Kitabı oku: «Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?», sayfa 17

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Korruption bei Siemens muss als übliche und institutionalisierte Geschäftspolitik zur Erlangung von Aufträgen gewertet werden, die zudem als strafrechtlich relevant – und damit kriminell – erkannt wurde. Dafür sprechen folgende Gesichtspunkte: Zum einen handelte es sich um Auslandsbestechung. Im Bereich der Inlandsgeschäfte wurde deutliche Zurückhaltung geübt, was darauf hindeutet, dass den Beteiligten die Strafbarkeit ihres Tuns bewusst war und der Aspekt der Aufdeckungswahrscheinlichkeit sowie – kulturell bedingte – Akzeptanz und Erfolgsaussicht von Korruption als Mittel der Auftragserlangung einkalkuliert waren. Dies mag auch mit strategischen Entscheidungen von Individuen auf Führungsebene zusammenhängen. Hierfür spricht der zweite Gesichtspunkt: Es handelte sich überwiegend um Fälle von Grand Corruption,[35] d. h. um die Schmierung von Funktionären auf den höchsten politischen und administrativen Ebenen – mithin zu einem hohen Preis. Die Schmiergelder und entsprechenden Transaktionen mussten also auf der Managementebene entschieden werden. Zum dritten[36] liegt eine – zumindest teilweise – Übereinstimmung mit den Zielen des Unternehmens nahe. Dies wird jedenfalls aus der Überlegung heraus plausibel, dass sich die involvierten Siemens-Beschäftigten nicht persönlich bereichert haben. Sie nahmen das strafrechtliche Verfolgungsrisiko auf sich und verstießen gegen unternehmensinterne Ethik- und Complianceregeln;[37] und verbesserten ihre Stellung im Unternehmen. Es ist also naheliegend einen Normalisierungsprozess hinsichtlich devianter Handlungsmuster und Sichtweisen innerhalb des Unternehmens Siemens zu vermuten und dies, obwohl Korruption negativ konnotiert war, was anhand der Codes of Conduct ersichtlich war.

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Ebendiese Prozesse sind Gegenstand mikroinstitutionalistischer Ansätze in der Organisationsforschung, die davon ausgehen, dass Institutionen – in diesem Fall korrupte Praktiken – aus „reziproken Symbolen habitualisierter Verhaltensweisen bestehen, wobei die Bedeutungszuschreibung personenunabhängig erfolgt.“[38] Drei ineinander greifende Prozesse werden in jüngsten Forschungen[39] beschrieben, die zu einer „taken for granted“-Qualität devianter Handlungen führen: (1) explizite oder implizite Billigung, d. h. die Ermutigung bestimmter Mitarbeiter durch Vorgesetzte, wirtschaftliche Vorgaben auch durch korruptes Handeln zu erreichen. (2) Willfährigkeit, d. h. die Umsetzung der Ermächtigung zu korruptem Handeln aus Gründen der Anerkennung oder legitimen Autorität. (3) Institutionalisierung, d. h. die Implementierung von Korruption und dabei des Anscheins, entsprechende Handlungen seien nicht verwerflich. Dies würde insbesondere durch eine fragmentierte und auf Details von Sachverhalten fokussierte Sicht der Akteure erreicht. Diese, von Brief, Buttram und Dukerich beschriebenen Prozesse entsprechen den in Bezug auf die Wirtschaftskriminalität beschriebenen Neutralisierungsmechanismen.[40]

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Der Unterschied besteht darin, dass neben der Gewöhnung an deviantes Verhalten, die auch im Wirtschaftsleben eintreten kann,[41] sich im Unternehmen leichter eine Objektivierung im Sinne eines verbreiteten und geteilten Verständnisses dieser Praktiken etablieren kann. Dies wiederum führt zu dem, was Tolbert und Zucker in ihrem mikroinstitutionalistischen Ansatz[42] die Sedimentation nannten, wodurch die Praktiken zu einer zwingenden Tatsache mit Strukturqualität werden. Korruption ist insofern ein gutes Beispiel, um diese Mechanismen zu verdeutlichen, als dieses Phänomen implizit Mechanismen bi- und multilateraler Versicherung bedingt. Korruption auf lange Sicht funktioniert nämlich nur auf der Grundlage von Protektion, Geheimhaltung und Verschwiegenheit und damit gegenseitiger Abhängigkeit.[43]

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Die Hypothese, dass starker Druck auf sonst unauffällige Personen eine entscheidende Ursache bei der Herausbildung von Unternehmenskriminalität ist, liegt also nahe. Dies bedeutet nicht, dass die Beteiligten als Opfer widriger Umstände[44] zu betrachten sind, sondern nur, dass wechselseitige Abhängigkeitsverhältnisse und Bedürfnisbefriedigung auch im Unternehmen die Grundlage eines – Devianz billigenden Gemeinschaftsgefühls – bilden können. Das Kollektiv – in diesem Fall das Unternehmen als Funktionseinheit akkumulierter technischer und personeller Möglichkeiten – eröffnet dem Individuum Chancen und Angebote wie z. B. Karrieremöglichkeiten oder den Gewinn von Prestige und Selbstbestätigung, die im Wesentlichen durch die interne Normen- und Wertstruktur vorgegeben sind. Die Intensität des Wunsches des Individuums, diese Angebote wahrzunehmen, erzeugt eine höhere Bereitschaft zur Konformität innerhalb der Gruppe.[45] Selbst ohne die Prämisse, dass hierdurch eine bedingungslose Unterordnung erzeugt wird,[46] kann die interne Normen- und Wertestruktur in Bezug auf das strafrechtliche Normgefüge separatistische und differierende Tendenzen aufweisen,[47] die für die Individuen innerhalb des Kollektivs Normalität oder Selbstverständlichkeit werden können. Die Paralysierung sonst wirksamer Normvorstellungen ist also durchaus dem Unternehmenskontext zu attestieren, wenn auch mit Bedacht an eine Übertragung der makrokriminellen Zusammenhänge auf die Unternehmenskriminalität herangegangen werden muss.[48]

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Bedächtiges Vorgehen erscheint auch hinsichtlich des zweiten Aspekts angebracht, ob nämlich der kriminogene Einfluss als kollektiv- oder unternehmensgesteuert angesehen werden muss. Das Verhalten des Einzelnen innerhalb des Unternehmens wird nämlich durch eine Vielzahl von Instrumenten beeinflusst, die sowohl strukturelle als auch nicht-strukturelle Handlungskoordination darstellen. Es spielen also zum einen persönliche Weisungen als vertikale Kommunikation, aber auch Prozesse der Selbstabstimmung – horizontale Kommunikation – eine Rolle. Beides sind personenbezogene Instrumente, die als sichtbare Interaktion von identifizierbaren Personen erlebt werden können.[49] Ebenfalls struktureller Art ist die Koordinierung über Handlungsprogramme und Pläne, über Routinen, Checklisten und Formulare. Hier werden vorwiegend anzustrebende Zustände kommuniziert, die der Lenkung von zukünftigen Handlungen dienen sollen (Vorauskoordination). Damit dies gelingt, erfolgt auch bei Abweichung eine systematische Rückmeldung, d. h. die Einhaltung von Handlungsprogrammen wird kontrolliert. Die beiden letztgenannten Instrumente sind solche unpersönlicher Koordination, die weniger sicht- und nachweisbar sind.

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Die Etablierung von Kriminalität kann über diese Wege erfolgen; ebenso kann sie auf nicht-strukturelleHandlungskoordination innerhalb des Unternehmens zurückführbar sein. Auch diese werden nämlich in der Organisationsforschung unter den Stichworten „organisationsinterne Märkte“ und „Koordination durch Clans“ thematisiert. Die Annahme, dass klassische Marktmechanismen in das Unternehmen hineingetragen werden und sich Entscheidungen an Gewinn-Preis-Verhältnissen orientieren, liegt nahe. In der wirtschaftswissenschaftlichen Organisationsforschung wird beobachtet, wie Gewinnverantwortung organisatorischer Einheiten, Entscheidungsautonomie bestimmter Unternehmensbereiche und das Vorhandensein interner Verrechnungspreise für Leistungen einen innerorganisatorischen Wettbewerb schaffen können, bei dem beispielsweise Stellen um Ressourcen konkurrieren können und ihre Existenz durch Erfolg oder Nachfrage nach erstellten Leistungen gerechtfertigt sein können.[50]

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Um erneut ein Beispiel zu bilden: Das „Umetikettieren“ und Verkaufen von Fleisch, dessen Haltbarkeitsdatum – teilweise seit mehreren Jahren – abgelaufen war.[51] Zumindest in einem Fall standen die Vorwürfe im Zusammenhang mit einer großen Supermarktkette und der Anweisung der Geschäftsführung an ihre Mitarbeiter Verderbquoten unbedingt unter 0,3% zu halten. Aus den Strafbefehlen geht hervor, dass einer der Mitarbeiter an seinem ersten Arbeitstag die Umetikettierung vornahm; auf Anweisung seines Vorgesetzten. Aus dem Urteil gegen den Merchandiser lässt sich ebenfalls entnehmen, dass die Mitarbeiter auf unterschiedlichen Hierarchiestufen Drucksituationen ausgesetzt waren, bestimmte Verderbquoten nicht zu überschreiten.[52] In einer (angeblichen) Weisung der Geschäftsführung an ihre Mitarbeiter, Verderbquoten unbedingt unter 0,3% zu halten, kann eine strukturelle Handlungskoordination vermutet werden. Vermutet man, die Weisung habe den expliziten Zusatz „um jeden Preis“ beinhaltet, bejaht man eine vertikale Kommunikation und hat ein Individuum – die Geschäftsführung – als Anknüpfungspunkt. Geht man von einer Situation aus, in der lediglich der angestrebte Zustand einer geringen Verderbquote kommuniziert wurde, kann die Koordination strukturell, aber unpersönlich erfolgt sein. Es könnte also lediglich eine „kriminelle Routine“ Einzug gehalten haben, die – als Erfolg ausgewiesen – in Kontrollen eine positive Rückmeldung erhielt. Die kriminogene Situation könnte aber auch einer anderen Erklärung zugänglich sein: Die Geschäftsführung könnte explizit niedrige Verderbquoten und inexplizit von einer besseren Abstimmung von Ein- und Verkauf ausgegangen sein, während die entsprechende Abteilung ihre fehlerhafte Kalkulation oder ihre wenig innovative Verkaufsstrategie durch das kriminelle Vorgehen überdecken konnte, um weiter dem internen Konkurrenzdruck zu genügen. Die Kriminalitätsentwicklung könnte also nur entfernt mit der Unternehmensstruktur und stärker mit der Interaktion der Unternehmensmitarbeiter zusammenhängen.

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Für letzteren Aspekt spräche, dass das Unternehmen für den Mertonschen Innovationstyp wie geschaffen zu sein scheint. Kriminalität als Folge von überwältigenden Situationen im Unternehmen, in denen es um die Positionierung gegenüber anderen Mitarbeitern und die Unentbehrlichkeit der eigenen Stelle (die zugleich Lebensgrundlage ist) geht, ist keineswegs fernliegend. Sie erscheint sogar naheliegend, wenn man die Beobachtungen Ouchis, der das Bewusstsein gegenseitiger Abhängigkeit und die gemeinsamen Werte und Normen innerhalb des Unternehmens herausstellt, mit in Betracht zieht.[53] Er bezeichnet diese weitere Möglichkeit nicht-struktureller Koordination innerhalb des Unternehmen als den Clan, der durch ein hohes Maß an Homogenität, Selektion, Entkulturation und moralischer Selektion die internen Abläufe beeinflusst und eine „Organisationskultur“ schafft, die filtert, was akzeptiert wird. Damit bestätigt er letztlich das, was Sutherland in seiner Theorie differentieller Assoziationen entwickelte und zeigt auf, wie kollektive Prozesse in Unternehmen um sich greifen können. Die wirtschaftswissenschaftliche Forschung untersucht und beschreibt das Phänomen der Organisationskultur schon lange, liefert Ebenenmodelle[54] und weist vor allem nach, dass eine vollständige Institutionalisierung dieser Prozesse und unmittelbare Zuordnung zum Unternehmen – also nicht zu einer Gruppe von Mitarbeitern – außerordentlich voraussetzungsreich ist.

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Der aktuelle kriminologische und strafrechtliche Fokus wird allerdings vorwiegend auf die Reduzierung von Gelegenheiten und die Kontrolle durch unternehmensinterne Maßnahmen gerichtet, was darauf hindeutet, dass vor allem Organisationsprobleme bzw. die oft beklagte „organisierte Unverantwortlichkeit“ sowie in zunehmendem Maße komplexe und globalisierte Wirtschaftszusammenhänge als Ursache von Unternehmenskriminalität gewertet werden.[55] Es spricht aber auch einiges für die Ansicht,[56] dass der „Werteverfall“ als eine der Hauptursachen für Kriminalität im Unternehmen gelten muss. In diesem Fall wäre die kriminogene Situation mehr eine Charakter- oder Mentalitätsfrage als eine unternehmensgesteuerte. Schließlich muss mitunter zwischen den verschiedenen hierarchischen Ebenen innerhalb der Organisation Unternehmen differenziert werden. Wo auf „ausführenden“ Ebenen eine Abweichung gegenüber strafrechtlichen Normen auf eine Konformität mit den unternehmensinternen Regeln rückführbar sein kann, mag selbige Abweichung bei Führungskräften auf eine selbst zu verantwortende „Verschreibung hinsichtlich der Unternehmensziele“ zurückzuführen sein, die strafrechtlich anders zu bewerten wäre.[57] Insbesondere die von Freud[58] als zentrales Kriterium herausgearbeitete „soziale Angst“, welche den „Gewissensschwund als notwendige Folge“ hervorbringt und die Begehung von Straftaten ermöglicht, wenn die Erwartungen des unmittelbaren Umfelds auf die Begehung von Straftaten gerichtet sind und durch ihre Begehung die soziale Angst schwindet, legt nahe, zwischen den Positionen innerhalb des Unternehmens zu differenzieren. Ein weisungsgebundener Arbeitnehmer, der um seinen Arbeitsplatz fürchtet, wird womöglich wegen einer der „sozialen Angst“ vergleichbaren Motivation sanktionswürdige Handlungen begehen, während der Vorstandsvorsitzende diese Drucksituation durch die Vorgabe bestimmter Unternehmensziele selbst erzeugt haben kann.[59]

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Um weiter differenzieren zu können, ob Unternehmenskriminalität im Zusammenhang mit diesen gruppendynamischen Einflüssen als kollektivgesteuert anzusehen ist oder unternehmensgesteuert oder beides ist, wird im Folgenden die Hypothese der strukturellen Bedingtheit von Unternehmenskriminalität weiter verfolgt; zunächst durch einen genaueren Blick auf die in der strafrechtlichen Literatur inflationär verwandten Begriffe der organisierter Unverantwortlichkeit und der kriminellen Verbandsattitüde.

Anmerkungen

[1]

Jäger MschrKrim 1980, 358 (358 ff.); Rotsch Individuelle Haftung in Großunternehmen, S. 25.

[2]

Vgl. z. B. Jäger in Der Spiegel vom 13.8.1990, S. 34–46.

[3]

Vgl. mit Hinweis auf die sogenannte „Radbruch'sche Formel“ BGH NJW 1995, S. 2728 ff.

[4]

Vgl. zu der sich aus § 27 GrenzG ergebenden Pflicht, „Grenzdurchbrüche unter allen Umständen, notfalls auch durch Tötung des Flüchtenden, zu verhindern“ BGHSt 39, 1 ff. – z. B. in BGH NJW 1993, 141 ff.

[5]

Siehe hierzu wieder die hervorragende Darstellung von Rotsch Individuelle Haftung in Großunternehmen, S. 34 ff.

[6]

Jäger Makrokriminalität, S. 191

[7]

Rotsch Individuelle Haftung in Großunternehmen, S. 35

[8]

Vgl. zu den im Zusammenhang mit dem DDR-Machtstrukturen stehenden Überlegungen zu einer „mittelbaren Täterschaft kraft Organisationsherrschaft“, deren drei zentralen Voraussetzungen waren, dass der Apparat aus einer Vielzahl von Mitgliedern besteht, er hierarchisch vertikal gegliedert ist und als ganzer außerhalb des Rechts steht, die Ausführungen im strafrechtsdogmatischen Zusammenhang ab Rn. 323 ff. Zu der Übertragung dieser strukturellen Besonderheiten auf den Unternehmenskontext: BGHSt. 39, 1 ff.; 40, 218 (236); Krekeler/Werner Unternehmer und Strafrecht, Rn. 10; verneinend Roxin JZ 1995, 49 (51 f.); Rotsch NStZ 1998, 491 (493 ff.); Rotsch ZStW 2000, 518 (532 ff.).

[9]

Das Milgram-Experiment ist ein (erstmals) 1961 durchgeführtes Experiment des Psychologen Stanley Milgram, das die Bereitschaft durchschnittlicher Personen untersuchte, in autoritativem Kontext Anweisungen – die mitunter in direktem Widerspruch zu ihrem Gewissen standen – zu befolgen. Die Probanden sollten – als „Lehrer“ – die Lern- und Gedächtnisfähigkeit eines „Schülers“ testen, indem sie diesem unter Aufsicht eines wissenschaftlichen Versuchsleiters Wortpaare vorlasen, die der „Schüler“ mittels eines Apparates zu beantworten hatte. Der „Schüler“ war in einem Nebenraum an einen Stuhl gefesselt und konnte sich nur über ein Mikrofon unmittelbar nach einer Bestrafung äußern. Kern des Experimentes war, dass „Lehrer“ den „Schüler“ nach jeder falschen Antwort mit einem Stromstoß – von 15 Volt am Anfang bis 450 Volt am Ende – bestrafte; der wissenschaftliche Versuchsleiter und der „Schüler“ waren in das Experiment eingeweiht. Wenn der „Lehrer“ sich weigerte, aufgrund der qualvollen Schreie des „Schülers“, weiterzumachen, genügte es in den meisten Fällen, dass der Versuchsleiter diesen mit dem Satz „Machen Sie weiter!“ animierte. 65% der „Lehrer“ gingen bis zur lebensbedrohlichen Spannungsstärke von 450 Volt. Vgl. die genaue Darstellung bei: Milgram Das Milgram-Experiment, passim.

[10]

Milgram Das Milgram-Experiment, S. 49 ff.

[11]

Wenn Menschen als „Zielobjekte“ bezeichnet werden, wird die Tötungshandlung weniger als die Verletzung des Tötungstabus verstanden. Jäger Makrokriminalität, S. 194.

[12]

Beispielsweise beschreibt er den Fall von fünf nicht vorbestraften Personen, die vor Übernahme abweichender Praktiken als „grundanständig“ zu bezeichnen waren und – hätten sie die abweichende Verhaltensweise nicht übernommen – ihre Arbeitsstelle verloren hätten.Vgl. Sutherland White Collar Crime – The uncut version, S. 235 ff.

[13]

Rotsch Individuelle Haftung in Großunternehmen, S. 36

[14]

Jäger Makrokriminalität, S. 132

[15]

So Cabanis StrV 1982, 315 (317).

[16]

Vgl. Naucke Die strafjuristische Privilegierung staatsverstärkter Kriminalität, S. 19 ff.

[17]

Im weiteren Sinne werden allerdings die Verbrechen nicht-staatlicher Gruppen unter diesen Begriff subsumiert (z. B. die Verbrechen der kolumbianischen Guerillaorganisation FARC, da es freilich nicht darum geht die staatlichen Grenzen zum zentralen Kriterium zu machen. Allerdings bleiben auch diese Verbrechen v. a. politische Macht motiviert; Ambos Der Allgemeine Teil des Völkerstrafrechts, S. 53.

[18]

Siehe zur „Kriminalität der Mächtigen“ und dem Zusammenhang zur Makrokriminalität Scheerer unter dem Stichwort: Kriminalität der Mächtigen, in: Kaiser u. a. Kleines kriminologisches Wörterbuch, S. 246 ff. und Ambos Der Allgemeine Teil des Völkerstrafrechts, S. 50 f.

[19]

Vgl. auch Ransiek Unternehmensstrafrecht, S. 47 und Mittelsdorf Unternehmensstrafrecht im Kontext, S. 133, die zu Recht darauf hinweisen, dass das Befolgen von Weisungen im Unternehmenskontext keinen Rechtfertigungsgrund darstellt und die Rechtsordnung davon ausgeht, dass die Mitarbeiter in der Lage sind sich rechtmäßig zu verhalten.

[20]

Der EGMR hat jüngst in seinem Urteil vom 21.7.2011 (Heinisch v. Germany, Application-Nº 28274/ 08 = ECHR 115 [2011]) die Rechtsposition von „Whistleblowern“ gestärkt, indem es die Kündigung eines Arbeitgebers gegenüber einer Mitarbeiterin wegen Whistleblowings als Verletzung von Art. 10 EMRK wertete.

[21]

Anders Ruggiero Organized and Corporate Crime in Europe, der nur graduelle Unterschiede zwischen Wirtschaftskriminalität (als Unternehmenskriminalität) und Organisierter Kriminalität sieht und insbesondere auf die strukturellen Ähnlichkeiten beider Kriminalitätsarten hinweist. Vgl. Ruggiero Organized and Corporate Crime in Europe, passim.

[22]

Vgl. Leyendecker Die große Gier, passim, der von dem „System Siemens“ spricht, sowie Dombois in: Der Korruptionsfall-Siemens, S. 131 (135 ff.), der Korruption als normalisierte Organisationspraxis analysiert.

[23]

Die Einbeziehung exemplarischer Fälle – noch dazu medial aufgearbeiteter – birgt die Gefahr präskriptiver Verallgemeinerungen. Ohne wirtschaftskriminologische – empirische (!) – Forschung, die über eine reine „Bedarfsforschung“ hinausginge (so die überwiegend geteilte Einschätzung von Kunz Kriminologie, § 7; Schneider in: Die Handlungsfreiheit des Unternehmers, S. 61 (62); Boers MschrKrim 2001, 335 passim.) muss jedoch exemplifiziert werden und auf Analysen der Nachbardisziplinen eingegangen werden. Damit werden weitere Mosaiksteine – deskriptiver Natur – beigetragen, mit deren Hilfe das bisher empirisch abgesteckte Mosaik der Wirtschaftskriminalität ergänzt wird; die Gefahr induktiver Schlussfolgerungen wird dabei nicht aus den Augen verloren.

[24]

Die sogenannte Siemens-Affaire ist immer noch nicht vollständig juristisch aufbereitet. Der Prozess um den Ex-Siemens-Vorstand Thomas Ganswindt begann erst im Januar 2011 vor dem Landgericht München. Vgl. aber bereits die Entscheidung BGHSt 52, 323–348 mit Anmerkung Ransiek NJW 2009, 95 ff.; Rönnau StV 2009, 246 ff.; Sünner ZIP 2009, 937 ff.

[25]

Zu Beginn der Ermittlungen war die Telekommunikationssparte SiemensCOM im Zentrum der Aufmerksamkeit; allein hier geht man von einem Volumen von 1,16 Milliarden Euro aus.

[26]

Ägypten, Aserbaidschan, China, Griechenland, Indonesien, Irak, Israel, Italien, Kamerun, Kuwait, Nigeria, Norwegen, Russland, Saudi-Arabien, Ungarn, Vietnam, die Karibik und einige GUS-Staaten. Vgl. diesbezüglich den gut recherchierten Überblick von Wolf in: Der Korruptionsfall-Siemens, S. 9 (10).

[27]

Neben Schmiergeldzahlungen, die in Nigeria an mutmaßlich mehr als hundert Entscheidungsträger flossen, um Aufträge im Telekommunikationssektor zu erhalten, wurden auch die umfangreichen Zahlungen nach Griechenland in der Presse ausführlich thematisiert: insbesondere der Ausbau des griechischen Telefonnetzes, die Lieferung von Zügen an die nationale Eisenbahngesellschaft und die Entwicklung eines aufwändigen Sicherheitssystems für die Olympischen Spiele in Athen 2004 werden in Zusammenhang mit Bestechungszahlungen aus dem Siemenskonzern gebracht. Weitere Zahlungen werden in Argentinien im Zusammenhang mit der Erlangung eines Auftrags zur Herstellung und Verteilung fälschungssicherer Personalausweise, in Wuppertal im Zusammenhang mit einem EU-geförderten Programm zur Sanierung eines Kraftswerks in Serbien, weiter im Zusammenhang mit dem Öl-für-Lebensmittel-Programm der Vereinten Nationen im Irak sowie in zahlreichen anderen Ländern geführt.

[28]

Schon 2004 ermittelte die Staatsanwaltschaft Wuppertal gegen Siemensmitarbeiter der Kraftwerkssparte wegen Bestechung im Zusammenhang mit einem EU-geförderten Programm zur Sanierung des Kraftswerks in Serbien im Jahre 2002; vgl. den Bericht Rechtsstreitigkeiten–Geschäftsjahr 2007, S. 2/13, abrufbar unter http://www.siemens.com/press/pool/de/events/jahrespk2007/legal-proceedings-q4-2007-d.pdf. Seit der Aufnahme der Ermittlungen erfolgten im November 2006 eine großflächige Durchsuchung der Verwaltungsgebäude des Siemens-Konzerns; in vielen Ländern wurden Ermittlungen und Gerichtsverfahren eingeleitet sowie zahlreiche Haftbefehle gegen aktive und frühere Mitarbeiter erlassen. In Deutschland lauteten die strafrechtlichen Vorwürfe: Bestechung von ausländischen Amtsträgern oder Angestellten, Untreue, Geldwäsche und Steuerhinterziehung. Vgl. die Informationen unter http://www.siemens.com/press/pool/de/events/jahrespk2007/legal-proceedings-q4-2007-d.pdf; sowie den Geschäftsbericht 2007, S. 8, abrufbar unter http://www.siemens.com/annual/07/pool/download/pdf/d07_00_gb2007.pdf. Weiter den Überblick über die Siemens-Affaire bei Wolf in: Der Korruptionsfall-Siemens S. 9; Hoeth Siemens-wohin?; sowie ergänzend die Sachverhaltsdarstellungen bei Jahn JUS 2009, 175 und Saliger/Gaede HRRS 2008, 57 sowie kritisch würdigend: Jahn StV 2009, 41.

[29]

Vgl. hierzu Darstellung des Falles und rechtliche Würdigung von Satzger NStZ 2009, 297 (297 ff.).

[30]

Vgl. LG Darmstadt vom 14.5.2007 – AZ 712 Js 5213/04 - 9 KLs.

[31]

Vgl. zu Zitaten und Kontext: LG Darmstadt vom 14.5.2007 – AZ 712 Js 5213/04 - 9 KLs, S. 64, 65.

[32]

Vgl. den Leitsatz in BGHSt 52, 323; kritisch Satzger NStZ 2009, 297; Ransiek NJW 2009, 89.

[33]

Die Staatsanwaltschaft hatte zunächst eine Freiheitsstrafe von vier Jahren in Erwägung gezogen, jedoch wirkte Siekaczek „weit über Gebühr“ an der Aufdeckung und Entschlüsselung des Korruptionssystems mit, sodass ein deutlich reduziertes Strafmaß beantragt wurde. Vgl. Zwei Jahre Haft auf Bewährung in SZ vom 29.7.2008, S. 26.

[34]

Vgl. Wolf in: Der Korruptionsfall-Siemens, S. 9 (15 f.) m. w. N.

[35]

Vgl. zu diesem Begriff Rose-Ackermann International Social Science Journal 1996, 365.

[36]

Vgl. auch die Darstellungen von Dombois in: Der Korruptionsfall-Siemens, S. 131 (133 ff.); Grieger in: Der Korruptionsfall-Siemens, S. 103 (115 ff.) beide m. w. N.

[37]

Die Beteiligten, die den oberen Hierarchieebenen angehörten, waren Vorstandsmitglieder, Manager des Rechnungswesens, des Vertriebs und Controllings, die – wie alle 36 000 Führungskräfte – alle zwei Jahre eine Compliance-Erklärung zu unterschreiben hatten, in denen sie sich zur Einhaltung von Rechtsvorschriften und Verhaltenskodex verpflichteten; der Vorstand hatte 1999 zudem eine Missbilligung und Ahnung von Gesetzesverstößen angekündigt. Vgl. hierzu Dombois in: Der Korruptionsfall-Siemens, S. 131 (132).

[38]

So Grieger in: Der Korruptionsfall-Siemens, S. 103 (114) m. w. N.

[39]

Vgl. Brief/Buttram/Dukerisch in: Groups at Work, S. 471 (474 ff.); Grieger in: Der Korruptionsfall-Siemens, S. 103 (114 ff.) m. w. N.

[40]

Vgl. Rn. 131 ff.

[41]

Diese Neutralisierungstendenzen werden schon durch einen semantischen Kontext favorisiert, der – für sich genommen – durchaus im Unternehmensinteresse oder gar in der Intention der Unternehmensführung liegen kann. Es wird mitunter beobachtet, dass im Unternehmenskontext wie in einer parallelen Gesellschaft – einem delinquenten Subsystem geradezu – eine parallele Werteordnung mit anderen Spielregeln zu existieren scheint und in diesem „fein gewebten Gespinst“ eine indirekte und verschlüsselte Sprache gesprochen wird. So auch die Beobachtungen von Joly Im Auge des Zyklons, S. 39. Eben hier greifen die beschriebenen Neutralisierungsmechanismen, die eine Sicherheitslücke zu einer „günstigen Gelegenheit“ machen und einen deliktischen Handlungsablauf als grundsätzlich akzeptable Alternative erscheinen lassen. Die Handlungsspielräume variieren freilich zwischen obersten und anderen Hierarchieebenen stark, weil diesbezüglich die selbst wahrgenommenen Handlungsspielräume unter Umständen unterschiedlich ausfallen. Der Hang zur Konformität kann bei einem Vorstandschef aber ebenso stark ausgeprägt sein wie bei einem weisungsgebundenen Arbeitnehmer, je nach dem wie stark die Anteilseigner des Unternehmens ihre Organe und Geschäftsführer zu einer effektiven Wahrnehmung des Unternehmensziels „Gewinnmaximierung“ verpflichten.

[42]

Vgl. das Schaubild in Tolbert/Zucker in: Handbook of organization studies, S. 175 (182), sowie die Ausführungen ab S. 184. Sie betonen insbesondere die dauerhafte Reproduktion von devianten Verhaltensweisen und das Fehlen nennenswerten Widerstands als Voraussetzung der Institutionalisierung.

[43]

Mit Bezug zu Formen kollektiv-korrupten Handelns: Grieger in: Der Korruptionsfall-Siemens, S. 103 (107).

[44]

So auch Grieger in: Der Korruptionsfall-Siemens, S. 103 (110).

[45]

Siehe auch Mill Soziologie der Gruppe, S. 97, 115.

[46]

Eine solche „ideologische“ Komponente scheint angesichts der in der heutigen Arbeitswelt geforderten Flexibilität in Bezug auf den Arbeitsplatz und der Fusionen- und Übernahmebereitschaft in der Unternehmenslandschaft fern liegend. Der Arbeitnehmer von heute wird sich weniger mit seinem Unternehmen identifizieren, als um die Notwendigkeit einer Beschäftigung wissen. Damit wird vermutlich eine ähnlich intensive, aber weniger ideologisch geprägte Konformität einhergehen, als sie in Jäger Makrokriminalität, S. 157 ff. beschrieben wird. Vgl. auch die Überlegungen zu den Teilarbeitsmärkten in den sechziger Jahren bei Hirsch-Kreinsen in: Handbuch Soziologie, S. 33 (39 ff.).

[47]

Vgl. hierzu insbesondere die systemtheoretischen Erkenntnisse, die die Ausrichtung des Systems auf den Code Gewinn/Verlust verdeutlichen; vgl. unten Rn. 195 ff. Vgl. auch die Erkenntnisse von Schlegel u. a. Wirtschaftskriminalität und Werte, S. 142 ff.

[48]

Zu Recht kritisch aus einer strafrechtdogmatischen Perspektive: Rotsch NStZ 1998, 491 und Rotsch ZIS 2007, 260.

[49]

Vgl. hier die Darstellung der Handlungskoordination von Grieger in: Der Korruptionsfall-Siemens, S. 103 (110 ff.) mit zahlreichen Nachweisen.

[50]

Vgl. die Darstellung bei Grieger in: Der Korruptionsfall-Siemens, S. 103 (111) mit Verweis auf die Arbeiten von Ouchi Administrative Science Quaterly 1980, 129; sowie Kieser/Kubicek Organisation, Berlin 1992.

[51]

Vgl. zum sogenannten „Gammelfleisch-Skandal“: Bode ZRP 2006, 73 (73 ff.) m. w. N.

[52]

Vgl. hierzu auch Schmitt Altes Fleisch in neuen Folien in: Der Spiegel vom 21.3.2005.

[53]

Ouchi Administrative Science Quaterly 1980, 129.

[54]

Unterschieden werden beispielsweise Oberflächenelement und Tiefenstruktur, d. h. empirisch beobachtbare Artefakte „an der Oberfläche“ wie Architektur, Symbole, Rituale, Tabus einerseits und kollektiv verankerte Grundannahmen wie beispielsweise Werte andererseits. Vgl. die Darstellung bei Grieger in: Der Korruptionsfall-Siemens, S. 103 (113 f.).

[55]

Vgl. z. B. den Beitrag von Theile ZIS 2008, 406 mit vielen Nachweisen.

[56]

Vgl. hierzu beispielsweise die Arbeit von Schlegel u. a. Wirtschaftskriminalität und Werte.

[57]

Als neutralisierend könnte in Bezug auf Führungskräfte beispielsweise eine Rolle spielen, dass 50% der großen Unternehmen eine „Directors- and Officers (D & O) Versicherung“ abgeschlossen haben, um sich so vor einer persönlichen Haftung für Fehlentscheidungen zu schützen. Siehe hierzu KPMG Studie 2006 zur Wirtschaftskriminalität in Deutschland, S. 29.

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