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Kitabı oku: «Das blutige Blockhaus», sayfa 3

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Auf alle Fälle war er ein ganz einzigartiges Muster eines ehemaligen Kammerdieners oder was er gewesen war. Ein wahres Laternengesicht, das bloß Haut und Knochen vorwies und Runzeln und eine scharfe spitze Nase, am äußeren Ende rot punktiert, ein Paar kleine funkelnde Augen, grauweiße Wimpern, das ganze Profil ungemein scharf, eine wahre Häscher- oder Polizeidirektors-Physiognomie. Für das ihm übriggebliebene Haarkapital trug er übrigens viele Sorge, ein kurzer dicker Haarzopf saß ihm im Nacken und zwei eisgraue Wülste über den Ohren, die zu dem spiegelglatten ehrwürdigen Scheitel keinen üblen Gegensatz bildeten. Sein Rock war aus dem feinsten blauen Tuch mit weißen Aufschlägen, aber in einem Schnitt, der wenigstens ein halbes Jahrhundert alt war. Auch seine Gamaschen datierten in diese Zeit zurück.

Jetzt war er ganz mit der Aufstellung des Desserts beschäftigt, das er recht kunstgerecht vor die Augen zu bringen wußte. Die Ananastorte verriet Meisterhand. Und wie er den Schwarzen die Teller, Schüsseln und Schüsselchen abnahm und sie gefällig auf die Tafel stellte, ging Howard ein Licht auf. Der Alte hatte die Diener zweifelsohne aus dem Saal bugsiert, um zwischen ihre Ohren und die Zunge Vergennes‘ die gehörige Entfernung zu legen.

»Nicht wahr, Luise?«

Sie nickte, legte aber mit einem vielsagenden Blick auf Vergennes den Finger auf den Mund.

»Weiß nicht, liebe Luise, wer so rücksichtslos jede Schicklichkeit verletzt wie dieser junge Mensch und den fanatischen Apostel spielt, verdiente eigentlich eine ernste Zurechtweisung. Achtung vor jeder Meinung, aber Feingefühl ist da am unrechten Ort, wo unsere und der Unsrigen Sicherheit und Leben in Gefahr stehen. Ohne die Dazwischenkunft dieses alten Amadée würde ein Dutzend Sklaven Dinge gehört haben, die in Zeit von einer Woche unseren fünfundzwanzigtausend Negern am River — auf die wir nicht fünfundzwanzighundert Weiße haben — die Köpfe leicht lichterloh hätten anbrennen können. Ist nicht zu scherzen in diesem Punkt, ist furchtbarer Ernst! Wir sitzen auf einem Vulkan, einem Pulvermagazin, wir dürfen es uns nicht verhehlen. Aber wie wir unsere Lage kennen sollten, sollten wir auch nicht jeden Unbesonnenen mit glimmender Lunte in dieses Magazin eintreten lassen! Wie Männer sollten wir unsere Lage ins Auge fassen, nicht wie alte törichte Weiber, und die Kreolen sind in diesem Punkt leichtsinnige, schnatternde Weiber. Ich befürchte und gestehe es aufrichtig: Diese Kreolen bringen früher oder später eine St. Domingo-Teufelei Anspielung auf den blutigen Sklavenaufstand in St. Domingo im Jahre 1791. über uns und unser Louisiana! Zum Glück haben wir Uncle Sam im Norden!«

Doch die Stimmen wurden immer fröhlicher, die Reden lauter. Alle fühlten sich so wohl, wie man es nur immer sein kann, wenn Ananas- und Bananentorten und Granadillos und Pecans und Orangen und zwanzigerlei Arten tropischer Früchte mehr und Champagner- und Madeirawein einen anlächeln. Einige saßen bereits wie im Traum, die Akazien vor dem Hause begannen ihnen Menuetts zu tanzen, die Tafel, die Sessel fingen an zu promenieren.

Mistreß Houston hatte mit einiger Ungeduld der französischen Sitte, an der Tafel zu bleiben, das Opfer gebracht. Nun erhob sie sich, mit ihr die übrigen. Es war auf alle Fälle Zeit, den Aufruhr, den die Weinfluten angerichtet, mit dem Öl der Mokkabohne zu beschwichtigen.

»Mesdames et Messieurs! Ist‘s gefällig, in den Salon zurückzukehren?«

Keine Einwendung gegen den Vorschlag des guten Papa kam — alle ordneten sich in Reih und Glied.

* * *

An der Spitze zog der Graf de Vignerolles mit Mistreß Houston ein. Wirklich ein vollendeter Gentleman. Elegante Formen, leichte, ungezwungene, anmutige Haltung, die alles Auffallende zu vermeiden weiß, lebendiges, geistreiches Gesicht, von einem fortwährenden Lächeln aufgehellt, das bald mild ironisch, bald schärfer spöttisch oder freundlich gutmütig ihm so wohl anstand. Er hatte vieles vom Höfling im besseren Sinne des Wortes. Wie unvergleichlich hatte er die krampfhafte Spannung zu lösen gewußt, in die der heillose Vergennes die ganze Tischgesellschaft versetzt hatte! Wie gefällig, leidenschaftslos der Wortfluß seiner Rede! Auch nicht die mindeste Aufregung. Sprache, Ton, Haltung, Kleidung, alles verriet den geborenen Aristokraten jenes alten Regimes, bei dem Leidenschaften und Tränen längst versiegt waren.

Chevalier d‘Ecars sagte, er hätte herbe Tage in seinem Leben gesehen. In seiner Jugend am Hofe Ludwig XVI. und Vertrauter eines der Brüder des Königs, sollte de Vignerolles nach dem Tod des unglücklichen Monarchen in wichtigen Aufträgen gebraucht worden sein, die Aufstände in der Vendée mit organisieren geholfen, gegen die Westermanns, die Marceaus, die Dumas und Hoches gefochten haben. Als alles verloren war außer der Ehre, entwich er nach England und von da nach Amerika, wo seine Familie noch aus früheren Zeiten her eine bedeutende Schenkung an Ländereien in den Attacapas besaß. Auf diesen hatte er eine Pflanzung gegründet, die zu den bedeutendsten in Louisiana gehörte und sich durch musterhafte Zucht und Ordnung auszeichnete.

So lieb sollte ihm sein neuer Wirkungskreis geworden sein, daß er es abschlug, nach Frankreich zurückzukehren, wo ihm nach der Restauration seine Familiengüter mit einer ansehnlichen Entschädigung anheimfielen. Welche Gründe immer ihn bestimmt haben mochten, die ewig grünen Wiesen und Orangenwäldchen der Attacapas den glänzenden Vorzimmern der Tuilerien vorzuziehen, sie verrieten einen selbstbewußten Charakter.

Der Graf hatte sich mit Mistreß Houston und Luise auf einem Sofa niedergelassen. Ein zweites wurde herangeschoben und nahm Genièvre, Lassalle und Howard auf. Die übrigen Gäste gruppierten sich in kleinen Abteilungen und musterten die Gemälde. D‘Ermonvalle erging sich im Reich der Töne und verlor sich in einer stürmischen Symphonie Beethovens. Er spielte meisterhaft, auch Vergennes bewies nach ihm eine ungemeine Fertigkeit.

Der alte Amadée begann mit Kaffee die Runde zu machen.

»Amadée, woran denkst du jetzt?« fragte ihn der Graf.

»Vergebung, Herr Graf, ich denke mir so allerlei.«

»Zum Beispiel?« Der Graf nippte an seiner Tasse. »An das Scharmützel bei St. Florent?«

»Nein, Herr Graf!«

»Oder an die furchtbaren Tage von Nantes? Wo deine Schwester und — du armer Knabe! — in dem Boot mit den zwanzig Fuß breiten Falltüren ...«

»Nein, Herr Graf, das alles habe ich zu vergessen gesucht!«

»Jaja, alter Freund, du hast zu deiner Zeit den Hof und die königliche Familie gekannt, den Marquis von Beaulieu und Charette und Marigny.«

Er streckte dem alten Diener die Hand hin, die dieser mit Herzlichkeit erfaßte, wobei er dem Grafen gerührt in die Augen schaute. Ein schöner Zug, diese freundliche, beinahe brüderliche Umgangsweise der alten Franzosen mit ihren Dienern, verglichen mit unserem und unseres Verwandten John Bull vornehmen Herabsehen auf dieselben dienstbaren Geister. Dafür sind unsere Diener bloß bezahlte Mietlinge, jene aber Kinder des Hauses, die an dessen Wohl und Wehe kindlichen Anteil nehmen.

»Also erzählt hast du, Amadée?«

»Aufzuwarten, Herr Graf!«

»Und was hast du erzählt?«

»Vergebung, Herr Graf!«

»Wissen Sie«, wandte er sich an Howard, »daß Amadée durchaus nichts davon wissen will, daß wir wieder nach Frankreich zurückkehren?«

»Ah, Herr Graf, Sie tun wohl daran, hierzubleiben«, murmelte der Alte.

»Schön, lieber Amadée«, fiel Luise ein. »Du mußt uns den Papa Vignerolles hierbehalten helfen.«

»Dazu bedarf es nicht vielen Drängens, liebe Luise«, meinte dieser. »Nein, liebes Kind, wer die Höhen gemessen hat, in seiner Jugend darauf so viel herumgeklettert und sich die Beine müde gezappelt hat wie wir, der liebt in seinen alten Tagen Ruhe. Zudem würden, aufrichtig gesagt« — sein lächelnder Blick fiel auf Baron Lassalle — »uns, die wir halbe Hinterwäldler geworden sind, die Tuilerien einigen Zwang verursachen.«

»Würden uns wenigstens anfangs seltsam genug vorkommen«, stimmte Lassalle zu.

»Und dann, was würden wohl unsere dreihundert Neger sagen?« schaltete Amadée ein.

»Du hast recht, Amadée! La belle France, unter seine legitimen Monarchen zurückgekehrt, wird auch ohne uns bestehen können, aber unsere dreihundert Schwarzen dürften es nicht so wohl.«

»Es wundert mich, Monsieur de Vignerolles, wie Sie sich so leicht in unsere Sklavenverhältnisse hineinfinden konnten. Für einen Europäer aus den höheren Ständen sicherlich keine leichte Sache?« fragte Howard.

Seine Frage schien de Vignerolles zu überraschen. Er warf Lassalle einen Blick zu und erwiderte dann: »Sie haben vollkommen recht, Mister Howard. Es ist wirklich für einen Europäer, und vorzüglich unsereinen, keine leichte Sache. Schon das Wort Sklaverei hat für unsere Ohren etwas Beleidigend-Verletzendes, die Idee war mir qualvoll.«

»Und wie überwanden Sie das allgemeine Vorurteil?«

Der Graf zuckte die Achseln.

»Das Gebot der Notwendigkeit anfangs«, nahm er dann das Wort. »Später die Überzeugung, daß sich in diesem Wirkungskreis ungemein viel Gutes tun lasse. Was aber unseren Widerwillen vorzüglich und am schnellsten besiegte, war der Reiz der Neuheit und die furchtbar grausige Natur des Landes, das wir betraten.«

»Wie? Die furchtbar grausige Natur?«

»Ja, ich glaube, der Anblick der gräßlichen Gestade Louisianas an den Mündungen des Mississippi und der kaum minder gräßlichen Striche, die teilweise unsere Ländereien umgeben, trugen vieles, ja das meiste dazu bei, mich mit dem Sklaventum zu versöhnen. Beim ersten Anblick drängte sich mir die Überzeugung auf, daß der Weiße, sich selbst überlassen, unmöglich dieses Land der Kultur gewinnen könne.«

Wieder machte der Graf eine Pause.

»Ich hatte viel Entsetzliches gesehen«, fuhr er nach einer Weile fort, »als ich in Louisiana vor neunundzwanzig Jahren ankam, aber nie so etwas Grauenerregendes wie diese unabsehbaren Flächen von Sumpf und Morast, diese Tausende vermodernder Baumstämme, mit Tausenden von Alligatoren, diese gräßlichen Wolken von Moskitos, dieses Chaos einer erst beginnenden Gestaltung! Ein solches Land der Kultur zu gewinnen, schien mir etwas so Ungeheures, daß selbst das Furchtbare der Sklaverei dagegen verschwand und in meinen Augen gerechtfertigt wurde.«

»Ja, Herr Graf, Sie riefen oft aus: mein Gott, in diesem Land sollen wir leben!« schaltete Amadée ein.

»Wir kamen noch dazu in der schlimmsten Jahreszeit an, zu Anfang Juli«, bemerkte Lassalle.

»Wir fuhren in der Mitte April ab«, ergänzte der Graf, »brachten aber drei volle Monate auf See zu. Es war ein trauriges Beginnen, nach den langen Mühseligkeiten und Entbehrungen einer solchen Seereise die noch trostloseren Gestade der Mississippimündungen zu sehen.«

»Und die Hauptstadt!« gab wieder Amadée das Stichwort.

»Eh bien!« fuhr Baron Lassalle fort, der in Erzählungslaune gekommen schien. »Nouvelle Orleans im Juli 1799! Leere Häuser, geschlossene Fensterläden, schmutzige Gassen, das Pflaster mit Abfällen aller Art Tiere besät, mit abgenagten Knochen, Gerippen, an denen ganze Scharen Carancros Kreolische Bezeichnung für ›Turkey Buzzards‹ — Aasgeier hackten und zerrten! Kein Mensch zu sehen. Unser Schiff das einzige, das im Hafen lag. Es war die häßlichste, verödetste Stadt, in die ich je den Fuß gesetzt habe. Eine tote Stadt, eine Stadt, aus der alles Lebende gewichen war.«

Alle waren gerade in jener glücklichen Stimmung, die bei gesundem Verdauungsvermögen in der Regel nach einem guten Diner einzutreten pflegt, jener behaglich wohlwollenden Trägheit, in der die abgespannten körperlichen und geistigen Kräfte sich mit irgendeinem Ersatz geistiger Nahrung begnügen.

So ließen sie denn Lassalle erzählen.

3

»Wir waren unser zehn, die zusammen die Überfahrt machten: de Vignerolles und Amadée mit noch zwei Bedienten, Hauterouge, Ducalle und ich mit unseren Dienern. Wir verließen Europa acht Monate nach dem 18. Brumaire. Der Nachdruck, mit dem Bonaparte die Zügel der Regierung erfaßte und festhielt, hatte unserem Treiben ein Ende gemacht. Unsere Rollen in Frankreich waren ausgespielt. Für unseren König, unsere ererbten Rechte hatten wir gekämpft, solange ein Hoffnungsstrahl des Erfolges leuchtete. Der letzte war erloschen, und wir dachten, es sei an der Zeit, mit den Trümmern, die wir aus dem Schiffbruch retten konnten, eine eigene Hütte zu bauen.

In der ersten Stunde nach unserer Ankunft in New Orleans waren der Kapitän des Schiffs und seine Matrosen verschwunden, um sich für die Entbehrungen der langen Seereise so schnell wie möglich zu entschädigen. Wir waren uns selbst überlassen. Lange irrten wir durch die fremde tote Stadt auf der Suche nach Menschen und einem Gasthaus. Endlich fanden wir an der unteren Levée Uferdamm gegenüber der Kathedrale eine Kneipe. Gerade als wir an die Tür herantraten, wurde diese geöffnet und von zwei Negern eine Leiche herausgetragen.

»Mut, Monsieur de Vignerolles!« sagte Ducalle. »Sie sehen, man macht uns Platz!«

Der Wirt dieses Estaminet, Pierre Brodin, war der schwärzeste Bretagner, den ich je gesehen. Voll Pockennarben, mit einer dicken aufgestülpten Nase und einem Paar ewig umherrollender roter Fuchsaugen. Als wir zehn Mann hoch angerückt kamen, übersah er uns einen Augenblick vom Kopf zu den Füßen und schrie dann den Negern nach, sie sollten den Toten ja nicht entkleiden, weil er am gelben Fieber gestorben wäre, und sogleich zurückkehren. Dann sprang er in die Schenke zurück, ohne sich auch nur im mindesten um uns zu kümmern.

Wir standen da, zweifelnd, ob wir in diese Gelbfieberhöhle eintreten sollten oder nicht. Aber die Promenade durch die häßliche Stadt hatte uns völlig erschöpft, und schließlich blieb uns keine Auswahl. So traten wir in das Schenkzimmer, in dem ein Dutzend Spanier, Mestizen und freie Mulatten tranken und lachten. Pierre Brodin ließ sich herab, hinter seinem schmutzigen Schenktisch hervorzukommen und uns einige Worte zu schenken.

Als er hörte, daß wir soeben als Fahrgäste mit dem Schiff angekommen waren, verzog sich sein Fuchsgesicht zu einem schlauen Lächeln, und er fragte, ob wir bei ihm Quartier nehmen möchten. Wir sagten zu, und er führte uns in ein anstoßendes Hinterstübchen.

Wir nahmen Platz auf den Sesseln und Bänken.

Brodin musterte uns abermals vom Kopf bis zu den Füßen.

»Plait-il?« fragte er dann, wartete aber unsere Antwort gar nicht ab, sondern lief fort und kam in einer Minute mit einem Korb Bordeauxwein und einem Dutzend Zigarren zurück. Wir tranken das erste Mal auf Neu-Frankreichs Grund und Boden. Die Hitze war ungeheuer, die Moskitos jedoch im Vergleich zu denen, die uns an den Mündungen des Mississippi zur Verzweiflung gebracht hatten, erträglich.

Wie wir da so saßen und tranken und trüben Gedanken nachhingen, nahm Vignerolles seine Brieftasche heraus. Wir folgten seinem Beispiel. Pierre Brodin, der durch die Tür hereingelugt hatte, kam, schlich eine Weile um uns herum wie der Fuchs um den Hühnerstall, schielte Ducalle und Hauterouge über die Schultern und begann endlich mit einem spöttischen Seitenblick:

»Ah, des lettres de récommendation — Empfehlungsbriefe an Monsieur Bouligny! Nicht in der Stadt, der Monsieur Bouligny! Und an Baron Marigny! Auf seinem Landsitz, der Baron Marigny! Pah!« Und er wandte sich, drehte sich herum und maß uns abwechselnd mit Luchsblicken. »Pah! Gut, sehr gut! Diese Empfehlungsbriefe sind gut!«

Die Wahrheit zu gestehen, waren unsere Anzüge nichts weniger als gewählt und unsere Wäsche so, wie sie nach einer solchen tristen Fahrt sein mußte.

»Pah!« wandte sich Pierre Brodin an Hauterouge und Ducalle: »Habt ihr fünftausend Dollar jährlich?«

Die beiden sahen ihn mit großen Augen an.

»Ihr habt fünftausend Dollar jährlich, gut, gut! So werden diese Empfehlungsbriefe hinreichen, um euch eine niedliche Demoiselle zu verschaffen, eine Quarterone oder derlei Zeitvertreib, die euch euer Geld verzehren helfen wird. Pah! Und Messieurs wird es geben, die euch belehren werden!«

Dann wandte er sich ausschließlich an Ducalle, dem er über die Schulter in seinen Brief geschaut hatte.

»Sie sind Bretagner?«

»Ja, mein Herr!« antwortete Ducalle.

»Sie haben einen Brief für die Attacapas?«

»Ja, mein Herr!«

»Sie haben, was man Erziehung nennt?«

»Ich glaube, ja!«

»Verstehen Sie etwas von Chemie, von Chirurgie, von ... von ...«

Ducalle sah den Mann erstaunt an.

»Tenez!« fuhr dieser fort. »Werde Ihnen etwas sagen! Ich, Pierre Brodin, sage Ihnen — verlassen Sie die Hauptstadt so schnell wie möglich! Befördern Sie sich selber weg von hier, sonst werden Sie befördert wie der, der soeben bei Ihrer Ankunft hinausbefördert wurde.«

Er steckte beide Hände in seine Westentaschen und fuhr bestimmter fort:

»Sie haben Chemie studiert, also, was dasselbe sagen will, Medizin — man nimmt es hier nicht so genau. So sage ich Ihnen denn — ich, Pierre Brodin, sage es — gehen Sie in die Attacapas! In den Attacapas herrschen intermittierende Fieber — intermittierende Fieber, verstehen Sie mich? — Balot!« schrie er auf einmal zur Tür hinaus. »Balot!«

»Was wollen Sie?« brüllte eine Stimme aus der Schenkstube herüber.

»Balot! Nicht wahr, bei euch in den Attacapas herrschen intermittierende Fieber?«

»Herrschen, jawohl, herrschen!« brüllte Balot. »Brauchen Rekruten, wissen Sie, Rekruten für die intermittierenden Fieber! Den Boudin haben die Krebse, den Allien die Alligatoren, den Borel gleichfalls.«

Balot kam mit einem halbgefüllten Rumglas zur Tür herein, die Aussage durch seine Persönlichkeit zu bekräftigen. Sie war eine der abschreckendsten, die wir je gesehen hatten.

»Pierre Brodin!« schrie er, leerte sein Rumglas und warf es dem Wirt zu; der erhaschte es, wie ein Pudel den Bissen, und lief zur Tür hinaus.

Und wir saßen und schauten bald den hemd-, schuh- und hutlosen Balot, der uns mit trunkenen Blicken musterte, bald wieder einander an. Es war etwas Trostloses, Verzweifeltes in unserer Lage: fremd, unbekannt in einer öden, verlassenen, vom gelben Fieber heimgesuchten Stadt, und unter solchen Menschen.

Brodin erschien wieder unter uns und reichte Balot das gefüllte Glas. Dann wandte er sich wieder an Ducalle.

»Sie gehen also in die Attacapas, das ist mein Rat. Sie werden da kurieren, Leute begraben, Geschäfte machen, Geld machen! Übrigens, haben Sie nun Geld, oder nicht?«

Die Frage machte Ducalle stutzig, er schaute Brodin wieder mit großen Augen an. Dieser maß ihn mit einem blinzelnden Seitenblick.

»Gut, Sie haben keins! Schadet aber nichts, tut nichts. Sollen Geld haben! Sie haben da eine goldene Uhrkette, hängt sicher auch eine Uhr dran. Strecke Ihnen zwanzig Gourdes Gourde — französ. amerik. Bezeichnung für Dollar vor, lassen Sie die Kette mit der Uhr als Unterpfand zurück. Kaufen Sie Medizinen ein, will sie für Sie einkaufen. Mit zwanzig Gourdes Medizinen kurieren Sie ganz Attacapas, wenn Sie die Sache verstehen. Kalomel Quecksilber-1-Calorid ist die Hauptsache, verstehen Sie! Legen Sie einen tüchtigen Vorrat von Kalomel an! Strecke Ihnen zwanzig Dollar vor, will für Ihre Fahrt dahin noch besonders sorgen. Nehme bloß fünf Prozent im Monat, bin billig. Sind ein Landsmann, ein Franzose, ein Bretagner. Muß billig mit Landsleuten sein. Einem anderen täte ich‘s nicht unter zehn Prozent. Gebe Ihnen einen Brief an Damien mit. Ist alles, was ich tun kann, das übrige ist keinen Picaillon Eine kleine Münze wert. Schauen Sie, daß Sie so schnell wie möglich fortkommen!«

»Schauen Sie, daß Sie so schnell wie möglich fortkommen!« wiederholte der trunkene Balot.

Nachdem Pierre Brodin solchermaßen Ducalle abgefertigt hatte, wandte er sich an Vignerolles. Er steckte die Hände in die Westentaschen und trat mit kecker, sorgloser Miene an den Grafen heran.

»Sie sind ein Gentilhomme von Geburt?« fragte er in höhnisch-lachendem Ton.

»So glaube ich«, antwortete der Graf.

Brodin warf ihm einen halb mitleidigen, halb verächtlichen Seitenblick zu.

»Eh bien! Sind ihrer in erklecklicher Zahl gekommen. Auch ich, auch ich war, was Sie sind. Sie wollen in die Attacapas?«

»Ich glaube ja!«

»In die Attacapas also? Haben Sie Geld?«

»Habe es nicht gezählt.«

»Nicht gezählt? So ... recht! Auch ich zählte es nicht, als ich es nicht hatte. Man zählt nicht, wenn nichts im Beutel ist!« Brodin lachte. »Sie wollen also in die Attacapas? Sie wollen? Sage Ihnen, Pierre Brodin sagt es: Sie tun besser, Sie gehen nach Natchitoches! Gehen Sie nach Natchitoches und richten Sie sich dort einen kleinen Laden mit Pulver, Blei, Seidenbändern zum Handel mit Indianern und Negern ein!«

»Eh bien!« sagte der Graf.

»Richten sich einen Laden ein! Leihe Ihnen zehn Dollar ... leihe dir zehn Dollar, Kamerad! Du gibst mir ein Pfand — fünf Prozent — kaufe dir die Waren ein. Verstehst du mich? He?«

Mit diesen Worten faßte er den Grafen beim mittleren Rockknopf.

»Chien! — Hund!« schrie im gleichen Augenblick Amadée und sprang auf Brodin zu. »Du wagst es, den Herrn Grafen zu duzen?«

Brodin maß ihn mit einem höhnischen Blick.

»Pah, was geht das dich an, Freund? Kümmere dich um deine Schuhe! Wenn der Mann da will, was geht das dich an? Will er nicht, so geht‘s dich auch nichts an! Und ist ihm mein Kabarett zu schlecht, so — hier ist die Tür!«

Brodin sprang der Tür zu und öffnete sie. Dann rückte er wieder näher an den Grafen heran, der mit vornehmer Nachlässigkeit auf seinem Stuhl saß.

»Ah, auch wir ... auch wir wüßten was zu erzählen von adligen Vorfahren, vom Hofleben! Auch wir, die wir Oberst im Regiment von Artois, die wir Graf, Baron, Chevalier, Besitzer von Herrschaften, Silberbergwerken ...«

»Im Regiment von Artois? Darf ich um Ihren Namen bitten?« fragte Vignerolles.

»Louis Victor Comte de Vignerolles — Baron de Pierpont — Chevalier de — de — äh — Mazanaras!« Brodin trompetete mehr, als daß er sprach.

»Also habe ich die Ehre, mit dem Herrn Grafen Louis Victor de Vignerolles zu sprechen?« fragte der Graf belustigt.

»Mit dem Grafen Louis Victor de Vignerolles, Herrn der Herrschaften von Pontbleu, der Silberbergwerke von Blois!« schnarrte Brodin.

»Der Silberbergwerke von Blois? In welchem Teil der Welt liegen diese Silberbergwerke von Blois?«

»Was?« schrie Brodin wütend. »Sie wollen mich zum besten halten! Die Silberbergwerke von Blois nicht kennen? Sie wollen ein Franzose sein? Ein sauberer Franzose sind Sie!«

Wir alle schauten den Kneipenwirt an und brachen in ein lautes Gelächter aus. Amadée sprang mit seinem Rohrstock auf ihn zu.

»Pierre Brodin, kennst du mich nicht?«

Der Wirt starrte Amadée verblüfft an, verlor sichtlich die Fassung und stammelte: »Nein, mein Herr, ich kenne Sie nicht!«

»Jacques Pajol!« schrie Amadée stärker. »Jacques Pajol! Sohn der Marketenderin und Wäscherin Jeannot vom Regiment Provence! Kennst du den Sergeanten Amadée nicht?«

Er schwang den Stock. Der jetzige Wirt und ehemalige Trommelschläger hüpfte entsetzt umher.

»Jacques Pajol, hör mich an!« befahl Amadée. »Unser Gepäck befindet sich an Bord unseres Schiffs. Wenn besagtes Gepäck, und zwar das des Grafen de Vignerolles, dessen Doppelgänger du bist, und das der Barone Lassalle und Hauterouge und des Monsieur Ducalle, in einer Stunde noch an Bord des Schiffes sind und die Erlaubnis zur Ausschiffung nicht erteilt ist, so wird dieser mein Stock auf deinem Rücken einen Cotillon aufführen!«

»Parbleu!« rief Brodin. »Was soll das bedeuten, Herr Sergeant?«

Amadée wiederholte trocken seinen Befehl.

Pierre Brodin alias Jacques Pajol war weit entfernt, durch die Entdeckung seines ursprünglichen Namens und Berufs niedergeschlagen zu sein, und wußte zum bösen Spiel gute Miene zu machen. Er sprang auf Amadée zu, drückte ihm die Hände, machte tausend Kratzfüße vor dem Grafen und schien ganz Jubel und Entzücken zu sein.

»Gnädiger Herr der Herrschaften von Pontbleu«, unterbrach Amadée endlich die Lustigkeit des Wichtes, »wir müssen Sie, wie gesagt, bemühen, sich mit Ihrer eigenen Reise-Equipage auf das Zollamt zu verfügen und unser Gepäck aus den Händen dieser Behörde zu erlösen, ansonsten unser Stock doch unvermeidlicherweise ein Menuett auf Ihrem Rücken tanzen müßte!«

»Was?« schrie Jacques Pajol. »In meinem eigenen Haus?«

»Pah! — Chevalier de ›Mazanaras‹! Allons, fort mit dir!«

Jacques Pajol flog wie ein Ball umher, aus einer Hand in die andere.

»Ma foi! Morbleu!« schrie er. »Wer wird mir aber mein Estaminet besorgen?«

»Wir alle!« riefen unsere Diener.

Pajol kratzte sich jedoch hinter den Ohren. Ducalle machte dem Zögern durch den Vorschlag ein Ende, die Demi-Escalins Halbschillinge für ihn einzunehmen. Nachdem Pajol ihn in die schöne Kunst eingeweiht hatte, Sangaree Versüßter und gewürzter Rotwein mit Wasser und Toddy, Sling und Cocktail zu bereiten, trollte er sich fort.

Es war die erste fröhliche Stunde, die wir in Louisiana genossen. Sie erschien uns gewissermaßen als eine glückliche Vorbedeutung unserer Schicksale in der neuen Welt. Und wahrlich, wir brauchten eine solche Aufmunterung, hilflos wie wir waren, inmitten einer von allen nur einigermaßen achtungswerten Einwohnern verlassenen, verpesteten Stadt, in der nur der Auswurf zurückgeblieben war, um gleich den Carancros über die unglückseligen Opfer herzufallen, die ihnen der Zufall als Beute zuführte.

Noch saßen wir lachend über unserem Bordeaux — wenigstens der gereichte dem Estaminet nicht zur Schande — als Jacques mit einem kleinen klapperdürren Spanier zurückkam. Louisiana war übrigens bei unserer Ankunft noch unter spanischer Herrschaft, es fiel erst ein Jahr später wieder an Frankreich zurück, und drei Jahre später überließ es Napoleon für ganze fünfzehn Millionen Dollar an Uncle Sam.

Der Hidalgo war angetan mit einem braunen Rock, den er noch von seinen Universitätsjahren in Salamanca her haben mußte. Denn die Arme hingen sechs Zoll über die Gelenke aus den Ärmeln heraus, seine Spindelbeine waren in gleichfarbige, sehr zerlöcherte kurze Beinkleider eingehülst. Er griff bei seinem Eintritt mit vieler Amtswürde an seinen dreieckigen Hut, gab uns seinen langen Namen und noch längeren Titel an, von denen ich bloß das Don Henriquez behalten habe, und sah uns dann, eine Antwort erwartend, der Reihe nach an.

Wir waren alle aufgestanden. Vignerolles machte dem Don Komplimente, aber der schien nichts weniger als redselig.

Nach den ersten Begrüßungen fragte der Graf, ob Seine Exzellenz Don Salceda, der Gouverneur, in der Stadt sei.

»Seine Exzellenz, der Zivil- und politische, auch militärische General-Gouverneur der Provinzen von Louisiana und Westflorida sind auf einer Besichtigungsreise der Festungen«, erwiderte der Spanier, der während der Erwähnung der Exzellenz den Hut abgenommen und dann wieder aufgesetzt hatte, mit feierlich erhobener Stimme.

»Perdon — Vergebung!« entschuldigte sich Vignerolles. »Wir haben eine Lettra de Recommendation, ein Empfehlungsschreiben, an Seine Exzellenz und bedauern sehr, Hochdemselben unsere Aufwartung nicht machen zu können.«

Diese Worte besänftigten etwas den beleidigten kastilianischen Stolz, so daß Vignerolles die Frage wagte, ob vielleicht der Oberintendant der königlichen Finanzkammer in der Hauptstadt sei.

»Seine Heiligkeit, der Oberintendant der königlichen Douanen für die Provinzen Louisiana und Westflorida, auch Intendant der Krondomänen, ferner Richter der Admiralität und Chef der Handelskammer besagter Provinzen befinden sich auf dem Land.«

»Perdon!« entschuldigte sich Vignerolles abermals. »Wir haben eine Schenkung über Ländereien in den Attacapas, ausgestellt von Seiner Majestät Louis XV., und wünschen sehnsüchtig, die gesetzlichen Formen zu beobachten, um in den Besitz besagter Schenkung eintreten zu können.«

»Seine Herrlichkeit Don Maria Nicolas Vidal Chavez, Fahavarri de Madrigal, Valdez, bürgerlicher Gobernador Lugorteniente, auch Kriegsauditor in den Provinzen Louisiana und Westflorida, ferner Oberrichter, sind in der Stadt, leben aber zurückgezogen von allen Geschäften.«

Statt der Antwort spielte Vignerolles mit ein paar Goldstücken zwischen den Fingern. Der Spanier verzog keine Miene, schwenkte sich aber mit echt kastilianischer Grandezza dicht an den Grafen heran.

Der ließ einen Louisdor in seine Hand schlüpfen. Der Spanier besah das Goldstück und sprach trocken: »Es bedarf noch einer Bedingung, Seine Herrlichkeit zu sehen.«

Vignerolles ließ ein zweites Goldstück zwischen seine Finger gleiten.

»Muy bien!« meinte der Spanier. »Señores wollen aber auch Ihr Gepäck ans Land haben? Gefällt es Ihnen, die Bedingungen auf einmal zu erfüllen oder ...?«

Vignerolles sah sich abermals genötigt, seine Finger in die Börse zu senden.

»Zwei Bedingungen sind hinreichend«, versicherte der Hidalgo.

Nachdem diese erfüllt worden waren, verneigte er sich, griff an den Hut und schritt mit den Worten: »Venid, Señores — Kommen Sie, meine Herren!« würdevoll durch die Schenkstube des Estaminets der Tür und dann der Levée zu. Wir folgten ihm.

Wir nahmen unser Gepäck in Empfang, das zur Ausschiffung auf Deck bereitlag. Während unsere Leute beschäftigt waren, die Kisten und Ballen mit Hilfe der Neger, die uns Pajol mitgegeben hatte, vor das Estaminet zu schaffen, winkte der Hidalgo dem Grafen, ihm zu folgen.

Er fragte ihn jetzt, ob er der Chevalier de Manzanares sei, was Vignerolles bejahte. Daß einer der Vorfahren des Grafen das spanische Adelsdiplom erhalten, hatte wahrscheinlich am meisten beigetragen, unseren steifen Führer so zuvorkommend zu stimmen. Mir, der sich anschloß, wurde das Mitkommen erst nach wiederholten Beteuerungen gestattet, daß auch ich ein Caballero sei.

Wir gingen durch die mit den ekelhaftesten Abfällen angefüllte und beinahe ungangbar gewordene St.-Louis-Straße hinab der Rue Rempart zu. Der kurze Spaziergang reichte hin, unsere gute Laune so ziemlich wieder zu verscheuchen. Unbegreiflich, wie in solcher Umgebung und einer so verpesteten Atmosphäre ein menschliches Wesen es aushalten konnte. Wir sahen auch keines, aber hinter den zerstreuten Häusern der Rue Rempart krochen in den Gräben Alligatoren und anderes Gewürm herum. Dies waren die einzigen lebendigen Geschöpfe, die wir sahen.

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
30 ağustos 2016
Hacim:
460 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain

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