Kitabı oku: «Purgatory - Wiedergeburt», sayfa 3
01. Resurrection
Das dreidimensionale Bild des Kommunikationsinterface war etwas zu blass, doch das störte den Zuseher meist kaum.
Zu erkennen war eine gut aussehende Mittdreißigerin in einem schlichten, äußerst knappen und extra tief ausgeschnittenen schwarz-weißen Kleid.
‚Sehr viel tiefer darf der Ausschnitt für die Nachrichten nicht mehr sein‘, dachte Branko Enzegowic grinsend, während er sich vorstellte, was wohl geschah, wenn sich die Brüste wirklich selbstständig machen würden. Heute interessierte das kaum jemanden. In seiner Jugend waren noch puritanisch geprägten Regeln zu Liveübertragungen in Kraft gewesen. Zeitversetzte Ausstrahlung, ausblenden verbotener Wörter und so weiter, waren an der Tagesordnung.
Niemand außer ihm konnte die Nachrichtensendung hören, keiner sah das Bild. Die KIFs jedes Einzelnen waren mit dem genetischen Zellcode verwoben. Dieser unterschied sich sogar bei Klonen, wenn auch nur geringfügig, und machte die Interfaces daher sehr sicher.
Die süße Stimme hämmerte in seinem Kopf, während sich die Aufnahme änderte. Sie stand vor dem Fenster zu einem OP-Saal. Dahinter sah man einen Körper, der hinter den Tüchern der Chirurgen vollkommen verschwand.
Heute war ein großer Tag, das wusste Branko, und wie er ausging, würde über viel entscheiden.
Er war ein unscheinbarer Mann. Auf der Straße hätte man ihn vermutlich einfach übersehen, wenn man ihm begegnete. Und doch auf dem Mars war er ein großer Mann. Er war das Gesicht und der Mann hinter der Sezession.
Zu lange hatte die Allianz den Mars wie eine Kolonie betrieben. Seine wirtschaftliche Kraft durch Zölle gehemmt und durch erschwerte Einfuhr den Aufschwung blockiert.
Hatten sie dafür vor so vielen Jahren gegen die Mendraner gekämpft?
Nur um noch immer unter Fremdbestimmung zu existieren?
Natürlich hatte ihnen die Regierung der VSA die Gründung eines eigenen Parlaments zugesagt. Man sicherte ihnen Sitze in der Hauptversammlung und ein Mitsprache- und Mitbestimmungsrecht zu.
Nur halbherzige Zugeständnisse. Die Abgeordneten des Mars vertraten beinahe ein Sechstel der Gesamtbevölkerung, doch ihre Stimmkraft in der Versammlung repräsentierte das nicht.
»Es ist ein großer Tag. Zum ersten Mal in der Geschichte wird ein als Blackbox bekannter Erinnerungsdatenspeicher in eine geklonte, menschliche Hülle eingeführt. Die Daten werden übertragen und danach der Körper wiederbelebt.
Das Ergebnis soll ein Individuum mit den gleichen Fähigkeiten und Erinnerungen eines Menschen zum Zeitpunkt des Todes sein. Ausgewählt für dieses Prestigeprojekt, mit dem sehr passenden Namen: Project Resurrection, des PHIMA-Konzerns, wurde eine verehrte Heldin aus der Zeit des Erstkontaktkriegs: Lieutenant Aaliyah Dearing.
Lieutenant Dearing wurde in der Benjan-Kolonie auf dem Mars geboren. Nach dem Angriff der mendranischen Flotte desertierte sie von ihrer Ausbildungseinheit und schlug sich bis in ihre Heimat durch. Schwer verletzt wurde sie nach New Hope gebracht, wo sie schnell zu einer charismatischen Figur des Widerstandes aufstieg. Ihre Berichte und Einträge, die sich wie ein Lauffeuer über die Erde verbreiteten, sind noch heute vielen Menschen ein Begriff.
Nach dem Tod von Joseph Liebermann übernahm sie die Leitung ihrer Zelle und führte sie mit den verbliebenen Widerständlern des Mars zusammen.
Diese Gruppen spielten bei der Befreiung des Mars‘ eine große Rolle. Ihr selbstloser Einsatz, gepaart mit ihren kurzen Einträgen im Infonet, die vom Leben als Gejagte unter einer feindlichen Herrschaft berichteten, wurde sie zum Symbol des Durchhaltewillens der Menschheit.«
Branko Enzegowic brummte etwas Unverständliches. Er konnte sich gut an die kurzen Posts erinnern. Sein Vater hatte ihm damals immer ihre Berichte vorgelesen. Sie hatten ihnen Mut gemacht, als sie sich in den Ruinen ihrer Häuser versteckten.
Dann war der Tag gekommen, als das Shuttle auftauchte und die Mendraner die Menschen zusammentrieben, in ein Raumschiff steckten und in eine Mine auf einen anderen Planeten brachten. Dort sollten sie etwas für sie abbauen, doch Branko erfuhr nie was genau. Nur so viel, dass der Abbau für die Mendraner selbst zu gefährlich war und spezielle Minenroboter fehlten. Die meisten der Einwohner des Himmelskörpers waren bereits in den übrigen Bergwerken versklavt worden und nun importierten die Mendraner Gefangene als Arbeitskräfte.
Beinahe ein Jahr verbrachten sie in der Mine eingesperrt, als eines Tages plötzlich Schüsse und Explosionen zu hören waren. Ihre Bewacher stürmten hinaus und kehrten nie wieder zurück. Dann war da jemand in einem Kampfanzug. Er brachte sie nach draußen auf einen Landeplatz.
Doch auch hier wurde gekämpft und Kugeln fuhren in ihre Gruppe. Mehrere Geschosse trafen seinen Vater in Brust und Kopf. Und da war nur noch Blut.
Branko würde diese Momente niemals in seinem Leben vergessen können. Allerdings auch nicht die, als er durch das Visier des Helmes in die hellen Augen der jungen Frau blickte, die seine Hand genommen und ihn hochgezogen hatte. Sie mochte vielleicht achtzehn oder neunzehn Jahre alt sein, aber sie zeigte keine Angst.
Ohne merkliche Anstrengung hatte sie den Elfjährigen in ein Shuttle gesetzt und dann ihre Waffe gehoben und auf die Angreifer gefeuert. Sie deckte den Abflug und riskierte ihr Leben.
Noch nie zuvor hatte Branko Enzegowic eine Person mit solcher Ausstrahlung erlebt. Und über Jahre hindurch verfolgten ihn die freundlichen Augen in seinen Träumen. Auch, seit er wusste, um wen es sich dabei gehandelt hatte.
Bereits zu Lebzeiten war Aaliyah Dearing eine Legende gewesen. Doch mit ihrem Tod wurde sie endgültig unsterblich.
Ihr war es gelungen, im Alleingang ein Superschlachtschiff und zwei Kreuzer zu zerstören und damit die Flotte der Allianz zu retten.
Die Medien hatten davon berichtet und schon nach wenigen Monaten wurden Plätze und Straßen nach ihr benannt. Und nicht nur das. Das Militär und die Regierung setzten auf ihren Ruf, um Geld zu lukrieren und Rekruten anzuwerben.
Den Menschen gab die Erinnerung an sie Hoffnung. So kannten selbst heute noch, mehr als dreißig Jahre später, kleine Kinder den Namen Aaliyah Dearing und wussten um ihre Verdienste.
»Lieutenant Dearing starb während eines Einsatzes, über den die Militärführung eine strikte Informationssperre erlassen hat. Nur ihre letzte Tat ist bekannt.
Als Gefangene auf einem Schiff der Mendraner gelangte sie bis ins Cockpit und übernahm die Kontrolle über den Kreuzer. Es gelang ihr, das Superschlachtschiff damit zu rammen und zu zerstören.
Dabei fand sie den Tod und stürzte mit den Resten der Schiffe und Tausenden Mendranern auf dem Mond Europa ab.
Archäologen entdeckten dort vor zehn Jahren Knochenfragmente, die man ihr zweifelsfrei zuordnen konnte, sowie die Blackbox. Diese war ihr als einer der wenigen Personen testweise und so berichten Gerüchte, ohne ihr Wissen, eingesetzt worden.
Mit der gefundenen DNA und den Daten der Blackbox will PHIMA sie nun wieder ins Leben zurückbringen.«
Branko Enzegowic seufzte leise. Niemand in der Bahn nahm von ihm Notiz. Die meisten der Fahrgäste sahen vermutlich selbst gerade die Übertragung. Es wunderte keine Menschenseele.
PHIMA, vormals Pheron International Mining Association, heute Pheron Interstellar Mining Association, war der mächtigste Konzern der Allianz, wenn nicht gar in der gesamten, bekannten Galaxie.
Pheron unterhielt Minen auf Hunderten von Welten und Asteroiden, doch sie beschränkten sich nicht nur auf den Abbau und Handel von Rohstoffen. Mittlerweile gab es wohl keinen Bereich des täglichen Lebens mehr, in dem das Unternehmen seine Finger nicht im Spiel hatte.
Pheron produzierte Pharmazeutika genauso wie Spielzeug, Nahrung, Gleiter und Waffen. Und das nicht nur innerhalb der Allianz. PHIMA Produkte konnte man auf nahezu allen bekannten Welten finden, egal ob nun von den Menschen besiedelt oder in der Hand einer anderen Rasse.
Diese Macht war Branko Enzegowic ein Dorn im Auge. Lange Jahre war er selbst Angestellter, doch der Umgang des Konzerns mit Mitarbeitern, ließ ihn zu einem Kritiker, wenn nicht gar Feind des Unternehmens werden.
PHIMA war nicht gerade für seine schonende beziehungsweise unterstützende Zusammenarbeit mit Untergebenen bekannt. Oder gar, sich auf Widerspruch einzulassen. Die PHIMA unterhielt die größte Privatarmee der Galaxie. Sie löste für sie Konflikte, Streiks und mischte sich sogar in Kriege und Umstürze ein, wenn die Seite, auf die sie sich stellten, dem Konzern dafür Konzessionen versprach.
Das ausgerechnet diese Firma nun so viel Geld in die Wiedererweckung einer Kriegsheldin investierte, musste einen Grund haben, doch Branko hatte keinen Verdacht wohin das führen sollte.
»Die Ärzte leiten gerade den letzten Prozess der Wiederbelebung ein. Das muss gleichzeitig mit dem Upload der Erinnerungen geschehen, sonst würde das Gehirn innerhalb von Minuten ein eigenes Bewusstsein entwickeln«, erklärte die Reporterin.
Sie blickte über ihre Schulter. Im Operationssaal war Hektik ausgebrochen. Etwas musste schief gelaufen sein. Mit offenem Mund starrte Branko auf das kleine, dreidimensionale Bild, ehe es plötzlich schwarz wurde und die Verbindung abriss.
»Das ist eine Katastrophe! Wie konnte es dazu kommen?«
Stephen J. Lyle wirkte alles andere als glücklich. Der Vorstandsvorsitzende der PHIMA blickte auf den kleineren Mann im Raum hinab.
Doktor Ravindran Simhan lehnte erschöpft an einem der Metalltische und starrte der dreidimensionalen Projektion seines Chefs in die Augen. Seit beinahe achtzehn Stunden war er nun bereits im Operationssaal. Sie standen so dicht vor der Wiederbelebung. Doch dann ging es schief.
»Wir konnten nichts machen«, erklärte er achselzuckend, »Ich habe Sie darauf hingewiesen, dass manche menschliche Gehirne auf die Übertragung aus der Blackbox mit Abwehr reagieren.
Dearing hat heftig reagiert. Heftiger als jedes andere Individuum, mit dem wir bisher experimentiert hatten.«
»Welche Chancen auf einen erfolgreichen Abschluss haben wir?«
»Sie verstehen das nicht, Mr. Lyle«, antwortete Ravindran Simhan ruhig, »Dearings Klon ist tot. Das Gehirn ist nur noch eine graue Masse ohne Funktion. Der Körper beginnt abzusterben. Wir haben verloren.«
»Dann müssen wir einen neuen Klon erschaffen. Es gibt doch mehrere Embryonen, oder?«, fragte Lyle nach, der sich nicht geschlagen geben wollte.
»Ja, aber keiner davon war so perfekt wie dieser. Wir haben einige mit Krebs, andere mit Verkrüppelungen, nur dieser war frei von Krankheiten. Das Zellmaterial war zu schlecht und dieser Klon ein Glückstreffer mit einer Chance von eins zu einhundert. Dazu kommt, das das System der Blackbox eine heute beinahe unbekannte Technik ist. Nach der Öffnung beginnt sich der Datenspeicher zu zersetzen. Das geht rasend schnell. Das Projekt ist gescheitert.«
»So einfach gebe ich nicht auf Doktor Simhan und ich erwarte das auch von Ihnen. Dearing ist wichtig für das Unternehmen. Mit ihrer Hilfe können wir die Separatisten auf dem Mars und auf allen anderen Kolonien in die Schranken weisen.
Denken Sie doch, welche Publicity eine lebende Aaliyah Dearing bedeutet. Welches Licht, das auf uns wirft.
Wir haben den Tod besiegt und eine Heldin wiedererweckt. Eine Heldin der Menschen, die auch bei anderen Spezies einen hohen Stellenwert besitzt. Unsere Aktien werden in unbekannte Sphären steigen und dazu können wir dann über eine Lichtgestalt verfügen, die wir unter Kontrolle haben. Was für eine Anführerin für unsere Truppen.«
Das Hologramm hob den Kopf und starrte sinnierend an die Decke. Doktor Simhan wagte nicht, etwas darauf zu erwidern. Es gab für ihn nur eine Möglichkeit, Dearing zu retten.
»Wir müssen neue Klone erschaffen«, schloss der Vorstandsvorsitzende, doch der Doktor schüttelte den Kopf.
»Ich habe Ihnen bereits gesagt, dass das nicht möglich ist. Die Blackboxes besitzen äußert empfindliche organische Speichermedien. Bereits jetzt beginnen sich die Daten zu zersetzen, in zwei Stunden sind sie unbrauchbar und dann für immer verloren. Wir müssen jetzt handeln und können keine fünf Jahre auf einen neuen, ausgewachsenen Klon warten.«
»Was schlagen Sie dann vor?«
»Es gibt nur noch eine Möglichkeit«, meinte Ravindran Simhan, »Wir müssen sie in einen anderen Körper transferieren.«
»Und woher bekommen wir den so schnell?«, fragte Stephen J. Lyle wild gestikulierend.
»Wir arbeiten parallel am Projekt Trojan Horse«, fuhr der Doktor fort, »Der Plan ist eine Führungspersönlichkeit in eine fremde Kultur einzuschleusen und dort die Macht zu übernehmen. Dazu wollten wir einen lebenden Körper, mit einer von uns entwickelten und kontrollierten virtuellen Intelligenz ausstatten. Im Gegensatz zu einer künstlichen Intelligenz hätte sie damit kein eigenes Bewusstsein, wäre aber lernfähig und natürlich unbedingt loyal.«
»Ich weiß, was denken Sie, wer den Denkanstoß zu diesem Projekt gegeben hat.«
»Verzeihung. Also, es gibt einen Körper, der zur Zeit zur Einpflanzung vorbereitet wird. Dieser besitzt noch ein Gehirn und wäre grundsätzlich dafür geeignet. Auch ist der Körper weiblich, doch das Aussehen ist leider weit entfernt von dem Aaliyah Dearings.«
»Sie sehen das als letzte Möglichkeit? Was ist das für ein Körper?«, fragte Lyle nach und kratzte sich nachdenklich am Kinn.
»Es ist eine Elevan.«
»Eine Elevan? Sind Sie verrückt? Dearing war eine Frau nach meinem Geschmack. Ein einfaches Mädchen. Voreingenommen gegen alle anderen Rassen. Und sie hasste die Elevan.«
»Entweder die Elevan oder Dearing verschwindet für immer«, schloss Doktor Simhan.
Es kostete Lyle sichtliche Überwindung. Er mochte die Elevan nicht, genauso wenig wie die meisten anderen der außerirdischen Rassen. Dabei waren die Elevan im Grunde einst Menschen gewesen.
Eine kleine Gruppe von, wie man vom heutigen Standpunkt aus behaupten könnte, Visionären, damals nannte man sie Verrückte, setzte sich auf einen kleinen Mond ab und gründete dort eine Kolonie. Sie schmiegte sich mit seltsam anmutenden Steinbauten an einen hohen Berg und erhielt den Namen Kaleron.
Kurz darauf begannen die Experimente. Mittels gezielter Mutation erschufen sie eine neue Rasse von Menschen und schrieben gleichzeitig einen Verhaltenskodex nieder, der sich an einem, mittlerweile vergessenen, Fantasy-Buch aus dem 21. Jahrhundert orientierte.
Die Gesellschaft der Elevan wirkte archaisch, war jedoch von Anfang an sehr offen. Aufgrund ihrer Mutationen konnten die Elevan auf vielen Welten siedeln, die für menschliche Siedler tödliche Umweltbedingungen boten.
Dafür wurden die Elevan eingesetzt, doch lebten sie mehr wie Sklaven in der Gesellschaft, denn als gleichberechtigte Bürger.
Diese Missstände führten zur Rebellion und zum Krieg. Die Elevan wollten als eigenständige Rasse anerkannt werden und waren bereit, dafür zu kämpfen. Und das taten sie.
An Körperkraft, Reaktion und Intelligenz den Menschen überlegen, waren sie siegreich und eroberten weitreichende Territorien der Allianz. Nach jedem Sieg schickten sie eine Botschaft an die Regierung, dass man von weiteren Kämpfen absehen würde, wenn man als eigenständige Rasse, mit eigenständiger Verwaltung angesehen würde. Doch die Regierung lehnte immer ab.
Erst der Angriff der Mendraner gab ihnen die Freiheit, für die sie gekämpft hatten. Die Allianz konnte keinen Zweifrontenkrieg führen und die Elevan wurden selbst von den Mendranern bedrängt. Die Regierung erkannte die Souveränität an und schloss mit den Elevan ein Angriffs- und Verteidigungsbündnis. Mit der Zeit wurde daraus ein festerer militärischer und wirtschaftlicher Zusammenschluss.
Lyle war während der Kriege jung und diente als Sanitäter auf der Erde. Für ihn war das der Inhalt einer Geschichtsstunde. Doch um die Elevan zu verstehen, musste man ihre Geschichte kennen.
Man sah sie nun immer häufiger auf der Erde. Menschenähnlich, aber im Durchschnitt wohl etwas größer. Auch ihre Lebenserwartung entsprach denen der Menschen. Allerdings, im Gegensatz zur menschlichen Bevölkerung, starben die Elevan nicht an Krebs oder Krankheiten. Sie waren dagegen immun. Ebenso wie gegen viele Umwelttoxine.
Ihre Haut- und Gewebestruktur war dichter als die der Menschen. Die Muskeln kräftiger, die Reflexe schneller. Ihre Pupillen wirkten wie die von Raubkatzen und wurden von einem zusätzlichen, durchsichtigen Lid geschützt, das wie eine Sonnenbrille selbst UV-Strahlen hoher Intensität abblockte. In der Nacht ermöglichte es eine Verstärkung des Restlichts und versetzte die Elevan damit in die Lage, sowohl bei gleißendem Licht, als auch bei Dunkelheit immer einsatzbereit zu sein.
Je länger Lyle darüber nachdachte, so war der Gedanke verlockend Dearing in einem solchen Körper wiederzuerwecken. Er könnte damit zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Mit ihrer Persönlichkeit hatte er einen Draht zu den Menschen. Ihr Aussehen brächte bei den Elevan Sympathien.
Dazu wäre sie noch stärker, schneller und intelligenter als zuvor. Davon abgesehen wurden den meisten Elevan bereits in frühester Jugend Bioimplatate eingesetzt, die Muskeln und Gelenke unterstützten und ihnen zusätzlich übermenschliche Kräfte verliehen.
Stephen J. Lyle begann der Gedanke einer Supersoldatin zu gefallen. Seiner Supersoldatin.
»Gut, Doktor«, sagte er schließlich, »Tun sie es. Ich werde es der Presse erklären, sobald ich eine positive Rückmeldung von ihnen habe.«
Der Anruf kam in der Nacht und holte Stephen J. Lyle aus dem Bett. Seine Frau neben ihm bemerkte nichts davon. Vorsichtig richtete er sich auf und hob seinen Arm.
Helle Linien auf der Haut begannen zu leuchten, ehe sich eine dreidimensionale, leicht durchscheinende Konsole vor ihm aufbaute. Mit einer Hand bediente er die Tasten und berührte schließlich den blinkenden Button.
Wie aus dem Nichts entstand ein Bild, das frei über seiner Hand schwebte und nur für ihn sichtbar war. Sofort erkannte er das Gesicht von Doktor Ravindran Simhan. Der gebürtige Inder wirkte müde, doch zufrieden.
»Doktor?«, fragte Lyle und versuchte, seine Aufregung zu verbergen.
»Wir haben es geschafft. Das Elevangehirn nahm die Informationen viel besser an, als das Menschliche. Vermutlich, weil die Elevan seit jeher an diese Art von Eingriffen gewöhnt sind.
Sie schläft jetzt und wir halten sie im Schlaf, bis sich Gehirn und Erinnerungen eingespielt haben. Unserer Erfahrung nach dauert das etwa vierundzwanzig Stunden. Danach können wir sie aufwecken.«
»Gute Arbeit, Doktor«, meinte Lyle sichtlich erleichtert, »Ich werde gleich morgen eine Pressekonferenz einberufen. Die Presse zerfetzt uns bereits, weil wir die Liveübertragungen gestern unterbrechen ließen. Ich muss sie mit Informationen füttern, sonst wird das eine Publicitydesaster. Also: Was kann ich ihnen sagen?«
»Die Wiederbelebung wurde erfolgreich durchgeführt, die Erinnerungen sind implantiert und werden gegenwärtig vom Gehirn übernommen. Bisher funktioniert alles so, wie wir uns das vorgestellt haben.
Allerdings würde ich die Sache mit der Elevan nicht verschweigen. Besser wir bereiten sie bereits darauf vor, bevor Dearing zum ersten Mal an die Öffentlichkeit tritt.«
Lyle nickte müde. Er hatte verstanden.
»Legen Sie sich hin, Doc. Das werden ein paar aufreibende Tage.«
»Nicht so beschwerlich, wie es bisher war. Aber dennoch. Gute Nacht.«
»Gute Nacht.«
Stephen Lyle legte sich wieder zurück und blickte auf seine Uhr. Es war 3:44 morgens. In etwas mehr als zwei Stunden würde der Wecker läuten und ihn wieder aus dem Schlaf reißen. Doch vermutlich würde er nicht mehr einschlafen können.
Vorsichtig stand er auf und durchquerte das Zimmer. Als er mit einer Handbewegung die automatische Tür aktivierte, die lautlos zur Seite glitt, regte sich seine Frau.
»Wo gehst du hin, Schatz?«, fragte sie.
»Ich kann nicht mehr schlafen.«
»Es ist noch nicht einmal vier Uhr. Was hält dich denn schon wieder wach?«
»Wir haben es geschafft«, sagte er leise.
Doch seine Frau hatte es gehört. Blitzartig richtete sie sich auf und starrte in die Dunkelheit, wo der Körper ihres Mannes nicht mehr als ein Schatten war.
»Aaliyah Dearing lebt?«
»Ja, wenn auch nicht in dem dafür vorgesehenen Körper«, seufzte Lyle, »Es gab Komplikationen und ihr Körper starb ab. Wir mussten reagieren und haben das Bewusstsein in eine Elevan transferiert. Es war notwendig, sonst hätten wir auch die Daten der Blackbox verloren.«
»Ich kenne die Probleme mit diesen organischen Speichermedien. Aber eine Elevan?
Dearing verachtete die Elevan, das weiß man doch. Und sie hasste die Mendraner. Ich halte es noch immer nicht für eine gute Idee, ein solches Relikt wieder auf diese Welt loszulassen.«
»Jetzt ist es zu spät, mein Schatz. Sie wird das Größte werden, was wir jemals erschaffen haben. Auf ihren Schultern wird die PHIMA zum absoluten Marktführer aufsteigen. Du wirst es sehen.«
»Es gefällt mir trotzdem nicht«, erwiderte sie und legte sich zurück in die weichen Kissen, »Sie ist ein Fossil. Sie gehört nicht mehr in diese Zeit. Erinnere dich daran, was sich in den letzten dreißig Jahren verändert hat. Sie wird in eine Welt geworfen, die sie nicht versteht, die sie nicht kennt.«
»Sie wird es lernen. Es geht um sie und um den Einfluss, den sie in der Bevölkerung besitzt. Wir werden sie mit allen Informationen versorgen, die sie braucht und wir werden darauf achten, dass sie nicht gleich schwere diplomatische Verstimmungen heraufbeschwört. Sei unbesorgt.«
Seine Frau brummte etwas Unverständliches und Stephen Lyle verließ das Schlafzimmer. Er ging die Treppe hinunter ins Wohnzimmer und aktivierte den Infoport vor der Couch. Augenblicklich bauten sich vor ihm dreidimensionale Projektionen auf, die genau auf seine Bedürfnisse zugeschnitten waren.
Links befand sich eine Auflistung seiner Nachrichten. Wie immer waren es zu viele um sie schnell überfliegen zu können. Aber seine Assistenten hatten bereits die Wichtigen mit einem Symbol versehen und so nahm sich Stephen diese zuerst vor.
Ein kleiner Aufstand in einer ihrer Minen, war erfolgreich von den Raidern, so wurde die Eingreiftruppe des Konzerns genannt, unterdrückt. Dabei waren drei Arbeiter getötet und zwanzig verletzt worden.
Die Informationen darüber würden zwar bestimmt an die Medien durchsickern, doch wie immer könnten die Pressesprecher dies relativ einfach klären. Der Konzern hatte Macht. Die Presse war ohnehin zahnlos geworden.
Börsenkurse wurden auf einem Laufband in der Mitte der Projektion angezeigt, während darüber gleichzeitig vier Nachrichtensender liefen. Sobald Stephen seinen Blick einem davon zuwandte, hörte er den entsprechenden Ton dazu.
Auf der rechten Seite war sein Terminkalender. Auch an diesem Tag war er zum Bersten gefüllt, doch heute waren andere Dinge wichtiger. Er würde das Labor besuchen und mit der Presse sprechen müssen. Alles andere war zweitrangig.
»Argus«, sagte er und ein leicht durchsichtiges Bild erschien in der Projektion.
Es war das Gesicht einer Frau. Natürlich würde jeder, der den Argus benutzt, seine eigenen Einstellungen besitzen. Stephen Lyles Projektion, war das Gesicht seiner Frau, das hier dargestellt wurde.
»Guten Morgen, Stephen«, sagte eine sanfte, warme Stimme, »Was kann ich für dich tun.«
»Sämtliche Termine von heute verschieben. Setz eine Pressekonferenz um vier Uhr nachmittags im Hauptgebäude an. Lade alle bekannten Medien dazu ein, doch sieh zu, dass unsere vorne am Podium sitzen.«
»Erledigt. Sonst noch etwas?«
»Nein.«
Das Gesicht verschwand. Der Kalender hatte sich verändert. Der heutige Tag hatte nun nur noch einen Eintrag. Pressekonferenz stand in der Spalte um 16:00 und reservierte dort eine Zeitspanne von zwei Stunden.
Argus war eine Entwicklung seines Unternehmens. Eine virtuelle Intelligenz, ohne Bewusstsein, die auf die Befehle ihrer Herren reagierte und sie ausführte. Dazu besaß sie die Fähigkeit, alle Geräte zu kontrollieren, die mit der jeweiligen Computerkonsole verbunden waren.
Der Name war durch die etwas holprige Bezeichnung Automatic Research and Guarding Universal Servant, kurz Argus, entstanden. Die Namensgleichheit mit dem vieläugigen Riesen aus der griechischen Mythologie, der auf Befehl Heras, Zeus‘ Geliebte Io bewachte, war beabsichtigt und führte daher wohl zu dem etwas ungewöhnlichen Akronym.
Für Stephen Lyle machte das keinen Unterschied. Auch, dass die Techniker dabei nicht den griechischen Namen, Argos, sondern den lateinischen verwendet hatten, spielte keine Rolle.
Argus war eine der am besten funktionierenden VIs, die für Privatpersonen zu bekommen war. Und sie lieferte bei jedem Gebrauch einen Bericht an den Zentralserver von PHIMA, wo die Daten ausgewertet wurden und in die Marktanalysen, Werbung und in andere wichtige Bereiche einflossen.
Der Gedanke daran, dass die Menschen sich nicht bewusst waren, wie viel ihrer persönlichsten Daten diese VI sammelte, ließ Lyle schmunzeln. Sie waren zu naiv. Die großen Sorgen wegen Datensicherheit und Persönlichkeitsschutz waren spätestens seit der Zeit des Erstkontaktkrieges Geschichte.
Die Angst machte Menschen gefügig und sie ließen zu, dass man ihnen einen großen Teil ihrer persönlichen Freiheiten nahm. Ja, sie drängten geradezu darauf. Für sie war Argus nicht mehr als eine sprachaktivierte Verbindung zum Netz, zu ihren Häusern, Fahrzeugen, Computern und so weiter, gleich wie alle ihre Vorgänger ebenso. Für den Konzern war Argus das Auge in die Schlafzimmer aller Planeten und Spezies.
Lyle lehnte sich auf seiner Couch zurück. Das kühle Leder schmiegte sich angenehm an seine Haut und erwärmte sich langsam. Es war nicht einfach gewesen, dieses gute Stück mit echtem Leder zu bekommen. Aber es war jeden Credit wert.
Daran dachte er, als ihn die noch vorhandene Müdigkeit wieder in Morpheus Sphären zog.
Es war ein kahler Raum. Kein Schmuck, keine Fenster, keinerlei störende Einrichtung. Die Decke leuchtete in einem sanften, kalten blauen Licht. Genau in der Mitte, auf einem Bett, lag ein Körper, den man mit unzähligen Tüchern abgedeckt hatte.
Eigentlich war es kein Bett. Es besaß nur ein breites Standbein, von dem aus sich ein weißer Körper, ähnlich eines Schiffsrumpfes, in beide Seiten erstreckte. Die Grundfläche war Oval und bot einem sehr großen, sehr dicken Menschen genug Platz, um bequem darauf zu liegen. Allerdings würde der Körper niemals die Oberfläche berühren.
Diese spezielle Konstruktion war für Operationssäle und Brandopfer entwickelt worden. Der Körper verharrte in einem Zustand der Schwerelosigkeit, wenn man ihn abgelegt hatte. Dadurch war er leicht manövrierbar und konnte doch mit den Kraftfeldern, die den Körper in diesem Zustand hielten, jederzeit so fixiert werden, dass keinerlei Bewegung mehr möglich war.
Über diesen Weg hatten die Betten Einzug als Stationsbetten in den Krankenhäusern gehalten. Viele lästige Wartungsarbeiten entfielen. Außerdem passten sich die Felder ideal auf jede Schlafposition an und durch die Absperrung konnte niemand das Bett verlassen, wenn man das wollte.
Ein leises Zischen ertönte, als Stephen J. Lyle den Raum betrat. Jedes dieser Betten besaß eine eigene Stromquelle, welche den Computer speiste, der die Kraftfelder steuerte. Ihr Summen war kaum wahrnehmbar und verschwand nach wenigen Augenblicken aus dem Bewusstsein der Besucher und Patienten.
»Da haben wir sie«, sagte Ravindran Simhan ehrfürchtig und blieb am Fußende stehen.
Lyle trat an das Kopfende. Vor ihm lag eine Frau mit dunklem Teint und schwarzen Haaren, die jedoch in ein Haarnetz gesteckt worden waren, um bei den Operationen nicht zu stören. Das Gesicht war bezaubernd, wie bei den meisten der Elevan. Eine Stupsnase, volle Lippen, dazu die hohen Wangenknochen. Störend wirkten lediglich die spitz zulaufenden Ohren.
Vorsichtig berührte Lyle die ebenholzfarbene Haut. Sie war weich und makellos. Seine Finger wanderten zu ihren Augen und zogen das Lid etwas nach oben. Ein graublaues Auge mit einer schlitzförmigen Pupille wurde sichtbar.
Er ließ die Hand nach unten gleiten und öffnete ihre Lippen. Die Zähne waren, wie bei den Elevan üblich, spitz und glichen Raubtierzähnen. Sie passten perfekt ineinander und bildeten eine durchgängige weiße Wand, wenn sie geschlossen waren.
Die Brust unter den dünnen Tüchern hob und senkte sich regelmäßig. Mit einer schwungvollen Bewegung deckte Lyle sie ab.
Hier war die Haut nicht mehr so makellos. Die Frau musste zu Lebzeiten einiges durchlebt haben. Der Körper war von Narben übersät. Die großen Brüste saßen straff auf dem breiten Brustkorb.
Der Bauch war flach und auch hier gab es unzählige kleine, hell leuchtende Wundmale. Das Muster zog sich beinahe bis zu den schlanken Unterschenkeln hinab.
Schmutzig grinsend musterte Lyle den Schoß und die leicht geöffneten Schenkel. Hier unterschieden sich die Elevan offensichtlich ebenfalls nicht von den Menschen. Selbst wenn es viele Geschichten über zahnbewährte Genitalien und Ähnliches gab.
»Was ist mit ihr passiert?«, fragte er den Doktor.
»Eine Granate. Schrapnelle haben sie durchlöchert. Wir konnten den Körper wiederherstellen, doch das Bewusstsein war erloschen. Deshalb hielten wir sie künstlich am Leben.
Heute Abend wird es eine Hautrekonstruktion geben. Dann sind die Narben morgen verschwunden. Aber da wir schnell handeln mussten, steht das nun hinten an«, antwortete der Inder.
»Gute Arbeit, Doktor. Wirklich hervorragende Arbeit«, meinte Lyle beeindruckt.
»Danke, Sir.«
»Begleiten Sie mich zur Pressekonferenz. Und bringen Sie ein Bild mit.«
Damit verließ Lyle den Raum und trat in den Verbindungsgang, der von mehreren Sicherheitsleuten bewacht wurde. Assistenten des Doktors fotografierten die neue Aaliyah Dearing. Noch ehe Lyle den Labortrakt verlassen hatte und sich in einem Expresslift nach oben befand, erhielt er das Foto auf seinem Kommunikator.
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