Kitabı oku: «Gewalt durch Gruppen», sayfa 3
1.2.2.3Befragungen im Rahmen der AG Silvester
Um das für die Polizei neue Phänomen der Teilnahme einer Vielzahl von Gruppen junger Männer nordafrikanischer oder nahöstlicher Herkunft an den Silvesterfeierlichkeiten zu erforschen, erschien es erforderlich, auch andere Möglichkeiten der Analyse zu nutzen.
Neben der Aufbereitung der polizeilichen Daten und den Erkenntnissen in den anderen Arbeitspaketen wurden zwei Befragungen im Rahmen der AG Silvester durchgeführt. Zum einen wurde Kontakt mit wissenschaftlichen Experten aufgenommen, zum anderen wurde ein Teil der durch Erhebung der Adressdaten im Rahmen des Einsatzes festgestellten Besucher des Silvestereinsatzes 2016 mit einem Fragebogen befragt.
Hierdurch konnten sowohl neue Erkenntnisse gewonnen als auch vorhandene Einschätzungen und Vermutungen verifiziert werden.
1.2.2.3.1Expertenbefragung
Zunächst hat die AG Silvester mit folgenden Institutionen Kontakt aufgenommen, die aus Sicht der Arbeitsgruppe eine hohe Expertise entweder in dem infrage kommenden Kulturkreis oder in der grundsätzlichen Frage zur Entstehung von Gewalt im öffentlichen Raum haben:
•Institut für Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld (IKG)
•Lehrstuhl für Kriminologie der Ruhr-Universität Bochum
•Institut für Integrations- und Migrationsforschung der HU Berlin
•Institut für Islamische Theologie der Universität Osnabrück
•Verein „180 Grad Wende“
Die Experten wurden in strukturierten Interviews zumeist telefonisch befragt. Fragen und Zusammenfassungen der Antworten werden im Folgenden dargestellt:
•Ist Köln ein Ort mit besonderer Anziehungskraft für die genannten Gruppen?
Köln ist als multikulturelle Partystadt mit einer „open society“ weltweit bekannt. Köln wird als bedeutende Metropole in Westeuropa wahrgenommen und ist verkehrsgünstig gelegen. Die Zielgruppe verfügt über sehr geringe Geldmittel und hat nur geringen Zugang zu Kraftfahrzeugen. Daher erfolgt die Anreise in sehr vielen Fällen mit der Deutschen Bahn.
Bei den anreisenden Gruppen handelt es sich insbesondere um junge Männer, die Spaß und eine Partyatmosphäre suchen und Frauen kennenlernen wollen. Köln ist daher nicht nur zu Silvester, sondern auch im übrigen Jahr durchaus Anlaufpunkt für die häufig im ländlichen Raum in Flüchtlingsunterkünften untergebrachten jungen Männer. Sie wollen etwas erleben und sicherlich auch andere Menschen aus ihrer Peer Group treffen.
•Welche kulturellen Bedeutungen haben die gemeinschaftlichen Silvesterfeiern?
Silvester hat im arabischen oder nordafrikanischen Raum keine besondere Bedeutung. Allerdings ist es einer der wenigen Anlässe, welcher sowohl in der westlichen als auch in der östlichen Welt gefeiert wird. Während Karneval für die Peer Group unattraktiv ist, bietet Silvester den Vorteil, dass auch ohne finanzielle Mittel (Eintrittsgelder, Mindestverzehr in Clubs etc.) gefeiert werden kann. Hier wollen die Gruppen am „social life“ teilhaben.
•Finden im Vorfeld Absprachen statt oder wird sogar zur Teilnahme aufgerufen (z. B. über soziale Medien) oder sind es eher zufällige spontane Entscheidungen zu Anreise?
Hier gab es durchaus unterschiedliche Auffassungen zur Nutzung von sozialen Medien in Bezug auf die Vernetzung. Während einerseits von einer starken Vernetzung und Nutzung von Facebook ausgegangen wurde, sprachen sich andere eher für eine persönliche Vernetzung in den Unterkünften und durch persönliche Kontakte (auch Telefon und WhatsApp) aus.
Einig waren sich die Experten darüber, dass es keine zentrale Organisation oder Steuerung der Teilnehmer, sondern viele einzelne Verabredungen gab, welche spontan in kleinen Gruppen getroffen wurden.
•Warum zeigen sich die Teilnehmer zum Teil so aggressiv? Welche Rolle spielen Alkohol und Drogen?
Die Einsatzkräfte schilderten vor Ort eine deutlich aggressive Stimmung, die von den Gruppen ausgegangen sei. Dieser Eindruck mag sich zum Teil aus der expressiven nonverbalen Ausdrucksweise der Gruppen erklären. Die tatsächlich vorhandene Aggressivität der Teilnehmer lässt sich nach den Ausführungen der Experten auf zwei Faktoren zurückführen:
Zum einen ist dies der Konsum von Alkohol und (vermutlich) weiteren Drogen. Alkohol ist in vielen islamischen Ländern nur beschränkt verfügbar. Es ist unüblich, im öffentlichen Raum Alkohol zu trinken. Im Deutschland gibt es eine hohe und preisgünstige Verfügbarkeit, sodass in der Gruppe Alkohol leicht konsumiert werden kann. Es fehlt aber der sozial gelernte Umgang mit Alkohol, sodass hohe Mengen in kurzer Zeit konsumiert werden, an die die jungen Männer nicht gewöhnt sind. Hierdurch kommt es zu den typischen alkoholbedingten Ausfallerscheinungen und zur gruppendynamischen Verstärkung von negativem Verhalten, wie es auch anlässlich von Fußball- oder Karnevalseinsätzen bekannt ist.
Zum anderen sind es situative und gruppenpsychologische Aspekte, die auch ohne den verstärkenden Alkohol zu einer aggressiven Stimmung führen konnten. Die Gruppen wurden nach Bewertung der Experten bereits auf der Anreise durch die Bundespolizei einem hohen Kontrolldruck unterworfen. Dann wurden sie nach der Ankunft am Hauptbahnhof auf dem Bahnhofsvorplatz einer Kontrolle unterzogen. Hier kam es bei den Gruppen zu der Wahrnehmung, dass die meisten am Bahnhof ankommenden Besucher über die Domtreppe in Richtung Innenstadt gehen durften. Die Gruppen junger nahöstlich bzw. nordafrikanisch aussehender Männer wurden jedoch in einem abgesperrten Bereich des Bahnhofsvorplatzes festgehalten. Hierbei kam eine hohe Anzahl junger Männer in einem eng umgrenzten Raum zusammen. Die gewünschte freie Entfaltung der Betroffenen und die Gelegenheit, den Abend zum Feiern zu nutzen, wurden zunächst unterbunden. Insbesondere durch die Besonderheit der Örtlichkeit (der Bahnhofsvorplatz gleicht einer Arena, bei der die Domtreppe die Zuschauerränge darstellt) konnte sich für die Betroffenen der Eindruck einstellen, von den übrigen sich frei bewegenden Besuchern auf den „Zuschauerrängen“ der Domtreppe als „Verlierer“ wahrgenommen zu werden. Diese Wahrnehmung fördert Aggressivität. Hinzu kommt, dass für sie die Situation und der weitere Ablauf unklar waren, was die Problematik zusätzlich erhöhte.
Die Situation auf dem Bahnhofsvorplatz und im Bahnhof selbst führte zu „intergroup dynamics“. Dieser Begriff bezeichnet den Umstand, dass in Gruppen Haltungen herrschen können, die auf persönlicher Ebene von den einzelnen Mitgliedern der Gruppe nicht geteilt werden, die aber zu einer Anpassung führen und verhaltensleitend wirken. Sie können zu Handlungen führen, die von Mitgliedern der Gruppe in anderen Situationen nicht ausgehen würden oder von ihnen sogar abgelehnt würden. So ist es möglich, dass Menschen Taten begehen, die sie nicht vorher geplant haben und die sie unter anderen Bedingungen sogar moralisch ablehnen würden.
•Welchen Grund haben die Teilnehmer, geht es eher um das „Event“ oder will man Staat und Gesellschaft vorführen?
Eindeutig stehe das Event im Vordergrund. Der Alltag in Deutschland ist für diese Personen oft von Langeweile bestimmt. Sie kommen, um sich mit Freunden und Verwandten zu treffen. Dass politische Motive bestehen, etwa den Staat nach den Silvesterfeiern des Vorjahres vorführen zu wollen, sei eine völlig abwegige Annahme. Die meisten Besucher dürften von den Ereignissen des Vorjahres wenig gehört haben, da sie sich vermutlich vorrangig aus arabischsprachigen Medien informieren. Ein geringer Teil der Besucher möchte durchaus gezielt das Event zur Begehung von Straftaten nutzen wollen, insbesondere im Bereich der Eigentumsdelikte, aber der größte Teil komme zum Feiern.
•Entsteht das gemeinschaftliche Begehen von Straftaten, insbesondere die in diesem Zusammenhang festgestellten Eigentumsdelikte und sexuellen Übergriffe, situativ oder geplant?
Nur eine sehr kleine Gruppe würde gezielt, z. T. auch als Bande verabredet, die Feierlichkeiten zum Begehen von Straftaten nutzen wollen. Kriminalistische Erfahrungen insbesondere aus der Silvesternacht des Vorjahres legen den Verdacht nahe, dass in diesen Fällen junge Männer insbesondere aus Nordafrika gezielt die Anonymität der Masse suchen, um Diebstahls- oder Raubstraftaten zu begehen.
Delikte in größerer Zahl seien aber nur möglich, wenn die Nichtsichtbarkeit oder das Einschreitverhalten der Polizei diese zulassen. Es dürfe kein rechtsfreier Raum bestehen, denn durch massenpsychologische Effekte sei es immer möglich, dass das ahndungsfreie Begehen von Straftaten und insbesondere sexuelle Übergriffe einzelner in einer aus psychologischer Sicht überhitzten Masse zu einem Massenphänomen werden. Diese Dynamik könne sich innerhalb von Sekunden situativ entfalten.
•Wir hatten erwartet, dass Köln aufgrund der auch medial im Vorfeld bekannten polizeilichen Einsatzmaßnahmen gemieden worden wäre. Warum war das nicht so?
Es sei nicht davon auszugehen, dass die angetroffene Klientel deutsche Zeitungen/Medien nutzt und somit Kenntnis von den polizeilichen Vorbereitungen hatte.
Fraglich erscheine auch, wie ernst der Personenkreis die Vorgehensweise der deutschen Polizei nähme. Im Nahen Osten haben die Menschen (berechtigte) Angst vor der Polizei. Die rechtsstaatliche Vorgehensweise der deutschen Polizei könne dazu führen, dass der Personenkreis, anders als in den Heimatländern, das polizeiliche Vorgehen als schwach bewerte und es deshalb als möglich empfinde, sanktionsfrei Grenzen zu überschreiten. Zudem haben die meisten der Anreisenden im Vorfeld keine Straftaten begangen, sodass sie eigentlich nichts zu befürchten haben. Aber dies läuft möglicherweise bisherigen Erfahrungen entgegen.
•Ist auch zukünftig mit weiteren gemeinschaftlichen Anreisen zu rechnen? Welche Ereignisse ständen dann außer Silvester noch im Fokus (z. B. Karneval, Kölner Lichter)?
Die Attraktivität Kölns bleibe für die jungen Männer erhalten. Denn die Kulisse vor dem Dom und die Nähe zur Innenstadt sei weiterhin ein großer Magnet, zumal die Stadt es vielen Flüchtlingen ermögliche, sich mit Bekannten und Freunden zu treffen. Allerdings bleibe abzuwarten, welche Wirkung die stark repressiven polizeilichen – zum Teil aus Sicht der Besucher ausgrenzenden – Maßnahmen im Bereich des Bahnhofs- und Domumfelds bei der letzten Silvesternacht auf die Gruppe haben wird.
Möglicherweise würden diese Personen nicht mehr am Hauptbahnhof in einer hohen Anzahl aussteigen, um der von ihnen erwarteten „Kontrollfalle“ im Kölner Hauptbahnhof zu entgehen.
Zukünftige gemeinschaftliche Anreisen könnten sich jedoch auch auf andere gut zu erreichende Großstädte ausweiten.
Die Experten gingen überwiegend davon aus, dass dieses Phänomen nur an Silvester auftrete, da die anderen Ereignisse für die Gruppen eher unattraktiv seien. Karneval sei zu Deutsch und wirke auf den Personenkreis eher befremdlich.
Nach Prof. Dr. Yurdakul, Migrationsforscherin an der Humboldt-Universität zu Berlin, sei bei allen großen Ereignissen/Events (z. B. Fußball-WM) mit gemeinschaftlichen Anreisen zu rechnen. Es könne grundsätzlich immer problematisch werden, wenn größere Männergruppen gemeinschaftlich im öffentlichen Raum agieren.
•Was kann die Polizei dazu beitragen, um sowohl die Feiern aller Besucher zu ermöglichen als auch mögliche Übergriffe zu verhindern?
Die befragten Experten waren sich zunächst einig, dass die im letzten Silvestereinsatz gewählte niedrige Einschreitschwelle und das konsequente Vorgehen der Polizei sinnvoll waren, um von vornherein keine problematischen Situationen entstehen zu lassen.
1.2.2.3.2Befragung der Besucher
Mit den in der Silvesternacht vor Ort erhobenen Daten von polizeilich kontrollierten oder von sonstigen Maßnahmen betroffenen Personen konnte eine größere Anzahl von Personen mit Anschriften identifiziert werden. Diese Personen sollten mit einem Fragebogen zu ihrer Motivationslage befragt werden. Zunächst wurden aus den Datensätzen die Personen herausgefiltert, gegen die ein Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit Silvester lief. Zudem musste der Wohnort, der in Deutschland liegen musste, zweifelsfrei ermittelt werden. Hiernach blieben 398 Personen übrig, die für eine Befragung in Betracht kamen.
Da die Übersendung eines Fragebogens mit der Bitte um Rücksendung nicht erfolgsversprechend erschien, wurde ein ungewöhnlicher Weg der Befragung gewählt: Die AG Silvester hat einen Fragebogen entwickelt, welcher in die arabische, englische und französische Sprache übersetzt wurde. Der Fragebogen bestand insbesondere aus Multiple-Choice-Fragen, es konnte aber auch ein Freitextfeld ausgefüllt werden. Diese Fragebögen wurden an die Polizeibehörden im gesamten Bundesgebiet übersandt, in deren Zuständigkeitsbereich die Personen gemeldet waren. Die Polizeibehörden wurden gebeten, den Teilnehmern die Bögen persönlich zu überbringen und sie auch wieder abzuholen bzw. auf deren Beantwortung zu warten. Hierbei wurde darum gebeten, dass die Maßnahme möglichst entweder durch zivile Kräfte oder durch örtlich bekannte Kräfte durchgeführt wird, z. B. den für das Flüchtlingsheim zuständigen und dort persönlich bekannten Bezirksdienstbeamten.
Ausdrücklich wurde vor Ort nur kurz durch Befragung festgestellt, ob die angetroffene Person sich tatsächlich in Köln befand. Eine Personalienfeststellung im polizeilichen Sinne wurde nicht durchgeführt, auf dem Fragebogen wurden keinerlei Personalien eingetragen. Die Bögen wurden ohne weitere Kommentierung an das PP Köln zurückgesandt. So konnte den Befragten Anonymität zugesichert und eine individuelle Zuordnung der im Fragebogen erhobenen Daten zu einzelnen Personen ausgeschlossen werden.
Die Befragten kamen zu 43,46 % aus Köln und den Bezirken der anliegenden Polizeibehörden (KPB Rheinisch-Bergischer Kreis, KPB Rhein-Erft-Kreis und KPB Rhein-Sieg-Kreis), zu 42,97 % aus NRW und zu 13,57 % aus dem übrigen Bundesgebiet. Einige der genannten Adressdaten stellten sich als nicht korrekt heraus, mitunter war die Person bereits in andere Unterkünfte verzogen, sodass sich die absolute Zahl der im Zuge der Befragung Angetroffenen auf etwa 350 Personen reduzierte. 158 Fragebögen sind beim PP Köln wieder eingegangen, sodass die AG Silvester von ca. 45 % Rücklaufquote ausgeht.
Diese hohe Rücklaufquote ist einerseits erstaunlich, jedoch müssen bei der Einschätzung der Signifikanz einige Umstände berücksichtigt werden.
Die Anschriften wurden insbesondere in Bezug auf ein polizeiliches Verfahren vorselektiert. Die Menschen sollten nicht durch die Polizei aufgesucht werden, wenn sie sich gleichzeitig als Beschuldigte in einem Ermittlungsverfahren befinden. Sicherlich hat die Befragungssituation, also das Überbringen durch und die Rückgabe der Bögen an Polizeikräfte, einen Effekt auf den Befragten; es stellt sich die Frage, ob die Probanden unter dem Eindruck des Polizeikontaktes so geantwortet haben, wie sie es für sozial erwünscht hielten. Viele Fragen jedoch, zum Beispiel zum Anreiseverhalten, dürften wahrheitsgemäß beantwortet worden sein. Hier gibt es auch keinen nachvollziehbaren Grund, eine falsche Angabe zu machen. Bei den Fragen zum Alkoholkonsum und zur Staatsangehörigkeit ist jedoch von weniger wahrheitsgemäßen Aussagen auszugehen. Zudem muss angemerkt werden, dass trotz hoher Rücklaufquote der Rücklauf nur einen kleinen Teil der vor Ort befindlichen Personen abbildet.
Auch wenn nicht der Anspruch wissenschaftlich validierter Daten erhoben wird, so sind die gewonnenen Erkenntnisse doch höchst interessant und in dieser Form einmalig.
Die Ergebnisse der Befragung sind hier grafisch dargestellt:
Im Fragebogen bestand die Möglichkeit, den Aufenthalt in Köln in einem Freitextfeld zu bewerten bzw. zu dem Abend zu berichten, davon machten 55 % der Befragten Gebrauch.
Einige der Freitexte sind in nordafrikanischen Dialekten des Arabischen beantwortet worden, obwohl als Staatsangehörigkeit Syrien, Afghanistan oder Irak angegeben worden war. Wenige sind auch auf Französisch beantwortet worden, was auch eher für eine nordafrikanische Herkunft spricht, da für Syrien, Afghanistan und Irak der Französischgebrauch untypisch ist, dagegen aber in Tunesien, Algerien und Marokko noch häufig Französisch gesprochen wird.
Insgesamt lässt sich sagen, dass die Besucher Köln für eine sehr schöne, attraktive und sympathische Stadt halten. Sie haben sich aufgrund der Polizeipräsenz sicher gefühlt, auch wenn mehrheitlich in den Freitexten bekräftigt wird, dass viele der Besucher vom hohen Polizeiaufgebot überrascht waren, da sie bereits auf der Anreise von der Polizei begleitet worden waren und am Kölner Bahnhof kontrolliert worden sind. Viele der Besucher wussten nichts von den letztjährigen Ereignissen. Köln ist für viele unkompliziert und günstig zu erreichen und die Großstadt bietet ihnen eine einfache Verständigung mit den Menschen vor Ort. Mehrere Besucher gaben in ihren Freitexten an, dass sie trotz der Kontrollen am Silvesterabend gern im nächsten Jahr wiederkommen möchten, da sie schon viel Positives über Köln gehört haben oder sich schon positive Eindrücke, etwa durch den Besuch von Bekannten und Verwandten, verschaffen konnten. Einer der Besucher äußerte, dass die Kontrollen im nächsten Jahr doch bitte vor 24 Uhr stattfinden sollen, „damit man noch etwas vom Feuerwerk mitbekommt“. Aufgrund der lang anhaltenden Maßnahmen der Polizei verpassten viele der Besucher das Feuerwerk, was sie als „sehr schade“ empfanden, da sie sich auf dieses Ereignis sehr gefreut hatten.
Abschließend wurden einige soziodemografische Daten erhoben. Die Staatsangehörigkeit gaben 41 Personen nicht an. Am häufigsten wurden Staatsangehörigkeiten aus Irak, Afghanistan und Syrien angegeben, während die nordafrikanischen Staaten praktisch nicht vorkamen. Diese Angaben sind allerdings aufgrund der asylrechtlichen Lage als wenig glaubhaft einzuschätzen. Zudem korrespondieren die Angaben in keiner Weise mit den Eindrücken vor Ort, bei denen sprachkundige Beamte oder auch Sprachmittler eher nordafrikanische Dialekte feststellten, die sich von anderen arabischen Dialekten deutlich unterscheiden lassen. Die resultierende Vermutung, dass sehr viele der Besucher aus dem nordafrikanischen Raum stammen, wird durch die oben beschriebenen Erkenntnisse aus den Freitextfeldern untermauert.
Unterteilt nach Alterskohorten waren die Befragten insbesondere junge Männer zwischen 18 und 24 Jahren (59 %), Männer zwischen 25 und 40 Jahren (27 %) und Minderjährige (10 %).
Die Mehrheit der Befragten wohnt in Gemeinschaftsunterkünften (55 %), einige wohnen bei ihrer Familie (12 %) und nur 21 % in einer eigenen Wohnung.
Bezüglich der Aufenthaltsdauer in Deutschland ist die Gruppe derjenigen, die seit ein bis zwei Jahren in Deutschland sind, mit 42 % am größten. 16 % sind zwischen einem halben und einem Jahr und 7 % weniger als ein halbes Jahr in Deutschland. Insgesamt sind also 65 % der Besucher seit weniger als zwei Jahren in Deutschland. 30 % sind seit zwei Jahren oder länger hier, 5 % machten keine Angaben.
1.2.2.4Fazit aus der AG Silvester
Die AG Silvester hat nach entsprechenden Ermittlungen eine Teilmenge der im Zusammenhang mit dem Silvestereinsatz erhobenen Personendaten ausgewertet. Eine Vielzahl von Personendaten war nicht eindeutig genug, um Personen zweifelsfrei identifizieren zu können. Daneben wurden nicht alle identifizierten Besucher befragt, weil die AG Silvester u. a. Personen, gegen die ein Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit den Silvesterereignissen geführt wird, außen vor gelassen hat. Auch wenn hier nicht der Anspruch auf wissenschaftliche Signifikanz erhoben werden kann, haben die Aussagen nach hiesiger Bewertung einen durchaus hohen Erkenntniswert. Nach den Ergebnissen der Expertenbefragung als auch der Befragung der Besucher war eine deutlich überwiegende, wenn auch nicht exakt quantifizierbare Mehrzahl der Besucher junge Männer, die zumeist in Flüchtlingsunterkünften untergebracht und noch nicht lange in Deutschland sind.
Anfragen an in- und ausländische Polizeibehörden, Internetrecherchen sowie Kontaktaufnahmen mit Verantwortlichen von Moscheen haben keine Erkenntnisse ergeben, nach denen etwa eine gesteuerte Anreise nach Köln oder Absprachen größerer Personengruppen erfolgten. Dies deckt sich mit den Ergebnissen der Experten- und Besucherbefragung. Demnach erfolgten Verabredungen ganz überwiegend auf der Grundlage persönlicher Kontakte über Telefon und WhatsApp. Die Anreise erfolgte zumeist recht spontan, unkoordiniert und nicht abgesprochen in kleinen Gruppen bis fünf Personen. Es gibt keinerlei Hinweise auf in den Medien schon wenige Tage nach dem Ereignis erwähnte Hintermänner, welche die Anreise gesteuert und zu ihr aufgerufen hätten. Nach den Befragungsergebnissen reiste auch nur eine Minderheit nach Köln, um gezielt Straftaten zu begehen. Im Fokus standen vielmehr eine Gelegenheit zu Unterhaltung und zum Feiern sowie die Möglichkeit, durch Erlebnisse in einer Großstadt der täglichen Langeweile zu entfliehen.
Das Vorjahresereignis spielte nahezu keine Rolle; unter den Befragten waren nur wenige Wiederkehrer. Die Gewalt im Vorjahr übte auch keine „Attraktivität“ aus, die zu einer Anreise nach Köln geführt hätte. Nach Einschätzung des IKG lag den Silvesterereignissen des Vorjahres eine sehr spezifische und mit dieser Silvesternacht nicht vergleichbare Situation zugrunde. Silvester 2015 hatte sich eine Eigendynamik in einem nahezu rechtsfreien Raum entwickelt („crowds change their behaviours“, wie Prof. Dr. Zick, Gewaltforscher am Institut für Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld bei einer Arbeitsgruppensitzung der AG Silvester anmerkte). Dieser Befund entspricht dem Rechtsgutachten von Prof. Egg für den Landtag NRW, der hierzu sagt:
„Vereinfachend und salopp gesagt geht der Sachverständige nicht davon aus, dass sich am Silvesterabend 2015 in Köln Hunderte von gewaltbereiten und rücksichtslosen Kriminellen vorsätzlich und organisiert versammelt hatten, um Frauen sexuell zu demütigen und Männer wie Frauen zu bestehlen, sondern dass im Schutze der Dunkelheit und der großen Menschenmasse sukzessive eine ‚anomische‘ Situation entstanden war, die – ausgehend von einer kleinen Gruppe zielbewusster Täter – mehr und mehr Personen veranlasste, sich ebenfalls an Straftaten zu beteiligen.“8
Zu einem beachtenswerten Anteil der überprüften und identifizierten Personen liegen kriminalpolizeiliche Erkenntnisse vor. Für 22,7 % der Personen hat die Polizei eine Kriminalakte angelegt, 13,6 % sind außerhalb von Asylverfahren und ausländerrechtlichen Verstößen erkennungsdienstlich behandelt worden und bei 10,5 % sind von den Führungspersonalien erheblich abweichende Alias-Personalien erfasst. Daraus kann sicher kein unmittelbarer Schluss auf die Absichten für den Aufenthalt in Köln während der Silvesternacht abgeleitet werden, jedoch ist zu folgern, dass ein signifikanter Anteil der überprüften Personen in der Vergangenheit aus strafprozessualen Gründen Kontakt mit der Polizei hatte.
Es bestehen in vielen Fällen Zweifel daran, dass die kontrollierten Personen mit ihren tatsächlichen Personalien und Staatsangehörigkeiten in den Systemen von Polizei, Ausländer- und Einwohnermeldeämtern erfasst sind. Die Zweifel werden durch den hohen Anteil der Asylbewerber begründet, für die im AZR kein Ausweisdokument hinterlegt ist, die also offensichtlich bei ihrer Asylantragstellung keine Ausweisdokumente vorgelegt haben. Weiterhin ergeben sie sich aus dem Anteil an Alias-Personalien, den Ausführungen in arabischer Sprache in dem Freitextfeld des Besucherfragebogens und letztlich auch den Eindrücken der Sprach- und Kulturmittler im Einsatzgeschehen. Diese Beobachtungen stehen im Widerspruch dazu, dass gemäß den Ermittlungsergebnissen ein vergleichsweise geringer Anteil von Personen algerischer, marokkanischer und tunesischer Staatsangehörigkeit ist. Aufgrund polizeilicher Erfahrungen und auch der Erfahrungen der Ausländerämter ist davon auszugehen, dass Personen gegenüber den Behörden falsche Personalien und Staatsangehörigkeiten angegeben haben, um insbesondere ihre Chancen im Asylverfahren zu verbessern. Da der weitere Verlauf des Asylverfahrens und die Überprüfung der Herkunft durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hier nicht bekannt sind, kann diese Annahme nicht weiter verifiziert werden.
Resümierend seien im Folgenden die für die polizeiliche Lagebeurteilung und -bewältigung wichtigen Ursachen für das von den Einsatzkräften, aber auch von neutralen Beobachtern wahrgenommene aggressive Verhalten zusammengefasst.
Ein großes Problem besteht darin, dass die jungen Männer den Umgang mit Alkohol nicht gelernt haben. Hinzu kommen eine hierzulande hohe und preisgünstige Verfügbarkeit von Alkohol sowie vermutlich der Konsum von Drogen aus ihrem Kulturkreis, insbesondere von Cannabis. Die AG Silvester geht auch davon aus, dass im Fragebogen ein geringerer Alkoholkonsum angegeben wurde, als tatsächlich vor Ort stattfand. Die enthemmende und aggressionssteigernde Wirkung von Alkohol und Drogen, ggf. verstärkt durch gruppendynamische Prozesse, erzeugt bekanntermaßen ein erhebliches Aggressionspotenzial. Dies ist jedoch eine für die Adoleszenz nicht untypische Wirkung und keine kulturell spezifische Erscheinung.
Auffällig ist die von den Befragten angegebene hohe Kontrolldichte schon auf der Anreise, welche nach Meinung des IKG bereits eine deutliche Erhöhung der Grundaggressivität zur Folge hatte, falls sie als diskriminierend wahrgenommen wurde.
Daneben lässt sich ein Eskalationspotenzial aus einer Fehlinterpretation der für Westeuropäer ungewohnt expressiven nonverbalen Kommunikation ableiten.
Von Bedeutung sind ebenfalls die Hinweise zu den besonderen räumlichen Eigenschaften des Bahnhofsvorplatzes (Stichwort „Arenacharakter“) unter Berücksichtigung der Erkenntnisse zum Phänomen „intergroup dynamics“, die die Experten des IKG als wichtigen Faktor für einen Aggressionsaufbau bewerten.
Hinsichtlich der polizeilichen Taktik ist, gestützt auf Expertenwissen und polizeiliche Erfahrungen zu konstatieren, dass sichtbare polizeiliche Präsenz und Ansprechbarkeit, eine niedrige Einschreitschwelle und hoher Kontrolldruck bei polizeilich relevantem Verhalten größerer Personengruppen erfolgskritisch sind. Die befragten Experten weisen darauf hin, dass auch kleinen kriminellen Gruppen kein „rechtsfreier Raum überlassen“ werden darf, um zu verhindern, dass sich die anonyme Tatbegehung Einzelner zu einem Massenphänomen entwickelt. Die verstärkende Wirkung des Ausbleibens polizeilicher Aktionen gegen Störer spielt in diesem Kontext ebenfalls eine Rolle.
Silvester hat im nordafrikanischen und nahöstlichen Raum keine besondere Bedeutung, wird aber in Europa als Partyanlass wahrgenommen. Die Teilhabe am sozialen Leben ist den Besuchern wichtig. Die befragten Besucher halten Köln für eine attraktive und sympathische Stadt, die für viele einfach zu erreichen und auch nach Bewertung der Experten weltweit als multikulturelle Partystadt mit einer offenen Gesellschaft bekannt ist. Daher ist auch in Zukunft bei entsprechenden Anlässen wie Silvester mit Anreisen nach Köln in erheblichem Umfang zu rechnen.
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