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Kitabı oku: «Tokeah», sayfa 30

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Fünfunddreißigstes Kapitel

Am folgenden Morgen nahm die Oberstin Rosa bei der Hand, und sie forschend anblickend, sprach sie mit einer milden, aber eindringenden Stimme:

»Liebe Miß Rosa! Sie haben gestern etwas getan, das uns alle sehr geschmerzt hat.«

»Rosa etwas getan, das Schmerzen verursacht hat?« versetzte das Mädchen, ihre Hände faltend.

»Und Sie fragen, Miß?« erwiderte die Dame, »nachdem Sie bei Nacht, ohne etwas zu sagen, aus dem Hause entwichen, zu den Wilden entwichen«, sprach sie mit stärkerer Betonung.

»Teure Mutter, ich bitte dich, heiße sie nicht Wilde. Es sind edle Menschen. Ihr habt ihnen viel Böses zugefügt.«

»Miß Rosa,« sprach die Dame, »darüber können Sie jetzt nicht urteilen. Sie werden es einst können. Bis dahin verschieben Sie Ihr Urteil und glauben Sie einstweilen meiner Versicherung, daß das Los, das diese Wilden niederdrückt, nicht unverdient ist. Jeder Mensch hat sein Schicksal in den Händen. Auch Sie, Rosa, haben es. Und darum bitte ich Sie, nie zu vergessen, daß Sie eine junge Dame sind, die sich nie etwas vergeben, am wenigsten aber den Anstand so sehr verletzen darf, um Wilde zur Nachtzeit zu besuchen.«

»Aber sie kamen, um Rosa abzuholen, und Rosa mußte zum Miko, ihrem Vater, gehen.«

»Vater«, rief die Dame unwillig. »Miß, wie können Sie den wilden, garstigen Indianer Ihren Vater nennen?«

»Rosa wird ihn nie anders nennen. Er ist Canondahs Vater. Sie wird ihn nie verlassen«; sprach sie mit leiser, demütiger, aber auch entschlossener Stimme.

»Wie, Sie wollen zu den Wilden gehen?« rief die Oberstin mit einem Abscheu, so unverhohlen, als wenn eine ihrer eigenen Töchter ihr diesen seltsamen Entschluß verkündet hätte. »Zu den Wilden?« rief sie nach einer langen Pause abermals, und mit gesteigertem Unwillen. »Unser Haus, die zivilisierteste Gesellschaft, wollten Sie verlassen? Wäre es möglich?« Sie warf einen langen, forschenden, beinahe mißtrauischen Blick auf das Mädchen. Nach diesem zu urteilen, schien sie nicht abgeneigt, diesen seltsamen Entschluß einer minder lautern Quelle zuzuschreiben, als die war, der er seinen Ursprung verdankte.

»Miß Rosa!« sprach sie mit einer feierlichen Stimme, »das edelste Geschöpf, das aus der Hand der Natur hervorging, ist das Weib. Sie duldet, sie leidet, wo der Mann nur genießt. Selbst ihre Freuden sind an Schmerzen geknüpft. Aber in ihrer Hand liegt das Schicksal des Geschlechtes, und ein tugendhaftes Mädchen, das sich pflichtbewußt zur Gattin bildet, ist eine achtunggebietende Erscheinung. Aber die tiefste Erniedrigung, Rosa, ist es, wenn ein weißes, freigeborenes Mädchen sich freiwillig einem – weniger als Barbaren – einem Wilden zu überliefern niedrig genug denkt. – Es ist tierische Erniedrigung,« sprach sie mit Abscheu, »weil bloß tierische Leidenschaft —« sie hielt inne; denn das Mädchen schrak sichtlich zusammen.

»Rosa«, sprach sie, »ist sehr unglücklich. Du sagst, es sei die tiefste Erniedrigung, sich den Wilden hinzugeben; wohin soll Rosa gehen? Bei euch«, seufzte sie, »ist sie nichts wert. Sie hat kein Gold. Sie ist arm. Ihr bietet sie, wie der Zwischenhändler sein Feuerwasser, dem öffentlichen Mitleiden an.«

Die Oberstin sah das Mädchen, dessen richtiger Blick so tief das Unzarte des Zeitungsartikels aufgefaßt und noch immer fühlte, betroffen an. »Es ist gefehlt worden,« sprach sie; »aber diese Unzartheit war gut gemeint, meine Tochter. Wir müssen manches dulden, was uns hart scheint, weil wir den Grund davon nicht einsehen.«

»Mutter!« sprach das Mädchen, »in meinem Herzen spricht eine Stimme, die mich nie irregeführt hat. Sie gebot mir, dem Miko zu folgen. Sie wird mir sagen, was ich zu tun habe. Aber bei euch würde die arme Rosa verlassen sein. Als der Miko«, fuhr sie mit leiser Stimme fort, »sich entschlossen hatte, in die Niederlassungen der Weißen zu gehen, da ward es in meiner Seele plötzlich helle. Ich verlangte mitzugehen. Rosa ist gegangen. Ach!« seufzte sie, »sie ist fremd unter euch. Als sie in der Hütte des Zwischenhändlers war, da gab man ihr Speise, weil der Miko Felle gab. Sie war fremd damals. Sie ist es wieder. Beim Miko war sie Tochter. Mutter!« rief sie überwältigt von ihren Gefühlen, »sei nicht grausam, entreiße der armen Rosa nicht das einzige, was sie auf der Welt besitzt, den Trost, den Miko zum Vater zu haben. Rosa hat nie ihren Vater gekannt; sie ist nie am Busen ihrer Mutter gelegen. O, es ist so wenig, um was sie dich bittet.«

Die Oberstin blickte das in tiefsten Schmerz versunkene Mädchen in sprachloser Rührung an. »Mein teures, verwaistes Kind!« sprach sie, »ich will dir Mutter sein. Eine Mutter läßt sich zwar nimmermehr ersetzen! aber mütterliche Freundin, Beschützerin will ich dir ganz sein.«

Der unglücklichen Waise war nun allmählich ihr Verlust, das Entbehren der Mutterbrust, des väterlichen Schutzes in den Kontrasten, die sie in ihrem kurzen Leben erfahren hatte, deutlich geworden. Es war aber nicht bloß Sehnsucht nach den entbehrten Vater- und Mutterarmen, die sich nun in dem Kinde so ergreifend äußerte. Sie hatte ihre Verlassenheit schon in der Hütte des Miko gefühlt; aber nie war sie sich derselben so deutlich, so schmerzlich bewußt geworden, als in ihren neuen Umgebungen und der freien Beweglichkeit und hinwiederum den eingezwängten Formen ihres neuen Kreises. An die rauhe Väterlichkeit des Miko gewöhnt, war diese ihrer demütigenden, von Liebe erquellenden, sich so gerne anschließenden Natur zum Bedürfnis geworden; jetzt aber fühlte sie sich nur unendlich einsam und verlassen.

»Ja, Rosa!« sprach die Oberstin, die gegangen und wieder zurückgekommen war, »du sollst meine Tochter sein. Der Indianer ist unsichtbar geworden, höre ich soeben. Möge er nie wiederkommen.«

»Er wird wiederkommen«; rief das Mädchen zuversichtlich. »Er wird kommen, um Rosen zu holen.«

»Ich zweifle«; erwiderte ihr die Oberstin, die es vielleicht nicht rätlich fand, das, was ihr als Starrsinn an dem Mädchen erscheinen mochte, gegenwärtig zu bekämpfen. »Es ist zwar sehr wenig an ihm gelegen; allein er hat des Bösen zu viel getan, um sich seinen gerechten, aber auch strengen Richtern nochmals zu stellen.«

»Er wird gewiß wiederkommen«; versicherte sie Rosa nochmals.

»Und warum ist er gegangen?« fragte die Oberstin. »Vielleicht sollte ich nicht fragen, da er deinem Herzen näher scheint als wir. Nur ist sein Verschwinden gegenwärtig auffallend. Rosa! ich hoffe, du wirst mir Vertrauen schenken, kindliches Vertrauen? Es hat das Verschwinden des Indianers einige Unruhe verursacht. Ich hoffe, nochmals sage ich es, du wirst in deiner Anhänglichkeit, die ich übrigens ehre, die Scheidelinie der Pflicht erkennen und das Vertrauen, das in dich gesetzt wird, nicht mißbrauchen.«

Nachdem sie diese Worte mild, aber ernst und eindringend gesprochen hatte, entfernte sie sich. Das Mädchen war in tiefes Nachdenken versunken dagestanden, über die seltsamen Worte sinnend. Die mysteriöse und plötzliche Entweichung der vier Indianer hatte wirklich am Bayou und in der Umgegend einige Unruhe verursacht, und die Frau des Obersten war ersucht worden, womöglich die Veranlassung dieses Unsichtbarwerdens des gefährlichen Unruhstifters aus seiner Pflegetochter herauszubringen. Ihr offener, zuversichtlicher Ton war jedoch ein hinlänglicher Beweis, daß sie keine Mitwissenschaft habe, was auch um so wahrscheinlicher schien, als es sich kaum denken ließ, daß die Wilden, im Falle sie wirklich etwas Feindseliges im Schübe führten, ihr ihre Absichten kundgetan haben würden. Bald verschmolz auch diese kleine Besorgnis in der großen Ungelegenheit, die nun alle ausschließlich zu beschäftigen anfing und in der man alles übrige vergaß. Solange nämlich die beiden Kompagnien unter dem Befehle des Kapitäns Percy noch am Bayou waren, schien man noch immer beruhigt. So unbedeutend die Anzahl der zurückgebliebenen Milizen war, so hatte doch der Umstand ihrer Nichteinberufung der Umgegend ein gewisses Gefühl von Sicherheit, von Vertrauen eingeflößt, das nun durch die plötzliche Order zum Abmarsche sehr erschüttert worden war. Es war eine fieberische Aufregung eingetreten, eine krampfhafte Spannung, die die Gemüter immer heftiger dann ergreift, wenn der Schauplatz der Gefahr entfernt und so der düstern Phantasie mehr Spielraum zu trüben Bildern gelassen ist, eine Art schaudernder Empfindung, die sich mehr oder weniger an den Zurückgebliebenen äußerte. Man sah sie in den ernst verschlossenen Gesichtern, den bedenklich ausforschenden, starren Mienen, dem häufigen Vergessen aller persönlichen Rücksichten und Vorteile, dem ängstlichen Zulaufen beim jedesmaligen Erscheinen eines Dampfbootes und dem bangen Verschlingen der Zeitungen, deren lakonisch geheimnisvolle Kürze nie peinlicher ward. Auch unsere Familie war von diesen fieberischen Schauern nicht verschont geblieben, und wenn durch das rege Stilleben, das auf der Pflanzung herrschte, die düstere Folie weniger stark hindurchschimmerte, so war dieses nicht so sehr einem Mangel an Teilnahme oder Gefühl, als vielmehr der Selbstverleugnung der würdigen Frau zuzuschreiben, die als Mutter und Gebieterin dem Hause vorstand. »Unsere Gatten und Söhne«, sprach sie zu ihren Töchtern und Rosen, »kämpfen für uns und unser Land. Uns hat die Natur eine nicht minder ehrenvolle Bestimmung angewiesen, die – durch häusliche Tätigkeit die Kräfte unserer Männer und Söhne in den Stand zu setzen, ihrer großen Bestimmung Genüge zu leisten; die würdigste Teilnahme, die das Weib äußern kann. Es geziemt dem freien Weibe nicht, sich von Empfindungen überwältigen zu lassen; denn es ist nicht niedergedrückt durch das erschütternde Phantom eines übermütigen Tyrannen, der ihre Lieben von ihrem Busen reißt und einem dunkeln Verhängnisse zustößt; es kennt die Gefahr und die Notwendigkeit, ihr zu begegnen.«

Aber ungeachtet dieser männlich starken Gründe wurde die Prüfung auch für sie allmählich zu schwer, und sonderbarerweise suchte sie bei unserem liebenden Naturkinde Trost und Ermunterung. Jeden Tag, jede Stunde fühlte sie sich mehr und mehr angezogen, und der beiderseitige Anklang von Schmerz und Entbehrung schien sie nun wirklich zu einem Gliede der Familie zu machen. So verlief eine Woche.

Es war an einem sonnigen Mittage, daß Rosa am Bayou in sinnender Betrachtung stand, dem Gesange der in der Kottonpresse arbeitenden Neger zuhorchend, wie sie ihr eindringend wehmütiges Talla-i-hoe herübertönen ließen. Es ist ein ergreifend melancholischer Gesang, wie er in seinen tiefen Baßtönen und dem klagenden Tenor in langen Kadenzen an das Ohr schlägt. Allmählich verstummten die Stimmen eine nach der andern, dann erhoben sie sich wieder, und ein Chor von vierundzwanzig Männern brach in den schönen Negergesang Bulla-tai aus. Auch dieser war verklungen. Rosa stand aber noch immer, ohne zu bemerken, wie die Oberstin mit ihren Töchtern herantrat.

»Weißt du, liebe Rosa,« sprach sie, »daß dieser Schmerz, dem du dich überläßt, selbstisch ist, daß wir uns nie ganz einer Wehmut überlassen dürfen, die unsere Kräfte aufzehrt?«

»Es ist nicht Schmerz, Mutter; es ist etwas ganz anderes. Etwas Großes, etwas Wichtiges, das dir Rosa zu verkünden hat.«

»Etwas Großes«; sprach die Dame, die aufmerksam wurde; denn die Züge des klaren, idealen Gesichtes der Sprecherin schienen außerordentlich bewegt.

»Ja,« sprach sie, »es ist eine wichtige Stunde diese, in der viel entschieden wird. Der gute Gott wird sie tröstend für dich werden lassen; Mutter, er ist gut und milde. Sei auch du es, Mutter! ich bitte dich.«

»Wie kann ich es, liebe Rosa«; sprach die bewegte Dame.

»Du kannst es. Sei milde gegen das arme Weib, deren Mann im Gefängnisse schmachtet. Die Stunde, in der Rosa dich bittet, ist wichtig. Gewähre ihr, so wird sie dir sagen —«

»Und was wird Rosa sagen?« fragte die Oberstin das sinnend horchende Mädchen. »Deine Bitte ist gewährt; ich will die Bürgschaft übernehmen.«

Das Kind drückte die Hand der Dame freudig an den Busen. »Rosa dankt dir, teure Mutter!« sprach sie mit Hoheit. »Dafür will sie dir etwas sagen. In dieser Stunde schlagen die Eurigen die Schlacht«; flüsterte sie leise, aber bestimmt.

Mutter und Töchter lächelten ungläubig.

»Kommt,« sprach sie; »hier hören wir nichts.« Sie eilte voran an das untere, südliche Ende des Parkes, stellte die drei Damen in einen Halbzirkel und beugte sich dann in der Richtung des Luftzuges.

Es war diesen Morgen ein ungemein dichter Nebel über der ganzen Gegend gelegen. Gegen Mittag jedoch fing ein starker Südwind an vom Strome heraufzuwehen, und die Kraft der Sonne, die selbst Januartage in diesem Lande zu so herrlich milden Erscheinungen macht, hatte allmählich die Atmosphäre in eine zitternd elastische Bewegung versetzt. Von den fernen Pflanzungen her waren noch einige Chöre der Neger zu hören. Allmählich schwiegen jedoch diese, und die Natur schien mit den armen Schwarzen ihre Feierstunde zu halten.

»Ich höre nichts«, sprach die Dame, »als den Windzug,« setzte Virginie hinzu; »und das knarrende Gekrächze der alten Bidi«, meinte Gabriele.

»Ihr habt nicht in dem schweigenden, stillen Wigwam am Natchez gelebt«, lächelte Rosa. Sie horchte wieder und schauerte dann zusammen. »Das sind fürchterliche Schüsse.«

»Hörst du wirklich etwas?« riefen die drei erblassenden Damen.

»Gewiß, ich höre jeden Schuß, viele Schüsse fünfzehn, zwanzig auf einmal. Jeder gleicht dem entfernten Rollen des Donners.«

»Es ist nicht möglich«, meinte die Oberstin. »Es sind nahe an hundertundachtzig Meilen. Zwar der Wind kommt vom Balize herauf – kein Gebirge – die Ufer liegen offen.« »Ich komme soeben vom Strome«, sprach der junge Copeland mit einer leichten Verbeugung. »Ein sonderbarer Vorfall: die beiden Indianer, die wir seit der Entweichung des Alten in Haft zu setzen genötigt waren, brachen plötzlich los; aber statt zu entfliehen, stehen sie nun am Ufer, die wunderlichsten Verzerrungen schneidend. Ich glaube, die Leute hören etwas.«

»Es ist die Schlacht, liebe Mutter. Komm, liebe Mutter! Virginie und Gabriele! zu Ochtitlan, und mein Bruder wird dem armen Manne seine Freiheit verkünden.«

»So sei es denn«, sprach die Oberstin, die sich von der natürlichen Beweglichkeit des Mädchens hingerissen fühlte. »Mister Copeland gehen Sie zu Squire Brown und sagen Sie ihm, daß wir Bürgschaft für Madiedo stehen.«

Der junge Mann sah die Frau verwundert an.

»Gehe, gehe, lieber Bruder!« trieb ihn Rosa vorwärts, »und komme dann.«

»Sehr gerne, Schwesterchen«; sprach dieser, der rasch den Weg zum Städtchen einschlug, während die Damen dem Strome zueilten. Schon von weitem erblickten sie die Indianer, umgeben von einer Gruppe von Männern, Weibern und Kindern. Einer derselben lag in dem Winkel der Erdzunge, die hier durch das aus dem Mississippi tretende Bayou gebildet wird, auf dem Boden, während der andere die Neugierigen, die mehr und mehr herbeikamen, in einen Halbzirkel ordnete. Ein leises, kaum merkbares Säuseln kam vom Süden herauf, das aber bei weitem von dem Rauschen der Wogen übertäubt wurde. Allmählich hatte das sonderbare stumme Schauspiel eine bedeutende Anzahl von Menschen angezogen. Als die Indianer Rosen ersahen, sprangen sie mit der lebhaftesten Freude auf sie zu und sprachen einige Worte im Pawneedialekte, mit der Glut der höchsten Leidenschaft. Ihr ganzes Wesen hatte eine kriegerische Wut angenommen.

»Es ist die Schlacht«, sprach diese. »Die Cumanchees hören sie deutlich. Sie sagen, es ist eine schreckliche Schlacht, die die Weißen schlagen. Viele tausend große und kleine Feuerschlünde speien ihre eisernen und bleiernen Kugeln aus.«

Der Indianer warf sich auf den Boden und gab Zeichen.

»Sie stehen noch immer auf demselben Orte«, sprach sie. »Nun brüllen die Feuerschlünde weniger.«

»Nun brüllen sie stärker«; rief sie nach einer Weile.

»Nun zittert die Erde. Zwanzig der großen Feuerschlünde brüllen auf einmal.«

»Gott segne Sie, Madame!« rief plötzlich eine Stimme hinter ihnen. Es war der Spanier oder Mexikaner Madiedo, alias Benito, mit seinem Weibe.

Die Oberstin winkte ihnen Stillschweigen zu und deutete auf Rosen. »Danken Sie es dieser«; sprach sie leise.

Der Mann faßte sie einige Augenblicke ins Auge, und sein sprachloses Erstaunen schien ihm die Worte auf der Zunge zu fesseln. »Um Gottes willen, wer sind Sie, Miß? um Vergebung!«

»Rosa«, sprach das Mädchen verwundert.

»Rosa!« erwiderte der Mann. »Mein Gott, wie sie leibt und lebt. Unbegreiflich!« rief er.

Die Indianer waren während dieses Zwiegespräches ungeduldig geworden. Der auf dem Boden Liegende hatte sich aufgerichtet und stand gleichgültig da, ohne ferner seine Beobachtungen fortzusetzen. Das Gespräch, obwohl leise geführt, hatte es ihnen unmöglich gemacht, etwas weiter zu hören.

»Die Schlacht, Madame und meine schönen Misses,« rief ein junger Mann in der englischen Offiziersuniform, aber mit dem knarrenden irischen Dialekte, »bei St. Patrik! Wer das sagt, muß die Ohren eines Midas haben. Wissen Sie, meine schönen Damen, daß wir auf einem ihrer Dampfschiffe volle achtzehn Stunden brauchten, und sie gehen wie die besten englischen Postpferde. Eine schöne Erfindung, Madame, die Ihnen Ehre macht.« Die Oberstin sah den dreisten jungen Mann verwundert unwillig an.

»Leutnant Connaught!« sprach der junge Copeland, »wollen Sie so gefällig sein, mir auf ein Wort zu folgen?«

»Ein andermal«, rief der Irländer, der sich recht wohl zu befinden schien, obgleich ihm alle Damen den Rücken gewendet hatten. »Diese Wilden«, fuhr er fort, »haben übrigens ein feines Gehör, und es ist zehn gegen eins zu wetten, daß wir bei dieser Zeit die Hauptstadt genommen haben und die Unsrigen auf dem Hermarsche sind. In diesem Falle, meine Damen, können Sie sich auf den Schutz Leutnant Connaughts verlassen. Darf ich so frei sein. Ihnen meinen Arm anzubieten, schöne Miß?« sprach er zu Virginien.

Statt der jungen Dame bot ihm Mister Copeland den seinigen an, und ohne ein Wort weiter zu verlieren, zog er ihn einer Gruppe kriegsgefangener Offiziere zu, die mehr bescheiden in einiger Entfernung am Stromufer standen.

Sowie der Irländer entfernt war, warf sich der Cumanchee wieder zur Erde und gab neuerdings denselben regelmäßigen Bericht von der Schlacht durch Zeichen, zuweilen wisperte er Rosen einige Worte zu, die sie dann der Oberstin und der versammelten Menge mitteilte. Die Umstehenden standen starr in atemloser Stille. Jeden Augenblick mehrte sich die Menge; sie kamen auf den Zehen geschlichen und gingen, kamen wieder und standen, alles um sich her vergessend. Stunden waren so verstrichen, die Sonne sank bereits hinter die westlichen Wälder, und noch standen alle versammelt. Plötzlich fuhr der Indianer zusammen und sprang mit allen Symptomen des Entsetzens auf.

»Es war ein schrecklicher Donner«, rief Rosa.

Wieder warf er sich zur Erde, lag noch eine Viertelstunde und stand dann gelassen auf. Beide Wilde nahmen Abschied von Rosa und folgten der Wache, die sie ihrer Haft zuführte.

»Madame!« sprach der Wirt, Madiedo die Oberstin an, als diese nun mit ihren Töchtern und Rosa den Heimweg betrat. »Darf ich Sie um einen Augenblick Gehör bitten?«

»Nicht heute, Monsieur Madiedo«, sprach die Dame.

»Nur zehn, nur fünf Minuten. Es betrifft die junge Dame«, auf Rosa deutend.

»Kommen Sie denn in einer halben Stunde.«

Sechsunddreißigstes Kapitel

Grabesstille herrschte am folgenden Morgen im Speisesaale des Gasthofes zum Bayou Sarah, wo sich die Gäste soeben zum Frühstücke niederließen, als der Donnerruf »ein Dampfschiff!« erschallte. Die Sessel flogen nun in jeder Richtung auseinander, und alle strömten totenbleich zur Türe hinaus auf das Stromufer zu. Nur vier junge Männer, die ihre reichen, goldstrotzenden, roten Uniformen als englische Offiziere bezeichneten, blieben mit unserem Midshipman ganz gemächlich an der vollbesetzten Tafel sitzen.

»Da gehen sie, die glorreichen Yankees«, lachte Kapitän Murray.

»Sind bloß drei darunter, die übrigen sind unsere französischen und deutschen Spargelwächter«, entgegnete Leutnant Forbes.

Diese Spargelwächter, wie sie der launige Engländer nannte, waren die Bewohner des Städtchens, die seit dem Abmarsch der waffenfähigen Mannschaft in ein Korps quasi Munizipalgarden zur Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung vereinigt worden waren, und unter denen sich auch die Herren Gieb und Prenzlau befanden, die sich auf die Ehre, an der allgemeinen Landesverteidigung Anteil zu nehmen, die ihnen vor ihren weniger respektablen Landsmännern, den Herren Merks und Stock, zuteil wurde, nicht wenig einbildeten und ihre frühern Meinungen über die hier herrschende Unordnung gänzlich aufgegeben hatten.

Langweilige Kerle«, rief Kapitän Murray wieder. »Unausstehlich langweilige Kerle, diese Yankees«, versicherte er nochmals, eine Wachtel anfassend, und die Brust von beiden Seiten mit anatomischer Genauigkeit ablösend. »Wenn das Tierchen hier«, beteuerte er, »ein wenig mehr gebraten, statt geröstet wäre, bei Jove! Longs Hotel könnte nichts derlei aufweisen.«

»Ich glaube denn doch, unsere Northumberland-Haunches sind zarter«, versetzte Leutnant Devon, der, den Vorzug seiner landsmännischen Hirschziemer a priori erkennend, nichtsdestoweniger dem amerikanischen die Ehre eines tiefen Einschnittes in die Mitte antat.

»Vergebung«, entgegnete der Kapitän Murray. »Ich spreche von Rebhühnern oder Wachteln, wie sie hier genannt werden, will aber vom Ihrigen später versuchen.«

»Weiß nicht,« fiel Leutnant Forbes ein, der es gleichfalls mit dem Hirschziemer hielt, »aber das will ich Euch sagen, Gentlemen, daß mein Magen von der verdammten Salzsäure so ausgetrocknet war, daß er Sauerampfer angenommen hätte.« Er sah sich etwas vorsichtig nach allen Seiten um. »Verdammt! vier Monate Salzkur. Hol› mich der Henker, wenn diese Kerle nicht verdienen, alle samt und sonders gehängt zu werden. Da kommen wir herüber aus dem schönen Frankreich und dem glühenden Spanien, in der Hoffnung, die Tagediebe werden Räson haben und sich in ihr Los ergeben, und da sind wir nun diese sechs Wochen eingepreßt zwischen See und Sümpfen, ohne auch nur so viel wie ein Haus gesehen zu haben. Nicht vorwärts, nicht rückwärts, und nichts als Pökel- und Salzfleisch und Kartoffeln vom vorletzten Jahre, die wie Madeira bereits dreimal die Fahrt nach Ostindien gemacht haben. Aufwärter, ich danke für ein Glas Madeira. – Hol› mich der – auch kein Aufwärter hier.«

»Und glauben Sie,« sprach Leutnant Connaught zu unserem Midshipman, »daß die Gaudiebe uns auch nur eine frische Kartoffel zukommen ließen? Wenn wir eine Guinee für eine gegeben hätten, so wäre keins ihrer verdammten Ungetüme, die sie Archen oder Flatboote heißen, hinabgekommen. Gemeine Seelen! Gar nichts von dem ritterlichen Geiste der Spanier und Franzosen. Ich versichere Sie, Mister Hodges, selbst in Frankreich waren wir die Hähne in den Körben. Nur schade, die armen Teufel hatten nichts zu geben, als ihre Weiber und ihre Mädchen.«

»Bei Jove! Meine liebliche Doña Isabella y Yrun, y Caldevai, y Madagaskar, y Balthasar, der Teufel weiß —« lachte Leutnant Devon.

»Genug, genug,« fielen alle lachend ein, »die haben mehr Titel als Dollars.«

»Wollte jedoch, ich hätte sie hier, die schöne Isabella«, meinte Leutnant Devon.

»Würde Ihnen nichts helfen, die puritanischen Yankees erlauben einem derlei Zeitvertreib nicht«, versicherte ihn Leutnant Forbes.

»Danke Ihnen nun«, fiel Kapitän Murray ein, »für einen Schnitt Ihres Hirschziemers. Aber, was haben Sie doch mit dem herrlichen Geschöpfe gemacht?«

»Pah! sie Kapitän Richley für eine Schachtel echter Havannas überlassen«; erwiderte ihm der Leutnant ganz gelassen, indem er ihm ein Stück vom Hirschziemer schnitt und reichte. »Der behielt sie bis er sich nach Oporto einschiffte: dann ließ er sie dem alten Caballero zurück, der sie noch haben muß, wenn sie ihre schönen Sünden nicht in einem ihrer jungfräulichen Behälter abbüßt.«

»Ha!« lachte Kapitän Murray, »mit den Doñas und Condesas und Señoras trieben wir es doch wirklich zu bunt! Aber, wissen Sie,« fuhr er zu unserem Seekadetten gewendet fort, »daß wir alle Ursache haben, mit Ihrer Flotte oder vielmehr mit Ihren Kompagnons unzufrieden zu sein? Anstatt uns Zufuhren zu bringen, gingen sie nach Jamaika und ließen sich von den Yankees wegkapern. Überhaupt, Ihr Herren, in diesem Kriege habt Ihr wahrlich nicht viel Ehre eingelegt, die Java weg, der Mazedonian weg, ein halbes Dutzend Fregatten mehr; es darf sich kein königlicher Zweiundfünfziger mehr sehen lassen.«

»Ich glaube, wir stehen so ziemlich al pari«, entgegnete ihm unser Midshipman, dessen Korpsgeist die Anspielung ein wenig verdroß.

»Gewiß, Mister Hodges,« versicherte ihn Leutnant Devon, »wir wollen die Ehre der königlichen Waffen retten, Sie sollen Rache haben für die Frechheit, die sich diese gemeinen Tagdiebe herausgenommen. Ei, ich glaube, sie hätten Sie alles Ernstes gehangen, ohne Rücksicht auf die blaue Uniform.«

»Gerade so, wie sie Major André ohne Rücksicht auf die rote hingen«, entgegnete ihm unser Midshipman.

»Das ist schon so lange her,« lachte der Leutnant, »daß es bald nicht mehr wahr sein wird. Aber Scherz beiseite, Mister Hodges, es wäre doch keine so ganz unebene Sache gewesen. Ein beneidenswerter Tod. Hören Sie nur, wenn wir ins Gras beißen, und diese Grobiane legen es immer zuerst auf die goldenen Epaulettes an, so kräht kein Hahn um uns. Aber Sie wären von Tom und Coleridge besungen und allen Damen betrauert worden. Hol› mich der Henker! Mit sechs Pence, und mehr kostet der Strick nicht, Unsterblichkeit zu erringen, ist wahrlich keine Kleinigkeit. Ihre Gebeine würden, wie die des seligen André, ausgegraben und in der Westminsterabtei kanonisiert worden sein, eine marmorne Tafel mit goldenen Buchstaben darüber, enthaltend: James Hodges Esq.« »Verdammt, die Westminsterabtei und Ihre Possenreißerei dazu«, rief der Midshipman, dem der Scherz, den man sich auf seine Kosten zu erlauben beliebte, allmählich zu bunt wurde.

»Nein, Gentlemen, ich versichere Euch,« sprach Kapitän Murray, »ich kann es begreifen, wie unserem Freunde Mister Hodges nicht so ganz wohl zumut sein mochte. Übrigens kamen Sie doch mit heiler Haut davon, und Sie mögen froh sein; in Europa würde man sich freilich so etwas mit einem britischen Offizier nicht erlauben, aber da haben wir es mit gefügigen Souveränen zu tun, und die Völker kommen in keine Rechnung, aber diese Flegel.«

»Alles und alles zusammengenommen,« fiel ihm Leutnant Forbes ein, »versichere ich Sie, es ist kein so übles Ding, Amerikaner zu sein, und wahrlich, wäre ich kein englischer Gentleman, so wollte ich ein freier Amerikaner sein.«

»Seid versichert,« meinte unser Midshipman, »wenn Ihr noch acht Tage hier seid, so werdet Ihr recht sehr Respekt bekommen. Zwei Lektionen habt Ihr schon.«

»Ah, Connaught, das ist ein Hieb auf Sie«, lachte Leutnant Devon. »Wie sagte der Junge? Er ist, glaub› ich, Kapitän der Spargelwächter. Behaltet den Narren einstweilen bei Euch, und wenn er es nochmals wagt, Damen zu insultieren, werden wir ihm einen andern Ort anweisen.«

»Und ich werde demjenigen, der es wagt, die Ungeschliffenheit dieses groben Yankee zu wiederholen, gleichfalls einen Ort anweisen«; rief der hitzige Irländer. »Bei St. Patrik! das will ich.«

»Pah! da habt Ihr den Sprudelkopf«, fiel Kapitän Murray beschwichtigend ein. »Schade, daß wir keine Pistolen bei uns haben, er schösse sich wahrlich nach dem herrlichen Dejeuner, ohne die Verdauung abzuwarten.«

»Nein, galant«, meinte Leutnant Devon, »sind sie nun einmal sicher nicht. Da sitzen wir bereits an die sechs Tage. Anfangs dachte ich selbst, unsere Gefangenschaft dürfte kein so großes Unglück sein. Wir sind die ersten und haben freie Wahl.«

»Und die Mädchen reich«, fielen ihm die andern ein.

»Eben deswegen, aber stolz wie der Teufel; kümmert sich keine um uns. Und wir sind doch wahrlich keine üblen Kerls«; meinte er, sich wohlgefällig besehend.

»Wir müssen uns rächen«, fielen alle ein.

»Gentlemen!« versicherte Kapitän Murray, »ich habe die Ehre zu verkünden, daß ich ein vortreffliches Frühstück vollendet habe, und nun zur Verdauung was anfangen? Ecarté und rouge et noir sind verboten, seit uns der puritanische Wirt die Karten so sans façon ins Feuer geworfen.«

»Was läßt sich nun tun, das die Yankeeleute verdrießt?«

Unsere vier Kriegsgefangenen ertrugen ihr hartes Los mit gerade so vieler Gelassenheit, als Briten gewöhnlich an Tag zu legen pflegen, wenn sie für ihre leiblichen Bedürfnisse gesorgt wissen und dabei die Freiheit genießen, ihrer Zunge freien Spielraum lassen zu dürfen; eine Freiheit, die sie vielleicht noch besser zu schätzen gewußt haben würden, wenn die Apathie der Yankees, wie sie meinten, für ihre geselligen Vorzüge mehr Empfänglichkeit geäußert hätte. Übrigens schien ihr Ungehaltensein auf die ungeregelten militärischen Bewegungen dieser Yankees, die so ganz ohne Komplimente mit nicht mehr als sechzehnhundert Mann auf ein Korps von achttausend sogenannter britischer Veteranen losgingen und beinahe zwei Kompagnien der königlichen Grenadiere von dem Hauptkorps abschnitten und auf gute Yankeemanier erbeuteten – doch nicht so ganz von Herzen zu kommen.

»Der Nebel ist verschwunden«, bemerkte Leutnant Devon, der mit seinen Kriegsgefährten sich unterdessen von der Tafel erhoben und zum Fenster getreten war.

»Die Sonne bricht hervor wie an einem Londoner Maitage«, setzte Leutnant Forbes hinzu. »Schade, daß das herrliche Land nicht britisch ist.«

»Wird hoffentlich bald werden,« bemerkte Leutnant Devon, »die Hauptstadt ist bei dieser Zeit unser. – Wollen wir auf die Bluffs; die Uferhöhen?«

»Die Bluffs«, lachten alle. »Fürwahr, diese Yankees werden noch ein eigenes Englisch erfinden; doch halt, da kommt eins ihrer wirklich prachtvollen Dampfschiffe herauf.«

»Wohlan, vielleicht etwas Neues. Habt Ihr bemerkt, wie sie bleich wurden und Reißaus nahmen; ein gutes Vorbedeutungszeichen«, meinte Leutnant Devon.

Und mit diesen Worten setzten sich unsere Helden in Bewegung.

Der Donner der Kanonen ließ sich vom Dampfschiffe Missouri hören, die Flagge der Staaten vom Hinterkastelle wehend. Das ganze Dampfschiff wimmelte von roten Uniformen. Als es einlief, trat Leutnant Parker aus dem Schiffe, nach ihm ein Zug uniformierter Milizen und britischer kriegsgefangener Offiziere und Soldaten.

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
30 ağustos 2016
Hacim:
590 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain

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