Kitabı oku: «Charles Dickens», sayfa 18

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»Miß Flite«, sagte Mr. Woodcourt mit ernster, wohlwollender Stimme, als wende er sich an sie, während er zu uns sprach und seine Hand sanft auf ihren Arm legte. »Miß Flite beschreibt ihre Krankheit mit ihrer gewohnten Akkuratesse. Ein Vorfall im Hause hat sie erschüttert, der eine stärkere Person als sie hätte stark mitnehmen müssen. Und sie wurde vor lauter Aufregung und Trübsal krank. In der ersten Hast der Entdeckung brachte sie mich hierher. Leider zu spät, um dem Unglücklichen noch helfen zu können. Ich habe mich für diese Enttäuschung dadurch entschädigt, daß ich seitdem hierher kam und ihr ein wenig nützlich gewesen bin.«

»Der freundlichste Arzt vom ganzen Kollegium«, wisperte mir Miß Flite zu. »Ich erwarte ein Urteil am Tag des Gerichts. Und dann werde ich Güter verschenken.«

»Miß Flite wird in ein paar Tagen wieder gesund und wohlauf sein«, sagte Mr. Woodcourt und sah sie mit einem prüfenden Lächeln an. »Mit andern Worten, wieder ganz auf dem Damm. Haben Sie gehört, welches Glück sie gehabt hat?«

»Ein ganz außerordentliches Glück«, bestätigte Miß Flite mit strahlendem Gesicht. »Denken Sie nur, jeden Samstag übergibt mir Konversations-Kenge oder Guppy – bei Konversations-K. – ein Kuvert mit Schillingen – mit Schillingen! Ja, ja, Sie dürfen mir's glauben! Immer die gleiche Anzahl ist im Kuvert. Immer einer für jeden Tag in der Woche. Jetzt wissen Sie es. Und gerade zur rechten Zeit gekommen, nicht wahr? Jaaaa! Woher, glauben Sie wohl, kommen diese Kuverts? Das ist die große Frage. Natürlich. Soll ich Ihnen sagen, was ich glaube? Ich glaube«, sie trat mit einem schlauen Blick zurück und hielt den rechten Zeigefinger höchst bedeutsam in die Höhe, »daß der Lordkanzler in Hinblick auf die Länge der Zeit, wo das Große Siegel geöffnet ist – denn es ist schon sehr lange geöffnet –, das Geld schickt. Bis das Urteil, das ich erwarte, erfolgt. Das ist sehr anerkennenswert, sehen Sie. Auf diese Weise einzugestehen, daß der Prozeß sich wirklich etwas langsam für das irdische Leben abwickelt. So zartfühlend! Als ich neulich im Gerichtssaal war – ich wohne den Sitzungen regelmäßig bei mit meinen Dokumenten –, stellte ich ihn zur Rede, und er gestand fast. Das heißt, ich lächelte ihn von meiner Bank aus an und er lächelte mich von seiner Bank aus an. Aber ist es nicht ein großes Glück, wie? Und meine junge Freundin verwendet das Geld für mich so vorteilhaft. Oh, ich versichere Ihnen, außerordentlich vorteilhaft!«

Sie hatte sich an mich gewendet, und ich wünschte ihr Glück und weitere Vermehrung ihres Einkommens und eine recht lange Dauer desselben. Ich brauchte mir nicht den Kopf zu zerbrechen, aus welcher Quelle es kam und wer so menschenfreundlich war. Mein Vormund stand vor mir und besah sich die Vögel, und ich brauchte nicht weit zu suchen.

»Und wie heißen die kleinen Burschen, Maam?« fragte er mit seiner sympathischen Stimme. »Haben sie Namen?«

»Ich kann für Miß Flite bejahen«, sagte ich, »denn sie versprach uns neulich, sie uns zu nennen. – Ada, weißt du noch?«

Ada erinnerte sich noch sehr gut.

»So, tat ich das?« sagte Miß Flite. »Halt! Wer ist dort an meiner Tür? Was horchen Sie an meiner Tür, Krook?«

Der Alte stieß die Türe auf und erschien, die Pelzmütze in der Hand, begleitet von seiner Katze, auf der Schwelle.

»Ich hab nicht gehorcht, Miß Flite. Ich wollte eben klopfen, aber Sie geben so scharf acht.«

»Jagen Sie Ihre Katze hinaus. Fort!« rief die alte Dame heftig aus.

»Bah, bah. Es besteht keine Gefahr, meine Herrschaften«, beruhigte sie Mr. Krook und sah uns alle der Reihe nach lange und scharf an. »Sie wird, wenn ich hier bin, auf die Vögel nicht losgehen – wenn ich sie nicht hetze.«

»Sie müssen meinen Hauswirt entschuldigen«, flüsterte Miß Flite mit würdevoller Miene. »Ver-, ganz ver-! Was wollen Sie denn, Krook? Sie sehen doch, daß ich Gesellschaft habe.«

»Hi«, sagte der Alte. »Sie wissen, ich bin der 'Kanzler'.«

»Nun, und? Was weiter?«

»Daß dem Kanzler«, kicherte der Alte, »ein Jarndyce unbekannt bleiben sollte, wäre seltsam, nicht wahr, Miß Flite? Darf ich mir nicht die Freiheit nehmen? Ihr Diener, Sir. Ich kenne 'Jarndyce kontra Jarndyce' fast so genau wie Sie selbst, Sir. Ich kannte den alten Squire Tom, Sir, aber soviel ich mich erinnern kann, habe ich Sie noch nie gesehen. Nicht einmal im Gerichtshof. Und ich bin doch unendlich oft im Lauf des Jahres dort.«

»Ich gehe nie hin«, entgegnete Jarndyce. »Ich würde lieber – ich weiß nicht wohin gehen.«

»Wirklich?« grinste Krook. »Sie sind schlecht auf meinen vornehmen und gelehrten Bruder zu sprechen, Sir; wenn das auch vielleicht bei einem Jarndyce ganz natürlich ist. Ein gebranntes Kind, Sir!... Was, Sie sehen sich die Vögel meiner Mieterin an, Mr. Jarndyce?« Er war ganz langsam immer weiter ins Zimmer hereingekommen und berührte jetzt meinen Vormund mit dem Ellbogen und sah ihm mit seinen bebrillten Augen scharf ins Gesicht.

»Es ist eine ihrer Wunderlichkeiten, daß sie niemals die Namen dieser Vögel nennt, wenn sie es vermeiden kann. Aber jeder einzelne hat seinen Namen!« Er sagte das leise flüsternd. »Soll ich sie herzählen, Flite?« fragte er dann laut, zwinkerte uns zu und deutete auf sie, während sie sich hastig abwendete und sich stellte, als kehre sie den Herd.

»Wenn Sie wollen«, gab sie hastig zur Antwort.

Der Alte warf uns wieder einen Blick zu, spähte zu den Käfigen hin und ging dann die Liste durch.

»Hoffnung, Freude, Jugend, Friede, Ruhe, Leben, Staub, Asche, Verschwendung, Mangel, Ruin, Verzweiflung, Wahnsinn, Tod, List, Torheit, Faselei, Perücke, Pergament, Plunder, Präzedenz, Jargon, blauer Dunst und Larifari – das ist die ganze Reihe. Alle von meinem vornehmen und gelehrten Bruder zusammen in einen Käfig gesperrt.«

»Ein böser Wind!« murmelte mein Vormund.

»Wenn mein vornehmer und gelehrter Bruder das Urteil fällt, sollen sie freigelassen werden«, sagte Krook und zwinkerte uns wieder zu. »Und dann«, setzte er flüsternd und zähnefletschend hinzu, »wenn das geschieht – es geschieht natürlich nie –, dann werden sie von den andern Vögeln, die niemals in Gefangenschaft gewesen sind, totgebissen.«

»Wenn jemals Ostwind war«, sagte mein Vormund und stellte sich, als sähe er zum Fenster hinaus nach der Wetterfahne, »so haben wir heute welchen.«

Es wurde uns außerordentlich schwer, wegzukommen. Nicht Miß Flite hielt uns auf – das kleine Geschöpf war so verständig in der Berücksichtigung der Wünsche andrer wie nur möglich –, Mr. Krook tat es. Er schien sich gar nicht von Mr. Jarndyce losmachen zu können. Wenn er an ihn angekettet gewesen wäre, hätte er sich kaum dichter an ihn halten können.

Er schlug uns vor, uns seinen Kanzleigerichtshof und das seltsame Durcheinander, das er enthielt, zu zeigen.

Während der ganzen Besichtigung, die er geflissentlich in die Länge zog, blieb er immer dicht neben Mr. Jarndyce und hielt ihn unter allen möglichen Vorwänden auf, bis wir voraus waren, als quäle ihn eine Neigung, von irgendeinem Geheimnis zu sprechen, ohne daß er sich entschließen könnte, davon anzufangen. Ich kann mir kein Gesicht und kein Benehmen denken, das einen deutlicheren Ausdruck von Vorsicht und Unentschlossenheit und dem beständigen Drange trug, irgend etwas, was ihm auf der Zunge lag, zu sagen, als Mr. Krooks Gesicht und Benehmen an diesem Tag.

Ununterbrochen belauerte er meinen Vormund. Er wendete kein Auge von ihm. Wenn er neben ihm ging, betrachtete er ihn mit der Schlauheit eines alten, weißhaarigen Fuchses. Wenn er vorausging, sah er sich um nach ihm. Standen wir still, pflanzte er sich ihm gegenüber auf und fuhr mit der Hand immer wieder langsam über den offenen Mund mit dem seltsamen Ausdruck eines gewissen Machtbewußtseins, rollte die Augäpfel in die Höhe und runzelte die grauen Augenbrauen, bis sie zusammenzustoßen schienen. Jede Linie im Gesicht meines Vormunds schien er zu studieren.

Endlich, nachdem wir überall im Hause gewesen waren, immer von der Katze begleitet, und den ganzen kuriosen Vorrat von allerlei Waren gesehen hatten, führte er uns in den rückwärtigen Teil des Ladens. Hier bemerkten wir auf einem aufrechtstehenden leeren Fasse eine Tintenflasche, ein paar alte Federstümpfe und einige schmutzige Theaterzettel. An die Wand waren mehrere großgedruckte Alphabete in verschiednen Kurrentschriften geklebt.

»Was machen Sie hier?« fragte mein Vormund.

»Versuche lesen und schreiben zu lernen.«

»Und wie kommen Sie damit zurecht?«

»Langsam. Schlecht«, gab Mr. Krook ungeduldig zur Antwort. »Es ist schwer in meinen Jahren.«

»Sie würden sich leichter tun, wenn Sie sich von jemand unterrichten ließen.«

»Ja, aber man könnte es mich absichtlich falsch lehren«, entgegnete der Alte mit einem sonderbar argwöhnischen Aufleuchten in seinen Augen. »Ich weiß nicht, was ich dabei verloren habe, daß ich es nicht früher gelernt habe. Ich möchte jetzt nicht gern dadurch zu Schaden kommen, daß mich's einer falsch lehrte.«

»Falsch?« fragte mein Vormund mit seinem gutgelaunten Lächeln. »Bitte Sie, wer sollte das tun!«

»Ich weiß es nicht, Mr. Jarndyce von Bleakhaus«, gab der Alte zur Antwort, schob sich die Brille auf die Stirn hinauf und rieb sich die Hände. »Ich glaube nicht gerade, daß es jemand tun würde... Aber ich traue doch lieber mir selbst als einem andern.«

Diese Antworten und sein ganzes Wesen waren seltsam genug, um meinem Vormund Anlaß zu geben, während wir durch Lincoln's-Inn schritten, Mr. Woodcourt zu fragen, ob Mr. Krook wirklich, wie seine Mieterin behauptete, verrückt sei. Der junge Arzt sagte, er habe durchaus keinen Grund, das anzunehmen. Krook sei nur außerordentlich mißtrauisch wie die meisten ungebildeten Leute und gewöhnlich mehr oder weniger von Gin berauscht. Er trinke ihn in großen Mengen und er und sein Ladenstübchen röchen sehr stark danach, wie wir selbst wohl schon bemerkt hätten, aber für verrückt halte er ihn keineswegs.

Auf dem Nachhauseweg gewann ich mir Peepys Liebe so sehr durch das Geschenk einer Windmühle und zweier Mehlsäcke, daß er sich von niemand anders Hut und Handschuhe abnehmen lassen und beim Essen nur neben mir sitzen wollte. Caddy saß zwischen mir und Ada, der wir die ganze Geschichte unsres Freundschaftsbündnisses gleich nach unsrer Heimkehr mitteilten.

Wir nahmen uns Caddys und auch Peepys so sehr an, daß sie vor Freude strahlten. Mein Vormund nahm an unsrer Fröhlichkeit teil, und wir alle waren heiter und lustig, bis spät abends Caddy in einer Droschke nach Hause fuhr, auf dem Schoße den fest schlafenden Peepy, der immer noch die Windmühle umklammerte.

Ich habe zu erwähnen vergessen – zum mindesten nicht erwähnt –, daß Mr. Woodcourt derselbe dunkelhaarige junge Chirurg war, den wir bereits bei Mr. Badger getroffen –, daß Mr. Jarndyce ihn zu Tisch eingeladen und er die Einladung angenommen hatte, – und auch, daß, als alle fort waren und ich Ada aufforderte: »Nun, Liebling, laß uns ein wenig von Richard plaudern«, sie gelacht und gesagt hatte...

Aber ich glaube, es kommt nicht auf das an, was mein Liebling gesagt hat. Sie war doch immer scherzhaft aufgelegt.

15. Kapitel

Bell Yard

Während unsres Aufenthaltes in London war Mr. Jarndyce beständig von der Schar der leicht erregbaren Damen und Herren umlagert, deren Unternehmungslust uns schon in Bleakhaus so in Erstaunen gesetzt hatte. Mr. Quale, der sich bald nach unsrer Ankunft vorstellen kam, kannte alle persönlich. Er schien die zwei glänzenden Beulen von Schläfen in alles hineinzustecken, was vorging, und sein Haar immer weiter und weiter zurückzubürsten, bis sogar die Wurzeln in nicht zu befriedigender Philantropie aus der Kopfhaut zu dringen schienen.

Um was es sich handelte, war ihm ganz gleich, aber ganz besonders bereitwillig zeigte er sich bei Anlässen, wo es darum ging, irgend jemandes Lobeshymne zu singen. Seine Hauptstärke schien in der Gabe zu liegen, andre rückhaltlos zu bewundern. Er konnte mit dem größten Genuß beliebig lang dasitzen und seine Schläfen im Glanze jedes beliebigen großen Lichtes baden. Als ich ihn das erste Mal ganz in Bewunderung der Mrs. Jellyby versunken gesehen, hatte ich geglaubt, sie sei der alles andre verdrängende Gegenstand seiner Verehrung. Aber bald entdeckte ich meinen Irrtum und fand, daß er der Schleppenträger und Herold für eine ganze Prozession von Leuten war.

Mrs. Pardiggle besuchte uns eines Tages wegen einer Subskription für irgend etwas – und mit ihr Mr. Quale. Was auch Mrs. Pardiggle sagte, Mr. Quale wiederholte es. Und wie er uns seiner Zeit Mrs. Jellyby vorgeführt hatte, führte er uns jetzt Mrs. Pardiggle vor.

Mrs. Pardiggle hatte ihrem beredten Freund Mr. Gusher einen Empfehlungsbrief an meinen Vormund mitgegeben. Mit Mr. Gusher kam abermals Mr. Quale. Mr. Gusher, ein sulzartig aussehender Herr mit einem schwitzenden Gesicht und Augen, die, für sein Vollmondantlitz viel zu klein, ursprünglich einem andern gehört zu haben schienen, war auf den ersten Blick nicht einnehmend; aber kaum hatte er sich gesetzt, fragte schon Mr. Quale Ada und mich ziemlich hörbar, ob er nicht ein großer Mann sei – was hinsichtlich seiner Aufgedunsenheit allerdings der Fall war, obgleich Mr. Quale Größe in geistiger Hinsicht meinte – und ob uns nicht der massive Bau der Stirn auffalle.

Kurz, wir hörten von Missionen jeder Gattung unter diesen Leuten sprechen, aber nichts kam uns nur halb so deutlich zum Bewußtsein, als daß es Mr. Quales Mission war, über jedes andern Mission in Ekstase zu geraten, und daß das offenbar die populärste Mission von allen war.

Mr. Jarndyce, in seiner Herzensgüte und immer von dem Wunsch beseelt, alles Gute, was in seiner Macht stand, zu tun, trat diesen Gesellschaften zwar bei, aber er gestand offen zu, daß sie ihm oft als eine recht unzulängliche Institution erschienen, in der die Wohltätigkeit sich in Form von Krämpfen betätige, wobei marktschreierische Philantropen und Spekulanten in billiger Berühmtheit, groß im Wort, ruhelos und eitel im Handeln, kriecherisch nach oben, lobhudelnd gegen einander und unduldsam gegen die, die gern im stillen die Schwachen vor dem Falle schützten, anstatt sie lärmend und mit großem Selbstlob ein wenig aufzuheben, wenn sie schon gefallen waren, – die christliche Barmherzigkeit wie eine Uniform zur Schau trugen.

Als Mr. Gusher ein Ehrengeschenk für Mr. Quale vorschlug, der früher bereits eins für ihn angeregt hatte, und anderthalb Stunden über dieses Thema vor einer Versammlung sprach, der zwei Knaben- und Mädchenklassen aus der Armenschule beiwohnten, die, ein lebendes Beispiel, an das Gleichnis vom Scherflein der Witwe erinnerten, aber nichtsdestoweniger aufgefordert wurden, ihre Halfpence zum Opfer zu bringen, glaubte ich wirklich, der Wind würde drei Wochen lang aus Osten wehen.

Ich erwähne dies, weil ich auf Mr. Skimpole zu sprechen kommen will. Es schien mir, als ob seine ungezwungene Kindlichkeit und Sorglosigkeit im Gegensatz zu allen diesen Leuten ein großer Lichtblick für meinen Vormund wären, der eben dieses Gegensatzes wegen um so bereitwilliger an ihn glaubte. Es mußte ihm Freude machen, unter so vielen Andersgearteten einen so vollkommen arglosen und aufrichtigen Menschen zu finden. Es täte mir leid, wenn ich damit vielleicht den Verdacht erwecken sollte, Mr. Skimpole habe dies durchschaut und sich politisch benommen. Ich habe ihn nie genügend kennengelernt, um das zu wissen. Wie er sich zu meinem Vormund benahm, so benahm er sich bestimmt gegen jedermann.

Er war nicht ganz wohl gewesen und hatte sich, obgleich er in London wohnte, bis dahin noch nicht bei uns blicken lassen. Eines Morgens aber erschien er in seiner gewöhnlichen gewinnenden Art und so heiter wie je.

»Also da bin ich«, sagte er.

Er habe an der Galle gelitten, aber reiche Leute litten daran oft, und deshalb habe er sich eingeredet, er sei vermögend. Und das sei er in gewisser Hinsicht... In seinen großzügigen Absichten nämlich. Er habe seinen Arzt auf die verschwenderischste Weise beschenkt und sein Honorar stets verdoppelt und manchmal sogar vervierfacht. »Mein lieber Doktor«, habe er zu ihm gesagt, »Sie täuschen sich vollkommen, wenn Sie glauben, Sie behandelten mich umsonst. Ich überschütte Sie mit Geld – in Gedanken –, wenn Sie es nur wüßten«, und wirklich, sagte er, sei es ihm damit so ernst, daß er glaube, es käme ganz auf dasselbe heraus, ob er es in Wirklichkeit tue oder anders.

Wenn er die gewissen kleinen Metallscheiben oder die dünnen Papierzettel, auf die das Menschengeschlecht so großen Wert legt, dem Arzt in die Hand hätte drücken können, würde er es selbstverständlich getan haben. Da er sie nicht besäße, setze er den Willen für die Tat. Sehr gut! Wenn er es wirklich wolle, und sein Wille sei echt und wahr – und das sei er –, so scheine ihm das ebensogut wie Geld zu sein, um die Schuld zu tilgen.

»Vielleicht kommt das daher, weil ich den Wert des Geldes nicht kenne«, sagte er. »Aber ich habe das Gefühl. Es kommt mir so vernünftig vor! Mein Fleischer sagte eines Tages zu mir, er wolle seine kleine Rechnung bezahlt sehen. Es liegt eine hübsche unbewußte Poesie in der Natur dieses Mannes, daß er stets von einer kleinen Rechnung spricht, um uns beiden die Bezahlung als etwas Leichtes erscheinen zu lassen. Ich antwortete dem Fleischer: 'Guter Freund, eigentlich sind Sie schon bezahlt, nur wissen Sie es nicht. Sie hätten sich dann gar nicht erst die Mühe zu machen brauchen, wegen der kleinen Rechnung hierher zu kommen. Sie sind doch eigentlich schon bezahlt.'«

»Aber angenommen«, fragte mein Vormund lachend, »er hätte das Fleisch auch nur im Geiste gebracht?«

»Mein lieber Jarndyce, Sie setzen mich in Erstaunen. Sie denken sich nur in die Lage des Fleischers. Ein Fleischer, mit dem ich einmal zu tun hatte, verfocht dieselbe Ansicht. Er sagte: 'Sir, warum haben Sie jungen Lammsbraten zu achtzehn Pence das Pfund gegessen?' – 'Warum ich jungen Lammsbraten zu 18 d. das Pfund gegessen habe, mein würdiger Freund?' sagte ich, natürlich erstaunt über die Frage. 'Ich esse eben gern jungen Lammsbraten!' Das war soweit überzeugend. – 'Gut, Sir', sagte er, 'was, wenn ich auch nur vorgehabt hätte, das Lamm zu bringen, so wie Sie, das Geld zu bezahlen?' – 'Guter Mann', sagte ich, 'wir wollen die Sache besprechen wie vernünftige Menschen. Wie hätte das sein können, es war doch unmöglich. Sie hatten das Lamm und ich hatte das Geld nicht. Sie konnten vorhaben, das Lamm zu schicken, denn Sie hatten eins, ich konnte nicht beabsichtigen, das Geld zu zahlen, denn ich hatte keins !' Darauf wußte er kein Wort zu erwidern. Damit war die Sache erledigt.«

»Verklagte er Sie nicht?« fragte mein Vormund.

»Ja, er verklagte mich. Aber darin ließ er sich von der Leidenschaft leiten und nicht von der Vernunft. Übrigens, Leidenschaft. Das erinnert mich an Boythorn. Er schreibt mir, daß Sie und die Damen ihm einen kurzen Besuch in seiner Junggesellenwirtschaft in Lincolnshire versprochen hätten.«

»Er hat meine beiden Mädchen sehr gern«, bestätigte Mr. Jarndyce, »und ich habe auch in ihrem Namen zugesagt.«

»Die Natur vergaß bei ihm den mildernden Schatten, glaube ich«, bemerkte Mr. Skimpole, zu Ada und mir gewendet. »Ein wenig zu stürmisch – wie das Meer. Ein wenig zu wild – wie ein Stier, der sich in den Kopf gesetzt hat, alles für scharlachrot zu halten. Aber ich gestehe ihm so eine Art Schmiedehammerverdienst immerhin zu.«

Es würde mich wirklich gewundert haben, wenn die beiden viel von einander gehalten hätten; Mr. Boythorn, der allen Dingen soviel Wichtigkeit beilegte, und Mr. Skimpole, der sich überhaupt um nichts kümmerte. Außerdem war mir nicht entgangen, daß Mr. Boythorn mehr als ein Mal nahe daran gewesen war, seiner Meinung sehr stark Ausdruck zu verleihen, wenn auf Mr. Skimpole die Rede kam. Natürlich hatte ich mich einfach Adas Äußerung angeschlossen, er habe uns gefallen.

»Er hat mich eingeladen«, fuhr Mr. Skimpole fort. »Und wenn sich ein Kind solchen Händen anvertraut, wie es gegenwärtig der Fall ist, wo es die vereinte Zärtlichkeit zweier Engel als Wache neben sich sieht, so ist keine Gefahr dabei. Er erbietet sich, die Hin- und Herreise zu bezahlen. Ich vermute, es kostet Geld! Schillinge wahrscheinlich! Oder Pfunde? Übrigens: Coavinses! Sie erinnern sich doch an unsern Freund Coavinses, Miß Summerson?«

Er fragte mich, wie es ihm gerade in den Kopf kam, fröhlich und unbefangen und ohne die mindeste Verlegenheit.

»Gewiß.«

»Coavinses ist von dem großen Landvogt verhaftet worden. Er wird das Sonnenlicht nie mehr maßregeln.«

Ich war ordentlich betroffen, das zu hören, denn ich hatte mir bereits unwillkürlich das Bild des Mannes, wie er bei uns auf dem Sofa gesessen und sich die Stirne abgewischt, ins Gedächtnis zurückgerufen.

»Sein Nachfolger sagte es mir gestern. Er ist jetzt in meinem Hause – hat darauf Beschlag gelegt, so glaube ich, nennt er es. Er kam gestern zum Geburtstag meiner blauäugigen Tochter. Ich stellte ihm vor, das sei widersinnig und unpassend. 'Wenn Sie eine Tochter mit blauen Augen hätten, würde es Ihnen gefallen, wenn ich uneingeladen zu ihrem Geburtstag käme?' fragte ich ihn. Aber er blieb doch.«

Mr. Skimpole lachte über diese liebenswürdige Absurdität und schlug einige Akkorde auf dem Piano an, an dem er saß.

»Und er sagte mir«, fuhr er fort und griff nach jedem Wort einen Akkord, »daß Coavinses... drei Kinder... keine Mutter... Und da Coavinses' Gewerbe – unpopulär ist, sind die kleinen Coavinses sehr schlimm daran...«

Mr. Jarndyce stand auf, fuhr sich durch die Haare und begann ruhelos im Zimmer auf und ab zu gehen. Mr. Skimpole spielte die Melodie eines von Adas Lieblingsliedern. Ada und ich blickten Mr. Jarndyce an und glaubten zu wissen, was in seiner Brust vorging.

Nachdem er auf und ab gegangen, still gestanden und verschiedne Male aufgehört hatte, sich den Kopf zu reiben, und immer wieder damit angefangen hatte, legte er die Hand auf die Tasten und wehrte Mr. Skimpole, weiterzuspielen.

»Ich mag das nicht, Skimpole«, sagte er gedankenvoll.

Mr. Skimpole, der bereits wieder an etwas ganz andres dachte, blickte überrascht auf.

»Der Mann war notwendig«, fuhr mein Vormund fort und ging in dem kleinen Raum zwischen Piano und Wand auf und ab und rieb sich das Haar am Hinterkopf in die Höh, daß es aussah, als habe es der Ostwind emporgeblasen. »Der Mann war notwendig. Wenn wir schon solche Berufe durch unsre Fehler oder durch unsern Mangel an Lebenserfahrung oder durch unsre Unfälle zur Notwendigkeit machen, so dürfen wir den Trägern derselben dann nichts nachtragen. Es war nichts Verwerfliches in seinem Beruf. Er ernährte seine Kinder damit. Man sollte sich da genauer erkundigen.«

»Ach so, Coavinses!« rief Mr. Skimpole, der endlich merkte, worum es sich handelte. »Nichts leichter. Ein Gang nach Coavinses' Hauptquartier, und Sie können alles erfahren, was Sie wünschen.«

Mr. Jarndyce nickte uns zu, die wir bloß auf das Signal warteten.

»Kommt! Wir wollen einmal hingehen, liebe Kinder. Warum nicht einmal auch dorthin.«

Wir waren rasch fertig und gingen aus, und Mr. Skimpole begleitete uns und hatte viel Vergnügen an der Expedition. Es sei ein Hauptspaß für ihn, sagte er, einmal seinerseits Coavinses suchen zu gehen, anstatt umgekehrt. Er führte uns zuerst nach Cursitor Street, Chancery-Lane, zu einem Haus mit vergitterten Fenstern, das er Coavinses' Raubschloß nannte. Wir klingelten, und ein unglaublich häßlicher Bursche kam aus einer Art Kanzleistube heraus und musterte uns über ein mit Spitzen versehenes Pförtchen hinüber.

»Was wünschen Sie?« fragte er und preßte sein Kinn zwischen zwei Stacheln.

»Es war ein Gerichtsvollzieher hier, der jetzt tot ist«, sagte Mr. Jarndyce.

»Ja. Nun, und?«

»Wir möchten gern seinen Namen wissen.«

»Hieß Necken«, sagte der Bursche.

»Und seine Adresse?«

»Bell Yard. Krämerladen linker Hand. Firma Blinder.«

»War er... Ich weiß nicht, wie ich mich ausdrücken soll«, brummte mein Vormund. »War er fleißig?«

»Neckett? – Na, und ob. War immer auf der Lauer. Blieb auf seinem Posten an einer Straßenecke acht bis zehn Stunden lang in einem Strich, wenn er's mal übernommen hatte.«

»Er hätte Schlimmeres tun können«, hörte ich meinen Vormund murmeln. »Er hätte es übernehmen können und dann faulenzen. Danke. Weiter brauch ich nichts zu wissen.«

Wir verließen den Burschen, der, den Kopf auf eine Seite geneigt, die Arme auf die Pforte gelegt, die Spitzen des Gitters streichelte, und gingen nach Lincoln's-Inn zurück, wo Mr. Skimpole, der sich nicht näher an Coavinses herangetraut hatte, auf uns wartete. Dann gingen wir nach Bell Yard, einem schmalen Hof nicht weit davon.

Wir fanden bald den Krämerladen und in ihm eine gutmütig aussehende alte Frau, mit Wassersucht oder Asthma oder beiden Krankheiten zusammen behaftet.

»Necketts Kinder?« wiederholte sie meine Frage. »Jawohl, Miß. Drei Treppen hoch, wenn's gefällig ist. Die Tür gerade der Treppe gegenüber.« Und sie reichte mir einen Schlüssel über den Ladentisch hinüber.

Ich sah den Schlüssel an und sah sie an; aber sie schien es für selbstverständlich zu halten, daß ich wisse, was ich damit zu tun habe. Da er nur für die Tür der Kinder bestimmt sein konnte, verließ ich den Laden, ohne weiter zu fragen, und ging die dunkle Treppe hinauf voran. Wir traten so leise wie möglich auf, aber da wir zu viert waren, machten wir doch einigen Lärm auf den alten Stufen, und als wir den zweiten Stock erreichten, entdeckten wir, daß wir einen Mann gestört hatten, der jetzt aus seiner Zimmertür schaute.

»Zu Gridley wollen Sie wohl«, sagte er und fixierte uns zornig.

»Nein, Sir. Wir gehen höher hinauf.«

Er sah Ada und Mr. Jarndyce und Mr. Skimpole der Reihe nach, wie sie vorübergingen und mir folgten, mit demselben zornigen Blick an. Mr. Jarndyce wünschte ihm guten Tag.

»Guten Tag!« antwortete er kurz und barsch.

Er war ein langer blasser Mann mit sorgenschwerem Haupt, auf dem nur noch sehr wenig Haar war, mit tief gefurchtem Gesicht und hervorstehenden Augen. Er hatte ein kampfbereites Aussehen und ein heftiges reizbares Wesen, das für mich, wenn ich dabei an seine Gestalt dachte, die trotz vorrückenden Alters noch groß und kräftig war, etwas Beunruhigendes hatte. Er hielt eine Feder in der Hand, und als ich im Vorbeigehen einen Blick durch die halb offene Tür warf, sah ich, daß die Stube voll Papier lag.

Wir ließen ihn stehen und gingen in den obersten Stock. Ich klopfte an die Tür, und eine dünne, helle Kinderstimme rief drinnen: »Es ist zugesperrt. Mrs. Blinder hat den Schlüssel.«

Ich sperrte auf und öffnete die Tür.

In einem ärmlichen Zimmer mit abgeschrägten Wänden und nur sehr spärlichem Hausrat fanden wir einen kleinen Knaben, der ein schweres Kind von ungefähr achtzehn Monaten herumschleppte. Geheizt war nicht, trotz der großen Kälte. Beide Kinder waren in ein paar armselige Tücher und Kragen zum Schutz gegen die niedere Temperatur gewickelt. Aber die Umhüllungen wärmten sie so wenig, daß ihre Nasen rot und sie selbst ganz runzlig vor Kälte aussahen, wie der Knabe auf und ab ging und das Kleine, das den Kopf auf seiner Schulter ruhen ließ, auf dem Arm wiegte.

»Wer hat euch denn hier eingeschlossen?« fragten wir unwillkürlich.

»Charley«, sagte der Knabe, blieb stehen und starrte uns an.

»Ist Charley dein Bruder?«

»Nein. Meine Schwester Charlotte. Vater nannte sie Charley.«

»Seid ihr euer noch mehr außer Charley?«

»Ich«, sagte der Junge, »und Emma«, und streichelte dabei das Mützchen der Kleinen. »Und Charley.«

»Wo ist Charley jetzt?«

»Waschen gangen«, sagte der Junge, fing wieder in der Stube an auf und ab zu gehen und brachte bei seinem Bestreben, uns dabei immerwährend anzusehen, das Mützchen in gefährliche Nähe des Bettpfostens.

Wir sahen noch einander und die beiden Kinder ratlos an, als ein sehr kleines Mädchen, der Gestalt nach selbst noch ein Kind, aber klug und älter aussehend im Gesicht – und auch ganz hübsch –, mit einem viel zu großen hausfrauenhaften Hut auf dem Kopf und ihre bloßen Arme mit einer ebensolchen Schürze abtrocknend, hereintrat. Ihre Finger waren weiß und runzlig vom Waschen, und der Seifenschaum, den sie von ihren Armen abwischte, rauchte noch. Man hätte sie ganz gut für ein Kind halten können, das Waschen spielte und eine arme Arbeitsfrau gut nachahmte. Sie war irgendwoher aus der Nachbarschaft gekommen und mußte sich sehr geeilt haben, denn sie war ziemlich außer Atem und konnte anfangs, wie sie keuchend und sich die Arme abwischend dastand und uns ruhig ansah, kaum sprechen.

»Oh, da ist Charley«, rief der Junge.

Das Kleine streckte der Schwester die Arme entgegen und wollte von ihr genommen sein. Das Mädchen nahm es mit einer frauenhaft gesetzten Zärtlichkeit, die gut zu der Schürze und dem Hut paßte, und blickte uns über das Köpfchen, das sich zärtlich an sie schmiegte, hinweg an.

»Sollte man so etwas für möglich halten«, flüsterte mein Vormund, als wir dem Mädchen einen Stuhl hinschoben und sie aufforderten, sich mit ihrer Bürde niederzusetzen, wobei der Junge immer dicht bei ihr blieb und sich an ihrer Schürze festhielt. »Ist es denn möglich, daß dieses Kind für die übrigen arbeitet? Seht das an! Um Gottes willen, seht euch das an.«

Es war wirklich ein seltsamer Anblick, diese drei Kinder, dicht zusammengedrängt und zwei von ihnen auf das dritte angewiesen und dieses selbst noch so jung und doch von einem gereiften und gesetzten Benehmen, das seltsam von der kindlichen Gestalt abstach, zu sehen.

»Wie alt bist du, Charley?«

»Dreizehn vorbei, Sir.«

»Wirklich! Ein hohes Alter!« sagte mein Vormund. »Wirklich ein hohes Alter, Charley!«

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