Kitabı oku: «Reiten wir!», sayfa 4

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»Alle droi?«

Der Fremde lachte. »Irgendwie war mir klar, dass ihr diese Frage stellen würdet. Nein, das geht nicht. Ihr könnt nicht alle drei Wünsche haben. Denkt an die Märchen mit den Feen oder an die antiken Sagen. Ihr müsst eine Entscheidung fällen. Und wir wissen beide, dass eine Entscheidung für eine der drei die anderen beiden verprellen wird.«

»Heischd das, dass ich einen dobbelten Fluch auf mich lade, weil ich nur einen Wunsch annehme?«

»Ihr seid kein Prinz oder gar ein Halbgott. Ihr werdet auf jeden Fall ein Leben haben, in dem es immer wieder schwierige und schwere Momente gibt, egal, wie ihr euch entscheidet. Aber ihr habt gesehen, dass trotzdem ein Füllhorn über euch ausgegossen wird. Denn für jeden, der den Zauber einer Fee verpönt, gibt es fünf andere, die genau diesen Zauber annehmen und die Fee beschäftigen. Sie sind dickköpfig und nachtragend und manchmal etwas eigenartig, aber sie sind nicht bösartig.«

Und in diesem Moment war ich bereit, all das zu glauben – eine Welt voll mit Feen, die drei Abgesandte an meine Wiege geschickt hatten. Aber ich merkte auch, dass diese Weltsicht meine Entscheidung zu beeinflussen drohte. Eine Welt voller Zauber, eine Welt voller Wunder – war das nicht das, was mir nur in der dritten Vision beschieden worden war? Wenn ich daran glaubte, dass es möglich war, dann konnte es mir geschehen – mir, Heliogabalus Morpheus Edeward Franke, gebürtig aus Moritzburg im schönen Königreich Sachsen. Aber wenn ich schon drei Wünsche hatte, unter denen ich mich entscheiden musste, einen für jeden Vornamen – wie mag es da unserem sächsischen König, Friedrich August Albert Anton Ferdinand Joseph Karl Maria Baptist Nepomuk Wilhelm Xaver Georg Fidelis von Sachsen ergangen sein, als er sich entscheiden musste?

Das war Blödsinn. Ich drückte mich nur darum, dem Fremden eine Antwort zu geben. Denn tief in mir spürte ich, dass ich mich längst entschieden hatte.

»Ich will das Abendeuer, ich wähle die Zukunfd mit Siech und Niederlage, mit Hoffnung und Verzweiflung, mit Reisen in ferne Länder mit all den Folgen, die es für mich haben könnde.«

Der Fremde nickte. »So sei es. Aber eine Warnung noch: Glaubt nicht, dass jeder diesen Traum leben darf. Der Zauber wird schwächer von Jahrhundert zu Jahrhundert – und die drei guten Frauen haben schon lange gelernt, dass Fürsten und Könige wenig Interesse an ihnen haben. Diese folgen einem anderen Herrn.« Er räusperte sich. »Ich hole zu weit aus. Das alles hat mit euch nichts zu tun. Nehmt es so: In euch ruht ein Zauber, der es euch erlaubt, in einem Märchen zu leben – in einer Zeit, in der es eigentlich keine Märchen mehr gibt. Euer Schicksal, eure Geschichten, die künden von jemandem, der träumen konnte. Der etwas wagte, was viele andere Menschen nicht riskieren – das hinter sich zu lassen, was bekannt ist, um das zu erfahren, was unbekannt ist.« Er stockte kurz. »Auf eine gewisse Art beneide ich euch. Alles Gute dir, du Träumer aus Moritzburg.

Mir fielen die Augen zu.


Man fand mich am nächsten Morgen am Boden eines Schachtes in der Nähe der Alten Helle. Ich war wohl auf dem Herbstlaub ausgerutscht und in den Schacht gefallen. Bei dem Sturz hatte ich mir den Kopf angeschlagen und war bewusstlos geworden. Die Feuchtigkeit und die Kälte hatten mir zugesetzt, sodass ich hohes Fieber hatte.

Ich schlief sieben Tage und Nächte im elterlichen Haus. Als ich erwachte, war meine Entscheidung klar. Ich blieb noch zwei Jahre in Moritzburg, um genug Geld zu verdienen, damit ich meinen nächsten Schritt bezahlen konnte. Dann wanderte ich nach Amerika aus.

Mein weiterer Weg ist bekannt, denn mein Freund Karl May hat sich entschlossen, zum Chronist meines Lebens zu werden. Doch diese Geschichte habe ich ihm nie erzählt. Denn der große May sollte nie erfahren, dass es alte, zutiefst eigenartige Mächte waren, die mein Schicksal gelenkt hatten. Ich war nie einer jener Edelmenschen, die er immer suchte – aber ich war immer ein Mensch geblieben.

Jetzt bin ich fertig mit meinem Leben. Es war prall gefüllt, so wie ein Leben nur sein kann. Manchmal habe ich daran gedacht, wie das wäre, mit Frau und Kind ein bürgerliches Leben zu führen oder einen großen Wald mein Eigen zu nennen, der tatsächlich mir und nur mir allein gehört. Doch ich habe diese Villa hier und meine Freunde und meine Erinnerungen.

Und jedes Mal, wenn ein Kind kommt und mich fragt, ob ich wirklich der Hobble-Frank bin und ob all die Geschichten wahr sind, die über mich erzählt worden sind – dann weiß ich, dass ich richtig gewählt habe.

FLIEGEN WIR!
FALKO LÖFFLER

Ellen machte die Hitze Nevadas nichts aus, sie mochte sie sogar. Doch sie trug auch ein leichtes Stoffgewand, das den gelegentlichen Windstoß, selbst wenn es warme Luft war, unter die Kleidung ließ und ihre Haut erfrischte.

Ihre beiden Begleiter allerdings waren angezogen, als erwarteten sie augenblicklich einen Wirbelsturm oder gar einen Blizzard. Unter ihren Gewändern musste es glühend heiß sein, doch es schien ihnen nicht das Geringste auszumachen.

»Aber natürlich könnte hier ein Wald wachsen! Diese Wüstenei muss doch nicht ewig so bleiben. Schau dir den Boden an. Mit ein wenig Mühe lässt er sich urbar machen.« Hobble-Frank ritt auf einem schwarzen Pferd, das er Mister Black nannte, voran und machte ausschweifende Handbewegungen. Dabei klimperten die Messingknöpfe an seinem Frack. Der Rest seiner Kleidung war ein indianisches Sammelsurium, von dem breitkrempigen Hut abgesehen, der mit Straußenfedern geschmückt war. Vielleicht lag es an diesem Hut, der so viel Schatten spendete, dass Hobble-Frank nicht einmal der Schweiß auf der Stirn stand.

Tante Doll, eigentlich Sebastian Melchior Pampel, reagierte auf die Behauptung seines Kameraden zunächst nur mit einem Grummeln. Er ritt hinter Hobble-Frank auf einem müden, braunen Klepper, der wohl lieber weiter die Feldarbeit in der Nähe von Reno verrichtet hätte, statt seinen Passagier durch die Ödnis von Nevada transportieren zu müssen. »Frank, ich weiß nicht, wann es passiert ist, aber dir muss ein verdammt großer Ast auf den Kopf gefallen sein, wenn du denkst, du könntest diesen trockenen Flecken Erde begrünen. Das wird in tausend Jahren nicht geschehen.« Tante Droll wurde so genannt, weil er ein sackartiges Gewand trug, das seine sowieso rundliche Form fast weiblich erscheinen ließ. Seine hohe Stimme und die Haare, die meist zu einem Dutt zusammengebunden waren, taten ihre Übriges dazu.

Die Beiden waren Vettern, doch so sehr Ellen sich in den vergangenen Tagen bemüht hatte, körperliche Ähnlichkeiten auszumachen, so wenig war es ihr gelungen. Sicher, sie waren beide Deutsche und von Natur aus eher blass, doch weder die Augenfarbe, noch die Nase, ja nicht einmal ihre Ohren hatten den Anschein von Ähnlichkeit. Von ihrem Körperbau ganz zu schweigen.

»Ich sage ja nicht, dass es leicht wäre; im Gegenteil, es wäre eine Mammutaufgabe, doch du solltest inzwischen gemerkt haben, dass unsere amerikanischen Freunde nicht vor großen Aufgaben zurückschrecken.«

Ellen zog leicht an den Zügeln, um ihren Schimmel langsamer ausschreiten zu lassen. Die Hitze mochte ihr nichts ausmachen, das endlose Geschwätz der beiden schon. Es vergingen keine fünf Minuten, in denen sie sich nicht beharkten, meist wegen irrelevanter Kleinigkeiten. Vorhin waren sie an einer Art Busch vorbeigeritten, die sie nicht eindeutig zuordnen konnten, und wenn Ellen nicht eingeschritten wäre, hätte es gut in einer Prügelei enden können. Hobble-Frank hatte wutschnaubend einen Zweig abgerissen und verkündet, diesen seinem guten Freund Professor Hansen von der botanischen Abteilung der Universität Leipzig zu schicken, um sich seine Vermutung bestätigen zu lassen.

Die beiden diskutierten Bewässerungsmethoden derart intensiv, dass sie gar nicht bemerkten, wie Ellen sich zurückfallen ließ.

Sie war mit ihrem Vater gereist, Old Firehand. Der hatte sich mit dem Sheriff von Reno getroffen, und das seltsame Paar, das sein Vater schon länger kannte, hatte dort auch vorgesprochen. Der Sheriff von Reno, ein mürrischer, ja unwirscher Kerl, suchte Leute, die einen Banditen dingfest machten – oder kurzerhand töteten – der in der Nähe der Stadt sein Unwesen trieb.

Als Ellen erfuhr, dass es um Bill Budge ging, musste sie aufhorchen.

Budge heuerte immer wieder neue Söldner an und pflegte den Ruf, besonders grausam und ruchlos zu sein. Die Bande war in allen Ecken des Westens bekannt, und viele Legenden rankten sich um ihre Taten und ihre Blutrünstigkeit.

Doch forschte man genauer, stellte man fest, dass es keine Beweise für die Grausamkeiten gab, die man ihnen nachsagte. Sicher, es waren Banditen, und sie begingen Verbrechen, aber Ellen hatte sie schon aus nächster Nähe erlebt, auch wenn sie damals nicht gewusst hatte, um wen es sich gehandelte.

Sie war in Arizona gewesen, zu Gast beim Stamm der Hualapei, die Ärger mit Siedlern hatten. Eines Abends war eine dreiköpfige Gruppe bei den Indianern aufgetaucht. Weiße; alle in guter Kleidung, gar nicht wie Westmänner wirkend, nur auf der Durchreise. Der Stamm hatte ihnen zunächst misstraut, aber sie dann nächtigen lassen, und ihnen von den Problemen mit den Siedlern berichtet. Das hatten die drei nur schulterzuckend hingenommen, denn das ginge sie ja nichts an.

Im Laufe des Abends hatte Budge Ellen schöne Augen gemacht und sie ausgefragt, woher sie komme. Als sie von ihrem Vater erzählt hatte, hatten Budges Augen gefunkelt, doch er schien nicht erzählen zu wollen, woher er Old Firehand kannte. Nachts hatte sie ein Messer neben ihrem Bett griffbereit gehalten, für den Fall, dass Budge dem Irrglauben verfiel, sie wünsche seine Nähe.

Doch als sie am nächsten Morgen erwachte, waren Budge und seine beiden Kumpanen verschwunden.

Nicht nur das, auch die Siedler waren keine Gefahr mehr. Viele ihrer Pferde waren weg, die Wagen sabotiert und ein Großteil ihrer Kleider hatte sich in Luft aufgelöst, weshalb viele der Siedler in Nachtgewändern herumirrten. Mit dem letzten Rest ihrer Habseligkeiten zogen sie von dannen, und für den Augenblick konnten die Hualapei wieder in Frieden leben.

Wahrscheinlich würde Budge sich nicht an sie erinnern. Er zog durch alle Teile des Westens, und sicher waren viele Frauen ihm leichter erlegen als sie. Doch anders als Hobble-Frank und Tante Droll hatte sie einen Anknüpfpunkt.

Sie würden improvisieren müssen. Vielleicht konnten sie es als zufällige Begegnung hinstellen, wenn sie ihn fanden, vielleicht gelang es den beiden sogar, sich in ihre Bande einzuschmuggeln. Und Ellen konnte behaupten, sich mit ihrem Vater überworfen zu haben.


Zwei, drei Stunden ritten sie unter der sengenden Sonne dahin, und nie gingen den beiden Männern die Themen aus. Irgendwann hatte Ellen wieder zu ihnen aufgeschlossen. Sie waren von Reno aus den Schienen der Union Pacific Railroad in Richtung Salt Lake City gefolgt. Als sie in den frühen Morgenstunden losgeritten waren, hatten die beiden die Vermutung geäußert, dass Budge sich in der hügeligen Landschaft nördlich der Gleise versteckte. Als Ellen die beiden darauf hinwies, dass sie eigentlich in eine andere Richtung reiten mussten, schauten sie sich kurz verwirrt um, stritten über ihren genauen Aufenthaltsort und einigten sich schließlich, den nächsten Hügel neben den Schienen hinaufzureiten, um sich einen Überblick zu verschaffen.

Als sie oben angekommen waren, sah Ellen die ganze Weite von Nevada. Nach Osten schlängelte sich die Bahnlinie in Richtung Salt Lake City, im Westen war Reno auszumachen – doch so weit sie sehen konnten, lag dazwischen nur die braune, glühende Hügellandschaft von Nevada. »Wie wollen wir Budge hier finden?«

»Er wird uns finden, wenn ich mich nicht irre«, sagte Hobble-Frank.


So kam es auch.

Sie ritten nach Norden. Meist hielten sie sich in den Tälern, manchmal erklommen sie Hügel, und niemals gaben sie sich Mühe, sich zu verbergen. Sie waren in langsamem Tempo eine weitere Stunde unterwegs gewesen, und Ellen begann sich Gedanken über das Nachtlager zu machen, denn die Sonne berührte schon den Horizont. Vor Einbruch der Dunkelheit würden sie nicht nach Reno zurückkehren können.

Da gerieten sie in den Hinterhalt.

Wenn man ihn so nennen wollte. Es war nur Bill Budge, der in ihrem Weg stand, als habe er sie erwartet.

Er wirkte fehl am Platze in dieser Wildnis, denn er war gekleidet, als sei er gerade aus einem Salon in Boston getreten, um sich gemächlich auf den Nachhauseweg zu machen. Der Frack betonte seine schlanke Figur, und er hielt beide Daumen in die Seitentaschen. Sein Zylinder war verstaubt, als wäre er den ganzen Tag damit durch Nevada gelaufen, aber sonst bestens in Schuss. Selbst die feine Hose wirkte frisch gestreckt. Nur zwei Dinge gaben einen Hinweis darauf, wer er wirklich war: der Patronengurt mit den beiden Revolvern und die Stiefel, die gar nicht zu dem sonst so herrschaftlichen Auftreten passen wollten.

In seinem frisch rasierten Gesicht stand ein Lächeln, und die Augen strahlten, als näherten sich da alte Freunde.

Er sah genau so aus, wie Ellen ihn in Erinnerung hatte.

Sein Erscheinen hatte schon ein Gutes bewirkt, nämlich dass Hobble-Frank und Tante Droll endlich Ruhe gaben. Sie verlangsamten den Schritt ihrer Pferde nicht, doch ihre Hände näherten sich ihren Waffen.

Ellen, die immer noch hinter ihnen ritt, behielt Budge genau im Auge.

»Ellen!«, rief er unvermittelt aus, und Hobble-Frank zog seine Büchse hinter seinem Rücken hervor und richtete den Lauf auf den Mann, während Tante Droll blitzschnell beide Revolver zog. Ruckartig zerrte Ellen an den Zügeln und ihr Pferd blieb stehen.

»Was für eine Freude, dich nach so langer Zeit wiederzusehen!« Budge streckte die Arme aus, trat an Hobble-Frank und Tante Droll heran, streichelte die Nüstern der Pferde, ohne dabei langsamer zu werden und schritt zwischen ihnen hindurch, um an Ellens Seite zu treten. »Wie geht es Old Firehand, diesem alten Halunken?«

»Wer der Halunke ist, müssten wir wohl noch klären.«

Budge lachte auf. »Schlagfertig wie eh und je! Nun, was verschafft mir die Ehre deiner Anwesenheit? Halt, sag nichts! Es hängt sicher mit deinen beiden Begleitern zusammen.«

Hobble-Frank und Tante Droll hatten inzwischen ihre Pferde gewendet, und standen wieder Seite an Seite. Mit einer angedeuteten Verbeugung begann Hobble Frank: »Nun, Sir, mein Bruder James und ich, William Johnson, zu Diensten, hörten von Ihnen, dass Sie immer auf der Suche sind nach erfahrenen Westmännern, die für Angelegenheiten eingesetzt werden könnten, die manche Leute als kriminell …«

»Hobble-Frank und Tante Doll!«, rief Budge aus. »Bitte, macht euch nicht die Mühe mit der Scharade. Ein solches Paar hat einen gewissen Ruf, und ich wäre nicht, wer ich bin, wenn ich nicht von euch gehört hätte. Nun weiß ich auch, dass ihr beiden Herren nicht unbedingt Dinge tut, die manche Leute als kriminell empfinden könnten. Genauso wenig wie ich natürlich!«

Er lächelte Ellen breit an, die ihre Lippen zur Reglosigkeit mahnte.

»Hört euch an, was morgen geschehen wird, und dann werdet ihr es sicher mitansehen wollen. Seid Gast in meinem Heim!«


Das Heim entpuppte sich als ein Lagerfeuer in einer Talsohle im Schatten eines Felsens. Und die Budge-Bande in ihrer jetzigen Form war genauso wenig beeindruckend, denn sie bestand nur aus zwei weiteren Personen.

Budge sagte, dass Wendy Parsons die beste Schützin sei, die er jemals kennengelernt hatte. Dabei hatte Ellen aber den Eindruck, dass die dünne, im flackernden Licht des Lagerfeuers ausgemergelt wirkende Frau überhaupt eine Flinte heben konnte. Sie schien in ihren schwarzen, schmucklosen Kleidern, die ein paar Nummern zu groß waren, regelrecht zu versinken. Die Neuankömmlinge beäugte sie mit großem Misstrauen und ohne ein Wort.

Den anderen musste Budge nicht vorstellen, denn er trat sofort nach vorne. Auf seiner Schulter saß ein Falke, der die wackeligen Bewegungen des Mannes gelassen ausglich und immer wieder den Kopf ruckartig drehte. »Lasse Ikstrom, der Name, und Sie sind – sagen Sie nichts! – Deutsche!« Er schaute von Hobble-Frank zu Tante Droll und wieder zurück. »Diese Gesichtszüge, wie Meißner Porzellan!«

Nun schauten die beiden sich verwundert an.

»Und Sie!« Er wandte sich an Ellen. »Indianisch, eindeutig, aber nicht so ganz. Ich vermute …«

»Genug, Lasse«, unterbrach ihn Budge. »Lass sie erst einmal absteigen und gib ihnen etwas Kaffee.«

Ellen nahm den redseligen Mann mit dem skandinavischen Akzent genauer in Augenschein. Er war klein, dicklich, aber nicht aufgedunsen, und hatte blondes Haar, das ihm ins Gesicht hing. Ein Wirbelwind von einem Menschen. Dazu der Falke, der nicht einmal mit einer Schnur gesichert zu sein schien, sondern einfach so auf seiner Schulter blieb.

Nachdem die drei einen Becher Kaffee bekommen hatten, den sie auch dankbar annahmen, erzählte Budge, dass Ikstrom ein Weltenbummler sei, der immer und überall nach Kuriositäten suchte, die am anderen Ende der Welt gebraucht wurden. Budge hatte ihn in Reno getroffen und sofort gemerkt, dass er seine Dienste benötigen könnte, denn er hatte etwas mitgebracht, was ihm sehr hilfreich sein konnte, wie er augenzwinkernd sagte.

»Hilfreich inwiefern?«, fragte Hobble-Frank.

Budge grinste. »Welche Lüge hat der Sheriff von Reno euch wohl aufgetischt?«, fragte er zurück.

Hobble-Frank setzte an, ihm eine Lügengeschichte aufzutischen, doch Tante Droll kam ihm zuvor. »Nun, Bill, man kann dir nichts vormachen, so viel merke ich schon. Legen wir die Karten auf den Tisch. Der Sheriff von Reno hat uns geschickt, um dich ausfindig zu machen, denn es heißt, dass du planst, die ›Bank of Reno‹ zu überfallen.«

Budge lachte schallend. »Ein Banküberfall? Ich? Hält man mich inzwischen für einen Strauchdieb? Einen dahergelaufenen Halunken?«

»Nun, stimmt es?«, fragte Hobble-Frank.

Budge schaute die beiden und Ellen ernst an. »Ich weiß Ehrlichkeit zu schätzen. Ihr hättet auch wild um euch schießend heranstürmen können und dem Sheriff von Reno meinen Kopf bringen, was ihn sicher zufriedengestellt und euch ein gutes Kopfgeld eingebracht hätte. Außerdem wärt ihr zu Legenden geworden, wenn ihr endlich den legendären Bill Budge zur Strecke gebracht hättet!«

Tante Droll zuckte mit den Schultern, als könnte man das durchaus so zusammenfassen.

Nun nahm er Ellen in Augenschein. »Du bist mitgekommen, weil du geglaubt hast, du könntest die beiden einschmuggeln. Weil wir uns schon kennen. Richtig?«

»Nun«, erwiderte Ellen, »da du Ehrlichkeit zu schätzen weißt, kann ich das nur bestätigen.«

Budge stand auf und umkreiste in einem weiten Bogen das Lagerfeuer. »Dann lasst mich euch erzählen, was es mit der ›Bank of Reno‹ auf sich hat. Ja, ich möchte sie erleichtern. Aber nicht, indem ich die Bank überfalle, aber dazu später. Es geht mir darum, der Bank das zu nehmen, was sie unrechtmäßig von ehrlichen Leuten gestohlen hat, und diesen möchte ich es zurückgeben. Wisst ihr, wem die Bank gehört?«

»Dem Sheriff von Nottingham?«, fragte Tante Droll.

Auch das ließ Budge schallend auflachen. »Ein Vergleich, der mir gefällt, mein Freund. Aber nein, nicht diesem, sondern Ernest Blackriver.«

»Der Viehbaron?«, fragte Ellen.

»Ex-Viehbaron. Vor einigen Jahren hat er begonnen, Land in Nevada zu kaufen. Von Indianern, vom Staat, von Privatpersonen. Er hat seinen Einfluss in der Verwaltung geltend gemacht und ist inzwischen der Strippenzieher im Hintergrund. Und er hat begonnen, Geld zu verleihen. Der halbe Staat steht inzwischen bei ihm in der Kreide. Auch der Sheriff von Reno persönlich.«

Hobble-Frank und Tante Droll wussten darüber offenbar nichts, und sie schauten zu Ellen, die nickte. »Ich habe viel über ihn gehört … und es sind nicht gerade gute Sachen.«

»Muss ich erwähnen, dass der Sheriff von Reno nichts weiter als ein williger Erfüllungsgehilfe ist? Und dass er ungern die Drecksarbeit machen möchte, mich selbst zur Strecke zu bringen? Ich vermute, euch ist eine beträchtliche Summe für meine Ergreifung geboten worden … Glaubt ihr etwa, das Sheriff Department von Reno könnte so etwas aufbringen?« Er beantwortete seine Frage selbst. »Nein. Nicht annähernd. Blackriver schaltet seine Feinde aus, und seine Waffe ist sein Geld.«

»Hältst du dich deswegen in dieser Einöde versteckt?«, fragte Hobble-Frank.

»Oh, dies ist kein Versteck. Mir hat ein Vögelchen gezwitschert, dass in dem Zug, den Blackriver morgen in Richtung Ostküste aufbrechen lässt, nicht etwa nur Vieh und Weizen transportiert werden, sondern ein beträchtlicher Stapel Dollarnoten … das Geld, das er von den Bewohnern in und um Reno gestohlen hat.« Budge blieb stehen und stemmte die Hände in die Hüften. »Also, meine Herren: Ich werde diesen Zug morgen überfallen, und ich werde das Geld denjenigen zurückgeben, denen es gehört. Wenn ihr das verhindern wollt, könnt ihr mich nun dingfest machen und dem Sheriff von Reno übergeben, ich werde mich nicht zur Wehr setzen.« Er schaute seine drei Gäste herausfordernd an.


Ellen, Hobble-Frank und Tante Droll entfernten sich ein Stück vom Lagerfeuer, um miteinander zu reden. Da die Sonne inzwischen untergegangen war, machte sich die Kälte der Nacht bemerkbar.

Keiner der beiden Männer schien ein dringendes Bedürfnis zu haben, seine Meinung kundzutun – vielleicht wegen der Sorge, mit dieser alleine zu stehen, also erhob Ellen das Wort. »Es wäre ein Fehler, Budge festzunehmen.«

»Das finde ich auch!«, sagte Hobble-Frank, und gleichzeitig rief Tante Droll aus: »Genau!«

»Wir könnten einfach wegreiten …«, sagte Ellen zögerlich.

»Wenn ich mich nicht irre, sind wir noch nie einfach so weggeritten«, sagte Hobble-Frank.

»Sicher nicht«, bestätigte Tante Doll.


Budge wirkte nicht überrascht, als die drei ans Lagerfeuer zurückkehrten und verkündeten, dass sie ihm helfen wollten.

»Eines allerdings macht mir noch ein wenig Sorgen«, sagte Tante Doll. »Wenn in diesem Zug viel Geld transportiert wird, dann werden viele Wachen mit großen Waffen auf dem Zug sein.«

»Lasst das unsere Sorge sein«, sagte Parsons, die gerade ihre Flinte reinigte.

»Mit einem einzelnen Schützen wird sich kaum ein ganzer Zug aufhalten lassen.«

»Da komme ich ins Spiel«, sagte Ikstrom.

»Inwiefern?«

Budge lachte auf. »Nicht er selbst … seine … Kuriosität.« Er deutete mit dem Daumen zu den Pferden, die ein wenig abseits standen.

Erst jetzt bemerkte Ellen, dass dort noch etwas stand. Es war etwas länger als ein Pferd, nur halb so hoch und mit einem großen, grauen Tuch bedeckt. Sie wollte gerade fragen, worum es sich dabei handelte, als Budge verkündete, dass es Schlafenszeit war.


Es war eine kalte Nacht, trotz des Lagerfeuers, das sie mit dünnen Ästen aus den Büschen am Leben hielten, und die Morgensonne war ein Segen. Als Ellen sich aufsetzte, sah sie Ikstrom, der beim Feuer hockte und an der Kaffeekanne hantierte. Er bemerkte sie und ließ schnell etwas in seiner Tasche verschwinden, bevor Ellen es in Augenschein nehmen konnte. »Ah, schon wach?«, fragte er, goss etwas Kaffee in eine Tasse und reichte sie Ellen.

Sie nickte ihm dankbar zu und nahm einen Schluck. Die Wärme weckte ihre Lebensgeister. Doch der Kaffee schmeckte anders als noch am Abend. Sie wollte schon fragen, ob es eine andere Mischung war, als sich neben ihr Hobble-Frank und Tante Droll reckten und aufstanden, als habe der Kaffeegeruch sie geweckt.

Budge kam hinter einem Hügel herum, begrüßte sie und holte sich auch Kaffee. Dann trat er zu dem verhüllten Objekt. »Der Zug wird in etwa einer Stunde in Reno aufbrechen. Aber er wird nicht weit kommen, zumindest nicht ein gewisser Teil seiner Ladung.« Budge kicherte. »Denn wir haben das hier.« Mit diesen Worten zog er das graue Tuch weg.

Ellen kannte das Objekt von Bildern, aber hatte so etwas noch nie mit eigenen Augen gesehen.

Es war ein »Fahrrad«. Ein Objekt, das einem half, mit der eigenen Muskelkraft schneller voran zu kommen.

Aber da war noch etwas daran, was nicht auf den Bildern gewesen war.

Vogelflügel.

Ikstrom rieb die Hände, trat zu dem Fahrrad und klappte die Flügel zur Seite. Stolz schaute er in die Runde. »Dies habe ich aus einem abgelegenen Ort in der Provence mitgebracht. Ein zurückgezogener Forscher namens Louis hat dieses einmalige Objekt hergestellt. Es wird alles revolutionieren – doch im Moment gibt es nur dieses Unikat.«

Hobble-Frank trat vor und strich über die Federn. »Du willst doch nicht behaupten …?«

»Es fliegt!«, rief Ikstrom aus.

Tante Droll lachte auf. »Frank, lass uns verschwinden, Bill Budge ist offenbar verrückt geworden. Mit solchen Leuten sollten wir nicht gesehen werden.«

»Oh, ihr müsst nicht bleiben. Ich habe alles ohne euch geplant und brauche euch nicht. Aber wollt ihr dieses Schauspiel wirklich verpassen?«

»Wie soll das funktionieren?«, fragte Ellen.

»Zugegeben, Lasse muss etwas Anlauf nehmen, und dieser Hügel dort ist perfekt dafür.« Er deutete nach Süden zu einer der Erhöhungen. »Dahinter liegt direkt die Bahnlinie. Wenn der Zug kommt, kann Lasse runterrollen, abheben und direkt über den Zug fliegen.«

Hobble-Frank kicherte. »Sagen wir mal, das würde funktionieren … was ich nicht glaube, wenn ich mich nicht irre … was geschieht dann?«

»Ich habe einen meiner Männer bei den Wachposten eingeschleust. Daher weiß ich, dass das Geld nicht etwa in einem Safe oder dergleichen transportiert wird, sondern in zwei einfachen Taschen. Ich habe identische Taschen an Bord geschmuggelt, und während Lasse die Wachen ablenkt und Parsons von weiter die Strecke abwärts für zusätzliche Verwirrung sorgt, wird mein Mann die Taschen in der nächsten Kurve hinauswerfen, und durch die leeren Taschen austauschen. Dann muss ich nur noch das Geld einsammeln.«

»Das ist kein Plan, das ist eine einzige Dummheit«, sagte Tante Doll.

»Und deswegen können wir es uns nicht entgehen lassen!«, rief Hobble-Frank aus.

Ellen schüttelte den Kopf. »Es kann nicht fliegen. Völlig unmöglich.«

»Oh, ich habe noch nichts von der geheimen Zutat erzählt!«, sagte Ikstrom.

Sie schaute ihn fragend an, und der blonde Mann griff in die Innentasche seiner Jacke und holte einen Beutel heraus. »Darin befindet sich ein Pulver mit magischen Kräften, das ich aus dem fernsten Orient mitgebracht habe! Ich habe seine Wirkung selbst erlebt, ich habe es erforscht, und nun kann ich ihm meinen Willen aufzwingen.« Er öffnete die Schnur und schüttete einen Teil des Inhalts in seine Handfläche. Es war ein hellblaues Pulver. Dann bestäubte Ikström damit das Gefährt. »Und nun ist es bereit!«

Ellen schüttelte ungläubig den Kopf. »Feenstaub?«

Budge rempelte sie mit dem Ellenbogen an. »Warum so ungläubig?« Er schaute in die Runde. »Fliegen wir!«


Ellen bot sich an, Ikstrom dabei zu helfen, sein seltsames Fluggerät auf den Hügel zu transportieren. Die Sonne begann die Wüste schon wieder aufzuheizen, und obwohl Ellen ausgeschlafen sein sollte, fühlte sie sich schon nach der Hälfte der Strecke erschöpft und ein wenig schwindelig, überließ das Schieben schließlich dem Mann und führte nur noch ihr Pferd hinauf.

Ein Gedanke rumorte in ihrem Hinterkopf. Etwas war anders, etwas hatte sie übersehen … aber sie wusste einfach nicht, was.

Oben auf dem Hügel schaute Ellen sich um. Sie konnte Reno in der Ferne erahnen – und glaubte, die Rauchsäule der Dampflokomotive zu sehen, die in ihre Richtung unterwegs war.

»Das ist der Zug«, bestätigte Ikstrom. »Wir sind genau rechtzeitig.«

Ellen schaute die Schienenstrecke unter ihr entlang. In den Büschen konnte sie Budge, Hobble-Frank und Tante Droll ausmachen, die auf den Zug warteten, und auf einem der Hügel weiter die Strecke entlang versteckte sich Parsons so gut, dass sie nicht zu erkennen war.

Eine Bewegung unten am Hügel sprang Ellen ins Auge. Es war kaum zu sehen gewesen – wahrscheinlich nur ein Tier.

Ikstrom breitete die Flügel aus und schwang ein Bein über das Gefährt, sodass er darauf saß. Bei Tageslicht konnte Ellen es genauer in Augenschein nehmen. Es hatte zwei Pedale und eine Kette, und mit Muskelkraft konnte man nicht nur das Rad antreiben, sondern offenbar auch die beiden Vogelschwingen, die aus echten Federn zu bestehen schienen.

Der Zug kam näher.

Ellen konnte immer noch nicht glauben, dass sich Ikstrom tatsächlich auf diesem Ding den Hügel hinabschleudern wollte. Gut möglich, dass er unten bei den Schienen in die Felsen krachte und nicht überlebte.

Der Zug kam schnaufend um eine Kurve gefahren, und Ellen glaubte, die Vibration des Monsters in ihren Fußsohlen zu spüren.

»Es geht los«, verkündete Ikstrom und stieß sich mit beiden Füßen ab.

Mit angehaltenem Atem sah sie Ikstrom hinabrollen, immer schneller werdend, und immer heftiger in die Pedale tretend. Er wirbelte Staub auf, das Gefährt schlingerte hin und her und gleichzeitig bewegten sich die Schwingen auf und ab.

Schwindel übermannte Ellen, und sie sank auf die Knie. Kurz wurde ihr schwarz vor Augen, aber sie hob schnell wieder den Kopf. Ikstrom war hinter der Kuppe in einer Staubwolke verschwunden, und Ellen rechnete damit, jeden Augenblick ein Krachen zu hören, mit dem er gegen die Felsen prallte.

Dann erhob sich etwas aus dem Staub und schnellte in den blauen Himmel mit schlagenden, breiten Flügeln.

Er flog.


Ellen konnte einige Sekunden lang einfach nur starren.

Ikstrom beschrieb mit seinem Fluggerät einen weiten Bogen, als gerade der Zug an dem Hügel vorbeikam, dann folgte er ihm.

Unter sich sah Ellen, wie Budge auf der einen Seite der Schienen losritt und Hobble-Frank und Tante Droll auf der anderen Seite. Sie schwang sich auf ihr Pferd und trieb es an, doch der Abhang war so steil, dass sie nur langsam nach unten vorankamen. Erst als es abflachte, konnte Ellen beschleunigen und musste ihrem Pferd die Sporen geben, um den Zug einzuholen.

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22 aralık 2023
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9783944180885
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