Kitabı oku: «Kryptonit», sayfa 5

Yazı tipi:

Verdammt. Ich musste noch näher ran. Ich stand jetzt nur noch ein paar Meter von beiden entfernt und wunderte mich, dass mich keiner bemerkte. Pia lachte hämisch.

„Und warum hat er mir das nie erzählt?“

„Damit du nicht eifersüchtig wirst.“

„Auf dich?“ Pia lachte noch lauter.

Sie drehte sich um, um zu gehen. Dann stolperte sie fast über mich. Ich stand fassungslos neben den beiden und verstand die Welt nicht mehr.

„Obie! Hast du das gehört?“

Sarah sah erschrocken auf und versuchte die Fassung zu bewahren.

„Tobias…“

„Was ist hier los?“ fragte ich endlich.

Beide sahen mich mit großen Augen an. Sarah erlangte schließlich ein paar Sekunden später ihre Fassung zurück und antwortete.

„Erzähl ihr, was damals passiert ist!“ verlangte sie.

Ich hatte keine Ahnung wovon sie sprach. Beide Frauen sahen mich erwartungsvoll an.

„Was meinst du?“

„Auf der Party von Micha. Der Dachboden. Du musst nicht mehr so tun, als ob du dich nicht erinnerst.“

In meinem Kopf spielten sich im Zeitraffer Szenen aus meiner Jugend ab. Parties mit meinen Schulfreunden. Sarah war auch in unserer Clique. Jedes mal wenn eine Erinnerung aufblitzte, verdunkelte sie sich nach wenigen Sekunden. Ich wusste warum. Ich versuchte mich an eine Party von Micha zu erinnern. Ich versuchte. das Stichwort „Dachboden“ in meinem Gehirn hinzu zu fügen. Jedes Mal brach die Erinnerung ab. Ich wusste warum. Ich hielt meine Schläfen und gab zu:

„Ich erinnere mich nicht an diese Zeit.“

„Was meinst du damit? Du weißt gar nichts mehr?“ fragte Sarah ungläubig.

„Ich weiß nichts mehr von den Parties. Es war nicht meine hellste Stunde. Ich hab viel Scheiß gemacht zu der Zeit. Es tut mir leid, aber ich kann mich nicht mehr erinnern, was auf dem Dachboden passiert ist.“

Sarah wirkte sehr resigniert. Sie sah nervös zu Boden und suchte Halt. Aber fand ihn nicht.

„Obie, was ist hier los? Sarah behauptet, ihr hättet etwas am Laufen gehabt damals.“

Oh, Fuck. Echt? Ich wusste warum ich mich nicht erinnern konnte. Aber jetzt war der Zeitpunkt gekommen, es allen mitzuteilen. Und ich hatte ein scheiß Angst. Ich schämte mich für mein damaliges Verhalten.

„Ich… Es war eine doofe Zeit. Ich war oft zugedröhnt. Ich habe…“ Ich brach ab. Und holte tief Luft. Alle warteten auf eine Erklärung.

„Ich hab damals einige Experimente mit Drogen gemacht und zu der Zeit habe ich Pillen geschluckt. Ich weiß wirklich nicht viel von den Abenden. Es tut mit leid.“

Es war mir peinlich wie Hölle. Ich fühlte mich wie ein Vollidiot. Vor allem, weil zwei Frauen vor mir standen mit den unterschiedlichsten Gefühlen und ich einfach nur gehen wollte. Aber beide sahen mich an, als ob ich noch so einiges zu erklären hatte. Ich stand weiter da und ließ mich anstarren. Chris war mittlerweile zu uns vorgedrungen und stand zusammen mit Alex einige Meter abseits und bot durch seine Anwesenheit seine Hilfe an. Keiner wusste, was er noch sagen sollte. Also entschloss ich mich dazu, den nächsten Schritt zu machen.

„Sarah, wollen wir ein Stück zusammen gehen und du erzählst mir alles, was damals passiert ist?“

Sie zog die Augenbrauen zusammen und sah mich verständnislos an.

„Du weißt es wirklich nicht mehr?“ fragte sie ungläubig.

„Es tut mit leid, ich weiß echt nichts mehr, Sarah.“

Pia stand neben mir und wusste nicht wie ihr geschah. Sie sah mich verwirrt an und dann wieder zu Sarah. Ich hatte ihr nie von meiner Drogensucht erzählt. Denn das war es damals. Ich habe die Tragweite zu dieser Zeit damals nicht erkannt, aber ich war drogensüchtig. Ich schluckte Pillen, weil ich süchtig war nach den Gefühl des Loslassens und der Freiheit, die es mir gab. Ich musste keine Konsequenzen tragen für mein Verhalten, denn ich wusste ja nichtmal, was ich getan hatte.

„Komm, wir gehen ein Stück.“ sagte ich zu Sarah.

Sie nickte und setzte sich in Bewegung. Pia lehnte sich an Chris. Er legte einen Arm um sie und ich war froh, dass sie jemanden hatte, der sie jetzt auffing. Sarah und ich gingen weiter den Strand runter.

„Es war eine Party bei Micha. Du warst gut gelaunt, wie immer. Und du hast mit mir geflirtet. Du hast meine Nähe gesucht. Definitiv. Du weißt, dass ich niemand bin, der sich leichtfertig hingibt, wenn jemand mit mir flirtet. Aber ich fand dich schon immer süß und habe einfach die Gelegenheit genutzt. Du warst ziemlich forsch und abenteuerlustig. Es gab einen Dachboden und wir sind einfach die Leiter hinauf gestiegen und haben rumgeknutscht. Und naja… Irgendwie ist dann noch mehr passiert.“

Ich konnte nichts mehr denken. Ich hatte mit Sarah geschlafen? Das war so jenseits von Gut und Böse, dass ich es kaum in Worte fassen konnte. Ich sah nur zu Boden und schüttelte ungläubig den Kopf.

„Wir hatten Sex?“ fragte ich zur Sicherheit.

„Naja, nicht ganz. Aber alles andere außer das.“

Das beruhigte mich etwas. Wir waren jung und Sex mit jemanden zu haben, bedeutete noch mehr als heute. Ich nickte trotzdem schuldbewusst, weil es darauf gar nicht ankam.

„Sarah…“ fing ich schwer meine Entschuldigung an.

„Es tut mir so leid, dass ich das einfach vergessen habe. Ich hoffe, du weißt, dass das nichts mit dir als Person zutun hat, sondern, dass ich einfach nicht Herr meiner Sinne war. Das war so eine schwierige Zeit für mich. Ich habe total rebelliert und niemals an Konsequenzen gedacht. Ich hoffe, du kannst das verstehen.“

Sarah sah mich mit hoch gezogenen Augenbrauen an.

„Ob ich das verstehen kann? Es fällt mir ehrlich gesagt schwer. Wie kann es sein, dass du dich nicht erinnerst? Ich meine, ich dachte die ganze Zeit das wäre der Grund, warum du in die WG eingezogen bist.“

Wow. Das hatte sie gedacht? Sie dachte, ich würde ihre Nähe suchen. Zu dem Zeitpunkt war es Jahre her, dass das mit uns gelaufen sein muss.

„Okay?! Wie meinst du das?“

„Naja, ich dachte du stehst auch heimlich auf mich und willst in meiner Nähe sein. Und dann ist Pia dazwischen gegrätscht.“

„Was meinst du mit ‚auch‘?“

Sarah schluckte. Langsam wurde ihr klar, dass wir anscheinend völlig aneinander vorbei redeten.

„Ich… wie soll ich das sagen? Ich dachte das wäre offensichtlich. Ich stehe auf dich, Tobias. Ich habe die ganze Zeit versucht, dich zu erobern. Ich hatte ja keine Ahnung, dass du dich nicht mehr an unsere verbundenen Momente erinnerst. Ich dachte, das wäre ein Spiel oder so.“

Irgendwie tat jedes Wort von ihr weh. Weil sie so krass daneben lag, wie sie nur konnte. Aber auch, weil sie mir so leid tat, dass alles was sie sich bisher ausgedacht hatte, keinen Sinn mehr ergab. Und ich wusste was das bedeuten konnte.

„Sarah, ich weiß nicht, was ich anderes dazu sagen soll, als dass es mir leid tut! Ich war zu der Zeit zu nichts zu gebrauchen. Ich war völlig in meinem Tunnel. So hart es klingt… Aber vermutlich hatte all das nichts mit dir zutun. Du bist zufällig ausgewählt worden und mir hat es nichts bedeutet.“

Wow. Das war hart. Aber wahr. Und ich musste es einmal so klar sagen. Sarahs Augen füllten sich mit Tränen. Es schmerzte mich, sie so zu sehen, aber es brachte ja nichts, ihr etwas vor zu machen.

„Warte, Sarah!“ rief ich ihr noch hinterher.

Sie drehte sich nicht um. Sie ließ mich alleine stehen. Und es war ihr gutes Recht! Ich war alleine mit meinen Gedanken. Und ich war etwas froh darum. Ich ließ sie ziehen und ging in die andere Richtung des Strandes. Ich dachte über meine Zeit als Drogensüchtiger nach. Es klang so hart, aber es war wahr. Ich war süchtig nach den Pillen. Ich konnte keine Party ohne sie feiern. Ich tat Dinge, die ich nicht kontrollieren konnte. Und das, was ich über diese Dinge wusste, war nur die Spitze des Eisbergs. Nach dem, was ich von Sarah erfahren hatte, schossen mir so viele Dinge durch den Kopf, was sich alles noch im Verborgenen befand. Und ich fühlte mich so machtlos dabei.

Was hatte ich noch alles getan und dann vergessen?

Kapitel 8

Es war noch kalt an diesem Morgen und ich hatte einen Hoodie über gezogen. Es war nahezu windstill und so rauschten die Wellen heute ganz besonders ruhig. Ich ging barfuß durch das kalte Wasser und sah auf die Berge, die den See umgaben. Die Spitzen hingen in den Wolken fest und es lag ein feuchter Nebel auf dem Wasser. Wenn ich hier unten war und die unberührte Natur mich umgab, konnte ich mich wieder spüren. Ich war ehrfürchtig und beruhigt, dass es etwas Größeres gab als meine Gedanken. Die Gedanken an die dunklen Flecken in meinem Kopf, die ich nicht füllen konnte. Es zermürbte mich fast, dass ich das nicht mehr aufarbeiten konnte. Ich schämte mich. Sarah hatte mir erst klar gemacht, was ich in dieser Zeit, an die ich mich nicht erinnern konnte, alles hätte anstellen können. Es stellte einfach alles in Frage. Ich hatte das Gefühl, mich erst wieder selbst finden zu müssen und einen Weg zu finden, wie ich mit dieser Vergangenheit leben konnte. Wie ich es akzeptieren und mich wie vorher annehmen konnte. Um das zu erarbeiten kam ich jeden Morgen hier runter. Ich schlief ohnehin schlecht und weckte Pia oft mit meinem Herumgewälze morgens auf der Isomatte. Ich ging also früh morgens zum See und lief soweit ich wollte. Dann drehte ich wieder um. An manchen Tage hatte ich auch keine Lust zu gehen. Dann setzte ich mich einfach an den Strand und schaute den Wellen zu, wie sie auf und ab gingen.

Ich hatte in den letzten Tagen wenig Energie, um etwas zu unternehmen. Pia gab sich alle Mühe, mich aufzubauen und zu motivieren. Aber ich brauchte einfach diese Zeit um nachzudenken. Ich kapselte mich von Allen ab und zog mich zurück. Pia wusste langsam nicht mehr, was sie noch mit mir anstellen sollte. Sie unternahm viel mit Raffi oder Alex oder machte eine Tour mit Chris, während ich auf den Haushügel stieg und einfach stundenlang auf den See starrte. Ich war froh, dass die anderen sie auffingen, weil ich das gerade nicht konnte. Pia steckte mein Geständnis mit den Pillen nicht gerade leicht weg. Sie machte sich große Sorgen und versuchte mit mir zu sprechen. Mir fiel es schwer, etwas aus dieser Zeit mit ihr zu teilen. Sie warf mir vor, kein Vertrauen zu ihr zu haben und wir stritten viel. Es waren einige schwere Tage für uns.

Ich hatte mich mit Sarah nochmal ausgesprochen, aber irgendwie stand immer, wenn wir uns begegneten dieser Elefant im Raum und wir hatten uns letztlich noch mehr distanziert, als vorher.

Ich kam wieder nach oben und holte mein Handtuch und den Kulturbeutel aus dem Zelt. Pia wurde gerade wach und setzte sich in ihrem Schlafsack auf.

„Obie?“ fragte sie verschlafen. „Warst du wieder am Strand? Wie spät ist es?“

Ich gab ihr einen kleinen Kuss.

„Ich wollte dich nicht wecken. Ich gehe jetzt eben duschen und dann gibt es Frühstück. Willst du noch weiter schlafen?“

Sie streckte sich und gähnte.

„Nein, ich glaube ich stehe auf. Wie geht es dir?“ fragte sie und legte eine Hand auf mein Knie.

Ich wollte eigentlich nicht reden. Seit Tagen behandelte sie mich wie einen Kranken und sprach ständig in diesem mitleidigen Ton mit mir. Sie meinte es gut, aber es nervte mich.

„Mir geht es gut.“ sagte ich schroff und wandte meinen Blick ab. „Ich arbeite weiter an mir. Ich brauche einfach diese Zeit zum Nachdenken, Pia. Es gibt keinen Grund mich zu bemitleiden. Ich habe Fehler gemacht und muss jetzt damit klar kommen.“

Pia nahm schnell ihre Hand von mir.

„Ja. ICH muss auch damit klar kommen, Toby.“ entgegnete sie mir vorwurfsvoll. „Mir bietet dabei nur leider keiner Hilfe an, weil du dich immer mehr von mir entfernst und mich zurückweist. Wenn du doch nur mit mir reden würdest und mir erzählst, was dich beschäftigt… Stattdessen machst du alles mit dir selber aus. Ich fühle mich so alleine gelassen mit meinen Gedanken dazu.“

Es tat mir leid, dass auch sie darunter leiden musste, wie ich mich verhielt, aber ich konnte irgendwie nicht aus meiner Haut.

„Pia, ich will nicht, dass du diesen Teil von mir kennen lernst. Ich kann dir ja auch kaum was darüber erzählen, weil ich mich einfach nicht erinnere.“

„Ich verlange nicht, dass du mir alles darüber erzählst. Ich will nur wissen, was dich so beschäftigt, dass du stundenlang nachdenken musst. Dieser Teil deines Lebens gehört doch zu dir!“

„Das ist ja das Schlimme…“

„Nein, ist es nicht, Obie!“ Sie rutschte zu mir heran und legte ihre Stirn an meinen gesenkten Kopf. „Ich bin mit dir zusammen, weil ich dich so mag wie du bist. Was du getan und erlebt hast, hat dich doch zu der Person gemacht, die du bist. Ich akzeptiere das alles. Du wärst nicht du, wenn du das damals nicht erlebt hättest. Ich habe in meiner Pubertät auch rebelliert und so einiges getan, worauf ich nicht stolz bin. Ich habe geklaut und die Schule geschwänzt. Das sind ehrlich gesagt nur harmlose Beispiele. Ich verlange nicht, dass du aufhörst, darüber nachzudenken. Aber bitte komm zu mir zurück. Hör auf, mich auszuschließen, sprich mit mir und ich werde dir helfen.“

Mir kamen die Tränen und ohne den Kopf zu heben, weinte ich einfach an Pias Schulter. Ich ließ alle Emotionen raus, die ich zurück gehalten hatte und es tat so gut, einfach von ihr gehalten zu werden. Was sie gesagt hatte berührte mich so sehr. Und, was ich damals erlebt hatte oder auch der Moment in dem mir klar wurde, dass ich damit aufhören musste, hatte wirklich meine Persönlichkeit beeinflusst. Ich war seitdem vorsichtiger und umsichtiger. Ich hatte mehr Empathie für andere und lebte nicht mehr ohne Rücksicht auf Verluste. Ich hatte irgendwie verdrängt, welche starke Bindung Pia und ich hatten und wie vertraut wir uns sein konnten. Ich dachte wirklich, ich müsste das alles mir mir selbst ausmachen. Mir wurde bewusst, dass mein Verhalten auch eine Art war, mich selbst zu bemitleiden und zu bestrafen. Und, dass ich darin aufging. Ich musste das hinter mir lassen und nach vorne blicken. Pia hatte Recht. Es gehörte zu mir.

„Danke.“ war alles, was wir brauchten, um wieder zueinander zu finden. „Ich liebe dich.“ fügte ich hinzu ohne eine Antwort zu erwarten. Es war eine einseitige Aussage. Das machte sie nicht weniger wahr. Ich liebte Pia. Pia wollte gerade antworten, aber ich legte meinen Finger auf ihre Lippen und küsste sie.

„Nimm es einfach an.“ sagte ich noch und sie lächelte.

Als ich aus der Dusche kam, fühlte ich mich wieder wie ein normaler Mensch. Ich war bereit, die Vergangenheit hinter mir zu lassen. Ich ging zum Frühstück und setzte mich zu meinen Mitbewohnern an den Tisch.

„Morgen, Alter.“ begrüßte mich Raffi wie jeden Morgen. Ich hielt ihm meine Faust entgegen und er schlug ein. Raffi war der Einzige, der mich jeden Morgen so gut gelaunt begrüßte. Er schaute mich anerkennend und freundlich an und versuchte, sich einfach normal zu verhalten. Nachdem wir uns am Buffet eingedeckt hatten, saßen wir alle zusammen am Tisch. Einige schwiegen, einige quatschten. Ich schaute mir unsere Runde an und war froh, uns endlich mal wieder so bewusst wahr zu nehmen. Ich hatte die letzten Tage nur schweigend am Tisch gesessen und auf mein Baguette oder den See gestarrt. Alex und Dennis machten einen schwer verliebten Eindruck. Sie warfen sich innige Blicke zu und fummelten heimlich unter dem Tisch, während wir aßen. Sie dachten, es würde keiner sehen. Oder vielleicht war es ihnen auch egal. Ich freute mich sehr für Alex, dass sie jemanden gefunden hatte, mit dem sie sich so gut verstand. Ich lächelte den beiden zu. Sarah war leider noch distanzierter, als ich es gewohnt war. Sie saß aufrecht und gefasst und aß ihr Frühstück. Mich würdigte sie keines Blickes und Pia sah sie sogar abschätzig an. Ich versuchte, mich nicht zu sehr von ihr wieder in die negative Stimmung ziehen zu lassen. Sascha war wie immer ein Fels in der Brandung. Ich liebte das an ihm. Er war einfach immer Sascha, egal was auf ihn einprasselte. Ich beneidete ihn dafür. Und dann war da noch Raffi. Mein bester Freund. Auch er hatte die letzten Tage versucht, an mich heran zu kommen. Er hatte mir angeboten, etwas zu unternehmen. Mich morgens an den Strand zu begleiten. Mit mir im Camp zu bleiben, während die anderen eine Tour machten. Ich lehnte stets ab. Genau wie bei Pia. Ich war so froh, dass die beiden dran blieben, bis sie endlich an mich heran kamen. Raffi war der Einzige, der bemerkte, dass sich meine Stimmung verbessert hatte. Er schaute mich beiläufig an und dann veränderte sich sein Blick. Er bemerkte, dass ich glücklich in die Runde schaute und mit leicht zusammen gezogenen Augenbrauen, als ob er seinen Augen nicht traute, lächelte er mich fragend an. Ich nickte ihm zustimmend zu.

Nach dem Frühstück spülte Pia mit Chris das Geschirr ab. Die beiden diskutierten angeregt und ich konnte sehen, dass Pia angespannt war und Chris anmotzte. Ich konnte nicht erkennen, worum es ging. Aber ich hatte irgendwie das Gefühl, dass sich die Stimmung zwischen den beiden verändert hatte. Einerseits waren sie vertrauter, weil sie in den letzten Tagen viel Zeit zusammen verbracht hatten. Andererseits war – vielleicht gerade dadurch – das Konfliktpotenzial gestiegen. Sie stritten wie Freunde.

„Toby, mein Guter!“

Raffi setzte sich zu mir und legte mir einen Arm um die Schultern.

„Geht es dir besser? Bist du mit deiner Selbstreflexion voran gekommen.“

„Das war eine Sackgasse, glaube ich. Die Erinnerungen kommen ja nicht wieder zurück, also kann ich das auch nicht aufarbeiten. Aber die Zeit zum Nachdenken tat gut. Ich kann jetzt damit umgehen. Ich hatte heute Morgen aber vor allem mit Pia nochmal ein gutes Gespräch, bei dem mir einiges klar geworden ist.“

„Oh Mann, da bin ich echt froh. Sie hat ganz schön darunter gelitten, dass du sie so sitzen gelassen hast. Sorry, dass ich das so sage.“

Mein Lächeln verschwand und mir wurde schlagartig klar, dass ich wirklich einiges verpasst hatte. Als wäre ich nicht da gewesen. Raffi fuhr fort.

„Pia hat sich, genau wie ich totale Sorgen um dich gemacht, weil du dich so verschlossen hast. Wie geht es dir jetzt?“

„Gut. Ich denke, ich komme damit klar. Ich habe verstanden, dass ich es nicht ändern kann. Ich muss es akzeptieren. Am schwersten fiel mir die Frage, ob Pia diesen Teil meiner Vergangenheit annehmen könnte. Aber sie war so verständnisvoll und lieb. Ich habe echt die beste Freundin.“

„Ja, Mann. Du kannst dich wirklich glücklich schätzen. Aber lass sie nicht mehr so alleine mit ihren Gedanken. Ich weiß nicht, was das mit ihr gemacht hat.“

„Wie meinst du das?“

„Ich finde nur, sie hat sich die letzten Tage verändert. Was es ist, kann ich nicht sagen. Sie war auch zu mir sehr distanziert. Wollte nicht über dich sprechen. Ich meine nur, fang sie auf wenn sie fällt. Ihr hat das mehr zugesetzt, als sie zugeben mag. Sie braucht deine Nähe jetzt wieder, Toby.“

„Danke, Raffi. Ich glaube, das würde sie so nicht vor mir zeigen, weil sie denkt, ich habe genug mit mir selbst zutun. Ich bin jetzt wieder für sie da.“

Ich machte mir totale Sorgen um Pia. Ich war so mit mir selbst beschäftigt, dass ich mir kaum Gedanken machte, wie es ihr dabei ging.

Raffi stupste mich mit dem Ellbogen an.

„Ich organisiere jetzt etwas. Mach einfach mit!“

Er klatsche in die Hände wie ein Klassenlehrer, der das Getuschel der Pause unterbrechen wollte.

„Leute! Wir machen heute eine Mountainbiketour. Wir alle! Als WG. Naja, und Chris und Dennis… Keine faulen Ausreden. Also wer ist dabei?“

Ich wusste Raffis Engagement zu schätzen und hob die Hand. Sascha und Alex waren auch sofort dabei. Pia war gerade mit Chris vom Spülen nach oben gekommen und legte ihren Arm um meine Hüfte, während auch sie die Hand hob. Chris grinste Pia und Raffi an und hob mit einem „Klar!“ ebenfalls seine Hand. Sarah verdrehte die Augen und ging Richtung Zeltplatz nach unten.

„Sarah! Komm schon!“ rief ihr Alex nach.

„Nein, Danke.“ antwortete sie.

Alex zuckte nur mit den Schultern und schüttelte den Kopf. Kurzentschlossen rannte ich Sarah nach, um mein Glück zu versuchen.

„Sarah!“ rief ich ihr hinterher.

Sie ging weiter, als hätte sie mich nicht gehört.

„Sarah, warte mal kurz!“

Sie ignorierte mich weiter. Endlich erreichte ich sie und hielt sie an der Schulter zurück.

„Machst du das wegen mir?“

Sie drehte sich um und sah mich abschätzig an.

„Das heißt ‚meintwegen‘ und nicht ‚wegen mir‘. Und es ist nicht deinetwegen, sondern weil ich Mountainbike fahren, genauso wie alles andere an diesem Urlaub hasse. Beantwortet das deine Frage?“

„Es ist das erste Mal, dass wir alle was zusammen machen wollen. Spring über deinen Schatten! Raffi hat das extra für uns organisiert. Du kannst dich doch jederzeit ausklinken, wenn du nicht mehr kannst.“

Sie bekam große Augen und zog die Augenbrauen hoch.

„Wenn ich nicht mehr kann?! Denkst du, ich mag kein Fahrrad fahren, weil ich keine Kondition habe?! Ich war viele Jahre beim Ballett und habe zudem Schwimmen auf einem Leistungslevel betrieben, von dem die meisten hier träumen würden.“

Sie schob mich mit zwei Fingern an der Schulter zur Seite und ging wieder nach oben. Etwas perplex eilte ich ihr hinterher und war gespannt, was passierte.

„Ich bin dabei! Aber nur, wenn wir keine Kindertour machen.“

Raffi sah sie verwundert an. Alex und Dennis fingen laut an zu lachen.

„Recht hat die Frau! Ich hoffe du hast eine Herausforderung geplant.“ stimmte Sascha ihr zu.

Pia lächelte, aber verdrehte auch die Augen. Das mit den Beiden würde in diesem Leben wohl nichts mehr werden.

Die Tour fing gut an, denn es ging bergab. Der Wind blies mir um die Ohren und ich war hochmotiviert. Bis wir unten am See ankamen. Meine anfängliche Euphorie ebbte schon nach wenigen Kilometern ab und ich kämpfte mich von einem Tritt zum Nächsten. Ich versuchte natürlich, mir nichts anmerken zu lassen, aber es gelang mir nicht wirklich. Raffi fuhr ganz hinten, angeblich um zu überblicken ob wir alle zusammen bleiben. Aber er wusste auch, dass es einfach sein würde, hinter einer Schnecke wie mir her zu kriechen. Dabei wurde er auch nicht müde, schlaue Sprüche an die Gruppe zu richten.

„Leute, ihr müsst demmeln! Erst wenn ihr aufhört zu treten, bleibt ihr stehen.“

Als Feedback für seine ‚Motivation‘ erntete er genervte Blicke nach hinten, hochgehaltene Mittelfinger und ein „Halt die Fresse!“ von Alex. Die meisten ließen sich ihre Erschöpfung nicht anmerken, wenn sie sie überhaupt verspürten. Chris spielte seinen drahtigen Sportlerkörper voll aus und fuhr mit gemächlichen Tritten neben Sarah, die wirklich nicht zu viel versprochen hatte und keinerlei Probleme hatte mit ihm Schritt zu halten. Sie unterhielten sich dabei noch angeregt. Und lachten(!) Nur Dennis und Pia gaben mir annähernd das Gefühl, dass es angebracht wäre, erschöpft zu sein.

„Ich kann nicht mehr!“ stöhnte Pia nach hinten zu mir.

Im Chor bettelten wir:

„Raffiiii?!“

„Oookaaay. Wir machen eine Pause.“ hatte er ein Einsehen mit uns.

Dennis atmete erleichtert auf und wir fuhren die nächste Wiese an. Auf der Wiese setzten wir uns in die Sonne und tranken etwas Wasser. Pia lag mit ihrem Kopf auf meinem Schoß und atmete immer noch schwer. Sie hatte die Augen geschlossen und hielt sich an meinem Unterarm fest, während sie wieder zu Atem kam.

„Obie?“

„Hmmm?“

„Ich bin froh, dass ich dich wieder habe und es dir besser geht. Ich habe meinen Ruhepol vermisst. Es war schlimm für mich dich so nachdenklich und traurig zu sehen. Und vor allem, dass du dir nicht von mir helfen lässt.“

„Ja, ich bin auch froh, dass ich wieder ich bin. Es tut mir leid, dass ich nicht mit dir gesprochen habe. Ich hatte Angst, dass du mich verurteilst. Weil ich das selbst getan habe.“

Pia hatte sich aufgesetzt und sah mich an. Sie streichelte meine Wange mit dem Daumen und küsste mich dann. Alle Geräusche um uns herum verschwanden und ich fühlte mich frei mit ihr. Durch ein Händeklatschen direkt neben unseren Köpfen wurde ich wieder in die Realität zurück geholt. Wir zuckten zusammen und öffneten die Augen.

„So, Kölner Party WG! Packt mal langsam wieder zusammen! Wir müssen weiter fahren. Und sammelt mal eure Kräfte, ungeplante Pausen wie diese bringen den Tourenplan völlig durcheinander und halten außerdem die Gruppe auf.“

Raffi hatte wieder seine Rolle als Klassenlehrer eingenommen und grinste uns auffällig an, während er ein letztes Mal die Hände zusammen schlug und sich wieder auf sein Bike schwang. Im Vorbeigehen kniff ihm Pia ins Ohrläppchen und raunte ihm noch zu:

„Werd nicht frech, mein Freund!“

Wir fuhren weiter und leider ‚sammelten wir nicht unsere Kräfte‘, sondern riefen nach und nach alle irgendwann „Raffiiii?!“ Und er hatte mit jedem von uns ein ‚Einsehen‘.

Die Tour war wirklich toll und es fühlte sich super an als WG-Gruppe unterwegs zu sein. Pia und ich gingen zu Sarah auf Abstand, um keine unnötige Spannung zu erzeugen und dadurch funktionierte alles prima. Wir kamen schließlich an unserem Zielort an, einem weiteren kleinen Dorf. Ein paar von uns gingen in den Supermarkt um Mittagessen für uns alle zu organisieren. Ich hatte mich mit meiner Zigarette in den Schatten gesetzt und war froh, dass der schwierigere Teil der Strecke geschafft war. Ich war wieder hoch motiviert für den Rückweg. Als unsere Freunde wieder aus dem Supermarkt kamen, waren alle in schallendes Gelächter ausgebrochen. Chris hatte einen Arm um Pia gelegt und sie schaute lachend zu Boden.

„Pia, du bist so geil!“ rief Raffi, immer noch lachend.

Sie kamen auf mich zu und ich war gespannt, warum sie so lachten.

„Was hat sie jetzt wieder angestellt?“ fragte ich neugierig.

Chris ergriff das Wort.

„Pia wollte nach dem Wechselgeld fragen. Denke ich zumindest. Was wolltest du eigentlich genau sagen?“

„Wechseln. Changer heißt das doch. So wie im englischen change. Und wo ist mein heißt ‚Ou est mon‘ Naja, ich war nah dran.“

„Seit wann kannst du französisch?“ fragte ich sie ungläubig.

„Kann sie ja nicht.“ streute Raffi lachend ein.

„Was sie jedenfalls sagte war ‚Ou est mon jambe‘ statt ‚changer‘, was übrigens – nichts für Ungut – auch nicht Wechselgeld heißt, meine Liebe.“ fuhr Chris fort und brach wieder in Lachen aus.

„Die Kassiererin beugt sich jedenfalls angestrengt über die Kasse, zeigt an mir runter und sagt irgendwas mit ‚Voilá! Jambe.‘ Chris ist hinter mir schon völlig am Ausrasten vor Lachen und ich versteh gar nichts. Ich dachte, ich soll mir Geld vom Boden aufheben. Dann hat Alex mich endlich aufgeklärt.“

Alex löste auf:

„Pia hat gefragt ‚Wo ist mein Bein?‘ Und die Kassiererin wusste gar nicht wie ihr geschah. Aber sie hat sich auch echt ein bisschen über dich lustig gemacht.“

Ich musste auch lachen, aber es war so eine typische ‚da muss man dabei gewesen sein‘ Aktion. Und ich war nicht dabei. Stattdessen hatte Chris immer noch einen Arm um Pia gelegt und zog sie lachend an sich heran. Ich fühlte mich ausgeschlossen, aber versuchte nicht die Stimmung zu verderben. Ich lachte etwas mit der Gruppe mit. Dann stand ich auf und nahm Pias Hand, um sie aus seiner Umarmung heraus zu ziehen.

„Hey, sollen wir uns ein bisschen das Dorf ansehen?“ fragte ich sie und zog sie besitzergreifend zu mir und aus Chris Armen heraus. Wir gingen ein paar Meter von den Anderen weg. Ich wusste, dass das in unserem Fall sowas wie ‚eine Szene machen‘ war, aber mir hallten immer noch Dennis Worte durch den Kopf, der sagte ‚Auf die musst du aber aufpassen!‘ Pia sah mich sauer an. Damit hatte ich gerechnet.

„Was soll denn das?“ raunte sie mich flüsternd an, während ich sie von der Gruppe weg führte. „Ich bestimme immer noch selber, wann ich wo hin gehe, Obie. Du weißt, dass ich es nicht schätze, wenn du so eine Szene machst.“

„Sorry, ich komme grad nicht darauf klar, wie nah ihr euch seid.“

„Es tut mir leid, dass du dich dabei unwohl fühlst. Du kennst mich doch und du weißt, dass ich zu dir gehöre. Und du weißt auch, dass ich das nicht haben kann mit der Eifersucht.“

Das wusste ich alles. Ich nickte schuldbewusst, aber umklammerte immer noch ihre Hüfte. Ich wollte sie nicht loslassen. Ich hatte gehofft, sie spielt mit und macht mir später die Moralpredigt.

„Ich war die letzten Tage so abwesend, dass ich das Gefühl habe, ich müsste was mit dir aufholen. Ihr seid euch alle so vertraut.“

Pia sah mich an und wandte sich in meinem festen Griff mir zu. Sie küsste mich leidenschaftlich und lange, in dem Wissen, dass die Gruppe uns beobachtete, löste dann aber vorsichtig meine Hände von ihrem Körper und ging lächelnd wieder zu den Anderen zurück.

„Wir schauen uns später das Dorf an.“ erklärte sie ihnen. „Lasst uns erstmal alle zusammen essen!“

Das war deutlich. Der Kuss war ein Friedensangebot, aber meine Aktion fand sie gar nicht cool. Es war auch eigentlich gar nicht meine Art. Es war nur so über mich gekommen. Auch ich ging wieder zurück zur Gruppe und wir aßen Sandwiches und Wraps aus dem Supermarkt.

Bevor wir die Rückfahrt antraten, erinnerte Raffi mich noch an die nächste Herausforderung, die uns heute Abend bevor stand.

„Bist du bereit für heute Abend?“ fragte er lachend.

„Wieso, was ist denn heute Abend?“

„Karaoke!“

„Ich bin nicht bereit. Wobei ich ja nichts zu befürchten habe. Ich singe eh nicht.“

Raffi schaute mich enttäuscht an.

„Ach, komm schon! Warum denn nicht? Unter der Dusche singst du doch auch.“ forderte er.

„Die Antwort ist nein. Ich bin nicht dafür gemacht vor Publikum zu singen.“

„Es ist betrunkenes Publikum, das selbst auch vor Publikum singt. Also…“

„Raffi, nein!“ war mein letztes Wort zum Thema Karaoke.

„Ich habs dir gesahagt…“ sang Pia leise durch ihre Zähne hindurch, als sie neben mir ihr Fahrrad auf schloss.

Es war tatsächlich so, dass der Rückweg sich relativ angenehm gestaltete. Es ging tendenziell gerade oder bergab. Als wir am Camphügel ankamen, fiel mir wieder ein, dass da ja noch was war… Resigniert stieg ich ab, während Alex, Sascha, Chris und Sarah die Gänge nach unten schalteten und winkend nach oben fuhren. Wir anderen zogen es vor zu schieben.

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