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Kitabı oku: «Das blutige Blockhaus», sayfa 10

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Es gibt eine Blindheit der Treue, des Hasses, der Rache, der Leidenschaft, die zuweilen den stärksten Verstand so übermeistert, daß der Herr der Schöpfung, der Mann, gewissermaßen zum Tier wird und bloß seinem Instinkt folgt. Ein einziges Mal in meinem Leben habe ich diese Erfahrung gemacht. Es war nach jenem merkwürdigen Gewitternachmittag, der Eindrücke hinterließ, als ob ich von dem elektrischen Fluidum, das sich an diesem Nachmittag entleert, getroffen worden wäre. Doch Lassalle war auf ganz gleiche Weise getroffen. Es war etwas Seltsames, das damals mit uns vorging. Eine gewisse Beklemmung, mit einem ganz eigentümlichen Reiz verbunden, hatte sich unsrer bemächtigt. Leontine und Zoe kamen uns vor wie zwei häßliche und gleich darauf wieder wie zwei unsäglich reizende Vampire. Wir schraken zurück vor der Umarmung dieser Ungeheuer, und doch sehnten wir uns wieder nach ihren Krallen. Wir fühlten, daß sie unser Lebensblut aussaugen würden, wir verloren sein mußten, und doch zog es uns mit unwiderstehlicher Gewalt zur Chartreuse. Unsere Gedanken weilten nur dort.

Wir waren die folgenden acht Tage ebenso viele Male ausgeritten in der Richtung der Chartreuse, immer aber in der Mitte des Weges steckengeblieben. Ein innerer Sturm trieb uns vorwärts, eine innere Stimme wieder zurück. Bei alldem war uns klar, daß ein zweiter Besuch in diesem Sirenenversteck uns den verführerischen Geschöpfen ganz zu eigen machen mußte, und doch ...

Wir waren einsilbig gegen Hauterouge, gegen Amadée, gegen unsere Diener, gegen alle Welt. Wie zwei junge blöde Leute, die in ihrer ersten Liebe befangen sind, sprachen wir bloß miteinander über Leontine und Zoe. Noch eine Stunde vor jenem fatalen Nachmittag hätten wir selbst uns diese Befangenheit nicht als möglich träumen lassen.

Es war, glaube ich, am zehnten Tag nach unserm Besuch der Chartreuse. Amadée war soeben aus dem Kirchspiel gekommen. Seine Miene drückte Kummer und die Verlegenheit eines getreuen Dieners aus, der Nachrichten bringt, die seines Herrn Ohren mißfällig berühren müssen. Er wagte es nicht, den Anfang zu machen, ich nicht, ihn zu fragen.

Dann sprengten zwei Reiter in den Hof. Es waren Hauterouge und Ducalle, die die letzten Tage miteinander verbracht hatten. Denn wir waren, wie gesagt, ungenießbar geworden. Beide waren ungemein ernst. Sie sahen uns, sahen sich an, wollten reden, konnten jedoch kaum die gewöhnlichen Begrüßungen hervorbringen.

»Ma foi!« hub endlich Hauterouge an. »Ich wollte, diese verwünschte Milchkuh wäre beim Teufel! Sie hat mehr Unheil angerichtet, als sie wert ist!«

»Wie, ist sie noch nicht gefunden, eingefangen?« fragte ich.

Ducalle und Hauterouge wechselten Blicke, die sagten: er ist ganz und gar blind und taub!

»Du weißt also nicht, Colonel, daß Roche Martin sie den folgenden Tag zurückgebracht hat?«

»Schön denn, und was hat die arme Kuh weiter verbrochen?«

»Was sie weiter verbrochen hat?« erwiderte Hauterouge ungeduldig. »Nichts weiter, als daß sie Veranlassung zu einem Gerede, zu einer Klatscherei geworden ist, von der das ganze Kirchspiel voll ist!«

»Und dieses Gerede?«

»Daß ich in der Chartreuse gewesen bin und da getanzt habe!« erklärte Ducalle.

»Daran ist die Harthörigkeit dieser Madame Allain schuld!« fiel Lassalle ein. »Vignerolles sagte ihr ein paarmal, daß ich nicht du, sondern daß ich der Baron Lassalle wäre.«

Das verdroß Ducalle, der nur ein einfacher Edelmann war. Er wähnte darin eine Anspielung auf seinen neuen Adel.

»Auf alle Fälle wäre es auch für den Baron Lassalle besser gewesen, die Chartreuse nicht zu sehen«, erklärte er spöttisch.

»In diesem Punkt wird mir Herr de Ducalle erlauben, meinem eigenen Rat zu folgen!« erwiderte Lassalle hitzig.

»Wie beliebt! Aber sodann wird mir es Baron de Lassalle auch nicht übelnehmen, wenn ...«

»Pfui!« verwies Hauterouge. »Pfui, Messieurs! Freunde! Geziemt sich diese Sprache zwischen alten Kriegskameraden? Ich sage dir, Lassalle, in meiner Gegenwart hat Madame Ducalle erklärt, sie würde weder den Colonel noch dich mehr in ihrem Hause empfangen, wenn ihr nicht die Besuche bei den Allains einstellt. Es gibt nur eine Stimme in diesem Punkt im ganzen Kirchspiel. Jedes Haus ist euch verschlossen, wenn ihr ...«

Ich hatte bisher geschwiegen, aber dies war mir zu stark.

Ich wollte reden, doch Amadée kam mir zuvor.

»Und so hat Monsieur Bossompierre, so hat er erklärt, er würde, so leid es ihm tue bei einem so geachteten Herrn wie dem Herrn Grafen, doch nicht umhin können, sich seine Besuche zu verbitten, im Fall er nicht die abscheuliche Chartreuse ...«

»Ich bitte Sie, um Gottes willen, stellen Sie diese Besuche ein!« bat Ducalle. »Ich müßte Ihnen mein eigenes Haus verschließen, oder meine Frau würde es tun!«

»Wir sind nicht in Frankreich, nicht in Paris«, wandte Amadée ein, »wo diese Art Vergnügen ...«

»Stören Sie nicht den Frieden, die Eintracht! Ihre, unsere Zukunft!« beschwor uns Ducalle.

»Wegen solcher Geschöpfe!« rief wieder Amadée.

»Wegen solcher Geschöpfe sich mit der ganzen Niederlassung zu überwerfen, wäre Raserei!« rief Hauterouge. »Wissen Sie, Colonel, wer diese Allains sind? Diese Bewohner der Chartreuse?«

»Und wer sind sie?« fragten wir.

Wie rechte verblendete junge Liebestoren wußten wir nämlich noch nichts weiter von ihnen, als was wir gesehen und gehört hatten.

»Die Mutter war die Mätresse eines spanischen Kaufmanns, den sie ruinierte und dessen Familie sie um die Pflanzung bestahl. Von ihm ist die älteste Tochter.«

»Dann war der Vater gerechter als die Welt!« fiel ich ein. »Er wußte, daß sie seine ehelichen Kinder ihr Glück finden lassen, aber seine farbige Tochter verstoßen würde. Er hat in meinen Augen wohl getan, für sie zu sorgen.«

»Ah, man wird sophistisch gerecht, wenn Leidenschaft der Stachel ist«, versetzte Hauterouge und fuhr fort: »Die beiden jüngeren sollen die Töchter eines französischen Kaufmanns aus Nantes sein, den sie später in ihr Garn zu locken wußte und gleichfalls bis auf die Haut auszog.«

»Die älteste Tochter hat einen Pflanzer von Point Coupée zum Beschützer«, fügte Amadée hinzu. »Es heißt, er habe fünftausend Gourdes bar niedergelegt und nebstdem die Chartreuse hergestellt, die das schönste Gebäude in den Attacapas sein soll. Er ist darüber mit seiner Familie zerfallen und lebt auch in der Chartreuse.«

»Sein Name?« fragte ich in Gedanken.

»Pierre Bournet oder Bornet.«

»Das also war der Pierre«, sagte ich zu Lassalle.

Lassalle nickte.

Unsere beiden Freunde und Amadée verloren ihre Geduld.

»Vergib, Colonel!« rief Hauterouge heftig. »Aber wahrlich, es ist weder die Zeit noch der Ort zu Galanterien!«

»Monsieur le baron de Hauterouge!« Ich erhob mich, der Stolz der Vignerolles regte sich. »Monsieur le baron de Hauterouge, ich bin weit entfernt, Ihnen Vorschriften in irgendeiner Hinsicht erteilen zu wollen, aber ebenso weit entfernt, sie mir erteilen zu lassen.«

Mich verdroß, was mir damals ein kleinstädtisch ungestümes, ja unzartes Einmischen in meine Angelegenheiten schien.

»Aber, mein Gott, Colonel!« bat Ducalle. »Wer hat je gehört, daß ein Kavalier, ein Mann wie Sie, wegen solcher Geschöpfe ...«

»Was nennen Sie Geschöpfe?« fiel ich ihm ins Wort. »Ja, sie sind Geschöpfe, die reizendsten, verführerischsten, die ich je gesehen! Geschöpfe, die ohne ihre Schuld in ihrer Wiege bereits mit einem Brandmal gezeichnet sind, so gezeichnet, daß der elendeste Kreole auf sie wie auf ein verpestetes Wesen herabsieht. Und warum und weshalb? Weil sie einige Tropfen farbigen Blutes haben, sie, die an blendender Weiße der ersten Herzogstochter Frankreichs nicht nachstehen! Was ist die Ursache dieser moralischen Erniedrigung? Nur ein Vorurteil, das sie bereits in den Windeln zu einem Gewerbe verdammt, das ... oh, diese Ungerechtigkeit ist entsetzlich!«

»Und wer sind diejenigen, die diese Farbigen ihres Umgangs, ihrer Gesellschaft, ihres Blutes für unwürdig erklären?« schrie ich weiter. »Wer? Kreolinnen! Abkömmlinge von Müttern, die großenteils ... man kennt ja die Kolonisationsgeschichte von Louisiana!«

»Die keine Silbe aussprechen können und jedes Wort intonieren, wie wenn sie eine Geige stimmen wollten!« höhnte Lassalle.

Ducalle und Hauterouge stürmten wütend zur Veranda hinaus. Es war das erste Mal, daß unser innigfreundschaftliches Verhältnis einen Stoß erlitten, aber die Leidenschaft macht blind. Acht Tage hatte sie in uns gebrannt, wie das Feuer in den Eingeweiden des Vulkans.

»Eh bien!« Lassalle war aufgestanden und sah den beiden nach, wie sie sich stürmisch in die Sättel warfen und davonjagten.

»Wir wollen auch fort! Amadée, laß unsere Pferde satteln!« Ich wagte es nicht auszusprechen wohin, aber mein Blick verriet es.

»Ja, wir wollen fort!« stimmte Lassalle zu. »Sogleich! Jetzt wollen wir, wollen wir ihnen zeigen ...!«

»Das wollen wir diesen elenden Spießbürgern! Glauben sie, uns zu ihren engstirnigen Ansichten über Ehe und derlei ... Amadée!« rief ich heftiger. »Laß unsre Pferde satteln!«

»Herr Graf!« sprach Amadée bittend, und seine Stimme versagte.

»Was ist‘s, was gibt‘s? Hörst du nicht?«

»Herr Graf!« Amadée stand eine Träne im Auge. »Herr Graf, nicht wahr, ich war immer ein getreuer Diener?«

Er trat an mich heran und faßte mich bei der Hand, die er küßte. Ich entzog sie ihm.

»Was soll das? Wer hat an deiner Treue gezweifelt?«

»Herr Graf!« schluchzte er. »Ich bin Ihnen gefolgt durch Hitze und Kälte, Schlachten und Gefechte, solange Ehre dabei war! Aber in dem, was Sie vorhaben...«

»Was geht dich das an?«

»... folge ich Ihnen nicht!« Die Stimme versagte ihm.

»Das brauchst du auch nicht! Wir gehen allein.«

»Eben das! Könnten Sie mich mitnehmen, aber Sie wollen allein fort! Herr Graf, wir sind hier nicht in Frankreich. Kein ehrlicher Mann könnte seine Stirn erheben! Ah, Herr Graf, wenn Sie gehen ...«

»Und wenn wir gehen?«

»Dann, verzeihen Sie, geht Amadée auch! Lieber will ich mein Brot erbetteln! Hörten Sie nur, was die Leute alles sagen!«

»Amadée!« Seine Worte hatten mich an einer empfindsamen Stelle getroffen. »Du sollst nicht betteln! Willst du deinen Lohn sogleich oder warten, bis wir zurück sind?«

»Keinen Lohn, keinen!« schluchzte er.

»Du erhältst deinen Lohn und fünftausend Livres! Bist du zufrieden? Jetzt sattle uns die Pferde, oder wenn du nicht willst, so tu‘ ich‘s selber!«

Lassalle war schon aufgesprungen und in den Stall gerannt, die Pferde zu satteln. Ich ging zum Koffer, öffnete ihn und nahm eine Geldrolle, von der ich den Lohn Amadées abzählte. Dann nahm ich einen Wechsel auf fünftausend Livres.

»Ich will kein Geld!« Amadée winkte mit der Hand und lief fort.

»Gaston, was soll das?« fragte ich Lassalle, der die Pferde schon gesattelt hatte. »Hat sich denn alles gegen uns verschworen? Wir wollen fort, komm!«

Wir füllten unsere Jagdtaschen mit Pulver, Blei, Zigarren, einigen Flaschen Wein, griffen nach unseren Gewehren und stürzten aus der Veranda. Auf dem Hof standen Amadée und Jean, beide mit Tränen in den Augen.

»Wann sind Sie wieder zurück, Herr Graf?« schluchzte Amadée.

»Vielleicht bald, vielleicht nie! Bleib oder geh, mir ist alles gleich!«

Wir sprangen auf unsere Pferde und sprengten eilig davon.

»Mein Gott!« rief Amadée und warf uns trostlose Blicke nach.

Wir waren etwa zweitausend Schritte vom Hause in den Liquidambarwald eingeritten, als wir hinter uns das Klappern von Pferdehufen vernahmen. Es war Martin, der Enkel des alten Roche Martin, der uns auf einem zottiggekrausten mexikanischen Pferdchen nachkam.

»Herr Graf!«

»Was gibt‘s?«

»Reiten Sie in die Chartreuse?«

»Was erlaubst du dir? Du bist ein kecker Bursche!«

»Wenn Sie dahin reiten, so sagen Sie‘s mir bitte! Dann gehe ich nach Hause.«

»Wie du willst! Hat Amadée dich ausgezahlt?«

»Nein, aber wenn Sie die Güte haben wollten! Ich habe gerade zehn Tage bei Ihnen gearbeitet.«

»Gut, wenn wir zurückkommen! Kehr auf die Pflanzung zurück und arbeite weiter! Dein Lohn wird dir nicht davonlaufen!«

Der Junge kratzte sich hinter den Ohren.

»Er dürfte es, wenn Sie in die Chartreuse reiten. Die Herren, die in die Chartreuse reiten, haben oft in weniger als zehn Tagen den Lohn ehrlicher Leute davonlaufen gemacht.«

Mit diesen Worten hielt der trotzige junge Mensch an, streckte seine Hand halb vor und erwartete die Berichtigung seines Lohnes. Wir sahen einander an. Diese Sprache war uns neu. Hatten die reizenden Geschöpfe in der Chartreuse einen unauslöschlichen Eindruck in uns zurückgelassen, einen Eindruck, der um so unwiderstehlicher werden mußte in der sonderbaren Lage, in der wir uns befanden, in dem heißen Klima, im Müßiggang, in der Umgebung von halbrohen Pflanzern und Herdenbesitzern, so hatte die Sprache unseres Amadée diesen Eindruck bereits stark erschüttert, und nun die des jungen Akadiers noch stärker.

Wir hielten und schauten uns abermals an. Noch vor einer Viertelstunde war unser Entschluß festgestanden, in die Chartreuse zu reiten, jetzt wankte er. Die Gefahr, der wir uns durch das Trotzen gegen die öffentliche, freilich, wie wir glaubten, spießbürgerliche Meinung aussetzten, trat uns jetzt ganz vor Augen. Wir waren von den Kreolen, von ihren Dienstleistungen, Meinungen, ihrem guten Willen abhängig. Wo blieben bei einem Zerwürfnis unsere Aussichten? Wo die Gründung einer Existenz?

Und Eleonore? erinnerte mich plötzlich eine innere Stimme an meine Braut, die drüben in Frankreich auf mich wartete.

»Geh nur zurück, Martin!« sagte ich zu dem Akadier. »Wir wollen auf die Jagd.«

»Auf die Jagd? Dann brauchen Sie einen Führer! Ich kenne die Pfade bis hinauf nach Opelousas, zur Côte gelée, ich kenne die meisten Pflanzerhäuser!«

»Wir wollen keine Pflanzerhäuser, wir wollen in die Prärie, wir wollen jagen!«

»Dann will ich mit Ihnen! Ohnehin wird es mir bange zwischen den vier Pfählen. Chretien und Großvater Roche sind auch jetzt auf der Jagd.«

»Wir wollen nicht zu deinem Großvater.«

»Aber Sie werden mich brauchen können«, beharrte der junge Mensch. »Wir wollen zusammen auf die Jagd!«

»Vielleicht ist es so besser«, raunte mir Lassalle zu. »Nehmen wir ihn mit!«

Und wir ritten ... Wohin? Das wußten wir selber noch nicht.

Der Präriebrand

1

»Frisch vorwärts, Gaston! Ah, diese heillosen Bayous und Crevasses und Creeks und wie sie alle heißen, sie sind wie zum Halsbrechen eingerichtet! Laß deinen Renner nochmals die Füße heben!«

Dieser aufmunternde Zuspruch wurde einem achtundzwanzigjährigen französischen Kavalier zugerufen, der auf einem halbwilden, obwohl sehr matten mexikanischen Hengst soeben einen jener zahllosen Creeks zu überqueren im Begriff stand, die oberhalb der Côte gelée und Courtableau die Attacapas von den Opelousas trennen. Er hatte drei Tage lang mit seinem Freunde die düsteren Wildnisse dieser Gegenden durchkreuzt, und beide befanden sich am Rand eines jener schwarzen Kiefernwälder, die sich bis zu den Stromschnellen des Mississippi hinauf erstrecken. Das Bayou war, wie es in dieser heißen Jahreszeit gewöhnlich der Fall ist, mehr als zur Hälfte ausgetrocknet, ein Graben, in dessen Mitte sich ein Streifen hellen, ziemlich tiefen Wassers zeigte.

»So komm doch!« schrie ihm sein Gefährte, der bereits am jenseitigen Ufer stand, abermals zu. »Frisch gewagt, ist halb gewonnen!«

»Aber wenn ich nun über diesem verdammten Creek bin, was weiter?« fragte Gaston.

»Weiter?« versetzte sein Freund mit einem drollig verlegenen Lachen. »Eine Zigarre ist das Weitere.«

Und er zog aus seiner Jagdtasche die Zigarrenbüchse heraus, holte Stein, Stahl und Schwamm hervor und rauchte den Glimmstengel an, den er lachend Gaston entgegenhielt.

Gaston stimmte eine Opernarie an, trabte einige Schritte zurück, gab seinem Roß die Sporen und war in den nächsten drei Sekunden glücklich auf diesseitigem Boden in den Armen seines Freundes, der ihn brüderlich aufnahm. Denn der gute Gaston hatte trotz seines Rufes, der beste Reiter im Regiment Monsieurs gewesen zu sein, den Boden geküßt.

Als die beiden Freunde einander beschauten, brachen sie in ein schallendes Gelächter aus.

»Alle Teufel, wie wir aussehen!«

Und sie sahen aus! Sie würden dem Capitaine einer Voltigeur-Kompanie von Sansculotten nach einem vierwöchigen Novemberbiwak in der Bretagne Ehre gemacht haben. Der eine hatte die beiden Schöße seines Nanking-Fracks eingebüßt, der andere die obere Hälfte seiner Hosen mittels Weidenflechten an die untere gebunden. Gaston hatte statt des Hutes ein Sacktuch um den Kopf gewunden. Seines Freundes Kopf stak zwar noch in dem Strohgeflecht, aber der Rand war verschwunden.

»Alle Teufel!« rief Gaston. »Wir sehen ja ärger aus, ärger als diese Akadier nach einem Ball!«

Und beide lachten wieder auf. Sie hatten nämlich an einem solchen Ball am Courtableau teilgenommen. Eine große Holz- und Lehmhütte, darinnen eine keifende Sackpfeife, und um diese lustig herumhopsend Enkel, Enkelinnen, Väter, Mütter, Großväter, Großmütter, barhaupt, barfuß, in Carmagnolen — kurzen Jacken — Braguets — Lendentüchern, die an Stelle der Hosen um die Hüften geschlungen wurden — und Mitassen — Gamaschen, die vom Knöchel bis übers Knie reichten.

»Hätten wir nur diese Braguets oder Mitassen!« rief Gaston und erhob seinen hosenlosen Schenkel.

»Oder ein Glas ihres Tafia-Rums!«

»Oder einen Teller voll ihres Gombo!«

»Ein wunderliches Volk! Oh, was gäbe ich nur für eine Stunde in der bescheidensten Kneipe von Versailles! So hungrig bin ich!«

»Und ich durstig!«

»Und ich beides zusammen!«

»Und ich halb geschunden!«

»Und ich halb tot!«

»Und wir beide würdige Subjekte für alle Werke der Barmherzigkeit!«

Und abermals brachen die beiden Freunde in ein schallendes Gelächter aus. Sie waren Gaston de Lassalle und sein Busenfreund Louis de Vignerolles, die drei Tage zuvor sich der Leitung des jungen Akadiers Martin anvertraut hatten, um ... ihre Liebesrasereien zu verscheuchen.

Wir hatten den Teche hinauf gegen die Côte gelée und Courtableau zu gejagt, eine Nacht einem Ball oder vielmehr seinem Ende in einer Akadierhütte beigewohnt, die zwei anderen im Freien geschlafen. Wir hatten von Rehrücken, auf hölzernen Spießen gebraten, unser Mittagsmahl gehalten, wieder von Rehrücken unsere Abendmahlzeit, und so allmählich die nördliche Grenze der Attacapas betreten, an Geist und Körper gestärkt, obwohl mit Verlust eines wesentlichen Teils unserer Kleidung und hungrig und durstig.

Es war ein drückend-schwüler September-Nachmittag. Die Sonne hatte den ganzen Tag gleichsam gebraten. Unser kleiner Vorrat an Wein war bereits am ersten Tag daraufgegangen. Wir hatten die Flaschen dafür mit Tafia füllen lassen, den wir mit Wasser verdünnt getrunken, aber auch der war zu Ende gegangen, und Martin eben deswegen auf einer Entdeckungsreise nach frischem Vorrat.

Weit hinter uns lagen die Niederlassungen der Akadier. Martin hatte uns versichert, wir müßten bald auf amerikanische Siedler oder — wie er sie nannte — Cochon-Yankees treffen. Sie hätten sich hier eingenistet, dem Verbot der spanischen Regierung, dem Haß der Kreolen und der Eifersucht der Akadier zum Trotz. Um das alles kümmerten sie sich ebensowenig, wie er — Martin — um das Summen der Moskitos im letzten Oktoberviertel.

»Diese Burschen, glaube ich«, brummte er immer, »wollen Louisiana und Mexico verspeisen, nach dem, was man so redet. Und sie sind unverschämt, als ob ihnen Louisiana bereits gehörte, diese Burschen!«

Trotzdem wären wir jetzt froh gewesen, einen dieser Amerikaner nahe zu haben.

»Stoß einmal ins Horn!« ersuchte mich Gaston. »Ich kann es nicht, die Zunge klebt mir am Gaumen. Wo nur der alberne Junge, der Martin, so lange bleibt?«

Ich stieß ins Horn. Und indem ich so tat, sahen wir beide zugleich auf, und der fröhliche, halb mutwillige Geist schwand von unseren Gesichtern, und wir schauten. Der Ton gab nicht jenen hellen, klaren Widerhall, der bei reiner Atmosphäre das Herz des Jägers so sehr erfreut und seine Nerven stärkt. Er klang dumpf und kurz, und die Wahrnehmungen, die sich uns aufdrängten, waren wenig geeignet, uns in unserer frohen Laune zu erhalten.

Wir waren, wie gesagt, am Rande eines jener Schwarzkiefernwälder, die sich von der Côte gelée hinauf zu den Opelousas ziehen. Hinter uns lag eine Prärie, die mit Palmettofeldern, Gehölzen und dichten Urwäldern abwechselte und durchschnitten war von Bayous und Gewässern, die sich westlich vom Lebœf gegen den Chetimachas und den Teche hinabwanden. Es war eine jener herrlichen Wiesenflächen, die dem Auge immer neu erscheinen, so oft man sie auch sieht. Ein Meer von frisch grünenden, in der Blüte stehenden und gereiften Gräsern, die unseren Pferden bis an die Nüstern reichten. Rechts schlang sich ein Anflug von Palmetto eine halbe Meile vom Creek hinab, die beiden Ufer des Creek selbst waren mit einem Saum ungeheurer Zypressen eingefaßt.

Die Prärie lag endlos vor dem Auge. Weiter oben lief abermals ein Palmettofeld, an das ein Immergrüneichenwald stieß. Gegen Osten zeigte sich eine undurchdringliche Wildnis von Magnolien, Papaws, Immergrüneichen und Bohnenbäumen. Gegen Norden zu lag der erwähnte Schwarzkiefernwald.

So war die Gegend uns noch vor fünfzehn Minuten erschienen, der kurze Zeitraum hatte den Anblick gänzlich verändert. Eis- und blaugraue Dünste hatten sich um den Horizont herum gelagert und wurden, indem wir schauten, zusehends dichter. Die grellrote Sonnenscheibe wurde blässer, und die Umrisse der Wälder verschwanden. Dazwischen lagerten sich endlose trockene Dünste wie ungeheure bleifarbige Schleier. Die Luft, bisher heiß, doch leicht, wurde immer schwerer. Die Prärie erschien bloß noch wie eine Bucht im Nebelvorhang, der sich zwischen zwei Vorgebirgen herabrollt, schwach und matt durchschimmernd.

Als wir diese Merkmale eines sich vor unseren Augen entwickelnden, nicht ganz geheuren Naturereignisses erschauten, begannen unsere Mienen auch jene Verlegenheit anzunehmen, die der Leichtherzige wie der Starkmütige nicht bemeistern kann, wenn er eine unbekannte Gefahr herannahen sieht.

»Schieß dein Gewehr los!« sagte ich zu Lassalle mit einer Stimme, die mich selbst durch ihre Beklommenheit erschreckte.

Der Schuß ging los. Der Knall wurde aber von der beengten Atmosphäre wie verschlungen, er war nicht bis zu den Wasservögeln gedrungen, die wir etwa hundert Schritte von uns auf dem Bayou plätschern sahen.

»Wo nur Martin bleiben mag?« fragte ich. »Diese Akadier sind doch dümmer als ...«

»Still!« fiel Lassalle ein. »Still! Sieh nur einmal unsere Pferde! Was soll das bedeuten?«

Die Tiere waren unruhig geworden. Sie spitzten die Ohren, fingen an zu schnauben, sich mit halbem Leibe zu drehen, die Hälse zu recken, zu strecken, ungemein ängstlich zu werden. Wir sahen uns bei diesem Wittern unserer Tiere besorgt an. Sie wurden immer ängstlicher, trotz ihrer Müdigkeit streckten sie die Hälse immer verlangender in der Richtung, die den Dünsten entgegengesetzt lag.

»Hier können wir nicht bleiben!« sagte Lassalle.

»Aber wohin?«

»Uns den Pferden überlassen!«

Wir bestiegen unsere Tiere, und kaum waren wir auf ihren Rücken, als sie sich auch in kurzen Galopp setzten und längs des Creeks zwischen dem Zypressenwald und dem Palmettoanflug wie von einer tollen Meute Hunde gejagt fortrannten. Der Creek schien sich zu erweitern. Statt des Palmetto begann sich Sumpfrohr zu zeigen. Unsere Pferde wurden immer ängstlicher. Die ganze Natur war wie ausgestorben. Zuweilen ließ sich der Schrei einer Wildgans hören, der Schrei aber war schrill, unheimlich.

»Was hat das zu bedeuten, Colonel?« fragte Lassalle. »Mir wird so schwül, so heiß und doch kein Schweiß. Stoß nochmals ins Horn!«

Wir hielten an, und ich stieß abermals ins Horn. Der Ton erstarb mir auf den Lippen. Es war mir, als ob die geschwängerte Atmosphäre ihn durch die Röhre mir zurück in den Mund drängte. Die Luft war nun so heiß, so trocken geworden, daß die gekräuselten Haare unserer kurz zuvor noch vom Schweiß triefenden Pferde wie geleimt aneinander klebten. Die Tiere reckten ihre Zungen aus und lechzten nach Luft und Kühlung.

»Sieh mal!« rief Lassalle.

Wir schauten. Die Ränder des Horizontes, bisher grau und bleifarbendunstig, begannen sich gegen Südwest zu röten, die Dünste wurden räucherig.

»Hörst du nichts?« fragte ich.

Wir horchten. Von Zeit zu Zeit ließ sich etwas wie Knistern hören mit einem entfernten Gekrach, ähnlich dem Salvenfeuer einer Truppenabteilung bei nebligem Wetter. Bei jedem solchen Gekrach schreckten unsere Pferde zusammen.

Der Creek wurde allmählich breiter, der Boden sumpfiger. Wir hielten unschlüssig an.

»Wir können in dieser Richtung nicht fort«, meinte Lassalle. »Wir müssen zurück auf die Prärie, in das Palmetto, wo wir wenigstens Kühle finden!«

»Wohlan, wir wollen zurück!«

Wir ritten zurück an den Ort, wo wir über den Creek gesetzt. Aber unsere Pferde wollten sich durchaus nicht mehr zum Sprung über das Wasser verstehen. Nur mit vieler Mühe brachten wir die stutzigen Tiere endlich dazu.

Die Röte am Horizont war mittlerweile greller, die Atmosphäre heißer, trockener geworden, der Rauch hatte sich über Prärie, Wald und Palmetto hingelagert. Wir nahmen die Richtung nach diesem.

»Sieh nur, Colonel!« rief Lassalle. »Noch vor einer halben Stunde war das Rohr so frisch, als wenn es soeben aufgeschossen wäre. Jetzt hängen die Blätter wie die Hosen von den dürren Lenden unserer ehemaligen Hofkavaliere herab.«

»Meiner Treu, Gaston! Das ist ein bedenkliches Zeichen! Mir vergeht alle Lust zum Scherzen.«

Auf einmal rief er: »Was ist das?«

Die ganze Prärie, der Horizont, alles und alles vor uns gegen Süden und Südwesten hinab war eine dichte endlose Rauchmasse. Die Sonne schimmerte noch grellrot durch, aber schwächer und schwächer, zuletzt hing sie noch wie eine matt erleuchtete Papierlaterne am Himmel.

Der Rauch hatte sich erstickend herangewälzt, so daß unsere Rosse keuchend umhersprangen und wieder dem Ufer des Bayou zurannten. Hinter dem Rauchvorhang, der jetzt die ganze Prärie verhüllte, glaubten wir ein entferntes Hissen und Zischen wie das vieler Schlangen zu hören. Unsere Rosse arbeiteten sich keuchend, zitternd an allen Gliedern vorwärts.

»Was ist das?« riefen wir abermals.

Wir sprangen ab und schauten die Tiere an, die schnaubend dem Uferrand, dem Wasser zueilten. Kaum daß wir imstande waren, ihnen das Hineinspringen zu wehren. Wir betraten den Saum der Zypressenwaldung, die das Bayou an beiden Ufern einfaßte. Der rote Streifen uns zur Rechten wurde immer heller, schimmerte immer greller durch die düsteren Zypressen, deren ungeheure Wuchten noch den Rauch abhielten. Das Knistern ließ sich jetzt stärker hören.

»Was soll das bedeuten?« rief Lassalle erschrocken und setzte hinzu: »Gott gnade uns, das bedeutet, was sie einen Wald- oder Präriebrand nennen!«

Wir sahen uns an wie Leute, denen der Verstand stillsteht. Der Rauch drang immer stärker durch die Zypressen. Tränen kamen uns in die Augen.

»Mein Gott, was tun?« rief Lassalle mit halberstickter Stimme.

Auf einmal fuhren unsere Pferde zusammen, als ob sie vom Fieberfrost gerüttelt würden, und sprangen dann vor. Ein Rudel Hirsche brach dicht an uns vorüber durch das Sumpfrohr und stürzte sich in das Bayou, das es bis zur Mitte durchschwamm. Als die Tiere in die Mitte kamen, blieben sie stehen — nicht fünfzig Schritte von uns — und sahen uns an, so hilfeflehend, mit so bittenden Blicken! Wir glaubten Tränen in den Augen der Tiere, Angst in ihren Zügen zu lesen. Wir schauten die Hirsche an, unsere Pferde, uns selbst, schauten wieder durch den Zypressensaum auf die Prärie hinaus.

Der hellrote Streifen kam leckend, drohend immer näher, und ein Luftzug vor ihm, ein so heißer Luftzug! Das bißchen Schweiß, das noch aus den Poren drang, vertrocknete mit einemmal ganz. Der Luftzug ließ sich stärker hören, ein langgezogenes, nervenerschütterndes Pfeifen, Zischen, Hissen und dann ein Geprassel! Und mitten durch den erstickenden Rauch schlug eine Flamme und gleich darauf eine Feuersäule! Was sage ich, eine Feuersäule? Ein Feuermeer! Das ganze ungeheure Palmettofeld war in Flammen.

Die Hitze war nun so versengend geworden, daß wir jeden Augenblick erwarteten, die Fetzen an unseren Leibern würden sich entzünden. Wir rissen unsere Pferde oder vielmehr unsere Pferde rissen uns dem Bayou zu. Sie sprangen zugleich ins Wasser und zogen uns das Ufer hinab.

Ein frisches Gekrach, Gerassel in dem Sumpfrohr. Eine Bärenmutter mit ihrem Jungen auf dem Nacken kam auf uns zu. Dann abermals ein Rudel Hirsche, die nicht zehn Schritte von uns ins Wasser sprangen. Wir hoben unsere Gewehre auf die Bären, die Mutter wandte sich weg gegen die Hirsche zu. Wir schauten und schauten. Hirsche und Bären standen nicht zwei Schritt voneinander, zitternd wie arme Matrosen in greulicher Winternacht auf stürmisch bewegtem Ozean.

Und der Tiere kamen mehr. Hirsche, Rinder, Pferde, Wölfe, alle kamen sie, Schutz in dem einen Element gegen das andere zu suchen. Die meisten aber brachen weiter unten in das Bayou ein, das sich seenartig gegen Nordosten erweiterte. Und seltsam, wie die Tiere einige ihrer Vorgänger hinabziehen sahen, folgten sie ohne Furcht voreinander.

Wir ihnen nach! Auf einmal schallte uns Hundegebell in die Ohren.

»Hunde!« riefen wir frohlockend zugleich. »Viktoria! Da sind Menschen nicht fern!«

Eine Salve von wenigstens zehn Flintenschüssen antwortete unserm Anruf. Die Schüsse waren nicht zweihundert Schritte von uns abgeschossen. Wir sahen jedoch nichts, hörten bloß die dumpfen, durch die dichten Rauchschichten mühsam zu unseren Ohren dringenden Knalle. Die Tiere rings um uns her zitterten bei der neuen drohenden Gefahr, wichen aber keinen Schritt.

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
30 ağustos 2016
Hacim:
460 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain

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