Kitabı oku: «Malvina Moorwood (Bd. 1)», sayfa 3

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»Du meinst wie Detektive?«

Tom hörte sich auf einmal nicht mehr ganz so verpennt an. Er mochte nämlich Detektivgeschichten, wie mir gerade einfiel. Tom mochte eigentlich jede Art von Büchern und las im Gegensatz zu mir von morgens bis abends (wenn er nicht irgendwelche Knobelaufgaben löste oder mit seiner Playstation herumdaddelte) – aber Detektivgeschichten, die las er besonders gern.

Ich hatte ihn am Haken.

»Ganz genau. Wie Detektive«, sagte ich. »Bist du dabei?«

»Bin ich«, bestätigte Tom.

»Schlag ein«, sagte ich und hob meine rechte Hand.

Tom raschelte mit seiner Bettdecke. Außerdem war das schrille Bimmeln einer Türglocke zu hören.

»Mach ich«, sagte Tom. »Wenn wir uns das nächste Mal treffen.«

Wieder das schrille Bimmeln.

»Es klingelt«, sagte ich.

»Ja«, brummte Tom. Durch den Lautsprecher meines Telefons hörte ich ihn eine Treppe hinuntertapern. Dann öffnete er die Haustür.

Davor stand ich. Mit erhobener rechter Hand.

»Huch!«, machte Tom.

»Schlag ein!«, wiederholte ich.

Tom gehorchte und donnerte pflichtschuldig seine große Pranke gegen meine kleine Handfläche.

Wenig später saß ich in der baxterschen Küche, die in etwa die Ausmaße des Kofferraums von unserem Geländewagen hatte. Überall standen Becher, Tonkrüge, Figürchen, mehr Becher und noch mehr Figürchen herum. Den meisten Platz aber nahm Toms Mutter ein, die im Gegensatz zu dem Haus, das sie bewohnte, gigantische Ausmaße hatte. Trotzdem schaffte sie es, keinen einzigen der Becher und Tonkrüge mit den schlackerigen Ärmeln ihrer Fransenbluse zu Fall zu bringen. Auch die dreitausend Figürchen kippten beim Auftischen von Speck, Rühreiern und Toastbrot nicht um.

Es roch nach Earl Grey Tee.

Und ich fühlte mich wunderbar.

Fast noch sicherer als bei Mama im Wagen.

Kapitel 5
Der Blutige Schinken


Obwohl ich vor nicht allzu langer Zeit bereits eine Portion Rührei verdrückt hatte, langte ich bei den Baxters ordentlich zu. Ein zweites Frühstück war ja nie verkehrt und im Gegensatz zu der etwas trüben Vorstellung bei uns heute Morgen im Schloss ging es bei Tom ziemlich fröhlich zu.

Mr Baxter quetschte sich mitsamt seiner Polizeiuniform in die Küche und erzählte Tomatenwitze. Nicht zum ersten Mal fragte ich mich, ob Toms Vater nicht seinen Beruf verfehlt hatte, denn er war wirklich gut darin, Tomatenwitze zu erzählen. Das hätte er auf jeder Bühne machen können und bestimmt wären alle Plätze im Zuschauerraum besetzt gewesen. Na ja, immerhin hatte Moorwood auf diese Weise den lustigsten Polizeichef von England.

Dann unterhielten sich Tom und sein Vater über eine Denksport-Olympiade, die gerade live im Internet lief. Das war stinklangweilig, aber Mrs Baxter versorgte mich währenddessen mit Geschichten aus ihrem Laden, in dem sie allen möglichen merkwürdigen Krimskrams verkaufte und dementsprechend merkwürdige Kunden hatte. Ein Mann mit einer knallroten Krawatte, die noch dazu mit den Symbolen verschiedener Sternzeichen bedruckt gewesen war, hatte sich in ihrem Laden die Vitrine mit den magischen Heilsteinen angeschaut. Und dann die Kristallkugeln. Und dann hatte er alle Postkarten gekauft, auf denen unser Schloss abgebildet war. Und etwas später am Tag war ein anderer Mann in den Laden gekommen, der trotz der Hitze eine schwarze Lederjacke getragen hatte und der ebenfalls alle Postkarten haben wollte, die Moorwood Castle zeigten. Nur dass eben keine mehr da waren. Da hatte der Mann angefangen zu schimpfen, aber nicht auf Englisch.

»Ich glaube, es war Russisch«, erklärte mir Mrs Baxter.

Daraufhin hörte Mr Baxter auf, mit Tom über Denksport zu sprechen, und gab einen Tomatenwitz zum Besten, in dem außer Tomaten auch ein Russe, ein Chinese und ein Eisbär vorkamen. Der Witz war so komisch, dass selbst Tom vor Lachen fast vom Stuhl fiel, und er war einiges an Tomatenwitzen gewohnt.

Schließlich ging Mr Baxter zu seiner Polizeistation, Mrs Baxter in ihren Laden und Tom und ich gingen in Toms Zimmer.

»Wir haben eine erste Spur«, verkündete ich.

»Echt?« Tom machte so große Augen wie der Teddybär, der auf dem Oberteil seines Pyjamas prangte.

»Schickes Teil«, sagte ich.

Tom wurde rot. Er nuschelte etwas, das ich nicht verstand, und verschwand mit seinen Klamotten im Badezimmer.

»Hast du nicht gehört, was deine Mutter erzählt hat?«, rief ich durch die geschlossene Tür.

»Was denn?«, fragte Tom.

»Da waren diese beiden Herren, die Ansichtskarten von Moorwood Castle kaufen wollten. Der eine hat alle abgestaubt und der andere ging leer aus.«

»Und das ist eine Spur?« Tom erschien wieder auf der Bildfläche.

»Jetzt denk doch mal nach«, forderte ich ihn auf. Als Detektiv war Tom gerade eindeutig nicht in Bestform. Warum eigentlich nicht?

Aha!

Sein Blick ging an mir vorbei, geradewegs auf den Bildschirm seines Computers zu, den er auf dem Weg ins Badezimmer noch schnell angeschmissen hatte. Auf dem Monitor war ein Feld zu sehen, das aus verschiedenen Plättchen bestand, so ähnlich wie ein Schachbrett, aber ziemlich bunt. Ein verpeilt aussehender Typ stand vor dem Feld und schien die bunten Plättchen auf irgendeine Art ordnen zu müssen. Meine Güte, war das langweilig. Ich machte einen Schritt zu Toms Schreibtisch, bückte mich und zog den Stecker vom Computer.

»He!«, protestierte Tom.

»Wir haben jetzt Wichtigeres zu tun«, sagte ich.

»Die Denksport-Olympiade ist auch wichtig«, maulte Tom.

»Aber nicht so wichtig wie unsere Detektivarbeit«, widersprach ich.

Tom seufzte. Er wusste, dass ich recht hatte.

»Also, da waren diese beiden Typen, die Postkarten kaufen wollten«, setzte Tom an. Jetzt kam er so langsam in Fahrt. »Der eine hat gleich alle gekauft, die da waren. Auch Motive, die er dann doppelt hat«, folgerte er.

»Gehen wir mal davon aus, dass er sie nicht gekauft hat, um seiner Verwandtschaft Urlaubsgrüße aus Moorwood zu schicken«, sagte ich.

Tom nickte. »Dann hat er vielleicht so viele Postkarten gekauft, weil er nicht wollte, dass noch andere Leute Postkarten von eurem Schloss abbekommen.«

»Und wer könnte daran ein Interesse haben?«, fragte ich und wedelte mit den Armen, um anzudeuten, dass ich die Antwort auch selbst wusste und die Frage nur stellte, um Tom auf die Sprünge zu helfen.

»Du meinst, dieser Mr Bommel, der euer Schloss kaufen will?«, sagte Tom etwas träge. Er rieb sich über die Stirn.

»Na klar.« Ich hatte plötzlich das Bedürfnis, Tom zu schütteln. Aber ich tat es nicht. »Natürlich war er das. Deine Mutter hat gesagt, dass der Typ eine alberne rote Krawatte trug. Das passt doch genau zu jemandem, der den albernen Namen Mr Bommel hat. Du brauchst nur eins und eins zusammenzuzählen. So machen das gute Detektive. Übrigens spricht man den Namen Beaumel aus, der Kerl ist nämlich Franzose. Aber ich sage weiter Mr Bommel.«

»Ich weiß nicht«, brummte Tom noch träger.

Mein Schüttel-Bedürfnis verstärkte sich um ein Vielfaches.

»Ich weiß nicht«, wiederholte er.

»Was weißt du nicht?«, fragte ich ungeduldig. »Wie man den ausspricht, ist ja total egal. Und alles andere ist doch klar. Dieser Bommel war gestern im Laden deiner Mutter, das heißt, dass er hier im Städtchen herumlungert und nur darauf wartet, sich unser Schloss unter den Nagel zu reißen. Bestimmt wohnt er in einem Hotel und genau dort werden wir ihn jetzt aufspüren und ausquetschen.«

»Ich weiß nicht …«

Schütteln reichte eigentlich nicht mehr. Am liebsten hätte ich Tom gegens Schienbein getreten oder wäre ihm auf die Füße gesprungen, aber ich hatte Angst, dass er dann nicht mehr mitspielte.

»Hallo-ho!«, rief ich stattdessen. »Ist jemand zu Hause? Malvina an To-hom! Ich denke, wir wollen Detektive sein!«

»Ja eben«, brummte Tom. »Und Detektive halten sich an die Fakten und ziehen Schlussfolgerungen«, erwiderte er neunmalklug.

»Ja, ja, genau.« Ich lief zur Tür. »Eins und eins macht zwei. So geht’s!«

»Na ja, aber das sind alles keine echten Schlussfolgerungen«, widersprach er. »Wenn jemand Bommel oder Beaumel heißt, bedeutet das nicht, dass er rote Krawatten trägt. Und wenn jemand Postkarten von eurem Schloss kauft, bedeutet das nicht, dass er euer Schloss auch kaufen will. Und selbst wenn es so wäre, bedeutet das nicht, dass er in Moorwood übernachtet.«

Ich wurde sauer. Erstens, weil ich nie und nimmer gedacht hätte, dass mein bester Freund so ein mieser Spielverderber war. Und zweitens, weil er recht hatte.

Wütend stampfte ich mit dem Fuß auf. »Dieser Bommel lauert im Hotel, um was wollen wir wetten?«

Tom zuckte mit den Schultern. Ich sah ihm an der Nasenspitze an, dass er kurz davor war, seinen dämlichen Computer wieder hochzufahren und die noch dämlichere Denksport-Olympiade anzuglotzen. Mit zusammengekniffenen Augen blitzte ich ihn an und versuchte den Mama-Trick, also die wortlose Übermittlung einer wichtigen Botschaft. Sie lautete: Du. Kommst. Jetzt. Mit.

»Na gut«, brummte Tom und schlurfte mir entgegen.

Na, wer sagt’s denn!

Wenig später gingen wir gemeinsam durch die immer noch ziemlich leeren Straßen. Das Städtchen Moorwood war zwar nicht ganz so alt wie unser Schloss, aber dafür um einiges hübscher, zumindest der Stadtteil, in dem Tom wohnte, und wenn man auf Blumenbeete, Strohdachhäuser und sehr saubere Straßen stand. Für mich war das alles ein wenig zu aufgeräumt, aber es gab eine ganze Menge Touristen, die sich das gern anguckten, und deswegen gab es auch ein Hotel. Nach ungefähr zwanzig Minuten waren wir dort.

»Fünf Schokofrösche«, sagte Tom.

Da das Hotel von Moorwood Zur fetten Forelle hieß, starrte ich ihn mit großen Augen an.

»Na, deine Wette«, erklärte Tom. »Fünf Schokofrösche, dass Mr Beaumel nicht in der Fetten Forelle ist.«

Ach, daher wehte der Wind!

»Na klar«, sagte ich siegessicher.

Und dann standen wir auch schon vor unserem ersten Einsatzort.

Und jetzt?

»Und jetzt?«, fragte Tom, obwohl ich ihm diesmal gar keine stumme Botschaft übermittelt hatte.

Ein Plan musste her, und zwar sofort. Ich wollte auf keinen Fall, dass Tom mir noch mal einen Vortrag darüber hielt, wie ein richtiger Detektiv vorging.

»Ich marschiere jetzt da rein«, beschloss ich. »Und dann sage ich, dass ich Betty Bommel bin und zu meinem Onkel will, der hier wohnt. Und dann sagt mir der Typ an der Rezeption, in welchem Zimmer der Bommel wohnt, und wir wissen Bescheid.«

»Aber …«, fing Tom an, doch ich ließ ihn nicht zu Wort kommen. Statt mit ihm zu diskutieren, stieß ich die schwere Eingangstür der Fetten Forelle auf und ging hinein. Drinnen war es ziemlich dunkel und es roch noch feuchtem Mörtel. Merkwürdig. Aber gut, wenn die hier Strom sparen wollten, umso besser, das erhöhte wenigstens die Chancen, dass mich keiner erkannte.

Ich ging zu dem Typen am Empfangstresen, der damit beschäftigt war, einen großen Karton mit Styroporplatten auszupacken.

Komische Tätigkeit für einen Empfangstresen-Typen.

Hier stimmte etwas nicht. Aber was?

»Oh, hallo, ist das nicht die kleine Lady Malvina?«, flötete er mir entgegen.

Mist.

»Was verschafft mir denn die Ehre?«, wollte er wissen.

Doppel-Mist.

»Nichts«, sagte ich. Was Besseres fiel mir einfach nicht ein. Ich drehte mich auf dem Absatz um und rannte nach draußen, wo mich Tom mit einem Grinsen empfing. Sah man mir meinen Misserfolg so deutlich an?

»Was ist?«, knurrte ich. Leider war ich nicht gut darin, schlechte Laune zu verbergen.

»Die haben geschlossen, weil renoviert wird.« Tom zeigte auf ein großes Schild, das neben dem Eingang stand. Man musste schon sehr blind sein, das zu übersehen.

»Mr Beaumel ist nicht hier«, schlussfolgerte er überflüssigerweise.

»Was du nicht sagst«, zickte ich ihn an. Das war nicht fair, aber mein Reinfall setzte mir ziemlich zu.

»Vielleicht ist er im Blutigen Schinken«, sagte Tom.

Zum Blutigen Schinken, so hieß das Wirtshaus in einer Seitenstraße vom Marktplatz, übrigens eine etwas weniger aufgeräumte Gegend von Moorwood. Die Erwachsenen sagten zwielichtig dazu, und es gab ein ungeschriebenes Gesetz, dass Kinder am Blutigen Schinken nicht vorbeigehen durften, ohne die Straßenseite zu wechseln.

»Im Blutigen Schinken gibt es ein paar Fremdenzimmer«, sagte Tom. »Vielleicht ist dein Mr Beaumel ja dort abgestiegen, falls er sich tatsächlich noch in Moorwood aufhält.«

»Genial!«, lobte ich ihn für seine gute Idee und klatschte etwas albern in die Hände.

»Na ja«, meinte Tom, »das steht da auf dem Schild.«

Er drückte seinen Daumen auf die Tafel und las vor: »Gästezimmer vermietet Mr J. Randolf, Gasthaus Zum Blutigen Schinken, Marktstraße 11. Ein größeres Hotel finden Sie in unserem Nachbarort West Bucklington. Ab September sind wir dann wieder für Sie da

Tom sah mich mit funkelnden Augen an. »Ich habe einfach eins und eins zusammengezählt.« Er grinste breit. »So machen das doch gute Detektive. Hast du selbst gesagt.«

»Hm«, brummte ich.

Vergnügt pfeifend zog Tom los, ich trottete hinterher. Das passte mir zwar eigentlich gar nicht in den Kram, aber ich hatte keine andere Wahl.

»Da ist es«, sagte Tom, als ob ich auch noch zu blöd wäre, das Gasthaus im Halbdunkel der Seitenstraße zu erkennen. An einer Eisenstange über der Eingangstür baumelte eine hölzerne Schinkenkeule, deren rote Farbe schon etwas verblichen und verwittert war. Im Mauerwerk klafften Risse und die Fenster mussten auch mal wieder geputzt werden … Schon als ich klein war, hatte dieses Haus eine dunkle Anziehungskraft auf mich gehabt, und ich war immer traurig gewesen, wenn Mama mich schnell daran vorbeigezerrt hatte.

Inzwischen war ich allerdings alt genug, um zu verstehen, warum sie das getan hatte.

Aus der Tür des Gasthauses trat gerade ein Mann, dessen ungesunde Gesichtsfarbe ein wenig dem über ihm baumelnden Holzschinken glich. Eine Wolke aus Tabakqualm und der scharfe Geruch von noch schärferen Getränken waberten uns entgegen.

»Heudehamwirallelampenan«, lallte der Mann, nachdem sich die Tür hinter ihm wieder geschlossen hatte. Er torkelte auf uns zu, und wenn Tom nicht zur Seite gesprungen wäre, hätte der Mann ihn angerempelt.

»Puh«, machte Tom.

Ich nickte und hielt mir die Nase zu.

»Und jetzt?« Er sah mich fragend an.

Erfreut darüber, dass er nicht mehr die Führungsrolle beanspruchte, reckte ich mich auf die Zehenspitzen. Das Dumme war nur, dass ich auch nicht so richtig weiterwusste. Durch die verschmierten Glasscheiben konnte ich nicht besonders viel erkennen, aber doch genug, um einzusehen, dass weder Tom noch ich so einfach in den Schinken hineinspazieren konnten.

Zu allem Überfluss kam mir jetzt in den Sinn, dass Jack Randolf, der Wirt des Schinkens, den Spitznamen Jack the Ripper trug. Und dass er schon mal im Gefängnis gewesen sein soll, und zwar nicht nur zu Besuch. Auf einmal hatte ich gar keine große Lust mehr, in den Blutigen Schinken hineinzuspazieren …

»Was macht ihr denn da?« Mama war auf der gegenüberliegenden Straßenseite aufgetaucht und schaute uns mit hochgezogenen Augenbrauen an. Ich glaube, sie hätte mich sofort am Arm gepackt, wenn sie nicht in jeder Hand eine Papiertüte mit Geschenken getragen hätte.

Mit Geschenken für mich, da war ich mir ziemlich sicher. Aber das war jetzt natürlich nicht so wichtig.

»Öh«, machte ich.

»Äh«, machte Tom. »Hallo, Lady Moorwood!«

»Hallo, Tom«, grüßte Mama zurück.

Für mich hatte sie lediglich einen ihrer mitteilsamen Blicke übrig.

Ab ins Auto, sagte der Blick.

Mama drückte mir eine der Papiertüten in die Hände, holte den Wagenschlüssel aus ihrer Tasche, und gleich darauf machte es neben uns klack, als die Zentralverriegelung unseres Landrovers aufsprang. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass der am Straßenrand stand.

Mama wandte sich Tom zu. »Sollen wir dich nach Hause fahren?«, fragte sie.

Das heißt, eigentlich fragte sie das nicht. Es war eher ein Befehl.

Tom beeilte sich einzusteigen und ich war ebenso schnell im Wagen.

Und dann geschah es:

Während Mama die Papiertüten im Kofferraum verstaute, ging erneut die Tür vom Blutigen Schinken auf. Und erneut trat ein Mann heraus. Diesmal allerdings alles andere als so eine traurige wankende Gestalt wie gerade eben, wenn auch nicht weniger gruselig.


Genau genommen: viel gruseliger!

Tom hielt den Atem an.

Ich auch.

Der Mann war Jack »the Ripper« Randolf persönlich.

Zwei Meter groß, mindestens.

Glatze. Pechschwarzer Bart bis zur Brust. Pechschwarze Augenbrauen. Pechschwarze Augen. Arme, so dick wie Beine und über und über tätowiert. Ich erkannte einen Totenkopf, ein Skelett, einen Totenkopf mit einem Stahlhelm. Und dann noch einen Totenkopf mit einem Messer im Mund. Der Totenkopf mit dem Messer grinste.

Und Jack the Ripper grinste ebenfalls.

Er holte tief Luft.

Machen Mörder so etwas, bevor sie sich auf einen stürzen?

Ich wusste es nicht, war mir aber sicher, dass ich es gleich erfahren würde.

Doch dann geschah etwas Unerwartetes.

Statt uns aus dem Auto zu zerren und uns den Hals umzudrehen, begann Jack the Ripper, laut zu lachen.

»Hahaha«, dröhnte er. »Bonjour, Monsieur Beaumel!«

»Bonjour, bonjour«, sagte eine kleine Gestalt, die mit zierlichen Schritten um die Ecke getrippelt kam.

»Vous êtes contente avec votre chambre?«

Jack the Ripper hob einen seiner tätowierten Arme und zeigte auf eine der verschmierten Scheiben im ersten Stock des Blutigen Schinkens.

»Mais oui, bien sûr«, sagte die kleine Gestalt.

Eine kleine Gestalt, die eindeutig männlich war.

Ein Mann, der trotz der Hitze einen karierten Anzug trug. Und eine knallrote Krawatte.

Mit Sternzeichen-Symbolen.

Kapitel 6
Der Fluch des Hauses Moorwood


Die haben Französisch gesprochen«, sagte ich, während ich durch mein Zimmerfenster beobachtete, wie im Garten von Moorwood Castle die Bienen hin und her summten. In der einen Hand hielt ich mein Handy, in der anderen eine Flasche Orangenlimonade, die ich aus der Küche hatte mitgehen lassen. Auf der Fensterbank vor mir stand ein Sandwich mit Haselnusscreme.

»Und sie kannten sich«, ergänzte Tom. Seine Stimme klang etwas quakig, aber davon abgesehen fast so, als ob er im gleichen Raum wäre wie ich.

»Wusstest du, dass der Wirt vom Blutigen Schinken Französisch kann?«, fragte ich.

»Von dem wusste ich bislang nur, dass er der Wirt vom Blutigen Schinken ist«, sagte Tom.

»Gruseliger Typ«, meinte ich.

»Stimmt«, bestätigte Tom.

Ich nahm einen Schluck Limo. »Aber er war nicht mehr ganz so gruselig, als er Französisch gesprochen hat.«

»Meinst du?« Tom klang jetzt etwas abgelenkt. Vermutlich starrte er mal wieder auf seinen Bildschirm, über den irgendwelche Knobelaufgaben flimmerten. Oder er löste eines der Latein-Rätsel, mit denen Mr Brix seine Schüler auch in den Ferien versorgte.

»Auf jeden Fall wissen wir jetzt, dass der Mann, der unser Schloss haben will, Franzose ist und tatsächlich im Blutigen Schinken wohnt«, fasste ich unsere Detektivarbeit zusammen. »Und das ist gut.«

»Ja?«, fragte Tom. Er war eindeutig abgelenkt.

»Ja-ha«, sagte ich. »Weil wir ihm jetzt auf den Zahn fühlen können.«

Tom schwieg. Aber er war noch da, ich hörte ihn atmen.

Draußen summten immer noch die Bienen. Und mir wurde plötzlich klar, dass ich gar nicht wusste, welche Informationen ich dem mysteriösen Schlosskäufer entlocken sollte. Onkel Frank hatte das nicht erklärt. Das war typisch für Erwachsene, selbst wenn es Lieblingsonkel waren: Sie sagten einem irgendetwas, ohne sich darüber Gedanken zu machen, was dieses Irgendetwas eigentlich bedeuten sollte.

Auf einmal schlüpfte Tante Frida ins Zimmer und zwinkerte mir auf geheimnisvolle Art und Weise zu. Mir fiel wieder ein, dass sie mir schon heute Morgen etwas Wichtiges hatte sagen wollen.

»Muss Schluss machen«, raunte ich dem schnaufenden Schweiger am anderen Ende der Leitung zu und legte auf.

»Komm mal mit«, flüsterte Tante Frida.

Jetzt wurde es spannend. Wenn Tante Frida flüsterte, dann ging es meistens um ihr Hobby, den Spiritismus.

Spiritismus bedeutet, dass sich Erwachsene mit Geistern beschäftigen. Ernsthaft. Nicht so Bettlaken-Gespenster-mäßig, eher auf eine wissenschaftliche Art und Weise.

Tante Frida tat mir immer ein bisschen leid mit ihrem Spiritismus, weil sie keiner in unserer Familie ernst nahm – außer mir natürlich. Aber sobald dieser Geisterprüfer vom Butlers Burgen-Lexikon hier anrückte, würde sich das ändern. Dann würden wir triumphieren!

In dem Moment fiel mir ein, dass wir ja vielleicht gar nicht mehr hier sein würden, wenn der Typ von Butlers kam. Sondern in einer Neubauwohnung.

Tante Frida lotste mich in ihr Lesezimmer. Das war ein ziemlich großer Raum, den sie mit vielen Büchern und noch mehr Krimskrams vollgestopft hatte, sodass er trotz seiner Größe eher den Eindruck einer Rumpelkammer machte. Es sah dort so ähnlich aus wie im Laden von Toms Mutter, nur die Postkarten fehlten.

»Schau mal, hier.« Sie hielt mir ein altes Blatt Papier oder eine Art Tuch vor die Nase und sah mich erwartungsvoll an. »Das ist heute Morgen mit der Post gekommen. Ein Antiquar aus London hat es mir geschickt.«

»Ein was?«, fragte ich.

»Jemand, der mit alten und wertvollen Büchern handelt«, erklärte Tante Frida. »Er hat zwar keinen Absender auf das Päckchen geschrieben, aber er hat einen Brief beigelegt.«

Tante Frida hielt ein zweites Stück Papier hoch. Es sah wie eine normale Din-A4-Seite aus dem Drucker eines Computers aus.


»Er schreibt, dass ihm jemand mehrere alte Bücher verkauft hat. Bedauerlicherweise trug dieser Jemand wohl einen falschen Bart und einen viel zu großen Hut, weshalb er ihn nicht erkannt hat. Aber auf jeden Fall hat der Antiquar in einem der Bücher das hier gefunden.«

Tante Frida wedelte nun wieder mit diesem Tuch. »Er meint, dass es unserer Familie gehören muss, und hat es uns deshalb zusammen mit dem Buch zurückgeschickt. Ganz offensichtlich sei das Diebesgut gewesen.«

Ich runzelte die Stirn. »Wer klaut denn unsere Bücher? Hier kommt doch keiner einfach so rein.« Ich sah mich um, als könnte ich jeden Moment einen Langfinger auf frischer Tat ertappen.

»Vielleicht einer der Handwerker, die letztes Jahr in der Bibliothek waren, um Stützbalken für die Decke einzuziehen«, überlegte Tante Frida.

»Frechheit«, murmelte ich.

»Allerdings.« Tante Frida nickte. »Doch es ist äußerst anständig von dem Buchhändler, dass er uns dieses Buch und seinen wertvollen Inhalt zurückgeschickt hat.«

Ich hob die Augenbrauen, völlig ahnungslos, worauf sie hinauswollte.

»Ja«, sagte Tante Frida nachdrücklich. »Denn das hier …« Wieder wedelte sie. »… das hier ist das berühmte Fluchtuch vom Alten Lord. Opa hat es als Kind mal zu Gesicht bekommen und dann ist es irgendwann verschwunden. Offenbar hat es jemand in diesem Buch versteckt. Vielleicht war das sogar Opa selbst, als Kind, und dann hat er es vergessen. Für Familientradition hatte er noch nie viel übrig, abgesehen von alten Gewehren.«

Tante Frida legte das Fluchtuch auf ihren Schreibtisch und ich betrachtete es staunend. Oben prangte das Wappen des Hauses Moorwood, eine wirre Mischung aus mehreren Löwen, einem Einhorn, Lanzen, Ritterhelmen, einer Truhe, einem Teddybären, einem Glas Bier und einer etwas beschönigenden Ansicht unseres Schlosses. Darunter waren jede Menge verschnörkelte Buchstaben, Tintenkleckse und komische Zeichen, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Das Ding sah aus wie die Tischdecke eines ganz besonders tiefsinnigen Geisterbeschwörers.

»Hier oben steht eine Art Widmung.« Tante Frida tippte auf das Tuch. »Sie ist in Latein verfasst. Willst du sie mal lesen?«

Ich schaute auf ein paar krakelige Linien, neben denen so etwas Ähnliches wie ein Totenkopf prangte. Vielleicht war es aber auch nur ein weiterer Tintenklecks.

Mühsam entzifferte ich:

qui domum nostrum vendebit

pestilentia negra noctu in illum incidit …

Weiter kam ich nicht, meine Augen begannen zu brennen. Und wozu die ganze Mühe?

»Tom ist derjenige mit dem Lateinkurs«, sagte ich. Tante Frida lachte und übersetzte dann selbst. »Da steht:

Wer unser Haus dereinst zu Golde macht,

der kriegt die Schwarzpest in der Nacht.

Und wer nach Moorwood seine Finger streckt,

der wird vom graus’gen Geist geweckt.

Der stirbt sogleich vor Schreck,

die Leiche trägt der Rabe weg.

Doch wer den Schatz kann finden,

der soll den Zauber binden

Ich spürte, wie ich eine Gänsehaut bekam und es mir kalt den Rücken runterlief. Langsam dämmerte mir, warum Tante Frida so aufgeregt war.

»Glaubst du, mit unser Haus ist Moorwood Castle gemeint?«, fragte ich atemlos.

Tante Fridas geheimnisvoller Duft umwehte mich. »Ganz bestimmt«, hörte ich sie wie aus weiter Ferne antworten. »Diesen Text hat dein Urururururururgroßvater geschrieben, der alte Lord Aldwyn Moorwood, der erste Earl of Moorwood. Er hat euer Schloss damals bauen lassen, vor mehr als siebenhundert Jahren, und zwar unter sehr mysteriösen Umständen. Danach ist er verschwunden, ebenfalls auf sehr merkwürdige Art und Weise. Einige sagen, er sei vom Teufel geholt worden, andere behaupten, jemand hätte ihn äußerst unschön verschwinden lassen … Lord Aldwyn soll sich nämlich sehr für magische Praktiken und für die Sterndeutung interessiert haben. Außerdem war er einer der bekanntesten Alchemisten seiner Zeit und weit über die Grenzen Englands …«

»Wissen Opa und Papa das?«, unterbrach ich Tante Frida ungeduldig. »Wissen die, dass der Alte Lord es, äh, na ja, also, dass er es verboten hat, unser Schloss zu verkaufen? Denn das ist doch wohl damit gemeint, oder? Etwas zu Golde machen heißt, dass man etwas verscherbelt.«

»Ja, so ist es.« Tante Frida nickte.

Ich war mir nicht ganz sicher, ob ihr Ja sich auch auf Opa und Papa bezog, aber eigentlich war das auch egal. Selbst wenn die beiden den Text kannten, würden sie sich vermutlich nicht davon beeindrucken lassen. Papa ließ sich nur von Mama was sagen und Opa von niemandem, und schon gar nicht von einem Vorfahren, der bereits seit Jahrhunderten tot war und sich noch dazu für magische Praktiken, die Sterne und Alchemie interessiert hatte – für solche Typen hatte Opa nur ein müdes Grinsen übrig.

Ganz im Gegensatz zu mir.

Und das Ding da vor mir auf dem Schreibtisch hieß ja ganz offensichtlich auch nicht umsonst das Fluchtuch.

Mit einem Mal hatte ich eine super Idee.

Dank Tante Frida wusste ich nun, wie unser Schloss zu retten war.

Ich umarmte sie stürmisch, drückte ihr einen Kuss auf die Wange und sagte: »Du bist die Beste!«

Dann rannte ich los.

»Wo willst du denn hin?«, rief sie mir hinterher.

»Was Wichtiges erledigen!« Noch im Laufen holte ich mein Handy aus der Tasche und drückte auf das Gesicht von Tom, das mir unter Favoriten entgegengrinste.

»Ja?«, meldete er sich mit der trägen Stimme eines Denksport-Fans. Wahrscheinlich hatte er seit unserem letzten Gespräch nichts anderes getan, als seinen Monitor anzuglotzen.

Sorgfältig schloss ich die Tür meines Zimmers, dann legte ich los.

»Ich habe einen neuen Plan«, raunte ich. »Ganz große Sache und nur für Detektive in Bestform.«

»Echt?« Tom klang immer noch etwas verpeilt, aber leicht interessiert.

Ich berichtete, was ich gerade erfahren hatte, und schloss mit dem effektvollen Satz: »Der Alte Lord hat bestimmt, dass alle, die was mit dem Verkauf des Schlosses zu tun haben, verflucht sein sollen.«

»Oh Mann. Und das glaubst du?«, gab Tom zurück.

»Warum denn nicht?«, fragte ich giftig. Tom hatte mal wieder gar nichts kapiert.

»Außerdem ist es völlig egal, was ich glaube«, erklärte ich ihm. »Entscheidend ist in diesem Fall, dass Spiritisten an Flüche und Magie glauben!«

»Hä?«, machte Tom. »Und was hat das mit uns …«

»Mit unserem Fall hat das eine ganze Menge zu tun«, unterbrach ich ihn. »Mr Bommel oder Boooomel oder wie dieser französische Schlossklauer auch immer heißt, also der ist Spiritist. Und wenn wir dem verklickern, dass Moorwood Castle total verflucht ist, wenn er sich’s unter den Nagel reißt, und er gleich mit, na, dann wird er das schön bleiben lassen und sehen, dass er wegkommt.«

Stille am anderen Ende der Leitung.

»Oh Mann«, stöhnte Tom wieder.

Damit hatte ich nicht gerechnet. Vielleicht waren ja Jubelschreie ein wenig zu viel erwartet, aber ein genervtes Oh Mann war eindeutig fehl am Platz.

»Wieso, oh Mann?«, patzte ich ihn an.

»Also erstens will Mr Beaumel euer Schloss nicht klauen, sondern kaufen«, sagte Tom. »Und zweitens wissen wir ja gar nicht, ob er Spiritist ist.«

»Wohl!«, rief ich in den Lautsprecher und stapfte gleichzeitig mit dem Fuß auf. »Schon vergessen, was deine Mutter erzählt hat? Er ist in euren Laden gekommen und hat die Heilsteine und die Kristallkugeln angeschaut und dann hat er die Postkarten vom Schloss gekauft.«

»Und das beweist, dass er ein Spiritist ist?«

»Wer schaut sich denn sonst solchen Kram an?«, fragte ich hitzig.

Tom seufzte. »Das beweist gar nichts«, meinte er dann. »Vielleicht hat sich Mr Beaumel ja einfach irgendetwas in unserem Laden angeschaut, weil er sich gelangweilt hat. Oder damit es nicht so auffällt, dass er ganz gezielt sämtliche Postkarten von eurem Schloss kauft.«

Stille. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Tom kapierte leider doch immer eine ganze Menge und war vor allem ein Meister darin, einem den Wind aus den Segeln zu nehmen.

»Und wenn schon«, brummelte ich schließlich. »Der Boooomel ist auf jeden Fall ein Spiritist. Der sieht nämlich genauso aus!«

»Wie sieht denn ein Spiritist aus?«, wollte Tom wissen. Er klang jetzt ehrlich interessiert.

»Na, wie dieser Boooomel«, sagte ich. Und dann fiel mir noch was ein: »Außerdem hatte der doch auch diese ganzen Sternzeichen auf seiner komischen Krawatte.«

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