Kitabı oku: «"Das strittige Gebiet zwischen Wissenschaft und Kunst"»

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Chiara Maria Buglioni

Das strittige Gebiet zwischen Wissenschaft und Kunst

Artur Kutscher und die Praxisdimension der Münchner Theaterwissenschaft

A. Francke Verlag Tübingen


© 2016 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

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E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen

ePub-ISBN 978-3-8233-0006-9

Inhalt

  Vorwort

 Teil I. AusgangspunkteDie PraxisdimensionWissenstheorieDie Theaterwissenschaft zwischen Theorie und PraxisWissenschaftlicher Diskurs und ausgehandelte PraxisSituiertes Lernen nach Jean Lave und Etienne WengerDie Praxis in der Theorie des situierten LernensDie soziale Landschaft der PraxisLerngemeinschaft, Lehrtätigkeit und PerformativitätDer Kutscher-Kreis als LerngemeinschaftPerformative Aspekte des gemeinsamen Lernens

 Teil II. PotentialphaseMünchen, der kulturelle PolTheaterdebatten und -experimente in MünchenEine künstlerische und gesellschaftliche Neugeburt„Schwabingertum“ und AktivismusKutschers Erfahrung in und zwischen kulturellen GemeinschaftenBeteiligung an der Münchner Moderne und UnterrichtstätigkeitKutschers Forschungsprojekte zwischen 1908 und 1910

 Teil III. Erste EntwicklungsphaseDas Problem einer umfassenden TheorieDie ForschungspraxisIm Seminarraum und im TheatermuseumDie Struktur des theaterwissenschaftlichen KursesAußerhalb des UniversitätsgebäudesDie Aufführungen des Kutscher-KreisesEin System verknüpfter Gruppierungen und OrganisationenDie letzte Phase des „Neuen Vereins“Das „literarische Seminar“ Artur KutschersDie Gesellschaft „Das Junge Krokodil“Wissenschaftliche Tätigkeit und soziales EngagementKoordination und PartizipationsstufenDie Leitfigur einer praxisorientierten GemeinschaftVollständige, periphere und randständige MitgliedschaftPartizipation und Nicht-Partizipation

 Teil IV. Reifephase – Orte und ÖrtlichkeitenDer Ursprung des TheatersDas Referenzmodell der Münchner TheaterwissenschaftDie Mimustheorie Hermann ReichsDas Theater als mimisch-pantomimische AusdruckskunstDas Beziehungsgeflecht des Kutscher-KreisesNatur, Volk und LaientheaterDie „Gesellschaft für das süddeutsche Theater“Lokale und globale RäumeKontakt zum ausländischen Theater und zu anderen KulturenÜber die Grenzen hinausLetzte Entwicklungsphase – was weiterlebtDie Münchner Theaterwissenschaft »im Dritten Reich und danach«

  Exkurs. Die NS-Zeit

  Nachwort. Zur Aktualität der theaterwissenschaftlichen Beschäftigung Artur Kutschers

  Artur Kutschers Leben und Tätigkeit

  Chronologisches Verzeichnis der Vorlesungen von A. Kutscher an der Universität München

 Quellen- und LiteraturverzeichnisArchivalische QuellenUngedruckte QuellenZeitschriftenGedruckte QuellenLiteratur

Vorwort

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit den Anfängen der Theaterwissenschaft in München und der Rolle des „Theaterprofessors“ Artur Kutscher in der Entwicklung der Disziplin. Als ich zum ersten Mal auf den Namen Artur Kutscher stieß, war es aus reinem Zufall: Für meine Masterarbeit beschäftigte ich mich mit den Ingolstädter Stücken Marieluise Fleißers und erfuhr dabei, die Dichterin hatte 1920 theaterwissenschaftliche Veranstaltungen bei Kutscher belegt. Kurz davor hatte auch Ödön von Horváth an der Münchner Universität Seminare und Vorlesungen des Theaterprofessors besucht; selbst Bertolt Brecht war ein Kutscher-Schüler gewesen. Das war für mich wie eine Erleuchtung: Die kanonisierten Hauptvertreter des kritischen Volksstücks, ja die wichtigsten DramatikerInnen der Zeit gehörten am Anfang ihrer Karriere zur Kutscher-Hörerschaft. Die Figur des Theaterprofessors erregte mein besonderes Interesse und ich fing damit an, Informationen über Kutschers theaterwissenschaftliche Bemühungen zu sammeln. Es stellte sich allerdings sofort heraus, dass so gut wie keine wissenschaftliche Literatur zu Artur Kutscher existierte und dass sein Nachlass noch fast unerforscht war. Aus den Berichten und Erinnerungen von Kutschers Studenten und Freunden gewann man den Eindruck, der Theaterprofessor sei nicht nur eine Legende in der Münchner Kulturwelt, sondern auch einer der Bahnbrecher der deutschen Theaterwissenschaft gewesen. In den Einführungen in die Wissenschaft des Theaters konnte man indessen nur ein paar Zeilen über Artur Kutscher lesen, entweder im Widerspiel mit der Berliner Schule Max Herrmanns oder in Einklang mit Carl Niessens Theorie, das Theater habe im Mimus seinen Ursprung. Das schien mir ein paradoxer Tatbestand zu sein. In München fand ich dann eine städtische Artur-Kutscher-Realschule, einen von Lothar Dietz geschaffenen Artur-Kutscher-Brunnen am gleichnamigen Platz im Herzen Schwabings und sogar eine Bronzebüste des Theaterprofessors im Büro des Direktors des Instituts für Theaterwissenschaft an der LMU. Wenn aber der Name Artur Kutscher gelegentlich vor den Studenten der Münchner Universität erwähnt wurde, merkte ich, dass der „Außerordentliche“ – wie die Kutscher-Schüler ihren Lehrer nannten – heute kaum bekannt ist. Solche offensichtlichen Widersprüche führten mich zur intensiven Beschäftigung sowohl mit der frühen Theaterwissenschaft als auch mit dem heutigen Stand der Disziplin. Ein wesentliches Bindeglied zwischen den Anfängen der Theaterwissenschaft in München und den Fragen, die in den letzten Jahrzehnten ins Zentrum der Debatte über die akademische Kunstforschung gerückt sind, identifizierte ich in der Praxisdimension. Die Theaterforschung geht für Kutscher immer mit der Generierung und Pflege eines nicht nur theoretischen sondern auch praktischen Wissens einher, und die Praxis selbst galt als Forschung. Alle Leistungen der Münchner Theaterwissenschaft lassen sich in den ersten Entwicklungsstufen auf einen Nenner bringen: die Verflechtung zwischen Theorie bzw. Historiographie und Praxis, die Vermittlung zwischen Kunst(forschung) und Leben. Gerade diese Dimension wurde von den anderen Begründern der Disziplin zu Beginn des 20. Jahrhunderts kaum berücksichtigt, sodass die Untersuchung sowie die Entwicklung der Praxisdimension im theaterwissenschaftlichen Bereich als charakteristisches Zeichen der Arbeitsgruppe um Artur Kutscher aufgefasst werden kann.

Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen geht es in Teil I dieser Arbeit darum, zu zeigen, wie Artur Kutscher im Gegensatz zu seinen Kollegen eine wissenschaftliche praxisbasierte Forschung durchführte; darüber hinaus werden Bedeutung und Benutzung des ‚Praxis‘-Begriffs in der Theaterwissenschaft von den Anfängen bis heute erörtert. Die starre kategoriale Unterscheidung zwischen intellektuellem Wissen und praktischem Verstand wurde erkenntnistheoretisch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufgegeben – insbesondere dank des Beitrags von Gilbert Ryle, Michael Polanyi und Pierre Bourdieu – und die Praxis wurde sowohl von der Diskursanalyse als auch von der Interdiskursanalyse in den Vordergrund gerückt. Im ersten Teil wird auch das methodologische Instrumentarium der Untersuchung dargestellt: Als Ansatzpunkt wird die Theorie der situierten Kognition angewandt, die dem Vorbild von Jean Lave und Etienne Wenger folgt und die den individuellen sowie gesellschaftlichen Lernprozess als eine kontextbezogene Transformation des Wissens versteht, welche persönliche Veränderungen mit der Entwicklung von Sozialstrukturen kombiniert. In Laves und Wengers Auffassung hängt das situierte Lernen von der auf verschiedene Weisen legitimierten Teilhabe an Communities of Practice ab.1 Diese Teilnahme ist daher ein konstituierender Bestandteil für den Lerninhalt und für die Identitätskonstruktion im Verhältnis zu den Lerngemeinschaften. Um festzustellen, in welchem Ausmaß Artur Kutscher die Theaterwissenschaft als einen situierten Kontext des Lernens verstand, werden erstens die Grundkonzepte ‚Praxis‘ und ‚Gemeinschaft‘ untersucht; zweitens wird der Begriff ‚soziale Landschaft‘ und die Art und Weise, wie globale Partizipation und lokale Teilhabe aufeinander wirken, zum Gegenstand der Analyse gemacht. Am Ende dieses Teils richtet sich der Blick auf die Entwicklungsstufen einer CoP und auf die Verkoppelung zwischen Lehrtätigkeit und Performativität beim Theaterwissenschaftler Kutscher, denn beim Lernen handelt es sich um den Vollzug bestimmter Aufgaben, Formalitäten und Riten, also um den Zugang zu einer Performance.

Teil II führt in die wichtigsten kulturellen Debatten, Reformversuche der Kunst und Künstlerkreise ein, die in der Prinzregentenzeit die Schwabinger Bohème prägten und welche zur sog. „Theatralisierung der Kultur“ maßgeblich beitrugen. Kutschers kulturelles Engagement bis 1909 bzw. seine Teilnahme an unterschiedlichen Gruppierungen sowie am Meinungsaustausch über das lebendige Theater war die Vorbedingung für die Förderung und Koordination einer praxisorientierten Theaterwissenschaft.

In Teil III geht es um die Darstellung der ersten Entwicklungsphase der von Kutscher geleiteten theaterwissenschaftlichen Arbeitsgruppe. Um die Konturen der neuen Disziplin zu verschärfen, entwarf Kutscher zunächst eine grundlegende Theorie, die den Untersuchungsgegenstand ‚Theater‘ beschrieb und den Modus Operandi der Theaterforschung vorschlug. Zum einen erarbeitete er die Konzepte ‚Kritik‘ und ‚Stilkunde‘ und stellte sich die Frage nach der Objektivität der Untersuchung, zum anderen rechtfertigte er die Anwesenheit eines spezifischen theaterwissenschaftlichen Forschungsbereiches. Der Kutscher-Kreis führte dann die Praxis seiner CoP weiter und versuchte hierzu, eine Balance zwischen Expertise und Erfahrung zu finden. Durch Universitätsvorlesungen und Seminare, Übungen in praktischer Kritik, Autorenabende, Führungen, Studienfahrten, Lehraufführungen und persönliche Kontakte mit Theaterleuten beabsichtigte die Arbeitsgruppe Kutschers, die gemeinschaftsbildenden Aktivitäten zu erweitern, und sie befasste sich auch mit der Festlegung unterschiedlicher Partizipationsstufen. In wenigen Jahren konfigurierte sich der theaterwissenschaftliche Kurs an der LMU als ein gut strukturiertes Lernsystem mit festen Grenzen und produktiven Beziehungen zu anderen Gruppierungen.

Teil IV stellt die Reifephase der Münchner Theaterwissenschaft um Artur Kutscher vor. Ungefähr ab 1919 beschäftigte sich der Kutscher-Kreis mit dem Ursprung des Theaters, was insbesondere angesichts der Steigerung des kulturellen Engagements der Gemeinschaftsmitglieder und der Verstärkung des gemeinsamen Zieles Relevanz bekam. Als Referenzmodell der CoP wurde die Mimustheorie Hermann Reichs verwendet, wobei die Theaterwissenschaft ihren Wissensbereich über die Grenzen der traditionellen Theatergeschichte hinaus ausbaute. Der mimische Ursprung des Theaters ermöglichte die Münchner Lerngemeinschaft, einerseits heimatgebundene Interessen zu wahren und volkstümliche Theaterformen zu berücksichtigen, andererseits transnationale Interaktionen und Einsätze zu fördern. Jenseits aller gesellschaftlichen und historischen Bedingtheiten des theatralen Phänomens suchte Kutschers Lerngemeinschaft kunstspezifische Konstanten, die als Orientierungshilfe in der Forschungsarbeit wirken konnten, und schuf weiterhin ein Beziehungsgeflecht, das zuerst in München und Bayern, dann in Süddeutschland, in Europa und schließlich in der ganzen Welt eine wichtige Rolle für die CoP spielte. Neben globalen Spielräumen öffnete die Münchner Theaterwissenschaft auch intermediäre Räume zwischen Lerngemeinschaften und Fachbereichen, auch wenn die Forschung immer vom Standpunkt der Kunst aus betrieben wurde. Dieser Teil endet mit der Betrachtung der auslösenden Faktoren der frühen theaterwissenschaftlichen Arbeitsgruppe. Obwohl der Theaterprofessor immer noch als Vermittler zwischen den erfolgreichen Künstlergenerationen der vergangenen Jahrzehnte und den aufstrebenden Jugendlichen betrachtet wurde, konzentrierte er seine Energie darauf, ein selbstständiges theaterwissenschaftliches Institut an der LMU einzurichten und eine akademische Auszeichnung für seine Leistungen zu erhalten. Kutschers leitende Rolle reduzierte sich dann schrittweise, die Mitglieder zerstreuten sich in andere Arbeitsgruppen, die Praxis wurde nicht mehr weiterentwickelt und der Zufluss an neuen Themen verringerte sich erheblich. Die Auflösungstendenz der lebenslang von Kutscher koordinierten Lerngemeinschaft wurde allerdings durch die Fortführung des theaterwissenschaftlichen Unternehmens balanciert: Die Bemühungen um die Verkoppelung von Theorie und Praxis, die Vorstellung einer Theaterforschung durch und für die Praxis sowie durch und für das Leben, das Konzept einer universitären Ausbildung für die Identitätsentwicklung der Lernenden, die Anerkennung und Rechtfertigung eines faszinierenden „strittigen Gebiets“ zwischen Wissenschaft und Kunst reizen heute noch Theaterwissenschaftler und Theaterinteressierten. In dieser Hinsicht ist die Aktualität der Tätigkeit und der Struktur der frühen Münchner Theaterwissenschaft anhaltend.

Im Anschluss an die gesamte Diskussion wird ein Exkurs über die Theaterwissenschaft und Artur Kutscher im Nationalsozialismus, eine skizzenhafte Biographie des Theaterprofessors und ein chronologisches Verzeichnis der theaterwissenschaftlichen Vorlesungen Artur Kutschers an der LMU dargeboten.

An dieser Stelle möchte ich allen Personen danken, ohne die meine Arbeit in der vorliegenden Form nicht möglich gewesen wäre. Namentlich danke ich zuerst meinen Betreuern: Prof. Dr. Christopher Balme, der bereits in den ersten Entwurf meines Promotionsprojekts sein Vertrauen demonstrierte, der mich auch in den Bereich der Theaterwissenschaft begleitete, mir das wissenschaftliche Potenzial der Untersuchung bewusst machte und die Begegnung mit Kutscher-Experten vermittelte; und Prof. Marco Castellari, der mich stets mit großer Geduld, unzähligen Ratschlägen und viel Humor unterstützt hat und der mir konkret zeigte, dass die Bedeutung der akademischen Ausbildung und Forschung weit über das Universitätsgebäude hinaus reicht. Bedanken möchte ich mich auch bei den zwei Hochschulen, an denen ich meine Cotutelle-Promotion abgeschlossen habe: die Università degli Studi di Milano, die mein Projekt drei Jahre lang finanzierte, und die Ludwig-Maximilians-Universität, insbesondere das Institut für Theaterwissenschaft, das mich herzlich aufnahm. Mein besonderer Dank gilt Dr. Olaf Laksberg, ohne dessen Berichte und Erinnerungen ich die Anfänge der Theaterwissenschaft in München, Artur Kutschers Charisma und Klaus Lazarowicz’ Tätigkeit nie richtig verstanden hätte; Dr. Carl Klein, der mir über seine Familie und seinen Großvater erzählte und mir freundlich die privaten Fotoalben der Kutschers zeigte; Edgar Reitz, der mir ein ausführliches Interview gewährte; und Prof. Dr. Gabriella Rovagnati, die mir schon viele Jahre eher den Einblick in die deutsche Theatergeschichte verschaffte und die mir von dem Moment an in meinen Bemühungen Beistand leistet. Nicht zu vergessen sind hier außerdem die MitarbeiterInnen des Archivs der Ludwig-Maximilians-Universität München, des Bayerischen Hauptstaatsarchivs München, des Deutschen Literaturarchivs Marbach und des Staatsarchivs München, die mich sachkundig durch ihre Häuser geführt haben. Besonders dankbar bin ich Frank Schmitter, Gabriele Eitzinger und Martin Heidenreich vom Monacensia-Literaturarchiv München, weil sie immer freundlich und hilfsbereit waren. Speziell zu danken habe ich dem Gunter Narr Verlag für die Annahme meines Manuskripts in die Reihe Forum Moderne Theater sowie den Lektorinnen Kathrin Heyng, Vanessa Weihgold und Elena Gastring für ihre gedulidge Hilfe und kompetente Betreuung. Außerdem bin ich der VG Wort und der Associacione Itatliana di Germanistica für die Unterstützung zu Dank verpflichtet. Für die Anregungen und das schöne Beisammensein muss ich noch Dr. Gero Tögl danken, für die aufmerksame Lektüre meiner Arbeit Frau Margit Kohl, und für die wunderbare Freundschaft Tobias Honold, Elizabeth und der ganzen Familie Mittermeier, die zu meiner deutschen Familie geworden ist. Mein Dank gilt weiterhin meinen italienischen Unterstützern und Freunden: Ringrazio di cuore tutti miei compagni di avventura, senza i quali il dottorato a Milano non sarebbe stato lo stesso, in particolare Elisabetta Bevilacqua e Giulia Peroni; gli amici che non mi hanno dimenticato nonostante i mesi trascorsi all’estero e che saranno sempre dalla mia parte, qualunque scelta io faccia: Angelica, Annalisa, Gloria, Fabio, Federica e Marco; gli amici di famiglia, che poi sono la mia famiglia allargata: Marisa, Marco e Andrea, Laura, Flavio e Stefania. Stefania, grazie per esserci sempre stata. Ringrazio poi la persona che ha condiviso con me questi anni, tra sbalzi di umore, viaggi, pensieri a un mondo lontano, delusioni e gioie: senza di te, Andrea, punto fermo in una vita movimentata, non credo ce l’avrei fatta. Infine, non posso che ringraziare i miei genitori: non esisterebbe una riga di questo lavoro se non avessi avuto voi come esempio, esempio di onestà etica e intellettuale, di dedizione totale, di amore incondizionato.

Teil I. Ausgangspunkte
Die Praxisdimension

Ich mußte das sein, was meiner Zeit am meisten fehlte: Systematiker, Methodiker, der von unten auf organischen Zusammenhang suchte, Ganzheit; der ausging von den Elementen, von der Materie des Schaffens, von Sprache, Mimus, bewegtem Foto, Ton; der an Stelle der älteren Kunstbetrachtung nach äußeren Stoffen, Formen die inneren, ureigenen schöpferischen Mächte Gehalt und Gestalt setzte und die stilbildenden Faktoren der Persönlichkeit, der Zeit, der Gattung. Unter diesen Gesichtspunkten lehrte ich Dichtung, Theater, Film, Funk erfassen, jede Kunst für sich würdigen in ihrer stilistischen Reinhaltung. […]

Ein volles, schönes Leben ist mir geschenkt von Gott, in der Familie […]; in Geselligkeit mit guten Freunden, in der Sphäre des alten Schwabing mit all seinen Dichtern, Schriftstellern, bildenden Künstlern, Musikern, Schauspielern, Schlawinern; in Beziehung zu Künstlern, Forschern, Wissenschaftlern weit über Deutschlands Grenzen hinaus; besonders aber in dem berühmt-berüchtigten Kreise meiner Studenten. Dieser Kreis war ein dichtes Gewebe persönlicher, wissenschaftlicher und künstlerischer Beziehung, ein fester, magischer Ring, in welchem einer auf den anderen wirkte, einer den anderen steigerte, formte, ich meine Schüler, und diese mich, den sie tatfreudig erhalten haben und dem sie immer neues Leben zuführten. Wir waren uns gegenseitig menschliche Entwicklungsfaktoren. Die diesem Kreise angehörten, erkennen einander an heimlichen Zeichen und an der Parole Stilkunde, Theaterwissenschaft, Mimus. (Kutscher 1948: 257f.)

In der Dankesrede bei der Feier zu seinem siebzigsten Geburtstag zeigt Artur Kutscher das Hauptmerkmal der von ihm geförderten Disziplin auf: eine Dimension des Lernens, in der die soziokulturellen Quellen des menschlichen Schaffens erkannt, systematisiert und weitergegeben werden. Als „Theaterprofessor“ strebte er danach, einen Lehr- und Lernprozess zu entwickeln, welcher die Kluft zwischen logozentrischer Kunstforschung an Hochschulen und aktivem, dynamischem Erfahrungsaustausch an Ort und Stelle der theatralischen Tätigkeit überbrücken konnte. Wenn man heutzutage in der Münchner Theaterwissenschaft eine Spur der Leistung Kutschers sucht, dann findet man weder eine zeitübergreifende Taxonomie der Gegenstände und Grundbegriffe des Fachgebietes, noch eine umfassende Systematik von dessen Forschungsergebnissen; was sich von jener ersten Phase der Disziplin noch erkennen lässt, ist vielmehr die Praxisdimension, in der die akademische Lehre verwurzelt ist. Kutschers Kunstforschung war mit der Praxis unauflöslich verflochten.

In seiner lebenslangen Auseinandersetzung mit dem Untersuchungsgegenstand der neuen, noch zu legitimierenden Disziplin entwickelte Kutscher ein wissenschaftliches praxisbasiertes Untersuchungsverfahren, das avant la lettre viele Fragen problematisierte, die gerade heute im Zentrum der Debatte über die akademische Kunstforschung stehen. Das Konzept Praxis hat sich in der Geschichte der Theaterwissenschaft allmählich herausgebildet und ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts fand das praktische Wissen nun auch neben und manchmal vor der theoretischen Erkenntnis in Kunstfragen Beachtung. Deshalb ist es zunächst notwendig, Kutschers Auffassung von Praxis darzulegen und dann die Entwicklung des Konzepts und der ihm verbundenen Problematiken zu beschreiben. Am Ende werden in der früheren Münchner Theaterwissenschaft mehrere Schwerpunkte wieder zu erkennen sein, die auf ein praxisbasiertes Untersuchungsverfahren hinweisen, etwa die Reflexion über das Wesen des Theaters – sowie des Kunstwerkes –, die Frage nach der Objektivität der theaterwissenschaftlichen Forschung ebenso wie die Gedanken über Forschungsmethoden, Anwendung von Materialien, Feldforschung und direkte Partizipation der Forschenden.

Entscheidend für die Auffassung einer Kunstforschung, die nicht nur Forschung über ein künstlerisches Objekt ist, sondern die durch und für die konkrete Kunstpraxis betrieben werden muss, ist zuallererst die Definition des spezifischen Wissensbereichs. Kutscher erklärte wiederholt, das Gebiet der neuen wissenschaftlichen Disziplin umfange nicht nur das Drama, sondern auch Tanz, Schauspielkunst, Regie, Bühne, Dekoration, Technik sowie »Praxis und Gegenwärtigkeit und Lebendigkeit« (1936: 192). Praxis ist in dieser Hinsicht eine Komponente des facettenreichen Forschungsgegenstands, der sich als Aufführung schlechthin bestimmen lässt. Kutscher identifizierte nämlich die Aufführung mit dem Zusammenwirken eines textlichen und eines darstellerischen Elements, die dem Publikum und den Darstellern »genügend Erlebensmöglichkeiten« biete (1936: 10). Als solche entspreche die Aufführung einem Kunstwerk – und zwar einem organischen Lebewesen, Stil und Ausdruck menschlicher Existenz – und die theatralische Kunst einem Kulturfaktor. Kutschers Begriff von Aufführung und Theaterkunst hat in Wilhelm Diltheys Ästhetik seinen Ursprung, deswegen unterschied der Theaterprofessor im Theater zwei Bestandteile: das Universal, d.h. die menschliche Natur, und das Lebensgefühl der Gegenwart. Mit diesem Unterschied erklärte Kutscher die Tatsache, dass das Theater immer einen Prozess innerer Wandlung durchmacht, der sein Wesen nicht verändert, doch zeitgeschichtliche sowie gesellschaftliche Bedingtheiten registriert. In dem aufgeführten Kunstwerk suchte die von Kutscher geförderte Theaterwissenschaft dann sowohl die Gegenwärtigkeit als auch den ewigen Geist; gleichfalls verfolgte sie in der Forschung bzw. im Lernprozess die direkte Erfahrung und die kritische Reflexion über jene Erfahrung. Praxis wurde somit auch als Element des Untersuchungsverfahrens betrachtet. Es sei erst die dynamische, wechselseitige Beziehung zwischen Praxis und wissenschaftlicher Forschung, die zu einem komplexen System von Wissenserwerb und -vermittlung führe: Der Theaterforscher brauche einerseits einen umfassenden theoretischen Apparat, der ihm eine gewisse Vertrautheit mit den Grundelementen des Theaters, inklusive der Technik, gewährt. Andererseits werde eine aktive Teilnahme an der gemeinsamen Praxis benötigt, um die aktuellen Fragen nach den besonderen Bedingungen, den Möglichkeiten und den Grenzen des Theaters überhaupt stellen zu können und zu behandeln. Die Beteiligung an der praktischen Ausführung wird hierdurch zum Korrelat der Analyse und Interpretation der Ausführungen selbst. Diesbezüglich gab Kutscher einen erschöpfenden Überblick über die Stratifizierung der theaterwissenschaftlichen Forschung: Er skizzierte einen Verlauf, in dem sich Historiografie, Stilkunde und Praxis gegenseitig ergänzen. Die Theatergeschichte mache das Wandelbare und das Transitorische klar, obwohl die Quellen nicht immer sicher oder prüfbar sind; die Stilkunde zeige das Bleibende auf, das an den Menschen gebunden ist, und die Praxis veranschauliche die Beziehung zu den Realitäten des Theaters. Während die Theatergeschichte also eine fast objektive Basis für die Kunstbetrachtung garantiere, basiere die Stilkunde immer auf einem subjektiven Urteil. Artur Kutschers Anerkennung und Würdigung der Subjektivität innerhalb der theaterwissenschaftlichen Untersuchung ist in der Frühphase der Disziplin eigentlich außergewöhnlich. Das bedeutet aber nicht, dass Kutscher dem individuellen Charakter jeglicher Kunstbetrachtung und -bewertung freien Raum ließ. Er versuchte hingegen diese Neigung des Zuschauers und des Forschers einzudämmen: Er beschäftigte sich erstens damit, der ästhetischen Erfahrung eine begriffliche Terminologie und eine Grundsystematik zu geben, sodass die Stilkunde als eine Wissenschaft wirken konnte. Zweitens konzentrierte er sich auf die Praxis, weil kreative Prozesse und subjektive Urteile erst zu neuem Wissen werden könnten, wenn sie von einer (sozialen) Praxis, d.h. von der aktiven Teilnahme an einer gemeinsamen, gesellschaftlichen Theaterproduktion und -rezeption eingerahmt würden.1 Das Korrektiv der vermeintlichen Objektivität sowie der interpretierenden Subjektivität sei also die Vermittlung von Kunst und Leben, welcher eine umfassende Kenntnis der Elemente aller Stilbildung vorangeht: Persönlichkeit und Zeit, Gattung und Material. Um jede »Fachsimpelei« zu vermeiden, bedürfe die Theaterwissenschaft einer Balance zwischen Materialität und subjektiver Bewertung, die ständig ausgehandelt werden muss (Kutscher 1960: 75). Die Theaterwissenschaft, wie alle lebendigen Wissenschaften, wandele sich kontinuierlich und spezialisiere sich dem gegenwärtigen Empfinden entsprechend. Kutscher stellte damit die Fixierung der Bühnenkunst durch Artefakte und die Bereicherung des gegenwärtigen Theaters nebeneinander. In diesem Zusammenhang gewann die Praxis gegenüber der Theorie an Bedeutung: Für Kutscher umfasste sie das Anschauen von Materialien – etwa Modelle, Diapositive und Lichtbilder – wie aber auch Theaterbesuche, Studienfahrten, Übungen in praktischer Kritik, persönliche Fühlungnahme mit Theaterleuten und eigene Aufführungen der Studierenden. Objekte und Medien halfen der theaterwissenschaftlichen Betrachtungsweise, aber nur als Prämisse einer konkreten Feldforschung. Alle Materialien konnten dem Forscher nützlich sein, ihm die abstrakte Idee einer bestimmten Form vom Theater oder einer Aufführung zu geben, aber für eine Wissenserzeugung reichten sie nicht aus. Die Verhältnisse in der Wirklichkeit waren dort zu untersuchen, wo das Theater aktiv betrieben wurde. Widersprechende Anschauungen aus den Büchern oder aus den Bildern können nämlich, so Kutschers wissenschaftliches Selbstverständnis, erst durch direkte Betrachtung und direkte Partizipation ersetzt werden. Es ist der Aktivismus, der das ältere, rein spekulative und lebensferne Wissenschaftskonzept von den Vertretern der jüngeren Wissenschaft trennt, die dem tätigen Leben und der gegenwärtigen sowie künftigen Kunst dienen soll. Die theaterwissenschaftliche Lehrtätigkeit sollte folglich Intellektuelle ausbilden, die für stilkundliche, kulturgeschichtliche und zugleich soziale Fragen die Verantwortung übernehmen. Die Praxis – oder das dynamische Merkmal des theaterwissenschaftlichen Unterfangens – entfaltet sich dann in zwei Dimensionen: in einer zeitlichen und in einer geografischen bzw. sozialen. Was die zeitlich-geschichtliche Dynamik der praxisorientierten Theaterwissenschaft betrifft, muss man Kutschers Suche nach dem Ursprung des Theaters und seine besondere Neigung zur volkstümlichen Theaterkunst betrachten. Beide hängen mit seinem Streben zusammen, einen wissenschaftlichen Mittelweg zwischen der stark wechselnden Gestaltung des lebendigen Theaters und dessen kunstspezifischen, konstanten Faktoren zu finden. Die Notwendigkeit, zu den primitiven Ausdrucksformen der Bühnenkunst vorzudringen, führte Kutscher zur Beschäftigung mit Formen wie Bauerntheater und Laientheater, in denen er die Frühstufen der mimischen Kunst sah. Was hingegen die „soziale Landschaft“ der Münchner Theaterwissenschaft angeht, knüpfen die Mitglieder des Kutscher-Kreises Weltbeziehungen, nicht nur um »geistige Brücken« zu schlagen (1960: 193), sondern auch, um lokale, sprich deutsche Erscheinungen durch die Wechselwirkung mit anderen ausländischen Kunstformen zu bereichern. Darüber hinaus ermöglicht das globale und interdisziplinäre Beziehungsgeflecht dem Theater ebenso wie der Wissenschaft vom Theater eine dichte Vernetzung, eine produktive intellektuelle Kooperation. Die Vorteile dieser Kooperation resultieren aus der prägenden Begegnung zwischen Anhänglichkeit an heimatgebundenen Traditionen, Hochschätzung der deutschen Dichtung und Anregung zur Erneuerung lokaler Kunst einerseits, und Öffnung zur Transkulturalität des globalen Phänomens Theater andererseits. Durch die Beteiligung aller Forscher an der gemeinsamen Arbeit und durch den Erfahrungs- und Wissensaustausch in der Theaterpraxis verwischen sich die Grenzen zwischen akademischer Wissenschaft und Praxis. Es gibt also keinen theatralischen Diskurs bzw. keinen Logos, der die Theaterpraxis beherrscht und vorstrukturiert, sondern eine wechselseitige Beeinflussung von Theorie und Praxis. Die Methodologie der von Kutscher angeregten Theaterwissenschaft vermittelt eine anschauliche Vorstellung der geistig-sinnfälligen Struktur jeder praktischen Ausführung2 und anerkennt das direkte, konkrete Experimentieren ebenso wie die Anwendung künstlerischer Mittel in der Forschung überhaupt als wissenschaftlich gültige Methodik.