Kitabı oku: «Dark Shadows – Die Schatten der Vergangenheit», sayfa 5

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Seltsam, denke ich, kaum bist du in Not, kommt schon von irgendwoher Hilfe angerannt. Dankend nehme ich das Angebot an. Die Wunde ist nicht groß, aber sie blutet stark. Etwas Jod darauf schmerzt, aber es stoppt die Blutung. In eine Decke gehüllt, sitze ich mit Fritz, wir duzen uns inzwischen, im Wohnzimmer mit Blick auf das Wasser. Fritz fragt unvermittelt: „Warum bist du nicht in den Schutz der großen Eiche gegangen? Wenn ich beim Angeln dort vom Regen überrascht werde, schützt die mich ausgezeichnet. Die Blätter sind so dicht, dass kaum ein Tropfen darunter kommt.“ „Das hat einen tieferen Sinn“, sage ich. „Du kennst den alten Spruch: ‚Eiche weiche, Buche suche?‘“ „Na ja, das sagt man halt so, aber stimmt das?“ Fritz ist skeptisch. „Die alte Weisheit hat durchaus eine Berechtigung. Grundsätzlich sollte man bei Gewitter ja Bäume überhaupt meiden“, antworte ich. „Verstehe, weil sie hoch sind und der Blitz sich das sucht, was nach oben herausragt“, meint Fritz. „Stimmt. Aber es gibt noch weitere Gründe“, erkläre ich. „Mein Vater, von dem ich den Umgang mit der Wünschelrute lernte, hat mir erklärt, dass der Blitz vom Magnetfeld stärker angezogen wird.“ „Was für ein Magnetfeld?“ fragt Fritz und schaut mich ungläubig an. „Es gibt Beobachtungen, die mit der Wünschelrute überprüft wurden, die besagen, dass die Eiche gern auf erdmagnetischen Feldern steht, die Buche diesen aber auszuweichen versucht. Ein typisches Zeichen dafür ist ein Drehwuchs bei der Buche. Wie bei den Pflanzen, so ist das auch bei den Tieren. Es gibt Strahlensucher und Strahlenflüchter. Das klassische Beispiel sind Hund und Katze. Die Katze liebt Energiefelder und der Hund weicht ihnen aus. In früheren Jahrhunderten hat man die Kühe über die Wiese geschickt, bevor ein Haus gebaut wurde. Dort, wo sie das Gras verschmähten, wurde nicht gebaut, weil man annahm, dort herrsche negative Energie. Die Chinesen haben das schon 1000 vor Christus so gemacht.“ „Hm, da hast du möglicherweise recht. Ich habe mich schon mehr als einmal gewundert, warum auf der Kuhweide an einigen Stellen das satte grüne Gras nicht gefressen wurde“, sagt Fritz.

Ich erkläre weiter: „Andererseits gibt es Felder mit positiver Energie. So wurde im mittelalterlichen Kirchenbau immer darauf geachtet, dass dort, wo der Prediger steht, gute Energie fließt. Wasserläufe und Wasseradern sind Energiefelder, die im Kirchenbau genutzt wurden. Ein berühmtes Beispiel ist die Kathedrale Notre-Dame von Chartres in Frankreich. Der gotische Bau entstand um 1200 herum und birgt viele Geheimnisse.“ Mein Redefluss wird von seiner Frau unterbrochen: „Fritz, wir müssen noch nach Ratzeburg und einkaufen. Da können wir doch unseren armen gestrandeten Freund gleich mitnehmen.“ Auch im Auto hülle ich mich wieder in die Decke, obwohl die Kleidung bereits weitgehend am Körper getrocknet ist. Herzlich für die Hilfe dankend, verabschiede ich mich. Gegend Abend hole ich das Boot mit Hilfe der Clubkameraden zurück.

Das Gefängnis in Ravensburg lässt meine Erinnerungen fließen und ich durchlebe die Ratzeburger Rettung erneut. Mir wird bewusst, dass ich in meinem Leben immer auch ein Quäntchen Glück gehabt haben musste. Wie sagte schon der alte Preußenkönig? „Offiziere ohne Fortuna kann ich nicht gebrauchen!“ Für mich gilt jedenfalls, dass Fortuna oft an meiner Seite war, bei all den Genickschlägen die ich bekam, gab es immer auch glückliche Umstände, die mich vor großem Schaden oder gar dem Tod bewahrt hatten.

Eva-Marie

Im Alter von fast dreißig Jahren jedoch fehlt mir etwas zum Glück. Einerseits fühle ich mich durch die Arbeit überlastet, andererseits bin ich Junggeselle und sehne mich nach einer Gefährtin für einsame Stunden. Ein Mädchen aus Oberbayern spukt in meinen Gedanken herum und raubt mir meine innere Ruhe. Eva-Marie ist die Nichte eines Jagdfreundes. Sie ist im Sommer für wenige Tage aus Weilheim in Oberbayern zu Besuch nach Ratzeburg gekommen.

An einem Samstag im Juli 1938 bin ich zu einer Kaffeetafel in den Garten meines Jagdfreundes eingeladen worden. Ich betrachte Eva-Marie in männlicher Manier und taxiere ihre Figur. Ihre kastanienbraunen Haare glänzen, fallen halblang auf ihre Schultern und wirken seidenweich. Ihre braunen Augen blitzen neugierig und, so bilde ich es mir zumindest ein, herausfordernd. Sie mustert mich eingehend von Kopf bis Fuß. Ihr Dirndl sitzt prächtig, ihre Rundungen kommen im tiefen Ausschnitt glanzvoll zur Geltung. Ich kann meinen Blick kaum abwenden, bis mir bewusst wird, dass mein Blick inzwischen peinlich wirken könnte. Ich hebe den Blick, wir sehen uns in die Augen, ich nehme ihre ausgestreckte Hand und sage mit weicher Stimme: „Ich bin hoch erfreut, dich kennenzulernen.“ Das „Du“ kommt mir automatisch über die Lippen, obwohl es nicht schicklich ist. Eva-Marie ist gerade einmal 23 Jahre alt und damit sieben Jahre jünger als ich. Ich fühle mich einerseits überlegen, andererseits auch spontan sehr vertraut mit ihr. Nach drei Stunden, nach Gesprächen über Gott und die Welt, das Leben im schönen Bayern und das Leben hier im sturen Norden Deutschlands, verabschiede ich mich.

Ich lade sie ein, mit mir am morgigen Sonntag einen Spaziergang durch die wunderbare Natur am Schaalsee zu machen. Ich erzähle voller Begeisterung von dem weichen Wasser des Sees, in dem man gut schwimmen kann, weil das Ufer sandig und der Einstieg bequem sei. Ich packe eine Decke, Handtücher und einen Picknickkorb in mein Auto und hole sie am Sonntagmorgen um 10 Uhr bei ihrem Onkel ab.

Gegen 11 Uhr sind wir am See. Ich kenne eine Badestelle, die windgeschützt und wenig einsehbar ist. Wir breiten die Decken aus. Es sind schon rund 25 Grad im Schatten und wir entschließen uns, zu einem sofortigen Bad im See. Zu Eva sage ich: „Lass mal den Badeanzug weg. Den brauchst du hier nicht, es schaut ja niemand zu. Ich liebe es, nackt zu baden. Und wenn wir uns nachher in der Sonne trocknen, haben wir wenigstens keinen nassen Anzug an.“ Sie ist einverstanden. Wir entkleiden uns und mein Blick schweift verstohlen und neugierig zu ihr hinüber. Ihr Busen ist überwältigend schön.

Größer als bei Uschi, denke ich. Die Muschi ist dezent rötlich behaart, so, dass ich auch die Schamlippen und den wohlgeformten Venushügel erkennen kann. Wir planschen ausgelassen und fröhlich im Wasser herum, wie kleine Kinder, oder besser gesagt, wie Jugendliche im Liebesspiel. Zum Trocknen legen wir uns nackt auf die Decke. Ich döse, träume vor mich hin und habe die Augen fest geschlossen. Es passiert, was mir oft passiert, wenn die Sonne auf mein Glied scheint. Ich bekomme eine Erektion. Plötzlich streift mich ein Schatten. Ein Busen berührt sanft meinen Bauch, etwas Warmes, Feuchtes berührt zärtlich meinen Penis, ich spüre ihren Atem, ihre Lippen. Eva rückt näher heran und ich streichele zärtlich erregt ihren wohlgeformten Hintern.

STOPP, ich unterbreche meine Träume. Ich liege hier nicht am See. Ich befinde mich in einer Gefängniszelle und die ist dunkel und muffig. Nur wenig Mondlicht scheint durch die Gitterstäbe. Von Romantik und sommerlicher Luft ist keine Spur. Doch die Erinnerungen an die schönen Stunden machen mir die Zeit etwas erträglicher. Die Gedanken an Eva-Marie halten mich wach und ich schreibe die Fortsetzung der Geschichte …

Vom 8. bis 12. September, fahre ich nach Oberbayern zu Eva-Marie, ihr Vater hat mich nach Weilheim zur Jagd eingeladen. Genauer gesagt ist das nur die Zeit, die ich als Besuch in Weilheim angemeldet habe. In Wirklichkeit fahre ich bereits am Montag, dem 5. September, in Ratzeburg los. Wegen vernachlässigter und somit aufgelaufener Büroarbeiten kann ich erst am frühen Nachmittag starten. Ich melde mich telefonisch bei der Verwandtschaft, Dr. Kötter, in Goslar an und bekomme dort ein Nachtquartier. Nach einem geselligen Abend mit Onkel, Tante und Cousine geht es am Dienstag in Richtung Süden. Ich wähle eine spezielle, landschaftlich reizvolle Strecke mit wenigen Bergen und ich fahre recht früh los, weil es ein längerer Tagesritt werden wird.

Über Göttingen geht es durch das romantische Tal der Werra nach Bad Hersfeld und dann weiter in den Niederungen bis nach Fulda. Über Bad Brückenau führt die Strecke am Main und den ersten Weinbergen entlang nach Würzburg. In Randersacker am Main mache ich eine kleine Mittagspause bei Winzer König im Bergmeisterhaus von 1729, das im Zentrum des Ortes in der Herrngasse gelegen ist. Die Bergmeister waren die Vermittler zwischen den Domherren und den Winzern, die „ein Zehnt“ an das Domkapitel abliefern mussten. Familie König ist eine Winzerfamilie, die seit Generationen guten Wein und Edelbrände herstellt. Hier bekomme ich einen kleinen Imbiss aus Brot, Käse und Schinken. Einige Rebsorten muss ich probieren. Der Winzer ist sehr stolz auf seine Produkte und ich stimme mich langsam auf den Geschmack verschiedener Reben ein. Der Silvaner mit seiner feinen Säure und zarter Blume ist sehr süffig. Der Müller-Thurgau ist mild mit einem leicht maskierte Duft und Geschmack. Der weit verbreitete Riesling hat eine typische pikante, fruchtige, mitunter leicht nach Marille schmeckende Säure. In diesem Riesling habe ich meinen Favoriten gefunden.

Selbstverständlich muss ich auch die verschiedenen Brände verkosten und am Ende weiß ich gar nicht mehr, welcher der Brände mir besser schmeckt. Was möglicherweise auch an der Menge liegt, die ich probiere. Irgendwann erschlaffen die Geschmacksnerven und ich kann die Feinheiten nicht mehr herausschmecken. Nicht mehr ganz nüchtern starten wir die Verkaufsverhandlung. Ich entscheide mich für eine Kiste Riesling und zwei Flaschen „Fränkischen Tresterbrand“ als Gastgeschenk für die Eltern von Eva-Marie. Wobei dieses Geschenk mit einem Hintergedanken verbunden ist. Es könnte ja sein, dass unsere Jagd erfolgreich wird und wir dann etwas Anständiges brauchen, um „den Bock totzutrinken“.

Leicht beseelt fahre ich über Ansbach nach Gunzenhausen an der Altmühl. Das sind rund drei Stunden Fahrtzeit. Dort bin ich im Gasthaus Zur Krone angemeldet. Ich kenne dieses Wirtshaus mit Fremdenzimmern bereits von früheren Fahrten.

Das Gasthaus befindet sich seit 1872 in Familienbesitz und wird gut geführt. Die Küche ist deftig fränkisch bis bayrisch geprägt. In froher Erwartung überlege ich bereits auf der Fahrt, was ich wohl zum Abendessen auswählen könnte. Sauerbraten, Schweinebraten mit Kruste oder Schäufele mit Kartoffelklößen, Leberkäse mit Spiegelei und Bratkartoffeln oder Nürnberger Würstchen? Mir läuft das Wasser im Mund zusammen. Endlich angekommen, die Uhr zeigt halb sieben an, belege ich das Zimmer zum Hof und begebe mich dann schnellstens in den Biergarten hinter dem Haus unter den alten Kastanien. Das erste Bier zischt, als hätte ich einen 5000-Meter-Lauf absolviert. Von den örtlichen sechs Brauereien in Gunzenhausen schmeckt mir das Bier vom alten Brauhaus Adlerbräu am besten, das direkt am Marktplatz gelegen hatte. Vor einigen Jahren hatte ich dort einmal übernachtet und mit Freunden gezecht. Das Gasthaus der Familie Kamm, Zur Krone, mit seiner familiären Atmosphäre und dem Wirt Johannes, der nur wenige Jahre älter als ich war, gefällt mir aber besser.

Meine Entscheidung für das Abendessen fällt auf Leberkäse mit Spiegeleiern und Bratkartoffeln, eine Speise, die typisch bayrisch und in Norddeutschland nicht so geläufig ist. Der Wirt bringt mir das Essen und eine Halbe Maß Bier. Kaum hat er sich umgedreht, plumpst etwas ins Bierglas. Bei genauer Betrachtung stellt es sich als Vogelschiss heraus. Sieht nicht besonders appetitlich aus, wie es sich so im Bier verteilt. Der Wirt hört mein angewidertes „Iiiihhh!“, dreht sich um und biegt sich vor Lachen. „Mein Gott, Doktor, haben Sie ein Glück, das hätte auch Ihren Kopf treffen können. Mit den Tauben haben wir hier laufend Ärger. Und es werden immer mehr. Was ja kein Wunder ist, wenn sie von unvernünftigen Gästen mit Essensresten gefüttert werden. Aber lustig ist es schon, wenn der Vogelschiss jemanden trifft. Schadenfreude ist halt die schönste Freude. Ich bringe Ihnen sofort ein neues Bier. Dieses Mal eine ganze Maß zum halben Preis als Entschädigung für den Schreck.“

Es ist ein lauer Spätsommertag und selbst spät abends herrschen noch angenehme 21 Grad. Der Biergarten ist gut besucht und gegen 21 Uhr, nachdem alle Speisen serviert sind und die Küche Schluss macht, setzt sich der Wirt zu mir. Er fragt, wo ich herkomme und wo ich hinwill. Ich erzähle von meiner Liebe in Weilheim und dass ich dort von den Eltern des Mädchens zur Jagd eingeladen worden war. Ich erzähle auch von meinen Bedenken, man könnte mich als Schwiegersohn einfangen wollen. Kaum bin ich fertig, legt Johannes los: „Eine Familie hat ihre guten und schlechten Seiten. Wie Schiller schon im Wallenstein schrieb: ‚Wo viel Licht ist auch viel Schatten‘. Pass auf, dass du nicht von der Sonne geblendet wirst und dich am Ende nur noch im Schatten wiederfindest. Nach dem Abitur wollte ich Maschinenbau studieren, mit dem Schwerpunkt ‚Landwirtschaftliche Geräte‘. Ich war gerade im ersten Semester in Mannheim, da wurde mein Vater, der den Betrieb hier immer organisiert hatte, krank. Meine Mutter konnte die Gastwirtschaft ohne männliche Hilfe nicht alleine schaffen. Was tun, war die große Frage. Sollte ich meinen eigenen Weg weitergehen und die Familie mit dem Problem allein lassen oder sollte ich der Tradition der Familie folgen? Ich bin dann schließlich dem Ruf der Familie gefolgt. Mein Vater starb wenige Wochen später und somit lag die ganze Verantwortung für die Familie und den Betrieb plötzlich in meinen jungen Händen.

Mein jüngerer Bruder ging noch zur Schule, er war nicht reif für die Verantwortung und von seinem ganzen Wesen her sowieso auch kein zukünftiger Gastwirt. Ergo blieb alles an mir hängen. Aber ich will mich nicht beklagen, ich habe Freude daran, Gäste zu bewirten. Aber manchmal wurmt es mich doch, weil ich nicht frei in meinen Entscheidungen bin. Immer, wenn ich etwas Neues einführen will oder einmal in das Aussehen der Gasträume oder Zimmer investieren will, blockiert mich meine Mutter stets mit den Worten ‚Das hätte dein Vater nicht gewollt‘. Ich frage mich dann, ob es nun mein Betrieb ist oder immer noch der Betrieb meines Vaters, den ich nur stellvertretend und unter strenger Aufsicht meiner Mutter im vermeintlichen Sinne des Vaters führen muss? Manchmal möchte ich alles hinschmeißen, aber dann halten mich mein Verantwortungsgefühl und die Pflicht, für meine Mutter und den jüngeren Bruder zu sorgen, zurück. Zum Glück habe ich eine tüchtige Frau heiraten können, die selbst aus der Gastronomie kommt und solche Probleme bestens kennt. Sie ist eine große Unterstützung für mich. Aber ich weiß nicht, ob ich unserem Sohn eines Tages die Last des Erbes aufbürden soll. Wenn er sich berufen fühlt, sicherlich, aber ansonsten soll er frei in seiner Entscheidung sein.“ „Das kenne ich“, sage ich, „eigentlich wollte ich Förster werden, wie meine Vorfahren. Meine Mutter aber war der Meinung, ich müsste Medizin studieren und ein richtiger Arzt werden, damit sie mit mir protzen kann. Zu ihrem Ärger habe ich aber nur Tiermedizin studiert. Tiere aber sind mir oft viel näher als so manche Mitmenschen.“ Johannes ermahnt mich: „Sei zufrieden mit dem, was du machst! Wirklich unglücklich siehst du mir auch nicht aus“. Ich stimme ihm zu. Wir trinken den letzten Schluck und wünschen uns eine gute Nacht.

Am folgenden Tag fahre ich nach einem kräftigen Frühstück durch das malerische Altmühltal in Richtung Eichstätt, Ingolstadt und Pfaffenhofen mit dem Ziel München. Es ist wieder ein wunderbarer lauer Tag und ich genieße es, mit offenen Fenstern und Verdeck durch die bayrischen Wiesen, Felder und Wälder zu fahren. Müsste ich nicht Auto fahren, könnten sich meine Augen von der Landschaft nicht lösen.

In München kann ich das Gästezimmer in meinem Verbindungshaus der Ratisbonia benutzen. Es sind nur zwei Personen dort, die ich von früher noch kenne. Günther Theimert, Student der Chemie, und Detlev Wulff, der Ingenieurwissenschaft studiert. Beide waren 1934 zu Ratisbonia gekommen und stehen kurz vor Abschluss ihres Studiums. Der Empfang ist sehr herzlich. Zum ersten Mal habe ich das Gefühl, als alter Herr an meine frühere Wirkungsstätte zurückzukommen. Aufgrund meiner frühen Ankunft bleibt reichlich Zeit, alle mir noch vertrauten Plätze zu besuchen. Im Englischen Garten laufen viele Menschen mit ihren Hunden herum oder sitzen in der Sonne. Ich denke an die besondere Nacht, in der ich Heidrun nach Hause gebracht hatte, dann im Englischen Garten schlief und von einem Hund geweckt wurde. Alles ist mir sehr vertraut und ich habe das Gefühl, hier zu Hause zu sein.

Von München bis Weilheim sind es circa 60 Kilometer, die ich ganz gemächlich fahre, mit einem Stopp am Starnberger See. Auch im Münchner Ruder- und Segelverein von 1910, an der Seepromenade 2 in Starnberg, bin ich willkommen. In meiner Münchner Zeit war ich mit einigen Verbindungsbrüdern hier häufiger zum Rudern gefahren. Ich brauche nicht in ein Boot zu steigen, um in meinen Gedanken die früheren Touren emotional sehr nahe nachzuerleben. Ich schließe die Augen und sehe mich mit den Freunden auf den See hinaus rudern. Wer wird der Schnellste sein? Ein Wettkampf musste immer sein. Egal wer gewann, wir waren anschließend stets in fröhlicher Gemeinschaft beisammen. Die Verlierer zahlten das Bier.

Am frühen Nachmittag des 8. Septembers erreiche ich in Weilheim das Anwesen von Eva-Marie. Der Jagdhund, ein kleiner Münsterländer, empfängt mich mit Gebell. Als ich aussteige und ihn anspreche, wird er ruhiger und kommt zögernd auf mich zu. Meinen Handrücken hinhaltend, wird er zutraulich und nimmt meine Witterung auf. Ich kann ihn mit vorsichtiger Handbewegung streicheln und wir werden Freunde. Durch das laute Gebell kommt Eva-Marie, die schon sehr auf mich gewartet hat, aus dem Haus gerannt. Sie umarmt und küsst mich.

Evas Eltern haben ein beachtliches Anwesen, ein nicht zu großes und wenig protziges Herrenhaus mit einer Lindenallee von ungefähr 100 Metern Länge, die auf das Gebäude zuläuft. Geschätzt sind es 1000 Hektar Land, Wald, Wiese und Ackerland. Die sympathischen und kultivierten Eltern nehmen mich sehr herzlich auf. Wie einen künftigen Schwiegersohn, schießt es mir durch den Kopf. Meine inneren Alarmglocken schrillen. Stopp, Lutz! Begib dich nicht in dieses Familiengefängnis. Und plötzlich begreife ich die naheliegende Haltung des Vaters. Er sucht einen ansehnlichen Versorger für die einzige Tochter, einen Mann, der für kräftige Enkel sorgen wird, die später einmal den Hof weiterführen werden. Ein gutaussehender Tierarzt, der für Nachwuchs sorgt und ihm die Altersversorgung sichert, wäre ihm gerade recht.

Ich wohne im Nebengebäude, im Gästehaus. Zu damaliger Zeit wurde in den Familien sehr darauf geachtet, dass unverheiratete Männer und Frauen vor allem nach außen hin auf sittlicher und höflicher Distanz blieben. Ich halte sittsamen Abstand zu Eva-Maria und suche nach Argumenten, warum eine Fernbeziehung gerade jetzt, in dieser Zeit der politischen Umbrüche, schwierig sei. Unsere Liebe, wenn es überhaupt schon Liebe war, endet nach einigen Briefwechseln noch in diesem Jahr. Ich fühle mich wieder frei.

Jagd in Ratzeburg

In Hinsicht auf die Jagd bin ich in meiner Ratzeburger Zeit sehr aktiv. In einem schönen Revier, direkt auf der anderen Seite der Elbe, in Mecklenburg, ist mir das Jagen erlaubt. Ich bin in Ratzeburg als stellvertretender Veterinärrat tätig, das Reichsministerium in Berlin hat mich dorthin beordert. Mein neuer Freund, Tierarzt Dr. Weinrich, ist Inhaber dieses großen Reviers zwischen Wittenburg und dem Schaalsee. Fröhliche Stunden verbringen wir dort in einem kleinen Gasthaus. Ein ebenso zechfrohes wie trinkfestes Jägervolk trifft hier abends zusammen.

Mein Freund Dr. Franz Weinrich führt mich an die Perdöhler Kante und sagt: „Am Ende dieses Pirschweges steht eine wackelige Kanzel. Wenn du vorsichtig bist, kannst du noch rauf. Versuch dein Glück und Hals und Beinbruch.“ Wie wahr, es hätte auch beides passieren können. Leise schiebe ich mich durch die Dickung und rauf auf die Kanzel. Verflucht, das Ding wackelt und knackt ganz bedenklich. Nun bin ich oben. Erst einmal vorsichtig eine Zigarette anstecken und das Gewehr laden. Nur keine ungeschickte und heftige Bewegung machen. Donnerwetter, da kommen schon zwei Böcke vom Feld her. Wie die Post im Walde verschwinden sie wieder im Busch. Einige Beruhigungszüge aus der Zigarette und … Da! Da steht der eine Bock schon wieder auf dem Feld, dicht vor mir. Vorsichtig nehme ich die Büchse hoch. Noch ahnt der Bock nichts. Schön draufhalten auf das Blatt, denke ich, von oben geschossen, höher halten. So rede ich mir die Regeln ein. Jetzt will er einen Schritt nach vorn machen. Da lasse ich die Kugel fliegen. Eine Flucht vorwärts, eine Volte und beinah wieder auf dem Anschuss bricht er zusammen. Alles geht so schnell!

Die Zigarette, erst zur Hälfte aufgeraucht, brennt noch. Ich stecke sie wieder zwischen die Lippen. Abwarten und Zeit geben, denke ich, damit das Tier wirklich verenden kann.

Jetzt hat mich das Jagdfieber gepackt und es schüttelt mich heftig. Knack, Krach, Bum! Da bekommt die Kanzel Übergewicht, neigt sich und bricht im Zeitlupentempo Richtung Boden. Ich finde mich im Sand wieder und liege in greifbarer Nähe zu meinem Bock. Ohne mich aufrichten zu müssen, kann ich seine schwarzen Stangen fassen. Alles gut gegangen. Ich habe weder Hals- noch Beinbruch erlitten und ich kann mich aus vollem Herzen über dieses Erlebnis freuen. Da knallt es in der Nähe, am anderen Ende der Dickung. Auch Freund Weinrich ist zum Schuss gekommen. Beide Böcke werden anschließend gründlich „tot getrunken“.

Rückblick

Im Gefängnis herrscht abendliche Stimmung. Ich hatte einen ruhigen Tag und sitze so entspannt wie möglich auf meinem harten Holzstuhl. Das macht mir nichts aus, solange ich mir einfach einbilde, ich säße auf einem Hochsitz bei der Jagd. Diese Hochsitze sind ja auch nicht gerade bequem und kein Balsam für den Hintern. Die restlichen Sonnenstrahlen tauchen die trübe Zelle in ein sanftes rötliches Licht. Die Sorge um meine zukünftige Existenz bedrückt mich. Was, wenn ich nach einer Verurteilung nicht in meinen Beruf zurückkehren kann?

Meine Gedanken schweifen zurück in die Jahre 1937 und 1938, den Beginn des Zusammenbruchs vieler ehrlicher Existenzen. Ich versuche zu verstehen, was sich damals entwickelte. Werde ich es jemals verstehen können? Ich habe meine Zweifel. Aber ich will den Versuch wagen. Dafür aber muss ich mich auch den unangenehmen, bislang verdrängten Erinnerungen meiner Vergangenheit stellen.

Während meiner Schulzeit, also bis 1928, hatte ich keinen Judenhass in meiner Familie verspürt. Die innere Einstellung meiner Eltern aber kannte ich nicht, über solche Dinge wurde einfach nicht geredet. Allerdings war mein Vater in meiner Wahrnehmung viel zu gutmütig, um irgendjemanden hassen zu können. Auch von meiner Mutter habe ich keine gehässigen Worte in Erinnerung. In der Schule hatten wir mehrere jüdische Kameraden, die für uns aber in keiner Weise auffällig waren. Sie waren halt einfach nur Freunde oder eben auch nicht, wie alle anderen auch.

Nach meinem Empfinden haben die Juden immer eine Art Parallelgesellschaft gebildet. Sie haben sich abgegrenzt beziehungsweise wurden von den deutschen Bürgern ausgegrenzt. Ihr strenger Glaube ließ keine familiäre Bindung zu Andersgläubigen zu. Ich selbst hatte, außer in der Schule, keine direkten Kontakte zu jüdischen Menschen. In den Studentenverbindungen wurden keine Juden aufgenommen. Als einen Gegenpol gründeten die jüdischen Studenten ab 1883 eigene Vereinigungen.

In Dessau gab es einige wenige jüdische Geschäftsinhaber und eine größere Anzahl an jüdischen Rechtsanwälten und Ärzten. Die NSDAP war bereits 1933 im Stadtrat vertreten und der Gauleiter von Magdeburg-Anhalt forderte alle Bürger auf, nicht bei Juden zu kaufen. Diese Aufforderung wurde von meinen Eltern nicht diskutiert, jedenfalls nicht offen in der Familie. Vermutlich aber auch hinter verschlossenen Türen nicht, denn von nun an wurden Geschäfte mit jüdischen Inhabern gemieden. Einige meiner Schulkameraden sind in den Jahren 1933 bis 1938 mit ihren Eltern ausgewandert. Heute ist mir bewusst, dass sie sehr gute Gründe hatten und klug handelten.

Im Januar 1938 wird allen jüdischen Zahnärzten die Krankenkassenzulassung gestrichen, ab Juli wird allen jüdischen Ärzten die Approbation entzogen. Deutsche Juden müssen in ihren Pass ein „J“ eintragen lassen. Ungeachtet der hohen Arbeitslosigkeit werden Juden vom Reichsarbeitsdienst ausgeschlossen. Sie sind nicht mehr vermittelbar. Alle Juden werden von Leitungspositionen zurückgezogen und degradiert. Alle deutschen Beamten, die mit einer Jüdin verheiratet sind, müssen sich scheiden lassen oder das Amt verlassen. Die Steigerung des Verfolgungswahns ist die Ungültigkeitserklärung der KFZ- Führerscheine der Juden. Eine neue „Schutzhaftbestimmung“ erlaubt es der Gestapo, willkürlich Verhaftungen vorzunehmen.

Jetzt, wo ich selbst inhaftiert bin, wird mir das Ausmaß dieser Willkür in all seinen Konsequenzen bewusst. Wie konnte ich diese zutiefst verwerfliche und unmenschliche Entwicklung ignorieren?

Als ich 1934 Mitglied der Allgemeinen SS werde, bin ich dem Irrglauben verfallen, einer politischen Elite beizutreten. Selbst, als ich miterleben muss, wie eine Horde von ungebildeten ehrlosen Nichtsnutzen in die SS strömen, fällt mir nicht ein, wieder auszutreten.

Warum? War ich zu feige? War ich innerlich doch konform mit dem NS-System und dem, was geschah? Habe ich alles ausgeblendet, um mich nur auf meine eigene Karriere zu konzentrieren? Denn Karriere machen wollte ich und meine Existenz wollte ich auf keinen Fall gefährden.

Wie war die politische Situation zu dieser Zeit: Jegliche Kritik am NS-Regime ist ab 1938 unter Strafe gestellt. Etwa 15.000 polnische Juden werden 1938 gewaltsam nach Polen abgeschoben. Das erbost einen 17-jährigen polnischen Juden, der in Paris lebt, so sehr, dass er am 7. November ein Attentat auf den deutschen Diplomaten Ernst vom Rath verübt. Das Attentat wird von der NS-Propaganda als Anlass genommen, einen Pogrom in Deutschland auszulösen. Der primitivste Mob der NSDAP und alle, die sich zugehörig fühlen, werden aufgehetzt und wie wilde Hunde losgelassen.

In dieser „Reichskristallnacht“ brennen jüdische Geschäfte, Friedhöfe werden geschändet, Synagogen zerstört und viele Juden auf die Straße gezerrt, misshandelt oder getötet. Hitler verspricht, im Falle eines Krieges alle Juden zu vernichten. Und Kriegsstimmung liegt schon lange in der Luft.

Die Diktatoren Benito Mussolini und Francisco Franco verbrüdern sich mit Adolf Hitler. In Spanien tobt seit 1937 ein brutaler Bürgerkrieg und Hitler unterstützt den Bruder im Geiste mit unserer deutschen Luftwaffe. Die Legion Condor hilft dabei, ganze Städte im Baskenland in Schutt und Asche zu legen. In der Münchener Konferenz in der Nacht vom 29. auf den 30. September 1938 vereinbaren die Westmächte unter anderem, dass die Tschechoslowakei das Sudetenland an das Deutsche Reich abtreten muss. Österreich wird kampflos an das Deutsche Reich übergeben. Die deutsche Wehrmacht marschiert in Österreich ein, der österreichischen Armee ist es verboten, sich zur Wehr zu setzen. Alle politischen Gegner in Österreich werden verhaftet. Welch ein persönlicher Triumpf für Adolf Hitler, der aus diesem Land einmal ausgewiesen wurde.

Die Eröffnung meiner Praxis.

In diesen unruhigen Zeiten wage ich es, mich selbständig zu machen. Anfang 1939 eröffne ich meine eigene Praxis in Ilfeld bei Nordhausen. Wer in Richtung Braunlage fährt, kommt zwangsläufig durch diesen kleinen Ort. Seit meiner Studienzeit träume ich davon, mich selbständig zu machen, Erfolg zu haben, viel Geld zu verdienen und ein bekannter respektierter Tierarzt zu sein. Mein Streben nach Unabhängigkeit ist mein Antrieb. Außerdem will ich meiner Mutter beweisen, dass ich unternehmerisch und erfolgreich sein kann, erfolgreicher, als mein Vater es je war. Mein Vater hat immer dagegengesprochen und versucht, mir das Angestellten- oder Beamtenleben schmackhaft zu machen. Sein Leitspruch war: „Des Kaisers Rock ist eng, aber warm“. So viel Wärme wollte ich aber nicht haben, sondern mich ausprobieren und den Zauber des eigenen Erfolgs verspüren.

Seit 14 Tagen sitze ich in meiner Praxis. Es ist still, nichts passiert. Im Flur schrillt das Telefon. Erwartungsfroh springe ich an den Apparat, bisher hatte ich nur wenige Aufträge und melde mich mit dienstbereiter Stimme: „Tierarzt Dr. Reuss“ „Hallo Herr Doktor, hier ist das Forstamt Ilfeld. Haben Sie Zeit und Lust zur Jagd zu kommen? In Sülzhayn sind Sauen bestätigt worden. Können Sie noch zwei Mann im Wagen mitnehmen? In dreißig Minuten geht’s los!“ Eigentlich hatte ich ja auf den großen Einsatz als Tierarzt gewartet, der mich im Praxisgebiet berühmt machen sollte. Man muss eben Geduld haben, dachte ich. Aber es bleibt auch weiterhin ruhig. Das Einkommen ist entsprechend gering. Kaum genug zum Leben, zu viel zum Sterben.

Meine Langeweile vertreibe ich mir mit Saujagden im tiefen Schnee, Hundegebell und Hörnerklang. Auf dem Hochsitz bin ich immer sehr entspannt und von den alltäglichen Dingen entrückt. Ich spüre die Stimmung meiner Umgebung und habe Freude daran, sie in Worte zu fassen:

Ein Fuchs kommt leis’ dahergeschlichen

Sein Fell ist leuchtend rot

Wäre er doch ausgewichen

Die Kugel trifft, nun ist er tot

Totholz modert überall

Insekten sich im Laub verstecken

Der Frühling wird auf jeden Fall

gutes Leben neu erwecken

Zum Ausbruch des Krieges, am 1. September 1939, gebe ich meine Praxis in andere Hände. Als freier Tierarzt bin ich gescheitert. Was nun? Ich fühle mich zwar nicht zu einer Existenz als Soldat berufen, aber die Geldnot verführt mich zu schnellem Handeln. Ich habe die Hoffnung, über das Militär für Veterinäraufgaben eingesetzt zu werden, in zivilen Bereichen und nicht direkt im Kriegsgebiet. Anfangs geht die Rechnung auf, aber nicht lange.

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