Kitabı oku: «Ace in Space», sayfa 6
Aber es stimmte: Fervintown war ihre Heimat, und sie wollten keine dreckigen Corpcredits, um wieder dort leben zu können. Außerdem war es ihr Claim, und wenn die Corps Bodentruppen entsetzten, dann würden sie den Claim vielleicht durch irgendeinen militärisch im Gremium legitimierten Streich danach für sich beanspruchen.
»Wir haben Luftunterstützung. Wenn wir die Bodentruppen der Corps sind, sind sie die Luftunterstützung für uns«, sagte Neval, und Leron lachte grimmig.
»Hoffen wir, dass diese Info korrekt ist. Hoffen wir, dass das Timing stimmt.«
»Hoffen wir, dass sie Fervintown nicht bombardieren, sondern wirklich nur die Stellungen im Norden!«, warf eine grimmige Frau ein, die Seite an Seite mit ihrer Teenagertochter direkt hinter Neval her stapfte. Ihnen allen schlugen beim Gehen die umgeschlungenen Gaußgewehre gegen Schultern und Hüften.
Neval hasste es, das Gewicht der Waffe zu spüren. Sie alle besaßen eine, seit die Gaterangriffe immer häufiger geworden waren. Aber sie hatte ihre noch nie eingesetzt. Sie hoffte, dass sie das Gewehr mit den magnetischen Spulen, die Eisengeschosse auf verheerende Geschwindigkeiten beschleunigten, auch heute nicht benutzen musste.
Selbst wenn sie einen Schuss hätte abfeuern wollen, hätte es auf der Flucht bisher nicht einmal ein Ziel gegeben. Die schwarzen, leisen, leichten Jäger hatten sie mitten in der Nacht erwischt und als eigentlichen Feind einstürzende Häuser zurückgelassen – nichts, worauf man feuern konnte. Neval spürte immer noch die Wunde im Bein, wie ein Mahnmal dafür, dass der nächste Gegner nicht aus Schutt und Metallstangen bestehen würde.
Schließlich verließen sie das Wäldchen. Unter Plastikplanen lag ein Meer aus Hochbeeten vor ihnen. Das spärliche Licht der Taschenlampen fing sich auf der Folie.
»Hervorragend«, murmelte Leron grimmig und faltete sein Tablet ein Stückweit aus, um die Karte zu begutachten. »Dann erreichen wir die Nordwestseite vom Agrargebiet genau dann, wenn Vaya da drüben alles anzündet.«
Das war nicht wörtlich gemeint. Vayas Trupp würde die Spähposten am Siedlungsrand und die Fahrzeuge mit Sperrfeuer eindecken. Das würde die dort positionierten Gater dazu bringen, sich zu bewegen.
Wer dann alles anzünden würde, wären sie – denn auf der Nordwestseite warteten ein paar schöne reife Formen auf die Zellteilung.
Wenn Neval Glück hatte, musste sie nicht einmal auf jemanden schießen.
Der Luftschlag der Konzerne erfolgte mit geradezu beängstigender zeitlicher Präzision. Während Neval hinter einem Hochbeet verborgen das Peitschen der Gaußgewehre hörte – Vayas Trupp, der hinter jüngeren und hoffentlich noch unteilbaren Formen im Norden aus der Deckung schoss – hörte sie bereits das Dröhnen schwerer Maschinen jenseits des hügeligen Horizonts.
Bomber, schoss es ihr durch den Kopf. Sie hatte keine Ahnung von Militärmaschinen, aber die Triebwerke klangen so anders, so viel schwerer und massiger als das Flüstern der schwarzen nächtlichen Jäger, die mit ihren Raketen und Bordkanonen Dächer zersiebt und Mauern zum Einsturz gebracht hatten. Sie sah auf ihr zusammengefaltetes Tablet, auf dessen Vorderseite Benachrichtigungssymbole blinkten. Inmitten des Feuergefechts rief sie neugierig eine Nachricht von Fervin auf – eine Weiterleitung von SisX. »Information fließt auch gegen den Strom«, las sie, und kurz musste sie grinsen. Ohne Zweifel hatte SisX auch das Gremium mit Details versorgt, damit die Angriffe aufeinander abgestimmt wurden und die Konzerne nicht ihre unfreiwilligen Bodentruppen bombardierten.
Die Gater hingegen waren ahnungslos. Sie hatten noch nie auf Feinheiten wie Informationen und Timing gesetzt, sondern auf Skrupellosigkeit und Ideologie. Neval hörte die Alarmrufe aus den beschädigten Baracken und Fördertürmen von Fervintown, dann heulten Motoren auf, obwohl Vayas Team die Fahrzeuge mit einem Kugelhagel eindeckte. Neval spähte über das Hochbeet, Adrenalin brannte in ihren Adern bis in die Fingerspitzen. Lerons Leute waren diszipliniert oder ängstlich genug, um hinter den Hochbeeten verborgen zu bleiben. Sie hatten die Taschenlampen ausgeschaltet und wurden Zeugen, wie sich ein Jäger von den nahenden Staffeln absetzte – ein kleineres, wendigeres Ding – und drei, vier, fünf Lenkraketen auf die Medianhöhen abschoss.
»Nimmt ihre Flugabwehr auseinander. Eine Stellung fehlt ihm noch, die da hinten«, flüsterte Adila hinter ihr, die eine große Leidenschaft für Karten und eine geradezu unheimlich Orientierungsgabe hatte. Eine weitere Rakete aus dem Bauch des Jägers. »Diese da meinte ich. Gut«, sagte Adila. Neval drehte sich zu ihr um, konnte sie aber kaum erkennen. Der Planet, auf dessen Mond sie sich befanden, strahlte auch nachts grünliches Licht ab. Dieses übermalte fast das gesamte Sternenlicht bis auf die größten und hellsten Sonnen der Nachbarsysteme, spendete aber nachts nur sehr wenig Licht. Die Sicht wurde besser, als in Fervintown alle Lampen und Scheinwerfer aufflammten. Die Gater stürmten in ihren gepanzerten Militäruniformen wie hässliche, graue Camouflage-Käfer aus den Häusern. Niemand von ihnen verließ eines der Gebäude ohne eine Uniform – vielleicht schliefen diese haarlosen Nacktschnecken sogar in den Dingern, um nicht zu erfrieren.
Leron zog sich gerade mit fünf Leuten, die sich besonders auf das kontrollierte Zellteilen der Formen verstanden, von der wuchtig aufragenden Reihe aus nicht-ganz-Fels-und-nicht-ganz-Koralle in der Nähe der Straße zurück. Er gab aufgeregte Handsignale, die Neval nicht verstand. Vermutlich wusste er selbst nicht genau, was er damit sagen wollte. Ein junger Mann namens Arin hielt sein Tablet auf kleinste Größe gefaltet in der Hand. Neval erkannte die App darauf nicht, wusste aber aus der Besprechung, dass er den Fernzünder für die kleinen Sprengladungen bediente. Wenn man die grau-felsige Basis beschädigte, an der die Formen abgestorben und verknöchert waren, mussten sie befürchten, dass ihr Ende bevorstand und initiierten dadurch noch rasch eine letzte, verzweifelte Teilung, um weiterzuleben.
Oder so interpretierte Neval es – sie wusste natürlich, dass die Formen weder Furcht noch Verzweiflung kannten.
Bei den Gatern war sie sich auch nicht so sicher. Fanatismus war ein guter Ersatz für beides, und so heulten Motoren auf und die schweren, dick bereiften Pick-ups, mit denen die Gater Fervintown eingenommen hatten, schossen vorwärts. Auf dem glasig-felsigen Untergrund quietschten die Reifen.
»Jetzt«, stieß Leron hervor, und Arin setzte die Sprengung in Gang. »Runter!«, rief seine Schwester neben ihm – im Chaos der Schüsse, der berstenden punktuellen Explosionen und der nahenden Bomberstaffel mussten sie nicht mehr leise sein. Neval warf sich hinter ihrem Hochbeet auf den glatten Boden, spürte Bröckchen kostbarer Erde unter ihren Handflächen, bevor sie sich ganz zusammenkauerte und den Kopf mit den Ellbogen schützte.
Sie sah nichts, aber sie spürte das Dröhnen der Erde, schmeckte und roch den seltsam scharfen Geruch, den die Formen bei der Zellteilung verströmten, hörte das Bersten von Silicium und fühlte den feinen Regen aus trockenen Bröckchen, als die Formen in etwa hundert Metern Entfernung aufplatzten. Ihre Teilung war zwar fachkundig so initiiert worden, dass sich das Hervorschleudern der Zellkerne und der berstenden Stücke der Formen Richtung Straße wandte, doch was in größerer Höhe abplatzte, prasselte auch auf die Hochbeete herunter.
Es donnerte, sie spürte es bis in die Knochen, als die Trümmer der geteilten Form auf der Straße auftrafen.
Was für ein orgastischer Akt der Fortpflanzung mit sich selbst, dachte Neval und fand den Gedanken völlig unpassend dafür, dass sie unter Lebensgefahr auf dem Boden kauerte. Das wiederum brachte sie zum Lachen, sie kicherte leise in ihre Arme und fragte sich gleichzeitig, ob Adila neben ihr nun glaubte, dass sie weinte oder einen Nervenzusammenbruch hatte.
Vielleicht hab ich das ja auch.
Und dann ging es weiter, als hätte die Explosion der Zellteilung das Signal für eine ganze Kettenreaktion von Detonationen gegeben: In weiter Ferne, zu ihnen getragen zunächst durch die Schallwellen im Untergrund und dann in der Luft, wurden die Stellungen und Camps der Gater in langgezogener Linie bombardiert. Dumpfes Dröhnen, berstendes Knirschen von Stein und Gemäuer.
Gleichzeitig setzten erneut Schüsse ganz in der Nähe ein, und Leron schrie: »Gewehre hoch! Feuert auf die Straße, auf die Straße!«
Als hätten sie woandershin feuern wollen – erneut grinste Neval, zu breit, vielleicht doch ein Nervenzusammenbruch, und richtete die Mündung zur Straße hin aus, wo drei der vier Fahrzeuge in Mitleidenschaft gezogen worden waren. Eins war unter Siliciumtrümmern zerquetscht, die anderen beiden lagen auf der Seite, aus allen dreien sprangen Gater hervor und richteten ebenfalls sofort Waffen aus. Die Gaußgewehre spien Salven aus Leuchtspurgeschossen. Gelbliches Licht illuminierte die zerstören Formen, zerborsten und rauchend ragten sie an der Straße auf. Neval und Adila eröffneten hinter den Hochbeeten das Feuer. Nur Hartplastik und Erde als Deckung gegen massebeschleunigte Kugeln, wie lange würde das für sie gutgehen?
In einer langen Reihe schossen sie Richtung Straße, Nevals Ohren pulsierten protestierend unter dem Lärm der Schüsse und sandten Schmerzen in ihr Hirn. Sie wusste nicht, ob sie jemanden traf, ob sie jemanden tötete. Sie schoss blindlings, und vor ihr wurde ein Hochbeet nach dem anderen von Schüssen zerwühlt und zerfetzt. Arin schrie auf und wurde zurückgeworfen, ein Geschoss hatte sich in seine Brust gegraben, die leuchtende Spur war bereits verloschen und ließ ein grelles Nachbild zurück, in dem Arin als bloßer Schemen zusammenbrach. Leron und zwei andere zogen ihn eine Hochbeetzeile weiter zurück in Deckung. Dort keuchte schon jemand den Schmerz einer Verletzung heraus, aber Arin war still.
Neval schrie gegen den Schmerz in ihren Ohren an, und dann packte jemand sie an der Schulter und brüllte: »Zurück, zurück!« Adila riss sie rückwärts.
Oder die Explosion warf sie zurück, Neval wusste es nicht genau. Sie flog kurz durch die Luft, doch es kam ihr wie eine Ewigkeit vor. Fetzen der Plane, Splitter der Verschalung, Brocken Muttererde und zerbrechliche Pflänzchen wirbelten durch die Luft, von etwa Größerem als Schüssen getroffen – einer Granate?
Sie sah in den Himmel, sah vor dem grünlichen Glanz des Gasriesen die Brocken über sich hinwegschweben. Wie in Zeitlupe. Wie in einem Action-Vid.
Doch mit einem Mal prallte sie hart gegen das nächste Hochbeet und die Trümmer hagelten auf sie herab. Adila kniete über ihr.
»Neval! Neval!« Sie sah, wie Adila die Worte formte, doch sie hörte sie kaum. Es fiepte in ihren Ohren.
Sie nickte, doch ihr Nacken schmerzte.
Vielleicht bin ich tot und weiß es noch nicht?
Adila zerrte sie weiter, und Neval wurde schwarz vor Augen.
Dann kam sie inmitten um sich schießender Menschen wieder zu sich, sie sah an den sie umstehenden Beinen hoch in den Himmel.
Sie war dadurch vielleicht die erste, die es sah.
Über der Hügelkette schwenkten die Bomber in eine sanfte Kurve, um sich vom Gebiet zu entfernen.
Drei Bomber jedoch flogen einen engen Bogen und kehrten zurück.
Neval sah sie vor dem grünen Leuchten von Valoun.
Sie hob eine Hand.
»W-was«, flüsterte sie, aber die anderen hörten nicht, deckten die angreifenden – verteidigenden? – Gater mit Dauerfeuer ein.
Die Bomber wurden größer und größer, als sie in Windeseile näherkamen und niedriger sanken.
»Da!«, brachte Neval hervor, sie hörte ihre eigene Stimme nur dumpf, und mehr Wörter kamen ihr nicht über die Lippen. Niemand hörte auf sie, Schüsse peitschten, Leute auf beiden Seiten schrien – und dann lösten sich die Bomben aus dem Bauch der Konzernflieger, in grausamer Regelmäßigkeit, eine nach der anderen, dutzende kleine Dinger, von hier unten sahen sie aus wie Spielbälle.
Wie Satzzeichen, dachte Neval. Punkt, Punkt, Punkt …
Als die erste Bombe einschlug, kam der Blitz zuerst an, nur Sekunden danach der zweite, dann der dritte, und dann die Schallwelle der ersten Detonation, bis alles nur noch Chaos aus herabfahrenden Satzzeichen war, die alles Gesagte zerhackten, als wollten sie lediglich Regeln befolgen.
Die Schreie um sie herum steigerten sich zu Panik auf beiden Seiten. Die Erschütterungen, der Lärm, die Hitze. Ein Hochbeet zerbarst, Neval spürte fingerlange Polymersplitter zwischen ihre Rippen dringen, und dann war alles Hitze und Schmerz und Schwärze.
Ta moko
//Yologram
Hauptaccount der Daredevils
>> als Spam markierte Nachrichtenanfragen
Tox-O-Meter: Die Neue ist jetzt nicht wirklich so eine verdammte Frakster? @PrincessDaredevil mag es ja draufhaben, soll uns einfachem Volk an den Endgeräten aber was Show gönnen, sonst gibt es auch keine Likes! #FuckAllFraksters
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»Ich hab eine Idee«, funkte Kian von seiner Manta zu ihr hinüber.
Er hatte Danai gebeten, ihn auf einem Patrouillenflug um den Devil’s Rock zu begleiten. Deardevil hatte befohlen, dass sich ständig zwei Maschinen im All befinden sollten. Es sei nicht auszuschließen, dass die Firestarters Marlenes Animositäten vorausahnen und zuerst angreifen würden.
»Was betreffend?«, fragte Danai und bewunderte in seiner spiegelnden flachen Cockpitscheibe die neuen fluoreszierend türkisen Streifen auf dem schwarzen Lack ihrer Slipstream.
Eigentlich glaubte sie nicht, dass er sie beide freiwillig zu einem Patrouillenflug gemeldet hatte, weil er sich Sorgen um die Firestarters machte. Kians streamte nicht, und auch sie hatte ihr Tablet und die Cockpitkamera ausgeschaltet. Er wollte reden. Mit ihr. Und sie hoffte inständig, dass es nicht um Mama ging.
»Die Sache mit den Firestarters. Kann sein, dass ich deine Unterstützung gebrauchen könnte.«
Sie beschleunigte über ihn hinweg, zog den Jäger in eine steile Kurve und überließ sich dem Rausch der G-Kräfte. Träge pulsierend erwachte ihr Reflexmodder, sie gab sich den Empfindungen hin und fragte sich dabei am Rande, wie Sex mit Kian wohl sein mochte. Sie mochte das Türkis in seinen Tätowierungen. Wie die Streifen an ihrer Slipstream.
»Wie stellst du dir meine Unterstützung vor?«, fragte sie, als sie wieder Atem holen und geradeaus denken konnte.
»Genau so«, kam seine Stimme aus dem Lautsprecher. »Du fliegst einfach geil, und ich habe eine Idee, für die das unerlässlich ist.« Er bewegte sich auf ihre Acht, lag aber weiter zurück.
»Schon klar, deshalb bin ich hier.« Sie beschleunigte erneut, einfach weg von den Asteroiden des Kobeni-Gürtels und in die Schwärze, in der Sterne wie Nadelstiche auf sie warteten. »Du bist Navig, oder?«
»Was hat mich verraten, waren es die Hautbilder?«, knisterte seine Stimme – sie war fast schon zu weit weg für die Kurzstreckenübertragung, die gerade von Sonneneruptionen gestört wurde. Sie ließ den Schubhebel los und schaltete stattdessen auf die Übertragung per AnsVi um. Ihr Tablet glühte in der Halterung kurz auf, dann war Kians Stimme wieder klar.
»Kann sein.«
»Tā moko«, sagte er. »Polynesische Tradition.«
»Schon lustig, wie sich so was hält. Sinnstiftend, selbst hier draußen.«
»Hier draußen noch mehr. Wir navigieren zwischen den Sternen. Während alle anderen Menschen weiter weg von ihren Gottheiten und Legenden sind.«
Danai starrte hinaus in die Schwärze. Sie hatte die Slipstream in einen Winkel gelenkt, der es ihr erlaubte, nur Sterne zu sehen und nichts von Menschen Berührtes. »Das würde ich so nicht unterschreiben. Alle Kulturen haben zu den Sternen aufgesehen.«
»Aber wir wussten immer schon, wie man nach ihnen steuert.«
»Gut für euch. Ich hoffe, die Sternbilder haben sich auf eurer Reise nicht verschoben!«, spottete sie.
»Natürlich haben sie das. Aber wir waren geistig flexibel genug.«
»Zurück zu deiner Idee, du geistig flexibler Prophet.«
Das Tablet zeigte neue Benachrichtigungen an, sie ließ sich kurz ablenken und schaute darauf. Die Schlagwortsuche nach den Aktivitäten ihres alten Arbeitgebers vermeldete sehr viel mehr Treffer als sonst. Sie ließ ihren Blick wieder nach draußen schweifen, aber sie konnte sich nicht mehr davon lösen, dass ihr Herz nicht wegen der G-Kräfte schneller schlug, sondern weil ein plötzliches, ungutes Gefühl sie überkam.
»Ja, genau …« Er klang auch abgelenkt. Er musste sein Tablet wieder eingeschaltet haben, um die Kommunikation aufrechtzuerhalten. Seine schwere Manta beschleunigte langsamer, und Danai war mittlerweile ganz aus der Funkreichweite gedonnert. Aber warum war er auch abgelenkt? Er konnte unmöglich dieselbe Suche laufen haben wie sie. Es sei denn, er hatte beim Wiederherstellen der Accounts mehr mitbekommen, als sie beabsichtigt hatte.
»Ich dachte, wir fordern die Firestarters heraus«, begann er.
»Kian, du siehst den Satelliten, auf den du zuhältst?« Sie konnte durch den Lautsprecher den Näherungsalarm hören, der im Cockpit der Manta losging.
»Ja, ja …« Kian zog die Maschine bäuchlings am Scansatelliten vorbei. »Ich dachte an eine Challenge, einen Kunstflug…« Er verstummte, und dann fluchte er, sie verstand die Wörter kaum, weil gleichzeitig seine Hand auf das Armaturenbrett hämmerte.
Mit schlechtem Gefühl drosselte sie den Schub weiter und griff nach dem Tablet in der Halterung. Rief die Suchergebnisse auf. Es handelte sich um die immer gleiche Meldung in leicht anderem Wortlaut, diese Smashwits von Nachrichtendiensten schrieben nur voneinander ab.
»Massaker an Zivilisten. Hadronic Inc. verwandelt Vergeltungsschlag gegen Gater-Sekte in Luftangriff auf Zivilsiedlung.« – »Angriff auf fundamentalistische Sekte verwandelt sich in Bombardement auf Siedler.« – »Hadronic Inc. setzt sich durch und verleibt sich zivile Claims mittels Luftschlag ein.«
Kians Flüche verwandelten sich in ein grässlich klingendes Luftholen. Heulte er?
»Prophet, alles klar?«, fragte sie, und auch ihre Stimme klang etwas wacklig. Dann kam ihr der Gedanke, dass er natürlich nicht ebenfalls eine Schoogle-Suche nach Hadronic laufen ließ. Der Vorschlag am Tag zuvor – das hier waren die Leute, von denen er einen Auftrag hatte annehmen wollen. »Scheiße, Kian, das … das ist …« Sie stotterte im Cockpit nie. Gerade fehlten ihr einfach die Worte. »Die Nachricht von deiner Ex-Freundin … kam von Valoun II?«
»Ja. Ja, verdammt«, stieß er hervor, sie hörte, dass er die Zähne zusammenbiss.
Ihr wurde heiß und kalt gleichzeitig, unter der schweren Pilotenjacke stellten sich die Härchen an ihren Armen und im Nacken auf und ließen ein vom Reflexmodder noch verstärktes Gefühl des Unbehagens, eine Art Fluchtimpuls, durch ihre Nerven schießen.
Sie war ihren letzten Einsatz auf Valoun II geflogen.
Nachts.
Gegen Gater-Stellungen.
Das ist keine Nachricht zu meinem Einsatz, das ist zu spät, viel zu spät!
Sie starrte in die Leere da draußen. Lag Valoun II in dieser Richtung oder in einer anderen? Kian wusste es vielleicht. Sie nicht.
Das ist keine Nachricht zu meinem Einsatz. Das ist eine neue. Sie haben das gleiche Spiel nochmal gespielt. Diesmal sogar mit offenen Karten. Diesmal, ohne zu verschleiern, was für Absichten sie hegen.
Sie hätte es wissen sollen. Sie hätte Kian gestern nach Details fragen sollen, hätte eins und eins zusammenzählen sollen – aber er hatte das Loco Hana recht schnell verlassen und war in die Muckibude gegangen, um sich abzureagieren vielleicht, oder sich vor Marlene in Sicherheit zu bringen, sie hatte seine Fotos auf Yologram gesehen.
»Hast du von ihr gehört? Geht es ihr gut?«, fragte sie mit hohler Stimme.
»Keine Ahnung, ich hab hier nur den Zusammenschnitt von PolitiX laufen, keine Nachricht von ihr.« Er holte Luft, sagte aber nichts weiter.
»Vielleicht gibt es schon irgendwo Meldungen. Wie war … ist doch gleich ihr Name?«
»Neval. Toprak«, murmelte er stockend.
»Hast du ihre Accounts gecheckt?«
»Ich bin gerade dabei, verdammt!«
»Sollen wir zurück?«
»Nein, bloß nicht, ich muss das hier erst sortieren, ich muss …« Er brach ab, und dann wurde ihr klar, dass er die Verbindung unterbrochen hatte.
Sie hatte keine Ahnung, was sie tun sollte. Obwohl ihre Triebwerke sie beschleunigten, gaben ihr die umliegenden Sterne und die so weit entfernte Sonne des Systems den Eindruck, dass sie sich gar nicht bewegte. Dass sie erstarrt in der Finsternis lag. Sie drosselte den Schub und flog eine harte Wende, und wenn es nur war, um sich zu beweisen, dass sie sich doch noch regen konnte, dass sie etwas bewegen konnte in dieser schwarzen Leere, und wenn es nur ihr eigener Jäger war.
Sie kehrte zu Kians schwerem Aufklärungschopper zurück und schwenkte mit einer präzisen Fassrolle an seiner linken Flügelspitze ein. Mit wenigen Metern Abstand blieb sie dort und musterte die Lackierung der Manta. Sie war dunkelblau, die Tā-moko-artigen Muster darauf waren in Vantablack gezeichnet und schienen beinahe wie Risse, die dunkle Materie hindurchließen. Sie konnte aus diesem Winkel nicht in sein Cockpit sehen.
Irgendwann öffnete er den Kanal wieder. »Warum bist du immer noch da?«, fragte er, nur scheinbar gelassen.
»Wingpal«, gab sie als Antwort zurück.
Sie schwiegen beide, dann sagte er schließlich: »Hätten wir deine Mom gestern noch überreden können?«
Sie wusste, was er hören wollte, aber es war ohnehin die Wahrheit: »Nein. Sie stand doch völlig neben sich.«
Er antwortete nicht. Sie tippte auf ihrem Tablet herum und fand Neval Toprak unter Kians Spacebook-Freundschaften. Es war die, mit der er so viele Pärchenfotos in seinem Album hatte, eine Frau von vielleicht Mitte zwanzig, eine Vorliebe für bunte Tücher ums Haar, etwas hellere Haut als Kian, keine markante identitätsstiftende Kleidung außer dem Tuch, das sie manchmal als Hijab trug und manchmal nur wie ein Band um ihre Haare geschlungen hatte. Nichts ließ zu, dass Danai sie in irgendeine Schublade steckte. Ihr Gesicht war ein kleines bisschen süß und dreieckig, und Danai fand sie attraktiv.
Aber vielleicht war sie tot, und das machte den Gedanken irgendwie makaber.
Gestern hatten die anderen Kian als fomo verspottet. Danai hatte geschoogelt, was das hieß und hatte den Slangbegriff »fear of making out« gefunden, eine Art übermäßige emotionale Bindung, auf die die Jockeys herabschauten und die sie als Zeichen von Schwäche interpretierten.
Vermutlich haben sie nicht unrecht. Gerade in einer Umgebung wie dieser hier ist es besser, sich nicht auf irgendwas einzulassen, was einen verletzen kann.
Deshalb hing er noch hier im All, versuchte, sich in den Griff zu bekommen, bevor er zum Devil’s Rock zurückkehrte.
Sofort schaltete ein Frühwarnsystem in ihrem Kopf: Wenn ich ihn schwach erlebt hab, wird er eine Schwäche von mir suchen, damit es ausgeglichen ist.
Sie dachte darüber nach. Sie gab so wenig von sich preis, dass er keine finden würde. Keine außer ihrer Sprechstörung, und das war ein schwacher Hebel, um ihn an ihr anzusetzen.
Die Tatsache, dass ich Bomben auf die Siedlung seiner Ex-Freundin geworfen habe, hingegen … Das war ein brauchbarerer Hebel.
Das würde er nicht herausfinden.
»Bist du noch in sie verliebt?«, fragte sie, entschlossen, seine eigene Schwäche auszuloten. So machte man das doch hier auf Gang-Territorium, oder? Sie war immer schon in der Lage gewesen, schnell zu lernen.
»Nee, das mit uns ist vorbei.«
»Vorbei heißt ja nicht, dass alle Gefühle ausgeknipst sind«, murmelte sie und versuchte, nicht zu rührselig zu klingen.
»Nee, heißt es nicht. Ist es auch nicht. Ich hab schon noch was für sie übrig. Aber ich bin nicht mehr in sie verliebt. Wir … wir sind einfach zu unterschiedlich.« Er lachte bitter auf. »Sie hat ein Sabbatical genommen, um ein paar Siedlungen auf Valoun II im Kampf um Förderrechte juristisch zu beraten. Und ich bin erst mit der Akademie auf die Fresse gefallen, dann mit dem Plan, zu freelancen, und jetzt, ja, bin ich halt hier. Ich würde nicht sagen, dass wir noch gut zusammenpassen. Ach, was soll das, ich weiß nicht mal, ob sie noch lebt, versmasht!«
»Weißt … weißt du, ob es auf ihre Siedlung schon mal einen Angriff gegeben hat?«, wechselte sie vorsichtig das Thema.
»Ja, das war der Grund, aus dem ihre Leute uns anheuern wollten. Vor … ich glaube, etwa zwei Wochen gab’s da nachts einen Überfall.«
»Scheiße.« Sie musste das Wort herauszwingen, das Herz war ihr in die Hose gesackt. So weit entfernt von Valoun II, und die Galaxis war immer noch ein Dorf, wie konnte das sein?
»Ja, Bro«, bestätigte er, wohl zu tief in den eigenen Gedanken, um irgendetwas aus ihrer Stimme herauszulesen.
Sie flogen eine weite Kurve, um wieder auf die Patrouillenroute zurückzukommen.
»Und der Plan mit der Challenge? Wolltest du mir noch davon erzählen?«
Er stieß die Luft aus, es rauschte in ihren Lautsprechern. »Ich glaub, ich muss erst rausfinden, was auf Valoun passiert ist. Ob Neval noch lebt. Kam mir vor wie ’ne gute Idee mit der Challenge, aber gerade …«
»Warum wolltest du die Idee mit mir besprechen?«, hakte Danai nach.
Der Asteroid kam wieder in Sicht, die kleinen, fensterlosen Aufbauten, die Sensoren, die tiefen Fördertunnel, in denen um die vorhandenen Minenstrukturen herum die typischen aus Schiffs- und Stationsteilen umfunktionierten Wohneinheiten klumpten, die den Space-Free-Turf ausmachten. Ein gigantisches Graffiti zierte eine flache Ebene des stadtgroßen Asteroiden: eine Teufelsfratze, die aus einem Cockpit grinste.
»Devil’s Rock« blendete ihr Navi überflüssigerweise ein.
»Ich dachte, ich besprech es mit dir, weil sie deine Mutter ist. Ich dachte, wenn ich dich überzeuge, überzeugst du sie. Ich bin nur Prospect, du bist ihre Tochter.«
»Die Prinzessin.«
»Genau, Bro.«
»Ich glaube, du kennst Mama besser als ich.«
»Kann sein. Aber du bedeutest ihr mehr.«
»Nicht, wenn sie drauf ist. Low«, rief sie sich das Wort wieder in Erinnerung.
»Das ist sie heute nicht mehr, zumindest das kann ich einschätzen.«
»Ja. Ich auch«, sagte Danai, und Kian zögerte kurz, bevor er sagte: »Familie ist manchmal nicht einfach.«
Sie lachte. »Du willst doch bloß, dass ich dir auch mein Herz ausschütte, vergiss es.«
»Hey, ich will mich bloß ablenken!«
»Wir sollen auf Perimeter B-sieben was checken«, las sie von der Anzeige ab. »Das sieht ziemlich eng aus, ihr räumt euren Weltraum nicht auf, was?« Sie scannte den Perimeter und fand eine ganze Menge ausrangierten Schrott aus den Minen vor. »Ich würde schätzen, deine Mühle ist nicht wendig genug, um zwischen Asteroid und dem Scheiß da zu manövrieren. Lass mich das mal machen.«
»Du hast keine Ahnung, was ich mit meiner Mühle alles kann.«
»Dann zeig es mir, Prophet!«
»Jetzt willst du wohl mich ablenken«, knurrte er, aber es schien zu wirken. Danai gab Gas und stürzte sich Hals über Kopf in das Konglomerat aus Weltraumschrott. Kian zögerte kaum und setzte auf ihrer Sechs nach. Sie grinste.
Eine Flug-Challenge? Oh, ich hätte Ideen für eine Challenge!, schoss es ihr durch den Kopf, bevor das Adrenalin übernahm.
Die Schuldgefühle der Überlebenden trafen Neval in dem Moment, in dem sie so etwas wie erwachte. Als sie begann, wieder so weit in die Wirklichkeit zurückzufinden, dass ihr eigenes Überleben ihr bewusstwurde, hörte sie die Schreie, Schüsse und die Detonationen der Bomben noch nachhallen. Sie wusste, dass sie größeres Glück gehabt hatte, als sie verdiente.
Verdienen …
Welche Instanz würde darüber entscheiden? Da war dieses Fünkchen in ihr, das an irgendeine Form von Gerechtigkeit glauben wollte – Gerechtigkeit war überhaupt ein Konzept, dem Neval etwas abgewinnen konnte. Dieser Funke konnte eine Flamme verursachen, die von Zeit zu Zeit höher brannte. Wenn etwas einschneidend Ungerechtes geschah, dann konnte sie sich nicht dagegen wehren, dass sie etwas Höheres herbeisehnte, auf das sie dieses Gefühl des erlittenen Unrechts projizieren konnte. Eine Instanz, die sich beschuldigen ließ – wie konnte sie so etwas zulassen? Im Herzen welches übernatürlichen Geschöpfes gab es Platz für eine solche Ungerechtigkeit, für ein solches Ungleichgewicht, für solch ein Gefälle?
Neval war im Siren Fog in einer großen Minensiedlung aufgewachsen, die als Start-up begonnen und schließlich Corp-Status erlangt hatte. Sie wusste, dass sie dort automatisch von Ungleichgewicht, von Ungerechtigkeit profitiert hatte – ihre Siedlung hatte feindliche Übernahmen durchgeführt und oft genug Notfallregelungen erlassen, die moralische Einwände mit angeblich dringenden Entscheidungen außer Kraft setzten. Letztlich war das zu ihrem Vorteil gewesen. Ihre Familie war nicht reich, aber sie war behütet und privilegiert aufgewachsen und hatte einen der teuersten Studiengänge an einer Corp-unabhängigen Akademie besuchen können. Und das war ihr normal erschienen, natürlich, allen, mit denen sie zu tun hatte, hatte Ähnliches offengestanden. Erst, als sie die Lücken und die eklatanten Unterschiede der Corp-Gesetze studierte, die Fälle, in denen Menschenrechte beschnitten und Leute enteignet wurden, war ihr mit Unbehagen bewusstgeworden, dass sie durch eine Linse auf die Welt sah.
Auf Valoun II, im Umgang mit Fervin und den anderen, die ihrer Zukunft mit einer Mischung aus Kampfeslust und Verbitterung entgegensahen, hatte sie sich zum ersten Mal schuldig gefühlt für etwas, das außerhalb ihrer Macht stand. Für Umstände, zu deren Erhalt sie zwar mit ihrer bloßen Existenz beigetragen, die sie aber nie willentlich unterstützt hatte.
Als sie aus einem Mahlstrom aus Schädeltrauma, Schrapnellwunden und Tinnitus erwachte, begriff sie sofort, dass ihr Überleben ebenfalls völlig außerhalb ihrer Macht stand – und trotzdem fühlte sie sich dafür schuldig.