagierte mich zuerst in den Umwelt-, Öko-, Antiatomkraft- und Friedensbewegungen der späten 1970er- und frühen 1980er-Jahre und gründete später mit einem Kreis von Weggefährten und Kolleginnen das Presencing Institute, ein weltweit agierendes Sozialunternehmen. Später im Buch werde ich auf einige dieser Erfahrungen eingehen. An dieser Stelle möchte ich deine Aufmerksamkeit nur auf die Tatsache lenken, dass keine dieser Erfahrungen einzigartig oder außergewöhnlich ist.

Im Gegenteil: Sie sind eigentlich recht gewöhnlich. Viele Menschen machen sie. Und ja, sie lassen einen wirklich »über den Tellerrand hinausschauen« – genauso, wie das Erleben des Brandes mich für einen oder zwei Augenblicke von meinem physischen Körper entfernte. Dabei erleben viele Menschen solche Dinge viel öfter, als uns bewusst ist.

2Theorie U: Form folgt Bewusstsein

Bei Theorie U geht es um die zentrale Frage, wie Individuen, Gruppen und Organisationen ihr höchstes Zukunftspotenzial erspüren und verwirklichen können.

Der berühmte Satz des Philosophen René Descartes ist dir bestimmt geläufig: »Ich denke, also bin ich.« Das ist allerdings nicht der Ausgangspunkt von Theorie U. Aus dem Blickwinkel von Theorie U würden wir sagen: Ich bin achtsam (auf diese Weise), also ergibt sich das Folgende (in jener Weise). Ein Beispiel: Die Qualität meines Zuhörens gestaltet mit, wie sich ein Gespräch entfaltet. Allgemeiner gesagt: Die Qualität von Ergebnissen, die ein soziales System erzielt, hängt von dem Bewusstsein ab, auf dessen Basis die Menschen in diesem System handeln. Das heißt: Form folgt Bewusstsein.

Das System dazu bringen, sich selbst zu sehen

In den vergangenen Jahrzehnten habe ich sehr oft erlebt, wie Gruppen oder Systeme – manchmal große, manchmal kleine – eine subtile Bewusstseinsveränderung in der Art durchmachen, wie die Mitglieder dieser Gruppen ihr System wahrnehmen und sehen.

In Abbildung 3 wird die hier relevante mentale Veränderung beschrieben: Das System wird nicht mehr als etwas »da draußen Befindliches« (Abb. 3a) gesehen, sondern es wird aus einer Perspektive wahrgenommen, die das eigene Selbst einschließt (Abb. 3b).

Wenn diese Umwendung des Beobachtungsstrahls zurück zu den Quellen der eigenen Wirksamkeit auf individueller Ebene geschieht, sprechen wir von Achtsamkeit. Achtsamkeit ist die Fähigkeit, sich auf das Erleben des gegenwärtigen Augenblicks einzulassen, während man der eigenen Aufmerksamkeit gegenüber aufmerksam wird.

Wenn diese Umwendung der Aufmerksamkeit in einer Gruppe geschieht, sprechen wir von Dialog. Dialog heißt nicht, dass Menschen miteinander reden. Dialog ist die Fähigkeit eines Systems, sich selbst zu sehen, seine eigenen Muster zu sehen, seine eigenen Annahmen in den Lichtkegel der Aufmerksamkeit zu rücken.

Diese Umwendung des individuellen und kollektiven Sehens macht natürlich auch den Wesenskern des systemischen Denkens aus: das System dazu bringen, sich selbst zu sehen. Oder wie wir im Rahmen von Theorie U sagen würden: ein System dazu bringen, sich selbst zu erspüren und zu sehen.

Abb. 3a: Das System »da draußen« sehen (eigene Darstellung nach Gradert)

Abb. 3b: Den Beobachtungsstrahl umbiegen, um das System und das eigene Selbst zu sehen (eigene Darstellung nach Gradert)

Wenn du dich mit Veränderungsmanagement beschäftigst, weißt du, dass die Hauptaufgabe in einem solchen Prozess darin besteht, den Menschen zu helfen, den Schritt von einer »Silosicht« zu einer systemischen Sicht – oder wie wir sagen würden: vom Egosystem-Bewusstsein zum Ökosystem-Bewusstsein – der betreffenden Problemlage zu vollziehen.

Was mich am meisten überrascht, ist der Umstand, wie zuverlässig wir Bedingungen schaffen können, die eine solche Art der Umwendung der Aufmerksamkeit und des Bewusstseins möglich machen. Man kann diese paradigmatische Veränderung nicht erzwingen. Man kann die soziale Realität nicht biegen wie ein Stück Metall, indem man von außen darauf einhämmert. Aber man kann einige innere und äußere Bedingungen schaffen, die es einer Gruppe, Organisation oder einem System erlauben, sich von der Warte des größeren Ganzen aus zu erspüren und zu sehen.

Ich werde oft gefragt: Wie bist du eigentlich auf die Idee mit dem U-Konzept gekommen? Wo liegen die Ursprünge dieser Idee? In diesem Kapitel beschreibe ich Erfahrungen und Überlegungen, die die Ursprünge von Theorie U beleuchten. Alle zitierten Interviews finden sich auf der Website des Presencing Institute unter Dialogue on Leadership (www.presencing.org).

Ein Moment des Sehens

Kurz nachdem ich 1994 ans MIT gekommen war, sah ich eine von Peter Senge und Richard Ross, dem Mitautor von Das Fieldbook zur fünften Disziplin, moderierte Live-Videopräsentation zum Thema organisationales Lernen. Nach einer Frage aus dem Publikum ging Richard Ross zur Tafel und skizzierte das »Eisbergmodell« des Systemdenkens mit folgenden Worten:

Struktur

Prozess

Denkmodelle

Als ich diese Worte sah, wurden mir zwei Dinge klar. Zum einen, dass alle organisationale und soziale Veränderung auf verschiedenen Ebenen stattfindet. Zum anderen, dass es unter den drei auf der Tafel skizzierten Ebenen noch eine vierte Ebene geben muss. Als ich die drei Worte niederschrieb, fügte ich spontan eine vierte Ebene hinzu, die die Quelle repräsentiert. Später bezeichnete ich diese Ebene als »Presencing«.

Kurz darauf verband ich diese vier Ebenen mit dem Erscheinungsbild des Buchstaben U: Man bewegt sich auf der linken Seite des U von der Oberfläche her zum Quellpunkt und unterscheidet dabei Wahrnehmungsebenen (Projektion alter Muster, Wahrnehmung eines Gegenstandes, Wahrnehmung meines Wahrnehmungsprozesses, Intuition: Wahrnehmung und Erschließung der tieferen Quellen), und dann bewegt man sich auf der rechten Seite des U hinauf und passiert die korrespondierenden Handlungsebenen (vergegenwärtigen [envisioning], erproben [enacting], verkörpern [embodying]).

Weshalb habe ich die U-Form verwendet? Erstens wollte ich einen Prozess beschreiben, der die vier Systemebenen des Eisbergs zutage fördert. Zweitens hatte ich Jahre zuvor an zwei Stellen eine andere U-Version gesehen. Eine fand sich in der Arbeit von Friedrich Glasl, dem österreichischen Kollegen und Experten für Organisationsentwicklung und Konfliktlösung. Er benutzt in seinem Modell das U dafür, die Ebenen von Identität, Mensch und Politik zu unterscheiden vom technisch-materiellen Bereich von Organisationen. Die andere Stelle, an der das U ein Entwicklungsprinzip beschreibt, fand ich in der Arbeit des Pädagogen und sozialen Innovators des frühen 20. Jahrhunderts Rudolf Steiner. Seine Schriften waren nicht nur für mich die entscheidende Inspirationsquelle, sondern auch für Glasl. Wenn man also jemandem die Entstehung vom U-Prozess des evolutionären Denkens zuschreiben wollte, sollte dies Rudolf Steiner sein. Als radikaler sozialer Erneuerer hat Steiner einen nachhaltigen Einfluss; zu seinen institutionellen Erneuerungen zählen Waldorf-Pädagogik, biodynamische Landwirtschaft, anthroposophisch-ganzheitliche Medizin, Phänomenologie und ein innerer meditativer Weg der menschlichen Entwicklung.

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