Kitabı oku: «Im Zentrum der Spirale», sayfa 4

Yazı tipi:

8

Als die beiden dann tatsächlich in sein Zimmer kamen, sahen sie sehr ernst aus. Sie baten Tom, mit runter zu kommen. Alle drei nahmen am Küchentisch Platz. Mr. M. stand wieder auf, ging zum Kühlschrank, und kehrte mit zwei Flaschen Bier zurück. Er stellte eine davon Thomas krachend vor die Nase und öffnete die andere.

»Girls und Bier, das sind wir«, hatte Juan immer gesagt. Das traf wohl auch auf Mr. M. zu. Zwar war er nicht unbedingt ein Weibermagnet, aber das Bier schüttete er sich in die Kehle wie Juan es auch immer getan hatte.

Thomas hatte Mr. M. zuvor noch nie Bier trinken sehen. Er hatte auch Mrs. M. noch nie Alkohol anrühren sehen. Dennoch stand ein weiteres volles Glas Whiskey vor ihr.

»Okay, Tommy«, sagte Mr. M. plötzlich in die Stille, und Thomas erschrak. »Erzähl uns, was du getan hast und warum du es getan hast.« Er gab sich überraschend freundlich. Thomas nickte. Diese beiden Menschen hier waren sowieso die Einzigen auf diesem Planeten, denen er die ganze Geschichte erzählen wollte. Er nahm einen tiefen Zug aus seiner Bierflasche und begann. Es war beinahe Mitternacht, als er fertig war.

Thomas war ein Waisenjunge und lebte bei den Ringers. Die waren sehr geizig. Sie ernährten ihre Pflegekinder Thomas, Juan und Michael mit Lebensmitteln, die sie billiger bekamen, verbeulte Konserven und altes Brot. Die Jungs bekamen ein Sandwich, wenn sie aus der Schule kamen und eines zum Abendessen. Kein Frühstück. Warme Mahlzeiten nur zweimal in der Woche.

»Wären wir im Knast, würden wir besser essen«, sagte Michael.

»Und öfter«, setzte Thomas hinzu.

»Wir enden so oder so im Knast, also gewöhnt euch schon einmal an die Cousine«, erwiderte Juan trocken. Er und Michael stahlen jeden Tag im Einkaufszentrum, oft um die coolen Sachen zu bekommen, die die anderen Kinder hatten, meistens jedoch Essen. Noch weigerte sich Thomas zu stehlen, obwohl er ständig hungrig war. Als er sechzehn wurde, zwangen ihn die Ringers, Zeitungsjunge zu werden. Mitten in der Nacht musste er nun aufstehen, zitternd vor Kälte und Hunger. In der Schule konnte er sich überhaupt nicht mehr konzentrieren und kassierte eine Menge Sechser. Die Ringers kassierten sein Geld.

Thomas stritt sich mit ihnen, und als das gierige Paar ihm sein Geld nicht aushändigen wollte, nahm er es sich heimlich. Die Ringers riefen seine Sozialarbeiterin an, und Thomas musste gehen.

Die Familie Norris war besser. Nicht ihr Essen, aber zumindest konnte sich jeder den Bauch vollschlagen. Thomas freundete sich mit ihrer Tochter Kelly an, die genau wie er sechzehn war. Sie war ein schüchternes, liebes Mädchen. Ein Sensibelchen, wie ihre Oma immer gesagt hatte, und meistens traurig. Sie war so dünn, dass Thomas zuerst dachte, sie sei magersüchtig. Mit der Zeit fand er heraus, dass die kühle Distanziertheit ihrer Eltern ihr den Appetit verdarb.

Mr. und Mrs. Norris hatten eine Menge Eheprobleme. Thomas war das völlig egal. Alles was er wollte, waren ein Dach über dem Kopf und Nahrung. Er erwartete schon lange nicht mehr, von seinen Pflegeeltern geliebt oder auch nur gemocht zu werden.

Mr. Norris ging jeden Morgen zur Arbeit und saß jeden Abend vor dem Fernseher. Viel Zeit verbrachte er beim Bowlen und wahrscheinlich hatte er auch eine Geliebte. Er ignorierte seine Frau, Tochter und den Pflegesohn hartnäckig.

Mrs. Norris war Alkoholikerin. Alles, was Thomas tun musste, war eine Schranktür öffnen und Bingo! Da stand mindestens eine Flasche, versteckt hinter irgendwelchen Putzmitteln. Auch Mrs. Norris ignorierte ihre Tochter. Sie trank nur und verfolgte mit leerem Blick irgendwelche Seifenopern. Kelly hatte jeden Grund, traurig zu sein. Und sie war einsam. Thomas wusste nicht, was in dieser Familie so schiefgelaufen war, aber Kelly tat ihm leid. Seine Herzenswunden waren vernarbt, ihre bluteten noch.

Er wurde zu ihrem großen Bruder. Aber nach ungefähr einem Jahr musste er feststellen, dass Kelly ihn nicht wie einen Bruder liebte, jedenfalls nicht mehr. Sie errötete, wenn er sie ansprach, benutzte Make-up und trug Ohrringe. Sie besorgte sich einen Teilzeitjob und gab das Geld für einen neuen Haarschnitt und künstliche Fingernägel aus. Immerzu versuchte sie, Thomas nahe zu sein, berührte seine Hand, sah ihn voller Bewunderung an. Ihre Verliebtheit stand ihr quer über das schmale, blasse Gesicht geschrieben.

Thomas fühlte sich zwar geschmeichelt, empfand aber nicht dasselbe für Kelly. Er war damals in Sandra Donovon verknallt. Er wollte Kelly aber auch nicht verletzen. Also wahrte er Distanz und verbrachte seine Mathestunden vergeblich damit, Sandras Aufmerksamkeit zu erregen.

Als die Schulzeit sich dem Ende zuneigte, bat Kelly Thomas, mit ihr zum Abschlussball zu gehen. Aber Thomas wollte nicht.

»Ich werde nicht einen ganzen Abend damit verschwenden, mit diesen Idioten abzuhängen, mit denen ich Jahre meines Lebens zusammenhocken musste«, sagte er grob. »Ich gehe lieber ins Kino und hole mir danach irgendwo `nen Burger.« Der wahre Grund für seine Weigerung war, dass Sandra mit David Barns zusammen zum Ball ging, dem weltgrößten Idioten. Sandra hatte ihn regelrecht ausgelacht und ihn mit ihren wunderschönen Augen verächtlich angesehen, als Tom endlich den Mut fand, sie zu fragen, ob sie mit ihm zum Ball gehen wollte. Ein Mädchen wie sie ging doch nicht mit einem aus, der bei einer Pflegefamilie wohnte und keine Kohle hatte! Tom vergaß niemals das Gelächter hinter seinem Rücken, das losbrach, als Sandra ihren Freundinnen von seiner Einladung erzählte.

Nein, er konnte sich nicht überwinden, zu dem verdammten Ball zu gehen. Kelly war ziemlich enttäuscht. Sie hatte Geld gespart, um sich ein schönes Kleid zu kaufen.

»Dann gehe ich eben mit dir ins Kino«, sagte sie schließlich. Thomas fühlte sich schuldig. Was für ein Mädchen würde freiwillig die Chance vertun, Ballkönigin zu werden? Nur ein Verliebtes. Er beschloss, dass der Abend es wert sein sollte, den Scheißball zu verpassen.

Der Film war gut und die Burger auch. Danach fuhren sie raus zum See und schliefen miteinander auf einer Decke, die Thomas am Abend zuvor in den Kofferraum gepackt hatte. Er wollte nicht, dass Kelly ihre Jungfräulichkeit im Auto ihres Vaters verlor. Er versuchte, vorsichtig zu sein, aber er sah, dass er ihr weh tat. Es war nicht das erste Mal, dass er das tat, und bestimmt nicht das letzte. Aber zumindest war es eine andere Art Schmerz.

Der Gedanke, dass es sehr rücksichtslos von ihm war, mit ihr zu schlafen, obwohl er ihre Gefühle nicht erwiderte, kam ihm überhaupt nicht in den Sinn. Wenn man zum Abschlussball ging, wurde man flachgelegt. Wenn Kelly schon den Ball verpasste, wollte Tom wenigstens dafür sorgen, dass sie den Sex bekam, der ihr zustand.

Danach lagen sie beide nebeneinander auf der Decke und sahen in den sternenübersäten Himmel. Das war das Schönste an der Sache. Thomas vergaß nie das Gefühl der Behaglichkeit auf der weichen Decke, Kellys kleine Hand auf seiner Brust und den warmen Sommerwind, der um ihre nackten Körper strich. Er begann über sein weiteres Leben nachzudenken und welche Rolle Kelly darin spielen könnte. Es war, als habe die Magie dieser Nacht ihm erlaubt, einen Blick in die Zukunft zu werfen. Er mochte nicht, was er sah. Er wusste, dass er sie bitten konnte, ihn zu heiraten. Sie würde begeistert zustimmen. Dann konnte er sie dazu bringen, arbeiten zu gehen, während er das Geld seiner Frau mit Juan und Michael auf den Kopf haute. Girls und Bier.

Kelly würde langsam innerlich krepieren, sich aber niemals beschweren. Thomas wusste, er würde nach und nach anfangen, sie für ihre Schwäche zu hassen. Schrecklicherweise war der Gedanke an so ein Leben auch sehr verführerisch.

Er konnte sie sehen, wie sie nach einem langen Arbeitstag mit Tüten vom Supermarkt nach Hause kam. Unter ihren Augen würden mit den Jahren vor Erschöpfung dunkle Ringe auftauchen, die auch das Make-up nicht mehr kaschieren konnte. Er, Thomas, würde seine Frau mit den Worten »Was gibt’s zum Essen?« begrüßen und sich rülpsend am Hintern kratzen. Dann würde er ächzend aufstehen und ihr womöglich noch zu verstehen geben, wie hässlich sie doch war mit den vielen Falten und dem frühzeitig ergrauenden Haar. Dann würde sie in Tränen ausbrechen und Überstunden machen, damit sie sich einen Besuch bei der Kosmetikerin leisten konnte.

Natürlich würde Kelly Kinder wollen, er aber immer ein Gummi benutzen. Da er selbst ein Pflegekind gewesen war, wollte er keine Kinder in die Welt setzen. Tom würde einen dicken Bierbauch bekommen und sich zum Entsetzen seiner Frau in eine Art Gorilla verwandeln.

Die Bilder verblassten.

Thomas stand auf und schüttelte den Kopf.

»Was ist denn, Thomas? Stimmt was nicht?«, hatte Kelly besorgt gefragt. Er wusste, sie befürchtete, dass der Sex nicht gut für ihn gewesen war, dass sie seinen Erwartungen nicht hatte gerecht werden können. Sie wollte ihn immer zufriedenstellen, ihm gefallen.

»Lass uns nach Hause fahren. Es ist schon spät.« Er zog sich seine Hose an. Kelly sah ihn an wie ein Hundebaby. Tom hasste es, wenn sie ihn so ansah.

Auch Kelly zog sich an und faltete die Decke zusammen. Es lag etwas Endgültiges in dieser Geste. Sie spürte es auch.

Wortlos fuhren sie heim.

Thomas distanzierte sich nach diesem Abend noch mehr. An seinem achtzehnten Geburtstag packte er seine wenigen Habseligkeiten und zog aus. Juan holte ihn mit seinem Auto ab. Thomas zweifelte nicht daran, dass es gestohlen war. Als er einstieg, sah er Kelly am Fenster seines ehemaligen Zimmers stehen. Sie war sehr blass. Er sah ihr in die Augen, bis Juan davonfuhr.

Juan und Michael wohnten in einem Saustall, den man nicht mehr als Apartment bezeichnen konnte.

»Mann, sogar die Kakerlaken kriegen einen Kotzanfall, wenn sie abends rauskommen und diese Schweinerei sehen«, würgte Thomas hervor, als er die Küche betrat. Zerbeulte Kartons mit chinesischem Essen lagen überall herum, innen grün und entsetzlich stinkend. Schmutzige Wäsche türmte sich in allen Ecken, und Tom fand sogar eine getragene Unterhose im Waschbecken. Aber im Grunde machte es ihm gar nicht so viel aus. Seine erste eigene Wohnung, keine Pflegeeltern in der Nähe, die ihn anbrüllten – sein Leben konnte endlich anfangen.

Juan fragte Thomas, wie er seinen Anteil an der Miete zu bezahlen gedachte.

»Na, ich suche mir `nen Job, was hattest du denn gedacht?«

»Ich denke, arbeiten ist was für Idioten«, erwiderte Juan gelassen und zündete sich ein Pfeifchen an. Wie es aussah, nahm er jetzt auch noch Crack. Es stellte sich heraus, dass er tatsächlich Autos stahl. Er wollte, dass Thomas sein Partner wurde. Als dieser keinen Job finden konnte, gab er nach.

Ein Jahr verging. Tom stahl Autos, aber es wurde zunehmend schwieriger. Die Polizei war ihnen immer dicht auf den Fersen, und die Eigentümer versahen ihre geliebten Vehikel mit immer besseren Sicherheitssystemen. Als den erfolglosen Dieben das Geld ausging, und der Vermieter ihnen klarmachte, dass sie am nächsten Morgen rausflogen, packte Michael seine Sachen und verschwand.

Juan sagte zu Thomas, dass er eine Idee habe. »Ich habe mir den Siesta Markt in der Welsh Street angesehen. Den nehmen wir uns heute Nacht vor. Die haben mit Sicherheit ein paar Tausend Kröten in der Kasse.«

»Ein paar Hundert vielleicht, aber keine Tausend, du Idiot«, schnauzte Thomas. Ihm stank dieses Leben buchstäblich. In diesem Dreckloch hier mochte er nicht mal duschen. Er zog es vor, das bei den Weibern zu tun, die er aufriss, wenn er besoffen war.

»Ein paar Hundert Dollar wären genug, um von hier zu verschwinden und irgendwo neu anzufangen«, knurrte Juan zurück. Thomas seufzte und gab nach. Vielleicht würde es ja sogar klappen. Juan gab ihm eine Pistole. »Du richtest sie einfach auf das pickelige Monster hinter der Kasse und schreist. Er gibt das Geld raus, und wir verschwinden. Klappt immer. Die scheißen sich in die Hose, wenn sie eine Waffe sehen.« Thomas nahm sie zögernd. Er mochte das Ding nicht.

Um zehn Uhr abends betraten sie den Siesta Markt. Er war menschenleer. Juan und Thomas zogen sich Skimasken über das Gesicht. Sie rannten zur Kasse. Thomas zögerte kurz als er sah, dass der Kassierer ein Mädchen war, das gerade Twinkies in ein Regal stapelte. Juan fing mit der Brüllerei an. Ihm war es scheißegal, ob der Kassierer männlich oder weiblich war.

»Gib uns das Geld, du blöde Schlampe!«, schrie er und fuchtelte mit seiner Waffe. Thomas hob seine Pistole mit zitternden Händen. Das Mädchen fuhr erschrocken herum. Thomas’ Mark wurde zu Eis. Es war Kelly. Sie sah die Skimasken und die Waffen, und schrie. Juan brüllte zurück, sie solle das Maul halten. Kelly machte einen Schritt rückwärts und stolperte über den Karton mit den Twinkies. Ihre Hände griffen hektisch nach der Ladentheke vor ihr, damit sie nicht hinfiel. Juan geriet in Panik. Ein Schuss fiel. Ein roter Fleck erschien auf Kellys Uniform, und er wurde schnell größer. Thomas stand noch immer wie angewurzelt vor der Kasse, die Knarre erhoben, und starrte mit hervorquellenden Augen auf Kelly, die langsam zu Boden ging. Er wandte sich hilflos Juan zu, der über die Theke sprang und sich an der Kasse zu schaffen machte. Er stopfte das Geld in einen Beutel und rannte einfach davon.

Thomas ließ seine Pistole fallen als wäre sie eine Schlange und kniete sich neben Kelly. Blut lief aus ihrem Mund. Bei jedem Atemzug war ein gurgelndes Geräusch zu hören. Sie sah ihn an. Thomas zog sich die Maske vom Gesicht. Er wusste, dass eine Kamera über der Kasse befestigt war, aber es war ihm egal.

Im Film hätte er ihr jetzt gesagt, was sie seit so langer Zeit hören wollte. Aber dies war echt. Er stammelte irgendetwas, er konnte sich später nicht mal mehr daran erinnern, was es gewesen war. Nur, dass er immer und immer wieder ihren Namen gesagt hatte. Kelly …

Im Film hätte sie ihn jetzt angelächelt, seine Wange berührt und ihm vergeben. Und dann wäre sie ohne Schmerzen in seinen Armen gestorben. Aber dies war kein Film. Kelly litt. Sie erstickte an ihrem eigenen Blut und sie erkannte ihn nicht einmal. Thomas wollte bei ihr bleiben. Er konnte nicht klar denken. Aber dann sah er, dass ihre linke Hand einen roten Knopf drückte, der unter der Ladentheke befestigt war. Sie betätigte ihn schon eine ganze Weile. Der Schock durchfuhr ihn wie eine Hitzewelle.

Hektisch sprang Thomas auf und machte ein paar Schritte in Richtung Tür. Dann besann er sich, rannte zurück und grapschte mit kalten und klammen Fingern nach den Geldscheinen, die Juan zurückgelassen hatte. Thomas packte sie in eine Tüte und steckte noch ein paar Twinkies und einige Dosen Cola hinein. Die Twinkies hatte Kelly noch vor ein paar Minuten in den Händen gehalten und ordentlich, wie es ihre Art war, in das Regal gestapelt. Vielleicht hatte sie dabei an Thomas und an die Nacht auf der Decke gedacht. Vielleicht hatte sie sich gefragt, was er wohl gerade machte. Tom gab einen wimmernden Laut von sich. Dann flüchtete er aus dem Laden und seinem bisherigen Leben.

9

Die M’s saßen da und starrten ihn an. Thomas blickte mit tränenden Augen zurück. Die Erinnerungen waren schmerzhaft. Mrs. M. stand auf, umrundete den Tisch, und legte Toms Kopf an ihren dicken Bauch. Sofort fühlte er sich geborgen.

»Es ist ja gut, Lieber. Schhhhhh. Mach dir keine Sorgen.« Sie sah ihren Mann an, und ihre Augen senkten sich in tiefem Einverständnis ineinander. »Keine Sorgen mehr. Du musst dir um nichts mehr Sorgen machen. Nie mehr.«

Thomas schluchzte lange Zeit wie ein kleines Kind. Mrs. M. brachte ihn zu Bett und saß bei ihm, bis er endlich eingeschlafen war. Mit einem traurigen Seufzen stand sie auf und ging zu ihrem Mann hinunter, mit dem sie noch über eine Stunde sprach. Beide weinten ein bisschen. Dann erhoben sie sich, denn sie hatten eine arbeitsreiche Nacht vor sich. Mrs. M. ging zur Verandatür hinaus, Mr. M. in den Keller, um einige Dinge zu holen, die sie bald brauchen würden.

Thomas erwachte früh am nächsten Morgen. Der Himmel war noch grau und düster. Er sah auf seine Armbanduhr und fragte sich, was ihn wohl um sechs Uhr in der Früh geweckt haben mochte. Er wusste noch, dass er um drei Uhr nachts kurz aufgestanden war, um das Geld wieder in der »Star Wars«-Kassette zu verstecken. Was stimmte denn nicht?

Dann hörte er es wieder, ein entsetztes Kreischen aus dem Garten. Thomas sprang aus dem Bett und sah aus dem Fenster. Er blickte direkt auf Mrs. Johanson. Sie stand vor dem kleinen Schwimmbecken, beide Hände vor dem Gesicht, das weiß wie Schnee war. Sie schrie: »Kara! Karaaaaaaa!«

Mr. Johanson, von den Schreien seiner Frau alarmiert, kam nur mit einem Handtuch bekleidet aus dem Haus gerannt. Er folgte ihrem entsetzten Blick und stieß einen schockierten Laut aus, dann sprang er in den Pool. Thomas glaubte zuerst, er sehe eine Puppe darin schwimmen. Mit Grauen erkannte er, dass es die kleine Kara war, die dort mit dem Gesicht nach unten im Wasser trieb. Tom fuhr herum und rannte so hastig die Treppen hinunter, dass er beinahe gefallen wäre. Mrs. M. stand am Fuß der Treppe und schien ihn schon zu erwarten. Ihr Gesicht war traurig, ihre Augen waren es nicht.

»Nicht, Tommy! Lass sie in Ruhe!« Ihre Stimme war so ruhig und sanft, dass Tom eine Gänsehaut über den Rücken lief.

»Ma! Ma! Kara, die Kleine von nebenan! Sie liegt im Pool! Ma! Ruf einen Rettungswagen!«, stammelte er und wollte zur Haustür laufen. Doch Mrs. M. zog ihn rasch in ihre Arme und hielt ihn so fest, dass er sich nicht mehr bewegen konnte. Sie roch verschwitzt.

»Das ist alles schon erledigt. Der Rettungswagen wird bald hier sein. Geh wieder rauf, Tommy. Es gibt nichts, was du tun könntest. Das arme kleine Ding ist jetzt im Himmel.« Thomas wandte sich um und stieg gehorsam drei Stufen hinauf. Dann drehte er sich noch einmal um. »Woher weißt du das, Ma? Woher willst du wissen, dass sie tot ist?«

»Ich war gerade dabei, die Wanne in unserem Badezimmer zu schrubben und hatte das Fenster aufgemacht, um etwas frische Luft herein zu lassen. Da sah ich das kleine Mädchen im Schwimmbecken. Ich wollte zur Treppe laufen, aber da fing das Geschrei draußen an. Ihre Mutter hatte sie auch gerade gefunden. Ich konnte nicht das Geringste tun. Niemand von uns hätte irgendetwas tun können.«

Thomas starrte sie lange an. Frische Luft, ja, klar. Die M’s waren ja solche Frischluftfanatiker. »Euer Badezimmer, Ma? Habt ihr noch eins?« Mrs. M. errötete leicht. Scheinbar hatte er sie endlich mal unvorbereitet erwischt.

»Hm, ja … wir haben unser eigenes Badezimmer … du weißt ja, wie merkwürdig George manchmal sein kann … er will seine Privatsphäre …« Ihre verlegene Stimme verklang. Tom hob die Schultern. Es war jetzt ohnehin nicht wichtig. Nebenan trieb ein kleines Mädchen im Pool, und er laberte über Badezimmer.

Das Jaulen der Ambulanz erklang in der Ferne. Thomas schlich wie ein alter Mann die Stufen hinauf. Von seinem Fenster aus beobachtete er niedergeschmettert, wie die Sanitäter alles taten, um Kara zu retten, sah, wie die Johansons sich weinend und stöhnend gegenseitig umklammerten, und wie sie schließlich schluchzend zusammenbrachen, als einer der Sanitäter den Kopf schüttelte. Thomas sah zu, wie der kleine Körper fortgebracht wurde. Ein Arzt gab Mrs. Johanson eine Spritze. Ein paar Stunden später erschien eine weitere Ambulanz und brachte sie ins Krankenhaus. Sie hatte einen Nervenzusammenbruch erlitten. Mr. Johanson saß mit gesenktem Kopf auf der Veranda, ohne sich zu rühren. Er saß dort, bis es dunkel wurde.

10

Verwandte waren aufgetaucht und hatten das andere Kind, Chris, mitgenommen. Mrs. M. erzählte Tom am nächsten Morgen davon.

»Die Polizei wird wohl dafür gesorgt haben. Sie ermitteln, aber ich bin sicher, dass das Ganze nur ein schrecklicher Unfall war. Armes kleines Mädchen.« Sie saß auf Toms Bett.

Thomas aß sein Frühstück. Er war wach geworden, als Mrs. M. mit ihrem Tablett hereinkam und »Aufgewacht, es ist schon nach acht« gerufen hatte. Thomas wunderte sich darüber, dass sie an einem solchen Tag so munter sein konnte. Immerhin war das Kind erst gestern gestorben. Es machte ihn unbehaglich, dabei zuzusehen, wie sie fröhlich summend seine schmutzige Wäsche einsammelte.

Tom aß langsam und ohne Appetit. Gestern hatte Mrs. M. das hingenommen und tatsächlich zum ersten Mal, seit er hier war, nichts gekocht. Aber heute Morgen hatte sie ihm einen riesigen Stapel Pfannkuchen mit Ahornsirup gebracht. Er wusste ja, wie sehr sie es hasste, wenn er nichts aß, also aß er. Ihm war speiübel, aber er aß.

»Ich befürchte, dass die Polizei bald hier aufkreuzen wird, die Nachbarn zu befragen ist in solchen Fällen üblich. Auf keinen Fall kannst du hier oben bleiben, bis sie fort sind.«

»Kann ich nicht?«, mampfte er.

»Nein, Tommy. Sie werden hier hochkommen und sich den Nachbargarten von diesem Fenster aus ansehen wollen. Von hier aus kann man doch direkt auf das Schwimmbecken sehen. Sie werden uns fragen, ob wir irgendetwas gesehen haben und wenn ja, warum wir keinen Notruf abgesetzt haben. Du wirst auf dem Dachboden warten müssen.«

Thomas war schon einmal auf dem Dachboden gewesen. Er war leer. Das einzig Interessante war einer der Dachbalken. Jemand hatte »I love Mary« hineingeritzt. Mehr gab es dort oben nicht zu sehen. Eine Idee schoss Tom durch den Kopf. Er hatte sich doch geschworen, herauszufinden, was hier vor sich ging, oder nicht? Es würde wohl kaum eine passendere Gelegenheit geben als heute. Die beiden würden gezwungenermaßen in der Nähe der Bullen bleiben müssen.

»Der Dachboden ist vielleicht keine so gute Idee, Ma. Vielleicht wollen sie auch von da oben aus in den Nachbargarten gucken. Da sind doch sogar zwei Fenster, die in Richtung der Johansons zeigen. Ich warte besser im Keller.« Thomas stopfte den letzten Pfannkuchen in sich hinein. Er glaubte, gleich zu platzen. Er sah hoch zu Mrs. M., die besorgt schien.

»Vielleicht hast du Recht, Tommy«, gab sie zu und knetete unruhig ihre Hände. »Du kannst im Keller bleiben, aber bewege dich bloß nicht! Ich stelle einen Klappstuhl in den Waschraum, und bitte bleibe drauf sitzen, bis sie wieder weg sind! Wenn die was hören sollten …«

»Nein, keine Sorge, Ma! Ich werde mucksmäuschen-still sein, versprochen! Ich weiß ja, dass ich in großer Gefahr schwebe. Ich mache nicht mal das Licht an. Ach ja, woher wusstest du, dass ein paar Verwandte Chris abgeholt haben?«, fragte er unschuldig in der Hoffnung, sie werde sich in ihrer Nervosität verplappern.

»Ich habe sie gesehen, als ich zum Auto ging. George hatte vergessen, die Milch rauszuholen, als er heute Morgen einkaufen war.«

»Er war schon einkaufen?«, fragte Thomas verblüfft. Es war ja noch nicht mal neun Uhr.

»Na ja, wir konnten beide letzte Nacht nicht besonders gut schlafen, da sagte er, er könne genauso gut einkaufen gehen.« Mrs. M. stellte die benutzten Teller ineinander und sah ihn nicht an. Thomas hatte die beiden die ganze Nacht schnarchen gehört. Der Tod eines kleinen Mädchens machte ihnen wohl nicht viel aus. Er wurde schon wieder angelogen.

Mrs. M. erhob sich vom Bett und nahm das Tablett an sich. »Du solltest schnell duschen und dich anziehen. Dann komm bitte runter in den Keller. Lange wird die Polizei nicht auf sich warten lassen.« Sie drehte sich um und verließ verdächtig schnell den Raum. Thomas stand auf, machte sein Bett, räumte alle Hinweise darauf, dass dieses Zimmer benutzt wurde, fort. Anschließend nahm er eine Dusche. Er zog sich an und bevor er runterging, öffnete er die Schublade seines kleinen Nachttisches. Darin befanden sich Hustenbonbons, ein paar Taschentücher und eine kleine Taschenlampe. Er knipste sie kurz an. Sie funktionierte. Tom steckte sie erfreut in die Tasche seiner Jeans und zog sein T-Shirt aus dem Hosenbund, damit es die verdächtige Ausbuchtung verdeckte. Dann ging er die Treppe runter.

Mrs. M. knipste gerade, als er in die Küche kam, das Licht an. Er wollte sie schon fragen, warum sie das tat, da hörte er ein fernes Grollen.

»Ich glaube, da ist ein Gewitter im Anmarsch.« Thomas sah aus dem Fenster. Der Himmel hatte sich schwarz verfärbt, ein greller Blitz zuckte auf und blendete ihn für eine Sekunde. Er und Mrs. M. fuhren zusammen. Dann prasselte auch schon der Regen gegen die Scheibe. Mrs. M. hoppelte schnell herüber und machte es zu. Thomas sah erst jetzt, dass es zum allerersten Mal, seit er hier war, etwas offen gestanden hatte. Überrascht sah er sie an. Mrs. M. lächelte. »Ich mag die Luft vor einem Gewitter. Die Atmosphäre scheint dann beinahe wie mit Elektrizität aufgeladen zu sein.« Tom nickte verwirrt, und sie scheuchte ihn die Kellertreppe hinunter.

Aber es war Mr. M., der ihn zum Waschkeller führte. Ein kleiner Klappstuhl stand in der Mitte zwischen der Waschmaschine und dem Trockner. Mr. M. muffelte Tom an, er solle darauf still sitzen, bis entweder er oder seine Frau kamen und ihn wieder abholten. Thomas nickte. Mr. M. warf ihm noch einen misstrauischen Blick zu, der Thomas erschauern ließ. Dann drehte er sich um und erklomm die Stufen. Die Tür schlug mit einem Knall zu, und Thomas zuckte zusammen. Es war nun völlig dunkel. Das Gewitter tobte inzwischen so heftig, dass das ganze Haus darunter zu wanken schien. Es dröhnte, als würden alle finsteren Götter es mit ihren Fäusten bearbeiten. Das Heulen des Windes war hier unten sehr laut. Es war das einsamste Geräusch, das Thomas je gehört hatte.

›So muss der leere Raum zwischen den Galaxien sein‹, dachte er schaudernd. ›Absolute Dunkelheit, ein klagender Wind fegt durch deine Seele.‹ Kelly hatte einmal ein Gedicht geschrieben und diese Worte benutzt. Damals hatte Tom nicht verstanden, was sie damit sagen wollte. Jetzt allerdings schon. ›So hat sie sich ihr ganzes Leben lang gefühlt‹, dachte er traurig, ›einsam und isoliert.‹

Thomas war versucht, seine Suche sofort zu beginnen, aber er glaubte es sei besser zu warten, bis es oben an der Tür klopfte. Es war nicht gerade angenehm, hier bewegungslos in kompletter Finsternis zu sitzen. Es gab Spinnen hier drinnen und Mäuse, vielleicht sogar Ratten so groß wie Hundewelpen … Er rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her und stöhnte, als das alte Ding unter ihm quietschte. Vielleicht raste genau in diesem Moment eine riesige Spinne auf ihn zu, ihre vielen Beine hasteten mit furchtbarer Geschwindigkeit seinen Oberschenkel hinauf … sie würde über sein Gesicht krabbeln, und wenn er seinen Mund öffnete, um zu schreien, kroch sie hinein …

»Was habe ich dir gesagt«, fauchte eine wütende Stimme direkt neben seinem Ohr. Thomas sprang mit einem entsetzten Keuchen, das fast schon ein Schrei war, von seinem Stuhl hoch.

Mr. M’s Gesicht erschien in der Dunkelheit. Es war spärlich von einer Taschenlampe beleuchtet. Der alte Sack stand direkt neben dem Stuhl, der umgefallen war, als Thomas so plötzlich aufsprang.

»Ich hatte doch gesagt, dass du still sitzen sollst, oder nicht?«, zischte Mr. M. grimmig. »Kein Herumrutschen! Kein Quietschen! Jetzt heb diesen Stuhl auf und pflanze deinen Hintern darauf, hörst du?«

»Ja, Mr. M.«, erwiderte Thomas mit zittriger Stimme. Mit einem letzten finsteren Blick ging Mr. M. wieder die Treppe rauf und schloss die Tür. Diesmal hörte Thomas die Schritte über seinem Kopf, als der Alte in die Küche ging, zweifelsohne um seiner Frau schadenfroh zu erzählen, wie er den Jungen da unten zu Tode erschreckt hatte.

Thomas versuchte, sich wieder zu beruhigen. Seine Hände und sein ganzer Körper zitterten erbärmlich. Er glaubte sogar, sich vor Schreck etwas in die Hose gepisst zu haben, als der alte Fiesling so plötzlich in der Dunkelheit in sein Ohr gegrummelt hatte.

›So ein Arschloch! Da kriegt man ja `nen Herzinfarkt‹, dachte er noch immer völlig von der Rolle, wagte aber nicht, es laut auszusprechen. Jetzt war Tom froh, nicht doch sofort mit seiner Suche begonnen zu haben. Der alte Mistkerl hatte wohl im Dunkeln auf der Treppe gestanden und nur darauf gewartet, dass Thomas etwas tat, das er nicht sollte. Als ob Mr. M. gewusst hätte, dass Tom das tun würde.

Es wurde rasch zur reinen Folter, auf dem alten, harten Stuhl zu sitzen, ohne sich bewegen zu dürfen. Toms Muskeln wurden langsam steif und fingen an zu schmerzen. Endlich erklang das Klopfen an der Haustür, auf das sie alle gewartet hatten, und Thomas seufzte erleichtert auf. Über sich vernahm er die Schritte des alten Paares, das sich der Tür näherte. Die Show begann.

Die M’s führten die Cops die Treppe hoch. Thomas hörte ihre Stimmen leiser werden. Nun hatte er vielleicht fünf Minuten. Die M’s würden zudem auch noch erpicht darauf sein, den unerwünschten und gefährlichen Besuch schnell wieder loszuwerden. Also musste er sich beeilen.

›Hoffentlich steht kein verdammter Bulle direkt neben der Kellertür‹, dachte er nervös und stand vorsichtig auf. Das Quietschen war furchtbar laut in der Stille, denn ausgerechnet jetzt donnerte es nicht. Thomas fluchte leise und schaltete seine Taschenlampe ein. Er fing mit dem Raum zu seiner Rechten an und betete, das dünne Licht würde nicht durch ein Kellerfenster scheinen. Er konnte sich zwar nicht erinnern, eins gesehen zu haben, als er draußen war, aber wer konnte sich da so sicher sein? Zu seiner Erleichterung sah er nirgendwo eins.

Der Raum war leer. Er nahm den nächsten. Leer bis auf ein paar Regale, eine Kühltruhe und fünf Kühltaschen. Tom hob den Deckel der Kühltruhe und lugte hinein. Sie war halb mit Fleisch gefüllt. Eine Kettensäge lag auf dem Fußboden neben der Kühltruhe. Uninteressant. Thomas wandte sich dem nächsten Raum zu. Er war winzig und bis obenhin mit Kartons gefüllt. Er trat näher heran. Alle Kartons waren mit »Flohmarkt« beschriftet. Thomas machte einen auf und wühlte darin herum. Er fand Kleidung, CDs, Bücher, Zeitschriften und Schuhe. Drei weitere Kartons waren ebenfalls mit ganz ähnlichen Dingen befüllt. Ein unbeschrifteter Karton war voll mit eingeschweißten Maleranzügen aus Plastik.

₺366,62

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Hacim:
360 s. 1 illüstrasyon
ISBN:
9783966291033
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre