Kitabı oku: «Grenzgold», sayfa 3

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Samstag, 23. November 2013

Mit der Taschenlampe auf den Boden gerichtet, stand Pytlik neben Joseph Ferdinand Kaiser. Er hatte seinen Assistenten erreicht und ihm das Wesentliche berichtet. Der Unternehmer zitterte und wirkte abwesend. Der Hauptkommissar hatte den leblosen Körper des Vaters bereits kurz inspiziert. Für ihn gab es keine Hilfe mehr.

Pytlik war überzeugt davon, dass, so wie alles passiert war, der Täter sich bereits aus dem Staub gemacht hatte. Zwar meinte er, grob bestimmen zu können, aus welcher Richtung die Schüsse abgefeuert worden waren, alles weitere musste jedoch von den Kollegen der Spurensicherung untersucht werden.

»Können wir irgendwo in ein Büro oder einen anderen Raum?«

Kaiser reagierte mit Verzögerung auf Pytliks Frage. Dann kramte er einen Schlüsselbund aus der Hosentasche und ging einfach los. Pytlik folge ihm und richtete dabei den Lichtstrahl vor Kaiser auf den Boden.

Kurze Zeit später saßen sie im ersten Stock eines Verwaltungsgebäudes in einem Büro, von dem aus man auf den Tatort hinunterblicken konnte, in dem sie nach Pytliks Einschätzung aber für den Schützen nicht zu sehen gewesen wären. Der Hauptkommissar hatte eine Schreibtischlampe angemacht, Kaiser hatte ihm gegenüber Platz genommen. Er gab ein Bild des Elends ab. Pytlik konnte nichts Befriedigendes daran finden. Er begann, seinen Job zu tun.

»Es tut mir leid, was passiert ist! Ich weiß, dass das für dich jetzt gerade eine sehr schlimme Situation ist.«

Pytlik versuchte einigermaßen einfühlsam mit Kaiser zu reden, sein Gegenüber regte sich nicht und ob er ihm zuhörte, war nicht zu erkennen.

»Ich habe das Notwendigste bereits veranlasst. Ich muss mit dir dennoch einige Dinge besprechen, bevor hier das Chaos ausbrechen wird.«

Der neue Tag war gerade eine Viertelstunde alt. Das Telefon des Hauptkommissars klingelte – Franziska! Pytlik blieb sitzen. Was er mit Kaisers Schwägerin zu besprechen hatte, konnte dieser ruhig mithören.

»Hallo!«, begrüßte er sie und gab seiner Stimme einen gehetzten Unterton.

»Was ist los? Wo seid ihr? Hier kommt langsam Unruhe auf und es ist wie im Fußballstadion. Die einen rufen im Chor die ganze Zeit nach JFK, die anderen sind davon genervt. Es gibt schon das eine oder andere Handgemenge. Wenn er nicht bald wieder da ist, wird das noch böse enden!«

Pytlik hörte, dass Franziska zwar irgendwo abseits war, allerdings waren die Hintergrundgeräusche eindeutig und passten zum Geschilderten.

»Hör gut zu und versuche, dich zu fassen! Okay?«

»Aber, was ist denn…«

Pytlik unterbrach sie abrupt.

»Der Senior ist tot!«

Pytlik konnte den Schrecken, den er Franziska damit versetzt hatte, förmlich spüren; ein schwaches ›Oh, Gott!‹ hörte er.

»Aber…«

»Hör zu! Du musst dafür sorgen, dass die Securityleute die Party beenden! Ohne Panik, ohne Gewalt! Ist Gerda schon aufgetaucht?«

»Nein, ich habe keine Ahnung, wo…«

Franziska wirkte verwirrt, ihre Stimme klang zerbrechlich; die Situation schien sie zu überfordern. Pytlik versuchte, sie zu beruhigen.

»Ganz ruhig, Schatz! Such dir jemand vom Sicherheitsdienst! Sag ihm, dass JFK bei seinem Vater ist, dem es sehr schlecht geht. Niemand wird das jetzt prüfen.«

Plötzlich fiel Pytlik die Mutter ein. Wilhelm Kaisers Frau war sicherlich mindestens in einer misslichen Lage, falls der Todesschütze sie überhaupt am Leben gelassen hatte.

»Sucht euch zuerst die noch nüchternen Gäste aus, die, die einigermaßen einen vernünftigen Eindruck machen! Die müssen schnell raus! Es gibt dann vielleicht einen entsprechenden Effekt. Verstehst du?«

»Okay, verstanden!«

Pytlik wusste, dass Franziska dennoch nicht lockerlassen würde.

»Was ist passiert, Franz?«

Er überlegte kurz, dann antwortete er.

»Kein Wort zu irgendjemandem: Wilhelm Kaiser wurde auf dem Firmengelände erschossen. Ich sitze mit JFK in einem Büro. Wir sind in Sicherheit!«

Zwischen beiden herrschte kurzes Schweigen, dann ermahnte Pytlik sie.

»Tu jetzt bitte, was ich dir gesagt habe! Alles andere dann später!«

Danach wandte er sich wieder an Kaiser.

»Wir müssen den Plan ändern!«, sagte Pytlik und stand auf.

»Was ist?«, wollte Kaiser wissen.

»Deine Mutter!«, antwortete Pytlik, der bereits an der Bürotür stand.

***

Pytlik hatte sich auf dem Weg zur Villa der Senioren gefragt, ob er alles im Griff hatte. Er konnte sich keine befriedigende Antwort geben. Zu viele Fäden musste er im Moment gleichzeitig in der Hand halten, die er allerdings nicht alle kontrollieren konnte. Wilhelm Kaiser in dieser elendigen Situation zu sehen und wegen der noch nicht erfolgten Spurensicherung auch nichts unternehmen zu können, widerte ihn an. Franziska beim augenscheinlichen Chaos im Hause Joseph Ferdinand Kaisers nicht helfen zu können, machte ihn wütend und besorgt. Vom Gastgeber noch keine weiteren Informationen bekommen zu haben zum genauen Ablauf vor dem tödlichen Schuss, war ein Versäumnis, das aber im Moment genau wie andere Dinge hintangestellt werden musste.

Das Anwesen von Wilhelm und Hildegard Kaiser war über eine schmale, geteerte Straße innerhalb des Firmengeländes erreichbar. Nach wenigen Minuten sah Pytlik das hell erleuchtete Grundstück, das, leicht erhöht in einen Hang gebaut, wie eine Art Hochsitz über dem Unternehmen thronte.

»Lass mich vorausgehen!«, bat Joseph Ferdinand Kaiser den Hauptkommissar.

Eine massiv ummauerte Stahlgittertür stand offen, und Kaisers Gesichtsausdruck ließ Pytlik nichts Gutes erahnen. Nachdem sie den halben Weg zum Hauseingang zurückgelegt hatten, schreckte Kaiser zurück, da er links im Schnee etwas entdeckt hatte.

»Verdammte Scheiße!«

Auch Pytlik sah jetzt, was er im ersten Augenblick nicht wahrhaben wollte. Der Schnee war mit Blut getränkt und deutlich war am Hals eine große Schnittwunde zu sehen. Der Dobermann war tot!

»Wir müssen uns beeilen!«, drängte Pytlik Kaiser.

Alle Türen und Fenster des großen Hauses waren verschlossen. Zum Wohnhaus seiner Eltern hatte Joseph Ferdinand Kaiser keinen Schlüssel. Der Unternehmer rief in regelmäßigen Abständen nach seiner Mutter, allerdings bekamen er und Pytlik keine Antwort. Nach einem weiteren Rufen und nachdem sie das Haus zum zweiten Mal umrundet hatten, machte Pytlik kurzen Prozess. Ihm war es egal, wie wertvoll die kleine Marmorstatue war, die anscheinend einen griechischen Kämpfer symbolisieren sollte, und ihm war es auch egal, ob nach dem Einschlagen der Fensterscheibe, hinter der sich möglicherweise eine Gästetoilette befand, die Alarmanlage losgehen würde. Das wäre sicherlich im Moment das geringste Problem, dachte er sich.

Der Hauptkommissar hatte ganze Arbeit geleistet. Nachdem die Scheibe zersplittert war, verschaffte er sich und Kaiser über das Hauswirtschaftszimmer Zutritt zur Villa. Joseph Ferdinand Kaiser rief nun permanent nach seiner Mutter und rannte gezielt hinauf in den ersten Stock, wo sich Schlaf- und Badezimmer seiner Eltern befanden. Er war schneller als Pytlik, und als der Hauptkommissar wenige Sekunden später im Türrahmen stand, war Kaiser bereits über den leblosen Körper seiner Mutter gebeugt.

»Mama? Mama!«

Kaiser hatte seine Mutter an den Schultern gepackt und sie erst langsam, dann immer heftiger geschüttelt. Aus einer Platzwunde oberhalb ihres rechten Auges war Blut auf den weißen Teppich geflossen. Pytlik eilte dem Sohn zu Hilfe, zog ihn zur Seite und prüfte. Das Blut an der Stirn war bereits verkrustet, er spürte keinen Puls und Hildegard Kaiser atmete nicht mehr. Nachdem er vermutete, dass der Mörder Wilhelm Kaisers bereits vor mehreren Stunden hier im Haus gewesen sein musste, gab es offensichtlich auch für die alte Frau keine Hoffnung mehr. Pytlik stand auf, legte Joseph Ferdinand Kaiser mitfühlend eine Hand auf die Schulter und holte dann sein Mobiltelefon aus der Jackentasche.

***

Pytlik hatte den gebeutelten Kaiser darum gebeten, zurück ins Büro zu gehen und auf ihn zu warten. Der Hauptkommissar befand sich gerade in einer der schwierigsten Situationen seiner bisherigen Dienstzeit. Er hätte sich um die eskalierende Feier in Welitsch genauso wie um seine Lebensgefährtin und den Sohn des ermordeten Ehepaars kümmern müssen.

Obwohl er klar im Kopf war, fiel es ihm schwer, ein System in sein Handeln zu bekommen. Er hatte sich in der Villa, in der Hildegard Kaiser tot in ihrem Schlafzimmer lag, noch einmal umgesehen, war aber zu dem Schluss gekommen, dass der Mörder sich im Haus selbst nicht länger aufgehalten hatte als es notwendig gewesen war.

Nachdem Pytlik alles Weitere der Spurensicherung überlassen wollte, machte er sich über die Treppe nach unten auf den Weg, um Joseph Ferdinand Kaiser zu befragen. An der untersten Stufe angekommen, schaute er sich intuitiv noch einmal um und konnte durch die geöffnete Wohnzimmertür den Lichtstrahl sehen, den – gute hundert Meter entfernt – Kaiser mit der Taschenlampe im Innenhof des Firmengeländes auf dem Weg ins Büro vor sich her wandern ließ. Pytlik ging schnell zur großen Terrassentür und konnte noch schemenhaft erkennen, wie der Sohn neben dem Stapler mit seinem toten Vater auf der Palette kurz stehen blieb und dann seinen Schritt beschleunigte. Pytlik überlegte angestrengt, danach leuchtete er selbst mit seiner Taschenlampe durch die Glasscheibe hinaus auf den schneebedeckten Boden. Keine Fuß- oder sonstigen Spuren. Nur einige Körner des nach unten gefallenen Vogelfutters konnte der Hauptkommissar entdecken. Dennoch ließ ihm seine Vermutung keine Ruhe. Ein weiteres Mal machte er sich auf den Weg nach oben.

***

Pytlik hatte zwei Kollegen der Schutzpolizei direkt zur Villa der Ermordeten bestellt, um das Haus zu sichern, bis der Arzt und später die Spurensicherer vor Ort waren.

Auch ihm war mulmig, als er über das Firmengelände marschierte und im Vorbeigehen meinte, Wilhelm Kaiser noch atmen zu hören. Es war ausgeschlossen, das wusste er. Vielleicht war es auch seine eigene Müdigkeit, die sich langsam bemerkbar machte. Auf dem Boden konnte er – er war sich sicher – Teile der durch den tödlichen Schuss herausgesprengten Schädeldecke sehen. Sein Mund wurde trocken, da half ihm seine ganze langjährige Erfahrung nicht.

Es war mittlerweile zehn Minuten vor eins. Hinter sich hörte er plötzlich ein Fahrzeug, das sich mit Blaulicht näherte. Der Notarzt, den Pytlik vorab über das, was er bereits sagen konnte, informiert hatte, stellte sein Auto in einiger Entfernung vom Stapler ab. Er stieg aus, das Abblendlicht des Wagens ließ er brennen. Danach ging er zu Pytlik, und die beiden Männer begrüßten sich und stellten einander vor.

»Ich denke, Sie werden hier nicht viel Arbeit haben«, erklärte Pytlik, nachdem sie den Leichnam noch einmal in Augenschein genommen hatten. Der Hauptkommissar hatte dabei auch auf die am Boden liegenden Teile des Kopfes gedeutet. Der Arzt stellte seinen Koffer ab und schaute sich hilfesuchend um.

»Ich müsste zumindest irgendwie an ihn rankommen, um…«

»Verstehe!«, erkannte Pytlik das Problem. Nachdem sie einige Holzpaletten, die in ein paar Metern Entfernung gelagert waren, herangetragen und übereinandergestapelt hatten, konnte der Mediziner seine notwendigsten Arbeiten verrichten. Pytlik hatte ihn noch kurz instruiert, da sicherlich auch die Kollegen der Spurensicherung bald eintreffen würden.

»Wenn Sie mich noch brauchen, ich bin da oben zu finden.«

Der Hauptkommissar hatte mit ausgestrecktem Arm auf ein Fenster gedeutet, in dem ein schwacher Lichtschein zu sehen war.

Im Büro saß Joseph Ferdinand Kaiser und hatte auf dem Stuhl Platz genommen, auf dem er auch schon vorher gesessen hatte. Vor ihm auf dem Tisch, gut beleuchtet von der Schreibtischlampe, stand eine Flasche Whisky und daneben ein halbvolles Glas. Ein zweites war noch leer. Kaiser machte einen desillusionierten Eindruck. In kurzen Abständen trank er immer wieder, um dann gleich nachzuschenken. Pytlik war stehengeblieben und lehnte mit dem Rücken an einem hohen Aktenschrank.

»Willst du auch?«, fragte Kaiser. Pytlik schüttelte den Kopf, ohne etwas zu sagen. Seinen strengen Blick nahm der Bauunternehmer nicht wahr.

»Also, alles noch mal der Reihe nach!«

Pytlik verschränkte die Arme. Wenige Augenblicke vorher hatte er von Hermann eine Nachricht auf sein Handy bekommen, dass die Kollegen der Schutzpolizei nun vor Ort in Welitsch waren und versuchten, alles in den Griff zu bekommen. Außerdem war eine Streife auf dem Weg nach Pressig, um den Tatort abzusichern und Gerhard Fuchs, der Spurenermittler aus Coburg sollte außerdem mit einem Team bald eintreffen. Dem Hauptkommissar war etwas ruhiger zumute. Er war froh, bald wieder Menschen um sich zu haben, auf die er in solchen Fällen zählen konnte.

»Du steigst also aus meinem Auto aus. Der erste Schuss trifft meinen Außenspiegel. Ich verschwinde. Was ist dann passiert?«, forderte Pytlik Kaiser auf, ihm zu berichten, ohne dabei zu erwähnen, dass er den Ablauf ziemlich gut beobachtet hatte.

Der Bauunternehmer trank zunächst erneut aus dem Glas, dann fuhr er sich mit seinen Händen durch das zerzauste Haar. Er war fertig. Alkohol, Müdigkeit und das Erlebte nagten an seiner Fähigkeit, noch anständig kommunizieren zu können. Aber es war seine Chance. Die Chance, dem Hauptkommissar eine Geschichte aufzutischen, die ihn glauben lassen würde, irgendein unzufriedener Kunde der Firma hätte sich auf diese brutale Weise gerächt. Um mit dem Mörder fertig zu werden, hatte er noch 72 Stunden Zeit. Während Pytlik unten mit dem Notarzt gesprochen hatte, hatte sich Kaiser noch einmal alles zusammengereimt, was er nun erzählen wollte.

»Es gab den Knall, als der Schuss deinen Außenspiegel getroffen hat. Ich wusste im ersten Augenblick nicht genau, was passiert war. Habe mich weggeduckt, bin nach einigen Augenblicken instinktiv zu meinem Vater hingelaufen. Schöne Scheiße, habe ich mir gedacht. Da hast du schon die Polizei dabei und bist doch auf dich allein gestellt.«

Pytlik verzichtete darauf, Kaisers belanglosen Kommentar zu seinem Rückzug zu kommentieren. Er wusste, dass er richtig gehandelt hatte.

»Ich habe mir noch einmal ins Gedächtnis gerufen, was in dem Brief geschrieben war. Ich stand an diesem Stapler und sah hoch. Mein Vater war gezeichnet von Schlägen ins Gesicht, wirkte schwach und war schwer verletzt. Sein Mund war zugeklebt und er konnte nur schlecht atmen. Dennoch habe ich ihn gefragt, ob er wüsste, wer ihm das angetan hatte. Aber…«

Kaiser griff erneut zur Flasche und schenkte nach. Pytlik stieg die Zornesröte ins Gesicht. Was er ihm berichete, deckte sich nicht mit dem, was der Hauptkommissar gesehen hatte.

»Was, aber?«, hetzte er ihn.

Kaiser schaute Pytlik verächtlich an. Nachdem er ein weiteres Mal getrunken hatte, verzog er verbittert die Mundwinkel und spie seine nächsten Sätze regelrecht aus.

»Weißt du eigentlich, wie sich das anfühlt, wenn dir plötzlich die halbe Schädeldecke deines Vaters um die Ohren fliegt und du nicht weißt, ob du nicht selbst auch gleich noch dran bist?«

Pytlik blieb bewusst unbeeindruckt von Kaisers Theatralik.

»Konnte er dir vorher noch einen Hinweis geben?«

Kaiser schaute ihn mit zugekniffenen Augen an und schüttelte den Kopf.

»Ich fasse es nicht! Ihr Bullen meint wohl, die Coolsten von allen zu sein, oder? Oder ist so was für euch Tagesgeschäft?«

»Nochmal: Konnte er dir noch etwas mitteilen? Hat er irgendetwas gesagt, wer dahinterstecken könnte?«

Kaiser schwenkte das Glas und schüttelte verständnislos den Kopf. Er nahm sich einige Sekunden Zeit, dann antwortete er in ehrfürchtigem Ton.

»Er hat versucht, durch das Klebeband noch was zu sagen. Ich habe es kaum verstanden, aber ich denke, es war so ähnlich wie: ›Junge, es tut mit leid! Ich habe es vermasselt. Du darfst dich nicht kleinkriegen lassen! Versprich mir das!‹ Das waren die letzten Worte, die ich von meinem Vater gehört habe. Ich konnte ihm nicht einmal mehr antworten. Reicht dir das? Bist du damit zufrieden, Herr Hauptkommissar?«

Pytlik wusste, dass er log. Kein Mensch würde mit derart geknebeltem Mund noch ein einziges verständliches Wort äußern können.

»Leg alles auf den Tisch, was du in deinen Taschen hast!«, befahl er Kaiser. Der meinte, nicht verstanden oder sich verhört zu haben. Dann begriff er die Absicht des Polizisten. Sein Lächeln war vergeblich. Er ging in die Offensive.

»Wie bitte? Ich soll was tun? Was willst du von mir? Brauche ich jetzt etwa auch noch ein Ali…«

Er konnte das Wort nicht zu Ende aussprechen. Pytlik war schnell nach vorne gehuscht und hatte die flache Hand auf den Tisch geknallt, dass Kaiser vor Schreck zurückzuckte und mit dem Stuhl gefährlich nach hinten kippte.

»Schluss jetzt!«, brüllte der Hauptkommissar.

»Du bist wirklich genau der schmierige Typ, von dem alle erzählen, wenn sie die drei Buchstaben in den Mund nehmen.«

Pytlik hatte Kaiser fest im Blick, beide Männer starrten sich an, als stünde jeden Augenblick der entscheidende Dolchstoß für den einen oder anderen bevor.

»Nicht einmal im Angesicht des Todes deines Vaters bist du aufrichtig!«

Pytlik hatte die Lautstärke in seiner Stimme zurückgedreht, er zischte jetzt eher wutentbrannt und wildentschlossen, um dem Heuchler, der ihm gegenübersaß, die Wahrheit zu entlocken. Nach diesem Vorwurf sprang Kaiser nun plötzlich auf und beugte sich mit aufgestützten Fäusten bis in die Mitte des Tisches. Fast berührten sich die Nasenspitzen der Widersacher.

»Du hast ja keine Ahnung! Du meinst, hier von etwas reden zu können, von dem dir jegliches Wissen fehlt! Hier bist du ein Nichts, ein Nichtwissender, völlig ahnungslos einfach!«

Pytlik hatte mit dieser Chance nicht gerechnet, aber er nutzte sie umso konsequenter. Kaisers Jacke war geöffnet und etwas nach vorne gewölbt, so dass der Hauptkommissar in der Innentasche das sehen konnte, was er vermutet hatte. Mit einem schnellen Griff hinein packte er sich das schwarze Gerät, dessen Display gesplittert war. Erst als Pytlik bereits wieder einige Schritte zurückgegangen war und Kaiser das Mobiltelefon in der erhobenen Hand präsentierte, realisierte der deutlich angeschlagene Unternehmer, was passiert war. Er ließ sich zurück auf den Stuhl fallen.

Nun war der Vorhang gefallen, die Show vorbei! Es herrschte Totenstille! Pytlik bewegte sich zuerst, ging wieder nach vorne an den Tisch. Er zog den Stuhl zurück, setzte sich, legte das Handy vor sich ab und nahm das andere Glas. Dann schenkte er sich etwas von der nun fast leeren Flasche ein. Er trank einen großen Schluck. Nicht sein Ding! Es brannte im Hals und er verzog das Gesicht. Noch vor wenigen Stunden hätte Kaiser darüber gelacht. Nun saß er wie ein Häufchen Elend dem Hauptkommissar gegenüber und überlegte sich die nächste Lügengeschichte, denn er ahnte, was jetzt kommen würde.

»Also, zweite Chance!«, ermahnte ihn Pytlik.

»Was hat der Mörder dir erzählt? Viel kann es ja nicht gewesen sein!«

Kaisers Oberkörper wippte leicht vor und zurück, er hatte die Arme verschränkt. Er fror.

»Er hat sich nicht vorgestellt, das kannst du mir ruhig glauben! Ich denke, es war eine Männerstimme. Verstellt! So, wie man das aus Filmen halt kennt. Ich habe versucht, mehr herauszufinden: wer er sein könnte, worum es eigentlich genau geht! Habe gefragt, ob die Schmierereien an der Mauer auch von ihm waren. Aber keine Antwort! Irgendwann hieß es dann nur noch, dass mein Vater sein Leben und das seiner Familie zerstört hätte und dass er das jetzt rächen werde.«

Pytlik versuchte einzuschätzen, ob das stimmen konnte. Er musste Kaiser glauben, er wusste es nicht besser!

»Und dann? Was hat er noch gesagt?«, wollte Pytlik wissen. Kaiser antwortete nicht gleich. Nach einigen Sekunden sah er vom Tisch auf und den Hauptkommissar mit durchdringendem Blick an.

»Ich habe ihn gebeten, mir zu sagen, was ich machen soll, damit er meinen Vater am Leben lässt. Geld, ein neues Haus, was auch immer!«

»Und?«, war Pytlik neugierig und ungeduldig.

»Nichts mehr! Er hat gesagt, ich könne jetzt nichts mehr für meinen Vater tun. Dann hörte ich, dass er aufgelegt hatte und bevor ich mich auch nur eine Sekunde neu orientieren konnte…«

Pytlik sagte nichts mehr, trank das Glas leer und ließ sich im Stuhl zurückfallen. Nach einigen Momenten der Besinnung stand er auf und lief zum Fenster. Er sah den Arzt mit seinem Koffer in der einen und Unterlagen in der anderen Hand auf das Gebäude zukommen. Ohne sich umzudrehen, fragte er Kaiser.

»Er hat also einfach das Gespräch beendet und danach abgedrückt? Keine weiteren Forderungen an dich? Kein Ultimatum? Nichts? So, als wäre mit dem Tod deines Vaters die Schuld, die er sich aufgeladen hat, der Schaden, den er dem Mörder und dessen Familie wohl zugefügt hat, mit seinem Tod behoben? Der inszeniert hier also eine Show, lässt dich als Zuschauer live dabei sein und das war es dann? Auf Nimmerwiedersehen?«

Pytlik drehte sich langsam um und schaute zu Kaiser. Er war sich sicher, dass der Bauunternehmer ihn belogen hatte.

»Soll ich dir was sagen, Joseph Ferdinand Kaiser?«

Kaiser drehte seinen Kopf leicht in Richtung des Hauptkommissars, seine Arme waren noch immer verschränkt, und Pytlik hatte den Eindruck, dass er gleich einschlafen würde. So sehr Kaiser auch versucht hatte, in den letzten Stunden und auch schon beim Mittagessen den Eindruck zu vermitteln, er und sein Vater verstünden sich sehr gut und hätten ein ausgezeichnetes Verhältnis, so sehr war dieser Versuch spätestens jetzt gescheitert. Zwischen Kaiser und seinem toten Vater da unten auf der Palette mochte die Entfernung vielleicht 50 Meter sein. Tatsächlich, so vermutete Pytlik, war sie um ein Vielfaches größer.

»Du lügst! Auch deine zweite Geschichte glaube ich dir nicht! Aber ich weiß es leider nicht besser. Wenn der Mörder mit dir einen Deal vereinbart hat, von dem du mir nicht erzählen willst, kann ich dir nicht garantieren, dass wir dich entsprechend beschützen können. Wenn du Hinweise hast, die uns weiterhelfen könnten und du uns diese vorenthältst, dann verspreche ich dir, dass du keinen Fuß mehr auf den Boden bekommen wirst. Ich frage dich nun also ein letztes Mal: Was genau hat der Mörder dir gesagt beim zweiten Anruf?«

So, als hätte er Pytlik überhaupt nicht zugehört, rutschte Joseph Ferdinand Kaiser den Stuhl plötzlich nach hinten, sprang auf, griff nach dem Papiermülleimer, der in der Ecke des Büros stand, hob ihn hoch, beugte den Kopf nach vorne und übergab sich mehrmals. Der Hauptkommissar verzog angewidert das Gesicht und winkte innerlich resigniert ab.

»Lass mich in Ruhe! Ich habe nichts mehr zu sagen!«, waren die letzten Worte, die der Bauunternehmer dann noch herausbrachte. Im selben Moment kam der Arzt zur Tür hinein.

***

Auf dem Firmengelände der Kaiser Bau GmbH herrschte nun reges Treiben. Es war fast halb zwei Uhr nachts; die Sicherung der Spuren an beiden Tatorten wurde vorbereitet und Pytlik telefonierte mit seinem Assistenten Hermann, der sich mit dem Großteil der alarmierten Mannschaft der Schutzpolizei in Welitsch im Wohnhaus von Joseph Ferdinand Kaiser befand.

»Ja, wir sind dann so weit! Ihr könnt kommen!«

Cajo Hermann hatte seinem Chef berichtet, dass die Polizei und der Sicherheitsdienst die aus den Fugen geratene Party im Hause Kaiser in den Griff bekommen hatten. Zwar waren zwei Krankenwagen vor Ort, um ein paar blutige Lippen, Platzwunden und blaue Augen zu versorgen. Der eine oder andere übermütige Gast musste auch mit härteren Maßnahmen zur Raison gebracht werden. Unter dem Strich schien nun aber alles unter Kontrolle zu sein und die Gäste hatten in großer Mehrheit den Weg nach Hause angetreten.

Pytlik hatte auch noch einmal mit seiner Lebensgefährtin gesprochen. Franziska hatte ihm berichtet, dass Gerda, ihre Schwester, mittlerweile aufgetaucht war. Sie habe ihr, wie Pytlik es ihr aufgetragen hatte, davon erzählt, dass ihren Schwiegereltern etwas zugestoßen war. Gerda, ihre beiden Kinder und Franziska sollten nun nach Pressig gebracht werden, um vor Ort alle weiteren Details mitgeteilt zu bekommen.

Der Hauptkommissar hatte von der Spurensicherung dafür sorgen lassen, dass um den Stapler herum, auf dem sich auf der Palette immer noch der Leichnam des getöteten Seniorchefs befand, ein entsprechender Sichtschutz errichtet wurde, so dass den Angehörigen der grauenhafte Anblick erspart blieb.

Bei Joseph Ferdinand Kaiser im Büro befanden sich derweil zwei Kollegen der Schutzpolizei, die Pytlik gebeten hatte, dafür zu sorgen, dass der Geschäftsführer das Gebäude nicht verlassen würde. An der Einfahrt zum Firmengelände waren trotz der Kälte und der Uhrzeit schon einige schaulustige Nachbarn eingetroffen, denen Einblicke allerdings von den Polizisten verwehrt wurden.

Das Team der Spurensicherung aus Coburg war nach kurzer Zeit startklar. Der Leiter, Gerhard Fuchs, kam auf Pytlik zugelaufen.

»Wir sind dann so weit! Meine Männer fangen jetzt an! Oben in der Villa sind zwei Kollegen, die sich dort an die Arbeit machen.«

»Sehr gut!«

Pytlik atmete ein paarmal tief durch.

»Alles klar?«, erkundigte sich Fuchs.

»Ich war schon lange nicht mehr so froh, dich und dein Team zu sehen! Das kannst du mir glauben!«

Pytlik und Fuchs hatten bereits eine langjährige gemeinsame dienstliche Vergangenheit. Es hatte gedauert, bis sich die beiden Alphatiere aneinander gewöhnt hatten. Das lag nicht nur daran, dass der Hauptkommissar und sein Assistent an dem einen oder anderen Tatort im Übereifer schon einmal die eine oder andere Spur verwischt hatten und Coburger und Kronacher ohnehin der Meinung waren, ein Problem miteinander haben zu müssen.

Sie waren vom Wesen her einfach unterschiedlich, hatten in den letzten Jahren aber gemerkt, dass das nicht einmal schlecht sein musste. Der Erfolg ihrer Arbeit hatte ihnen letztendlich immer recht gegeben. Mittlerweile würden sie die gemeinsame Arbeit als partnerschaftlich bezeichnen.

»Ich kann auch ganz gut auf dich verzichten!«, erwiderte Fuchs, blieb dabei aber ernst. Er sah Pytlik an, dass ihn der zurückliegende Abend und die angebrochene Nacht schon deutlich überbeansprucht hatten.

»Wird das nun zur Gewohnheit?«, wollte er von Pytlik wissen, der mit der Frage zunächst nichts anzufangen wusste.

»Was meinst du?«

Gerhard Fuchs zog den Reißverschluss seiner Jacke komplett bis oben zu. Es war noch einmal kälter geworden. Die Nacht war klar, aber zum Glück für die Spurenermittler schneite es nicht.

»Nun, letztes Jahr im Sommer treibt dir eine Wasserleiche direkt vor das Floß, auf dem du sitzt. In dem Moment weißt du natürlich noch nicht, dass damit die Jagd auf einen wahnsinnigen Mörder beginnt. Jetzt, ein Jahr später, wirst du – wenn ich das vorhin richtig verstanden habe – in gewisser Weise sogar zur Hinrichtung des Vaters deines Gastgebers gerufen.«

Pytlik nickte.

»Ich könnte ganz ehrlich gesagt darauf auch verzichten! Aber diese Scheiße hier und heute hat natürlich auch nochmal eine ganz besondere Komponente.«

»Du meinst wegen deiner Franziska?«

Pytlik nickte und schürzte die Lippen. Gerhard Fuchs hatte aus einer großen Tasche eine Thermoskanne herausgeholt und schenkte in zwei Plastikbecher Pytlik und sich selbst Tee ein.

»Ja, auch deswegen!«, antwortete Pytlik. Er nahm den Becher entgegen und bedankte sich bei Fuchs.

»Ich habe den Eindruck, dass der Mord an dem alten Kaiser nur die Spitze eines Eisbergs ist, und wir noch überhaupt keine Ahnung haben, was sich unter der Wasseroberfläche noch alles verbirgt.«

»Wie schätzt du das mit der Villa des jungen Kaisers in Welitsch ein?«, wollte Fuchs von Pytlik wissen.

»Meinst du, wir könnten da Hinweise bekommen, auf das, was hier passiert ist?«

Auch wenn ihm nicht danach war, musste Pytlik kurz lachen.

»Ich möchte gar nicht wissen, wie es dort gerade aussieht! Wird wohl einem richtigen Schlachtfeld ähneln, wenn ich Cajo richtig verstanden habe. Wir haben den Brief, den der Mörder mit seiner Botschaft draußen an der Grundstücksmauer hinterlassen hat, und ich habe die Nachricht, die er an die Wand gesprüht hat mit meinem Handy fotografiert. Selbst wenn – und das halte ich doch für ausgeschlossen – sich der Mörder unter den Gästen befunden haben sollte, wirst du wahrscheinlich eine ganze Kompanie Leute brauchen, um einigermaßen was Verwertbares rauszuholen.«

»Vermutest du schon etwas?«, fragte Fuchs, als der Kronacher Hauptkommissar mit seinen Gedanken woanders zu sein schien. Pytlik wiegte den Kopf hin und her.

»Ich weiß es noch nicht! Im Moment ist alles noch viel zu verwirrend für mich. Ich weiß noch zu wenig über die Familie Kaiser, die Firma und den zweifelhaften Ruf, der ihnen anhaftet. Dazu kommt noch – unter uns und im Vertrauen –, dass ich den Eindruck habe, Franziskas Schwester durchlebt die reinste Ehehölle und dieser Typ da oben« – Pytlik machte mit dem Kopf eine Geste in Richtung des Büros im ersten Stock – »scheint auch noch richtig Spaß daran zu haben, das öffentlich zu zeigen.«

Gerhard Fuchs gab einem seiner Männer kurz eine Auskunft, dann war er wieder bei Pytlik.

»Aber noch unbeliebter scheint ja wohl der Vater gewesen zu sein!«

Pytlik nickte.

»Ja, dieser Wilhelm Kaiser muss in der Vergangenheit irgendjemanden richtig verärgert haben. Aber ich bin mir sicher, dass dies möglicherweise erst der Anfang war.«

Pytlik hatte das Mobiltelefon, dass er Joseph Ferdinand Kaiser abgenommen hatte, in eine Klarsichthülle gepackt, die er im Büro gefunden hatte und anschließend in seine Jackentasche eingesteckt. Nun holte er das Handy heraus und hielt es vor Gerhard Fuchs in die Höhe.

»Schaut euch das bitte auch mal an!«

Fuchs nahm die transparente Hülle und musterte den Inhalt mit ein paar kurzen Blicken.

»Wem gehört das?«

»Sehr wahrscheinlich demjenigen, der Wilhelm Kaiser womöglich von der Dachterrasse der Villa mit einem präzisen Schuss hingerichtet hat.«

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