Kitabı oku: «Oliver Twist», sayfa 2

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Drittes Kapitel: Berichtet, wie Oliver Twist dicht daran war, eine Stellung zu bekommen, die keine Sinekure gewesen wäre

Oliver blieb eine Woche lang in einer dunklen, einsamen Kammer eingesperrt. Er weinte den ganzen Tag über bitterlich. Wenn dann die lange, traurige Nacht kam, legte er seine Händchen auf die Augen, um nicht ins Dunkel starren zu müssen, kroch in eine Ecke und versuchte zu schlafen. Alle Augenblicke aber fuhr er aus seinem Schlaf auf und drückte sich dann dichter an die Mauer, als ob er sich selbst in ihrer kalten, harten Fläche einen Schutz gegen die ihn umgebende Finsternis verspräche.

Nun begab es sich, dass eines Morgens der Schornsteinfegermeister Gamfield die Landstraße entlang zog. Er dachte darüber nach, wie er gewisse Mietsrückstände, um die ihn sein Hauswirt ziemlich energisch gemahnt hatte, bezahlen solle. Er wusste nicht, wie er die ihm fehlenden fünf Pfund herbeischaffen könnte, und marterte damit bald sein Gehirn, bald den Kopf seines Esels. Da fiel ihm plötzlich der Anschlag ins Auge, als er beim Armenhause vorbeikam.

"Halt!" sagte der Meister zu dem Esel, doch dieser, ebenfalls in tiefes Sinnen versunken, trabte, ohne auf den Befehl seines Herrn zu achten, ruhig weiter. Gamfield fluchte wie ein Heide und versetzte dem Esel einen Schlag auf den Kopf, dass dieser halb betäubt war und stillstand. Dann begann der Meister aufmerksam den Anschlag zu lesen.

Der Herr mit der weißen Weste stand, die Hände auf dem Rücken, am Tore. Er hatte dem kleinen Streit zwischen Gamfield und seinem Esel gespannt zugeschaut und lächelte gutgelaunt. Gamfield lächelte gleichfalls, als er das Schriftstück durchgelesen hatte, denn fünf Pfund waren gerade die Summe, die er brauchte. Was die Beigabe des Jungen anbelangt, so wusste der Meister, der die Armenhauskost kannte, dass es sich nur um ein ziemlich schmächtiges Menschenexemplar handeln könnte. Er buchstabierte also den Anschlag nochmals von Anfang bis zu Ende durch und redete dann den Herrn mit der weißen Weste an, indem er gleichzeitig grüßend die Hand an seine Pelzmütze legte:

"Diesen Jungen hier will also die Gemeinde als Lehrling vergeben?"

"Ja, lieber Freund", erwiderte der Herr mit der weißen Weste leutselig, "warum?"

"Wenn die Gemeinde ihn ein leichtes, angenehmes Handwerk lernen lassen will, so möchte ich mein Schornsteinfegergeschäft empfehlen", entgegnete der Meister. "Ich brauche einen Lehrling und bin bereit, ihn zu nehmen!"

"Kommen Sie rein", sagte der Herr mit der weißen Weste.

Gamfield folgte diesem in das Sitzungszimmer und trug Herrn Limbkins seinen Wunsch vor.

"Es ist ein schmutziges Handwerk, man hat auch erlebt, dass Jungens in den Schornsteinen erstickt sind", meinte Limbkins.

"Dies kommt daher", versetzte Gamfield, "dass man das Stroh anfeuchtete, ehe man es im Kamin anzündete, um die Jungen herunterzuholen. Es gab nur Rauch aber kein Feuer. Rauch hat aber keinen Zweck, denn er veranlasst einen Jungen nicht runterzukommen, er macht ihn nur schläfrig, und das ist es ja gerade, was solch ein Bursche will. Jungen sind faul und widerspenstig, meine Herren, und ein schönes, heißes Feuer das Beste, um sie im Galopp herunterzubringen. Es ist auch ein humanes Mittel, meine Herren, denn wenn einer im Schornstein steckenbleibt und sich die Füße verbrennt, dann tut er schon selbst alles Mögliche, um sich aus dieser Lage zu befreien.`

Die Vorstandsmitglieder berieten sich einige Minuten, dann verkündete Herr Limbkins:

"Wir haben Ihren Vorschlag überlegt, können aber nicht drauf eingehen."

"Ganz und gar nicht", sagte der Herr mit der weißen Weste.

"Entschieden nicht", fügten die andern Vorstandsmitglieder hinzu.

"So soll ich ihn also nicht haben, meine Herren?" fragte Gamfield.

"Nein", antwortete Herr Limbkins, "oder Sie müssten mit einer kleineren Summe zufrieden sein, da es doch ein zu schmutziges Handwerk ist."

"Was wollen Sie geben, meine Herren? Seien Sie nicht zu hart gegen einen armen Mann!"

"Nun, ich meine, drei Pfund und zehn Schillinge wären genug", sagte Herr Limbkins.

"Schon zehn Schilling zu viel", bemerkte der Herr mit der weißen Weste.

"Also, sagen wir vier Pfund, meine Herren", versetzte Gamfield, "und Sie sind den Jungen für immer los. Vier Pfund, das ist anständig."

"Drei Pfund und zehn Schillinge", wiederholte Herr Limbkins unbeugsam.

"Wir wollen die Differenz teilen, meine Herren, drei Pfund und fünfzehn Schillinge also!"

"Nicht einen Penny mehr", lautete die feste Antwort Herrn Limbkins.

"Sie sind mächtig hart zu mir", sagte Gamfield kleinlaut.

"Unsinn", sagte der Herr mit der weißen Weste. "Es wäre ein feines Geschäft auch ohne jeden Zuschuss. Greifen Sie zu, Mann. Er ist gerade der richtige Junge für Sie. Ab und zu hat er den Rohrstock nötig, und sein Essen braucht auch nicht üppig zu sein, denn er ist von seiner Geburt an nie überfüttert worden. Ha! Ha! Ha!"

Der Handel wurde also geschlossen, und Bumble bekam den Auftrag, Oliver Twist noch am selben Nachmittag vor den Friedensrichter zu führen, um seinen Lehrbrief genehmigen und unterzeichnen zu lassen.

Der kleine Oliver wurde daher zu seinem großen Erstaunen aus der Haft entlassen und erhielt den Befehl, ein reines Hemd anzuziehen. Er hatte kaum diese ungewohnte gymnastische Übung beendet, als ihm Herr Bumble eigenhändig einen Napf voll Haferschleim und das sonntägliche Stück Brot brachte. Bei diesem Anblick fing Oliver kläglich an zu weinen, denn er dachte nichts anderes, als dass die Behörde ihn zu irgendeinem nützlichen Zwecke schlachten lassen wollte, da sie ihn wohl sonst kaum in dieser Weise mästen würde.

"Weine dir nicht die Augen rot, Oliver, sondern iss und sei dankbar", sagte Herr Bumble würdevoll. "Du sollst Lehrling werden, Oliver!"

"Lehrling, Herr?!" rief der Junge zitternd.

"Jawohl, Oliver, die guten Herren, die an dir Elternstelle vertreten haben, wollen dich in die Lehre geben, damit du später im Leben vorwärts kommst und ein tüchtiger Kerl wirst. Das kostet der Gemeinde drei Pfund und zehn Schillinge, denke mal, Oliver, drei Pfund zehn Schillinge – siebzig Schillinge! – hundertvierzig Sixpences – und all das für einen ungezogenen Waisenjungen, den keiner leiden kann."'

Als Herr Bumble innehielt, um Atem zu schöpfen, rannen dem armen Oliver nur so die Tränen über die Backen, und er schluchzte bitterlich.

"Weine nicht!" sagte Herr Bumble, der von der Wirkung seiner Beredsamkeit sehr befriedigt war. "Wisch dir die Tränen mit dem Ärmel ab und lass sie nicht in die Suppe fallen. Das ist töricht." Das stimmte, denn in der Suppe war ohnehin schon Wasser genug.

Auf dem Wege zum Friedensrichter belehrte Herr Bumble seinen kleinen Begleiter, dass er dort weiter nichts zu tun habe, als recht glücklich auszusehen. Wenn ihn dann der Herr frage, ob er in die Lehre gehen wolle, so müsse er sagen, furchtbar gern. Oliver versprach zu gehhorchen, umso mehr als Herr Bumble die zarte Andeutung fallen ließ, er könne nicht sagen, was man ihm antun würde, wenn er nicht diesen seinen Unterweisungen getreulich nachkäme. Als sie an Ort und Stelle eintrafen, wurde Oliver in ein kleines Zimmer gebracht und von Herrn Bumble ermahnt, dort so lange zu verweilen, bis er ihn holen würde.

Klopfenden Herzens wartete der Junge bereits eine halbe Stunde, als endlich Herr Bumble seinen Kopf, der jetzt der Zierde des dreieckigen Hutes entbehrte, durch die Tür steckte und laut sagte:

"Nun, liebes Kind, komm zu dem Herrn." Dabei warf er Oliver einen drohenden Blick zu und flüsterte ihm zu: "Denke dran, was ich dir sagte, Bengel."

Oliver sah bei diesem sich widersprechenden Ton der Anreden unschuldig zu Herrn Bumble auf. Dieser führte ihn sogleich in ein anstoßendes Zimmer, dessen Tür offen stand. Hinter einem Pult saßen dort zwei alte Herren mit gepuderten Perücken. Einer las eine Zeitung, der andere studierte mit Hilfe einer Schildpattbrille ein kleines vor ihm liegendes Pergament. Herr Limbkins stand vorn an einer Seite des Pultes und Meister Gamfield mit teilweise gewaschenem Gesicht auf der anderen.

Der alte Herr mit der Brille war über seinem Pergament eingenickt, und es entstand eine kurze Pause, nachdem Herr Bumble Oliver vor das Pult geführt hatte.

"Das ist der Junge, Euer Gnaden", sagte Herr Bumble.

Der die Zeitung lesende Herr sah auf und zupfte den andern alten Herrn am Ärmel, worauf dieser erwachte.

"Ach, das ist also der Junge?" fragte er.

"Ja, Euer Gnaden", versetzte Herr Bumble. "Mach dem Herrn Richter eine Verbeugung, Oliver."

Oliver machte seinen schönsten Diener.

"Der Junge will also gern Kaminfeger werden?" sagte der Friedensrichter.

"Er ist ganz verrückt danach, Euer Gnaden", sagte Bumble, "er würde davonlaufen, wenn wir ihn zwingen wollten, etwas anderes zu lernen!"

"Und dieser Mann da soll sein Meister sein, nicht wahr? Sie werden ihn doch gut behandeln, und was das Essen und die Kleidung anbelangt, nicht Not leiden lassen, versprechen Sie das?"

"Wenn ich einmal gesagt habe, ich will, so werde ich es auch tun", entgegnete Gamfield mürrisch.

"Ihre Ausdrucksweise ist nicht gerade fein, mein Freund, aber Sie scheinen ein offener, ehrlicher Mensch zu sein", sprach der Richter, den Meister dabei durch seine Brillengläser flüchtig anguckend. Wäre er nicht halb blind und beinahe schon kindisch gewesen, so hätte ihm die Brutalität in Gamfields Gesicht auffallen müssen.

"Ich denke das zu sein", entgegnete der Meister mit einem hässlichen Blick.

"Daran zweifle ich nicht, mein Freund", fuhr der alte Herr fort und suchte nach dem Tintenfass.

Es war für Olivers Schicksal ein kritischer Augenblick. Hätte das Tintenfass da gestanden, wo es der alte Herr vermutete, so hätte er seine Feder eingetaucht und den Lehrbrief unterzeichnet. Gamfield hätte dann Oliver gleich mitgenommen. Aber da es unmittelbar vor seiner Nase stand, so suchte er natürlich vergebens nach ihm auf dem Pulte herum. Er begegnete dabei dem verstörten Blicke Olivers, der trotz aller ermahnenden Winke und Püffe Bumbles seinen künftigen Lehrherrn mit Furcht und Schrecken betrachtete. Halb blind wie er war, fiel es doch dem Friedensrichter auf. Er hielt daher inne, legte die Feder hin und schaute von Oliver zu Herrn Limbkins hinüber, der unbefangen zu erscheinen versuchte und lächelnd eine Prise nahm.

"Mein Junge", sagte der alte Herr und beugte sich über das Pult. Oliver fuhr bei diesem Tone zusammen, denn er war einer freundlichen Anrede nicht gewohnt. "Mein Kind, du siehst blaß und verstört aus. Was ist dir?"

"Tretet ein wenig auf die Seite, Bumble", sagte der andere Ratsherr, die Zeitung weglegend. Er sah Oliver teilnahmsvoll an und sprach: "Junge, sag uns, was dir ist, habe keine Angst!"

Oliver fiel auf die Knie und bat mit gefalteten Händen, man möge ihn lieber in die finstere Kammer sperren, ihm nichts zu essen geben, ihn prügeln, ja totschlagen, nur solle man ihn nicht mit diesem schrecklichen Manne fortschicken.

"Nun", sagte Herr Bumble, indem er feierlich Augen und Hände gen Himmel hob, "von allen lügnerischen, hinterlistigen Waisenkindern, die mir je vorgekommen sind, bist du der frechste."

"Haltet den Mund, Gemeindediener!" sagte der zweite alte Herr, als sich Herr Bumble in dieser Weise Luft gemacht hatte.

"Verzeihung, Euer Gnaden!" entgegnete Bumble, der seinen Ohren nicht traute, "haben Euer Gnaden mich gemeint?"

"Jawohl. Sie sollen den Mund halten!"

Herr Bumble war starr. Einem Gemeindediener den Mund zu verbieten Das war ja Revolution.

Der Friedensrichter guckte seinen Kollegen bedeutungsvoll an und sagte dann:

"Wir versagen dem Lehrbriefe unsere Genehmigung"; damit schob er das Pergament beiseite.

"Ich hoffe", stotterte Herr Limbkins, "Sie werden nicht glauben, dass die Behörde fahrlässig gehandelt hat, noch dazu auf das unhaltbare Zeugnis eines Kindes hin."

"Wir sind nicht berufen, darüber eine Meinung auszusprechen", versetzte der alte Herr ziemlich scharf. "Nehmen Sie den Jungen wieder mit und behandeln Sie ihn anständig. Er scheint's nötig zu haben."

Am nächsten Morgen wurde Oliver wieder für fünf Pfund ausgeboten.

Viertes Kapitel: Oliver findet eine Stelle und macht den ersten Schritt ins Leben

Angesehene Familien schicken die jüngeren Söhne, die sonst keine Aussicht haben vorwärtszukommen, gern auf die See. Der Armenhausvorstand beschloss dieses weise Beispiel nachzuahmen. Er glaubte, es wäre das Beste für Oliver. Vielleicht würde ihn ein Schiffer in der Trunkenheit zu Tode prügeln oder sonst wie um die Ecke bringen. Herr Bumble erhielt also den Auftrag, einen Schiffer ausfindig zu machen, der Oliver nehmen würde. Als er von dieser Mission zurückkehrte, traf er in der Haustür den Leichenbestatter Herrn Sowerberry. Dieser war trotz seines ernsten Berufes keinem Scherze abgeneigt. Er schüttelte Herrn Bumble die Hand und sagte:

"Ich habe den beiden Weibern, die gestern Abend starben, eben Maß genommen."

"Sie werden noch reich werden, Herr Sowerberry."

"Glauben Sie? Aber die von der Gemeinde bewilligten Preise sind zu gering, Herr Bumble."

"Die Särge sind auch dementsprechend klein", erwiderte der Gemeindediener würdevoll lächelnd.

Herr Sowerberry fand diesen Witz furchtbar komisch und lachte anhaltend. Endlich sagte er:

"Größere sind bei dem neuen Verpflegungssystem auch nicht nötig."

"Übrigens, Herr Sowerberry, wissen Sie keinen, der einen Lehrjungen gebrauchen kann?" fragte Herr Bumble, der das Gespräch ablenken wollte. "Sehr günstige Bedingungen, sehr günstig."

Währenddessen zeigte er mit seinem Stock nach dem Anschlag an der Tür und schlug dreimal bedeutungsvoll auf die großgedruckten Worte "fünf Pfund".

"Nun, wie wär's?"

"Ach, Sie wissen, Herr Bumble, dass ich viel Armensteuer bezahle."

"Nun?"

"Da dachte ich, wenn ich so viel bezahle, hätte ich auch ein Recht, wieder etwas davon rauszukriegen. Ich möchte deshalb schon den Jungen nehmen."

Herr Bumble fasste den Leichenbestatter am Arme und führte ihn ins Haus. Dort hatte Herr Sowerberry eine Unterredung von fünf Minuten mit dem Vorstand, und man kam überein, dass Oliver ihm noch am selben Abend auf Probe übergeben werden solle. Dies wurde Oliver von den Herren mitgeteilt und ihm gleichzeitig angedroht, dass man ihn auf die See schicken würde, wenn er es in der Lehre nicht aushielte und der Gemeinde nochmal lästig fiele. Oliver hörte das schweigend an, dann führte ihn der würdige Herr Bumble an den neuen Schauplatz von Leiden. Als sie dem Orte ihrer Bestimmung näher kamen, sagte Herr Bumble:

"Schiebe dir die Mütze aus dem Gesicht, und halte den Kopf hoch."

Der Leichenbesorger hatte eben die Fensterladen seiner Werkstätte geschlossen und trug beim Schein einer Kerze einige Posten in sein Buch ein, als Herr Bumble eintrat.

"Sind Sie es, Bumble?" sagte Sowerberry und blickte von seinem Buche auf.

"Niemand anders" versetzte der Gemeindediener, "und da ist der Junge."

Oliver machte einen Diener.

"Also das ist der Junge", sagte der Leichenbesorger und hob die Kerze hoch, um ihn besser betrachten zu können. "Liebe Frau, komm doch mal herein."

Frau Sowerberry kam aus einem kleinen Zimmer hinter der Werkstätte, sie war eine kleine, magere Person mit einem Gesicht wie eine Xanthippe.

"Das ist der Junge aus dem Armenhause, von dem ich dir gesprochen habe."

",Mein Gott", sagte sie, der ist aber doch zu klein."

"Klein ist er freilich", bemerkte Herr Bumble, "aber er wird wachsen, sicher, er wird wachsen."

"Das glaub' ich wohl", sagte Frau Sowerberry, "aber von unserer Kost. – Da, geh die Treppe herunter, kleines Gerippe! Charlotte, gib dem Jungen etwas von dem, was für den Hund zurückgestellt war, der kriegt nichts mehr, da er heute Morgen nicht nach Hause gekommen ist", rief sie dem Dienstmädchen zu.

Oliver verschlang mit Gier den Hundefraß.

"Nun" sagte Frau Sowerberry, "bist du fertig?" Sie hatte mit Entsetzen und düsterer Ahnungen voll zugesehen, wie ein solcher Appetit in Zukunft zu befriedigen sei. Oliver bejahte.

"So komm mit. Dein Bett ist unter dem Ladentisch. Ich denke, es macht dir nichts aus, unter den Särgen zu schlafen. Doch gleichviel, eine andere Schlafstelle können wir dir nicht geben."

Fünftes Kapitel: Oliver lernt seine neue Umgebung kennen und nimmt zum ersten Mal an einem Leichenbegängnis teil. Er fasst eine ungünstige Meinung vom Geschäfte seines Meisters

Am Morgen wurde Oliver durch lautes Pochen an der Ladentür geweckt. Während er in seine Kleider fuhr und die Sperrkette zu lösen begann, ließ sich eine Stimme vernehmen:

"Öffne die Tür, ein bisschen schnell!"

"Sofort, Herr", antwortete Oliver und schloss an der Tür.

"Ich vermute, du bist der neue Lehrling, nicht wahr?" sagte die Stimme durchs Schlüsselloch.

"Jawohl"

"Wie alt?"

"Zehn Jahre."

"Dann setzt es Keile, wenn ich erst drin bin. Pass bloß auf, du Armenhäusler!" Dann hörte man pfeifen.

Oliver schob zitternd die Riegel zurück und machte die Tür auf. Ein paar Augenblicke sah Oliver die Straße rauf und runter, im Glauben, der Unbekannte sei einige Schritte weitergegangen. Er sah aber niemand als einen dicken Bengel, der auf einem Stein vor dem Hause saß und ein Butterbrot verschlang.

Da Oliver sonst niemand in der Nähe sah, sagte er zu ihm:

"Verzeihung, haben Sie geklopft?"

"Jawohl", antwortete der Bengel.

"Wünschen Sie einen Sarg?" fragte Oliver harmlos.

Der Bengel schnitt ein grimmiges Gesicht und schrie ihn an, es werde nicht lange dauern, bis er selbst einen brauchte, wenn er sich derartige Witze mit seinem Vorgesetzten erlaube.

"Du weißt wohl nicht, wer ich bin, Armenhäusler?" fuhr der Bengel fort und kam näher.

"Allerdings nicht!".

"Ich bin Herr Noah Claypole, und du bist mein Untergebener", sagte der Bengel. "Mach die Fensterladen auf, Faultier!" Mit diesen Worten versetzte Herr Claypole unserm Oliver einen Tritt und ging mit gewichtiger Miene in den Laden.

Bald nachdem Oliver die Fensterladen aufgemacht hatte, kamen Herr und Frau Sowerberry herunter. Claypole und Oliver gingen nun die steile Treppe zur Küche hinab, um zu frühstücken. Charlotte, die Köchin, legte Noah die besten Bissen vor, während Oliver mit dem Abfall vorliebnehmen musste.

Noah war zwar der Zögling einer Armenschule, aber keine Waise. Seine Mutter war eine Waschfrau, und sein Vater ein abgedankter, immer betrunkener Soldat. Sie wohnten in der Nachbarschaft. Die Ladenschwengel schimpften Noah "Lederhose", "Barmherzigkeitsschüler" und dergleichen, und er steckte es schweigend ein. Nun warf ihm der Zufall eine namenlose Waise in den Weg, und an dieser nahm er nun mit Wucherzinsen Rache.

Oliver war schon drei Wochen im Hause des Leichenbesorgers, als eines Morgens Herr Bumble in die Werkstätte trat und aus seiner großen ledernen Brieftasche ein Blatt Papier herausnahm, das er Herrn Sowerberry einhändigte.

"Aha", sagte letzterer, "wohl eine Bestellung auf einen Sarg, nicht wahr?"

"Zuerst auf einen Sarg und dann auf ein Begräbnis", erwiderte Herr Bumble, sich verabschiedend.

"Nun", meinte Herr Sowerberry und nahm den Hut, "je eher dieses Geschäft erledigt wird, desto besser ist es. Noah, du bleibst in der Werkstatt, und du, Oliver, setzt die Mütze auf und kommst mit mir." Sie zogen los und waren bald vor dem Haus, wo man ihrer Dienste bedurfte. Es stand in einer schmutzigen, armseligen Gasse. Sie stiegen die Treppe hinauf und machten an einer offeneren Tür halt, die weder Klingel noch Klopfer hatte. Herr Sowerberry pochte. mit dem Finger an. Ein junges Mädchen von vierzehn Jahren öffnete. Sie waren am richtigen Orte. In einem kleinen, der Tür gegenüberliegenden Alkoven lag unter einer Decke die Leiche.

Der Leichenbesorger zog ein Band aus der Tasche, kniete an der Seite der Toten, eines jungen Mädchens, nieder und nahm Maß. Dann eilte er, Oliver hinter sich herziehend, rasch hinaus.

Am nächsten Tage kehrten Oliver und sein Meister wieder nach diesem Ort des Jammers zurück, wo sie bereits Herrn Bumble mit vier Männern aus dem Armenhause trafen, die Trägerdienste leisten sollten. Der rohe Sarg wurde zugeschraubt und auf die Straße gebracht. "Ihr müsst rasch machen", flüsterte Sowerberry der Mutter der Toten zu. "Wir haben uns etwas verspätet, und es wäre unschicklich, den Geistlichen warten zu lassen. Los, Leute, – und so schnell wie ihr könnt."

Man hätte übrigens nicht nötig gehabt, sich so zu beeilen, denn als sie den Kirchhof erreichten, war noch kein Geistlicher zu sehen. Der Küster, der in der Sakristei saß, meinte, es könne wohl noch eine Stunde dauern, bis der Prediger käme. Man setzte den Sarg am Rande des Grabes nieder. Zerlumpte Jungen, die dieses Schauspiel nach dem Friedhof gelockt hatte, spielten herum und machten sich das Vergnügen, über den Sarg hin und her zu springen. Sowerberry und Bumble saßen in der Sakristei beim Küster und lasen die Zeitung. Endlich, nach einer guten Stunde, sah man Herrn Bumble, Sowerberry und den Küster nach dem Grabe eilen, und gleich darauf erschien der Geistliche. Herr Bumble prügelte, um den Anstand zu wahren, ein paar Jungen durch. Der Prediger las aus dem Gebetbuch so viel als sich in fünf Minuten zusammenfassen ließ. Drauf gab er dem Küster seinen Talar und eilte fort.

"Nun, Bill", sagte der Leichenbesorger zum Totengräber, "wirf das Grab zu."

Nachher wurde der Kirchhof geschlossen, und Sowerberry fragte auf dem Heimweg Oliver, wie es ihm gefallen hätte. Mit einigem Zögern sagte dieser, nicht sehr gut.

"Ach, mit der Zeit wirst du dich schon dran gewöhnen", meinte der Meister. "Wenn man es gewöhnt ist, ist's einem gar nichts, Junge."

Oliver machte sich so seine Gedanken, ob Herr Sowerberry lange gebraucht habe, sich an etwas der Art zu gewöhnen. Er hielt es aber für besser, seine Frage für sich zu behalten.

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